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OLG Frankfurt: EuGH-Rechtsprechung zum Umverpacken von Arzneimitteln mangels grenzüberschreitendem Bezug bei reinen Inlandssachverhalten nicht anwendbar

OLG Frankfurt
Urteil vom 18.11.2021
6 U 173/20


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die EuGH-Rechtsprechung zum Umverpacken von Arzneimitteln mangels grenzüberschreitendem Bezug bei reinen Inlandssachverhalten nicht anwendbar ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus Art. 9 Abs. 2a UMV nicht zu, da die Klägerin sich dem weiteren Vertrieb der erschöpften Waren mangels berechtigter Gründe nicht nach Art. 15 Abs. 2 UMV widersetzen kann.

1. Gemäß Art. 15 Abs. 2 UMV kann sich ein Dritter nicht auf die Erschöpfung des Rechts des Markeninhabers aus der Gemeinschaftsmarke berufen, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, dass der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist. Eine derartige Veränderung kann auch darin liegen, dass die Verpackung (z.B. durch Aufkleber) verändert wird. Zwar betrifft eine Veränderung der Umverpackung streng genommen nicht die „Ware“ selbst, sondern eben nur die Verpackung der Ware, sodass diese Veränderung vom Wortlaut des Abs. 2 nicht erfasst wäre. Änderungen der Verpackung können jedoch jedenfalls dann erhebliche Eingriffe sein, die die Erschöpfung entfallen lassen, wenn der Verkehr die Verpackung als für das Produkt wesentlich ansieht, es z.B. üblicherweise in einer verschlossenen Originalverpackung verkauft wird und der Verkehr gerade auf die Integrität der Verpackung Wert legt. Dies ist typischerweise bei Produktverpackungen von Arzneimitteln der Fall (vgl. EuGH GRUR 2002, 879 Rn 34 - Boehringer Ingelheim).

2. Die für das Umverpacken von Arzneimitteln durch den Europäischen Gerichtshof und den Bundesgerichtshof für Art. 15 Abs. 2 UMV entwickelten fünf Kriterien, die kumulativ für eine zulässige Veränderung der Produktverpackung von Arzneimitteln vorliegen müssen, sind hier nicht anwendbar, da es sich nicht um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt handelt. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass es sich um parallelimportierte Ware gehandelt hat.

Grundlage für die Rechtsprechung des EuGH zu Fällen des Umverpackens von Arzneimitteln und Medizinprodukten bei Fällen des Parallelimports ist die Warnverkehrsfreiheit des Art. 34 AEUV. Die Geltendmachung der Marke gegenüber dem Vertrieb veränderter Ware kann zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten und damit zu einer verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 34 S. 2 AEUV beitragen (EuGH GRUR 2007, 586 Rn 37 - Boehringer Ingelheim/Swingward II; EuGH GRUR 2018, 736 Rn 25 - Debrisoft; BGH GRUR 2017, 71 Rn 15 - Debrisoft; OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2019, 426 Rn 16). Bei reinen Inlandssachverhalten ist eine solche Gefährdung ausgeschlossen.

3. Die danach nach Art. 15 Abs. 2 UMV vorzunehmende Gesamtbetrachtung führt hier dazu, dass die Klägerin keine berechtigten Gründe hat, sich der Erschöpfung der Ware zu widersetzen.

a) Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse daran, die PZN der Klägerin durch ihre eigene zu ersetzen. Ohne die von der Beklagten angebrachte eigene PZN sind die von der Beklagten angebotenen Packungen nicht mittels des Warenwirtschafts- und Abrechnungssystems von den Packungen der Klägerin zu unterscheiden. Andernfalls könne die Klägerin nämlich Wettbewerber von einem gleichwertigen Zugang zur elektronischen Warenwirtschaft ausschließen. Könnte die PZN nicht angebracht werden, würde kein Weitervertrieb möglich sein oder dieser zumindest erheblich erschwert, so dass im Endeffekt die Klägerin weiterhin Kontrolle über die Vertriebswege hätte, was mit dem Erschöpfungsgrundsatz unvereinbar wäre; zudem wäre auch der Preiswettbewerb erheblich behindert.

Damit unterstützt das Überkleben der PZN durch eine neue PZN der Beklagten den Normzweck der Erschöpfungsregelungen, der darin besteht, das Markenrecht angemessen zu begrenzen. Mit den Interessen des Wirtschaftsverkehrs - gleich ob auf nationaler oder europäischer Ebene - ist es unvereinbar, den weiteren Vertrieb von Waren, die mit Zustimmung des Zeicheninhabers gekennzeichnet und in den Verkehr gebracht worden sind, markenrechtlich zu behindern.

b) Aus der Tatsache, dass die Beklagte durch das Anbringen des eigenen PZN-Aufklebers die Klagemarke verdeckt hat, kann nichts Anderes folgen.

Allerdings kann das Überdecken der Marke grundsätzlich geeignet sein, die Herkunftsfunktion der Klagemarke zu beeinträchtigen. Indes kann nicht jedes Überkleben der Marke zwangsläufig zu einer derartigen Beeinträchtigung führen. Sonst hätte es der Markeninhaber in der Hand, durch eine mehrfache, großflächige Verteilung seiner Marke auf der Verpackung zu verhindern, dass die von in den Verkehr gebrachte Ware erschöpft und weitervertrieben werden kann. Vielmehr ist auf die konkrete Gestaltung im Einzelfall abzustellen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich auch weder aus der Rechtsprechung des EuGH (EuGH GRUR 2018, 736 - Debrisoft) noch des BGH (GRUR 2019, 515, Rn 22 - Debrisoft II), dass jede Überdeckung der Marke zwangsläufig dazu führt, dass eine Erschöpfung ausgeschlossen ist. Vielmehr wurde dort eine Markenverletzung auch deshalb abgelehnt, weil das Nichtüberkleben der Marke eine Verletzung ausschließe. Der Umkehrschluss, damit sei jedes Überkleben als eine Markenverletzung anzusehen, ist jedoch weder durch die Rechtsprechung des EuGH und BGH gedeckt noch mit den Gesetzen der Logik vereinbar.

In der vorliegenden konkreten Gestaltung sieht der Senat keine Verletzung berechtigter Interessen der Markeninhaberin. Die überdeckte Marke ist auf dem Ursprungsaufkleber lediglich im Fließtext nicht herausgehoben wiedergegeben, so dass schon fraglich erscheint, ob das Zeichen überhaupt markenmäßig oder nicht vielmehr firmenmäßig benutzt wird. Jedenfalls hat die Marke an dieser Stelle für die Kennzeichnung des Produkts keine nennenswerte Bedeutung. Die Klagemarke findet sich weiterhin unverändert auf allen Verpackungsseiten an prominenter Stelle in deutlich größerer Form. Diese Kennzeichnungen hat die Beklagte nicht verändert. Bei dieser Sachlage liegt insbesondere kein Fall vor, in welchem im Sinne der Debrisoft-Entscheidung des EuGH „die Marke verdeckt“ wird (EuGH GRUR 2018, 736 Rn 35 - Debrisoft; vgl. schon OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2019, 426 Rn 26). Vielmehr liegt der Gedanke nahe, dass die Klägerin die Marke an dieser unauffälligen und ungewöhnlichen Stelle bewusst unter dem Barcode und neben der PZN angebracht hat, um zu provozieren, dass bei der nötigen (und zulässigen) Anbringung der PZN durch die Beklagte die Marke mit überdeckt wird. Ob dies die Absicht der Klägerin war, kann jedoch im Ergebnis dahinstehen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: