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OLG Frankfurt: Beruht Berichterstattung auf einer von einem Hacker erstellten Datei müssen Authentizität der Datei und Vertrauenswürdigkeit des Hackers mit besonderer Sorgfalt geprüft werden

OLG Frankfurt
Urteil vom 27.03.2025
16 U 9/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass wenn eine Berichterstattung auf einer von einem Hacker erstellten Datei beruht, Authentizität der Datei und die Vertrauenswürdigkeit des Hackers mit besonderer Sorgfalt geprüft werden müssen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Echtheitsnachweis - Hohe Anforderungen an die Prüfung der Zuverlässigkeit einer Quelle

Stützt sich die Berichterstattung über rechtsextremistische Inhalte eines Chatverlaufs einer namentlich benannten Person auf eine von einem Hacker erstellte sog. html-Datei, muss die Authentizität der Datei und die Vertrauenswürdigkeit des Hackers besonders sorgfältig geprüft werden. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit heute veröffentlichter Entscheidung die Beklagten zum Unterlassen verurteilt, da sie nicht nachgewiesen haben, dass die Chat-Inhalte tatsächlich vom Kläger stammten.

Der Kläger wendet sich gegen Berichterstattung der Beklagten in zwei Artikeln aus dem Jahr 2018. In den Artikeln finden sich Zitate aus Chatprotokollen auf Facebook mit rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Aussagen. Die Beklagten stützen diese Berichterstattung auf eine sog. html-Datei, die sie ihren Angaben nach von einem Hacker erhalten haben. Die Beklagten schreiben diese Chat-Inhalte dem namentlich benannten Kläger zu.

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Unterlassen in Anspruch und behauptet, diese Aussagen nicht getätigt zu haben. Das Landgericht hatte der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Zeugeneinvernahme zu einem geringen Teil stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.

Auf die Berufung des Klägers hat der Pressesenat des OLG der Klage weitgehend stattgegeben. Der Kläger könne sich auf einen Unterlassungsanspruch stützen, führte der Senat aus. Die angegriffenen und im Indikativ stehenden Aussagen verstehe der Leser als feststehende Tatsache. Die Zuschreibung von Zitaten zu einer Person stelle eine Tatsachenbehauptung dar. Da es sich hier um „nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptungen bzw. Meinungsäußerungen“ handele, greife die Berichterstattung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ein.

Die Beklagten hätten nicht nachweisen können, dass die Chatbeiträge authentisch seien, d.h. tatsächlich vom Kläger stammten. Der Beweiswert des nicht signierten privaten elektronischen Dokuments in Form der html-Datei sei frei zu würdigen. Die Datei sei gemäß den Angaben des Sachverständigen nicht fälschungssicher, sondern könne nachträglich beliebig von einem Editor geändert werden. Die Beklagten hätten keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass an der Datei keine Manipulationen vorgenommen worden seien. Richtig sei zwar, dass die Beklagten ihre Informanten nicht nennen müssten. Sie müssten dann aber „so viele Einzelfallumstände offenlegen, dass ein Rückschluss auf die Verlässlichkeit des Informanten und der Zuverlässigkeit und Richtigkeit der Information gezogen werden kann“, führte der Senat weiter aus. Daran fehle es hier.

Die von der Autorin der Artikel bei ihrer Anhörung gemachten Angaben zu ihrer Quelle seien hier nicht ausreichend, um die Zuverlässigkeit der Quelle beurteilen zu können. Die Autorin habe sich lediglich allgemein geäußert. Aus welchem Anlass die Quelle die Datei erstellt und den Beklagten zugespielt habe, sei unklar geblieben. Die Antworten seien insgesamt unbestimmt und zurückhaltend gewesen.

Zu berücksichtigen sei, dass hier erhöhte Anforderungen an die Prüfung der Zuverlässigkeit der Quelle gelten würden, da die Datei durch eine Straftat durch einen Hacker erlangt worden sei, deren Begehung eine gewisse kriminelle Energie erfordere. Die Beklagten hätten nicht dargelegt, wie sie sich Gewissheit über die Identität ihrer Informanten verschafft hätten. Über welche konkrete Qualifikation bzw. welches Fachwissen der von den Beklagten hinzugezogene Computerexperte verfügte, bliebe ebenfalls unklar. Die Angaben der Autorin enthielten zudem Unstimmigkeiten.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Zulassung der Revision vor dem BGH begehrt werden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 27.3.2025, Az. 16 U 9/23
(vorgehend LG Frankfurt am Main, Urteil vom 15.12.2022, Az. 2-03 O 344/19)



OLG Nürnberg: FernUSG gilt nicht für Online-Coaching im Wege der Videokonferenz oder anderer synchroner Kommunikation

OLG Nürnberg
Urteil vom 05.11.2024
14 U 138/24


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass das FernUSG nicht für Online-Coaching im Wege der Videokonferenz oder anderer synchroner Kommunikation gilt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth bedarf der Abänderung, weil der Klägerin ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Vergütung in Höhe von 21.420,00 € gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., § 818 Abs. 2 BGB zusteht.

1. Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., § 818 Abs. 2 BGB besteht nicht, weil der streitgegenständliche Coachingvertrag nicht gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) nichtig ist.

Die Klägerin trägt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der anspruchsbegründenden Tatsachen, sie hat grundsätzlich auch das Fehlen eines rechtlichen Grundes zu beweisen (Grüneberg/Sprau, BGB, 83. Auflage 2024, § 812 Rn. 76).

a) Das FernUSG ist nur auf Verbraucher und nicht auch auf Unternehmer anwendbar.

aa) Für die Anwendung des FernUSG nur auf Verbraucherverträge spricht die Begründung des Gesetzes. Danach soll das FernUSG den Teilnehmer am Fernunterricht unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes sichern und sich in die übrigen Bemühungen zum Schutz der Verbraucher wie z.B. das Abzahlungsgesetz und die Regelungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, des Rechts der Reiseveranstalter oder der Immobilienmakler einreihen (BT-Drs. 7/4245, S. 13 und 32; vgl. auch Hinweis des Kammergerichts Berlin vom 22.06.2023 – 10 U 74/23, Bl. 51 f. d. OLG-Akte). Außerdem wird im Zusammenhang mit der Kompetenz des Bundes zur Regelung einer Zulassungspflicht für Fernlehrgänge und der Versagungsgründe aus Art. 74 Nr. 11 GG betont, dass zum Recht der Wirtschaft auch z.B. Vorschriften, die eine wirtschaftliche Betätigung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes regeln, gehören und das FernUSG als Verbraucherschutzregelung zu charakterisieren ist (BT-Drs. 7/4245, S. 34).

bb) Der Umstand, dass das FernUSG den Begriff des Verbrauchers – abgesehen von § 3 Abs. 3 FernUSG – nicht verwendet, und – anders als z.B. in § 1 Abs. 1 VerbrKrG a.F. und § 6 Nr. 1 HWiG a.F. – keine gesonderte Vorschrift enthält, die die Anwendung des Gesetzes im Ergebnis explizit nur für Verbraucherverträge vorschreibt (OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023 – 3 U 85/22, juris Rn. 48), führt nicht dazu, dass von der Anwendbarkeit des FernUSG auch auf Unternehmer auszugehen ist. Denn im Jahr der Verabschiedung des FernUSG am 24.08.1976 gab es keine Legaldefinition für Verbraucher. So wurde § 13 BGB in der Fassung vom 27.06.2000 durch Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 27.06.2000 eingefügt.

Schließlich regelt § 3 FernUSG Form und Inhalt des Fernunterrichtsvertrages und bestimmt in § 3 Abs. 2 FernUSG, dass die dem Verbraucherschutz dienenden Informationspflichten des Unternehmers nach § 312d Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 246a EGBGB (vgl. MüKoBGB/Wendehorst, 9. Auflage 2022, § 312d Rn. 1, m.w.N.) gelten. Dies ist ebenso ein Indiz dafür, dass das FernUSG nicht auch auf Unternehmer anwendbar ist.

b) Darüber hinaus handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Coachingvertrag nicht um einen Vertrag i.S.d. § 1 FernUSG.

Nach § 1 Abs. 1 FernUSG liegt ein Fernunterricht im Sinne dieses Gesetzes vor, wenn ein Vertrag zugrunde liegt, der die entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten zum Gegenstand hat, bei der der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen.

aa) Es könnte zwar bereits zweifelhaft sein, ob es sich bei einem „Coaching-Vertrag“ um einen Vertrag handelt, aufgrund dessen bestimmte Kenntnisse vermittelt werden sollten (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 20.02.2024 – 10 U 44/23, juris Rn. 22 ff.). Doch vorliegend war Vertragsinhalt unstreitig die Wissensvermittlung zum Thema Funnelaufbau (Prozess des Gewinnens von Interessenten zu wertvollen Kunden), so dass diese Voraussetzung des § 1 Abs. 1 FernUSG gegeben ist.

bb) Die Klägerin kann nicht nachweisen, dass der Kontakt zwischen ihr und der Beklagten ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend räumlich getrennt erfolgt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 FernUSG).

(1) Für die räumliche Trennung ist maßgeblich, ob Lernende zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, um mit dem Lehrenden Kontakt aufzunehmen. Bei einer Videokonferenz oder anderen synchronen Kommunikation ist jederzeit ein Kontakt wie in Präsenzveranstaltungen möglich, so dass eine räumliche Trennung i.S.d. Gesetzes nicht gegeben ist, obwohl Lernende und Lehrende sich an unterschiedlichen Orten aufhalten. Dies ist für die Frage, ob netzgestützte Lernangebote unter das FernUSG fallen, von Bedeutung (zum Ganzen: NomosKommentar/Vennemann FernUSG, 2. Auflage 2014, § 1 Rn. 10).

(2) Nach der richtigen Erläuterung der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht kann von einer ausschließlichen oder überwiegend räumlichen Distanz in folgenden Fällen ausgegangen werden (vgl. https://zfu.de/veranstaltende/fernunterricht):
- Die Lehrenden und die Lernenden sind ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt, wenn mehr als die Hälfte (> 50%) der Kenntnisse und Fähigkeiten mithilfe von Medien (z.B. Lehrbriefe etc.) vermittelt wird und bei deren Bearbeitung ein asynchroner Informationsaustausch vorliegt.
- Bei einem „virtuellen Klassenraum“ oder anderer synchroner Kommunikation (z.B. Live-Chat) ist jederzeit ein Kontakt wie in Präsenzveranstaltungen möglich, so dass eine „räumliche Trennung“ i. S. des Gesetzes nicht gegeben ist, obwohl Lernende und Lehrende sich an unterschiedlichen Orten aufhalten.
- Bei asynchronem Austausch (z. B. Weblog, Forum, Wiki als Lernhilfe etc.) ist die Voraussetzung der „räumlichen Trennung“ i. S. d. FernUSG gegeben. Die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, das Forum mit Fragen zu bestücken und Kommentare abzugeben. Die Möglichkeit, einer simultanen Antwort besteht jedoch nicht.

(3) Die Klägerin bleibt beweisfällig hinsichtlich der Voraussetzung der überwiegenden räumlichen Distanz.

Die beweisbelastete Klägerin hat für ihre pauschale Behauptung, dass der überwiegende Anteil in Form asynchroner Schulungsvideos über eine der Klägerin zur Verfügung gestellte Lernplattform stattgefunden habe, kein Beweismittel angeboten.

Die Beklagte dagegen hat substantiiert vorgetragen, dass sich allein in den ersten drei Monaten der Vertragslaufzeit 60 Stunden Videos und 114 Stunden Phasen synchroner Kommunikation (präsenzäquivalente Online-Veranstaltungen) ergeben haben und damit der Anteil der Phasen synchroner Kommunikation deutlich höher als 50% sei.

cc) Die Klägerin kann auch nicht den Nachweis führen, dass sie nach dem Vertrag Anspruch auf eine Überwachung des Lernerfolgs hatte (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG).

(1) Die vom Gesetz vorgesehene Überwachung des Lernerfolgs ist hinsichtlich ihrer Voraussetzungen im Gesetz nicht näher bestimmt. Unter Berücksichtung der Entstehungsgeschichte der Norm und der Intention des Gesetzgebers ist dieses Tatbestandsmerkmal jedoch weit auszulegen (BGH, Urteil vom 15.10.2009 – III ZR 310/08, juris Rn. 16; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O., Rn. 28, m.w.N.). Eine Überwachung des Lernerfolgs nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG ist bereits dann gegeben, wenn der Lernende nach dem Vertrag den Anspruch hat, z.B. in einer begleitenden Unterrichtsveranstaltung durch mündliche Fragen zum erlernten Stoff eine individuelle Kontrolle des Lernerfolgs durch den Lehrenden oder seinen Beauftragten zu erhalten (BGH, a.a.O., Rn. 21). Insofern kommt es auf die vertragliche Vereinbarung an und nicht darauf, ob die Überwachung des Lernerfolgs auch tatsächlich durchgeführt wird (BGH, a.a.O., Rn. 20, m.w.N.; vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – I-2 U 24/23, juris Rn. 53 ff., m.w.N.).

Maßgeblich ist demnach, ob die Klägerin nach dem streitgegenständlichen Vertrag das Recht gehabt hätte, eine solche Kontrolle einzufordern. Sollte der Vertragspartner der Klägerin nur für individuelle Fragen im Rahmen des „Coachings“ bzw. „Mentorings“ zur Verfügung stehen, so wird keine „Überwachung“ des Lernerfolges geschuldet. Allein die Gelegenheit der Klägerin im Rahmen des Coachings Fragen zu stellen, stellt schon dem Wortsinne nach keine „Überwachung“ dar. Den Anwendungsbereich des Gesetzes auch auf solche Fälle auszudehnen, in denen gerade keine Kontrolle des Lernerfolges vereinbart wurde, sondern lediglich die Möglichkeit des Vertragspartners besteht, Fragen zu stellen, würde insofern dem klaren Wortlaut widersprechen (zum Ganzen: Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O., Rn. 29).

(2) Soweit die Klägerin auf die Leistungsbeschreibung der Beklagten (Anlagen K3 und K4) und darauf verweist, dass die Beklagte bzw. deren Dienstleistungsanbieter den Videokurs als „E-Learning Plattform“ bezeichne, belegt dies nicht, dass sie nach dem streitgegenständlichen Coachingvertrag das Recht gehabt hätte, eine Lernkontrolle einzufordern. Denn allein aus der Bezeichnung „E-Learning Plattform“ lässt sich nicht schließen, dass eine Überwachung des Lernerfolgs geschuldet wird. Aus den Anlagen K3 und K4 ergibt sich nicht, dass eine Kontrolle des Lernerfolgs Vertragsinhalt wurde. Soweit in Anlage K4 von „Besprechung/Kontrolle der Werbeanzeigen“ die Rede ist, handelt es sich nicht um eine Lernkontrolle.

2. Der Klägerin steht auch aufgrund der Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB nicht zu.

Die Klägerin kann ihre Behauptung, sie sei arglistig über die Identität ihres Vertragspartners getäuscht worden, nicht nachweisen.

a) Die Beklagte bestreitet eine Täuschungshandlung und legt dar, dass ausweislich der Anlage B1 ein Auftreten der Beklagten als Vertragspartner nicht zu übersehen sei. Insofern ist auch eine Ursächlichkeit der Täuschung von vornherein ausgeschlossen, weil der Getäuschte Kenntnis von der wahren Sachlage hatte. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn die wahre Sachlage bei Vertragsabschluss derart offensichtlich war, dass ein Irrtum ausgeschlossen erscheint (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Auflage 2021, § 123 Rn. 22, m.w.N.).

b) Im Übrigen hat die Klägerin nicht die Frist des § 124 Abs. 1 BGB eingehalten. Die erste Rechnung der Beklagten stammt vom 26.08.2021 (Anlage K2). Damit ist die von der Klägerin – ohne Beweisantritt – aufgestellte Behauptung, dass ihr Geschäftsführer erst im April 2023 davon Kenntnis erlangt habe, dass die Beklagte alleinige Vertragspartnerin geworden sei, bereits widerlegt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG München: Willenserklärungen und Vertragsschluss per Emoji im WhatsApp-Chat - Keine Zustimmung zu Lieferfristverlängerung durch "Grimassen schneidendes Gesicht“-Emoji

OLG München
Urteil vom 11.11.2024
19 U 200/24 e


Das OLG München hat sich in diesem Rechtsstreit mit der Abgabe und Formwirksamkeit von Willenserklärungen sowie Vertragsschluss bzw. Vertragsänderungen per Emoji im WhatsApp-Chat befasst. Das Gericht hat vorliegend entschieden, dass das "Grimassen schneidendes Gesicht“-Emoji nicht als Zustimmung zu Lieferfristverlängerung auszulegen ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
bb) Aus dem Chatverlauf der Parteien lässt sich – entgegen der Ansicht des Beklagten – keine einvernehmliche Lieferfristverlängerung bis 30.06.2022 erblicken.

aaa) So ist bereits umstritten, ob WhatsApp-Mitteilungen bei rechtsgeschäftlich vereinbarter Schriftform – wie hier – die Voraussetzungen des § 127 Abs. 2 S. 1 BGB erfüllen.

α) Danach genügt zur Wahrung der durch Rechtsgeschäft bestimmten schriftlichen Form, soweit nicht ein anderer Wille anzunehmen ist, die telekommunikative Übermittlung.

Das gilt für alle Arten der Telekommunikation mittels technischer Telekommunikationsanlagen i.S.v. § 3 Nr. 22, 23 TKG in der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung bzw. § 3 Nr. 59, 60 TKG in der seit dem 01.12.2021 geltenden Fassung, soweit durch diese in Schriftzeichen lesbare verkörperte Erklärungen übersandt werden, die Übermittlung also nicht in der Form von Sprache (z.B. fernmündlich oder per Voice-Mail oder Voice-Message) erfolgt (s. BT-Drs. 14/4987, S. 20 f.; Wendtland in: BeckOK BGB, 71. Ed., Stand: 01.08.2024, § 127 Rz. 3; Wollenschläger in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.09.2024, § 127 BGB Rz. 53 f.; Einsele in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 127 Rz. 10; Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl., § 127 BGB Rz. 3). Der Begriff der telekommunikativen Übermittlung ist nicht auf bestimmte Medien verengt, vielmehr bewusst entwicklungsoffen (Schäfer, NJOZ 2023, 1376 [1378]).

Es reicht eine wechselseitige elektronische bzw. digitale Datenübermittlung (Wendtland in: BeckOK BGB, 71. Ed., Stand: 01.08.2024, § 127 Rz. 4), die dabei verwendeten Medien können unterschiedliche sein (Borges in: BeckOK IT-Recht, 15. Ed., Stand: 01.04.2024, § 127 BGB Rz. 12).

Der Text muss so zugehen, dass er dauerhaft aufbewahrt werden oder der Empfänger einen Ausdruck anfertigen kann (BAG, Urteil v. 16.12.2009, Az. 5 AZR 888/08, Rz. 36; OLG Zweibrücken, Beschluss v. 04.03.2013, Az. 3 W 149/12, juris Rz. 7; Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 127 Rz. 2; Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 24. Aufl., § 127 BGB Rz. 44).

β) αα) Teilweise wird vertreten (so z.B. OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 21.12.2023, Az. 15 U 211/21, juris Rz. 68 ff.; ähnlich AG Kassel, Urteil v. 15.03.2022, Az. 410 C 1583/22, juris Rz. 16 f.), diesen Anforderungen entspreche die Übermittlung per Messengerdienst nicht.

Es fehle es an einer hinreichend sicheren Möglichkeit der dauerhaften Archivierung und des Ausdrucks. Hinzu komme der Umstand, dass selbst der bloße Namenszusatz nicht ohne weiteres hinreichend sichere Gewähr biete, welche Person die darin enthaltene Erklärung rechtlich verantworte. Ferner sei zu berücksichtigen, dass ein Formerfordernis auch die Bedeutung habe, die erklärende Person zu warnen und vor übereilter Abgabe der Erklärung zu schützen. Die typische Art und Weise der Benutzung eines Messengerdienstes stehe dem entgegenstehe.

ββ) Die aus Sicht des Senats vorzugswürdige Ansicht bejaht die Voraussetzungen der gewillkürten Schriftform nach § 127 Abs. 2 S. 1 BGB auch bei der Übermittlung einer Textnachricht oder eines Attachments in Gestalt einer Textverarbeitungs- oder PDF-Datei oder eines ausreichend guten Fotos per WhatsApp – nicht jedoch bei einer WhatsApp-Sprachnachricht oder einem Video- oder Audio-Attachment (vgl. ausführl. Schäfer, NJOZ 2023, 1376 [1378 f. m.w.N.]; i. Erg. bspw. ebenso Wollenschläger in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.09.2024, § 127 BGB Rz. 54; Härting, Internetrecht, 7. Aufl., Rz. 534).

Die Einwände der gegenteiligen Auffassung erweisen sich als nicht stichhaltig. Die Dauerhaftigkeit und Reproduzierbarkeit sind bei WhatsApp-Nachrichten oder -Attachments in der vorgeschilderten Form gegeben. Dazu ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Chatverlauf bei Whats-App – soweit diese Funktion nicht ausgeschaltet ist – regelmäßig per Backup in der Cloud gesichert wird, also dauerhaft gespeichert wird. Zum anderen ist zu sehen, dass – abgesehen von der nur kurzzeitig für ein eng begrenztes Zeitfenster nach dem Versand für den Absender eröffneten Option „Für alle löschen“ – Nachrichten den Empfängern nicht mehr „entrissen“ werden können. Die Reproduktion ist sowohl physisch durch (screenshot- oder exportbasierten) Ausdruck möglich als auch digital durch Weiterleiten der Nachricht.

Die Ansicht, dass Messengerdienste weit überwiegend nur zum raschen Austausch rein privater Nachrichten und gerade nicht zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen benutzt würden und dabei die Emotionalität privater Nachrichten und nicht das überlegte Handeln mit entsprechenden rechtlichen Konsequenzen im Vordergrund stünde (so OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 21.12.2023, Az. 15 U 211/21, juris Rz. 74), erscheint angesichts der mittlerweile weiten Verbreitung dieser elektronischen Kommunikationsform auch im Rechts- und Geschäftsverkehr als überholt und wird namentlich durch den streitgegenständlichen Fall widerlegt.

bbb) Völlig ungeachtet der Frage, ob hier § 127 Abs. 2 S. 1 ZPO erfüllt ist, weist der Chatverlauf der Parteien nicht den vom Beklagten darin erblickten Inhalt auf. Insbesondere signalisierte der Kläger – anders als der Beklagte meint – nicht, insbesondere nicht mit den von ihm verwendeten Emojis, seine Zustimmung zu einer Lieferfristverlängerung bis zum 30.06.2022.

α) Das Zustandekommen einer den ursprünglichen Kaufvertrag hinsichtlich des Liefertermins und der unechten Nachfrist abändernden Abrede zwischen den Parteien setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen in Gestalt von Antrag (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147 BGB) voraus.

Willenserklärungen können sowohl ausdrücklich – mündlich oder in schriftlicher Form – als auch konkludent – d.h. durch schlüssiges Verhalten – erfolgen. Bei Nachrichten, die per Messenger-dienst gesendet werden, handelt es sich um elektronisch übermittelte Willenserklärungen (Säcker in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl, Einl. Rz. 209). Auch elektronische Erklärungen sind echte Willenserklärungen (Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl., Einf. v. § 116 Rz. 1). Diese unterliegen den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre.

Der Erklärende kann seinen Willen mittels Zeichen kundtun (Singer in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2021, § 133 Rz. 8; Biehl, JuS 2010, 195 [197]), d.h. auch durch digitale Piktogramme – wie Emojis. Diese werden häufig genutzt, um eine Aussage zu unterstreichen oder zu verstärken oder sollen klarstellen, in welchem Sinne etwas zu verstehen ist (z.B. ironisch). In dieser Funktion erfüllen Emojis im digitalen Diskurs ähnliche Funktionen wie Intonation, Gestik, Mimik und andere körpersprachliche Elemente in realen Gesprächen (Pendl, NJW 2022, 1054 [1056 Rz. 12]). Teilweise werden aber auch Worte innerhalb eines Satzes durch ein Emoji ersetzt. Ob der Verwender von Emojis einen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck bringen oder lediglich seine Stimmungs- oder Gefühlslage mitteilen möchte, ist eine Frage der Auslegung (Freyler, JA 2018, 732 [733]).

Emojis besitzen als Zeichen Interpretationsmöglichkeiten, die heranzuziehen sind; dabei spielen allerdings nur solche eine Rolle, die der Empfänger auch verstehen konnte (Freyler, JA 2018, 732 [734]). Umstände, die dem Erklärungsempfänger weder bekannt noch erkennbar waren, bleiben außer Betracht (BGH, Urteil v. 05.10.2006, Az. III ZR 166/05, Rz. 18: Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 133 Rz. 9). Faktoren wie Nationalität und Muttersprache, kultureller Hintergrund sowie Alter, Geschlecht oder Persönlichkeitsstruktur können sowohl die Nutzung als auch das Verständnis von Emojis beeinflussen, wobei sich besonders deutliche Einschnitte zwischen den Altersgruppen ergeben (Pendl, NJW 2022, 1054 [1056 Rz. 13]). Emojis bergen somit die Gefahr von Missverständnissen und Fehlschlüssen, weil die konkret verwendeten Symbole möglicherweise auf einem spezifischen „Emoji-Soziolekt“ beruhen, der bloß innerhalb einer bestimmten Gruppe existiert (Pendl, NJW 2022, 1054 [1056 Rz. 14]; illustrativ auch Püttmann/Opfer, LTO v. 02.11.2024: Vorsicht mit Emojis, https://www.lto.de/persistent/a_id/55764 [abgerufen: 11.11.2024], zum Emoji ).

Es ist – ebenso wie sonst – zu fragen, wie ein verständiger Empfänger der Nachricht die Willenserklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte, § 133, § 157 BGB. Dabei können die Begleitumstände Berücksichtigung finden, soweit diese einen Anhaltspunkt für den Sinngehalt des Erklärten bieten (BGH, Urteil v. 19.01.2000, Az. VIII ZR 275/98, juris Rz. 20; Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 133 Rz. 15). Zu Bestimmung des Bedeutungsgehalts von Emojis kann der Rechtsanwender gegebenenfalls Emoji-Lexika zurate ziehen (Pendl, NJW 2022, 1054 [1056 Rz. 18]). Hinweise auf das Verständnis eines Emojis können auch aus dem Begleittext folgen.

β) Eingedenk des Vorstehenden ist die Verwendung des Emojis in der WhatsApp-Nachricht des Klägers vom 23.09.2021 nicht als Zustimmung zur Aussage des Beklagten in der Nachricht zuvor zu werten „Der SF 90 Stradale rutscht leider auf erstes Halbjahr 2022.“

Ausgehend von seiner in den gebräuchlichen Emoji-Lexika Emojipedia (https://emojipedia.org/de/grimassen-schneidendes-gesicht [abgerufen: 11.11.2024]) und Emojiterra (https://emojiterra.com/de/grimassen-schneidender-smiley [abgerufen: 11.11.2024]) angegebenen Bedeutung stellt der sog. „Grimassen schneidendes Gesicht“-Emoji (Unicode: U+1F62C) grundsätzlich negative oder gespannte Emotionen dar, besonders Nervosität, Verlegenheit, Unbehagen oder Peinlichkeit. Dass die Parteien des Rechtsstreits – individuell oder aus Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – diesem eine davon abweichende Bedeutung beimaßen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zudem ist der spezifische Kontext zu berücksichtigen, in dem der Emoji verwendet wurde. Der daneben vom Kläger verwendete Ausdruck „Ups“ ist allenfalls als Ausruf der Überraschung oder des Erstaunens zu werten, keinesfalls ist damit eine zustimmende Aussage verbunden. Die folgende Aussage des Klägers ändert daran nichts mehr.

γ) Die Verwendung des Emojis in der Nachricht vom 29.09.2021 durch den Kläger hat ebenso nicht diesen, ihm vom Beklagten zugemessenen Bedeutungsinhalt.

Zwar signalisiert der sog. „Daumen hoch“-Emoji (Unicode: U+1F44D) – was dem Beklagten zuzugeben ist – laut der oben angegebenen Emoji-Lexika und in Übereistimmung mit dem überwiegenden Verständnis dieser Geste bei physischer Verwendung regelmäßig Zustimmung, Einverständnis oder Anerkennung. Die Nachricht bezog sich aber ersichtlich nicht mehr auf die erste Nachricht des Beklagten vom 23.09.2021, sondern die dazwischen geführte Konversation der Parteien am 28. und 29.09.2021 und diese drehte sich um die Umstände der Verbindlichkeit der Bestellung des Pkw und dessen Konfiguration – und in keiner Weise den Liefertermin.

δ) Selbst die klägerische WhatsApp-Nachricht vom 27.01.2022 unter Verwendung des Emojis ist nicht im vom Beklagten gewünschten Sinne auszulegen.

Der sog. „Grinsendes Gesicht mit lachenden Augen“-Emoji (Unicode: U+1F604) hat in der Regel schon keine eindeutige Bedeutung. Er vermittelt laut Emoji-Lexika oftmals allgemeine Freude, Glücksgefühle, eine warme, positive Stimmung oder gutmütige Belustigung, kann aber auch Stolz oder Aufregung vermitteln.

Außerdem ist er vorliegend eingebettet in folgende Nachricht:
„Erstes Halbjahr hat angefangen. schon ein Lebenszeichen von Ferrari wann mit dem Auto zu rechnen ist?“

Dass dadurch zum Ausdruck kommen soll, dass der Kläger nunmehr mit einer Verlängerung der Lieferfrist für den Pkw bis zum 30.06.2022 sein Einverständnis zum Ausdruck gebracht habe, ergibt sich aus nichts. Allenfalls kann darin der Ausdruck einer unspezifischen Vorfreude oder Hoffnung, keinesfalls auch nur ein Erklärungsbewusstsein des Klägers erkannt werden.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Baden-Baden: Verstoß gegen DSGVO durch Verarbeitung personenbezogener Daten auf privaten Kommunikationsgeräten von Mitarbeitern - Auskunftsanspruch und Unterlassungsanspruch

LG Baden-Baden
Urteil vom 24.08.2023
3 S 13/23


Das LG Baden-Baden hat entschieden, dass ein gegen die Vorgaben der DSGVO durch Verarbeitung personenbezogener Daten auf privaten Kommunikationsgeräten von Mitarbeitern vorliegt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Berufung über Klage auf Geltendmachung von Ansprüchen nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wegen eigenmächtiger Verarbeitung von Kundendaten auf privatem Account hat Erfolg.

Unternehmen wird zur Auskunft über ihre Mitarbeiter, die Kundendaten privat verarbeitet haben und dazu verurteilt, ihren Mitarbeitern die Verwendung der Daten auf privaten Kommunikationsgeräten zu untersagen.

Durch Urteil vom 24.08.2023 (Az. 3 S 13/23) hat das Landgericht Baden-Baden ein Unternehmen dazu verurteilt, einer Kundin die Namen ihrer Mitarbeiter zu benennen, die in dem Unternehmen erhobene Kundendaten privat verarbeitet haben. Darüber hinaus ist das Unternehmen dazu verurteilt worden, ihren Mitarbeitern die fortgesetzte Verwendung der personenbezogenen Kundendaten auf ihren privaten Kommunikationsgeräten zu untersagen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sehe einen Auskunftsanspruch der Kundin nach Art. 15 Abs. 1 lit. c) DSGVO vor, der sich vorliegend auch darauf erstreckte, der klagenden Kundin die Mitarbeiter der Beklagten als Empfänger im Sinne von Art. 4 Ziff. 9 DSGVO zu benennen, denen gegenüber die personenbezogenen Daten der Klägerin offengelegt worden sind und die diese privat verarbeitet haben, etwa weil sie diese auf einem privaten Account eines sozialen Netzwerks genutzt haben. Zwar seien Arbeitnehmer eines für die Datenverarbeitung Verantwortlichen grundsätzlich nicht als Empfänger anzusehen. Dies gelte aber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 22.06.2023, C-579/21, Rn. 75) nur dann, wenn sie unter der Aufsicht des Verantwortlichen und im Einklang mit seinen Weisungen die Daten verarbeiteten. Demgegenüber habe in dem zu entscheidenden Fall zumindest eine Mitarbeiterin der Beklagten zur Klärung von Fragen im Zusammenhang mit dem Kauf eines Fernsehers den Kontakt zu einer Kundin eigenmächtig über ihren privaten Account hergestellt. Da für die Kundin die Nennung der Mitarbeiter erforderlich sei, um die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zu überprüfen und ggf. weitere nach der DSGVO zustehende Ansprüche gegen die Mitarbeiter geltend machen zu können, bestehe vorliegend ein Auskunftsanspruch auf Nennung der Mitarbeiter. Denn eine vorzunehmende Abwägung der in Rede stehenden Rechte und Freiheiten der Kundin einerseits und der Mitarbeiter andererseits führe im Hinblick darauf, dass die Nutzung der Kundendaten auf privaten Accounts entgegen den Weisungen und den üblichen Gepflogenheiten des Unternehmens eigenmächtig durch die Mitarbeiterin der Beklagten erfolgt sei, dazu, dass das Interesse der Mitarbeiter, anonym zu bleiben, nicht schutzwürdig sei und gegenüber den Interessen der Kundin auf Geltendmachung ihrer Ansprüche nach der DSGVO zurückzustehen habe.

Darüber hinaus stehe der Kundin nach §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB analog in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 DSGVO ein Anspruch darauf zu, dass das beklagte Unternehmen ihren Mitarbeitern, die bei der Beklagten erhobene personenbezogene Daten der Klägerin auf privaten Kommunikationsgeräten verwendet haben, die fortgesetzte Verwendung untersage. Die Beklagte sei als mittelbare Handlungsstörerin verantwortlich und verpflichtet, die ihren Weisungen unterliegenden Mitarbeiter der Beklagten dazu anzuhalten, die weisungswidrige fortgesetzte Verwendung der in dem Unternehmen erhobenen personenbezogenen Daten der Kundin zu unterlassen.

Das Landgericht hat die Revision gegen das Urteil vom 24.08.2023 nicht zugelassen. Ein Rechtsmittel gegen das Urteil ist damit nicht statthaft.

Zum Hintergrund:

Die Kundin hatte im Juni 2022 bei dem beklagten Unternehmen einen Fernseher und eine Wandhalterung erworben. In dem Zusammenhang wurden von ihr der Name und ihre Anschrift erfasst. Wenige Tage darauf gab sie die Wandhalterung wieder zurück, wobei ihr versehentlich der wesentlich höhere Kaufpreis für den Fernseher erstattet wurde.

Als das Versehen in dem Unternehmen bemerkt wurde verfasste eine Mitarbeiterin des Unternehmens über ihren privaten Account eines sozialen Netzwerks noch am gleichen Tag eine Nachricht an die Kundin, mit der sie auf das Versehen aufmerksam machte und um Rückmeldung bat. Darüber hinaus erhielt die Kundin ebenfalls noch an diesem Tag über Instagram eine weitere Nachricht, in der sie aufgefordert wurde, sich deshalb mit dem „Chef“ der Instagram-Nutzerin in Verbindung zu setzen.

Die Kundin hat mit ihrer gegen das Unternehmen gerichteten Klage die Auskunft begehrt, mitzuteilen, an welche Mitarbeiter der Beklagten ihre personenbezogenen Daten herausgegeben oder übermittelt wurden und darüber hinaus beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den Mitarbeitern die Nutzung der personenbezogenen Daten der Kundin auf privaten Kommunikationsgeräten zu untersagen.

Das beklagte Unternehmen ist der Klage entgegen getreten.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, der Auskunftsanspruch bestehe nicht, da Mitarbeiter eines Unternehmens keine „Empfänger“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 lit. c) DSGVO, Art. 4 Nr. 9 DSGVO seien. Die begehrte Verurteilung, den Mitarbeiter der Beklagten die Nutzung der personenbezogenen Daten der Kundin auf ihren privaten Kommunikationsgeräten zu untersagen, sei nicht begründet.

Hiergegen hat sich die Berufung der Klägerin gerichtet, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt hat.

1. Instanz: Amtsgericht Bühl, Urteil vom 21.02.2023 – 3 C 210/22

2. Instanz: Landgericht Baden-Baden, Urteil vom 24.08.2023 - 3 S 13/23

Einschlägige Vorschriften:

Art. 15 DSGVO:

Abs. 1: Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen:



c) die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere bei Empfängern in Drittländern oder bei internationalen Organisationen

….

Art. 4 DSGVO:

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

1. „personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann;

2. „Verarbeitung“ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung;



9.. „Empfänger“ eine natürliche oder juristische Person, …, der personenbezogene Daten offengelegt werden, unabhängig davon, ob es sich bei ihr um einen Dritten handelt oder nicht. …

§ 1004 BGB Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch

(1)

Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen.Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.



§ 823 BGB Schadensersatzpflicht

(1)

Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2)

Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

LAG Schleswig-Holstein: Schadensersatz aus § 15 Abs. 2 AGG wegen diskriminierender Stellenanzeige bei Ebay-Kleinanzeigen nach Bewerbung über Chatfunktion - Sekretärin gesucht

LAG Schleswig-Holstein
Urteil vom 21.06.2022
2 Sa 21/22


Das LAG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass einem Bewerber Schadensersatz aus § 15 Abs. 2 AGG wegen einer diskriminierender Stellenanzeige bei Ebay-Kleinanzeigen zusteht, auch wenn eine formlose Bewerbung über die Chatfunktion des Internetportals erfolgt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Schadensersatz wegen diskriminierender Stellenanzeige in Ebay-Kleinanzeigen - Bewerbung über das Internetportal reicht aus, um als Bewerber im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu gelten

Wer sich auf eine Stellenanzeige im Internetportal „Ebay-Kleinanzeigen“ über die dortige Chat-Funktion bewirbt, genießt den Status eines Bewerbers. Das Einreichen weiterer Unterlagen ist nicht erforderlich. Angesichts des Anzeigentextes und der Antwort der Arbeitgeberin im Chat war klar, dass der Kläger aufgrund seines Geschlechts benachteiligt worden ist. Deshalb steht ihm eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern zu. Dies hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein am 21. Juni 2022 entschieden (2 Sa 21/22) und damit eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Elmshorn abgeändert, die dem Kläger keinen Bewerberstatus eingeräumt und damit auch keine Entschädigung zugesprochen hatte (4 Ca 592 a/21, Urteil vom 16. Dezember 2021).

Der in Nordrhein-Westfalen wohnende Kläger hatte sich auf die in Ebay-Kleinanzeigen veröffentliche Stellenanzeige des im Kreis Steinburg ansässigen Unternehmens beworben. In dessen Anzeige heißt es wörtlich:

„Sekretärin gesucht!

Beschreibung:
Wir suchen eine Sekretärin ab sofort.

Vollzeit/Teilzeit
Es wäre super, wenn sie Erfahrung mitbringen. …“

Der Kläger antwortete dem Unternehmen über die Chat-Funktion u.a. mit folgenden Worten:

„Hallo, ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen. Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die sie fordern.

Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle. …“

Das Unternehmen antwortete schließlich mit folgenden Worten:

„…vielen Dank für Interesse in unserem Hause. Wir suchen eine Dame als Sekretärin. Wir wünschen Ihnen alles Gute Vielen Dank. …“

Der Kläger machte gegenüber dem Unternehmen eine Entschädigung von drei Bruttomonatsgehältern geltend und war damit vor dem Landesarbeitsgericht erfolgreich.

Das Landesarbeitsgericht hält den für die Geltendmachung von Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG erforderlichen Bewerberstatus für gegeben. Wer eine Stellenanzeige in Ebay Kleinanzeigen veröffentlicht, muss damit rechnen, dass sich die Bewerber über die Ebay-Kleinanzeigen-Chatfunktion bewerben und nicht auf klassische Weise schriftlich unter Beifügung von Bewerbungsunterlagen. Ein inhaltliches Mindestmaß an Angaben zur Person des Bewerbers wird gesetzlich nicht gefordert. Die Person des Bewerbers muss identifizierbar sein.

Die Bewerbung des Klägers war nicht rechtsmissbräuchlich. An eine solche Annahme werden hohe Anforderungen gestellt: Es müssen im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten rechtfertigen. Das von der Beklagten Vorgetragene reichte dafür nicht aus.

Im Hamburger Umland ist unter Beachtung der laufenden Stellenangebote für eine Sekretärin in Vollzeit ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von EUR 2.700,00 zu zahlen, sodass die Klage in Höhe von EUR 7.800,00 (drei Gehälter á EUR 2.600,00) nicht überzogen war.

Die Revision ist nicht zugelassen worden.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.



BVerfG: Verfahrensbeteiligter hate keinen Anspruch darauf Verfahren aus krankheitsgründen von zu Hause aus per Online-Chat zu verfolgen

BVerfG
Beschluss vom 27.11.2018
1 BvR 957/18

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass ein Verfahrensbeteiligter keinen Anspruch darauf hat, das Verfahren aus krankheitsgründen von zu Hause aus per Online-Chat zu verfolgen.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Keine Verpflichtung aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, die mündliche Verhandlung nach den Vorstellungen eines Verfahrensbeteiligten auszugestalten

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit dem heute veröffentlichten Beschluss eine Verfassungsbeschwerde eines unter psychischen Beeinträchtigungen leidenden Beschwerdeführers nicht zu Entscheidung angenommen, der begehrte, die mündliche Verhandlung nach seinen Vorstellungen barrierefrei durchzuführen. Der von dem Beschwerdeführer behauptete Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist durch die ablehnende Entscheidung des Landessozialgerichts nicht gegeben.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer leidet an Autismus in Gestalt des Asperger-Syndroms. Auf Grund der Erkrankung begehrte er, über einen längeren Zeitraum von seinem heimischen Computer aus zu kommunizieren statt bei der mündlichen Verhandlung unmittelbar anwesend zu sein. Dies lehnte das Landessozialgericht ab und bot dem Beschwerdeführer jedoch an, die mündliche Verhandlung durch Übersendung des schriftlichen Sachberichts vorab sowie durch Kommunikation im Gerichtssaal mittels Computer an seine Bedürfnisse anzupassen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die ablehnende Entscheidung des Landessozialgerichts. Das Begehren des Beschwerdeführers, die mündliche Verhandlung nach seinen Vorstellungen auszugestalten, wird von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht getragen.

Gerichte haben das Verfahren stets nach pflichtgemäßen Ermessen unter Beachtung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG so zu führen, dass den gesundheitlichen Belange der Verfahrensbeteiligen Rechnung getragen wird. Diese Verpflichtung besteht jedoch nicht uneingeschränkt. Die durch eine mündliche Verhandlung geschaffene Transparenz und die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zur korrekten Ermittlung des Sachverhalts sind rechtsstaatlich unerlässlich.

Gemessen an diesen Maßstäben liegt nach einer Gesamtwürdigung keine von Verfassungs wegen zu beanstandende Ungleichbehandlung vor. Die von dem Beschwerdeführer begehrte Ausgestaltung der mündlichen Verhandlung würde sich zu den genannten Verfassungsprinzipien in Widerspruch setzen. Hingegen werden durch die mögliche Bestellung eines Bevollmächtigten beziehungsweise eines Beistands sowohl die Rechte des Beschwerdeführers als auch die dargestellten Prinzipien gewahrt und in einen schonenden Ausgleich gebracht.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


ArbG Mainz: Rechtswidrige und fremdenfeindliche Äußerungen in kleiner privater WhatsApp-Gruppe sind kein Kündigungsgrund

ArbG Mainz
Urteile vom 15.11.2017
4 Ca 1240/17, 4 Ca 1241/17, 4 Ca 1242/17, 4 Ca 1243/17


Das ArbG Mainz hat entschieden, dass rechtswidrige und fremdenfeindliche Äußerungen in kleiner privater WhatsApp-Gruppe kein Kündigungsgrund sind.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

"Keine Kündigungen wegen Äußerungen in kleiner WhatsApp-Gruppe

Das Arbeitsgericht Mainz hat am 15.11.2017 den Kündigungsschutzklagen von vier Mitarbeitern der Stadt Worms stattgegeben.

Die Angestellten waren fristlos gekündigt worden, weil sie in einer WhatsApp-Gruppe unter anderem fremdenfeindliche Bilder ausgetauscht hatten.

Das Arbeitsgericht sah hierhin jedoch keinen Kündigungsgrund, weil dies auf den privaten Smartphones der Mitarbeiter geschah und diese darauf vertrauen durften, dass dies nicht nach außen getragen würde.

Auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z. B. BAG, Urteil vom 10.12.2009, 2 AZR 534/08, Rd.-Ziff. 18) entschied das Arbeitsgericht, dass es arbeitsrechtlich nicht zu Lasten des sich äußernden Arbeitnehmers gehen darf, wenn ein Gesprächspartner diese Vertraulichkeit aufhebt und den Arbeitgeber informiert."


VG Stuttgart: Beleidigende Äußerungen über Schulleitung per WhatsApp können einen Ausschluss vom Unterricht rechtfertigen

VG Stuttgart
Beschluss vom 01.12.2015
12 K 5587/15


Das VG Stuttgart hat entschieden, dass beleidigende Äußerungen über die Schulleitung per WhatsApp einen Ausschluss vom Unterricht rechtfertigen können.


Die Pressemitteilung des VG Stuttgart:

Unterrichtsauschluss wegen im Klassenchat getätigten und gegen die Schulleiterin gerichteten beleidigenden „What’s App“-Äußerungen

Das Verwaltungsgerichts Stuttgart hat mit Beschluss vom 01.12.2015 den Eilantrag eines 14-jährigen, in Klassenstufe 7 beschulten Schülers (Antragsteller) gegen seinen durch die Schulleiterin angeordneten sofortigen fünfzehntägigen Ausschluss vom Unterricht wegen im Klassenchat getätigten und gegen die Schulleiterin gerichteten beleidigenden „What’s App“-Äußerungen abgelehnt (Az.: 12 K 5587/15).

Der Antragsteller hatte über „What’s App“ im Klassenchat vom 12.11.2015 bezüglich der Schulleiterin geäußert, „Fr v muss man schlagen “ und „Ich schwör Fr v soll weg die foatze“ und - „Also du hast ja nur gesagt das fr v scheise ist“ - „ja ich weis gebe ich auch zu aber nicht das ich sie umbringen möchte“ sowie mündlich am 13.11.2015 gegenüber einem Mitschüler geäußert, „Die kleine Hure soll sich abstechen“. Gegen den daraufhin von der Schulleiterin mit Bescheid vom 21.11.2015 verfügten sofortigen fünfzehntägigen Unterrichtsausschluss legte der Antragsteller Widerspruch beim Regierungspräsidium Stuttgart ein und beantragte außerdem beim Verwaltungsgericht, den sofortigen Vollzug des Unterrichtsausschlusses auszusetzen.

Diesen Antrag lehnte die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts im Wesentlichen aus folgenden Gründen ab:

Durch die „What’s App“-Äußerungen im Klassenchat vom 12.11.2015 bezüglich der Schulleiterin und der Äußerung vom 13.11.2015 sei ein schweres und wiederholtes Fehlverhalten gegeben, das zu einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Schulleiterin sowie zu einer schweren Störung des schulischen Friedens geführt habe. Dass der Antragsteller diese Äußerungen nicht selbst getätigt haben will, erscheine der Kammer nach den vorliegenden Screenshots ganz fernliegend, auch weil sie in jeder Hinsicht zu früherem, vergleichbar schwerem Fehlverhalten passten (vgl. etwa den Unterrichtsausschluss vom April 2015 wegen Beschimpfung einer Aufsichtsperson im Mittagspausenbereich als „Hurenfotze“). Das Fehlverhalten des Antragstellers wiege auch deshalb besonders schwer, weil es sich - schon bei Studium der vielen Klassentagebucheinträge seit Klasse 5 - an zahlreiche Vorfälle und Erziehungsmaßnahmen anschließe, die offenbar allesamt hinsichtlich des schulischen Verhaltens des Antragstellers weitgehend folgenlos geblieben seien. Das offenbar immer wiederkehrende Fehlverhalten des Antragstellers („Angrinsen der Lehrkräfte“, „permanente Provokation“, „Nichterscheinen zum Nachsitzen“ etc.) müsse eine Schule nicht dauerhaft hinnehmen. Auch zum Schutze des Schulfriedens dürfe vielmehr konsequent durchgegriffen werden, wie dies im angegriffenen Bescheid getan worden sei. Die gleichzeitig verfügte Androhung des Ausschlusses aus der Schule sei bei dieser Sachlage ebenfalls rechtmäßig und insbesondere verhältnismäßig.

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gegeben, die innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung eingelegt werden kann.


LG Köln: Veröffentlichung von WhatsApp-Chatprotokollen ohne Zustimmung des Chatpartners ist eine Persönlichkeitsrechtsverletzung - Beziehungsprobleme eines Fußball-Nationalspielers

LG Köln
Urteil vom 10.06.2015
28 O 547/14


Das LG Köln hat entschieden, dass die eröffentlichung von WhatsApp-Chatprotokollen ohne Zustimmung des Chatpartners eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen können. Vorliegend ging es inhaltlich um Beziehungsprobleme eines Fußball-Nationalspielers. Die in den Entscheidungsgründen aufgezeigten Argumente gelten natürlich nicht nur für Prominente. Vielmehr genießen Privatpersonen ohne Prominentenstatus noch einen größeren Schutz ihrer Privatsphäre.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch gemäß den §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG hinsichtlich der Äußerung “‘N ist immer wieder in unsere Beziehung gegrätscht‘… M veröffentlichte kurzzeitig ein längeres WhatsApp-Chatprotokoll zwischen T und N. Der vereinslose Profi M … Erhebt in Y schwere Vorwürfe gegen Nationalspieler N: ‚N weiß sehr gut mit seinem dem Ball umzugehen. In dem Fall ist er immer wieder in unsere Beziehung gegrätscht und hat sein Fame … ausgenutzt. Nicht fein! ‘“

Durch das Verbreiten der durch M erhobenen Vorwürfe liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers vor. Denn dessen Äußerungen betreffen – unabhängig davon, ob diese wahr oder unwahr sind – den privaten Kommunikationsverkehr des Klägers und darüber hinaus die privaten Beziehungsverhältnisse des Klägers.

Dieser Eingriff ist auch rechtswidrig geschehen. Bei dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht handelt es sich dabei um einen sogenannten offenen Tatbestand, d.h. die Rechtswidrigkeit ist nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern im Rahmen einer Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit positiv festzustellen (Palandt-Sprau, Kommentar zum BGB, 74. Auflage 2015, § 823 BGB, Rn. 95 m.w.N.). Eine solche abwägende Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen ist dabei auch bei unterhaltender Berichterstattung über Prominente angezeigt. Dabei gilt, dass auch diese eine berechtigte Erwartung auf Achtung und Schutz ihres Privatlebens haben (EGMR NJW 2010, S. 751). Bei der Gewichtung des Informationsinteresses im Verhältnis zu dem kollidierenden Persönlichkeitsschutz kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, etwa der Frage, ob private Angelegenheiten ausgebreitet werden, die lediglich die Neugier befriedigen (BVerfG NJW 2008, 1793 Rn. 65 – Caroline von Hannover). Insofern ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch unterhaltende Beiträge eine meinungsbildende Funktion erfüllen, denn sie können Realitätsbilder vermitteln und Gesprächsgegenstände zur Verfügung stellen, die sich auf Lebenseinstellungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster beziehen (BVerfG, a.a.O.) Prominente Persönlichkeiten können dabei für das Publikum eine Leitbild- und Kontrastfunktion einnehmen. Bei der vorzunehmenden Abwägung ist auch zu berücksichtigen, in welcher Schutzsphäre der Prominente durch die Berichterstattung berührt wird. So wiegt ein Eingriff in die Sozialsphäre weniger schwer wie ein Eingriff in die Privatsphäre oder die grundsätzlich vorbehaltslos geschützte Intimsphäre. Die Sozialsphäre kennzeichnet dabei einen Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht, so insbesondere das berufliche und politische Wirken des Individuums (BGH, NJW 2012, S. 771). Demgegenüber umfasst die Privatsphäre sowohl in räumlicher als auch in thematischer Hinsicht den Bereich, zu dem andere grundsätzlich nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird; dies betrifft in thematischer Hinsicht Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als „privat“ eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen in der Umwelt auslöst (BGH, a.a.O. m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme dort entfallen oder zumindest im Rahmen der Abwägung zurücktreten kann, wo sich der Betroffene selbst damit einverstanden gezeigt hat, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden; denn niemand kann sich auf ein Recht zur Privatheit hinsichtlich solcher Tatsachen berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat (BGH, a.a.O. m.w.N.) Dies bedeutet, dass eine Person – ohne konkret in die Verbreitung einer Information eingewilligt zu haben – aufgrund einer Selbstöffnung eine Berichterstattung grundsätzlich hinnehmen muss, welche thematisch denselben Ausschnitt der Privatsphäre betrifft, den er in der Vergangenheit selbst geöffnet hat und eine ähnliche Intensität hat (BVerfG NJW 2006, 2838). Eine insofern reduzierte Privatheitserwartung kann daher im Einzelfall etwa daraus folgen, dass der Betreffende in Interviews „Einzelheiten über sein Privatleben“ offenbart hat (EGMR NJW 2012, S. 1058)."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: