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OLG Nürnberg: Keine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung eines Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO wenn dies aus datenschutzfremden Motiven erfolgt

OLG Nürnberg
Urteil vom 29.11.2023
4 U 347/21


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass keine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung eines Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO vorliegt, wenn dies aus datenschutzfremden Motive erfolgt.

Aus den Entscheidunsggründen:
2. Die Berufung ist begründet.
a) Wie das Landgericht zutreffend ausführt, ist der Auskunftsantrag hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). In den Fällen der Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs gern. Art. 15 Abs. 1 DSGVO genügt es grundsätzlich, wenn der Klageantrag dem Wortlaut der Vorschrift entsprechend auf Erteilung einer vollständigen Auskunft über die von der Beklagten verarbeiteten personenbezogenen Daten des Klägers gerichtet ist; eine Spezifizierung dieser Daten ist grundsätzlich nicht erforderlich (so zuletzt OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 16, beck-online).

b) Soweit der Kläger seinen Antrag wegen vorgerichtlich übermittelter Personalstamm- und BAV-Daten bereits beschränkt und wegen zweier Schriftsätze, die ihm im Rahmen des beim Landgericht Oldenburg anhängig gewesenen Verfahrens zugänglich gemacht wurden, Teilerledigungserklärungen unter Verweis auf diese Schriftsätze abgegeben hat, ändert dies nichts daran, dass „offen“ tenoriert werden kann. Denn es kann – wie auch sonst bei noch teilweise „unerledigten“ im Sinne von noch nicht vollständig erfüllten – Auskunftsansprüchen einfach offen zur geschuldeten Auskunft (als geschuldetem „Enderfolg“) verurteilt werden (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 17, beck-online). Die Beschränkung im ursprünglichen Antrag bzw. der Verweis auf Teilerledigungen berücksichtigt lediglich die Tatsache, dass die Beklagte bereits gewisse Auskünfte erteilt hat; mit der Beschränkung ist nur klargestellt, dass die Beklagte die bereits erteilten Auskünfte nach Auffassung des Klägers nicht mehr wiederholen muss, dieser die Auskunft ansonsten aber (zu Recht) als unvollständig ansieht und deswegen eine „vollständige“ Auskunft im Übrigen auch weiterhin einklagt (so auch OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 17, beck-online).

Wie das OLG Köln weiter ausgeführt hat, ,,ist eine Beschränkung durch Verweis auf bereits erteilte Teilauskünfte vor bzw. während des Verfahrens und/oder sonstige Klarstellungen prozessual nicht zwingend in Antrag und Tenor aufzunehmen, weil man mit dem oben Gesagten einfach einen weit gefassten Antrag in Anlehnung an den Gesetzeswortlaut stellen kann und alles andere dann nur – wie auch sonst – eine Frage des Erfüllungseinwands (§ 362 Abs. 1 BGB) im gerichtlichen Verfahren bzw. bei entsprechender Titulierung später im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO ist“ (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 17, beck-online). Dem schließt sich der Senat an. Es ist einem Kläger auch nach Auffassung dieses Senats bei Auskunftsbegehren jedenfalls nicht zuzumuten, die bereits erteilten Auskünfte im Einzelnen in den Klageantrag aufzunehmen. Erforderlich ist nur im Rahmen der Begründetheit der Klage, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung tatsächlich noch keine vollständige Erfüllung des Auskunftsanspruchs i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB feststellbar ist. Eine vollständige Erfüllung ist nicht eingetreten. Die Beklagte macht gerade geltend, dass der Anspruch aufgrund des Umfangs des damit verbundenen unverhältnismäßig hohen Erfüllungsaufwands exzessiv im Sinne von Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO ist. Diese Aussage impliziert, dass es bei der Beklagten – wie auch aufgrund der langjährigen Tätigkeit des Klägers im dortigen Unternehmen nicht anders zu erwarten – umfangreiche weitere zu beauskunftende Daten gibt.

c) Art. 15 DSGVO gibt einen umfassenden Auskunftsanspruch über personenbezogene Daten.

aa) Art. 4 Nr. 1 DSGVO definiert den Begriff „personenbezogene Daten“ als alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann.

Dem Begriff der personenbezogenen Daten ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine weite Bedeutung beizumessen: „Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen „über“ die in Rede stehende Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist“ (EuGH BeckRS 2017, 136145).

bb) Soweit Einschränkungen des umfassenden Auskunftsrechts auf Ewägungsgrund 63 der Verordnung gestützt werden sollen, haben diese Erwägungen in der Verordnung keinen Niederschlag gefunden. Der Anspruch auf Datenauskunft ist vielmehr voraussetzungslos. Der EuGH (Urteil vom 26.10.2023 – C-307/22, BeckRS 2023, 29132, beck-online) hat hierzu im ersten Leitsatz ausgeführt, dass Art. 12 Abs. 5 sowie Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO dahin auszulegen sind, dass die Verpflichtung des Verantwortlichen, der betroffenen Person unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen, auch dann gilt, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in Satz 1 des 63. Erwägungsgrundes der Verordnung genannten Zwecken begründet wird.

cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der klägerische Anspruch auch nicht nach Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung kann der Verantwortliche bei offenkundig unbegründeten oder – insbesondere im Fall von häufiger Wiederholung – exzessiven Anträgen einer betroffenen Person entweder ein angemessenes Entgelt verlangen, bei dem die Verwaltungskosten für die Unterrichtung oder die Mitteilung oder die Durchführung der beantragten Maßnahme berücksichtigt werden, oder sich weigern, aufgrund des Antrags tätig zu werden. Nach Art. 12 Abs. 5 S. 3 DS-GVO hat der Verantwortliche den Nachweis für den offenkundig unbegründeten oder exzessiven Charakter des Antrags zu erbringen.

Nach Wortlaut und Zweck von Art. 12 Abs. 5 S. 1, Art. 15 DSGVO liegt kein Missbrauch vor, wenn ein Betroffener das Auskunftsrecht (auch) für datenschutzfremde Motive verwendet, etwa um Informationen für Vergleichsverhandlungen oder um bei ihm nicht mehr vorhandene Vertragsinformationen zu erhalten (z.B. Auskunft über Konten, Versicherungsbedingungen etc.), da sich eine solche Beschränkung auf eine bestimmte Motivlage nicht in Art. 15 DSGVO findet. Dies gilt auch, wenn die Auskunft gem. Art. 15 DSGVO beim Verantwortlichen sehr viel Aufwand verursacht, da der Aufwand des Verantwortlichen für Art. 15 DSGVO keine Rolle spielt, oder wenn der Betroffene mehrfache Auskunftsansprüche geltend macht, da sie nur im Rahmen des Exzesses einen Rechtsmissbrauch begründen (BeckOK DatenschuteR/Schmidt-Wudy, 45. Ed. 1.8.2023, DS-GVO Art. 15 Rn. 48).

Da die Motivation des Klägers für die Begründetheit des Auskunftsverlangens keine Rolle spielt, kommt es auch nicht darauf an, ob er – jedenfalls ursprünglich – hoffte, durch die Datenauskunft Erkenntnisse für seine beim Landgericht Oldenburg anhängig gewesene Klage zu erlangen. Gleichfalls kommt es nicht darauf an, ob die Datenauskunft für den Beklagten mit viel Mühe oder Zeitaufwand verbunden ist, denn der Aufwand ist unerheblich. Exzessiv ist die Datenauskunft schon deswegen nicht, weil es sich um den ersten Antrag handelt.

dd) Die Geltendmachung des Anspruchs ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ist ein Grundrecht. Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 391) hat jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Der entsprechende Auskunftsanspruch wurde geregelt, um diesem Grundrecht Geltung zu verschaffen. Seine Geltendmachung kann daher über die gesetzlich geregelten (hier nicht einschlägigen) Tatbestände hinaus nicht rechtsmissbräuchlich sein. Dass für den Kläger aufgrund der Dauer und Art seiner Tätigkeit sehr viele Daten angefallen sind, steht der Geltendmachung seiner Rechte nicht entgegen.

ee) Da die Datenauskunft voraussetzungslos zu erteilen ist, steht der Beklagten auch kein Zurückbehaltungsrecht wegen der zu erwartenden Kosten zu, denn diese kann die Beklagte nicht verlangen. Die Auskunft ist kostenlos zu erteilen.

ff) Der streitgegenständliche Antrag erfasst ausdrücklich auch das Recht auf „Kopien“. Nach der Entscheidung des EuGH vom 04.05.2023 (C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 45) ist Art. 15 Abs. 3 DSGVO dahin auszulegen, „dass das Recht, vom für die Verarbeitung Verantwortlichen eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zu erhalten, bedeutet, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten ausgefolgt wird. Dieses Recht setzt das Recht voraus, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken, die u. a. diese Daten enthalten, zu erlangen, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch diese Verordnung verliehenen Rechte zu ermöglichen, wobei insoweit die Rechte und Freiheiten anderer zu berücksichtigen sind.“ Damit ist die strittige Frage geklärt, was unter „Kopie“ zu verstehen ist.

In der genannten Entscheidung hat der EuGH auch ausgeführt, dass Art. 15 Abs. 3 DSGVO „nur die praktischen Modalitäten für die Erfüllung der aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO folgenden Auskunftspflichtfestlegt. Art. 15 DSGVO kann deshalb gerade nicht so ausgelegt werden, dass er in seinem Abs. 3 S. 1 ein anderes Recht als das in Abs. 1 vorgesehene gewährt“ (vgl. EuGH, Urteil vom 04.05.2023 – C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 31 f.). Nach dieser Entscheidung ist auch die Frage geklärt, ob ein auf Überlassung einer Datenkopie gem. Art. 15 Abs. 3 DSGVO gerichteter Antrag erkennen lassen muss, von welchen personenbezogenen Daten eine Kopie verlangt wird. Ein Anspruchsteller, der zu einer genaueren Bezeichnung außerstande ist, ist deswegen auch nicht gehalten, im Wege der Stufenklage zunächst eine Auskunft darüber zu verlangen, welche personenbezogenen Daten der Anspruchsgegner verarbeitet, um auf dieser Grundlage sodann einen Antrag auf Überlassung einer Kopie der sich aus der Auskunft ergebenden Daten stellen zu können (so noch vor der Entscheidung des EuGH das Bundesarbeitsgericht, vgl. BAG, Urteil vom 16.12.2021 – 2 AZR 235/21, NZA 2022, 362 Rn. 33; Urteil vom 27.04.2021 – 2 AZR 342/20, BAGE 174, 351 Rn. 20 f. = NZA 2021, 1053; kritisch dazu bereits Lembke/Fischels, NZA 2022, 513 (519 f.)). Art. 15 DSGVO enthält vielmehr nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH einen einheitlichen Auskunftsanspruch (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 18, beck-online). Der Kläger hatte sich zudem auch bereits erstinstanzlich auf sein Recht auf Überlassung einer Kopie berufen. Dieser einheitliche Anspruch muss grundsätzlich ohne eine Spezifizierung der personenbezogenen Daten – wie hier – einheitlich geltend gemacht werden können (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 18, beck-online). Da der Anspruch auf eine unvertretbare Handlung gerichtet ist, ist er nach § 888 ZPO zu vollstrecken (vgl. Lembke/Fischels, NZA 2022, 513 (520)). Erteilt ein zur Auskunftserteilung verurteilter Schuldner (weitere) Auskünfte und stellt dem Gläubiger Datenkopien zur Verfügung, muss gegebenenfalls im Vollstreckungsverfahren geprüft werden, ob der titulierte Auskunftsanspruch dadurch dann endgültig erfüllt worden ist. Daraus möglicherweise resultierende Schwierigkeiten sind keine datenschutzrechtliche Besonderheit, sondern können in ähnlicher Form auch bei anderen Auskunftsansprüchen auftreten (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 18, beck-online).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

AG München: Unterlassungsanspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Wildüberwachungskamera auf Nachbargrundstück wenn Kamera auch Grundstück des Betroffenen filmt

AG München
Urteil vom 01.02.2023
171 C 11188/22


Das AG München hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung besteht, wenn eine Wildüberwachungskamera auf dem Nachbargrundstück auch das Grundstück des Betroffenen filmt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Streit um Kamera auf Nachbargrundstück
In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und bestätigte mit Urteil vom 01.02.2023 eine einstweilige Verfügung, wonach der Antragsgegnerin dies untersagt wurde.

Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u.a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.

Am 12.08.2022 erließ das Amtsgericht München im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es der Antragsgegnerin untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.

Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das Amtsgericht München mit Urteil vom 01.02.2023 die einstweilige Verfügung und begründete dies wie folgt:

„Die vormals aufgestellte Kamera hat die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Die Antragstellerseite verweist insoweit mit Erfolg auf die Entscheidung des BGH vom 16.03.2010 (VI ZR 176/09). Das Gericht darf eine Passage aus dieser Entscheidung zitieren:

„Nach Ansicht des erkennenden Senats kommt es insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie auf Grund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit (vgl. OLG Köln, NJW 2009, 1827 = NZM 2009, 600) oder auf Grund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon auf Grund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. […].“

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs hatte die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder ist das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.

Weiterhin fehlte es auch nicht an einem Verfügungsgrund. Das Gericht schließt sich insoweit der überzeugenden Argumentation der Antragstellerseite an. Die Antragstellerin hatte sich von Anfang an gegen die Kamera zur Wehr gesetzt und die Antragsgegnerin war über diesen Umstand informiert.

Der Sachverhalt hat sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden ist. Weiterhin hat die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand alleine kann aber nicht ausreichen, die indizierte Wiederholungsgefahr aufzuheben.“

Urteil des Amtsgerichts München vom 01.02.2023
Aktenzeichen des AG München: 171 C 11188/22
Das Urteil ist rechtskräftig.



EuGH: Befürchtung eines möglichen Missbrauchs personenbezogener Daten nach Cyberangriff / Hackerattacke kann Anspruch auf immateriellen Schadensersatz gemäß Art. 82 DSGVO begründen

EuGH
Urteil vom 14.12.2023
C-340/21
Natsionalna agentsia za prihodite


Der EuGH hat entschieden, dass schon die bloße Befürchtung eines möglichen Missbrauchs personenbezogener Daten nach einem Cyberangriff / einer Hackerattacke einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz gemäß Art. 82 DSGVO begründen kann.

Tenor der Entscheidung:
1. Die Art. 24 und 32 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz- rundverordnung) sind dahin auszulegen, dass eine unbefugte Offenlegung von bzw. ein unbefugter Zugang zu personenbezogenen Daten durch „Dritte“ im Sinne von Art. 4 Nr. 10 dieser Verordnung allein nicht ausreicht, um anzunehmen, dass die technischen und organisatorischen Maßnahmen, die der für die betreffende Verarbeitung Verantwortliche getroffen hat, nicht „geeignet“ im Sinne der Art. 24 und 32 dieser Verordnung waren.

2. Art. 32 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass die Geeignetheit der vom Verantwortlichen nach diesem Artikel getroffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen von den nationalen Gerichten konkret zu beurteilen ist, wobei die mit der betreffenden Verarbeitung verbundenen Risiken zu berücksichtigen sind und zu beurteilen ist, ob Art, Inhalt und Umsetzung dieser Maßnahmen diesen Risiken angemessen sind.

3. Der in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 2016/679 formulierte und in Art. 24 dieser Verordnung konkretisierte Grundsatz der Rechenschaftspflicht des Verantwortlichen ist dahin auszulegen, dass im Rahmen einer auf Art. 82 der Verordnung gestützten Schadenersatzklage der für die betreffende Verarbeitung Verantwortliche die Beweislast dafür trägt, dass die von ihm getroffenen Sicherheitsmaßnahmen im Sinne von Art. 32 dieser Verordnung geeignet waren.

4. Art. 32 der Verordnung 2016/679 und der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz sind dahin auszulegen, dass für die Beurteilung der Geeignetheit der Sicherheitsmaßnahmen, die der Verantwortliche nach diesem Artikel getroffen hat, ein gerichtliches Sachverständigengutachten kein generell notwendiges und ausreichendes Beweismittel sein kann.

5. Art. 82 Abs. 3 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass der Verantwortliche von seiner nach Art. 82 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung bestehenden Pflicht zum Ersatz des einer Person entstandenen Schadens nicht allein deshalb befreit werden kann, weil dieser Schaden die Folge einer unbefugten Offenlegung von bzw. eines unbefugten Zugangs zu personenbezogenen Daten durch „Dritte“ im Sinne von Art. 4 Nr. 10 dieser Verordnung ist, wobei der Verantwortliche dann nachweisen muss, dass er in keinerlei Hinsicht für den Umstand, durch den der betreffende Schaden eingetreten ist, verantwortlich ist.

6. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass allein der Umstand, dass eine betroffene Person infolge eines Verstoßes gegen diese Verordnung befürchtet, dass ihre personenbezogenen Daten durch Dritte missbräuchlich verwendet werden könnten, einen „immateriellen Schaden“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann.

Pressemitteilung des EuGH:
Cyberkriminalität: Die Befürchtung eines möglichen Missbrauchs personenbezogener Daten kann für sich genommen einen immateriellen Schaden darstellen

Die bulgarische Nationale Agentur für Einnahmen (NAP) ist dem bulgarischen Finanzminister unterstellt. Sie ist u. a. mit der Feststellung, Sicherung und Einziehung öffentlicher Forderungen betraut. In diesem Rahmen ist sie für die Verarbeitung personenbezogener Daten verantwortlich. Am 15. Juli 2019 wurde in den Medien darüber berichtet, dass in das IT-System der NAP eingedrungen worden sei und infolge dieses Cyberangriffs in diesem System enthaltene personenbezogene Daten von Millionen von Menschen im Internet veröffentlicht worden seien. Zahlreiche Personen verklagten die NAP auf Ersatz des immateriellen Schadens, der ihnen aus der Befürchtung eines möglichen Missbrauchs ihrer Daten entstanden sein soll.

Das bulgarische Oberste Verwaltungsgericht legt dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zur Vorabentscheidung vori . Es möchte klären lassen, unter welchen Bedingungen eine Person, deren personenbezogene Daten, die sich im Besitz einer öffentlichen Agentur befinden, nach einem Angriff von Cyberkriminellen im Internet veröffentlicht wurden, Ersatz des immateriellen Schadens verlangen kann.

In seinem Urteil antwortet der Gerichtshof wie folgt:

1. Im Fall der unbefugten Offenlegung von bzw. des unbefugten Zugangs zu personenbezogenen Daten können die Gerichte aus diesem Umstand allein nicht ableiten, dass die Schutzmaßnahmen, die der für die Datenverarbeitung Verantwortliche ergriffen hat, nicht geeignet waren. Die Gerichte müssen die Geeignetheit dieser Maßnahmen konkret beurteilen.

2. Der Verantwortliche trägt die Beweislast dafür, dass die getroffenen Schutzmaßnahmen geeignet waren.

3. Im Fall der unbefugten Offenlegung von bzw. des unbefugten Zugangs zu personenbezogenen Daten durch „Dritte“ (wie Cyberkriminelle) kann der Verantwortliche gegenüber den Personen, denen ein Schaden entstanden ist, ersatzpflichtig sein, es sei denn, er weist nach, dass er in keinerlei Hinsicht für den Schaden verantwortlich ist.

4. Allein der Umstand, dass eine betroffene Person infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO befürchtet, dass ihre personenbezogenen Daten durch Dritte missbräuchlich verwendet werden könnten, kann einen „immateriellen Schaden“ darstellen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Karlsruhe: Für immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO bei einem Datenleck muss ein konkreter kausaler Schaden als Folge der Rechtsverletzung nachgewiesen werden

OLG Karlsruhe
Urteil vom 07.11.2023
19 U 23/23


Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass für einen immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO bei einem Datenleck ein konkreter kausaler Schaden als Folge der Rechtsverletzung nachgewiesen werden muss.

Leitsätze des Gerichts:
1. Im Fall einer geltend gemachten Verletzung der Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 7 GRCh und auf Schutz personenbezogener Daten aus Art. 8 GRCh reicht bereits die Möglichkeit des Eintritts eines Schadens für die Annahme eines Feststellungsinteresses aus.

2. Das Vorliegen eines „Verstoßes gegen diese Verordnung“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO erfordert nicht mehr als die „unbefugte Offenlegung“ von oder den „unbefugten Zugang“ zu personenbezogenen Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 12 DSGVO.

3. Ein potentieller oder hypothetischer Schaden oder die bloße Beunruhigung wegen des Diebstahls der eigenen personenbezogenen Daten reicht für das Vorliegen eines immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DS-GVO nicht aus.

4. Stellt sich der geltend gemachte immaterielle Schaden als Folge der Rechtsgutsverletzung in Gestalt der Verletzung der Grundrechte der betroffenen Person auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 7 GRCh und auf Schutz personenbezogener Daten aus Art. 8 GRCh dar (Sekundärschaden), ist das Beweismaß des § 287 ZPO anzuwenden.

5. Die betroffene Person muss nachweisen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die Verordnung im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO und dem ihr entstandenen Schaden besteht.

6. Gem. Art. 82 Abs. 3 DSGVO reicht jedes fahrlässige (Mit-)Verschulden oder Versehen des Verantwortlichen aus, um die Anwendung der Befreiung auszuschließen. Dabei stellt indes nicht schon das Vorliegen einer Systemverletzung einen Beweis dafür dar, dass die von der verantwortlichen Person ergriffenen Maßnahmen nicht im Sinne von Art. 32 DSGVO geeignet waren.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Längere Speicherung der Restschuldbefreiung als das öffentliche Insolvenzregister durch SCHUFA verstößt gegen DSGVO

EuGH
Urteil vom 07.12.2023
den verbundenen Rechtssachen
C-26/22 und C-64/22
SCHUFA Holding u. a. (Restschuldbefreiung)


Der EuGH hat entschieden, dass längere Speicherung der Restschuldbefreiung als das öffentliche Insolvenzregister (6 Monate) durch SCHUFA gegen die Vorgaben der DSGVO verstößt.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 78 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass ein rechtsverbindlicher Beschluss einer Aufsichtsbehörde einer vollständigen inhaltlichen Überprüfung durch ein Gericht unterliegt.

2. Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2016/679 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass er einer Praxis privater Wirtschaftsauskunfteien entgegensteht, die darin besteht, in ihren eigenen Datenbanken aus einem öffentlichen Register stammende Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung zugunsten natürlicher Personen zum Zweck der Lieferung von Auskünften über die Kreditwürdigkeit dieser Personen für einen Zeitraum zu speichern, der über die Speicherdauer der Daten im öffentlichen Register hinausgeht.

3. Art. 17 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass die betroffene Person das Recht hat, vom Verantwortlichen die unverzügliche Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten zu verlangen, wenn sie gemäß Art. 21 Abs. 1 dieser Verordnung Widerspruch gegen die Verarbeitung einlegt und keine zwingenden schutzwürdigen Gründe vorliegen, die ausnahmsweise die betreffende Verarbeitung rechtfertigen.

4. Art. 17 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass der Verantwortliche verpflichtet ist, personenbezogene Daten, die unrechtmäßig verarbeitet wurden, unverzüglich zu löschen.

Aus der Pressemitteilung des EuGH:
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) steht zwei Datenverarbeitungspraktiken von Wirtschaftsauskunfteien entgegen

Während das „Scoring“ nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, steht die längere Speicherung von Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung im Widerspruch zur DSGVO.

Mehrere Bürger fochten vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden Bescheide des zuständigen Datenschutzbeauftragten an, mit denen er sich weigerte, gegen bestimmte Tätigkeiten der SCHUFA, einer privaten Wirtschaftsauskunftei, vorzugehen, zu deren Kunden insbesondere Banken zählen. Sie wandten sich konkret gegen das „Scoring“ sowie gegen die Speicherung von aus öffentlichen Registern übernommenen Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung.

[...]

In Bezug auf die Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung entscheidet der Gerichtshof, dass es im Widerspruch zur DSGVO steht, wenn private Auskunfteien solche Daten länger speichern als das öffentliche Insolvenzregister. Die erteilte Restschuldbefreiung soll nämlich der betroffenen Person ermöglichen, sich erneut am Wirtschaftsleben zu beteiligen, und hat daher für sie existenzielle Bedeutung. Diese Informationen werden bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit der betroffenen Person stets als negativer Faktor verwendet. Im vorliegenden Fall hat der deutsche Gesetzgeber eine sechsmonatige Speicherung der Daten vorgesehen. Er geht daher davon aus, dass nach Ablauf der sechs Monate die Rechte und Interessen der betroffenen Person diejenigen der Öffentlichkeit, über diese Information zu verfügen, überwiegen.

Soweit die Speicherung der Daten nicht rechtmäßig ist, wie dies nach Ablauf der sechs Monate der Fall ist, hat die betroffene Person das Recht auf Löschung dieser Daten, und die Auskunftei ist verpflichtet, sie unverzüglich zu löschen.

Was die parallele Speicherung solcher Informationen durch die SCHUFA während dieser sechs Monate angeht, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die in Rede stehenden Interessen gegeneinander abzuwägen, um die Rechtmäßigkeit dieser Speicherung zu beurteilen. Sollte es zu dem Ergebnis kommen, dass die parallele Speicherung während der sechs Monate rechtmäßig ist, hat die betroffene Person dennoch das Recht, Widerspruch gegen die Verarbeitung ihrer Daten einzulegen, sowie das Recht auf deren Löschung, es sei denn, die SCHUFA weist das Vorliegen zwingender schutzwürdiger Gründe nach. Schließlich betont der Gerichtshof, dass die nationalen Gerichte jeden rechtsverbindlichen Beschluss einer Aufsichtsbehörde einer vollständigen inhaltlichen Überprüfung unterziehen können müssen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: SCHUFA-Scoring ist eine "automatisierte Entscheidung im Einzelfall" und damit Profiling im Sinne der DSGVO soweit Score maßgeblich für Kreditgewährung oder Vertragsschluss ist

EuGH
Urteil vom 07.12.2023
C-634/21
SCHUFA Holding (Scoring)


Der EuGH hat entschieden, dass das SCHUFA-Scoring eine "automatisierte Entscheidung im Einzelfall" und damit Profiling im Sinne der DSGVO ist, soweit der Score maßgeblich für Kreditgewährung oder Vertragsschluss ist.

Tenor der Entscheidung:
Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass eine „automatisierte Entscheidung im Einzelfall“ im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, wenn ein auf personenbezogene Daten zu einer Person gestützter Wahrscheinlichkeitswert in Bezug auf deren Fähigkeit zur Erfüllung künftiger Zahlungsverpflichtungen durch eine Wirtschaftsauskunftei automatisiert erstellt wird, sofern von diesem Wahrscheinlichkeitswert maßgeblich abhängt, ob ein Dritter, dem dieser Wahrscheinlichkeitswert übermittelt wird, ein Vertragsverhältnis mit dieser Person begründet, durchführt oder beendet.

Aus der Pressemitteilung des EuGH:
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) steht zwei Datenverarbeitungspraktiken von Wirtschaftsauskunfteien entgegen

Während das „Scoring“ nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, steht die längere Speicherung von Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung im Widerspruch zur DSGVO.

Mehrere Bürger fochten vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden Bescheide des zuständigen Datenschutzbeauftragten an, mit denen er sich weigerte, gegen bestimmte Tätigkeiten der SCHUFA, einer privaten Wirtschaftsauskunftei, vorzugehen, zu deren Kunden insbesondere Banken zählen. Sie wandten sich konkret gegen das „Scoring“ sowie gegen die Speicherung von aus öffentlichen Registern übernommenen Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung.

Das „Scoring“ ist ein mathematisch-statistisches Verfahren, das es ermöglicht, die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Verhaltens, wie etwa die Rückzahlung eines Kredits, vorauszusagen. Die Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung werden im deutschen öffentlichen Insolvenzregister sechs Monate lang gespeichert, während Verhaltensregeln der deutschen Wirtschaftsauskunfteien für ihre eigenen Datenbanken eine Speicherdauer von drei Jahren vorsehen. Das Verwaltungsgericht ersucht den Gerichtshof, den Umfang des Schutzes der personenbezogenen Daten, wie er von der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)1 vorgesehen ist, näher zu erläutern.

Der Gerichtshof entscheidet, dass das „Scoring“ als eine von der DSGVO grundsätzlich verbotene „automatisierte Entscheidung im Einzelfall“ anzusehen ist, sofern die Kunden der SCHUFA, wie beispielsweise Banken, ihm eine maßgebliche Rolle im Rahmen der Kreditgewährung beimessen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wiesbaden ist dies der Fall. Es obliegt diesem Gericht zu beurteilen, ob das deutsche Bundesdatenschutzgesetz im Einklang mit der DSGVO eine gültige Ausnahme von diesem Verbot enthält. Trifft dies zu, wird das Gericht außerdem zu prüfen haben, ob die in der DSGVO vorgesehenen allgemeinen Voraussetzungen für die Datenverarbeitung erfüllt sind. [...]


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: DSGVO-Geldbuße gegen Unternehmen durch Datenschutzbehörde setzt schuldhaften Verstoß voraus - Höhe richtet sich nach dem Jahresumsatz des Konzerns

EuGH
Urteil vom 05.12.2023, C-683/21 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


Der EuGH hat entschieden, dass eine Geldbuße gegen ein Unternehmen durch die Datenschutzbehörde wegen eines DSGVO-Verstoßes einen schuldhaften Verstoß voraussetzt. Die Höhe richtet sich bei Unternehmen, die einem Konzern angehören, nach dem Jahresumsatz des Konzerns.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Nur ein schuldhafter Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung kann zur Verhängung einer Geldbuße führen

Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, bemisst sich die Geldbuße nach dem Jahresumsatz des Konzerns

Der Gerichtshof präzisiert die Voraussetzungen, unter denen die nationalen Aufsichtsbehörden eine Geldbuße gegen einen oder mehrere für die Datenverarbeitung Verantwortliche wegen Verstoßes gegen die DatenschutzGrundverordnung (DSGVO) verhängen können. Insbesondere stellt er fest, dass die Verhängung einer solchen Geldbuße ein schuldhaftes Verhalten voraussetzt, der Verstoß also vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sein muss. Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, ist bei der Berechnung der Geldbuße auf den Umsatz des Konzerns abzustellen

Ein litauisches und ein deutsches Gericht haben den Gerichtshof ersucht, die Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO)1 auszulegen, und zwar im Hinblick auf die Möglichkeit nationaler Aufsichtsbehörden, Verstöße gegen diese Verordnung durch Verhängung einer Geldbuße gegen den für die Datenverarbeitung Verantwortlichen zu ahnden.

Im litauischen Fall wendet sich das Nationale Zentrum für öffentliche Gesundheit beim Gesundheitsministerium gegen eine Geldbuße in Höhe von 12 000 Euro, die ihm im Zusammenhang mit der Entwicklung (mit Unterstützung durch ein privates Unternehmen) einer mobilen Anwendung auferlegt wurde, die der Erfassung und Überwachung der Daten der dem Covid-19-Virus ausgesetzten Personen dienen sollte.

Im deutschen Fall wendet sich das Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen, das mittelbar rund 163 000 Wohneinheiten und 3 000 Gewerbeeinheiten hält, u. a. gegen eine Geldbuße von über 14 Mio. Euro, die ihm auferlegt wurde, weil es personenbezogene Daten von Mietern länger als erforderlich speicherte.

Der Gerichtshof entscheidet, dass gegen einen für die Datenverarbeitung Verantwortlichen nur dann eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen die DSGVO verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß schuldhaft – also vorsätzlich oder fahrlässig – begangen wurde. Dies ist dann der Fall, wenn sich der Verantwortliche über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht im Unklaren sein konnte, gleichviel, ob ihm dabei bewusst war, dass es gegen die Bestimmungen der DSGVO verstößt.

Handelt es sich bei dem Verantwortlichen um eine juristische Person, ist es nicht erforderlich, dass der Verstoß von ihrem Leitungsorgan begangen wurde oder dieses Organ Kenntnis davon hatte. Vielmehr haftet eine juristische Person sowohl für Verstöße, die von ihren Vertretern, Leitungspersonen oder Geschäftsführern begangen werden, als auch für Verstöße, die von jeder sonstigen Person begangen werden, die im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit in ihrem Namen handelt. Die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person als Verantwortliche darf nicht der Voraussetzung unterliegen, dass zuvor festgestellt wurde, dass der Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde.

Außerdem kann gegen einen Verantwortlichen eine Geldbuße auch für Verarbeitungsvorgänge verhängt werden, die von einem Auftragsverarbeiter durchgeführt wurden, sofern diese Vorgänge dem Verantwortlichen zugerechnet werden können.

Zur gemeinsamen Verantwortlichkeit von zwei oder mehr Einrichtungen führt der Gerichtshof aus, dass diese sich allein daraus ergibt, dass die Einrichtungen an der Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung mitgewirkt haben. Die Einstufung als „gemeinsam Verantwortliche“ setzt keine förmliche Vereinbarung zwischen den betreffenden Einrichtungen voraus. Eine gemeinsame Entscheidung oder übereinstimmende Entscheidungen reichen aus. Handelt es sich jedoch tatsächlich um gemeinsam Verantwortliche, müssen diese in einer Vereinbarung ihre jeweiligen Pflichten festlegen.

Schließlich muss sich die Aufsichtsbehörde bei der Bemessung der Geldbuße, wenn der Adressat ein Unternehmen ist oder zu einem Unternehmen gehört, auf den wettbewerbsrechtlichen Begriff „Unternehmen“ stützen. Der Höchstbetrag der Geldbuße ist daher auf der Grundlage eines Prozentsatzes des gesamten Jahresumsatzes zu berechnen, den das betreffende Unternehmen als Ganzes im vorangegangenen Geschäftsjahr weltweit erzielt hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-683/12 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


VG Berlin: Kein Auskunftsanspruch nach Art 15 DSGVO hinsichtlich im Rahmen der Videoüberwachung in S-Bahnen gewonnenen Aufzeichnungen da Aufwand unverhältnismäßig

VG Berlin
Urteil vom 12.10.2023
1 K 561/21


Das VG Berlin hat entschieden, kein Auskunftsanspruch nach Art 15 DSGVO hinsichtlich im Rahmen der Videoüberwachung in S-Bahnen gewonnenen Aufzeichnungen besteht, da der Aufwand unverhältnismäßig wäre.

Aus den Entscheidungsgründen:
Letztlich kann jedoch offenbleiben, ob die im Rahmen der Videoüberwachung in den S-Bahnen der Klägerin gewonnenen Aufzeichnungen – allgemein bzw. im vorliegenden Sachverhalt – personenbezogene Daten darstellen. Denn der Beigeladene hatte, unter keinem Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zurverfügungstellung einer Kopie der Videoaufzeichnungen.

Der insoweit nach dem allgemeinen Günstigkeitsprinzip (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27. November 1980 - 2 C 38.79, juris Rn. 39) darlegungsbelastete Beigeladene hat schon nicht nachgewiesen, dass – was von der zuvor aufgeworfenen Frage des Personenbezugs der Daten zu unterscheiden ist – er tatsächlich die „betroffene Person“ i.S.d. Art. 15 DSGVO ist, deren Bilddaten zu dem von ihm angegebenen Zeitraum in dem von ihm benannten Zug der Klägerin gespeichert wurden. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass, um die Herausgabe an unberechtigte Dritte ausschließen zu können, eine zweifelsfreie Übereinstimmung der Person des Auskunftsbegehrenden mit der Person des auf den Videos Abgebildeten gewährleistet werden muss. Hierfür reichen aber allein Angaben, wie der Beigeladenen sie gemacht hat (Zeitraum der Beförderung, Zugnummer, äußeres Erscheinungsbild und Verhaltensweise der Person) nicht aus. Denn es erscheint beispielsweise denkbar, dass ein Antragsteller derartige Angaben zu einer anderen Person macht, die ihm etwa deshalb bekannt sind, weil er mit ihr zusammen in einem der Züge der Klägerin gefahren ist, um so an die Videoaufzeichnungen dieser Person zu gelangen. Unabhängig von der Frage, ob überhaupt – und wenn ja auf welche Art und Weise – verlässlich die Identität eines Antragstellers mit einer im Rahmen der Videoaufzeichnung erfassten Person überprüft werden könnte, erscheint dies im vorliegenden Fall ferner schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beigeladene seinen eigenen Angaben zufolge anlässlich der Zugfahrt eine Mund-Nasen-Bedeckung trug und seine Gesichtszüge daher nicht erkennbar waren. Auf die von den Beteiligten in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, ob aus Art. 11 DSGVO abgeleitet werden kann, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, weitere Anstrengungen zu unternehmen, um einen Auskunftsbegehrenden auf den Videoaufzeichnungen zu identifizieren, kommt es damit nicht mehr an.

Hinzu kommt, dass der Klägerin die Auskunftserteilung auch wegen eines dafür zu treibenden unverhältnismäßigen Aufwandes nicht zumutbar war. Hierzu hat das Amtsgericht Pankow in einem Verfahren, in dem der Beigeladene die Klägerin, gestützt auf Art. 82 DSGVO, wegen der Zurückweisung eines weiteren Auskunftsbegehrens auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen hat, Folgendes ausgeführt (Urteil vom 28. März 2022 - 4 C 199/21, juris):

„Hinsichtlich des hierauf basierenden Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO ist der Beklagten das Erfüllen dieses Auskunftsanspruchs jedoch aufgrund unverhältnismäßigen Aufwands unzumutbar gemäß § 275 Abs. 2 BGB (vgl. Gola/Franck, DS-GVO, Kommentar, 1. Aufl. 2017, Art. 15, Rn. 30). Aufgrund des Ausnahmecharakters von § 275 Abs. 2 BGB und aufgrund der zentralen Bedeutung des Auskunftsanspruchs gemäß Art. 15 DSGVO sind strenge Maßstäbe an die Unverhältnismäßigkeit eines Auskunftsbegehrens anzulegen. Insbesondere besteht ein Verweigerungsrecht nur bei einem groben Missverhältnis zwischen Aufwand und Leistungsinteresse.

Ein solch grobes Missverhältnis besteht jedoch hier. Denn das Transparenzinteresse des Klägers ist äußerst gering. Insbesondere war er sich des Ob, Wie und Was der Datenverarbeitung bewusst (vgl. Gola/Franck, DS-GVO, Kommentar, 1. Aufl. 2017, Art. 15, Rn. 2). Der Kläger wusste genau, dass und in welchem Umfang personenbezogene Daten erhoben werden. Der Normzweck von Art. 15 DSGVO - das Bewusstwerden über die Datenverarbeitung - war daher weitestgehend schon erfüllt. Der hier vorliegende Sachverhalt ist gerade nicht einer Situation vergleichbar, bei der sich ein Auskunftsbegehrender einen Überblick über verarbeitete personenbezogene Daten verschaffen will, die gegebenenfalls länger in der Vergangenheit zurücklegen, oder bei den Daten zu unterschiedlichen Anlässen verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung durch die Beklagte ist von vornherein auf 48 Stunden zeitlich und örtlich auf die Züge der Beklagten begrenzt. Dem Kläger und jedem anderen Dritten ist es zumutbar, sich innerhalb des kurzen Zeitraums von 48 Stunden zu erinnern, wann eine Dienstleistung der Beklagten in Anspruch genommen wurde und wann entsprechend eine Verarbeitung personenbezogener Daten stattgefunden hat. Mit Blick auf den sehr kurzen Zeitraum ist der vom Kläger beklagte Kontrollverlust nicht erkennbar. Wie der Kläger selbst darlegt, wurde er zudem von der Beklagten auch über sämtliche von Art. 15 Abs. 1 lit. a - h DSGVO erfassten Aspekte der Datenverarbeitung, einschließlich Verarbeitungszweck, Dauer der Verarbeitung und Beschwerderecht informiert. Auch insoweit ist der Normzweck von Art. 15 DSGVO der Vergewisserung über "Existenz, Zwecke, Absichten und Rechtsfolgen" der Datenverarbeitung erfüllt (vgl. Paal/Pauly Datenschutzgrundverordnung, Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl. 2021, Art. 15 Rn. 3). Welches darüber hinausgehende Interesse der Kläger an der konkreten Gestalt der Videoaufzeichnung hat, hat er nicht hinreichend dargelegt und erschließt sich nicht. Denn für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Videoaufzeichnung als einen wesentlichen Zweck von Art. 15 DSGVO bedarf der Kläger der konkreten Gestalt der Videoaufzeichnung nicht. Unabhängig von der konkreten Auflösung der Videoaufzeichnung oder der möglichen Erfassung von biometrischen Daten, steht der Eingriffscharakter der Aufzeichnung im Wesentlichen fest. Entsprechend gering ist das von Art. 15 DSGVO geschützte Vergewisserungsinteresse des Klägers.

Demgegenüber hat die Beklagte substantiiert dargelegt, dass die Erfüllung des Auskunftsanspruchs durch Verhinderung der automatischen Löschung und anschließenden Auskunft an den Kläger einen erheblichen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft bedeutet. Dass ein solcher Aufwand einem Auskunftsbegehren entgegenstehen kann, ist europarechtlich anerkannt (vgl. EuGH, Urteil v. 19.10.2016 C-582/14). Zum einen verfügt die Beklagte über keine Software zur Gesichtserkennung. Entsprechend komplex wäre es für die Beklagte, den Kläger aufgrund seiner Angaben zu identifizieren. Die Beklagte hat insoweit substantiiert vorgetragen, dass erhebliche Ressourcen zur Identifizierung von Personen nötig wären und dass die datenschutzgerechte Entnahme der Kassetten aufgrund von Anreisezeiten zu den Zügen und Sicherheitsvorkehrungen aufwendig sind. Zum anderen würde die Auskunft an den Kläger erfordern, dass die Beklagte ihre Betriebsvereinbarung mit Hinblick auf die Auswertung der Speicherkassetten anpasst und diese selbst auswertet, bzw. Dritte hiermit beauftragt. Eine Anpassung ihrer Prozesse, zum Beispiel durch die Anschaffung einer Software zur automatisierten Gesichtserkennung oder über eine zentrale Speicherung der Videoaufzeichnungen, bedeuten jedoch ebenso einen erheblichen Aufwand und begegnen darüber hinaus erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken. Die Beklagte hat insoweit dargelegt, dass ihre dezentralisierten Verarbeitungsprozesse gerade dem Datenschutz dienen. Wäre sie zu einer längeren Speicherung aufgrund des Verlangens des Klägers verpflichtet, wären notwendig auch die durch Art. 15 Abs. 4 DSGVO geschützten Interessen von Dritten betroffen. Aufgrund der datenschutzrechtlichen Verpflichtung der Beklagten gegenüber Dritten ist diese Drittbetroffenheit auch im Rahmen der gemäß § 275 Abs. 2 BGB erforderlichen Prüfung des Äquivalenzinteresses von Kläger und Beklagten zu berücksichtigen. Denn selbst wenn die Verpixelung oder anderweitige Unkenntlichmachung von Dritten technisch möglich ist, dürfte diese Identifizierung und Unkenntlichmachung regelmäßig nicht zuverlässig innerhalb von 48 Stunden, gegebenenfalls in sogar noch kürzeren Zeiträumen zu leisten sein. Daher würden bei einer längeren Speicherung nach einem Auskunftsersuchen notwendig die Datenschutzrechte von Dritten beeinträchtigt. Der Kläger verkennt insoweit, dass die von ihm begehrte Auskunft die strengen Löschfristen von § 20 Abs. 5 Bln DSG i. v. m. Art 17 DSGVO gegenüber Dritten und hiermit ein zentrales normatives datenschutzrechtliches Anliegen aufzuweichen droht. Aufgrund dessen tritt mit Blick auf den erheblichen Ressourcenaufwand der Beklagten, sowie Datenschutzrechten von Dritten, der begrenzte Erkenntnisgewinn des Klägers an der konkreten Gestalt der Videoaufzeichnung zurück, weswegen von einem groben Missverhältnis zwischen Leistungsinteresse und Aufwand gemäß § 275 Abs. 2 BGB auszugehen ist.

Es kann insoweit dahinstehen, ob ein Verweigerungsrecht der Beklagten auch aus einer analogen Anwendung von Art. 14 Abs. 5 DSGVO folgt. Ebenso kann dahinstehen, ob die vom Kläger begehrte längere Speicherung der personenbezogenen Daten und anschließender Auskunft hierüber bereits wegen eines Verstoßes gegen § 20 Abs. 5 Bln DSG rechtlich unmöglich ist, § 275 Abs. 1 BGB.“


Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an. Zwar ist in Art. 15 DSGVO keine ausdrückliche Ausnahme wegen unverhältnismäßigen Aufwands vorgesehen. Der durch das Amtsgericht herangezogene § 275 Abs. 2 BGB beinhaltet jedoch einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch in Erwägungsgrund 62 der DSGVO zum Ausdruck kommt. Danach darf eine Leistung verweigert werden, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Gebots von Treu und Glauben, das nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO über dem gesamten Verarbeitungsvorgang steht, in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers steht (vgl. Franck in: Gola/Heckmann, DSGVO - BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 15 Rn. 51 m.w.N.). Insoweit hat das Amtsgericht deutlich gemacht, dass zwar der Einwand der Klägerin, es sei nicht erkennbar, welchen Zweck der Beigeladene mit seinem Auskunftsanspruch verfolge, nicht unmittelbar verfängt, dass aber jedenfalls mittelbar das offenkundig nur geringe Informationsinteresse des Beigeladenen bei der vorzunehmenden Abwägung zu seinen Lasten zu berücksichtigen ist. Dies gilt gleichermaßen für die durch das Amtsgericht betonte Kollision des vom Beigeladenen geltend gemachten Anspruches mit der nach § 20 Abs. 5 BlnDSG gesetzlich vorgesehenen automatischen Löschung der Daten, die dem Schutz der Interessen aller anderen durch die Videoüberwachung erfassten Personen dient. Dieser ließe sich durch eine Unkenntlichmachung ihrer Gesichter nicht im gleichen Maße gewährleisten wie durch eine vorbehaltlose Löschung der gespeicherten Daten. Diese Unkenntlichmachung wäre, neben dem größeren datenschutzrechtlichen Risiko des Missbrauchs im Vergleich zu einer Löschung, zudem mit einigem Aufwand verbunden.

Schon aus diesem Grund bestand auch kein Anspruch des Beigeladenen auf Verhinderung der automatischen Löschung der Daten. Weder die Regelung in Art. 17 Abs. 3 lit.b) DSGVO noch die Rechte aus Art. 18 Abs. 1 lit. c) DSGVO standen dem entgegen, weil mit den dort angeführten rechtlichen Verpflichtungen der Klägerin bzw. den Rechtsansprüchen des Beigeladenen nicht die Auskunftsrechte i.S.d. Art. 15 DSGVO, sondern außerhalb der DSGVO liegende Rechtsansprüche gemeint sind. Hierfür spricht schon in systematischer Hinsicht, dass die genannten Regelungen ansonsten leerliefen, weil die Möglichkeit der zukünftigen Geltendmachung etwaiger Auskunftsansprüche in jedem Fall einer Löschung entgegenstünde. Im Übrigen spricht auch der Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 lit. c) DSGVO gegen die Annahme, dass die Verhinderung der Löschung von Daten verlangt werden darf, nur um einen nach Art. 15 DSGVO bestehenden Auskunftsanspruch über jene Daten zu sichern. Denn danach ist Voraussetzung, dass die Daten zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen „benötigt“ werden – diese also nicht unmittelbar bzw. selbst Gegenstand des geltend gemachten Anspruchs sind.

Letztlich wäre, selbst wenn die Klägerin mit der Verweigerung der Auskunftserteilung gegen die Regelungen der DSGVO verstoßen hätte, die deswegen ausgesprochene Verwarnung deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte das ihr insoweit nach Art. 58 Abs. 2 lit. b) DSGVO eröffnete Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.

Die Beklagte ist hierbei eigenem Bekunden nach davon ausgegangen, dass im Falle der Feststellung eines Datenschutzverstoßes zumindest eine Verwarnung auszusprechen sei, weil dies die mildeste der in Art. 58 Abs. 2 DSGVO vorgesehenen datenschutzrechtlichen Aufsichtsmaßnahmen darstelle. Dabei hat die Beklagte außer Acht gelassen, dass auch Sachverhaltskonstellationen denkbar sind, in denen sich trotz eines festgestellten Datenschutzverstoßes die Aussprache einer Verwarnung – wegen der Geringfügigkeit des Verstoßes auf der einen und den damit auf der anderen Seite für den Adressaten verbundenen Folgen – als unverhältnismäßig darstellen und damit gegen das rechtsstaatliche Übermaßverbot verstoßen würde. Der Beklagten kommt daher nicht nur ein Auswahlermessen hinsichtlich der Frage zu, wie bzw. mit welchem der in Art. 58 DSGVO vorgesehenen Mittel sie auf einen datenschutzrechtlichen Verstoß reagiert, sondern auch ein Entschließungsermessen dahin, ob sie im Einzelfall von einem Einschreiten absieht. Da die Beklagte dieses ihr eröffnete Ermessen im vorliegenden Fall unstreitig nicht ausgeübt hat, ist der Bescheid wegen Ermessensausfalls rechtswidrig. Es kann daher offenbleiben, ob der Bescheid – angesichts der oben aufgezeigten Diskrepanz zwischen dem geringfügigen Informationsinteresse des Beigeladenen einerseits und dem durch die Klägerin für eine Auskunftserteilung zu betreibenden erheblichen Aufwand andererseits – auch wegen Ermessensüberschreitung rechtswidrig ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Wird datenschutzrechtliche Aufsichtsbehörde mittelbar für Betroffenen tätig muss dieser gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Entscheidung haben

EuGH
Urteil vom 16.11.2023
C-333/22
Ligue des droits humains (Prüfung der Datenverarbeitung durch die Aufsichtsbehörde)


Der EuGH hat entschieden, dass dem Betroffenen ein gerichtlicher Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung der datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörde zustehen muss, wenn die Datenschutzbehörde mittelbar die Rechte des Betroffenen wahrgenommen hat.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Verarbeitung personenbezogener Daten: Beschlüsse, die eine Aufsichtsbehörde im Rahmen der mittelbaren Ausübung von Rechten der betroffenen Person erlässt, sind rechtsverbindlich

Die Gründe und Beweise, auf die sie sich stützen, müssen gerichtlich überprüft werden können.

Ein Bürger beantragte zu beruflichen Zwecken bei der belgischen nationalen Sicherheitsbehörde die Erteilung einer Sicherheitsbescheinigung. Das Dokument wurde ihm mit der Begründung verweigert, dass er an Demonstrationen teilgenommen habe. Unter Berufung auf sein Recht auf Auskunft über seine Daten wandte sich der Bürger an das Organ für die Kontrolle polizeilicher Informationen, das ihm mitteilte, dass ihm nur ein mittelbarer Auskunftsanspruch zustehe und es selbst die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung seiner Daten prüfen werde. Im Einklang mit dem belgischen Recht beschränkte sich das Organ nach Abschluss der Prüfung jedoch darauf, dem Bürger zu antworten, dass die erforderlichen Prüfungen durch die Aufsichtsbehörde erfolgt seien. Der Bürger erhob daraufhin Klage vor dem Gericht des ersten Rechtszugs, das sich für sachlich unzuständig erklärte.

Die vom Betroffenen und der Ligue des droits humains angerufene Cour d’appel de Bruxelles (Appellationshof Brüssel, Belgien) möchte vom Gerichtshof wissen, ob das Unionsrecht die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, der von der Verarbeitung ihrer Daten betroffenen Person die Möglichkeit zu geben, den Beschluss der Aufsichtsbehörde anzufechten, wenn diese Behörde die Rechte dieser Person in Bezug auf die Datenverarbeitung ausübt.

Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die zuständige Aufsichtsbehörde dadurch, dass sie die betroffene Person über das Ergebnis der Prüfungen unterrichtet, einen rechtsverbindlichen Beschluss erlässt. Gegen diesen Beschluss muss ein Rechtsbehelf eingelegt werden können, damit der Betroffene die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung durch die Aufsichtsbehörde und die Entscheidung zugunsten bzw. gegen die Ausübung von Abhilfebefugnissen anfechten kann.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Aufsichtsbehörde nach dem Unionsrecht verpflichtet ist, die betroffene Person „zumindest“ darüber zu unterrichten, „dass alle erforderlichen Prüfungen oder eine Überprüfung durch die Aufsichtsbehörde erfolgt sind“, und diese „über ihr Recht auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf“ zu informieren. Wenn die im öffentlichen Interesse liegenden Zwecke dem nicht entgegenstehen, haben die Mitgliedstaaten jedoch vorzusehen, dass die Unterrichtung der betroffenen Person über diese Mindestangaben hinausgehen kann, damit die betroffene Person ihre Rechte verteidigen und entscheiden kann, ob sie das zuständige Gericht anruft.

Außerdem müssen die Mitgliedstaaten in den Fällen, in denen die der betroffenen Person übermittelten Informationen auf das strikte Minimum beschränkt wurden, dafür Sorge tragen, dass das zuständige Gericht bei der Prüfung der Stichhaltigkeit der Rechtfertigungsgründe für eine solche Beschränkung der Informationen die im öffentlichen Interesse liegenden Zwecke (Sicherheit des Staates, Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten) und die Notwendigkeit, den Bürgern die Wahrung ihrer Verfahrensrechte zu gewährleisten, gegeneinander abwägen kann. Im Rahmen dieser gerichtlichen Kontrolle müssen die nationalen Vorschriften es dem Gericht ermöglichen, von den Gründen und Beweisen, auf die die Aufsichtsbehörde den Beschluss gestützt hat, aber auch von den daraus gezogenen Schlüssen Kenntnis zu nehmen.


Tenor der Entscheidung:

1. Art. 17 in Verbindung mit Art. 46 Abs. 1 Buchst. g, Art. 47 Abs. 1 und 2 und Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates sowie in Verbindung mit Art. 8 Abs. 3 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass dass eine Person, wenn ihre Rechte in Anwendung von Art. 17 dieser Richtlinie über die zuständige Aufsichtsbehörde ausgeübt worden sind und diese Behörde sie über das Ergebnis der durchgeführten Prüfungen unterrichtet, über einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen den Beschluss dieser Behörde, das Überprüfungsverfahren abzuschließen, verfügen muss.

2. Die Prüfung der zweiten Frage hat nichts ergeben, was geeignet wäre, die Gültigkeit von Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie (EU) 2016/680 zu berühren.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OVG Schleswig-Holstein: Videoüberwachung von Trainingsfläche, Herrenumkleide und Sitzbereich durch Fitnessstudio unzulässig

OVG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 13.07.2022
4 LA 11/20


Das OVG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass die Videoüberwachung von Trainingsfläche, Herrenumkleide und Sitzbereich durch ein Fitnessstudio unzulässig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Ernstliche Zweifel an der angegriffenen Entscheidung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten zumindest insoweit infrage gestellt werden, dass der Erfolg des Rechtsmittels bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg. Ferner ist darzulegen, dass und aus welchen Gründen das verwaltungsgerichtliche Urteil auf diesen – aus Sicht der Klägerin fehlerhaften – Erwägungen beruht, d. h. die dargestellten Zweifel müssen im konkreten Fall entscheidungserheblich sein (stRspr des Senats, vgl. Beschl. v. 11.03.2021 – 4 LA 241/19 –, juris Rn. 4; Beschl. v. 27.01.2021 – 4 LA 165/19 –, juris Rn. 4 m. w. N.). Dies leistet das Zulassungsvorbringen nicht.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Verfügung des Beklagten vom 19. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Oktober 2017, mit dem er der Klägerin aufgab, es zu unterlassen, den Bereich der Herrenumkleide (Kamera CH-02 und CH-03), den Bereich der Trainingsfläche (Kamera CH-05 und CH-06) sowie den Aufenthaltsbereich und die Sitzgelegenheiten bei der Getränkezapfanlage (Kamera CH-07) während der Öffnungszeiten ihres Fitnessstudios in Pinneberg mittels optisch-elektronischer Einrichtungen zu beobachten und Bildaufzeichnungen anzufertigen, sowie gespeicherte Aufzeichnungen zu vernichten, seine rechtliche Grundlage in „§ 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG a.F.“ finde. Nach dieser Vorschrift habe die Aufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, welche Maßnahmen sie ergreift, um den datenschutzrechtlich gebotenen Schutz personenbezogener Daten sicherzustellen. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung sinngemäß ferner zugrunde gelegt, dass die streitbefangene Anfertigung von Videoaufnahmen in den genannten Bereichen gegen § 4 Abs. 1 BDSG a.F. verstoße, wonach die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur zulässig sei, soweit das Bundesdatenschutzgesetz a.F. oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaube oder anordne oder der Betroffene eingewilligt habe. Bei den Videoaufzeichnungen, die hier der Identifikation der Personen dienten, handele es sich um personenbezogene Daten, die durch die Aufzeichnung verarbeitet und ggf. genutzt würden. Eine Einwilligung der Besucher des Fitnessstudios sei nicht gegeben.

Das Verwaltungsgericht hat des Weiteren ausgeführt, dass die hier in Streit stehende Datenverarbeitung auch nicht gemäß § 6b BDSG a.F. zulässig sei. Danach sei die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur zulässig, soweit sie 1. zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, 2. zur Wahrnehmung des Hausrechts oder 3. zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich sei und keine Anhaltspunkte bestünden, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Die sich daraus ergebenden Voraussetzungen für eine zulässige Videoüberwachung lägen nicht vor. Zwar seien hier schutzwürdige Interessen der Klägerin an der Videoüberwachung tangiert. Für den Bereich der Herrenumkleide bestünden allerdings Anhaltspunkte, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwögen. Hier sei die Intimsphäre der Betroffenen berührt. Dies stelle einen besonders intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Die Kameraüberwachung in Umkleidebereichen sei deshalb grundsätzlich unzulässig, weil sich Betroffene hier zum Teil unbekleidet zeigten und durch Kameraaufnahmen das Schamgefühl in erheblicher Weise berührt werde. Aber auch im Bereich der Trainingsfläche überwögen die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen. Hinsichtlich der Überwachung des Aufenthaltsbereichs habe der Beklagte in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Untersagungsverfügung nicht die Videoüberwachung der Automaten und der Getränkezapfanlage umfasse. Betroffen sei allein die Beobachtung des Aufenthaltsbereichs und der Sitzgelegenheiten. Hier ist von der Klägerin schon kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 6b Abs. 2 BDSG a.F. dargelegt worden.

a) Soweit die Klägerin vorträgt, dass sich nicht erschließe, warum die Videoüberwachung in einem Fitnessstudio unzulässig sein solle, weil man sich dort längere Zeit aufhalte, gleichzeitig aber eine ständige Videoüberwachung in einem Verkehrsmittel des Öffentlichen Personennahverkehrs zulässig sein solle, bleibt unklar, auf welche Prüfungspunkte der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sich dieses Vorbringen bezieht. Weder ordnet die Klägerin diesen Vortrag der Prüfung bestimmter Normen oder konkret bezeichneter Tatbestandsvoraussetzungen der herangezogenen Ermächtigungsgrundlage zu, noch lässt sich anderweitig erkennen, welchen tragenden Rechtssatz oder welche entscheidungsrelevante Tatsachenfeststellung sie insoweit beabsichtigt in Frage zu stellen. Das Vorbringen erscheint daher mehr als pauschale Kritik an dem Endergebnis der Entscheidung denn als Darlegung, die aufgrund einer intensiven Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung deren Richtigkeit in Frage zu stellen vermag. Auch im Übrigen fehlt es weitgehend an konkreten Bezugnahmen auf die angegriffene Entscheidung.

b) Es lässt sich insoweit nur vermuten, dass die Klägerin mit ihrem Vortrag zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung der im Rahmen der Prüfung des § 6b BDSG a.F. geäußerten Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen das berechtigte Interesse der Klägerin an der Videoaufzeichnung überwiegen, entgegentritt. Dies bleibt jedoch ohne Erfolg.

aa) Die Klägerin vermag zunächst nicht mit dem sinngemäßen Verweis darauf, dass die Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr zulässig sei, obwohl die Betroffenen dort auch längere Zeit beobachtet würden, dieser Beobachtung nicht ausweichen könnten und auch dort Personal (z.B. der Busfahrer) zur Abwehr von Gefahren zur Verfügung stünde, die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis ernstlich in Zweifel zu ziehen. Denn die Zulässigkeit einer Datenverarbeitung bei anderer Sachlage kann nicht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6b Abs. 1 BDSG a.F. im vorliegenden Fall begründen. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 6b Abs. 1 BDSG a.F. ist auf Seiten der verantwortlichen Stelle insbesondere die Zwecksetzung der Videoüberwachung zu beachten, während auf Seiten der von der Überwachung betroffenen Personen das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung, des Rechtes am eigenen Bild sowie des Schutzes der Privatsphäre von Bedeutung ist. Der Frage der Eingriffsintensität kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Das Gewicht des Eingriffs wird maßgeblich durch Art und Umfang der erfassten Informationen, durch Anlass und Umstände der Erhebung, den betroffenen Personenkreis und die Art und den Umfang der Verwertung der erhobenen Daten bestimmt (OVG Lüneburg, Urt. v. 07.09.2017 – 11 LC 59/16 –, juris Rn. 47 m.w.N.). Die Interessenabwägung ist damit abhängig von den konkreten Gegebenheiten des jeweils zu beurteilenden Falles (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 06.04.2017 – OVG 12 B 7.16 –, juris Rn. 32). Neben dem Umstand, dass die Zulässigkeit der Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr von der Klägerin im Zulassungsverfahren ohnehin nur ohne weitere Darlegungen behauptet wird, ist weder ersichtlich noch dargetan, dass die für eine Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr sprechenden berechtigten Interessen grundsätzlich identisch mit den hier von der Klägerin dargelegten berechtigten Interessen sind oder sein können. Gleiches gilt mit Blick auf die Interessen der Betroffenen. Vielmehr drängt sich hier insbesondere mit Blick auf die Videoüberwachung einer Umkleidekabine ein gewichtiger Unterschied zur Überwachung öffentlicher Verkehrsmittel auf. Daher ist nicht ersichtlich, dass die Interessenabwägung mit Blick auf den Öffentlichen Personennahverkehr zwingend identisch zu der hier vorzunehmenden Interessenabwägung auszufallen hat.

bb) Die Klägerin verweist außerdem darauf, dass das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt habe, dass die Betroffenen ihr Fitnessstudio trotz der Videoüberwachung freiwillig aufsuchten oder die Videoüberwachung möglicherweise gerade in deren Interesse läge, weil diese ihnen ein Gefühl von Sicherheit vermittelte und Straftaten vermeiden könnte. Insoweit kritisiert die Klägerin zwar die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung. Dies jedoch ohne darzulegen, ob und inwieweit die nach ihrer Auffassung begangenen Fehler hier ergebnisrelevant sind, d.h. die Interessenabwägung – trotz der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass hier die Intimsphäre der Besucher betroffen und die Interessen der Klägerin geringer zu bewerten seien bzw. es schon an der Darlegung eines berechtigten Interesses fehle – bei Berücksichtigung der genannten Aspekte zugunsten der Klägerin ausgefallen wäre. Dies ist auch nicht ohne weiteres zu erkennen.

2. Die Klägerin zeigt mit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache nur dann auf, wenn sie voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, d. h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Im Tatsächlichen ist dies besonders bei wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen, im Rechtlichen bei neuartigen oder ausgefallenen Rechtsfragen der Fall (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 14.05.1999 – 2 L 244/98 –, juris Rn. 17; Beschl. d. Senats v. 02.10.2020 – 4 LA 141/18 –, juris Rn. 57). Zur Darlegung genügt nicht allein die Behauptung einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit, die problematischen Rechts- und Tatsachenfragen und die Schwierigkeit müssen vielmehr konkret bezeichnet werden. Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und aus welchen Gründen sie sich qualitativ von denjenigen eines Verwaltungsrechtsstreits „durchschnittlicher“ Schwierigkeit abheben (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 16.06.2021 – 3 LA 56/20 –, juris Rn. 23; Beschl. v. 05.03.2021 – 2 LA 214/17 –, juris Rn. 4, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt das Zulassungsvorbringen nicht.

Die Klägerin meint besondere Schwierigkeiten darin zu erkennen, dass das Verwaltungsgericht angenommen habe, dass ein Fitnessstudio ein „öffentlicher Raum“ im Sinne des § 6b BDSG a.F. sei, ohne sich gegebenenfalls mit den Unterschieden zu beispielsweise einem Bahnhofsplatz auseinanderzusetzen. Außerdem sei schwierig, welche Folgen eine Unanwendbarkeit der herangezogenen Rechtsgrundlage habe und dass das Verwaltungsgericht nicht weiter zwischen den rechtfertigenden Gründen einer Videoüberwachung, nämlich der Wahrnehmung des Hausrechts einerseits und der Wahrnehmung berechtigter Interessen andererseits, differenziert habe. Damit sind besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder gar tatsächlicher Art jedoch nicht dargelegt. In diesem Vorbringen ist lediglich eine Kritik an der rechtlichen Prüfung des Verwaltungsgerichts, insbesondere der Subsumtion des Sachverhalts unter die herangezogenen Vorschriften erkennbar. Dass die an die gerichtliche Prüfung zu stellenden Anforderungen ausgefallen oder neuartig und damit als überdurchschnittlich schwierig zu bewerten sind, ergibt sich daraus jedoch nicht.

3. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht. Eine solche erfordert u.a., dass eine konkrete Rechts-(oder Tatsachenfrage) aufgeworfen wird, die klärungsfähig und -bedürftig ist, mithin für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war und dies auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren sein wird, sowie, dass sie bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt und über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist. Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen, ist u.a. auszuführen, dass die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (stRspr. des Senats, vgl. Beschl. des v. 17.02.2021 – 4 LA 208/19 –, juris Rn. 67 m.w.N.).

Entsprechende Darlegungen lässt der Antrag auf Zulassung der Berufung vollständig vermissen. Es fehlt bereits an der Formulierung einer konkreten, grundsatzbedeutsamen Frage. Der bloße Verweis darauf, dass hier die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der in Streit stehenden Ordnungsverfügung bzw. die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Videoüberwachung im allgemeinen Interesse lägen, genügt insoweit nicht. Daneben ist im Übrigen auch nicht dargelegt, ob und inwieweit bereits Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Videoüberwachung ergangen ist und inwieweit sich die Zulässigkeit einer solchen allgemeingültig, d.h. losgelöst vom jeweiligen konkreten Sachverhalt, beantworten lässt.


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EuGH: Hersteller müssen unabhängigen Wirtschaftsakteuren Fahrzeug-Identifizierungsnummern zur Verfügung stellen - personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO in Kombination mit Halterdaten

EuGH
Urteil vom 09.11.2023
C-319/22
Gesamtverband Autoteile-Handel (Zugang zu Fahrzeuginformationen)


Der EuGH hat entschieden, dass Fahrzeughersteller unabhängigen Wirtschaftsakteuren die Fahrzeug-Identifizierungsnummern zur Verfügung stellen müssen. Der EuGH führt weiter aus, dass es sich in Kombination mit Halterdaten dabei um personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO handelt, die Verpflichtung aber DSGVO-konform ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Fahrzeughersteller müssen unabhängigen Wirtschaftsakteuren Fahrzeug-Identifizierungsnummern bereitstellen.

Ermöglicht diese Nummer, den Halter eines Fahrzeugs zu identifizieren, und stellt sie daher ein personenbezogenes Datum dar, ist diese Verpflichtung mit der Datenschutz-Grundverordnung vereinbar.

Fahrzeughersteller sind nach dem Unionsrecht verpflichtet, unabhängigen Wirtschaftsakteuren, zu denen Reparaturbetriebe, Ersatzteilhändler und Herausgeber technischer Informationen gehören, die Informationen zugänglich zu machen, die für die Reparatur und Wartung der von ihnen hergestellten Fahrzeuge erforderlich sind.

Ein deutscher Branchenverband des freien Kfz -Teilehandels ist der Ansicht, dass weder die Form noch der Inhalt der Informationen, die seinen Mitgliedern vom Lkw-Hersteller Scania zur Verfügung gestellt werden, dieser Verpflichtung genügen. Um dieser Situation abzuhelfen, rief der Verband ein deutsches Gericht an. Dieses hat sich seinerseits an den Gerichtshof gewandt, da es sich über den Umfang der Verpflichtungen von Scania nicht im Klaren war. Es möchte u. a. wissen, ob Fahrzeug-Identifizierungsnummern personenbezogene Daten darstellen, zu deren Übermittlung die Hersteller verpflichtet sind.

Der Gerichtshof entscheidet diese Frage dahingehend, dass Fahrzeughersteller verpflichtet sind, Zugang zu allen Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen zu gewähren.

Diese Informationen müssen nicht unbedingt über eine Datenbankschnittstelle zugänglich gemacht werden, die eine maschinengesteuerte Abfrage und den Download der Ergebnisse ermöglicht. Ihr Format muss jedoch für die unmittelbare elektronische Weiterverarbeitung geeignet sein. So muss es das Format ermöglichen, die maßgeblichen Daten zu extrahieren und unmittelbar nach ihrer Erhebung zu speichern. Der Gerichtshof entscheidet außerdem, dass die Fahrzeughersteller verpflichtet sind, eine Datenbank zu erstellen, die die Informationen über die Teile umfasst, die durch Ersatzteile ausgetauscht werden können. Die Suche nach Informationen in dieser Datenbank muss anhand der Fahrzeug-Identifizierungsnummern und weiterer Merkmale wie der Motorleistung oder der Ausstattungsvariante des Fahrzeugs möglich sein.

Der Gerichtshof betont, dass die Fahrzeug-Identifizierungsnummern in der Datenbank enthalten sein müssen.

Diese Nummer ist als solche nicht personenbezogen. Sie wird jedoch zu einem personenbezogenen Datum, wenn derjenige, der Zugang zu ihr hat, über Mittel verfügt, die ihm die Identifizierung des Halters des Fahrzeugs ermöglichen, sofern der Halter eine natürliche Person ist. Der Gerichtshof stellt hierzu fest, dass der Halter wie auch die Fahrzeug-Identifizierungsnummer in der Zulassungsbescheinigung angegeben sind. Selbst in den Fällen, in denen die Fahrzeug-Identifizierungsnummern als personenbezogene Daten einzustufen sind, steht die Datenschutz-Grundverordnung dem nicht entgegen, dass Fahrzeughersteller verpflichtet sind, sie unabhängigen Wirtschaftsakteuren bereitzustellen.


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LG Saarbrücken: Kein Anspruch auf Entfernung einer Videokamera auf Nachbargrundstück wenn durch Neuausrichtung der Kamera unzulässige Videoüberwachung verhindert werden kann

LG Saarbrücken
Urteil vom 13.10.2023
13 S 32/23


Das LG Saarbrücken hat entschieden,, dass kein Anspruch auf Entfernung einer Videokamera auf einem Nachbargrundstück besteht, wenn durch Neuausrichtung der Kamera eine unzulässige Videoüberwachung verhindert werden kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Kläger steht schon deshalb kein Anspruch auf Entfernung der installierten Kameras aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zu, weil ein Störer nur dann zu einer konkreten Maßnahme verurteilt werden kann, wenn allein diese Maßnahme den Nichteintritt der drohenden Beeinträchtigung gewährleistet (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 98/03 –, juris, Rn. 15 m.w.N.; LG Hamburg, Urteil vom 28. Dezember 2018 – 306 O 95/18 –, juris, Rn. 31). Hier sind neben der Entfernung als einschneidenste Maßnahme auch andere Abhilfemöglichkeiten denkbar, durch die der Kläger in gleicher Weise geschützt werden könnte. Es käme – sofern der klägerische Bereich betroffen wäre – insbesondere eine Neuausrichtung der Kameras dergestalt in Betracht, dass nur noch solche Grundstücksteile betroffen sind, welche nicht zu dem Bereich des Klägers gehören.

Dem Kläger steht auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung der Videoaufzeichnungen, soweit sie sein Grundstück betreffen, aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB nicht zu.

Der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als offenes Rahmenrecht entspricht es, dass sein Inhalt nicht abschließend umschrieben ist, sondern seine Ausprägungen jeweils anhand des zu entscheidenden Falls herausgearbeitet werden müssen (BGH, Urteil vom 26. November 2019 – VI ZR 12/19 –, juris, Rn. 13). In den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällt u.a. das Recht der informationellen Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06 –, juris, Rn. 37 m.w.N.; BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 11 m.w.N.). Die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit wird gefährdet, wenn jederzeit mit der Beobachtung durch Personen gerechnet werden muss, die man selbst nicht sehen kann oder wenn die reproduzierbare Aufzeichnung des eigenen Verhaltens droht. Denn durch eine Video- und Tonaufzeichnung können Lebensvorgänge technisch fixiert und in der Folge abgerufen, aufbereitet und gegebenenfalls ausgewertet werden. Hierdurch können eine Vielzahl von Informationen über die Betroffenen, ihre Familienmitglieder, Freunde und Besucher gewonnen werden. Auch kann das durch die Überwachung gewonnene Material dazu genutzt werden, das Verhalten des Betroffenen zu beeinflussen, indem "belastendes" Material über ihn gesammelt wird (LG Essen, Urteil vom 30. Januar 2019 – 12 O 62/18 –, juris, Rn. 29). Bei der Installation von Anlagen der Videoüberwachung auf einem Privatgrundstück muss deshalb sichergestellt sein, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch benachbarte Privatgrundstücke oder der gemeinsame Zugang zu diesen von den Kameras erfasst werden, sofern nicht ein das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen überwiegendes Interesse des Betreibers der Anlage im Rahmen der Abwägung bejaht werden kann (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 11 m.w.N.).

Vorliegend ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers schon nicht betroffen. Hierbei kommt es jedoch auf die erstinstanzlichen Feststellungen des Amtsgerichts hinsichtlich des Erfassungsbereichs der damaligen Kameras in der Berufungsinstanz nicht mehr an. Demnach spielt es zweitinstanzlich auch keine Rolle, dass eine Verpixelung oder Schwärzung eines Bildausschnitts in einer App grundsätzlich nicht ausreicht, um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu verneinen (vgl. hierzu LG Berlin, Urteil vom 23. Juli 2015 – 57 S 215/14 –, juris, Rn. 5). Denn der Beklagte installierte während des laufenden Berufungsverfahrens zwei neue Kameras, nachdem der Kläger die noch erstinstanzlich vorhandene Kamera mit einem Stock abgeschlagen und beschädigt hat. Die beiden neuen Kameras können nun aber nur noch das eigene Grundstück des Beklagten sowie einen kleinen Teilbereich des Gartens des klägerischen Grundstücks erfassen. Hiervon konnte sich die Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2023 durch Einsichtnahme in die Videoübermittlungen des Beklagten auf dessen Mobiltelefon überzeugen. Da der teilweise erfasste Garten des klägerischen Grundstücks durch die Vermieterin des Klägers nicht an diesen mitvermietet wurde, hat der Kläger aber kein Recht, den von der Kamera betroffenen Bereich zu betreten. Schon deshalb ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers nicht betroffen. Im Übrigen ist die Vermieterin des Klägers unstreitig mit einer etwaigen Aufnahme ihres Gartens einverstanden (vgl. Bl. 19 d.eAkte).

Die erstmals während der Berufung vorgetragenen Tatsachen betreffend den Wirkbereich der beiden neuen Kameras sowie den Umfang des an den Kläger vermieteten Teils des Grundstücks sind in der zweiten Instanz zuzulassen, da diese unstreitig sind. Unstreitige Tatsachen sind unabhängig von den Voraussetzungen des § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 531 Abs. 2 ZPO stets zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 18. November 2004 – IX ZR 229/03 –, juris, Rn. 11 ff. und Beschluss vom 8. Mai 2018 – XI ZR 538/17 –, juris, Rn. 25; Heßler in: Zöller, 34. Auflage 2022, § 531 ZPO Rn. 20).

Auch mit Hilfe der Rechtsfigur des „Überwachungsdruckes“ kann der Kläger keinen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB herleiten. Ein solcher Anspruch kann bestehen, wenn eine Überwachung durch Kameras objektiv ernsthaft befürchtet werden muss (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 13; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Oktober 2011 – V ZR 265/10 –, juris, Rn. 9). Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon aufgrund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. Deshalb ist die Installation einer Überwachungsanlage auf einem privaten Grundstück nicht rechtswidrig, wenn objektiv feststeht, dass dadurch öffentliche und fremde private Flächen nicht erfasst werden, wenn eine solche Erfassung nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage möglich ist und wenn auch sonst Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 14; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Oktober 2011 – V ZR 265/10 –, juris, Rn. 9). Wie oben bereits dargelegt erfassen die neuen Kameras nur Bereiche, welche nicht dem Lebensbereich des Klägers zuzuordnen sind. Zudem hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass die jetzt installierte Kamera nicht per Fernbedienung, sondern nur manuell bewegt werden kann, sodass eine Veränderung des Wirkbereichs der Kamera nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage erfolgen kann. Das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist damit nicht berührt.

Ob die Voraussetzungen für die klägerseits begehrte Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vorliegen, kann aus den oben genannten Gründen dahinstehen.


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VG Hannover: Videoüberwachung der Sitzbereiche eines Wettbüros weder nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO noch nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gerechtfertigt und somit rechtswidrig

VG Hannover
Urteil vom 10.10.2023
10 A 3472/20


Das VG Hannover hat entschieden, dass die Videoüberwachung der Sitzbereiche eines Wettbüros weder nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO noch nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gerichtfertigt und somit rechtswidrig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Die Klage ist zulässig. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz (hiernach: BDSG) ist für Rechtsansprüche aus der der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, hiernach: DS-GVO) nach Artikel 78 Abs. 1 und 2 der DS-GVO der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Das Verwaltungsgericht Hannover ist gemäß § 20 Abs. 3 BDSG örtlich zuständig. Die Klage gegen die Verfügungen des Beklagten aus dem Bescheid vom 20. Mai 2020 ist als Anfechtungsklage statthaft.

II. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 20. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die unter Ziffer 1 ausgesprochene Anweisung, die Ausgestaltung der von der Klägerin betriebenen Videoüberwachung so einzurichten, dass die Erhebung von personenbezogenen Daten von Personen in den Sitzbereichen während der Öffnungszeiten ausgeschlossen ist (Kameras 1,3, 4, 5 und 9) und die Überarbeitung der Kameraeinstellungen durch die Übersendung entsprechender Screenshots nachzuweisen, ist rechtmäßig.

a) Die Rechtsgrundlage für diese Anweisung findet sich in Art. 58 Abs. 2 lit. d DS-GVO. Danach verfügt die Aufsichtsbehörde über sämtliche Befugnisse, die es ihr gestatten, den Verantwortlichen anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit der DS-GVO zu bringen.

b) Der Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Der Beklagte ist für den Erlass des Bescheides zuständig. Dies ergibt sich aus § 40 Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes vom 30. Juni 2017 (BDSG), § 22 Satz 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes vom 16. Mai 2018 (NDSG) und Art. 55 f. DS-GVO. Die Klägerin ist vor Erlass des angegriffenen Bescheids angehört worden.

c) Die Anweisung ist auch materiell rechtmäßig. Die Videoüberwachung durch die fünf streitgegenständlichen Kameras steht in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht in Einklang mit der DS-GVO. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. a DS-GVO müssen personenbezogene Daten auf rechtmäßige Weise verarbeitet werden. Die hier in Rede stehende Videoüberwachung, bei der die im Wettbüro der Klägerin installierten Kameras 1, 3, 4, 5 und 9 als "verlängertes Auge" der Beschäftigten genutzt werden, verstößt gegen die DS-GVO, weil sie nicht nach Art. 6 DS-GVO gerechtfertigt ist.

aa. Die DS-GVO ist anwendbar. Nach Art. 2 Abs. 1 DS-GVO gilt diese Verordnung für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen.

Bei der Beobachtung der Gäste des Wettbüros durch Kameras, die als "verlängertes Auge" der Beschäftigten genutzt werden, handelt es sich um eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 und Nr. 2 DS-GVO. Nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO meint "Verarbeitung" jeden Vorgang, der mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten ausgeführt wird. Die sich an diese Begriffsbestimmung anschließende, ersichtlich umfassende Aufzählung von Vorgängen in Art. 4 Nr. 2 DSGVO zeigt, dass der Begriff der Verarbeitung jeglichen Umgang mit personenbezogenen Daten erfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2/18 -, juris Rn. 43). Die Daten sind nach Art. 4 Nr. 1 DS-GVO "personenbezogen", wenn es sich um Informationen handelt, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann. Die Aufzeichnung des Bildes einer Person durch Kameras ermöglicht es den Betrachtern der Bilder, die erfassten Personen zu identifizieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2/18 -, juris Rn. 43).

bb. Das hier eingesetzte Kamera-Monitor-System ist in seiner derzeitigen Ausgestaltung gemäß Art. 6 DS-GVO rechtswidrig. Danach ist die Verarbeitung nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der unter Art. 6 Abs. 1 lit. a - f genannten Bedingungen erfüllt ist. Dies ist nicht der Fall.

aaa. Zunächst haben die von der Videoüberwachung betroffenen Personen (s. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO) nicht nach Art. 6 Abs. 1 lit. a DS-GVO ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben. Eine Einwilligung ist gemäß Art. 4 Nr. 11 DS-GVO jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist. Damit betroffene Personen in Kenntnis der Sachlage ihre Einwilligung geben können, sollten sie mindestens wissen, wer der Verantwortliche ist und für welche Zwecke ihre personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen. Es sollte nur dann davon ausgegangen werden, dass sie ihre Einwilligung freiwillig gegeben haben, wenn sie eine echte oder freie Wahl haben und somit in der Lage sind, die Einwilligung zu verweigern oder zurückzuziehen, ohne Nachteile zu erleiden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 42 zur DS-GVO). Danach liegt im vorliegenden Fall keine Einwilligung der Gäste vor. Es kann bereits nicht angenommen werden, dass die Gäste beim Betreten des Wettbüros - auch nicht bei deutlich sichtbar angebrachten Hinweisen auf die Beobachtung - den Umfang und die Ausgestaltung der Videoüberwachung sowie deren Zwecke zur Kenntnis nehmen, sodass schon keine Willensbekundung "in informierter Weise" stattfinden kann (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.2.2007 - 1 BvR 2368.06 -, juris Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2.18 -, juris Rn. 23). Auch kann im Eintritt in das Wettbüro und den dortigen Aufenthalt ohne ausdrücklichen Protest keine unmissverständliche Willensbekundung erkannt werden (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.2.2007, a.a.O.). Schließlich haben die Gäste auch keine freie Wahl, ob sie mit der Videoüberwachung der Sitzbereiche während ihres Aufenthaltes in dem Wettbüro einverstanden sind; sie können sich nur zu ihrem Nachteil entscheiden, das Wettbüro gar nicht erst zu betreten.

bbb. Die Videoüberwachung ist auch nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c DS-GVO zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, welcher der Verantwortliche unterliegt. Gemeint ist damit die Verpflichtung kraft Rechts der Union oder eines Mitgliedstaates, vgl. Art. 6 Abs. 3 UAbs. 1. Die in einer Vorschrift des objektiven Rechts vorgesehene "rechtliche Verpflichtung" muss sich dabei unmittelbar auf die Datenverarbeitung beziehen; allein der Umstand, dass ein Verantwortlicher, um irgendeine rechtliche Verpflichtung erfüllen zu können, auch personenbezogene Daten verarbeiten muss, reicht nicht aus (Albers/Veit in: BeckOK DatenschutzR, 44. Ed. 1.5.2023, DS-GVO Art. 6 Rn. 48 m.w.N.). Nach diesem Maßstab vermögen die in § 7 Abs. 3 Nr. 1 Spielverordnung genannten Vorgaben, wonach Geld- oder Warenspielgeräte unter anderem dann unverzüglich aus dem Verkehr zu ziehen sind, wenn sie in ihrer ordnungsgemäßen Funktion gestört sind, keine rechtliche Verpflichtung in diesem Sinne zu bieten, weil diese rechtliche Vorgabe keinen unmittelbaren Bezug zu einer irgendwie gearteten Datenverarbeitung herstellt.

Die Videoüberwachung ist auch nicht zur Erfüllung der Verpflichtung aus § 10c des Niedersächsischen Spielbankgesetzes (NSpielbG) erforderlich. Nach § 10 c Abs. 1 Satz 1 NSpielbG sind zu den dort bestimmten Zwecken die Eingänge, die Ausgänge, die Bereiche, in denen üblicherweise der Transport, die Zählung oder die Aufbewahrung von Bargeld oder Spielmarken erfolgt, sowie die Spielräume der Spielbank, die Spieltische und Glücksspielautomaten der Spielbank mit Videokameras zu überwachen. Die Vorschrift ist bereits nicht anwendbar, weil es sich bei dem Wettbüro der Klägerin nicht um eine im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 NSpielbG zugelassene Spielbank handelt. Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf das Wettbüro der Klägerin kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil die Interessenlage nicht vergleichbar ist. Spielbanken sind Örtlichkeiten, in denen Spiele mit grundsätzlich hoher Manipulationsanfälligkeit und herausragendem Suchtpotenzial angeboten werden, zu denen traditionell Tischspiele mit und ohne Bankhalter wie Roulette, Black Jack und Poker sowie spezielle stationäre Automatenspiele gehören, welche den Einschränkungen des gewerblichen Spiels und des Online-Glücksspiels nicht unterliegen (vgl. Begründung zur Änderung des NSpielbG vom 13.10.2021, Landtag-Drs. 18/10075, S. 17). Derartige Spiele finden im Wettbüro der Klägerin nicht statt; soweit auch in ihren Räumlichkeiten Spielautomaten aufgestellt sind und in dem (der Öffentlichkeit nicht zugänglichen) Bürobereich mit größeren Mengen Bargeld umgegangen wird, hat der Beklagte die Videoüberwachung nicht beanstandet.

Unabhängig davon folgt eine Verpflichtung zu einer Videoüberwachung, wie die Klägerin sie derzeit betreibt, selbst dann nicht aus § 10 c NSpielbG, wenn man die Vorschrift auf den vorliegenden Fall analog anwenden wollte. Unter "Spielräumen" sind solche Bereiche zu verstehen, in denen sich Gäste zum Zwecke der Teilnahme an Spielen aufhalten. Bereiche wie die hier in Rede stehenden, die fast ausschließlich - mit Ausnahme vereinzelter Automaten, an denen Wetten abgegeben werden können - dem Aufenthalt oder dem Verzehr von Getränken dienen, sind dort gerade nicht angesprochen. Der Gesetzgeber hat zuletzt die zu überwachenden Bereiche angepasst und "die gegebenenfalls getrennt von den Eingängen vorhandenen Ausgänge" aufgenommen (vgl. Landtag-Drs. 18/10075, S. 37). Er hat sich also bewusst gegen die Aufnahme von anderen, dem Aufenthalt von Gästen dienenden Bereichen entschieden. Dafür, dass der Gesetzgeber beabsichtigt hat, solche vornehmlich dem Aufenthalt dienenden Bereiche gerade nicht mit der gesetzlichen Verpflichtung zur Videoüberwachung zu belegen, spricht auch, dass die Regelung überhaupt explizit Bereiche nennt, in denen die Videoüberwachung stattzufinden hat. Wäre die Videoüberwachung einschränkungslos auch in Bereichen obligatorisch, in denen keine manipulationsanfälligen Spiele stattfinden, hätte der Gesetzgeber anstelle einer expliziten Aufzählung von Bereichen schlicht die verpflichtende Videoüberwachung für die gesamte Spielbank anordnen können.

ccc. Die Videoüberwachung ist auch nicht nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO gerechtfertigt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

(1) Das berechtigte Interesse an der hier noch streitigen Videoüberwachung durch die Kameras 1, 3, 4, 5 und 9 ist anzunehmen.

Als berechtigt darf jedes rechtliche, tatsächliche, wirtschaftliche oder ideelle Interesse des Verantwortlichen angesehen werden, soweit es von der Rechtsordnung nicht missbilligt wird. Das berechtigte Interesse muss auf einen konkreten Verarbeitungs- oder Nutzungszweck gerichtet sein. Aus Art. 5 Abs. 1 lit. b DS-GVO folgt, dass das Interesse nur berechtigt sein kann, wenn die Verarbeitung legitim ist (vgl. Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO-BDSG-TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 129). Es muss zum Zeitpunkt der Datenverarbeitung entstanden und vorhanden sein und darf zu diesem Zeitpunkt nicht hypothetisch sein (EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 44). Der Verantwortliche hat sein berechtigtes Interesse substantiiert vorzutragen und zu belegen (vgl. Art. 5 Abs. 2 DS-GVO; Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO-BDSG-TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 135; vgl. auch EuGH, Urteil vom 24.2.2022 - C-175/20 -, juris Rn. 77; BVerwG, Urteil vom 2.3.2022 - 6 C 7.20 -, juris Rn. 50). Dieser speziellen Substantiierung bedarf es nur dann nicht, wenn eine Situation gegeben ist, die nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise gefährlich ist und der Überwachung bedarf. Eine solch abstrakte Gefährdungslage kann beispielsweise bei Einkaufszentren und Kaufhäusern anzunehmen sein (vgl. zur alten Rechtslage Nds. OVG, Urteil vom 29.9.2014 - 11 LC 114/13 -, juris Rn. 44; vgl. VG Hannover, Urteil vom 13.3.2023 - 10 A 1443/19 -, juris Rn. 57; vgl. zur Anwendbarkeit dieser Grundsätze auch im Anwendungsbereich der DS-GVO Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO-BDSG-TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 135).

Die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten stellen grundsätzlich berechtigte Interessen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO dar. Sie können eine Videoüberwachung jedoch nur dann als objektiv begründbar rechtfertigen, wenn eine Gefährdungslage besteht, die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht. Eine solche Gefährdung kann sich nur aus tatsächlichen Erkenntnissen ergeben; subjektive Befürchtungen oder ein Gefühl der Unsicherheit reichen nicht aus (vgl. zum alten Recht BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2/18 -, juris Rn. 28 m.w.N.). Allerdings kann bei der Beurteilung aller Umstände des jeweiligen Falles nicht zwingend verlangt werden, dass die Sicherheit des Eigentums und der Personen zuvor beeinträchtigt wurde (EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 44). Konkrete Vorfälle müssen nicht in jedem Fall beim Überwachenden selbst stattgefunden haben, sondern die Gefahrenlage kann sich auch daraus ergeben, dass vergleichbare Vorfälle oder Übergriffe in der unmittelbaren Nachbarschaft stattgefunden haben (vgl. Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen" der Datenschutzkonferenz - DSK - vom 17. Juli 2020, S. 8 f. m.V.a. Art. 5 Abs. 2 DS-GVO und EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 44; Leitlinien 3/2019 zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videogeräte des European Data Protection Board vom 29.1.2020, Rn. 18 ff.).

Danach hat die Klägerin - dies hat auch der Beklagte anerkannt - grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an der Videoüberwachung ihres Wettbüros dargelegt, um damit Straftaten zu unterbinden und nachzuverfolgen. Sie hat konkrete Straftaten benannt, die sich in den hier in Rede stehenden Räumlichkeiten ereignet haben und durch den Verweis auf Vorkommnisse in anderen Filialen dargelegt, dass (unter anderem) aufgrund der größeren Mengen Bargeld, mit denen in Wettbüros umgegangen wird, ein potentiell hohes Risiko für das Begehen von Straftaten besteht. Dementsprechend hat der Beklagte der Klägerin die Überwachung diverser Bereiche der Liegenschaft zugestanden (Kameras 2, 6, 7 und 8). Dabei hat der Beklagte die Videoüberwachung der Laufwege zugelassen, sodass etwaige Straftäter jedenfalls beim Verlassen der Räumlichkeiten erfasst werden, sowie die Orte, an denen mit Bargeld umgegangen wird (z.B. der Tresor). Außerhalb der Öffnungszeiten dürfen die Videoaufnahmen aufgezeichnet werden, um das unbefugte Betreten der Filiale abzuwenden oder ggf. nachverfolgen zu können.

(2) Die Videoüberwachung ist in ihrer derzeitigen Ausgestaltung zur Wahrung der Interessen der Klägerin aber nicht erforderlich. Die personenbezogenen Daten sollten für die Zwecke, zu denen sie verarbeitet werden, angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke ihrer Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein; sie sollten nur verarbeitet werden dürfen, wenn der Zweck der Verarbeitung nicht in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann (vgl. Erwägungsgrund 39 zur DS-GVO).Voraussetzung für die Erforderlichkeit der Videoüberwachung ist also, dass kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um die Interessen des Verantwortlichen zu erreichen (Buchner/Petri in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 147a). Die Einschränkungen beim Datenschutz müssen sich "auf das absolut Notwendige" beschränken (vgl. EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 46). Eine bloße Zweckdienlichkeit der Datenverarbeitung reicht jedenfalls nicht aus und auch das Ansinnen einer "bestmöglichen Effizienz" macht die Datenverarbeitung noch nicht zu einer erforderlichen. Entsprechend kann die Erforderlichkeit auch nicht allein damit begründet werden, dass es sich bei der beabsichtigten Datenverarbeitung um die aus Sicht des Verantwortlichen wirtschaftlich sinnvollste Alternative handelt (Petri in: Kühling/Buchner/Buchner, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 147a m.w.N.).

Nach diesem Maßstab ist die Videoüberwachung der Sitzbereiche durch die Kameras 1,3, 4, 5 und 9 nicht erforderlich. Es ist derzeit nicht ersichtlich, dass die Erhebung der dadurch gewonnenen personenbezogenen Daten überhaupt geeignet - also erheblich - ist, um die von der Klägerin verfolgten Zwecke zu erreichen. Auf Grundlage der bisherigen Unterlagen ist nicht erkennbar, dass die von der Beklagten konkret benannten Straftaten überhaupt im Zusammenhang mit einem Aufenthalt von Gästen in den Sitzbereichen gestanden haben. Die Klägerin stützt sich im Wesentlichen auf befürchtete Straftaten und sonstiges Fehlverhalten, welches in der "Szene" oder dem "Milieu", aus dem die Gäste der Klägerin stammen, üblich sein soll. Die von der Klägerin benannten Straftaten lassen teilweise eindeutig erkennen, dass sich der oder die Täter(in) vor der jeweils begangenen Tat gerade nicht in den Sitzbereichen aufgehalten oder die Tat als solche dort stattgefunden hat; dies gilt für die Öffnung des Tresors, der sich in dem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich befindet, sowie für die Entwendung von Bargeld durch Beschäftigte der Klägerin, einen Überfall unter Einsatz von Waffengewalt, eingeschmissene Schaufensterscheiben und das unberechtigte Betreten der Geschäftsräume außerhalb der Öffnungszeiten. Die übrigen von der Klägerin genannten Taten und Vorkommnisse lassen nicht erkennen, ob diese in den für Gäste vorgesehenen Sitzbereichen stattgefunden haben; dies gilt für die Angabe "milieubedingte Kriminalität in den Geschäftsräumen, zum Beispiel Übergabe von Drogen gegen Bargeld" und Trickbetrug durch das Erzwingen von Wechselgeldfehlern. Konkrete Vorfälle in der Nachbarschaft hat die Klägerin zwar behauptet, jedoch nicht substantiiert. Soweit sie sich auf die befürchtete Manipulation von Spielgeräten und die ihr glückspielrechtlich obliegende Verpflichtung, manipulierte Geräte unverzüglich aus dem Verkehr zu ziehen, beruft, hat sie derartige Vorfälle weder für die hier in Rede stehende noch für andere Filialen oder Einrichtungen in der Nachbarschaft vorgetragen. Es fehlen auch nähere Angaben dazu, wie "Vorbereitungshandlungen" für eine Manipulation von Spielgeräten konkret aussehen und aus welchem Grund sie befürchtet, dass solche gerade in den Sitzbereichen für Gäste stattfinden könnten. Den Konsum von und Handel mit Rauschgift hat sie bislang nur behauptet, aber nicht belegt. Auch hinsichtlich der weiteren, im Laufe des gerichtlichen Verfahrens genannten Straftaten, die sich im Zeitraum vom 3. August 2016 und dem 9. Oktober 2021 in der hier streitgegenständlichen Filiale ereignet haben sollen, nämlich eine Unterschlagung von Bargeld, ein Diebstahl von Bargeld durch einen Kunden, ein Diebstahl eines Gegenstandes durch einen Kunden und zwei Raubüberfälle, ist nicht erkennbar, dass diese Straftaten im Zusammenhang mit einem Aufenthalt in den Sitzbereichen des Wettbüros standen.

Es ist außerdem nicht erkennbar, dass die Videoüberwachung der Sitzbereiche überhaupt dazu geeignet wäre, die von der Klägerin genannten Straftaten - sowohl die in der Unternehmensgruppe als auch die in der hier in Rede stehenden Filiale begangenen - zu verhindern oder bei der Aufklärung dieser Straftat einen nennenswerten Mehrwert zu bringen. Dies gilt insbesondere für die genannten Raubüberfälle, Einbrüche und Sachbeschädigungen, die - soweit ersichtlich - nicht von Personen begangen worden sind, die sich zuvor in dem Wettbüro aufgehalten haben. Auch diejenigen Straftaten, die von Beschäftigten der Klägerin begangen worden sind, wie zum Beispiel das unberechtigte Betreten der Geschäftsräume außerhalb der Öffnungszeiten, die Unterschlagung von Bargeld oder die Öffnung der Tresore und Entwendung von Bargeld, ließen sich nicht durch eine Überwachung der Sitzbereiche für Gäste verhindern. Einzig denkbar wäre dies bezüglich des genannten Trickbetruges durch das Erzwingen von Wechselgeldfehlern oder den Handel mit sowie Konsum von Rauschgift. Insoweit ist aber fraglich, ob die Beschäftigten in der Lage wären, die Monitore derart aufmerksam zu beobachten, dass ihnen Wechselgeldfehler oder der Konsum von Rauschmitteln überhaupt auffallen könnte.

Die Fortsetzung der Videoüberwachung in ihrer jetzigen Form ist auch nicht deswegen erforderlich, weil andernfalls unzumutbar hohe Betriebskosten entstünden. Bei dem Bestreben, Kosten einzusparen, handelt es sich grundsätzlich um ein berechtigtes Interesse. Allerdings muss der Verantwortliche darlegen, dass er diese Kosten auch durch andere Vorkehrungen, insbesondere durch organisatorische Veränderungen anstelle der Videoüberwachung nicht vermeiden oder in einer hinnehmbaren Größenordnung halten kann. Die Kostenersparnis kann die Erforderlichkeit der Videoüberwachung jedenfalls nur dann begründen, wenn die ansonsten entstehenden Kosten im Verhältnis zu dem Umfang der geschäftlichen Tätigkeit ins Gewicht fallen oder gar deren Wirtschaftlichkeit in Frage stellten (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2.18 -, juris Rn. 32). Die Klägerin hat dazu nicht substantiiert vorgetragen. Aus dem von ihr hierzu zitierten Urteil des OVG des Saarlandes vom 14. Dezember 2017 ergibt sich nicht, ob der dortige Kläger substantiierte Angaben dazu gemacht hat, aus welchem Grund ihm der Einsatz von Wachpersonal wirtschaftlich nicht zumutbar ist (Az. 2 A 662/17 -, juris Rn. 47). Zudem ist der dortige Fall auch schon deswegen nicht mit dem hier zu entscheidenden vergleichbar, weil es sich bei dem dortigen Kläger um eine Apotheke gehandelt hat, die - im Gegensatz zu der Klägerin - nicht ohnehin Wachpersonal beschäftigt.

Die Klägerin kann ihrem berechtigten Interesse daran, dass kein Rauschgift in ihrer Filiale gehandelt oder konsumiert wird oder andere Straftaten begangen werden, auch durch mildere und gleich effektive Mittel begegnen. Dem Beklagten dürfte darin zu folgen sein, dass die bereits vorhandenen Beschäftigten in regelmäßigen Abständen die Sitzbereiche begehen könnten. Der Auffassung der Klägerin, die Präsenz von Wachleuten werde von Gästen als deutlich gravierenderer Eingriff wahrgenommen, sodass darin kein milderes Mittel zu sehen sei, kann nicht gefolgt werden. Anders als in der von der Klägerin dazu angeführten Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts steht hier keine "permanente Beobachtung" der Gäste durch Wachleute in Rede (vgl. Urteil vom 29.9.2014 - 11 LC 114/13 -, juris Rn. 57), sondern gelegentliche Rundgänge von ohnehin anwesendem Personal. Hinsichtlich der von der Klägerin bezweckten Abschreckungswirkung wirken auch nur gelegentlich die Räumlichkeit abschreitende Beschäftigte mindestens ebenso effektiv abschreckend wie die vorhandenen Kameras (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 12.3.2021 - 18 K 8202/19 -, n.v.). Ihre Beschäftigten können sich vor eventuell aggressiv auftretenden Gästen schützen, indem sie die Polizei kontaktieren, anstatt sie selbst anzusprechen oder des Hauses zu verweisen. Für die Beschäftigten dürfte der zeitliche und personelle Aufwand, die fünf streitigen Kameras neben ihren anderen Aufgaben dauerhaft aufmerksam zu beobachten, um die in den Sitzbereichen befürchteten Vorbereitungshandlungen für Straftaten zu entdecken, als ebenso hoch zu bewerten sein wie die Durchführung regelmäßiger Kontrollgänge durch die Sitzbereiche. Der Gefahr von durch Betrug erzwungenen Wechselgeldfehlern könnte die Klägerin begegnen, indem die Gäste ihre Getränke nur noch am Tresen bezahlen, der außerdem von der nicht mehr streitgegenständlichen Kamera 2 erfasst wird.

Aus dem bisherigen Vortrag der Klägerin ist auch nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund das von dem Beklagten vorgeschlagene mildere Mittel, die streitigen Kameras mit einer Folie zu versehen oder eine "Privatzonenmaskierung" einzurichten, sodass die sitzenden Gäste nicht mehr identifizierbar sind, nicht ebenso geeignet ist, wie die Videoüberwachung in ihrer derzeitigen Form. Ihr Vortrag, in dem Fall seien Vorbereitungshandlungen für eine Manipulation eines Spielgerätes schwieriger erkennbar, ist ohne konkretere Angaben dazu, wie solche Vorbereitungshandlungen aussehen, nicht nachvollziehbar. Unabhängig davon sind solche Manipulationsversuche offenbar bislang nicht vorgekommen; jedenfalls ist dies nicht vorgetragen worden.

Schließlich führt auch die in § 10 c NSpielbG zum Ausdruck gekommene Wertung des Niedersächsischen Gesetzgebers nicht dazu, die Videoüberwachung für das hier in Rede stehende Wettbüro als erforderlich anzusehen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen (s. II. 1. c. bb. bbb.).

(3) Im Übrigen und selbst für den Fall, dass die Verarbeitung der durch die Videokameras 1, 3, 4, 5 und 9 verarbeiteten personenbezogenen Daten zur Wahrung des berechtigten Interesses der Klägerin erforderlich wäre, überwiegen im vorliegenden Fall die Interessen der von der Videoüberwachung betroffenen Personen das Interesse der Klägerin. Ausgangspunkt der Abwägung sind einerseits die Auswirkungen, die eine Datenverarbeitung für die betroffene Person mit sich bringt, und andererseits die Interessen des Verantwortlichen oder Dritten. In diesem Zusammenhang sind Art, Inhalt und Aussagekraft der betroffenen Daten an dem mit der Datenverarbeitung verfolgten Zweck zu messen. Außerdem können die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Person einbezogen werden; entscheidend soll sein, ob die betroffene Person zum Zeitpunkt der Datenerhebung angesichts der näheren Umstände "vernünftigerweise absehen kann", dass eine Datenverarbeitung für einen bestimmten Zweck stattfinden wird (vgl. Petri in: Kühling/Buchner/Buchner, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 149 ff.)

Für die von der Videoüberwachung betroffenen Gäste streitet ihr Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten nach Art. 8 GRCh sowie ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK. Demgegenüber hat die Klägerin ein Interesse an dem Schutz ihres Eigentums, der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten sowie an der Gewährleistung der Einhaltung der ihr obliegenden gesetzlichen Verpflichtungen (Jugendschutz, gesperrte Spieler, glücksspielrechtliche Vorgaben bezüglich der Spielautomaten).

Zugunsten der Klägerin ist hier zu berücksichtigen, dass die Videoaufnahmen nicht gespeichert werden und ihr in der Vergangenheit durch begangene Straftaten erhebliche Vermögensschäden entstanden sind. Demgegenüber dienen die Bereiche einem längeren Verweilen von Gästen, die ganz überwiegend keinerlei böse Absichten hegen. Die Überwachung erfolgt anlasslos, regelmäßig und personengenau und betrifft in den allermeisten Fällen Personen, die weder die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten noch dem Eigentum der Klägerin schaden möchten (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 12.3.2021 - 18 K 8202/19 -, S. 23). Eine durchgängige Überwachung auch bei Beschäftigungen, die in keinem Zusammenhang zu der Art des Etablissements stehen, in dem sich die Gäste aufhalten, können sie auch nicht "vernünftigerweise" erwarten.

cc. Der Beklagte hat das ihm gemäß Art. 58 Abs. 2 DS-GVO zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen schließlich auch fehlerfrei ausgeübt. Gemäß Art. 58 Abs. 2 DS-GVO verfügt der Beklagte über sämtliche Abhilfebefugnisse, die es ihm gestatten, den Verantwortlichen anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit dieser Verordnung zu bringen (Buchstabe d) sowie eine vorübergehende Beschränkung oder Verbot der Verarbeitung zu verhängen (Buchstabe f). Die Aufsichtsbehörde kann von ihrer Abhilfebefugnis Gebrauch machen, wenn sie einen Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen festgestellt hat. Bei der Ausübung des ihr dann eingeräumten Ermessens hat sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Bei festgestellten Verstößen ist die Aufsichtsbehörde in der Regel gehalten, dagegen mit dem Ziel der Abstellung des Verstoßes vorzugehen. Hinsichtlich des Entschließungsermessens ist daher von einem intendierten Ermessen auszugehen, wenn die Aufsichtsbehörde - wie hier - einen Rechtsverstoß festgestellt hat.

Es ist auch kein Fehler bei der Ausübung des Auswahlermessens zu erkennen. Bei der Auswahl der geeigneten Abhilfemaßnahme nach Art. 58 Abs. 2 DSGVO muss die Aufsichtsbehörde den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten und insofern auch die Eingriffsintensität berücksichtigen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.1.2020 - VGH 1 S 3001/19 -, juris Rn. 61; VG Mainz, Urteil vom 24.9.2020 - 1 K 584/19.MZ -, juris Rn. 51). Das hier ausgesprochene Verbot der Videoüberwachung in den Sitzbereichen ist geeignet, um die beeinträchtigten Rechte der Gäste zu wahren. Es war auch erforderlich. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich. In Art. 58 Abs. 2 DS-GVO ist kein abgestuftes System dahingehend zu erkennen, dass der Beklagte zuerst eine Verwarnung hätte aussprechen müssen. Eine Verwarnung kommt regelmäßig bei einfachen Verletzungen der DS-GVO in Frage, welche zu keiner erheblichen Gefährdung des Datenschutzgrundrechts geführt haben. Eine Verwarnung wird eine Datenschutz-Aufsichtsbehörde aussprechen, wenn die Schwelle zur Verhängung einer Geldbuße noch nicht erreicht ist; die Verwarnung lässt sich daher auch als "kleine Schwester der Geldbuße" bezeichnen, also als Abhilfemaßnahme, die bei geringfügigen Verstößen gegen die DS-GVO oder sonstigen Gründen der Verhältnismäßigkeit "anstelle einer Geldbuße" (so explizit Erwägungsgrund 148 Satz 2 DS-GVO) verhängt werden kann (Selmayr in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DS-GVO Art. 58 Rn. 20 m.w.N.). Hier steht gerade kein geringfügiger Verstoß in Rede, sondern die Gäste des Wettbüros werden anlasslos und dauerhaft gefilmt und beobachtet. Der Beklagte hat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insofern schon im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens Rechnung getragen, als dass er die Videoüberwachung in weiten Teilen des Wettbüros nicht mehr beanstandet.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


Volltext BGH-Vorlagebeschluss an EuGH: Unterlassungsanspruch des Betroffenen bei DSGVO-Verstoß - Voraussetzungen und Höhe des Schadensersatzanspruchs aus Art. 82 DSGVO

BGH
Beschluss vom 26.09.2023
VI ZR 97/22
Verordnung (EU) 2016/679 Art. 17, Art. 18, Art. 79, Art. 82 Abs. 1, Art. 84; GG Art. 2 Abs. 1; BGB §§ 253, 823, § 1004 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH legt EuGH vor: Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO - Unterlassungsanspruch des Betroffenen bei DSGVO-Verstoß über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Vorlagefragen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 17, Art. 18, Art. 79, Art. 82 Abs. 1 und Art. 84 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO, ABl. EU L 119 vom 4. Mai 2016, S. 1) zur Frage des Bestehens eines unionsrechtlichen Unterlassungsanspruchs der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, bzw. zu der insoweit bestehenden Möglichkeit eines Rückgriffs auf das nationale Recht und zum Begriff des immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO.

BGH, Beschluss vom 26. September 2023 - VI ZR 97/22 - OLG Frankfurt in Darmstadt - LG Darmstadt

Die Vorlagefragen:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DatenschutzGrundverordnung, DSGVO, ABl. EU L 119 vom 4. Mai 2016, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a) Ist Art. 17 DSGVO dahingehend auszulegen, dass der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, ein Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten zusteht, wenn sie vom Verantwortlichen keine Löschung der Daten verlangt?

b) Kann sich ein solcher Unterlassungsanspruch (auch) aus Art. 18 DSGVO oder einer sonstigen Bestimmung der DSGVO ergeben?

2. Falls Fragen 1a) und/oder 1b) bejaht werden:

a) Besteht der unionsrechtliche Unterlassungsanspruch nur dann, wenn künftig weitere Beeinträchtigungen der sich aus der DSGVO ergebenden Rechte der betroffenen Person zu besorgen sind (Wiederholungsgefahr)?

b) Wird das Bestehen der Wiederholungsgefahr gegebenenfalls aufgrund des bereits vorliegenden Verstoßes gegen die DSGVO vermutet?

3. Falls Fragen 1a) und 1b) verneint werden:

Sind Art. 84 i.V.m. Art. 79 DSGVO dahingehend auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter erlauben, der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, neben dem Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens nach Art. 82 DSGVO und den sich aus Art. 17 und Art. 18 DSGVO ergebenden Ansprüchen einen Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zuzusprechen?

4. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass für die Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung bloße negative Gefühle wie z.B. Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Angst, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens sind, genügen? Oder ist für die Annahme eines Schadens ein über diese Gefühle hinausgehender Nachteil für die betroffene natürliche Person erforderlich?

5. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters bzw. seiner Mitarbeiter ein relevantes Kriterium darstellt? 6. Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden: Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?

6. Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden:

Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EDSA untersagt Meta / Facebook / Instagram die Nutzung personenbezogener Daten für personalisierte Werbung

Der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) hat Meta / Facebook / Instagram die Nutzung personenbezogener Daten für personalisierte Werbung untersagt.

Die Pressemitteilung der EDSA:
EDPB Urgent Binding Decision on processing of personal data for behavioural advertising by Meta

Launch of coordinated enforcement

On 27 October, the EDPB adopted an urgent binding decision instructing the Irish (IE) DPA as lead supervisory authority (LSA) to take, within two weeks, final measures regarding Meta Ireland Limited (Meta IE) and to impose a ban on the processing of personal data for behavioural advertising on the legal bases of contract and legitimate interest across the entire European Economic Area (EEA).

The urgent binding decision followed a request from the Norwegian Data Protection Authority (NO DPA) to take final measures in this matter that would have effect in the entire European Economic Area (EEA).

The ban on processing will become effective one week after the notification of the final measures by the IE SA to the controller.
The Irish DPC has notified Meta on 31/10 about the EDPB Urgent Binding Decision.
The EDPB takes note of Meta's proposal to rely on a consent based approach as legal basis, as it was reported on 30/10. The Irish DPC is currently evaluating this together with the Concerned Supervisory Authorities (CSAs).

EDPB Chair Anu Talus said: “After careful consideration, the EDPB considered it necessary to instruct the IE SA to impose an EEA-wide processing ban, addressed to Meta IE. Already in December 2022, the EDPB Binding Decisions clarified that contract is not a suitable legal basis for the processing of personal data carried out by Meta for behavioural advertising. In addition, Meta has been found by the IE SA to not have demonstrated compliance with the orders imposed at the end of last year. It is high time for Meta to bring its processing into compliance and to stop unlawful processing.”