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AG Kerpen: Nutzer eines Forums kann mit Kündigungsfrist von 6 Monaten ordentlich gekündigt werden - Forenutzungsvertrag ist ein atpyisches Dauerschuldverhältnis

AG Kerpen
Urteil vom 10.04.2017
102 C 297/16


Das AG Kerpen hat entschieden, dass dem Nutzer eines Forums nur mit einer Kündigungsfrist von 6 Monaten ordentlich gekündigt werden kann. Das AG Kerpen führt aus, dass ein Forenutzungsvertrag ein atpyisches Dauerschuldverhältnis ist und sich die Kündigungsfrist in entsprechender Anwendung aus § 624 S. 2 BGB ergibt.

Eine Klausel in den Nutzungsbedingungen, die den sofortigen Ausschluss aus dem Forum ermöglicht, ist nach Ansicht des Gerichts unwirksam.

Bei entsprechenden Verstößen besteht die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung. Allerdings dürfte oft, wie auch das AG Kerpen in diesem Fall ausführt, eine vorherige Abmahnung erforderlich sein.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Dieser Vertrag besteht im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch fort.

Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag ist ein "Dauerschuldverhältnis" im Sinne von § 314 BGB, denn aus ihm folgen während seiner Laufzeit ständig neue Leistungs-, Neben- und Schutzpflichten (so auch: Feldmann/Heinrichs, CR 2007, 406 [410]). Der Kläger als angemeldeter Nutzer erhält die Möglichkeit, Beiträge zu posten und die übrige Infrastruktur zu nutzen (siehe oben), der Beklagte stellt diese zur Verfügung. Beide sind gegenseitig insbesondere auch zur Rücksichtnahme verpflichtet (§ 241 Abs. 2 BGB). Gerade die Tatsache, dass ein privates Postfach angeboten wird, zeigt auch, dass die Beziehungen auf gewisse Dauer angelegt sind.

Der Vertrag ist nicht dadurch beendet worden, dass er Beklagte die Nutzungsrechte des Klägers im Nachgang an den Beitrag vom 18.05.2016 einschränkte und dem Kläger die Schreibrechte nahm. Für eine Vertragsbeendigung durch eine Kündigung fehlt es insoweit schon an einer entsprechenden Willenserklärung des Beklagten. Dem Verhalten des Beklagten kann nach Maßgabe von § 133, § 157 BGB von einem verobjektivierten Empfängerhorizont her nicht die Bedeutung beigemessen werden, der Beklagte habe die Vertragsbeziehung mit dem Kläger vollends beenden wollen. Hierfür spricht insbesondere, dass er das Benutzerkonto des Klägers nicht gelöscht oder vollends deaktiviert hat, sondern nur die Schreibrechte des Klägers eingeschränkt hat. Gerade darauf hat der Beklagte auch im Rahmen der mündlichen Anhörung Wert gelegt (vgl. Bl. 85, 85R GA).

Der Vertrag ist auch durch die Kündigungserklärung des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 14.10.2016 noch nicht beendet.

Die ausdrücklich erklärte fristlose Kündigung des Beklagten konnte das Vertragsverhältnis vorliegend nicht beenden. Die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung gemäß § 314 Abs. 1, Abs. 2 BGB lagen nicht vor. Die fristlose Kündigung setzt nach dieser Vorschrift voraus, dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Ein wichtiger Grund kann insbesondere darin bestehen, dass eine Partei ihre Pflichten aus dem Vertrag verletzt. In diesem Fall ist Voraussetzung für eine außerordentliche und fristlose Kündigung eine vorangegangene, erfolglose Abmahnung.

Nach diesem Maßstab konnte der Beklagte das Vertragsverhältnis nicht außerordentlich und fristlos kündigen.

Allenfalls kommt ein Verstoß des Klägers gegen die Nutzungsbedingungen als "wichtiger Grund" in Betracht. Die Nutzungsbedingungen sind gemäß § 305 Abs. 2, Abs. 3 BGB Bestandteil des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags geworden, sie konkretisieren die vertraglichen Verhaltens- und Rücksichtnahmepflichten des Klägers als Forennutzer insbesondere dahingehend, dass er im Rahmen seiner Forenaktivitäten nicht (ge-)werblich tätig werden darf. Dabei kann hier im Ergebnis aber dahinstehen, ob der Kläger durch die im Tatbestand ausgeführten Beiträge zu den Drohnen der Firma Z gegen diese Verhaltenspflichten verstoßen hat. Es fehlt für die Annahme einer zulässigen Kündigung aus wichtigem Grund an einer erforderlichen erfolglosen Abmahnung.

Der Beklagte hat den Kläger zu keinem Zeitpunkt erfolglos abgemahnt. Ein Verhalten des Beklagten, dass als Abmahnung eines womöglich vertragswidrigen Verhaltens verstanden werden könnte (§§ 133, 157 BGB analog), liegt in der Kontaktaufnahme und der nachfolgenden Beschränkung der Nutzungsrechte im Nachgang an den Forenbeitag vom 18.05.2016. Diese Abmahnung war aber nicht erfolglos. Nach der Kontaktaufnahme und nach der Teilsperrung seines Nutzerkontos, hat der Kläger keinerlei Verhalten an den Tag gelegt, dass als Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen in Betracht kommt. Auch der Beklagte hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung bekundet, es sei nichts (ge-)werbliches mehr gepostet worden (Bl. 85, 85R GA). Dass der Kläger unabhängig von seiner Mitgliedschaft in dem Forum des Beklagten auf seinem Youtube-Kanal im weiteren zeitlichen Verlauf Videos veröffentlicht hat, die bei unbefangener Betrachtung den Eindruck erwecken, er stehe zu dem Drohnenhersteller Z in Verbindung, ist kein Verstoß gegen Vertragspflichten aus dem Forennutzungsvertrag.

Eine Abmahnung zu einem früheren Zeitpunkt hat der Beklagte selbst nicht vorgetragen, es ist auch nicht ersichtlich, dass er sich den substanzlosen - und auch aus dem übrigen Parteivortrag nicht verifizierbaren - Klägervortrag zu "immer wieder" erfolgten "unberechtigten Abmahnungen" (Bl. 3 GA) zu eigen machte, insbesondere auch auf den gerichtlichen Hinweis zur fehlenden erfolglosen Abmahnung im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht. Auch der Kläger hält an diesem Vortrag nicht fest. Die Parteien haben vielmehr im Rahmen der mündlichen Anhörung übereinstimmend ausgeführt, eine Kontaktaufnahme wegen des Verhaltens des Klägers im Forum des Beklagten sei erstmals im Nachgang an den Beitrag vom 18.05.2016 erfolgt.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass besondere Umstände hier die Abmahnung gemäß § 314 Abs. 2 S. 3 BGB entbehrlich sein ließen. Insbesondere kann dies nicht deshalb angenommen werden, weil der Kläger ein vertragswidriges Verhalten bestreitet.

Dass Vertragsverhältnis ist auch durch eine ordentliche Kündigung derzeit noch nicht beendet. Zwar kann ein unbefristet geschlossenes Dauerschuldverhältnis "ordentlich", also unter Einhaltung einer angemessenen Frist gekündigt werden, denn die Parteien haben das ordentliche Kündigungsrecht nicht ausgeschlossen (Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, Rn. 13 mwN). Es steht grundsätzlich, und auch bei Forennutzungsverträgen der hier vorliegenden Art, den Parteien frei, über den Fortbestand vertraglicher Beziehungen privatautonom zu entscheiden.

Die Kündigungsfrist beträgt jedoch im vorliegenden Fall in Anlehnung an § 624 S. 2 BGB 6 Monate, der Forennutzungsvertrag ist erst im Monat Mai 2017 beendet, der Zugang (§ 130 BGB) der Kündigungserklärung ist erst im November 2016 erfolgt, denn die Klägerseite hat die Kündigungserklärung aus dem Schriftsatz vom 14.10.2016 - soweit nachweisbar - erst am 17.11.2016 erhalten (vgl. Schriftsatz vom 17.11.2016, Bl. 38 GA).

Der Forennutzungsvertrag ist ein nicht typisiertes Dauerschuldverhältnis. In einem solchen Fall ist für die Bestimmung der Frist der ordentlichen Kündigung auf die Regelungen zu den typisierten Dauerschuldverhältnissen zurückzugreifen (BGH, Urteil vom 28.02.1973 - III ZR 212/70 = NJW 1972, 1182; Urteil vom 25.05.1993 - X ZR 79/92 = NJW-RR 1993, 1460), im vorliegenden Fall auf § 624 S. 2 BGB.

Es ist für die Bestimmung der Kündigungsfrist auf die dienstvertraglichen Vorschriften der §§ 611ff BGB zurückzugreifen, denn der Forennutzungsvertrag kommt von den gesetzlich typisierten Verträgen dem Dienstvertrag am nächsten. Der Forenbetreiber bietet am ehesten Dienste im Sinne der §§ 611ff BGB an, denn er verschafft eine Teilnahmemöglichkeit an einer virtuellen Gemeinschaft mit den einhergehenden Kommunikations- und Informationsgelegenheiten. Hierbei handelt es sich um nicht erfolgsbezogene Umstände, die aber auch nur bedingt "dienstvertraglich" genannt werden können (weswegen die Annahme eins typengemischten Vertrags ausgeschlossen ist), gerade da der Forenbetreiber die Kommunikation und die Information durch die Schaffung einer Plattform für eine Vielzahl von Personen nur mediatisiert, aber nicht selber aktiv erbringt.

Sofern Feldmann/Heinrichs ohne Begründung von der Anwendbarkeit von § 671 BGB ausgehen (CR 2006, 406 [411]), folgt das Gericht dem nicht.

b.

Im Rahmen der fortbestehenden Vertragsbeziehungen hat der Beklagte auch keine Berechtigung, dem Kläger die Schreibrechte zu entziehen, wie er dies im vorliegenden Fall getan hat.

Etwas anderes folgt insbesondere nicht aus den Nutzungsbedingungen des Forums.

Soweit diese vorsehen, dass Nutzer jederzeit und ohne Angabe von Gründen gelöscht oder gesperrt werden können (s.oben), so verstößt diese Regelung gegen das Verbot der unangemessenen Benachteiligung in allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß § 305, 307, 308 Nr. 4 BGB. Letztlich erlaubte diese AGB-Klausel im Falle ihrer Wirksamkeit nämlich dem Beklagten, den Vertragsinhalt nach eigenem Gutdünken jederzeit und ohne jede Zumutbarkeitskontrolle anzupassen und einzelne Nutzer in ihren vertraglichen Rechten zu beschneiden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass in Ziffer 3.9 der "Forenregeln" die Sperrung nur für Fälle des Verstoßes gegen die Regeln stellt (vgl. hierzu Anlage K1, Bl. 6 GA). Soweit sich beide Klauseln widersprechen, geht dies in Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Beklagten als Verwender, für die Prüfung nach § 307, § 308 Nr. 4 BGB ist von der kundenfeindlichsten Auslegung auszugehen, dies ist die oben getroffene Auslegung.

Gesetzliche Regelungen, die den Beklagten zur Teilsperrung des Benutzerkontos berechtigten, sind nicht ersichtlich, insbesondere sind §§ 320 Abs. 1 und 273 BGB hier tatbestandlich nicht einschlägig.

Auch mit Hinblick auf das sog. "virtuelle Hausrecht" (hierzu: LG Bonn, Urteil vom 16.11.1999 - 10 O 457/99 = CR 2000, 245; LG München I, Urteil vom 25.10.2016 - 30 O 11973/05 = CR 2007, 264 m. Anm. Redeker; LG Hamburg, Urteil vom 28.08.2008 - 315 O 326/08 = CR 2007, 120; Maume, MMR 2007, 620; Feldmann/Heinrichs, CR 2006, 406) war der Beklagte nicht befugt, das Benutzerkonto des Klägers einzuschränken wie geschehen. Zwar steht auch nach Auffassung des Gerichts - unabhängig von der teils streitigen dogmatischen Herleitung - dem Betreiber einer Internetseite ein virtuelles Hausrecht grundsätzlich zu. Dieses Hausrecht ist aber nicht grenzenlos, sondern kann insbesondere durch vertragliche, schuldrechtliche Beziehungen überlagert werden.

Dies ist vorliegend der Fall. Durch die Aufnahme von vertraglichen Beziehungen zu dem Kläger hat sich der Beklagte der freien Ausübung seines virtuellen Hausrechts begeben. Der Kläger ist nicht mehr ein beliebiger Dritter, sondern Vertragspartner des Beklagten. Dies wirkt sich insbesondere vor dem Hintergrund von § 241 Abs. 2 BGB dahingehend aus, dass auch eine Teil-Kontensperrung gegenüber dem Kläger nicht anlasslos erfolgen konnte und im Falle eines Verstoßes gegen vertragliche Pflichten nicht ohne vorherige, erfolglose Abmahnung auf das virtuelle Hausrecht gestützt werden konnte."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EGMR: Kommerzielle Webseitenbetreiber haften für beleidigende Nutzerkommentare oder Forenbeiträge auf Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld - Pflicht zur Überwachung

EMGR
Urteil vom 16.06.2015
64569/09
DELFI AS v. ESTONIA

Der Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass kommerzielle Webseitenbetreiber für beleidigende Nutzerkommentare oder Forenbeiträge auf Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld haften, wenn diese nach Veröffentlichung nicht umgehend gelöscht werden. Insofern sind die Webseitenbetreiber nach Ansicht des EGMR verpflichtet die Inhalte der Nutzer wirksam zu überwachen und beleidigende Inhalte zu verhindern. Maßnahmen wie Schimpfwortfilter reichen - so das Gericht - nicht aus.

Aus den Entscheidungsgründen:

"The Court notes that the applicant company took certain measures in this regard. There was a disclaimer on the Delfi news portal stating that the writers of the comments – and not the applicant company – were accountable for them, and that the posting of comments that were contrary to good practice or contained threats, insults, obscene expressions or vulgarities, or incited hostility, violence or illegal activities, was prohibited. Furthermore, the portal had an automatic system of deletion of comments based on stems of certain vulgar words and it had a notice-and-take-down system in place, whereby anyone could notify it of an inappropriate comment by simply clicking on a button designated for that purpose, to bring it to the attention of the portal administrators. In addition, on some occasions the administrators removed inappropriate comments on their own initiative.

Thus, the Court notes that the applicant company cannot be said to ave wholly neglected its duty to avoid causing harm to third parties. Nevertheless, and more importantly, the automatic word-based filter used by the applicant company failed to filter out odious hate speech and speech inciting violence posted by readers and thus limited its ability to expeditiously remove the offending comments. The Court reiterates that the majority of the words and expressions in question did not include
sophisticated metaphors or contain hidden meanings or subtle threats. They were manifest expressions of hatred and blatant threats to the physical integrity of L. Thus, even if the automatic word-based filter may have been useful in some instances, the facts of the present case demonstrate that it was insufficient for detecting comments whose content did not constitute protected speech under Article 10 of the Convention (see paragraph 136 above). The Court notes that as a consequence of this failure of the filtering mechanism, such clearly unlawful comments remained online for six weeks (see paragraph 18 above).

[...]

2. Based on the concrete assessment of the above aspects, taking into account the reasoning of the Supreme Court in the present case, in particular the extreme nature of the comments in question, the fact that the comments were posted in reaction to an article published by the applicant company on its professionally managed news portal run on a commercial basis, the insufficiency of the measures taken by the applicant company to remove without delay after publication comments amounting to hate speech and speech inciting violence and to ensure a realistic prospect of the authors of such comments being held liable, and the moderate sanction imposed on the applicant company, the Court finds that the domestic courts’ imposition of liability on the applicant company was based on relevant and sufficient grounds, having regard to the margin of appreciation afforded to the respondent State. Therefore, the measure did not constitute a disproportionate restriction on the applicant company’s right to freedom of expression. Accordingly, there has been no violation of Article 10 of the Convention."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: