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EuGH-Generalanwältin: Geldbuße von 2,4 Mrd EURO der EU-Kommission gegen Google wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung angemessen - Preisvergleichsdienste / Google Shopping

EuGH-Generalanwältin
Schlussanträge vom 11.01.2024
C-48/22 P
Google und Alphabet / Kommission (Google Shopping)


Die EuGH-Generalanwältin kommt in ihren Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass die Geldbuße von 2,4 Mrd EURO der EU-Kommission gegen Google / Alphabet wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung im Zusammenhang mit Google-Shopping bzw. Preisvergleichsdiensten rechtlich nicht zu beanstanden ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Generalanwältin Kokott schlägt dem Gerichtshof vor, die gegen Google wegen Bevorzugung des eigenen Preisvergleichsdienstes verhängte Geldbuße von 2,4 Mrd. Euro zu bestätigen

Google habe, wie von der Kommission festgestellt und vom Gericht bestätigt, seine beherrschende Stellung auf dem Markt für allgemeine Suchdienste als Hebel eingesetzt, um seinen eigenen Preisvergleichsdienst – durch die bevorzugte Anzeige seiner Ergebnisse – zu begünstigen.

Mit Beschluss vom 27. Juni 20171 stellte die Kommission fest, dass Google auf seiner Seite für allgemeine Suchergebnisse die Ergebnisse seines eigenen Preisvergleichsdienstes gegenüber jenen konkurrierender Preisvergleichsdienste bevorzugt habe. Google präsentierte nämlich die Suchergebnisse seines Preisvergleichsdienstes an oberster Stelle und – mit attraktiven Bild- und Textinformationen versehen – hervorgehoben in sog. Shopping Units. Die Suchergebnisse konkurrierender Preisvergleichsdienste erschienen dagegen nur an nachrangiger Stelle als blauer Link.

Dies hatte zur Folge, dass die Nutzer die Ergebnisse von Googles Preisvergleichsdienst häufiger anklickten als jene der Konkurrenten. Die damit einhergehende Umleitung des von Googles allgemeiner Ergebnisseite ausgehenden Datenverkehrs beruhte nicht auf einer besseren Qualität von Googles Preisvergleichsdienst. Sie resultierte vielmehr aus der Selbstbevorzugung und Hebelwirkung über Googles allgemeine Ergebnisseite, also der Ausnutzung von Googles beherrschender Stellung auf dem Markt für allgemeine Internetsuchdienste . Die konkurrierenden Preisvergleichsdienste waren aber auf den von Googles allgemeiner Ergebnisseite ausgehenden Datenverkehr angewiesen, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein und auf dem Markt für spezielle Warensuchdienste verbleiben zu können.

Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass Google seine beherrschende Stellung auf den Märkten für allgemeine Internetsuchdienste und für spezielle Warensuchdienste missbraucht habe und verhängte deswegen gegen Google eine Geldbuße in Höhe von 2.424.495.000 Euro, für die Alphabet als Googles Alleingesellschafterin in Höhe von 523.518.000 Euro gesamtschuldnerisch haftet.

Google und Alphabet haben den Kommissionsbeschluss vor dem Gericht der Europäischen Union angefochten. Mit Urteil vom 10. November 20213 wies das das Gericht die Klage im Wesentlichen ab und bestätigte insbesondere die Geldbuße. Das Gericht hielt es dagegen nicht für erwiesen, dass das Verhalten von Google auch nur potenzielle wettbewerbswidrige Auswirkungen auf den Markt für allgemeine Suchdienste hatte. Daher erklärte es den Beschluss für nichtig, soweit die Kommission darin auch in Bezug auf diesen Markt eine Zuwiderhandlung gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung festgestellt hatte.

Google und Alphabet haben daraufhin ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt, mit dem sie beantragen, das Urteil des Gerichts aufzuheben, soweit es ihre Klage abgewiesen hatte, und den Kommissionsbeschluss für nichtig zu erklären.

Generalanwältin Juliane Kokott schlägt dem Gerichtshof vor, das Rechtsmittel zurückzuweisen und somit die gegen Google verhängte Geldbuße zu bestätigen. Bei der Google vorgeworfenen Selbstbevorzugung handele es sich um eine eigenständige Form des Missbrauchs durch Anwendung unangemessener Zugangsbedingungen für konkurrierende Preisvergleichsdienste, vorausgesetzt, dass sie zumindest potentielle wettbewerbswidrige Auswirkungen hat (wie sie die Kommission im vorliegenden Fall in Form einer Verdrängungswirkung auf dem Markt für spezielle Warensuchdienste festgestellt habe). Auf eine solche Form des Missbrauchs seien die strengen Kriterien für die Anerkennung eines Missbrauchs durch die Verweigerung des Zugangs zu einer „wesentlichen Einrichtung“ (sog. Bronner-Kriterien) nicht anwendbar.

Die Kommission und das Gericht hätten zutreffend ausgeführt, dass die Ungleichbehandlung von Konkurrenten durch Selbstbevorzugung unter Einsatz einer Hebelwirkung erfolgte, die darin bestand, dass Google seine beherrschende Stellung auf dem Markt für allgemeine Internetsuchdienste ausnutzte, um sich auf dem nachgelagerten Markt für spezielle Warensuchdienste Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, auf dem sie (noch) keine solche Stellung innehatte.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:


EuGH-Generalanwältin: Anforderung von EncroChat-Daten aus Frankreich durch deutsche Staatsanwaltschaft per Europäischer Ermittlungsanordnung unionsrechtskonform

EuGH-Generalanwältin
Schlussanträge vom 26.10.2023
C-670/22
Staatsanwaltschaft Berlin - EncroChat


Die EuGH-Generalanwältin kommt in ihren Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass die Anforderung von EncroChat-Daten aus Frankreich durch eine deutsche Staatsanwaltschaft per Europäischer Ermittlungsanordnung unionsrechtskonform ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Generalanwältin Ćapeta: Eine Staatsanwaltschaft kann eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) zur Übermittlung von Beweismitteln, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat erhoben wurden, erlassen

Dies ist der Fall, wenn nach dem für diese Staatsanwaltschaft geltenden nationalen Recht in einem
vergleichbaren innerstaatlichen Fall eine Übermittlung angeordnet werden kann. In einem solchen Fall darf die Behörde, die eine EEA erlässt, die Rechtmäßigkeit der Erhebung dieser Beweismittel im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht prüfen.

EncroChat war ein verschlüsseltes Telekommunikationsnetz, das seinen Nutzern nahezu vollständige Anonymität bot. Das Gerät verfügte über keine Kamera, kein Mikrofon, kein GPS und keinen USB-Anschluss; Nachrichten konnten automatisch gelöscht werden und Nutzer konnten nach der Verwendung eines speziellen PIN-Codes oder nach der wiederholten Eingabe eines falschen Passworts sofort alle Daten auf dem Gerät löschen. Durch eine gemeinsame französisch-niederländische Ermittlungsoperation wurde eine Trojaner-Software entwickelt, die über ein simuliertes Update auf den Endgeräten installiert wurde. EncroChat-Nutzer in 122 Ländern waren von dieser Überwachung betroffen, darunter ca. 4 600 Nutzer in Deutschland. Eine deutsche Staatsanwaltschaft erließ mehrere EEAs mit dem Ersuchen, abgefangene Daten für Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Verdacht des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln durch nicht identifizierte Personen, die verdächtigt wurden, einer organisierten kriminellen Vereinigung anzugehören, verwenden zu dürfen. Ein französisches Strafgericht genehmigte die Europäischen Ermittlungsanordnungen und übermittelte die angeforderten Daten. Daraufhin führte
die deutsche Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen individualisierte EncroChat-Nutzer durch. Der Angeklagte in der vorliegenden Rechtssache wurde auf der Grundlage der aus Frankreich erhaltenen Beweismittel angeklagt.

Beanstandungen strafrechtlicher Verurteilungen, die als Folge abgefangener EncroChat-Daten ergangen sind, schlagen hohe Wellen quer durch europäische Höchstgerichte, wobei der Gerichtshof keine Ausnahme darstellt.

Das deutsche Landgericht, bei dem das hier in Rede stehende Strafverfahren anhängig ist, fragt den Gerichtshof, ob die fraglichen Europäischen Ermittlungsanordnungen unter Verstoß gegen die EEA-Richtlinie erlassen worden seien.

In ihren heutigen Schlussanträgen weist Generalanwältin Tamara Ćapeta darauf hin, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung nur erlassen werden könne, wenn die darin enthaltene Ermittlungsmaßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen hätte angeordnet werden können. In der vorliegenden Rechtssache handele es sich bei einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall um einen solchen, in dem Beweismittel innerhalb Deutschlands von einem Strafverfahren in ein anderes übermittelt würden. Da die EEA-Richtlinie es einer in einem bestimmten Fall zuständigen Staatsanwaltschaft erlaube, eine Europäische Ermittlungsanordnung zu erlassen, und das deutsche Recht offenbar nicht verlange, dass ein Gericht eine vergleichbare nationale Übermittlung genehmige, ist die Generalanwältin der Auffassung, dass die deutsche Staatsanwaltschaft befugt gewesen sei, die in Rede stehenden Europäische Ermittlungsanordnung zu erlassen. Mit anderen Worten verlange das Unionsrecht nicht, dass solche Anordnungen von einem Gericht erlassen würden.

Die Generalanwältin stellt ferner fest, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs von französischen Gerichten genehmigt worden sei und die deutschen Behörden diesem Verfahrensschritt deshalb denselben Stellenwert beimessen sollten, den sie ihm innerstaatlich beimessen würden. Dies wäre auch dann der Fall, wenn ein deutsches Gericht in einem konkreten Verfahren anders entscheiden würde.

Schließlich richte sich die Zulässigkeit von möglicherweise unter Verstoß gegen Unionsrecht erlangten Beweismitteln nicht nach dem Unionsrecht, sondern nach nationalem Recht, sofern die durch die Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte gewahrt würden.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

EuGH-Generalanwältin: Kein Verstoß gegen DSGVO wenn nationale Anti-Doping-Behörde personenbezogene Daten eines gedopten Profisportlers im Internet veröffentlicht

EuGH-Generalanwältin
Schlussantrage vom 14.09.2023
C-115/22 | NADA u. a.


Die EuGH-Generalanwältin kommt in ihren Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass kein Verstoß gegen die DSGVO vorliegt, wenn eine nationale Anti-Doping-Behörde personenbezogene Daten eines gedopten Profisportlers im Internet veröffentlicht.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Dopingbekämpfung und Datenschutz: Nach Ansicht von Generalanwältin Ćapeta verstößt eine nationale Anti-Doping-Behörde, die personenbezogene Daten eines gedopten Profisportlers im Internet veröffentlicht, nicht gegen die DSGVO

Der dadurch entstehende Eingriff in das Recht auf Datenschutz kann mit dem Präventionsziel einer solchen Veröffentlichung gerechtfertigt werden.

Eine österreichische Profisportlerin im Mittelstreckenlauf wurde für schuldig befunden, gegen österreichische AntiDoping-Regeln verstoßen zu haben. Die Österreichische Anti-Doping-Rechtskommission (ÖADR) erklärte alle im fraglichen Zeitraum von der Sportlerin erzielten Ergebnisse für ungültig, erkannte alle Start- und/oder Preisgelder ab und verhängte über sie eine vierjährige Sperre für die Teilnahme an jeglicher Art von sportlichen Wettkämpfen. Dieser Beschluss wurde von der ÖADR und der Unabhängigen Schiedskommission (USK) bestätigt.

Die Unabhängige Dopingkontrolleinrichtung (NADA) veröffentlichte in Bezug auf die Sportlerin auch ihren Namen, ihren Verstoß gegen die Anti-Doping-Regeln und den Zeitraum der Sperre in einer Tabelle gesperrter Sportler auf ihrer öffentlich zugänglichen Website.

Die Sportlerin beantragte bei der USK eine Überprüfung des Beschlusses. Diese Einrichtung möchte unter anderem wissen, ob die Veröffentlichung personenbezogener Daten eines gedopten Profisportlers im Internet mit der DSGVO vereinbar ist.

In den heutigen Schlussanträgen geht Generalanwältin Tamara Ćapeta zuerst auf die Zulässigkeit des Ersuchens ein. Nach Ansicht der Generalanwältin ist die USK ein „Gericht“’ im Sinne von Art. 267 Abs. 4 AEUV. Die Generalanwältin vertritt nämlich die Ansicht, dass die USK unter den Umständen des vorliegenden Falles sogar ein „Gericht“ darstelle, gegen dessen Entscheidungen keine Rechtsmittel gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV eingelegt werden könnten. Die USK sei daher sogar zur Vorlage verpflichtet gewesen.

In materiellrechtlicher Hinsicht befindet Generalanwältin Tamara Ćapeta zuerst, dass die DS-GVO auf den Sachverhalt des Falles nicht anwendbar sei. Das Anti-Doping-Recht regele vorrangig den Sport als Sport. Es beziehe sich eher auf die sozialen und erzieherischen Funktionen des Sports als auf seine wirtschaftlichen Aspekte. Es gebe derzeit keine unionsrechtlichen Vorschriften, die die Anti-Doping-Politik der Mitgliedstaaten beträfen. Ohne auch eine nur indirekte Verbindung der Anti-Doping-Politik zum Unionsrecht könne die DS-GVO solche Verarbeitungstätigkeiten nicht regeln. Deshalb vertritt die Generalanwältin die Ansicht, dass der Sachverhalt dieses Falles nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts und somit nicht in den Anwendungsbereich der DS-GVO falle.

Alternativ vertritt die Generalanwältin Tamara Ćapeta die Ansicht, dass die DS-GVO in einem bestimmten Kontext die Verarbeitung personenbezogener Daten erlaube, ohne dass eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich sei. Die Entscheidung des österreichischen Gesetzgebers, zu verlangen, dass bei Profisportlern, die gegen geltende Anti-Doping-Regeln verstießen, personenbezogene Daten an die Allgemeinheit bekannt gegeben würden, unterliege daher keiner zusätzlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung jedes Einzelfalles. Der durch die Veröffentlichung verursachte Eingriff in die Rechte von Profisportlern könne mit dem Präventionsziel gerechtfertigt werden, dass junge Sportler von Verstößen gegen Anti-DopingRegeln abgehalten und interessierte Kreise unterrichtet würden.

Generalanwältin Tamara Ćapeta erläutert weiter, dass es in der modernen Gesellschaft nur einen einzigen Weg gebe, um sicherzustellen, dass eine Pflicht zur allgemeinen Bekanntgabe wie im vorliegenden Fall die Pflicht des österreichischen Gesetzgebers erfüllt werde, nämlich durch eine Veröffentlichung im Internet. Eine bloße Veröffentlichung in gedruckter Form könne nicht mehr als geeignetes Mittel angesehen werden, um die Allgemeinheit mit Informationen zu versorgen. Wenn lediglich eine Offline-Veröffentlichung der fraglichen Informationen gefordert würde, käme dies einer Umgehung der Pflicht zur Information der Allgemeinheit gleich. Die Bekanntgabe des Namens der Sportlerin, des fraglichen Verstoßes gegen Anti-Doping-Regeln und der gegen sie verhängten Sperre auf der öffentlich zugänglichen Website einer nationalen Anti-Doping-Behörde sei während der Dauer ihrer Sperre geeignet und erforderlich, um die präventive Funktion der Abschreckung einerseits und der Information der interessierten Kreise andererseits zu erfüllen.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

EuGH-Generalanwältin: Erfassung und Speicherung des Fingerabdrucks auf Personalausweis mit DSGVO und anderen unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar

EuGH-Generalanwältin
Schlussanträge vom
C-61/22


Die EuGH-Generaltanwältin kommt in ihren Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass die obligatorische Erfassung und Speicherung des Fingerabdrucks auf dem Personalausweis mit der DSGVO und anderen unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Nach Ansicht von Generalanwältin Medina ist die obligatorische Erfassung und Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen gültig

Die Verordnung 2019/11571 enthält ab dem 2. August 2021 die Verpflichtung, in jeden von den Mitgliedstaaten neu ausgestellten Personalausweis Fingerabdrücke des Inhabers auf einem hochsicheren Speichermedium aufzunehmen.

Im November 2021 stellte ein deutscher Staatsbürger bei der Landeshauptstadt Wiesbaden (Deutschland) einen Antrag auf Ausstellung eines neuen Personalausweises. In seinem Antrag ersuchte er ausdrücklich darum, diesen Ausweis ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken im Chip des Ausweises auszustellen.

Die Landeshauptstadt Wiesbaden lehnte diesen Antrag u. a. mit der Begründung ab, dass der Personalausweis nicht ohne ein Abbild von Fingerabdrücken des Inhabers ausgestellt werden könne, da seit dem 2. August 2021 die Verpflichtung bestehe, ein Fingerabdruckbild im Chip neuer Personalausweise zu speichern.

Das in diesem Zusammenhang angerufene Verwaltungsgericht Wiesbaden hegt Zweifel an der Gültigkeit der Verordnung 2019/1157 und demzufolge an dem verpflichtenden Charakter der Erfassung und Speicherung von Fingerabdrücken in deutschen Personalausweisen. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden möchte insbesondere wissen, erstens, ob die richtige Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung 2019/1157 Art. 21 Abs. 2 AEUV oder nicht vielmehr Art. 77 Abs. 3 AEUV gewesen sei, zweitens, ob die Verordnung 2019/1157 mit den Art. 7 und 8 der Charta in Verbindung mit deren Art. 52 Abs. 1 vereinbar sei und, drittens, ob diese Verordnung mit der Verpflichtung zur Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung gemäß Art. 35 Abs. 10 der Datenschutz-Grundverordnung im Einklang stehe.

In ihren Schlussanträgen vom heutigen Tag kommt Generalanwältin Laila Medina zunächst zu dem Ergebnis, dass die Verordnung 2019/1157 zu Recht auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 2 AEUV erlassen worden sei, um die Ausübung des Rechts der Unionbürger, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zu erleichtern.

In diesem Zusammenhang stellt sie fest, dass dieses Recht es den Unionsbürgern ermögliche, am Alltagsleben der anderen Einwohner des Aufnahmemitgliedstaats teilzuhaben. Die nationalen Personalausweise hätten somit die gleichen Funktionen wie die Personalausweise der Gebietsansässigen, was bedeute, dass nur ein zuverlässiger und authentischer Identitätsnachweis die uneingeschränkte Inanspruchnahme der Freizügigkeit erleichtere.

Die Vereinheitlichung des Formats der Personalausweise und die Verbesserung ihrer Zuverlässigkeit durch Sicherheitsstandards, einschließlich digitaler Fingerabdrücke, wirkten sich unmittelbar auf die Ausübung dieses Rechts aus, indem sie diese Ausweise vertrauenswürdiger machten und damit die Akzeptanz bei den Behörden der Mitgliedstaaten und den Dienstleistern stärkten. Letztendlich bedeute dies eine Verringerung der Unannehmlichkeiten, Kosten und administrativen Hindernisse für mobile Unionsbürger.

Schließlich ist sie der Auffassung, dass die dem Rat durch Art. 77 Abs. 3 AEUV verliehene Zuständigkeit dahin zu verstehen sei, dass sie sich ausschließlich auf den Kontext der Grenzkontrollpolitik beziehe. Eine Unionsmaßnahme, die über diesen spezifischen Zusammenhang hinausgehe, wie dies bei der Verordnung 2019/1157 der Fall sei, falle nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung.

Die Generalanwältin wendet sich dann der Prüfung zu, ob die Verpflichtung, ein Abbild von zwei Fingerabdrücken zu erfassen und in Personalausweisen zu speichern, eine nicht gerechtfertigte Einschränkung des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens im Hinblick auf die Verarbeitung personenbezogener Daten darstelle.

Die Verordnung 2019/1157, die Maßnahmen einführe, die den vom Gerichtshof im Urteil Schwarz in Bezug auf Reisepässe geprüften vergleichbar seien, stelle eine Einschränkung der von den Art. 7 und 8 gewährleisteten Rechte dar. Daher sei zu prüfen, ob diese Verarbeitung auf der Grundlage von Art. 52 Abs. 1 der Charta gerechtfertigt werden könne.

Zur Frage, ob die sich aus der Verordnung 2019/1157 ergebenden Einschränkungen einer dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung entsprechen, vertritt die Generalanwältin die Auffassung, dass, da die fehlende Einheitlichkeit der Formate und Sicherheitsmerkmale der nationalen Personalausweise die Gefahr von Fälschungen und Dokumentenbetrug erhöhe, die von der Verordnung 2019/1157 eingeführten Einschränkungen, die diese Gefahr bekämpfen und damit die Akzeptanz solcher Ausweise fördern sollten, eine solche Zielsetzung verfolgten.

Sie ist außerdem der Ansicht, dass diese Einschränkungen geeignet und erforderlich seien und nicht über das hinausgingen, was zur Erreichung des Hauptziels dieser Verordnung absolut notwendig sei. Insbesondere scheine es keine im Vergleich zur Abnahme und Speicherung von Fingerabdrücken gleichermaßen geeignete, aber weniger in die Privatsphäre eingreifende Methode zu geben, um das Ziel der Verordnung 2019/1157 auf ähnlich wirksame Weise zu erreichen. Darüber hinaus biete die Verordnung 2019/1157 hinreichende und geeignete Maßnahmen, die sicherstellten, dass die Erfassung, Speicherung und Verwendung biometrischer Identifikatoren wirksam vor Missbrauch oder Fehlgebrauch geschützt sei. Diese Maßnahmen garantierten, dass in einem neu ausgestellten Ausweis gespeicherte biometrische Identifikatoren nach Ausstellung dieses Ausweises ausschließlich dem Ausweisinhaber zur Verfügung stünden und dass sie nicht öffentlich zugänglich seien. Ferner enthalte die Verordnung 2019/1157 keine Rechtsgrundlage für die Einrichtung oder Aufrechterhaltung nationaler Datenbanken oder einer zentralen Datenbank auf der Ebene der Europäischen Union.

Was schließlich die Frage angeht, ob die Verordnung 2019/1157 mit der Verpflichtung zur Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung nach Art. 35 Abs. 10 DSGVO im Einklang stehe, weist die Generalanwältin darauf hin, dass die DSGVO und die Verordnung 2019/117 Rechtsakte des Sekundärrechts seien, die in der Hierarchie der Quellen des Unionsrechts gleichrangig seien. Außerdem ergebe sich aus der DSGVO an keiner Stelle, dass die Verpflichtung zur Durchführung einer Folgenabschätzung, wie sie in Art. 35 Abs. 1 DSGVO vorgesehen ist, für den Unionsgesetzgeber verbindlich sei, noch lege diese Bestimmung irgendein Kriterium fest, anhand dessen die Gültigkeit einer anderen sekundärrechtlichen Rechtsvorschrift der Europäischen Union zu beurteilen wäre. Die Generalanwältin ist daher der Ansicht, dass das Europäische Parlament und der Rat in dem Gesetzgebungsverfahren, das zum Erlass der Verordnung 2019/1157 geführt habe, nicht zur Durchführung einer Folgenabschätzung verpflichtet gewesen seien.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

EuGH-Generalanwältin: Software die für Zulassungstests Einfluss auf Emissionskontrollsystem bei Dieselfahrzeugen nimmt ist unzulässige Abschalteinreichtung nach EU-Verordnung Nr. 715/2007

EuGH-Generalanwältin
Schlussanträge vom 30.04.2020
C-693/18
CLCV u. a. (Abschalteinrichtung bei einem Dieselmotor)


Die EuGH-Generalanwältin kommt in Ihren Schlussanträgen zudem Ergebnis dass Software die für Zulassungstests Einfluss auf das Emissionskontrollsystem bei Dieselfahrzeugen nimmt, eine unzulässige Abschalteinreichtung nach EU-Verordnung Nr. 715/2007 ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Laut Generalanwältin Sharpston stellt eine Vorrichtung, die bei Zulassungstests von Dieselkraftfahrzeugen einen verstärkenden Einfluss auf die Funktion des Emissionskontrollsystems dieser Fahrzeuge ausübt, eine unionsrechtlich verbotene „Abschalteinrichtung“ dar

Das Ziel, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verzögern, rechtfertigt nicht den Einsatz einer solchen Vorrichtung Das Unternehmen X ist ein Automobilhersteller, der Kraftfahrzeuge in Frankreich vertreibt. Dieses Unternehmen soll Fahrzeuge mit einer Software auf den Markt gebracht haben, die geeignet ist, die Ergebnisse der Zulassungstests in Bezug auf Emissionen von Schadstoffen, wie etwa Stickoxiden (im Folgenden: NOx), zu verfälschen.

Infolge von Enthüllungen in der Presse leitete die Staatsanwaltschaft von Paris (Frankreich) eine Untersuchung ein, woraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen X in Gang gesetzt wurde. Die mutmaßliche Straftat soll darin bestehen, die Erwerber von Dieselmotorfahrzeugen über wesentliche Eigenschaften dieser Fahrzeuge und über die vor deren Inverkehrbringen durchgeführten Prüfungen getäuscht zu haben.

Die fraglichen Fahrzeuge waren mit einem Ventil zur Abgasrückführung (AGR) ausgestattet. Das AGR-Ventil ist eine der Technologien, die von den Automobilherstellern zur Kontrolle und Reduzierung der endgültigen NOx-Emissionen verwendet werden. Es handelt sich um ein System, das darin besteht, einen Teil der Motorabgase zum Lufteinlass, d. h. dorthin, wo die dem Motor zugeführte Frischluft eintritt, zurückzuführen, um die endgültigen NOx-Emissionen zu verringern.

Vor dem Inverkehrbringen wurden diese Fahrzeuge in einem Labor Zulassungstests nach einem in Abhängigkeit von verschiedenen technischen Parametern (Temperatur, Geschwindigkeit etc.) vordefinierten Fahrzyklus (dem New European Driving Cycle) unterzogen. Diese Tests haben unter anderem den Zweck, die NOx-Emissionshöhe und die entsprechende Einhaltung der durch die Verordnung (EG) Nr. 715/20071 festgelegten Grenzwerte zu überprüfen. Die Emissionen der fraglichen Fahrzeuge waren somit nicht unter realen Fahrbedingungen geprüft worden.

Ein technisches Gutachten, das im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erstellt wurde, kam zu dem Ergebnis, dass die fraglichen Fahrzeuge über eine Vorrichtung verfügen, die in der Lage ist, die Phasen der Zulassungstests zu erkennen und in der Folge die Funktion des AGR-Systems so anzupassen, dass die vorgeschriebene Emissionsobergrenze eingehalten wird. Umgekehrt führt diese Vorrichtung unter anderen Bedingungen als jenen der Zulassungstests, d. h. beim normalen Fahrbetrieb, zu einer (teilweisen) Deaktivierung des AGR-Systems und – folglich – zu einer Erhöhung der NOx-Emissionen. Der Gutachter erläuterte, dass die Fahrzeuge bis zu 50 % weniger NOx erzeugt hätten, wenn das AGR-System bei realem Fahrbetrieb so funktioniert hätte wie bei den Zulassungstests. Die Wartungsarbeiten wären aber bei diesen Fahrzeugen unter anderem aufgrund einer schnelleren Verschmutzung des Motors häufiger und kostspieliger gewesen.

Der Untersuchungsrichter (Vizepräsident) beim Tribunal de grande instance [jetzt Tribunal judiciaire] de Paris (Frankreich) hegt Zweifel, ob die betreffenden Fahrzeuge den Anforderungen der Verordnung Nr. 715/2007 entsprechen, und insbesondere, ob die oben erwähnte Vorrichtung erlaubt ist.

Die Verordnung verbietet nämlich ausdrücklich die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen unter normalen Nutzungsbedingungen verringern. Der nationale Richter hat beschlossen, den Gerichtshof anzurufen, um Klarstellungen insbesondere zur Definition und zur Tragweite der Konzepte „Emissionskontrollsystem“ und „Abschalteinrichtung“ zu erhalten.

In ihren heutigen Schlussanträgen weist Generalanwältin Eleanor Sharpston eingangs darauf hin, dass das Konzept der „Abschalteinrichtung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 ein Konstruktionsteil bezeichnet, „das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems
zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.

Die Generalanwältin prüft den Begriff „Emissionskontrollsystem“, um zu ermitteln, ob er ausschließlich die Technologien und Strategien erfasst, die die Emissionen im Nachhinein (nach ihrem Entstehen) verringern, oder vielmehr auch die Technologien und Strategien, die – wie das AGR-System – die Emissionen im Vorhinein (bei ihrem Entstehen) reduzieren. Das Unternehmen
X hatte für eine enge Auslegung plädiert, die die Tragweite dieses Begriffs auf die nur im Nachhinein wirksamen Technologien und Strategien beschränkt.

Am Ende ihrer Prüfung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 715/2007 kommt die Generalanwältin insbesondere im Licht der Ziele des Umweltschutzes und der Verbesserung der Luftqualität innerhalb der Union zu dem Ergebnis, dass der Begriff „Emissionskontrollsystem“ sowohl die Technologien, die Strategien und die mechanischen oder informationstechnologischen Bestandteile umfasst, die – wie das AGR-System – in der Lage sind, die Emissionen (darunter NOx) im Vorhinein zu verringern, als auch jene, mit denen sie im Nachhinein, nach ihrem Entstehen, behandelt und reduziert werden können.

In Bezug auf den Begriff „Abschalteinrichtung“ geht die Generalanwältin davon aus, dass eine Vorrichtung, die einen beliebigen Parameter, der mit dem Ablauf der Zulassungsverfahren zusammenhängt, ermittelt, um bei diesen Verfahren die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren oder im Sinne einer Verstärkung zu verändern und somit die Zulassung des Fahrzeugs zu erlangen, eine „Abschalteinrichtung“ darstellt, selbst wenn die Veränderung im Sinne einer Verstärkung der Funktion des Emissionskontrollsystems punktuell auch eintreten kann, wenn genau die Bedingungen, die sie auslösen, zufällig unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs auftreten.

Schließlich stellt die Generalanwältin fest, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, nach der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässig ist, aber ausnahmsweise genehmigt werden darf, insbesondere wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“.

Sie weist jedoch darauf hin, dass diese Ausnahme eng auszulegen ist. Dabei erfasst diese Ausnahme nach Ansicht der Generalanwältin nur den Schutz des Motors vor dem Eintreten von unmittelbaren und plötzlichen Schäden (und nicht vor langfristigeren Auswirkungen wie Abnutzung oder Wertverlust).

Sie merkt an, dass die Automobilhersteller nach der Verordnung Nr. 715/2007 dafür zu sorgen haben, dass die Fahrzeuge die vorgeschriebenen Emissionsgrenzen während ihres gesamten normalen Betriebs einhalten. Dies impliziert, dass die Fahrzeuge unter Einhaltung dieser Grenzen sicher zu funktionieren haben. Man kann zwar nicht ausschließen, dass die Funktion eines Emissionskontrollsystems die Lebensdauer oder die Zuverlässigkeit des Motors (langfristig) negativ beeinflussen kann, aber dieser Umstand rechtfertigt es keineswegs, dieses System beim normalen Fahrzeugbetrieb unter normalen Nutzungsbedingungen zu desaktivieren, nur um den Motor gegen seinen Verschleiß oder seine fortschreitende Verschmutzung zu schützen – was der Verordnung ihre praktische Wirksamkeit nehmen würde.

Die Generalanwältin ist daher der Ansicht, dass nur unmittelbare Beschädigungsrisiken, die die Zuverlässigkeit des Motors beinträchtigen und eine konkrete Gefahr bei der Lenkung des Fahrzeugs darstellen, das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung rechtfertigen können.

Nach Ansicht von Generalanwältin Sharpston rechtfertigt das Ziel, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verzögern, nicht den Einsatz einer Abschalteinrichtung. Sie erläutert, dass es Sache des nationalen Gerichts sein wird, festzustellen, ob die fragliche Vorrichtung unter diese Ausnahme fällt.

Die Generalanwältin merkt jedoch an, dass das AGR-System nach den Angaben des von dem nationalen Gericht bestellten Gutachters „den Motor nicht zerstört“, aber die Motorleistung bei der Nutzung verschlechtern und seine Verschmutzung beschleunigen kann, wodurch Wartungsarbeiten „häufiger und kostspieliger“ würden. Angesichts dieser in dem Gutachten enthaltenen Feststellung ist die Generalanwältin der Auffassung, dass die fragliche Abschalteinrichtung nicht notwendig erscheint, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.


Die volltständigen Schlussanträge finden Sie hier: