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OLG Frankfurt: Rechtsmissbräuchlicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei vorherigem Versuch des "Verkaufs" der Anspruchsberechtigung und Androhung des wirtschaftlichen Ruins

OLG Frankfurt
Beschluss vom 10.05.2024
6 W 41/24


Das OLG Frankfurt hat in diesem Fall entschieden, dass ein rechtsmissbräuchlicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Versuch des "Verkaufs" der Anspruchsberechtigung und Androhung des wirtschaftlichen Ruins vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die gemäß §§ 936, 922, 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere nach § 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Eilantrag zu Recht wegen missbräuchlicher Anspruchsverfolgung als unzulässig zurückgewiesen.

1. Nach § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG ist eine missbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen. Außerdem spricht (u.a.) ein unangemessen hoch angesetzter Gegenstandswert für eine Abmahnung für einen Rechtsmissbrauch (§ 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG).

Über die benannten Missbrauchsgründe in § 8c Abs. 2 UWG hinaus kann die Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs nach dem allgemeinen Missbrauchstatbestand in § 8c Abs. 1 UWG unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich sein.

Von einem solchen Missbrauch ist entsprechend der angefochtenen Entscheidung auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Anspruchstellers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind (vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2019 - I ZR 149/18, GRUR 2019, 966 Rn. 33 mwN - Umwelthilfe; Dämmer in BeckOK UWG, 23. Edition, Stand: 01.01.2024, § 8c Rn. 9). Diese müssen dabei nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Es genügt, wenn die sachfremden Ziele überwiegen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 24.09.2020 - I ZR 169/17, GRUR 2021, 84 Rn. 17 - Verfügbare Telefonnummer; Dämmer aaO, § 8c Rn. 9; Goldmann in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 8c Rn. 41, 45), etwa weil der Anspruchsberechtigte kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann (vgl. z.B. BGH, GRUR 2019, 966 Rn. 34 - Umwelthilfe; Goldmann aaO, § 8c Rn. 40 mwN).

Die Annahme einer missbräuchlichen Anspruchsverfolgung kommt auch in Betracht, wenn die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs von der Absicht getragen ist, den Verletzer im Wettbewerb zu behindern oder zu schädigen (vgl. z.B. Dammer aaO, § 8c n. 11; Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Auflage 2024, § 8c Rn. 37;Goldmann aaO, § 8c Rn. 43). Ferner kann nach zutreffender Auffassung des Antragsgegners ein Missbrauch anzunehmen sein, wenn ein Anspruch geltend gemacht wird, nachdem der Anspruchsberechtigte zuvor vergeblich versucht hat, sich die Anspruchsberechtigung „abkaufen“ zu lassen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 22.06.2004 - 4 U 13/04, juris Rn. 32 f., zur Erledigung der Angelegenheit gegen Zahlung von 500.000 Euro; OLG München, Urteil vom 22.12.2011 - 29 U 3463/11, juris Rn. 71 f. - Ablauf eines titulierten Unterlassungsanspruchs, Branchenbuchformular; Feddersen aaO, § 8c Rn. 40; Fritzsche in Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 3. Aufl. 2022, § 8c Rn. 62). Zwar rechtfertigt die bloße Unnachgiebigkeit des Anspruchstellers (Goldmann aaO, § 8c Rn. 44) oder seine Bereitschaft zu einer vergleichsweisen Regelung noch nicht den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs. Dieser Vorwurf kann aber gerechtfertigt sein, wenn der Anspruchsteller anbietet, die Fortsetzung des als unlauter beanstandeten Verhaltens im Fall einer Gegenleistung zu dulden (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.01.2018 - 6 U 150/17, juris Rn. 19 - 3 Jahre Garantie).

Voraussetzung eines Rechtsmissbrauchs ist insoweit, dass die äußeren Umstände bei gebotener Gesamtwürdigung (u.a. etwaiger wirtschaftlichen Interessen des Anspruchstellers oder seines Verhaltens bei der Verfolgung des betreffenden und anderer Verstöße) den Schluss auf das Überwiegen sachfremder Motive zulassen (vgl. z.B. Goldmann aaO, § 8c Rn. 47 ff. mwN).

2. Nach diesen Maßstäben ist das Landgericht zutreffend von einer rechtsmissbräuchlichen Anspruchsverfolgung durch die Antragsteller ausgegangen.

a) Der Antragsgegner hat geltend gemacht und unter dem 19.03.2024 eidesstattlich versichert (vgl. seine Schutzschrift [EA 60 ff.] i.V.m. EA 119 f.), der Antragsteller zu 2 habe ihm bereits zu Beginn ihres Gesprächs am 24.02.2024 gesagt, er müsse das Angebot von Penisvergrößerungen von seiner Website und Werbung entfernen. Beim Angebot von Penisvergrößerungen handele es sich um sein „Baby“ und sein Monopol. Wenn der Antragsgegner künftig gleichwohl Penisvergrößerungen anbiete und durchführe, werde er ihn und seine Praxis wirtschaftlich ruinieren, dann sei insbesondere seine wirtschaftliche Existenz gefährdet. Der Antragssteller zu 2 habe angeboten, Patienten, die an einer Penisvergrößerung interessiert seien, künftig gegen 2.000 Euro an A zu „vermitteln“, dann werde er nichts gegen den Antragsgegner unternehmen. Wenn dieser nicht spätestens am kommenden Montag (26.02.2024) Bescheid gebe, ob er „kooperiere“, werde er ihn ruinieren. Der Antragsgegner habe dann am 25.02.2024 mit A telefoniert, der geäußert habe, der Antragsteller zu 2 setze öfter Kollegen unter Druck, damit diese ihm auf dem Gebiet der Penisvergrößerungen keine Konkurrenz machten. A habe dem Antragsgegner bestätigt, eine Vermittlung von Patienten sei ein vernünftiger „Deal“, damit dieser seine „Ruhe“ habe. Kurz darauf habe sich A nochmal bei ihm gemeldet und gesagt, er begehe so viele Gesetzesverstöße, dass er die Behandlung des Penis künftig unterlassen sollte. Nach Erhalt der (von Seiten der Antragsteller unterzeichneten) Vereinbarung am 27.02.2024 habe er mit dem Antragsteller zu 2 telefoniert. Dieser habe ihn aufgefordert, als „Geste“ guten Willens seine Google-Ads zur Penisvergrößerung ausschalten, was der Antragsgegner auch getan habe, damit der Antragsteller zu 2 nicht gegen ihn vorgehe. Auf den Hinweis, dass in der vorgelegten „Vereinbarung“ die Vergütung von 2.000 Euro nicht erwähnt sei, habe der Antragsteller zu 2 geäußert, das könne er nicht schriftlich abgeben, die Vereinbarung sei aber sehr gut und der Antragsgegner müsse diese sofort unterschreiben, damit er ihn in Ruhe lasse. Es gebe deutschlandweit mehrere Kollegen, die dankbar seien, so eine Vereinbarung von ihm zu bekommen. Er habe so eine Vereinbarung vor Jahren mit einem D geschlossen, der seitdem seine Ruhe habe und gegen den er nicht anwaltlich vorgegangen sei. Wenn der Antragsgegner die Vereinbarung sofort unterschreibe, gebe es „keinen Kampf“ mehr zwischen ihnen. Er wolle mit ihm zusammenarbeiten, zunächst müsse der Antragsgegner aber die Vereinbarung unterschreiben. Nach Unterzeichnung werde er ihm einen weiteren Vertrag vorlegen. Unterschreibe der Antragsgegner nicht, bekomme er keinen zweiten Vertrag und werde „voll angegriffen“. Er habe viele solche Verträge mit vielen Kollegen geschlossen. Der Antragsgegner solle die Vereinbarung unterschreiben, damit seine Existenz nicht gefährdet werde. Am 01.03.2024 habe er erneut (zunächst) mit A telefoniert. Er habe diesen gebeten, ihm die Facelift-Operationsmethode beizubringen, dann könne er die Bewerbung und Durchführung von Penisvergrößerungen unterlassen. A habe gesagt, ihm liege doch ein Angebot vor (‚unterschriebene Vereinbarung = „kein Krieg“‘), es gebe keine zweite schriftliche Vereinbarung ohne die erste. Der Antragsgegner habe angeboten, die Bewerbung von Penisvergrößerungen von seiner Website zu entfernen, bis sie eine weitere Vereinbarung getroffen hätten. A habe entgegnet, das gehe nicht. Er und der Antragsteller zu 2 hätte vieles in der Hand, um den Antragsgegner „anzugreifen“. Es sei nicht sinnvoll, mit dem Feuer zu spielen, der Antragsgegner könnte sogar seine Zulassung verlieren. Bei einem anschließenden Telefonat mit dem Antragsteller zu 2 habe dieser auf die Mitteilung, dass der Antragsgegner die Vereinbarung nicht unterschreiben werde, bis der Antragsteller zu 2 ihm einen zweiten Vertrag vorlege, geantwortet, der Antragsgegner könnte seine Zulassung verlieren. Ihm sei nicht bewusst, „was eine Hölle“ auf ihn zukomme, wenn er nicht unterschreibe. Die Frist zur Unterzeichnung der Vereinbarung laufe bis 04.03.2024, ansonsten beginne der „Krieg“ gegen ihn. Ab Montag werde der Antragsgegner ein Problem haben, falls er nicht unterschreibe. Der Antragsteller zu 2 agiere seit 25 Jahren so und habe schon mehr als 250 Klagen gegen andere ärztliche Kollegen geführt. Es sei sein Tagesgeschäft und seine Stärke. Ab Montag müsse der Antragsgegner mit den Konsequenzen leben. Der Antragsteller zu 2 rate ihm dringend, zu unterschreiben, ansonsten werde der Antragsgegner sehen, was er für ein Problem habe. Ab Montag sei der Antragsteller zu 2 ein „Kämpfer“ und der Antragsgegner könne mit massiven Problemen rechnen; ansonsten werde er seine Zulassung verlieren. Am 04.03.2024 habe ihm A erneut in einem Telefonat gesagt, er solle die Vereinbarung unterschreiben oder es fange an.

b) Dieser (eidesstattlich versicherten) Darstellung sind die Antragsteller zu wesentlichen Teilen nicht entgegengetreten, so dass diese gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen sind.

Nach der zutreffenden Feststellung des Landgerichts, haben die Antragsteller und A dem Antragsgegner vorgerichtlich (bindend) angeboten, auf die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen zu verzichten, wenn dieser sich im Gegenzug dazu verpflichte, von einer Bewerbung und Durchführung von Penisvergrößerungen abzusehen. Dies wäre für sie mit erheblichen wirtschaftlichen Vorteilen verbunden gewesen. Die Antragsteller und A haben dem Antragsgegner außerdem verbindlich zugesagt, bei Unterzeichnung der Vereinbarung von einer „Meldung“ bei der Landesärztekammer und dem Hessischen Landesamt abzusehen.

Nach eigenem Vorbringen des Antragstellers zu 2 hat dieser den Antragsgegner mehrfach und deutlich auf mögliche Folgen einer rechtlichen Auseinandersetzung - jedenfalls in Form von Ärger und Kosten - hingewiesen (vgl. die S. 3 ff. der Beschwerdeschrift [EA 136 ff.] i.V.m. seiner eidesstattlichen Versicherung, Anlage B1 S. 2 [EA 140]). Nach seiner Darstellung hat er zwar zur Wahrung des Renommées der Antragstellerseite darauf bestanden, dass der Antragsgegner vor einer etwaigen Zusammenarbeit alle Wettbewerbsverstöße einstellt. Allerdings sind die Antragsteller dem Vortrag des Antragsgegners zu den konkreten Äußerungen des Antragstellers zu 2 und As ihm gegenüber nicht entgegengetreten. Sie haben diese nicht ausdrücklich bestritten (vgl. Anlage B1, EA 139 f.). Für ein konkludentes Bestreiten besteht ebenfalls kein Anhaltspunkt. Daher ist nach § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen, dass der Antragsteller zu 2 und A den Antragsgegner vorgerichtlich massiv unter Druck gesetzt haben, die von ihrer Seite entworfene Vereinbarung mit der Verpflichtung zur Unterlassung einer Bewerbung und Durchführung von Penisverlängerungen zu unterschreiben, mit der (zusammengefassten) Drohung, ihn anderenfalls wettbewerbs- und berufsrechtlich ‚fertig zu machen‘, seine Existenz zu gefährden und gegebenenfalls sogar dafür zu sorgen, dass er seine Zulassung verliert. Dabei ging es A und dem Antragsteller zu 2, wie auch die oben wiedergegebene WhatsApp-Nachricht belegt (GA 117 f.), nicht in erster Linie darum, die streitgegenständlichen (angeblichen) Wettbewerbsverstöße zu unterbinden. Zwar ist etwa die Bezeichnung „Praxis1“ (auch innerhalb der Domain des Antragsgegners www.(…).de) an eine bekannte US-amerikanische Klinikgruppe mit der Internetdomain www.(…).com angelehnt. Es lässt sich aber nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass es den Antragstellern zumindest gleichermaßen auch darum ginge, eine Irreführung des Geschäftsverkehrs über geschäftliche Verbindungen und Kompetenzen des Antragsgegners zu verhindern. Sie wollten ihn primär dazu bringen, sich vollständig aus dem für sie lukrativen Markt der Penisverlängerungen zurückzuziehen (mit jeder Operation ist ein Deckungsbeitrag von ca. 11.000 Euro verbunden), um wieder im gleichen Umfang wie vor der Aufnahme der Internetwerbung durch den Antragsgegner Patienten bzw. Interessenten zu generieren. Nach eigenem Vorbringen der Antragsteller schadete ihnen die Internetwerbung des Antragsgegners erheblich. Der Markt für Penisverlängerungen ist mit ca. 10 Operateuren bundesweit sehr klein. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass A (unbestritten) gegenüber dem Antragsgegner angab, der Antragsteller zu 2 setze öfter Kollegen unter Druck, damit diese ihm auf dem Gebiet der Penisvergrößerungen keine Konkurrenz machten. Der Antragsteller zu 2 gab selbst (ebenfalls unbestritten) an, er agiere schon seit 25 Jahren so und habe mehr als 250 Klagen geführt, dies sei sein Tagesgeschäft und seine Stärke.

Dafür, dass der Antragsteller zu 2 gezielt nach möglichen Rechtsverletzungen des Antragsgegners gesucht hat, um diesen durch Androhung rechtlicher Konsequenzen und damit verbundener wirtschaftlicher Nachteile zur Aufgabe der Bewerbung und Durchführung von Penisverlängerungen zu bewegen, spricht neben vorgenannten Umständen, dass der Antragsteller zu 2 nicht nur auf den Internetseiten des Antragsgegners und der „Praxisklinik Ort1“ recherchierte, sondern auch auf der Facebook-Seite der „Kliniken1“ auf ein dem Antragsgegner möglicherweise abträgliches Foto von diesem stieß, mit dem er ihn konfrontierte (vgl. Anlage B1 S. 2, EA 140).

c) Bei gebotener Gesamtwürdigung aller Umstände hat das Landgericht den Eilantrag damit zutreffend als rechtsmissbräuchlich angesehen. Zwar stellt der Gegenstandswert der Abmahnung von 225.000 Euro für sich gesehen noch kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch dar. Die Antragstellerseite hat aber nicht nur versucht, sich die Berechtigung zur Verfolgung der geltend gemachten Unterlassungsanträge abkaufen zu lassen. Sie hat auch den Versuch unternommen, den Antragsgegner gezielt in seiner wettbewerblichen Tätigkeit auf dem Gebiet der Penisverlängerungen zu behindern (was teilweise in Form der Änderung der Google-Ads bereits erfolgreich war), um sich den entsprechenden Marktanteil zu sichern (vgl. insofern auch S. 12 f. des Eilantrags und S. 4 der Beschwerdeschrift, EA 137). Ein solches Vorgehen ist nach zutreffender Auffassung des Landgerichts nicht mehr vom Wettbewerbsrecht gedeckt, sondern rechtsmissbräuchlich.

An dieser Bewertung ändert der Umstand nichts, dass der Antragsgegner - jedenfalls teilweise - unlauter geworben haben mag. Für die Frage eines Rechtsmissbrauchs der Antragsteller kommt es auch nicht darauf an, dass der Antragsgegner die Unterzeichnung der Vereinbarung davon abhängig machte, dass A ihm das Facelifting beibringt (Anlage B1 S. 2, EA 140). Entsprechendes gilt für seine Bereitschaft, mit der Vereinbarung der Zuführung von Patienten für Penisverlängerungen gegen Zahlung von 2.000 Euro einen (weiteren) Gesetzesverstoß zu begehen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Androhung einer Anschlusssperre durch Mobilfunkanbieter bei Nichtzahlung einer umstrittenen Forderung unzulässig und wettbewerbswidrig

OLG Frankfurt
Urteil vom 24.10.2019
6 U 147/18


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Androhung einer Anschlusssperre durch ein Mobilfunkanbieter bei Nichtzahlung einer umstrittenen Forderung unzulässig und wettbewerbswidrig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Androhung einer Anschlusssperre außerhalb der gesetzlichen Voraussetzungen ist unlauter

Droht ein Mobilfunkunternehmen seinem Kunden an, im Fall der Nichtzahlung einer umstrittenen Gebührenforderung seinen Anschluss zu sperren, ist das eine unlautere aggressive geschäftliche Handlung (§ 4a UWG), wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anschlusssperre (§ 45 k Abs. 2 TKG) nicht erfüllt sind, entschied das Oberlandgericht Frankfurt am Main (OLG) mit heute veröffentlichtem Urteil.
Nr. 63/2019

Die Parteien streiten über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit einer Sperrandrohung für einen Mobilfunkanschluss. Der Kläger ist ein eingetragener Verbraucherschutzverband. Die Beklagte bietet Mobilfunkdienste an. Einer ihrer Kunden übersandte sie eine Rechnung über rund € 1.300,00, die u.a. die Position „GPS-Auslandsverbindungsaufkommen“ mit über € 1.250,00 enthielt.

Nachdem die Kundin die Rechnungshöhe beanstandet hatte, verwies die Beklagte zur Rechtfertigung ihrer Forderung auf einen von ihr eingeholten Prüfbericht des Netzbetreibers und erteilte eine Kulanzgutschrift in Höhe der Hälfte des Betrages. Die verbleibende Forderung mahnte sie an. Zugleich wies sie darauf hin, dass sie sich im Falle nicht fristgerechter Zahlung die Sperrung des Mobilfunkanschlusses vorbehalte.

Der Kläger hält das Vorgehen der Beklagten für wettbewerbswidrig. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG Erfolg. Die Beklagte dürfe säumigen Verbrauchern gegenüber keine Anschlusssperre androhen, wenn die geltend gemachte Forderung nach Abzug der seitens des Verbrauchers form- und fristgerecht beanstandeten Forderungen weniger als 75,00 € betrage, entschied das OLG. „Die Ankündigung der Sperre stellt sich als aggressive Geschäftspraxis im Sinne des § 4 a UWG dar, die geeignet ist, die Kundin ... zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie anderenfalls nicht getroffen hätte“, begründet das OLG näher. Das Schreiben sei eine „unzulässige Beeinflussung“, da es geeignet sei, „die Rationalität der Entscheidung der angesprochenen Verbraucher vollständig in den Hintergrund treten zu lassen“. Geschäftliche Handlungen seien „aggressiv“ i.S. von § 4a Abs. 1 S. 2 UWG, wenn mit rechtlich unzulässigen Handlungen gedroht werde. Darunter falle auch die Drohung mit einem Vertragsbruch. In rechtlichen Zweifelsfällen dürfe jedenfalls die vertretene Rechtsansicht (hier Zulässigkeit einer Sperre) nicht als feststehend hingestellt werden. „Die Ausübung von Druck durch Drohung mit einer rechtlich zweifelhaft Maßnahme kann die Fähigkeit der Verbraucher zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränken und damit den Tatbestand der unzulässigen Beeinflussung erfüllen, wenn bei dieser Drohung zwanghafte Zulässigkeit verschleiert wird“. So liege es hier.

Die angekündigte Drohung, den Mobilfunkanschluss bei nicht fristgerechter Zahlung zu sperren, sei auch als erhebliches „Übel“ einzuordnen. Die Verbraucher seien in aller Regel auf ihren Mobilfunkanschluss dringend angewiesen. Viele verfügten nicht über einen Festnetzanschluss und wickelten ihre gesamte Kommunikation über den Mobilfunkanschluss ab.

Die angedrohte Sperre sei zudem rechtlich unzulässig gewesen. Die Voraussetzungen für eine Sperre richteten sich nach § 45k TKG. Die Kundin habe sich nicht mit einem Betrag von mindestens 75 € im Verzug befunden, da die angemahnte Forderung um den beanstandeten Betrag (hier: Auslandsdatenverkehrsaufkommen) zu kürzen gewesen sei. Die Kundin habe die Forderung auch ausreichend beanstandet.

Beanstandungen seien zu berücksichtigen, wenn der Kunde äußere Umstände so darstellt, „dass sich bei objektiver Betrachtungsweise die Einwände als nachvollziehbar darstellen und Zweifel an dem rechtmäßigen Zustandekommen der Verbindung aufkommen lassen können“. Hier stellte die - auch im Vergleich zu früheren Zeiträumen - ungewöhnliche Höhe der Forderung einen äußeren Umstand dar, der Zweifel an der richtigen Erfassung des Gesprächsvolumens aufkommen lasse. Eine weitere Substantiierung könne von der Kundin nicht verlangt werden, da sie keinen Zugriff auf die Erfassungsdaten hätten.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Zulassung der Revision begehrt werden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 24.10.2019, Az. 6 U 147/18
(vorausgehend Landgericht Hanau, Urteil vom 24.10.2018, Az. 6 O 19/18)


Erläuterungen:
§ 45k TKG Sperre

(1) Der Anbieter öffentlich zugänglicher Telefondienste darf zu erbringende Leistungen an einen Teilnehmer unbeschadet anderer gesetzlicher Vorschriften nur nach Maßgabe der Absätze 2 bis 5 und nach § TKG § 45o Satz 3 ganz oder teilweise verweigern (Sperre). § TKG § 108 Abs. TKG § 108 Absatz 1 bleibt unberührt.

(2) Wegen Zahlungsverzugs darf der Anbieter eine Sperre durchführen, wenn der Teilnehmer nach Abzug etwaiger Anzahlungen mit Zahlungsverpflichtungen von mindestens 75 Euro in Verzug ist und der Anbieter die Sperre mindestens zwei Wochen zuvor schriftlich angedroht und dabei auf die Möglichkeit des Teilnehmers, Rechtsschutz vor den Gerichten zu suchen, hingewiesen hat. Bei der Berechnung der Höhe des Betrags nach Satz 1 bleiben nicht titulierte Forderungen, die der Teilnehmer form- und fristgerecht und schlüssig begründet beanstandet hat, außer Betracht. Ebenso bleiben nicht titulierte bestrittene Forderungen Dritter im Sinne des § TKG § 45h Absatz TKG § 45H Absatz 1 Satz 1 außer Betracht. Dies gilt auch dann, wenn diese Forderungen abgetreten worden sind. Die Bestimmungen der Sätze 2 bis 4 gelten nicht, wenn der Anbieter den Teilnehmer zuvor zur vorläufigen Zahlung eines Durchschnittsbetrags nach § TKG § 45j aufgefordert und der Teilnehmer diesen nicht binnen zwei Wochen gezahlt hat.

(3) Der Anbieter darf seine Leistung einstellen, sobald die Kündigung des Vertragsverhältnisses wirksam wird.

(4) Der Anbieter darf eine Sperre durchführen, wenn wegen einer im Vergleich zu den vorangegangenen sechs Abrechnungszeiträumen besonderen Steigerung des Verbindungsaufkommens auch die Höhe der Entgeltforderung des Anbieters in besonderem Maße ansteigt und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Teilnehmer diese Entgeltforderung beanstanden wird.

(5) Die Sperre ist, soweit technisch möglich und dem Anlass nach sinnvoll, auf bestimmte Leistungen zu beschränken. Sie darf nur aufrechterhalten werden, solange der Grund für die Sperre fortbesteht. Eine auch ankommende Telekommunikationsverbindung erfassende Vollsperrung des Netzzugangs darf frühestens eine Woche nach Sperrung abgehender Telekommunikationsverbindungen erfolgen.

§ 4a UWG Aggressive geschäftliche Handlungen

(1) Unlauter handelt, wer eine aggressive geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die dieser andernfalls nicht getroffen hätte.

Eine geschäftliche Handlung ist aggressiv, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers erheblich zu beeinträchtigen durch

1. Belästigung,
2. Nötigung einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt oder
3. unzulässige Beeinflussung.

Eine unzulässige Beeinflussung liegt vor, wenn der Unternehmer eine Machtposition gegenüber dem Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zur Ausübung von Druck, auch ohne Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in einer Weise ausnutzt, die die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt.





BGH: Zahlungsaufforderung eines Inkassounternehmens ist per se keine aggressive unlautere geschäftliche Handlung § 4a Abs. 1 Satz 1 UWG

BGH
Urteil vom 22.03.2018
I ZR 25/17
Zahlungsaufforderung
UWG § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Satz 3


Der BGH hat entschieden, dass die Zahlungsaufforderung eines Inkassounternehmens per se keine aggressive unlautere geschäftliche Handlung nach § 4a Abs. 1 Satz 1 UWG ist.

Leitzsatz des BGH:
Das Schreiben eines Inkassounternehmens, das eine Zahlungsaufforderung sowie die Androhung gerichtlicher Schritte und anschließender Vollstreckungsmaßnahmen enthält und nicht verschleiert, dass der Schuldner in einem Gerichtsverfahren geltend machen kann, den beanspruchten Geldbetrag nicht zu schulden, stellt keine wettbewerbswidrige aggressive geschäftliche Handlung dar (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 19. März 2015 - I ZR 157/13, GRUR 2015, 1134 Rn. 25 = WRP 2015, 1341 - Schufa-Hinweis).

BGH, Urteil vom 22. März 2018 - I ZR 25/17 - OLG Zweibrücken - LG Frankenthal

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Drohen mit Schufa-Eintrag bei bestrittener Forderung ist unzulässig und wettbewerbswidrig nach § 4 Nr. 1 UWG - unangemessene Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers

BGH
Urteil vom 19.03.2015
I ZR 157/13
Schufa-Hinweis

Der BGH hat völlig zu Recht entschieden, dass das Drohen mit einem Schufa-Eintrag in einem Mahnschreiben bei bestrittener Forderung unzulässig und wettbewerbswidrig ist. Es liegt nach § 4 Nr. 1 UWG ein unangemessene Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers vor.

Die Pressemitteilung des BGH:

"Bundesgerichtshof zum Hinweis auf die bevorstehende Mitteilung von Schuldnerdaten an die SCHUFA in
Mahnschreiben


Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute darüber entschieden, unter welchen Voraussetzungen ein Hinweis von Unternehmen in Mahnschreiben an ihre Kunden auf eine bevorstehende Mitteilung von Schuldnerdaten an die SCHUFA unzulässig ist.

Die Klägerin ist die Verbraucherzentrale Hamburg e.V. Die Beklagte ist ein Mobilfunkunternehmen. Zum Einzug von nicht fristgerecht bezahlten Entgeltforderungen bedient sie sich eines Inkassoinstituts. Das Inkassoinstitut übersandte an Kunden der Beklagten Mahnschreiben, in denen es unter anderem hieß:

Als Partner der Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung (SCHUFA) ist die V. GmbH verpflichtet, die unbestrittene Forderung der SCHUFA mitzuteilen, sofern nicht eine noch durchzuführende Interessenabwägung in Ihrem Fall etwas anderes ergibt. Ein SCHUFA-Eintrag kann Sie bei Ihren finanziellen Angelegenheiten, z.B. der Aufnahme eines Kredits, erheblich behindern. Auch Dienstleistungen anderer Unternehmen können Sie dann unter Umständen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt in Anspruch nehmen."

Die Klägerin hat den Hinweis auf die Pflicht zur Meldung der Forderung an die SCHUFA als unangemessene Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher (§ 4 Nr. 1 UWG) beanstandet. Sie hat die Beklagte auf Unterlassung und auf Erstattung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte auf die Berufung der Klägerin antragsgemäß verurteilt. Es hat einen Verstoß gegen § 4 Nr. 1 UWG bejaht. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht hat zutreffend angenommen, dass das beanstandete Mahnschreiben beim Adressaten den Eindruck erweckt, er müsse mit einer Übermittlung seiner Daten an die SCHUFA rechnen, wenn er die geltend gemachte Forderung nicht innerhalb der gesetzten Frist befriedige. Wegen der einschneidenden Folgen eines SCHUFA-Eintrags besteht die Gefahr, dass Verbraucher dem Zahlungsverlangen der Beklagten auch dann nachkommen werden, wenn sie die Rechnung wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Einwendungen eigentlich nicht bezahlen wollten. Damit besteht die konkrete Gefahr einer nicht informationsgeleiteten Entscheidung der Verbraucher, die die Zahlung nur aus Furcht vor der SCHUFA-Eintragung vornehmen. Die beanstandete Ankündigung der Übermittlung der Daten an die SCHUFA ist auch nicht durch die gesetzliche Hinweispflicht nach § 28a Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c Bundesdatenschutzgesetz** gedeckt. Zu den Voraussetzungen der Übermittlung personenbezogener Daten nach dieser Vorschrift gehört, dass der Betroffene die Forderung nicht bestritten hat. Ein Hinweis auf die bevorstehende Datenübermittlung steht nur dann im Einklang mit der Bestimmung, wenn nicht verschleiert wird, dass ein Bestreiten der Forderung durch den Schuldner selbst ausreicht, um eine Übermittlung der Schuldnerdaten an die SCHUFA zu verhindern. Diesen Anforderungen wird der beanstandete Hinweis der Beklagten nicht gerecht.

Urteil vom 19. März 2015 - I ZR 157/13 - Schufa-Hinweis

LG Düsseldorf – Urteil vom 27. April 2012 – 38 O 134/11

OLG Düsseldorf – Urteil vom 9. Juli 2013 – I-20 U 102/12

Karlsruhe, den 19. März 2015

§ 4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen

Unlauter handelt insbesondere, wer

1. geschäftliche Handlungen vornimmt, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck, in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen; ...

** § 28a Datenübermittlung an Auskunfteien

(1) Die Übermittlung personenbezogener Daten über eine Forderung an Auskunfteien ist nur zulässig, soweit die geschuldete Leistung trotz Fälligkeit nicht erbracht worden ist, die Übermittlung zur Wahrung berechtigter Interessen der verantwortlichen Stelle oder eines Dritten erforderlich ist und



4. a) der Betroffene nach Eintritt der Fälligkeit der Forderung mindestens zweimal schriftlich
gemahnt worden ist,

b) zwischen der ersten Mahnung und der Übermittlung mindestens vier Wochen liegen,

c) die verantwortliche Stelle den Betroffenen rechtzeitig vor der Übermittlung der Angaben,
jedoch frühestens bei der ersten Mahnung über die bevorstehende Übermittlung unter-
richtet hat und

d) der Betroffene die Forderung nicht bestritten hat ."