Skip to content

LG Köln: Copyright-Strike bei YouTube macht eine Abmahnung nach § 97a UrhG nicht entbehrlich was zur Kostentragungspflicht nach § 93 ZPO führen kann

LG Köln
Urteil vom 22.07.2024
14 O 197/24


Das LG Köln hat entschieden, dass ein Copyright-Strike bei YouTube eine Abmahnung nach § 97a UrhG nicht entbehrlich macht, was zur Kostentragungspflicht nach § 93 ZPO (Sofortiges Anerkenntnis) führen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Tenorziffer zu 1) beruht auf dem Anerkenntnis des Verfügungsbeklagten. Insoweit sind keine rechtlichen Ausführungen angezeigt, §§ 307, 313b ZPO.

Im Übrigen hat die Kosten des Rechtsstreits die Verfügungsklägerin gem. § 93 ZPO zu tragen, weil der Verfügungsbeklagte sofort anerkannt hat und keine Veranlassung für dieses einstweilige Verfügungsverfahren gegeben hat.

Es muss zunächst ein sofortiges Anerkenntnis vorliegen. Ein Anerkenntnis erfolgt grundsätzlich dann "sofort", wenn der Beklagte die erste sich bietende prozessuale Möglichkeit zum Anerkenntnis gegenüber dem Gericht und dem Gegner wahrnimmt (MüKo ZPO/Schulz, 6. Aufl., § 93, Rn. 12). So liegt der Fall hier. Der Verfügungsbeklagte hat nach Zuleitung des Verfügungsantrags fristgemäß den Verfügungsanspruch anerkannt.

Der Beklagte gibt Veranlassung zur Klage, wenn er sich vor Prozessbeginn so verhält, dass der Kläger davon ausgehen muss, er werde nur durch Klageerhebung zu seinem Recht kommen. Eine Veranlassung zur Klageerhebung in den Fällen des gewerblichen Rechtsschutzes liegt regelmäßig vor, wenn auf eine nicht entbehrliche und ordnungsgemäße Abmahnung keine ausreichende Unterwerfungserklärung erfolgt. Eine Berechtigungsanfrage oder Austausch von unterschiedlichen Rechtsansichten statt Abmahnung sind nicht ausreichend. Eine Abmahnung ist dann nicht erforderlich bzw. dem Antragsteller sogar unzumutbar, wenn zum einen die Gefahr besteht, dass der Antragsgegner aufgrund der Abmahnung eine Besichtigung des Gegenstandes durch Veränderung oder Beiseiteschaffen vereiteln würde, und/oder (2) dass die Abmahnung und die entsprechende Fristsetzung soviel Zeit in Anspruch nehmen würden, dass der Gegenstand dem Besichtigungszugriff entzogen würde; dies ist regelmäßig bei Besichtigungsansprüchen der Fall (vgl. Cepl/Voß/Rüting, 3. Aufl. 2022, ZPO § 93 Rn. 18 f., 32, jeweils mwN).

Soweit ersichtlich ist die Rechtsfrage, ob ein „M.“ bei B. einer Abmahnung gleich steht oder diese entbehrlich macht, noch nicht entschieden worden. Die Kammer ist der Ansicht, dass ein solcher „M.“ grundsätzlich nicht einer urheberrechtlichen Abmahnung im Sinne von § 97a UrhG gleichsteht und diese auch grundsätzlich nicht entbehrlich macht. Zwar mag dies in gegebenen Einzelfällen möglich sein, jedoch ist der hiesige Einzelfall jedenfalls nicht geeignet, durch den „B.-M.“ die urheberrechtliche Abmahnung obsolet zu machen. Auch die hier unstreitige Counter Notification des Verfügungsbeklagten führt nicht zur Annahme, dass der Verfügungsbeklagte hinreichend Veranlassung zur Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens gegen ihn gegeben hat.

Zunächst geht die Kammer davon aus, dass eine Abmahnung vor der Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens wegen Urheberrechtsverletzungen grundsätzlich notwendig ist, um die Kostenfolge des § 93 ZPO abzuwenden. Dies folgt zunächst aus der gesetzgeberischen Wertung des § 97a Abs. 1 UrhG, der sich nicht nur auf Hauptsacheverfahren, sondern auf „gerichtliche Verfahren auf Unterlassung“ bezieht. Zwar handelt es sich dabei um eine „Soll-Vorschrift“ und keine gesetzliche Pflicht. Jedoch ergibt sich auch aus dieser „Soll-Vorschrift“ die vom Gesetzgeber gewünschte Funktion der Abmahnung, ein gerichtliches Verfahren zu vermeiden. Davon soll nur in Ausnahmefällen abgewichen werden. Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Denn weder war vorliegend aus zeitlichen, noch aus sachlichen Gründen, ein Fall gegeben, in dem die Durchführung der Abmahnung zu einem unzumutbaren Nachteil der Verfügungsklägerin führen könnte.

Das System von „M.s“ und „Counter Notifications“ bei B., das den gesetzlichen Anforderungen etwa von § 14 UrhDaG bzw. §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 UrhDaG oder Art. 16 DSA entspricht, hat einen gänzlich anderen Sinn und Zweck als das grundsätzliche Abmahnerfordernis. Deshalb ist die Beschwerdemöglichkeit von Rechteinhabern nach Ansicht der Kammer grundsätzlich nicht gleichwertig oder sogar vorrangig zu einer Abmahnung. Denn die oben genannten Normen betreffen Anforderungen an Plattformen, mit denen sie etwa im Fall des UrhDaG eine eigene urheberrechtliche Haftung für die auf ihren Diensten sich ereignenden Urheberrechtsverletzungen abwenden können. Das System dient sicherlich auch der Unterbindung von Rechtsverletzungen im Interesse der Rechtsinhaber. Jedoch sind die Plattformbetreiber, hier B., kein Ersatz- oder Spezialgericht für Rechtsverletzungen im Internet. Demnach wies B. nach Eingang der Counter Notification des Verfügungsbeklagten zu Recht die Verfügungsklägerin darauf hin, dass sie binnen 10 Tagen gerichtlich gegen die öffentliche Zugänglichmachung vorzugehen hat. Denn die Frage, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, bleibt den Gerichten, konkret den spezialisierten Spruchkörpern wie der hiesigen Kammer vorbehalten. Dann wiederum ist eine Abmahnung nach § 97a Abs. 1 UrhG aber der Regelfall. Die von B. gewährten 10 Tage genügen auch ohne Weiteres für eine Abmahnung mit einer angemessenen Frist und danach der Einreichung eines Verfügungsantrags. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der vorliegende Sachverhalt keine maßgeblichen Schwierigkeiten tatsächlicher Art aufweist, vielmehr die Rechtsverletzung maßgeblich durch Vergleich der streitgegenständlichen Videos rechtlich bewertet werden kann.

Das Beschwerdeverfahren von Online-Plattformen steht auch deshalb nicht der Abmahnung gleich, weil die „M.s“ nicht darauf gerichtet sind, dass die Plattformnutzer (hier der Verfügungsbeklagte) eine strafbewehrte Unterlassungserklärung gegenüber dem „M.er“ abgeben. Damit wird der Plattformnutzer und vermeintliche Urheberrechtsverletzer aber auch nicht in eine Situation versetzt, in der er ohne weitere rechtliche Hilfe die rechtlich gebotene Handlung zur Abwendung eines gerichtlichen Verfahrens vornehmen kann. Dies umso mehr, wenn wie hier, eine natürliche Person in Anspruch genommen wird.

Auch zu beachten ist, dass die Sperrung von Inhalten durch Plattformen regelmäßig grenzüberschreitend wirkt, sich die Rechtslage in den verschiedenen Staaten jedoch unterscheidet. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der in Deutschland notwendigen Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung zur Abwendung der Wiederholungsgefahr, die es so in anderen Rechtssystemen nicht gibt. Wenn nun also nach Durchführung des Beschwerdeverfahrens bei einer Plattform der Rechtsweg beschritten werden soll, dient die Abmahnung dem Abgemahnten auch zur Aufklärung darüber, nach welchen Gesetzen und vor welchen staatlichen Gerichten ein Verfahren stattfinden soll. Dies zeigt gerade der hiesige Fall, bei dem es um Videos in albanischer Sprache mit Vorgängen in Q. geht, der aber vor einem deutschen Gericht ausgetragen werden soll. Gerade im Urheberrecht stellen sich angesichts des Standes der Harmonisierung teils schwierige Fragen der Anwendung des Rechts in verschiedenen Mitgliedsstaaten; dies gilt erst recht für die Rechtslage außerhalb der EU. Hinzu kommt die Problematik bei der Bewertung von Schrankenregelungen, die wie hier Grundrechte der Verfahrensbeteiligten, etwa das Recht der freien Meinungsäußerung und/oder der Pressefreiheit tangieren.

Im konkreten Fall ist sodann zu beachten, dass die Verfügungsklägerin nicht den konkreten Wortlaut des „B. M.s“ vorlegt, sondern nur das grundsätzliche Vorgehen der Verfügungsklägerin beim „M.“ glaubhaft macht. Vor diesem Hintergrund mag zwar der Streitgegenstand hinreichend konkretisiert sein, die oben dargestellte notwendige Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung lässt sich hieraus aber nicht entnehmen. Demnach kommt der Counter Notification auch keine gleiche Wirkung zu wie der ausdrücklichen Zurückweisung von Unterlassungsansprüchen nach einer Abmahnung. Hierin ist insbesondere keine eindeutige Zurückweisung von Ansprüchen nach deutschem Urheberrecht verbunden, die eine sofortige gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen nahelegt. Vielmehr eröffnet eine Abmahnung, insbesondere auch durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin, eine weitere Eskalationstufe, auf die der Abgemahnte ggf. anders reagiert als auf die bloße Beschwerde über eine Plattform. Letztere steht eher dem Austausch von divergierenden Rechtsansichten gleich, die noch keine Veranlassung zur Klageerhebung gibt (so zum Markenrecht: OLG P. GRUR 2006, 616).

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 1 ZPO.

Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.

Der Unterlassungsstreitwert für die Verwendung von Laufbildern kann sich je nach Art des in Rede stehenden Schutzgegenstandes im Bereich von 10.000,00 EUR bis 50.000,00 EUR oder sogar höher belaufen. Dabei ist - wie auch etwa bei Lichtbildern - eine wertende Betrachtung geboten, ob es sich bei den Laufbildern um hochwertige, aufwändig hergestellte und ggf. mit besonderer Schöpfungshöhe ausgestattete Werken handelt, was zur Annahme eines hohen Unterlassungsstreitwerts führen kann. Vorliegend erkennt die Kammer aber eher einfache Laufbilder, die nicht besonders aufwändig produziert worden sind und eine Aufbereitung von Archivmaterial darstellen. Deshalb ist der Ansatz von 15.000,00 EUR im vorliegenden Fall angemessen und ausreichend.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Köln: Grundsätze der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung sind auf unberechtigte Copyright-Strikes auf Streamingplattformen übertragbar

LG Köln
Urteil vom 09.01.2025
14 O 387/24


Das LG Köln hat entschieden, dass die Grundsätze der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung auf unberechtigte Copyright-Strikes auf Streamingplattformen übertragbar sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Verfügungskläger hat auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verfügungsbeklagten in der Widerspruchsbegründung hinreichend glaubhaft gemacht, dass ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund vorliegen, §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO. Auch im Übrigen stehen der Bestätigung der einstweiligen Verfügung keine Umstände entgegen. Der auf Antrag des Verfügungsklägers ergangenen Entscheidung liegen prozessual die Regelungen der §§ 935 ff., 922 ZPO zugrunde. Der Verbots- bzw. Unterlassungsanspruch folgt aus §§ 823 Abs. 1, 1004 S. 1 BGB analog, die Androhung der Ordnungsmittel aus § 890 ZPO.

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Köln gem. § 32 ZPO örtlich zuständig. Wie bereits in der Beschlussverfügung ausgeführt, liegt der Erfolgsort der hier gegenständlichen unerlaubten Handlung im Sinne von § 32 ZPO in Form der unberechtigten Rechteberühmung durch die Verfügungsbeklagte gegenüber U. angesichts der damit bezweckten weltweiten Sperrung des online verfügbaren Musikstücks an jedem Ort, an dem das Musikstück ohne die Sperrung hätte abgespielt werden können. Demnach liegt der Erfolgsort der gerügten Rechteberühmung auch im hiesigen Gerichtsbezirk.

Die dagegen erhobenen Einwände mit Blick auf die allgemeinen Gerichtsstände der Verfügungsbeklagten bzw. des Unternehmens, das den Dienst U. verantwortet, greifen nicht durch. Dem Verfügungskläger steht gemäß § 35 ZPO das Recht zu, den besonderen Gerichtsstand aus § 32 ZPO zu wählen.

Im Übrigen ist der Unterlassungsantrag – wie bereits in der Beschlussverfügung ausgeführt und von der Verfügungsbeklagten nicht in Zweifel gezogen – hinreichend bestimmt gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das begehrte abstrakte Verbot der Rechteberühmung an dem konkret genannten Musikstück „I.“ mit einer „insbesondere“-Verknüpfung für die konkrete Verletzungsform des „Copyright-Strikes“ bei U. ist hinreichend klar abgegrenzt und lässt keine Zweifel an der Reichweite der Unterlassungspflicht.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch begründet.

1. Es besteht ein Verfügungsanspruch. Dieser folgt aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB. Die Kammer hat auch nach der Widerspruchsbegründung und der mündlichen Verhandlung keine Zweifel daran, dass die Verfügungsbeklagte in das Recht des Verfügungsklägers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in rechtswidriger Weise eingegriffen hat.

Die Kammer hat dazu in der Beschlussverfügung vom 18.11.2024 wie folgt ausgeführt:

„a) Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BGH, dass die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung einen rechtswidrigen Eingriff in eine nach § 823 Abs. 1 BGB geschützte Rechtsposition des Gewerbetreibenden darstellen kann, dessen Kundenbeziehungen durch die unberechtigte Geltendmachung eines Ausschließlichkeitsrechts gegenüber dem verwarnten Abnehmer schwerwiegend beeinträchtigt werden (BGH Beschluss vom 15. 7. 2005 - GSZ 1/04NJW 2005, 3141 - Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung).

Nun liegt dieser Fall hier zwar mit Blick auf die beteiligten Personen anders, jedoch sind die obigen Erwägungen auch auf die hier erfolgte unberechtigte Rechteberühmung gegenüber einem Verwertungskanal des tatsächlich berechtigten Urhebers bzw. Leistungsschutzrechtsinhabers übertragbar. Denn durch den Aufstieg der Internetplattformen, die überdies regelmäßig die Anforderungen des UrhDaG erfüllen müssen, ist die Rechtebeschwerde gegenüber der Plattform, hier U., funktional mit einer Schutzrechtsverwarnung gegenüber Abnehmern vergleichbar. Die Kammer beobachtet insoweit auch, dass „Copyright-Strikes“ zum Teil alleine ohne flankierende Abmahnung vorgenommen werden (vgl. zu diesem Themenkreis das Urteil der Kammer vom 22.7.2024 – 14 O 197/24, ZUM 2024, 757). Faktisch verschiebt sich damit der Fokus der Auseinandersetzungen bei Rechteberühmungen weg von den oben bereits angesprochenen hergekommenen rechtsförmlichen außergerichtlichen Schreiben (z.B. Berechtigungsanfragen und Abmahnungen) hin zur Nutzung der Beschwerdeverfahren der Plattformen. Diese „Strikes“ – seien sie bei U. oder RU. oder anderen Plattformen – zeigen oft unmittelbare Wirkung wie im vorliegenden Fall. Zur Abwendung einer eigenen Haftung der Plattform durch die Regeln des UrhDaG (siehe insbesondere § 1 Abs. 1 und 2 UrhDaG) werden dabei regelmäßig vorsorglich Inhalte blockiert. Diese „Copyright-Strikes“ sind deshalb noch erheblich effektiver als eine bloße Schutzrechtsverwarnung, weil sie durch die zu erwartende Sperrreaktion des Plattformbetreibers unmittelbar und ohne ein notwendiges Zutun der zu Unrecht abgemahnten Person Wirkungen entfalten. Demnach ist in einer unberechtigten, pauschalen und nicht nachvollziehbar begründeten Urheberrechtsbeschwerde gegenüber einer Online-Plattform erst recht ein Verstoß in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Urheber, Rechteinhaber bzw. Content-Creator anzunehmen.

b) Die Antragsgegnerin hat mit ihrer aus Anlagen ASt 7 und 8 zur Akte gereichten Beschwerde gegenüber U. durch ihren Mitarbeiter X. V. eine solche unberechtigte und pauschale Urheberrechtsbeschwerde eingereicht.

Die Antragsgegnerin verfügt nach der Glaubhaftmachung des Antragstellers (Anlage ASt 5) sowie nach dem gerichtsbekannten Sachverhalt zur Beendigung früherer Rechtsbeziehungen der Parteien zueinander über keine Rechte an dem hier gegenständlichen Musikstück „I.“.

Dabei hat der Antragsteller zunächst glaubhaft gemacht, dass das Lied „I.“ im November 2023 geschaffen und aufgenommen worden ist. Die Antragsgegnerin war dabei auch jedenfalls nicht als Tonträgerherstellerin beteiligt.

Die Kammer nimmt im Übrigen Bezug auf ihre eigenen Ausführungen im Urteil im vorangegangenen Verfahren der Parteien vor der Kammer zum Aktenzeichen 14 O 354/23 sowie das dazugehörige Berufungsurteil des OLG Köln zum Aktenzeichen 6 U 167/23. Eine Wiederholung ist nicht geboten. Aus den Urteilen ergibt sich, dass das frühere Vertragsverhältnis Ende des Jahres 2022 durch wirksame außerordentliche Kündigung des Antragstellers beendet worden ist. Bei dieser Wertung bliebt die Kammer. Der Antragsgegnerin stehen deshalb jedenfalls für die hier gegenständlichen neuen Werke bzw. Darbietungen des Antragstellers keine Rechte zu.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der direkten zeitlichen Nähe der Urheberrechtsbeschwerde zur Erstveröffentlichung liegt eine Handlung mit Schädigungsabsicht vor. Wie der Antragsteller nachvollziehbar darstellt, wurden durch die Sperre bei U. die ersten Tage der wichtigen ersten Auswertungsphase des neuveröffentlichten Musikstücks behindert. Demnach dürften neben dem oben bereits bejahten Verstoß gegen § 823 Abs. 1 BGB auch die Verwirklichung von § 826 BGB anzunehmen sein, was hier jedoch nicht vertieft werden muss.“

An diesen Ausführungen hält die Kammer weiterhin fest. Die Verfügungsbeklagte wendet gegen diese rechtlichen Ausführungen im Kern nichts ein, sodass es keiner Ergänzungen bedarf.

Soweit die Verfügungsbeklagte der Ansicht ist, dass die Kündigungen des Verfügungsklägers betreffend den Künstlerexklusivvertrag zwischen den Parteien unwirksam sind und das entsprechende Vertragsverhältnis nicht beendet ist, so tritt die Kammer dieser Rechtsansicht der Verfügungsbeklagten weiterhin und nach erneuter Prüfung nicht bei. Folglich ist die Kündigung des Vertragsverhältnisses der Parteien zueinander, wie sie im Vorprozess vor der Kammer ausführlich behandelt worden sind, auch weiterhin als wirksam anzusehen, sodass der Kläger jedenfalls in der Zeit seit seiner wirksamen Kündigung frei neue Musik schaffen und verwerten (lassen) kann. So liegt der Fall hier. Dass das von dem „copyright claim“ bei U. betroffene Musikstück „I.“ in der Zeit nach den Kündigungserklärungen des Verfügungsklägers geschaffen worden ist, bestreitet die Verfügungsbeklagte nicht.

Die Passivlegitimation, die die Verfügungsbeklagte in ihrem Widerspruch von sich weist, liegt nach Ansicht der Kammer vor. Unmittelbare Täterin für die unberechtigte Urheberrechtsbeschwerde gegenüber U. ist ausweislich der zur Akte gereichten Informationen über den Einreicher der Beschwerde die Firma der Verfügungsbeklagten. Dass hier ergänzend der Name des Mitarbeiters angegeben ist, ändert daran nach Ansicht der Kammer nichts, weil die Beklagte als juristische Person zwingenderweise durch natürliche Personen handeln muss. Dabei hat der namentlich genannte Mitarbeiter auch ersichtlich im üblichen Interessenkreis der gewerblich handelnden Verfügungsbeklagten gehandelt. Ob dies – wie in der mündlichen Verhandlung nur am Rande behauptet und nicht im Protokoll festgehalten – ohne Absprache mit dem Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten erfolgt ist, ist im Ergebnis unerheblich, weil die Verfügungsbeklagte als arbeitsteilig organisierte GmbH nicht nur für Verhalten ihrer Organe haftet. Soweit man hier gleichwohl auf § 831 BGB als Zurechnungsnorm zurückgreifen müsste, wäre hier jedenfalls nichts zur Exkulpation vorgetragen, sodass sich auch insoweit nach dem maßgeblichen Sach- und Streitstand eine Haftung der Verfügungsbeklagten ergibt.

Der Verfügungskläger hätte sich auch nicht primär (gerichtlich) an U. wenden müssen. Denn der deliktische Vorwurf einer unberechtigten Urheberrechtsbeschwerde trifft allein die Verfügungsbeklagte. Nichts anderes wird durch Antrag und Begehren des Verfügungsklägers abgebildet.

Die Aktivlegitimation des Verfügungsklägers für allgemein deliktische Anspruchsgrundlagen folgt schon aus der Betroffenheit in seinen eigenen Rechtsgütern, hier primär seines eigenen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs als professioneller Musiker. Außerdem ist seine hier nicht streitentscheidende urheberrechtliche Position, zumindest als einer der Ausübenden Künstler, in Anlage AST5 glaubhaft gemacht und nicht bestritten. Ob der Verfügungskläger anderweitig über seine Verwertungsrechte verfügt hat, ist für die hier gegenständliche Anspruchsgrundlage aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB unerheblich. Denn es liegt auf der Hand, dass der Verfügungskläger durch eine beeinträchtigte Erstverwertung des gegenständlichen Titels zumindest mittelbar in seinen Beteiligungsansprüchen negativ beeinflusst worden ist.

Das Verhalten der Verfügungsbeklagten ist rechtswidrig. Es ist durch keinen rechtlich triftigen Grund gerechtfertigt.

Die Wiederholungsgefahr für die erfolgte konkrete Verletzung ist indiziert und nicht durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt worden. Die Abgabe einer solchen Erklärung hat die Verfügungsbeklagte in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich abgelehnt. Wie bereits in der Beschlussverfügung ergänzend ausgeführt, besteht auch für das begehrte abstrakte Verbot auch eine weitergehende Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr. Es ist unstreitig geblieben, dass eine Urheberrechtsbeschwerde mit folgender Sperre auch bei dem Musikstreamingdienst von T. erfolgt ist. Insoweit ist es nicht fernliegend, dass die Verfügungsbeklagte bei anderen neueren Titeln des Verfügungsklägers und/oder anderen Plattformen entsprechende Urheberrechtsbeschwerden einreichen könnte, wenn sie insoweit nicht zur Unterlassung verpflichtet wird. Der als konkrete Verletzungsform in Bezug genommene Vorgang bei U. ist dabei durch die „insbesondere“-Verknüpfung eine beispielhafte Ausprägung des tenorieren Verbots, auf das sich die Unterlassungspflicht jedoch nicht beschränkt. Nach den obigen Ausführungen besteht keinerlei Berechtigung der Verfügungsbeklagten – jedenfalls – an Musikstücken des Verfügungsklägers aus der Zeit nach der wirksamen Kündigung, sodass unter das abstrakt formulierte Verbot keine erlaubten Handlungsweisen fallen.

2. Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Der Verfügungskläger hat dabei die Sache zunächst hinreichend dringlich betrieben. Angesichts der in Urheberrechtsstreitsachen – eine solche liegt auch hier vor (vgl. Wortlaut des § 104 Abs. 1 S. 1 UrhG) – bestehenden Interessenlage, ist der Verfügungsgrund bei zügiger Behandlung regelmäßig zu bejahen. Der Verfügungskläger hat das Verfahren zügig betrieben, insbesondere innerhalb eines Monats nach Kenntniserlangung von der konkreten Rechteberühmung den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Gericht eingereicht. Insoweit hat der Verfügungskläger – unbestritten – glaubhaft gemacht, erstmals am 17.10.2024 Kenntnis von der Person erhalten zu haben, die den „Copyright-Strike“ bei U. eingereicht hat (siehe Anlagen ASt 5, 7 und 8). Dass der Verfügungskläger zuvor angesichts der gerichtsbekannten Vorgeschichte entsprechende Vermutungen angestellt hat, genügt nicht dafür, eine frühere Kenntnis vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt anzunehmen. Denn dafür ist die Frage der Passivlegitimation und der Person des deliktisch Handelnden unabdingbar.

Es ist auch im Wege der Interessenabwägung im Einzelfall notwendig, zukünftige gleichartige Rechteberühmungen und „Strikes“ der Verfügungsbeklagten bei Internetplattformen einstweilig zu unterbinden. Das Interesse des Verfügungsklägers an einer ungestörten Werkauswertung überwiegt insoweit die aus dem Sach- und Streitstand ersichtlichen Interessen der Verfügungsbeklagten. Dem Verfügungskläger ist es nicht zumutbar auf das zeitlich erheblich länger dauernde Hauptsacheverfahren verwiesen zu werden. Dies gilt vorliegend umso mehr, weil die Verfügungsbeklagte trotz der deutlichen rechtlichen Ausführungen der hiesigen Kammer als auch des Berufungssenats wiederholt eine Feststellungsklage zur Klärung der Wirksamkeit der Kündigung ankündigt und sich insgesamt als berechtigte Rechteinhaberin für das musikalische Schaffen des Verfügungsklägers ansieht. Die Kammer geht – wie bereits in der Beschlussverfügung zum Verfügungsgrund ausgeführt – davon aus, dass die Verfügungsbeklagte die fehlende Begründungsnotwendigkeit bei der Beschwerde gegenüber U. dazu genutzt hat, um die ersten Tage der Auswertung des neuen Musikstücks u.a. des Verfügungsklägers zu behindern. Auch erfolgte keine Reaktion auf die Abmahnung des Verfügungsklägers, was den obigen Befund noch bekräftigt. Die darin und auch in dem Prozessverhalten während des Widerspruchsverfahrens zum Ausdruck kommende Gleichgültigkeit gegenüber Gerichtsentscheidungen u.a. der hiesigen Kammer und die Bereitschaft den Verfügungskläger und dessen Mitmusiker zu schädigen, lassen keinen Grund erkennen, der in einer wertenden Interessenabwägung für die Verfügungsbeklagte Gewicht entfalten kann.

III. Die durch §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO vorgesehene Vollziehungsfrist von einem Monat ab Zustellung der einstweiligen Verfügung beim Verfügungskläger ist durch die Zustellung der Beschlussverfügung am 21.11.2024 gewahrt. Zustellungsmängel werden nicht gerügt.

IV. Auch war die Beschlussverfügung nicht wegen eines Gehörsverstoßes der Kammer aufzuheben. Es genügt, wenn der Gegenseite vorprozessual ermöglicht wird, sich zu einer vorgeworfenen Rechtsverletzung zu äußern, wenn sichergestellt ist, dass entsprechende Äußerungen dem Gericht vollständig vorliegen. Die Verfügungsbeklagte hatte nach der Abmahnung des Verfügungsklägers Kenntnis von der ihr vorgeworfenen Rechtsverletzung und reagierte hierauf nicht. Unter diesen Umständen konnte die Kammer von einer Anhörung der Verfügungsbeklagten vor Erlass der Beschlussverfügung absehen.

Im Übrigen würde sich ein etwaiger Gehörsverstoß angesichts der nunmehr durchgeführten mündlichen Verhandlung und der damit einhergehenden umfassenden Möglichkeit zur Stellungnahme nicht mehr auf dieses Urteil auswirken.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie
href="https://nrwe.justiz.nrw.de/lgs/koeln/lg_koeln/j2025/14_O_387_24_Urteil_20250109.html"> hier:

LG München: Urheberrechtsverletzung durch Zugänglichmachung bzw. Wiedergabe von wissenschaftlichen Texten, Previews und Abstracts in einem Forschungsnetzwerk ohne ausreichenden Lizenzvertrag

LG München
Urteil vom 31.01.2022
21 O 14450/17


Das LG München hat entschieden, dass eine Urheberrechtsverletzung durch Zugänglichmachung bzw. Wiedergabe von wissenschaftlichen Texten, Previews und Abstracts in einem Forschungsnetzwerk ohne ausreichenden Lizenzvertrag vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die streitgegenständlichen Texte sind urheberrechtlich geschützt. Die Klägerinnen sind allerdings hinsichtlich der behaupteten Urheberrechtsverletzungen nur aktivlegitimiert, soweit sie Unterlassungsansprüche geltend machen. Die Beklagten sind für die geltend gemachten Rechtsverletzungen verantwortlich.
I. Anwendbares Recht
Der zur Beurteilung stehende, grenzüberschreitende Sachverhalt (ausländische Verlage, ausländische Autoren) wirft in verschiedener Hinsicht die Frage auf, ob deutsches oder ausländisches Recht anzuwenden ist.

1. Aufgrund des Schutzlandprinzips sind nach deutschem Recht insbesondere das Bestehen des Rechts - also insbesondere die Schutzfähigkeit der streitgegenständlichen Artikel, Previews und Abstracts -, die Rechtsinhaberschaft des Verletzten, Inhalt und Umfang des Schutzes sowie der Tatbestand und die Rechtsfolgen einer Rechtsverletzung zu beurteilen (BGH ZUM 2016, 861 Rn. 24 - An Evening with Marlene Dietrich; ZUM-RD 2016, 288 Rn. 24 - MarceI-BreuerMöbel II; ZUM 2015, 330 Rn. 24 - Hi Hotel 11; ZUM-RD 1997 546, 548 - Spielbankaffaire; Katzenberger/M. in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 6. Auflage, Vor §§ 120 ff. Rn. 125 und 150 f.).

[...]

II. Urheberrechtlicher Schutz der streitgegenständlichen Texte

Sämtliche streitgegenständlichen Texte (Fachartikel, Previews, Abstracts) genießen urheberrechtlichen Schutz.

1. Volltext-Versionen der Fachartikel

Die streitgegenständlichen Fachartikel sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG als Sprachwerke geschützt. Dies ist in Ansehung des Umfangs der im Streit stehenden Texte und des sich nicht zuletzt daraus ergebenden Gestaltungsspielraums im Hinblick auf die konkrete Formulierung derart offensichtlich, dass sich die Kammer eine Einzelprüfung ersparen kann; die Kammer hat nicht den Hauch eines Zweifels, dass auch ein mit der Sache etwaig befasstes Obergericht dies auf dem Boden des Urheberrechtsgesetzes nicht anders wird sehen können. Die Kammer kann eine Einzelfallprüfung auch deshalb dahingestellt sein lassen, weil in Fortschreibung der Entscheidung CB-Infobank II des Bundesgerichtshofs (ZUM-RD 1997, 336) auch für den Wissenschaftsbereich von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Urheberrechtsschutzfähigkeit von Fachartikeln auszugehen ist. Die Beklagten haben zum Mangel der Schöpfungshöhe bezogen auf die einzelnen streitgegenständlichen Artikel nichts vorgetragen, was Anlass gäbe, hier Ausnahmen von der genannten Regel annehmen zu müssen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die Anforderungen an die urheberrechtlich erforderliche Schöpfungshöhe eines Sprachwerkes ausweislich des Wortlauts des § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG, der insoweit nicht zwischen Sprachwerken unterschiedlicher Genres unterscheidet, im Grundsatz unabhängig davon, ob der zu beurteilende Text journalistischen, wissenschaftlichen, schöngeistigen oder sonstigen Inhalts ist (ebenso Loewenheim/Leistner in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 6. Auflage 2020, § 2 Rn. 86).

Es geht bei der hier vorzunehmenden Beurteilung auch nicht um die Frage, ob der gedankliche Inhalt der wissenschaftlichen Lehren, Theorien oder Erkenntnisse, welche Gegenstand der streitgegenständlichen Artikel sind, also letztlich die wissenschaftlichen Lehren, Theorien oder Erkenntnisse als solche und damit unabhängig von ihrer konkreten Formulierung, aus rechtlich übergeordneten Gesichtspunkten gemeinfrei bleiben müssen. Zutreffend hat daher der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung Staatsexamen (GRUR 1981, 352) festgestellt:
„Der Schutz des Urhebers eines wissenschaftlichen Schriftwerks erfordert eine sorgfältige Trennung von wissenschaftlichem Ergebnis und Lehre einerseits und Darstellung und Gestaltung der Lehre im Schriftwerk andererseits. Es geht zu weit, die Urheberrechtsschutzfähigkeit einer Darstellung generell von dem behandelten Thema abhängig zu machen.“

Die den hier zu beurteilenden Fachartikeln zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden von den jeweiligen Autoren in eine konkrete sprachliche Form gegossen, wobei ersichtlich kreative Gestaltungsspielräume bestanden, die Texte abweichend zu formulieren. Die konkreten Formulierungen waren nicht aufgrund der Anwendung der einschlägigen wissenschaftlichen Fachterminologie und der konkreten verlagsseitigen Strukturvorgaben zur Abhandlung der jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnis prädeterminiert. Der Ansicht der Beklagten, im Falle der Darstellung einer für sich genommen nicht schutzfähigen wissenschaftlichen Erkenntnis bliebe bei Anwendung der einschlägigen Fachterminologie und detaillierten Vorgaben zur Abfassung eines Artikels in einer bestimmten Zeitschrift kein Raum für individuelles Schaffen, folgt die Kammer daher nicht. Die in den streitgegenständlichen Fachartikeln jeweils gewählten Formulierungen sind ersichtlich nicht notwendig oder gar zwingend wissenschaftlich vorgegeben; sie sind vielmehr frei gewählt und Ausdruck individuellen Schaffens.
[...]

2. Previews

Auch die streitgegenständlichen Previews sind selbständig als Teile der im Streit stehenden Fachartikel gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG als Sprachwerke geschützt.

In seiner Entscheidung Infopaq (GRUR 2009, 1041 Tz. 39, 48) hat der EuGH ausgeführt, dass der Ausdruck eines Auszugs aus einem geschützten Werk, der aus elf aufeinanderfolgenden Wörtern des Werks besteht, eine teilweise Vervielfältigung darstellen kann, wenn der Auszug einen Bestandteil des Werkes enthält, der als solcher die eigene geistige Schöpfung des Urhebers zum Ausdruck bringt. Angesichts des Umfangs der streitgegenständlichen Previews (regelmäßig mehr als eine Seite des Fachartikels; siehe dazu Anlagen K 1c und K 1d) hat die Kammer auch hier keinen Anlass, deren Schutzfähigkeit in Frage zu stellen.

3. Abstracts

Entgegen der Ansicht der Beklagten sind auch die streitgegenständlichen Abstracts selbstständig urheberrechtlich geschützte Sprachwerke im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG.

Die Schutzfähigkeit ist auch bei den hier gegenständlichen Abstracts anzunehmen, wenn sie einen gewissen Umfang erreichen und für sich gesehen selbstständige persönliche Schöpfungen im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG darstellen. Unter dieser Voraussetzung kann auch ihrem Umfang nach kleinen Sprachwerken urheberrechtlicher Schutz zukommen. Lediglich bei sehr kleinen Teilen - wie einzelnen Wörtern oder knappen Wortfolgen - wird ein Urheberrechtsschutz meist daran scheitern, dass diese für sich genommen nicht hinreichend individuell sind (BGH NJW 2011, 761, 767, Tz. 54 - Perlentaucher; BGH GRUR 2009, 1046 - Kranhäuser; EuGH 2009, 1041 - Infopaq; BGH NJW 1953, 1258 - Lied der Wildbahn I; ebenso bereits die erkennende Kammer in BeckRS 2014, 3974). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GRUR 1992, 382 - Leitsätze) können etwa auch nichtamtlich verfasste Leitsätze gerichtlicher Entscheidungen urheberrechtlich geschützt sein. Es ist kein Rechtsgrund ersichtlich, Abstracts zu wissenschaftlichen Fachartikeln anders als Leitsätze zu gerichtlichen Entscheidungen zu behandeln. Dies jedenfalls dann, wenn mit den Abstracts die Kernaussagen des Artikels in wenigen prägnanten Sätzen zusammengefasst werden. In einer solch prägnanten Zusammenfassung kann eine urheberrechtlich schutzfähige schöpferische Leistung liegen, wenn hierfür ein hinreichender sprachlicher Gestaltungsspielraum besteht.
[...]

III. Aktivlegitimation der Klägerinnen

Die Klägerinnen sind berechtigt, wegen der unberechtigten Nutzung der streitgegenständlichen Texte Unterlassungsansprüche geltend zu machen; für die entsprechende Geltendmachung von Auskunfts- und Schadensersatzansprüchen besteht hingegen keine Berechtigung der Klägerinnen.

1. Die Klägerinnen sind berechtigt, die streitgegenständlichen Unterlassungsansprüche geltend zu machen. Zwar haben die Beklagten mit Nichtwissen bestritten, dass die Klägerinnen über die für die Verwertung auf der Plattform erforderlichen ausschließlichen Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Artikeln verfügen, wobei die Beklagten auf ihren fehlenden Einblick in die Lizenzierungspraxis der Klägerinnen hingewiesen haben.

Die Klägerinnen berufen sich demgegenüber hinsichtlich der im Streit stehenden Unterlassungsansprüche unter Hinweis auf den ©-Vermerk, welcher sich jeweils am Ende der streitgegenständlichen Artikel findet, zu Recht auf die gesetzliche Vermutung zugunsten von Inhabern ausschließlicher Nutzungsrechte aus § 10 Abs. 3 UrhG; dieser gilt ausdrücklich im Falle der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen.

a. Zur Frage, unter welchen Umständen und in welchem Umfang ein ©-Vermerk die Vermutungswirkung des § 10 Abs. 3 UrhG begründen kann, werden in Literatur und Rechtsprechung unterschiedliche Ansichten vertreten (zum Streitstand siehe OLG Hamburg BeckRS 2017, 121111).

Teilweise wird vertreten, der Copyright-Vermerk deute üblicherweise darauf hin, dass die dort bezeichnete Person Inhaber ausschließlicher Nutzungsrechte sei bzw. begründe die Vermutung für die Rechtsinhaberschaft (Schulze in: Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 6. Auflage, § 10 Rn. 62 m.w.N.).

Nach anderer Ansicht soll nicht jeder Copyright-Vermerk die Vermutungswirkung nach § 10 Abs. 3 UrhG auslösen, sondern nur solche ©-Vermerke, die gerade auf die Ausschließlichkeit der Rechtseinräumung hinweisen (Thum in: Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 5. Aufl., § 10, Rn. 115 ff.; OLG Hamburg a.a.O.).

b. Nach Ansicht der regelmäßig mit Urheberstreitsachen befassten Kammer soll den Erfordernissen der Rechtspraxis und dem Zweck des ©-Vermerks folgend mit diesem eine ausschließliche Nutzungsberechtigung zumindest im Kontext seiner Verwendung zum Ausdruck gebracht werden. Findet sich ein ©-Vermerk etwa auf einem physischen Tonträger, soll sich dieser erkennbar zumindest auf das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht hinsichtlich der auf dem Tonträger enthaltenen Werke beziehen; findet sich der ©-Vermerk hingegen im Rahmen einer Internetpräsenz, besteht angesichts der Nutzungsgewohnheiten im Internet kein Anlass, diesen Vermerk auf Vervielfältigungsrechte zu beschränken und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung nicht mitzulesen. Die am reinen Wortlaut (© = Copyright = Vervielfältigungsrecht) haftende Ansicht, es werde grundsätzlich nur auf eine Rechteinhaberschaft an den Vervielfältigungsrechten hingewiesen, nicht aber ohne weiteres auf eine exklusive Rechtseinräumung bzw. die Erstreckung auf weitere Nutzungsrechte wie etwa das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, wird den Usancen der Rechtspraxis schon deshalb nicht gerecht, weil das Copyrightzeichen aus einer Zeit stammt (erwähnt etwa im Welturheberrechtsabkommen von 1952), in der es noch gar kein Internet gab. Der ©-Vermerk ist daher entsprechend dem sachlichen und zeitlichen Kontext zu lesen, in dem er verwendet wird.
[...]
c. Die Beklagten haben die gesetzliche Vermutung nicht durch den Beweis des Gegenteils widerlegt, § 292 ZPO. Soweit die Beklagten vorgebracht haben, angesichts des lückenhaften und unzureichenden Vortrags der Klägerinnen zum Rechtserwerb sei die gesetzliche Vermutung erschüttert, verkennen die Beklagten, dass die Widerlegung nur gelingen kann, wenn die Beklagten ihrerseits in jedem einzelnen Fall darlegen und beweisen, dass ein wirksamer Rechtserwerb nicht erfolgt ist. Daran fehlt es letztlich. Nicht ausreichend ist es hingegen, zur Widerlegung einer gesetzlichen Vermutung Mängel im Vortrag zur Rechtsinhaberschaft gegenüber demjenigen zu rügen, der sich auf die gesetzliche Vermutung (hier: § 10 Abs. 3 UrhG) beruft; die gesetzlich Vermutung hat gerade den Zweck, ihren Nutznießer von der andernfalls bestehenden Darlegungs- und Beweislast zu befreien. Es kann daher für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des § 10 Abs. 3 UrhG nicht ausreichen, etwaige Mängel im Vortrag zum Erwerb der behaupteten Rechtsposition aufzuzeigen.

2. Die Klägerinnen sind hingegen nicht berechtigt, die streitgegenständlichen Auskunfts- und Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

Ein ausschließliches Nutzungsrecht berechtigt im Falle von dessen Verletzung zur Geltendmachung des in § 97 UrhG normierten Schadensersatzanspruchs (BGH GRUR 1987, 37 - Videolizenzvertrag). Bei der abgeleiteten Inhaberschaft ist die Aktivlegitimation nachzuweisen, indem die Rechtekette bis zum ursprünglich Berechtigten dargelegt und - falls bestritten - bewiesen wird (OLG München ZUM 2009, 245).

Die Beklagten haben mit Nichtwissen bestritten, dass die Klägerinnen über die für die Verwertung auf R. erforderlichen ausschließlichen Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Artikeln verfügen.

a. Nach seinem eindeutigen Wortlaut gilt die gesetzliche Vermutung des § 10 Abs. 3 UrhG für Unterlassungs-, nicht aber für Auskunfts- und Schadensersatzansprüche. Dabei handelt es sich ersichtlich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, so dass eine analoge Anwendung der Vermutungsregel auf Auskunfts- und Schadensersatzansprüche ausscheidet.
[...]
IV. Passivlegitimation der Beklagten
Die Beklagten sind zur Unterlassung der klägerseits geltend gemachten Rechtsverletzungen verpflichtet.

1. Die öffentliche Zugänglichmachung sämtlicher streitgegenständlicher Fachartikel, Previews und Abstracts erfolgte durch die Beklagte zu 1) als Betreiberin der streitgegenständlichen Plattform.

Nach der Rechtsprechung des EuGH (NJW 2021, 2571 - Youtube) erfolgt eine öffentliche Wiedergabe von Inhalten, die Nutzer auf einer Sharehosting-Plattform einstellen können, seitens des Betreibers einer Sharehosting-Plattform, wenn der Plattformbetreiber über die bloße Bereitstellung der Plattform hinaus dazu beiträgt, der Öffentlichkeit unter Verletzung von Urheberrechten Zugang zu solchen Inhalten zu verschaffen.

Dies ist nach der Entscheidung des EuGH namentlich dann der Fall, wenn
- der Betreiber von der rechtsverletzenden Zugänglichmachung eines geschützten Inhalts auf seiner Plattform konkret Kenntnis hat und diesen Inhalt nicht unverzüglich löscht oder den Zugang zu ihm sperrt oder
- wenn er, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass über seine Plattform im Allgemeinen durch Nutzer derselben geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, nicht die geeigneten technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen, oder auch
- wenn er an der Auswahl geschützter Inhalte, die rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, beteiligt ist, auf seiner Plattform Hilfsmittel anbietet, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt sind, oder ein solches Teilen wissentlich fördert, wofür der Umstand sprechen kann, dass der Betreiber ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu verleitet, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen.

2. Ausgehend hiervon erfolgte die öffentliche Zugänglichmachung der streitgegenständlichen Inhalte durch die Beklagte zu 1). Die Beklagte zu 1) hat als Betreiberin der streitgegenständlichen Plattform über die bloße Bereitstellung der Plattform hinaus dazu beigetragen, der Öffentlichkeit Zugang zu urheberechtsverletzenden Inhalten zu verschaffen.

An den vom EuGH gebildeten Fallgruppen orientiert war die Beklagte zu 1) eindeutig an der Auswahl geschützter Inhalte, die rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurden, beteiligt und hat auf ihrer Plattform Hilfsmittel angeboten, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt sind. Sie haben ein solches Teilen auch wissentlich gefördert.

Aufbau, Struktur und Funktionselemente der streitgegenständlichen Plattform zeigen klar, dass die Beklagte zu 1) nicht lediglich als Hosting-Dienst für fremde Inhalte tätig geworden ist. In den Funktionen der Plattform kommt ein erhebliches Eigeninteresse der Beklagten zu 1) zum Ausdruck, die Plattform mit möglichst vielen wissenschaftlichen Fachartikeln zu bestücken und diese - etwa durch das Extrahieren von Tabellen und Schaubildern - in der Nutzung möglichst anwenderfreundlich aufzubereiten.

a. Im Falle der streitgegenständlichen Previews (Klageantrag Ziffer I.) hat die Beklagte zu 1) die betroffenen Fachartikel selbst im Internet identifiziert, hochgeladen und ihren Nutzern auf der streitgegenständlichen Plattform als Preview zugänglich gemacht; Gegenstand der streitgegenständlichen Previews waren auch die Abstracts der jeweiligen Fachartikel.

Die Beklagten haben im Zusammenhang mit der Preview-Funktion aber auch auf ihrer Plattform Hilfsmittel bereitgestellt, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt waren oder ein solches Teilen wissentlich fördern. Denn verbunden mit der Preview-Anzeige war nicht nur die Wiedergabe eines erheblichen Teils des Volltextes sowie des jeweiligen Abstracts, sondern auch die Möglichkeit, den Artikel insgesamt im Volltext zu erhalten („Request Full-Text“ bzw. die Frage „Would you like to access the full-text?“ verbunden mit dem Button „Access Full-Text“). Damit stellt sich die streitgegenständliche Plattform unter diesem Aspekt als Geschäftsmodell dar, das die Nutzer der Plattform dazu verleitet, geschützte Inhalte auf dieser Plattform öffentlich zugänglich zu machen.

b. Das Eigeninteresse der Beklagten an der Generierung von Plattforminhalt in Gestalt wissenschaftlicher Fachartikel zeigt sich ferner darin, dass die Beklagte zu 1) Informationen aus dem Internet, die auf einen Fachartikel hinweisen, der von einem registrierten Nutzer des Dienstes stammen könnte, gezielt und automatisiert aufsucht und sodann den betroffenen Nutzer auffordert, seine Autorenschaft zu bestätigen (,Confirm authorship“/„confirm authorship to add it to your profile“). Ziel ist auch hier ersichtlich die Generierung von Inhalten in Gestalt von Fachartikeln, um diese zu vervollständigen und damit für die Nutzer attraktiver zu machen.

c. Auch im Falle der Plattform-Inhalte, die in einem letzten Schritt von den Nutzern der Plattform auf dieser öffentlich zugänglich gemacht wurden (Klageantrag Ziffer II.) hat die Beklagte zu 1) als Plattformbetreiberin über die bloße Bereitstellung der Plattform hinaus aktiv dazu beigetragen, der Öffentlichkeit unter Verletzung von Urheberrechten Zugang zu wissenschaftlichen Fachartikeln zu verschaffen. Dies ergibt sich jedenfalls in einem Fall unschwer daraus, dass die Zugänglichmachung des Artikels nach einem Hinweis der Beklagten zu 1) auf die angeblich freie Verfügbarkeit des Artikels im Internet erfolgte.

d. Die Beklagte beschränkt sich nicht auf eine rein technische, automatische und passive Aktivität. Vielmehr ergibt sich ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH eine aktive Rolle der Beklagten zu 1) beim Generieren von Plattform-Inhalten: Die Beklagte optimiert das Angebot, indem sie etwa Daten und Teile der Inhalte extrahiert und diese separat speichert und zugänglich macht; sie optimiert das Angebot auch dadurch, dass sie den Nutzern die Möglichkeit bietet, die Inhalte etwa nach Zugehörigkeit, Referenzen etc. zu kategorisieren. Die Beklagte zu 1) hat ferner selbständig Verweise (Links) auf andere Fachartikel auf Verlagsseiten, die im Originalartikel vorhanden sind, durch Verweise auf Artikel ersetzt, die die Beklagte bereits in ihrer Datenbank führt; ist also beispielsweise im Artikel oder in einer Fußnote des Artikels der zitierte Artikel mit der Verlagsseite verlinkt, so dass der zitierte Artikel mit einem Klick (auf der Verlagsseite) aufgerufen werden kann, so wurde dieser Link von der Beklagten zu 1) durch einen Link auf www.R..net ersetzt, sofern verfügbar. Durch diese Veränderungen wurden die Nutzer der Beklagten zu 1) auf dem eigenen Angebot der Beklagten gehalten und nicht auf Verlagsseiten weitergeleitet. Mag diese Funktion von sogenannten Enhanced Footnotes, die es Nutzern ermöglichte, Informationen über die in einem Artikel zitierten Quellen bei R. zu finden, im Juni 2017 auch eingestellt worden sein, zeigt sie doch die aktive, über einen reinen Hosting-Dienst hinausgehenden Anspruch der Beklagten zu 1) beim Bereitstellen von Hilfsmitteln zum Auffinden und Teilen von Plattform-Inhalten.

e. Sofern die Beklagten meinen, der Entscheidung des EuGH eine Einschränkung dahin entnehmen zu können, dass eine öffentliche Wiedergabe des Betreibers einer Sharehosting-Plattform nur gegeben sei, wenn der von jedem einzelnen, in Streit stehenden rechtsverletzenden Inhalt Kenntnis hatte, folgt die Kammer dem nicht. Im Falle der dritten vom EuGH beispielhaft gebildeten Fallgruppe, die lautet
„…wenn er an der Auswahl geschützter Inhalte, die rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, beteiligt ist, auf seiner Plattform Hilfsmittel anbietet, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt sind, oder ein solches Teilen wissentlich fördert, wofür der Umstand sprechen kann, dass der Betreiber ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu verleitet, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen.“,
wird lediglich pauschal auf geschützte Inhalte abgestellt, die auf der Plattform öffentlich zugänglich gemacht werden, ohne dass es auf die Kenntnis einzelner, konkreter Rechtsverletzungen durch den Plattformbetreiber ankäme. Ein solches Verständnis würde die Haftung auch ad absurdum führen, da der Plattformbetreiber immer behaupten könnte, die einzelne konkrete Rechtsverletzung nicht gekannt zu haben - der Rechtsinhaber könnte dies kaum je widerlegen.

3. Eine Rechtsverletzung scheidet auch nicht deshalb aus, weil die klagenden Verlage und die Beklagte zu 1) dasselbe Publikum bedienten.

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es zur Einstufung als öffentliche Wiedergabe erforderlich, dass ein Werk unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheidet, oder für ein neues Publikum wiedergegeben wird, also für ein Publikum, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht dachte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubte (EuGH GRUR 2018, 911 - Cordoba).

Der EuGH hat weiter entschieden, dass der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ das Einstellen eines Werkes (im Falle des EuGH einer Fotografie) auf einer Website (auch dann) erfasst, wenn diese Fotografie zuvor ohne beschränkende Maßnahme, die ihr Herunterladen verhindert, und mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers auf einer anderen Website veröffentlicht worden ist. Das Publikum, an das der Urheberrechtsinhaber gedacht hatte, als er der Wiedergabe seines Werkes auf der Website zugestimmt hatte, auf der es ursprünglich veröffentlicht wurde, besteht nur aus den Nutzern dieser Website und nicht aus den Nutzern der Website, auf der das Werk später ohne seine Zustimmung eingestellt worden ist (BGH GRUR 2019, 813 - Cordoba II).

So liegt die Sache auch hier. Mit dem Einstellen der streitgegenständlichen Werke auf dem Dienst der Beklagten zu 1), insbesondere der streitgegenständlichen Abstracts, liegt schon deshalb ein neues Publikum vor, weil sich die Nutzer des Internetangebotes der Klägerinnen und diejenigen des Angebots der Beklagten zu 1) unterscheiden. Ob beschränkende Maßnahmen das Herunterladen von Texten von den Internetseiten der Klägerinnen verhindern sollten, ist nach der Rechtsprechung des EuGH für die Frage der Wiedergabe auf der Seite eines Dritten unerheblich. Es liegt hinsichtlich der Abstracts auch keine konkludente bzw. stillschweigende Einwilligung der Klägerinnen zur freien Nutzung vor.

4. Die Förderung des unerlaubten Teilens geschützter Inhalte auf der Plattform der Beklagten zu 1) erfolgte auch wissentlich. Der Beklagten zu 1) musste - etwa in den Fällen der von ihr selbst als Previews wiedergegeben Fachartikel - aufgrund der auf sämtlichen Fachartikeln angebrachten Copyright-Hinweise davon ausgehen, dass es sich um geschützte Inhalte handelt, die ohne Zustimmung des jeweiligen Rechtsinhabers nicht auf der streitgegenständliche Plattform zugänglich gemacht werden durften.

Die Beklagte zu 1) durfte aber auch nicht davon ausgehen, dass - wie sie behauptet - seitens ihrer Nutzer für Dritte geschützte Inhalte nicht rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht würden. Nachdem auf sämtlichen streitgegenständlichen Fachartikeln als Rechteinhaber jeweils die Klägerinnen angegeben sind, können die Beklagen nicht mit dem Argument durchdringen, sich insoweit auf ihre Nutzer als Autoren der Fachartikel verlassen zu dürfen, die die Rechtesituation am besten kennen müssten. Dass die Beklagten hiervon letztlich auch nicht ausgegangen sind, zeigt sich an den beklagtenseits ergriffenen, vielfältigen Maßnahmen, mit denen Rechtsverletzungen begegnet wird („Notice & Takedown“, „Repeat Infringer Policy“ etc.); diese und insbesondere die in diesem Zusammenhang mit dem Branchenverband der Wissenschaftsverlage geführten Gespräche haben finden ihre Ursache nämlich gerade darin, dass sich die Nutzer der streitgegenständlichen Plattform im Hinblick auf das Zugänglichmachen von Fachartikeln eben gerade nicht ganz überwiegend rechtstreu verhalten, sondern die Beklagte zu 1) in einer beachtlichen Vielzahl mit Rechtsverletzungen konfrontiert sind und waren, die sich insofern auf der streitgegenständlichen Plattform ereignet haben.

5. Die Beklagte zu 1) ist mit Blick auf die Inhalte, die Nutzer bei R. einstellen, auch nicht nach § 10 Satz 1 TMG (bzw. Art. 14 Abs. 1 der RL 2000/31/EG) von einer Haftung befreit.

Nach der Rechtsprechung des EuGH (a.a.O) fällt die Beklagte zu 1) nicht in den Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 der RL 2000/31/EG, da sie als Plattformbetreiberin eine aktive Rolle spielt, die ihr Kenntnis von den auf ihrer Plattform hochgeladenen Inhalten oder Kontrolle über sie verschafft.

Die Klägerinnen mussten sich daher nicht auf das Notice & Takedown-Verfahren der Beklagtenverweisen lassen.

6. Die Beklagte zu 1) kann sich im Hinblick auf die erfolgten Rechtsverletzungen auch nicht mit Erfolg auf urheberrechtliche Schrankenbestimmungen berufen.

a. Hinsichtlich des beklagtenseits angesprochenen Zweitveröffentlichungsrechts des § 38 Abs. 4 UrhG fehlt es an der Darlegung konkreter, auf die einzelnen streitgegenständlichen Artikel bezogenen Umstände zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen dieser urheberrechtlichen Schranke (der wissenschaftliche Beitrag muss im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungstätigkeit entstanden sein).

b. § 53 UrhG betrifft lediglich hier nicht streitgegenständliche Vervielfältigungen; die unter dieser Schranke entstehenden Vervielfältigungsstücke dürfen ausdrücklich nicht zur öffentlichen Zugänglichmachung verwendet werden.

c. Auch § 52a Abs. 1 Nr. 2 UrhG bzw. § 60 c Abs. 1 Nr. 1 UrhG greift hier schon deshalb nicht zugunsten der Beklagen zu 1) ein, da diese Regelungen ausschließlich für einen bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen für deren eigene wissenschaftliche Forschung gelten; ein solcher liegt im Falle des Kreises der Nutzer der streitgegenständlichen Plattform ersichtlich nicht vor

7. Auch die Beklagten zu 2) und 3) haften als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) persönlich auf Unterlassung.

Ein Geschäftsführer haftet für deliktische Handlungen der von ihm vertretenen Gesellschaft persönlich, wenn er an ihnen entweder durch positives Tun beteiligt war oder wenn er sie aufgrund einer nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts begründeten Garantenstellung hätte verhindern müssen (NJW 2016, 2335 - Marcel-Breuer Möbel II). Beruht die Rechtsverletzung auf einer Maßnahme der Gesellschaft, über die typischerweise auf Geschäftsführungsebene entschieden wird, kann nach dem äußeren Erscheinungsbild und mangels abweichender Feststellungen davon ausgegangen werden, dass sie von dem Geschäftsführer veranlasst worden ist (BGH a.a.O.).

Von einem solchen typischen Geschehensablauf ist vorliegend mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auszugehen. Über die Gestaltung des Internetauftritts eines Unternehmens wird typischerweise auf Geschäftsleitungsebene entschieden (BGH a.a.O.); dies gilt insbesondere dann, wenn der Internetauftritt - wie hier beim Betrieb einer Plattform - Kerngegenstand der Geschäftstätigkeit des Unternehmens ist. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Beklagten zu 2) und 3) als alleinige Geschäftsführer der Beklagten zu 1) über die konkret im Streit stehenden Möglichkeiten des Einstellens wissenschaftlicher Artikel entschieden haben.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: