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Volltext BGH liegt vor: Kein Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung an Hochzeits-Fotografin wegen coronabedingter Verlegung des Hochzeitstermins

BGH
Urteil vom 27.04.2023
VII ZR 144/22
BGB §§ 133, 157, § 275 Abs. 1, §§ 313, 648


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Kein Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung an Hochzeits-Fotografin wegen coronabedingter Verlegung des Hochzeitstermins über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:
1. Verpflichtet sich eine Fotografin zur fotografischen Begleitung einer kirchlichen Hochzeit und der sich anschließenden Feier, wird die geschuldete Leistung nicht deshalb unmöglich, weil die vom Brautpaar mit 104 Gästen geplante Hochzeit und Feier aufgrund der Beschränkungen durch eine Corona-Schutzverordnung in diesem Umfang nicht durchgeführt werden kann und deshalb verlegt wird.

2. Zu einer ergänzenden Vertragsauslegung bei pandemiebedingter Verlegung einer Hochzeit und Hochzeitsfeier.

BGH, Urteil vom 27. April 2023 - VII ZR 144/22 - LG Gießen - AG Gießen

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Kein Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung an Hochzeits-Fotografin wegen coronabedingter Verlegung des Hochzeitstermins

BGH
Urteil vom 27.04.2023
VII ZR 144/22


Der BGH hat entschieden, dass der Auftraggeber keinen Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung an eine Hochzeits-Fotografin wegen coronabedingter Verlegung des Hochzeitstermins hat.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof zu Vergütungsansprüchen einer Hochzeits-Fotografin nach Verlegung des Hochzeitstermins wegen Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Werkverträge zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über eine Klage auf Rückgewähr einer an eine Hochzeits-Fotografin geleisteten Anzahlung und auf Feststellung, dass ihr keine weiteren Vergütungsansprüche zustehen, weil die Kläger wegen Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie den Hochzeitstermin verlegten und deshalb von dem Vertrag zurücktraten bzw. diesen kündigten, entschieden.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

Die Kläger beabsichtigten, am 1. August 2020 kirchlich zu heiraten. Nachdem der Fotograf, der die standesamtliche Trauung begleitet hatte, zu diesem Termin verhindert war, wandten sich die Kläger an die Beklagte. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2019 bedankte sich die Beklagte für "die Beauftragung" und stellte für "Reportage Hochzeit 01.08.2020 (1. Teilbetrag)" 1.231,70 € von der insgesamt vereinbarten Vergütung in Höhe von 2.463,70 € in Rechnung. Die Kläger überwiesen den geforderten "1. Teilbetrag".

Die Kläger beabsichtigten, zu ihrer kirchlichen Hochzeit 104 Gäste einzuladen. Die Durchführung der so geplanten Hochzeit war aufgrund von Beschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie nicht möglich. Die Kläger planten deshalb neu eine Hochzeitsfeier für den 31. Juli 2021 und teilten der Beklagten mit E-Mail vom 15. Juni 2020 mit, für den neuen Termin den Fotografen beauftragen zu wollen, der am 1. August 2020 verhindert gewesen sei. Daraufhin forderte die Beklagte ein weiteres Honorar von 551,45 €, was die Kläger ablehnten. Diese verlangten vielmehr die Rückzahlung der bereits überwiesenen 1.231,70 € und erklärten wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage den "Rücktritt von dem vorstehend bezeichneten Vertrag bzw. dessen Kündigung".

Mit ihrer Klage begehren die Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 1.231,70 € und zusätzlicher 309,40 € für außergerichtliche Kosten sowie die Feststellung, dass sie nicht verpflichtet sind, weitere 551,45 € an die Beklagte zu zahlen.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision haben die Kläger ihr Klagebegehren weiterverfolgt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Kläger zurückgewiesen.

Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Ansprüche der Kläger auf Rückgewähr der Anzahlung und Feststellung, eine weitere Vergütung von 551,45 € nicht zu schulden, verneint.

Ein Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung folgt nicht daraus, dass der Beklagten die von ihr geschuldete Leistung unmöglich geworden ist. Denn ihr war es trotz der zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier geltenden pandemiebedingten landesrechtlichen Vorgaben möglich, fotografische Leistungen für eine kirchliche Hochzeit und eine Hochzeitsfeier zu erbringen. Das betreffende Landesrecht erlaubte kirchliche Hochzeiten und Hochzeitsfeiern sowie die Erbringung von Dienstleistungen und Handwerkstätigkeiten. Soweit die Kläger die Hochzeit und die Hochzeitsfeier wegen der nicht einzuhaltenden Abstände von mindestens 1,5 m nicht im geplanten Umfang (104 Gäste) durchführen konnten, führt das nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.

Der Rückzahlungsanspruch folgt des Weiteren nicht aus einem Rücktrittsrecht der Kläger wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage oder einer ergänzenden Vertragsauslegung. Die ergänzende Vertragsauslegung, die Vorrang vor den Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage hat, ergibt, dass die pandemiebedingte Verlegung der für den 1. August 2020 geplanten Hochzeit und der Hochzeitsfeier keinen Umstand darstellt, der die Kläger zum Rücktritt vom Vertrag berechtigte. Der Umstand, dass die Kläger nach Absage des vereinbarten Termins nur aus Gründen, die nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten liegen, einen anderen Fotografen bevorzugten, ist nach Treu und Glauben unter redlichen Vertragspartnern unerheblich und deshalb im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu berücksichtigen.

Den von den Klägern erklärten "Rücktritt" bzw. die "Kündigung" des Vertrags hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als freie Kündigung des Vertrags (§ 648 Satz 1 BGB) ausgelegt und darauf aufbauend einen Vergütungsanspruch der Beklagten aus § 648 Satz 2 BGB in Höhe von 2.099 € festgestellt. Dementsprechend besteht nicht nur kein Rückzahlungsanspruch der Kläger in Höhe von 1.231,70 €, sondern ist auch die negative Feststellungsklage der Kläger unbegründet. Deshalb können die Kläger schließlich die Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht verlangen.

Vorinstanzen:

AG Gießen - Urteil vom 26.November 2021 - 43 C 63/21
LG Gießen - Urteil vom 21. Juni 2022 - 1 S 1/22

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

§ 648 BGB

Der Besteller kann bis zur Vollendung des Werks den Vertrag jederzeit kündigen. Kündigt der Besteller, so ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.


OLG Düsseldorf: Zur Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters an einem Bauelement eines Fahrzeugs durch Veröffentlichung eines Fotos des Fahrzeugs

OLG Düsseldorf
Urteil vom 02.02.2023
20 U 124/17


Das OLG Düsseldorf hat sich in dieser Entscheidung mit der möglichen Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters an einem Bauelement eines Fahrzeugs durch Veröffentlichung eines Fotos des Fahrzeugs befasst.

Aus den Entscheidunsggründen:
Die Berufung der Klägerin, die nur noch die Feststellung einer Haftung dem Grunde nach zum Gegenstand hat, weil die dreijährige Schutzfrist der geltend gemachten Klagemuster zwischenzeitlich abgelaufen ist, hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin auf nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gestützten Anträge auf Auskunft und Schadensersatzfeststellung sind unbegründet.

A. (Klagegeschmacksmuster 1)

Ohne Erfolg unterlegt die Klägerin den von ihr geltend gemachten Ansprüchen das Klagegeschmacksmuster 1, bestehend aus einem gekrümmten V-förmigen Element der Fronthaube, einem mittig aus diesem Element herausragenden, in Längsrichtung angeordneten, flossenartigen Element („Strake“), einem in die Stoßstange integrierten, zweischichtigen Frontspoiler und dem mittigen vertikalen Verbindungssteg („Philtrum“).

1. Losgelöst von der Frage, ob das von der Klägerin beanspruchte Klagegeschmacksmuster 1 wirksam entstanden ist (siehe dazu unter 2.), war der Berufungsantrag zu Ziffer I. schon deshalb teilweise zurückzuweisen, weil sich die Klägerin auch gegen ein von der Beklagten zu 1) vertriebenes „Front kit“ wendet, das über ein einheitlich dunkles „V“ auf der Fronthaube verfügt. Selbst wenn - entgegen der nachfolgend unter 2. vertretenen Auffassung - davon auszugehen wäre, dass die Klägerin ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster an dem Klagegeschmacksmuster 1 erlangt hat, so werden ihre Rechte durch das mit einheitlich dunklem „V“ ausgestaltete „Front kit“ (siehe erste Abbildung im Berufungsantrag zu Ziffer I.) nicht verletzt.

Unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen Schutzumfangs fällt die von der Klägerin angegriffene Ausführungsform nicht in den Schutzbereich des (unterstellten) Klagegeschmacksmusters 1. Das mit einheitlich dunklem „V“ ausgestaltete „Front kit“ (siehe erste Abbildung im Berufungsantrag zu Ziffer I.) erzeugt aus der Sicht des maßgeblichen informierten Benutzers nicht denselben Gesamteindruck.

1.1. Gemäß Art. 10 Abs. 1 GGV sind für die Frage der Übereinstimmung des Gesamteindrucks die Übereinstimmungen und Unterschiede in den einzelnen Merkmalen zu gewichten und so der Gesamteindruck zu beurteilen. Maßstab für die Prüfung des hervorgerufenen Gesamteindrucks ist der informierte Benutzer (vgl. EuGH GRUR 2012, 506 Rn. 57 - PepsiCo). Hierbei handelt es sich um eine Person, die das Produkt, welches das Geschmacksmuster verkörpert, zu dem für dieses Produkt vorgesehenen Zweck benutzt (vgl. EuG GRUR Int 2011, 746 Rn. 51 - Sphere Time), verschiedene Geschmacksmuster, die es in dem betreffenden Wirtschaftsbereich gibt, kennt, über gewisse Kenntnisse über die Gestaltungselemente, die die Geschmacksmuster regelmäßig aufweisen, verfügt und die Produkte mit vergleichsweise großer Aufmerksamkeit nutzt (vgl. EuGH GRUR 2012, 506 Rn. 59 - PepsiCo; BGH GRUR 2013, 285 Rn. 55 - Kinderwagen II). Bei Sportwagen - wie hier - schenkt der informierte Benutzer dem Produktdesign eine hohe Aufmerksamkeit und nimmt die Details - sowohl was die Gemeinsamkeiten als auch was die Unterschiede angeht - entsprechend wahr.

1.2 In Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes ergibt sich kein übereinstimmender Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Ausführungsformen. Bei dem V-förmigen Element der Fronthaube handelt es sich um das den Gesamteindruck prägende Merkmal der Frontpartie des Fahrzeugs. Da dem informierten Benutzer aus dem Formenschatz V-förmige Elemente als Gestaltungsmerkmale bei Fahrzeugen auf der Motorhaube bekannt sind, erkennt er zwischen dem (unterstellten) Klagegeschmacksmuster 1 und dem Verletzungsmuster auf den ersten Blick einen erheblichen Unterschied. So bewirkt dasbeim Verletzungsmuster bis in die Spitze in schwarzer Lackierung ausgeführte V-förmige Element eine optische Verlängerung des Cockpits und weckt Assoziationen an einen gekrümmten Schnabel. Die Frontpartie des Verletzungsmusters wirkt dynamisch sowie sportlich-aggressiv, womit das Geschäftsmodell der Beklagten zu 1), das auf einen speziellen Kundenkreis zugeschnitten ist, zusätzlich unterstrichen wird. Diese stellt nämlich als Fahrzeugveredler hochpreisige Anbauteile in Form von sogenannten „Tuning-Bausätzen“ für Luxusfahrzeuge her und vertreibt diese. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung erwarten Kunden, die an Fahrzeug-Tuning interessiert sind, eine wenn nicht gar provokante, so zumindest doch auffallende Dynamik und Sportlichkeit des Designs. Im Gegensatz zum Verletzungsmuster wirkt das (unterstellte) Klagegeschmacksmuster 1 mit seiner in der Grundfarbe des Fahrzeugs ausgestalteten Spitze des „V“ deutlich weniger aggressiv. Der Senat verkennt nicht, dass das Cockpit durch silberfarbene Kontraststreifen ebenfalls optisch nach vorne verlängert wird. Gleichwohl muten die silberfarbenen Kontraststreifen deutlich dezenter und erheblich weniger wuchtig als die bis nach unten gezogene, dunkle Spitze des „V“ beim Verletzungsmuster. Die Formensprache des (unterstellten) Klagegeschmacksmusters ist eleganter sowie zurückhaltender und damit eine gänzlich andere als die des Verletzungsmusters. Angesichts dieser Unterschiede kann von einem übereinstimmenden Gesamteindruck keine Rede sein.

2. Die Berufung der Klägerin hat auch insoweit keinen Erfolg, als sie sich gegen ein von der Beklagten zu 1) vertriebenes „Front kit“ wendet, in der das V-förmige Element der Fronthaube mit einer etwas abgestumpften Spitze ausgestaltet ist (siehe zweite Abbildung im Berufungsantrag zu Ziffer I.). Denn das von der Klägerin beanspruchte Klagegeschmacksmuster 1 ist schon nicht wirksam entstanden. Die vom Gerichtshof der Europäischen Union formulierten Kriterien für die Entstehung eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters an einzelnen Teilen eines Erzeugnisses durch die Offenbarung einer Gesamtabbildung dieses Erzeugnisses sind vorliegend nicht erfüllt.

2.1. Der von der Klägerin als Klagegeschmacksmuster 1 in Anspruch genommene Teilbereich des Fahrzeugs PKW A. stellt sich als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses im Sinne des Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV) dar (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2022, Az.: I ZR 1/19, zitiert nach juris, Rn. 32 ff.).

Gemäß Art. 4 Abs. 1 GGV wird ein Geschmacksmuster durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat. Gemäß Art. 4 Abs. 2 GGV gilt ein Geschmacksmuster, das in einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, nur dann als neu und hat nur dann Eigenart, wenn das Bauelement, das in das komplexe Erzeugnis eingefügt ist, bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibt (Buchst. a) und soweit diese sichtbaren Merkmale des Bauelements selbst die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen (Buchst. b). Art. 5 Abs. 1 Buchst. a GGV definiert ein Geschmacksmuster als neu, wenn der Öffentlichkeit im Fall nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag, an dem das Geschmacksmuster, das geschützt werden soll, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. a GGV hat ein Geschmacksmuster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, im Fall nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag, an dem das Geschmacksmuster, das geschützt werden soll, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

Nach Art. 11 Abs. 1 GGV wird ein Geschmacksmuster, das die im ersten Abschnitt der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung genannten Voraussetzungen erfüllt, als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster für eine Frist von drei Jahren geschützt, beginnend mit dem Tag, an dem es der Öffentlichkeit innerhalb der Gemeinschaft erstmals zugänglich gemacht wurde. Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 GGV gilt ein Geschmacksmuster als der Öffentlichkeit innerhalb der Gemeinschaft zugänglich gemacht, wenn es in solcher Weise bekannt gemacht, ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, dass dies den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte. Nach Art. 3 Buchst. a GGV bedeutet Geschmacksmuster im Sinne dieser Verordnung die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt.

Wie der EuGH mit Urteil vom 28. Oktober 2021 - Az.: C-123/20 - auf Vorlage des Bundesgerichtshofes vom 30. Januar 2020 entschieden hat, ist Art. 11 Abs. 2 GGV dahin auszulegen, dass, wenn Abbildungen eines Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wie bei der Veröffentlichung von Fotografien eines Fahrzeugs, dies dazu führt, dass ein Geschmacksmuster an einem Teil dieses Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. a GGV oder an einem Bauelement dieses Erzeugnisses als komplexem Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. c und Art. 4 Abs. 2 GGV der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, sofern die Erscheinungsform dieses Teils oder Bauelements bei dieser Offenbarung eindeutig erkennbar ist. Damit geprüft werden kann, ob diese Erscheinungsform die Voraussetzung der Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GGV erfüllt, ist es erforderlich, dass der in Rede stehende Teil oder das in Rede stehende Bauelement einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses oder des komplexen Erzeugnisses darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist (EuGH, Urteil vom 28. Oktober 2021, Az.: C-123/20 - A., zitiert nach juris, Rn. 52). Dies setzt voraus, dass die Erscheinungsform dieses Teils eines Erzeugnisses oder dieses Bauelements eines komplexen Erzeugnisses geeignet sein muss, selbst einen "Gesamteindruck" hervorzurufen, und nicht vollständig in dem Gesamterzeugnis untergeht (EuGH, Urteil vom 28. Oktober 2021, Az.: C-123/20 - A., zitiert nach juris, Rn. 50). Ein Schutz unbedeutender oder willkürlich ausgewählter Teile des Gesamterzeugnisses scheidet aus (siehe die Schlussanträge des Generalanwaltes vom 15. Juli 2021, Az.: C-123/20, zitiert nach juris, Rn. 117).

2.2. Mit dieser Maßgabe scheidet eine Geschmacksmusterfähigkeit des Klagegeschmacksmusters 1 aus. Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, schutzbegründend für das Klagegeschmacksmuster 1 sei das untere Foto auf Seite 1 der Anlage rop 20. Die streitgegenständliche Offenbarungshandlung hat nicht dazu geführt, dass die Erscheinungsform des in Rede stehenden Teils klar erkennbar ist. Er stellt einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses oder des komplexen Erzeugnisses dar, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist (dazu unter a.). Die Erscheinungsform des in Rede stehenden Teils ist zudem nicht geeignet, selbst einen "Gesamteindruck" hervorzurufen, sondern geht vollständig im Gesamterzeugnis unter (dazu unter b.)

a. Im Streitfall fehlt es an einer klaren und sichtbaren Erscheinungsform der von der Klägerin als Geschmacksmuster in Anspruch genommenen Teilbereiche des Fahrzeugs PKW A. (Klagegeschmacksmuster 1). Diese sind in Ermangelung präzise und sicher zu erkennender Linien, Konturen, Farben oder Strukturen nicht hinreichend durch Merkmale abgegrenzt, die eine besondere Erscheinungsform begründen.

aa. Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass das V-förmige Element am oberen Rand durch die Windschutzscheibe bzw. die ihr zugewandte Kante der Fronthaube begrenzt ist. Der Senat vermag der Klägerin auch darin zu folgen, dass das V-förmige Element an den Seiten farblich durch die Innenkanten der silbernen Kontraststreifen absetzt ist. Gleichwohl sind diese Merkmale nicht ausreichend, um den von der Klägerin als Klagegeschmacksmuster 1 in Anspruch genommenen Teilbereich des Fahrzeugs präzise und sicher von dem Gesamterzeugnis abzugrenzen. Aus der maßgeblichen Sicht des informierten Benutzers scheitert eine hinreichend präzise Abgrenzung des V-förmigen Elements schon daran, dass das V-förmige Element mit einer abgestumpften Spitze ausgestaltet ist. Die im oberen Bereich des „V“ vorhandene schwarze Farbgebung wird durch die in der Grundfarbe des Fahrzeugs gehaltene Farbgebung unterbrochen. Das „V“ wirkt daher wie „abgeschnitten“. Dieser Farbkontrast führt zu einer auf den ersten Blick wahrnehmbaren optischen Teilung des V-förmig ausgestalteten Bereichs auf der Fronthaube in einen unteren und einen oberen Bereich. Dass die Klägerin diese beiden Teilbereiche ausweislich ihrer Antragsfassung als Einheit begreift, erscheint in Anbetracht der vorbeschriebenen Linienführung und Farbgestaltung keineswegs zwingend. Eine klar erkennbare und hinreichend präzise Abgrenzung liegt nicht vor. Die an den Seiten des „V“ aufgebrachten silbernen Kontraststreifen sind nicht geeignet, dem mit dem Farbkontrast beim informierten Benutzer entstandenen Eindruck, das „V“ sei „abgeschnitten“, also in sich bereits in einen unteren sowie in einen oberen Teilbereich geteilt, in relevanter Weise entgegenzuwirken. Die silbernen Kontraststreifen betonen zwar grundsätzlich die V-Form. Sie folgen aber schon nicht exakt der Linie, die im oberen Bereich mittels des Farbkontrastes erzeugt wird. Auf dem Lichtbild (Anlage rop 20), das die Klägerin ihre Merkmalsgliederung zugrunde legt (siehe Seite 14 des Schriftsatzes vom 24. Oktober 2022 sowie Seite 2 des Schriftsatzes vom 10. Januar 2023), ist zu sehen, dass zwischen dem Verlauf der silbernen Kontraststreifen und dem schwarzen V-förmigen Bereich ein schmaler Streifen vorhanden ist, der in der Grundfarbe des Fahrzeugs lackiert ist. Das Lichtbild (Anlage rop 20) zeigt, dass sich dieser Streifen nach unten hin zusätzlich vergrößert, weil der schwarz lackierte, obere Teil des V-förmigen Bereichs über abgerundete Ecken verfügt. Es ist deutlich erkennbar, dass die silbernen Kontraststreifen in diesem Bereich nicht unmittelbar an die Lackierung in der Grundfarbe anschließen. Auf Grundlage dieser Erwägungen ist zusammenfassend festzustellen, dass sich die Linien, Konturen und Farbgestaltung des V-förmigen Elements auf der Fronthaube aus Sicht des informierten Benutzers als diffus und uneinheitlich darstellen und weder eine klare noch präzise Abgrenzung dieses Teilbereichs ermöglichen, so dass der Klägerin bereits aus diesem Grund der begehrte Musterschutz zu versagen ist.

bb. Aber selbst wenn dies anders zu beurteilen wäre, so ist nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen allenfalls für den oberen und seitlichen Bereich des V-förmigen Elements eine Abgrenzung im Sinne der vom EuGH aufgestellten Kriterien zu bejahen. Dies reicht nicht aus, um die Entstehung des Klagegeschmacksmusters 1 zu bejahen. Hervorzuheben ist, dass der Teilbereich, für den die Klägerin Musterschutz beansprucht, nicht nur aus dem V-förmigen Element der Fronthaube und einem mittig aus diesem Element herausragenden, in Längsrichtung angeordneten, flossenartigen Element („Strake“) besteht, sondern die Klägerin auch den in die Stoßstange integrierten, zweischichtigen Frontspoiler sowie den mittigen vertikalen Verbindungssteg („Philtrum“) in das Klagegeschmacksmuster 1 einbezogen wissen will. Damit dringt sie nicht durch. Der Senat verkennt nicht, dass der EuGH die Kriterien der Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Form für nicht maßgeblich erachtet. Vor dem Hintergrund, dass es ausweislich der Erwägungsgründe 6 und 7 GGV Ziel des Verordnungsgebers ist, einen verbesserten Schutz für gewerbliche Geschmacksmuster zu erreichen, der zur Innovation und zur Entwicklung ermutigt, ist es jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch uneinheitliche, nicht zusammenhängende und/oder zu einem gewissen Grad nicht geschlossene Teilbereiche einer komplexen Erscheinungsform dem Schutz als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster zugänglich sind. Im Sinne der EuGH-Rechtsprechung ist jedoch - ohne damit allzu hohe Hürden für die Erfüllung der formellen Entstehungsvoraussetzungen von nichteingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern aufzustellen - zu fordern, dass die einzelnen Teilbereiche eines komplexen Erzeugnisses, für die Musterschutz beansprucht wird, in ihrer Gesamtheit und ihrem Zusammenspiel in der Wahrnehmung des informierten Benutzers klar und präzise von der Gestaltung im Übrigen abgrenzbar sind. Mithin müssen wenigstens die äußeren Grenzen des Teilbereichs eindeutig erkennbar entlang von Gestaltungselementen - wie Linien, Konturen, Farben oder Oberflächenstruktur - verlaufen. Dies ist hier nicht der Fall.

(1) Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht fehlt es bereits an hinreichend klar erkennbaren Merkmalen, die eine in der äußeren Linienführung sicher abgrenzbare Verbindung zwischen dem V-förmigen Bereich der Fronthaube einerseits und dem Frontspoiler andererseits schaffen. Soweit die Klägerin in dem vertikalen Verbindungssteg („Philtrum“) ein geeignetes Verbindungselement zwischen Fronthaube und Frontspoiler erblickt, ist dem nicht zu folgen. Die Klägerin trägt selbst vor, dass der Verbindungssteg („Philtrum“) durch seine Form von der übrigen Gestaltung klar abgegrenzt sei. Hierzu verweist sie auch auf das erste Foto der Pressemitteilung, welches das Fahrzeug von der Seite zeigt und führt aus, dass der Verbindungssteg unter der Fronthaube abgesetzt sei und sich in seiner Gestalt als längliches, lotgerecht nach unten weisendes Element deutlich von der Fronthaube abgrenze. Dies berücksichtigend, erschließt sich nicht, weshalb der informierte Benutzer den vertikalen Verbindungssteg als Teil des Bereichs wahrnehmen soll, für den die Klägerin insgesamt Schutz beansprucht. Die Klägerin irrt, wenn sie meint, die von ihr vorgenommenen Grenzziehungen würden in diesem Bereich entlang von Strukturen, Konturen und Farbgrenzen verlaufen. Auf dem Lichtbild (Anlage rop 20) ist zu sehen, dass die vordere Kante der Fronthaube in seiner Struktur auskragend mit einer Unterkante ausgearbeitet ist, die etwas hervorsteht („Oberlippe“) und den durch das V-förmige Element erzeugten Eindruck einer optischen Verlängerung des Fahrzeugs nach vorne verstärkt. Eine Einbeziehung des vertikalen Verbindungsstegs („Philtrum“) in den V-förmigen Bereich der Fronthaube findet nicht statt. Im Gegenteil: Die „Oberlippe“ stellt sich als Gestaltungselement dar, das den vertikalen Verbindungssteg („Philtrum“) aus der Sicht des informierten Benutzers deutlich wahrnehmbar von der Fronthaube trennt. Diese Unterbrechung in der Linienführung und Struktur wird zusätzlich noch dadurch verstärkt, dass sich die „Oberlippe“ über die von der Klägerin vorgenommene Bereichsbestimmung hinaus als Bauteil weiter seitlich fortsetzt. Angesichts dieser Umstände und vor dem Hintergrund, dass der V-förmige Bereich zweifarbig ausgestaltet ist, reicht es für eine Einbeziehung des vertikalen Verbindungsstegs („Philtrum“) in den Bereich des V-förmigen Elements der Fronthaube nicht aus, dass dieser in der Grundfarbe des Fahrzeugs lackiert ist. Eine präzise und sicher erkennbare Abgrenzung von der übrigen Gestaltung folgt daraus nicht. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Übergangsbereich von der Fronthaube zum vertikalen Verbindungssteg („Philtrum“) in seinem ästhetischen Gehalt durch die sich auf der Fronthaube befindlichen silbernen Kontraststreifen als besonderes Gestaltungselement eine besondere Betonung erfährt. Die Kontraststreifen erfassen aber gerade nicht den Bereich der „Oberlippe“. Der V-förmige Bereich mag zwar, auch wenn er „abgeschnitten“ ist, den Blick des Betrachters pfeilmäßig auf den darunter liegenden Frontspoiler lenken. Allein dies bewirkt aber keine ausreichende Abgegrenztheit zur übrigen Gestaltung.

(2) Hinzu kommt, dass der vertikale Verbindungssteg („Philtrum“) unstreitig über eine Bauteilnaht verfügt, die nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin gut erkennbar ist. Diese Bauteilnaht steht der der Bereichsbestimmung der Klägerin zugrundeliegenden Annahme, das V-förmige Element der Fronthaube sei mit dem zweischichtigen Frontspoiler verbunden, entgegen. Es gelingt insbesondere auch nicht, den V-förmigen Bereich der Fronthaube mit dem oberen Bereich des Frontspoilers mittels der silbernen, auf den vertikalen Verbindungssteg („Philtrum“) zulaufenden Kontraststreifen zu verbinden und auf diese Weise von der übrigen Gestaltung klar erkennbar abzugrenzen. Denn die Kontraststreifen enden - wie dargetan - an der vorderen Kante der Fronthaube und setzen sich gerade nicht in den Bereich des Frontspoilers fort.

(3) Schließlich lässt sich auch die von der Klägerin mit dem Klagegeschmacksmuster 1 im Bereich des Frontspoilers vorgenommene äußere Grenzziehung nicht präzise und klar erkennbar anhand von Gestaltungsmerkmalen nachzuvollziehen. Sie verläuft nicht entlang der vom Europäischen Gerichtshof für maßgeblich erachteten Linien, Konturen, Farben, Gestaltungselementen oder Strukturen; ein aus der Sicht des informierten Benutzers eindeutig umrissenes Muster liegt daher nicht vor.

(a) Von maßgebender Bedeutung ist zunächst, dass die Klägerin seitlich sowie weiter hinten liegende Bereiche des Frontspoilers ausweislich der Abbildung auf Seite 14 des Schriftsatzes vom 24. Oktober 2020 willkürlich aus der Bereichsbestimmung ausklammert. So knüpft die seitliche Beschneidung der „Unterlippe“ nicht an Merkmale an, die eine klar erkennbare und damit aus Sicht des informierten Benutzers sichere Abgrenzung dieses Bereichs in Optik und Struktur erlauben. Zutreffend weist die Klägerin zwar darauf hin, dass sich die von ihr vorgenommene Grenzziehung, was die außen liegende Grenzen betrifft, an der Farbgebung orientiert. Der Farbwechsel (von silber zu schwarz) ist aber in der Gesamtbetrachtung als Abgrenzungsmerkmal ungeeignet, weil er nicht den Strukturen und Linien dieses Bauteils folgt. Die „Unterlippe“ setzt sich an den äußeren Enden mit nach oben weisenden Flügeln fort, die die Klägerin durch das Klagegeschmacksmuster 1 ausdrücklich nicht geschützt wissen will.

(b) Soweit die Klägerin ausweislich ihres Berufungsantrages zu Ziffer I. davon ausgeht, dass die obere Schicht des zweischichtigen Frontspoilers in die untere Schicht eingebettet sei, indem beide Schichten eine durchgehende Oberfläche bilden, ist dies nicht nachvollziehbar. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin ist in sich widersprüchlich. So verweist sie nämlich zur Begründung ihres zweiten Hilfsantrages auf Seite 19 des Schriftsatzes vom 20. Oktober 2022 auf eine Bauteilnaht, von der sie unter Hinweis auf eine Abbildung auf Seite 20 desselben Schriftsatzes selbst behauptet, dass diese gut erkennbar sei. Von einer einheitlichen, durchgehenden Oberflächenstruktur der Bereiche, die die Klägerin als Einheit begreift, kann bei dieser Sachlage nicht die Rede sein.

b. Im Übrigen kann bei wertender Betrachtung aller besonderen Umstände des Streitfalles nicht davon ausgegangen werden, dass die Erscheinungsform des Teilbereichs des Gesamterzeugnisses, für den die Klägerin Schutz beansprucht, selbst einen sichtbaren Gesamteindruck hervorruft. Das Klagegeschmacksmuster 1 geht in seiner Wirkung bei umfassender Würdigung des Zusammenspiels von Linien, Konturen, Farben und Gestalt aus der Sicht des informierten Benutzers im Gesamterzeugnis vollständig unter.

aa. Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, dass die Front des PKW A. vom Betrachter als „Gesicht“ gelesen werde. Hierzu hat der Senat hat bereits mit Urteil vom 06. Dezember 2018 (dort auf Seite 36) ausgeführt, dass jeder Betrachter in die Einheit „Gesicht“, der die Klägerin selber ausdrücklich die „Augenbrauen“ zurechnet, auch die von der Klägerin textlich nicht gekennzeichneten und bei der Bestimmung ihrer Einheit außer Betracht gelassenen Bestandteile „Augen“ (Scheinwerfer) und „Kiefer“ (seitliche Enden des Frontspoilers) einbeziehe. Beide geben einem „Gesicht“ schon grundsätzlich ein maßgebliches Gepräge und das hier umso mehr, als beide ausgesprochen markant sind. Dies gilt insbesondere für die Scheinwerfer („Augen“) in ihrer schlitzartigen, für den Straßenverkehr nicht tauglichen Form. So finden die „kleinen Scheinwerfer-Schlitzer“ in der von der Klägerin in Bezug genommenen Berichterstattung auf der Internetseite autobild.de in einem Artikel vom 03. Dezember 2014 ausdrückliche Erwähnung. An diesen Erwägungen, die die Klägerin in der Sache auch nicht zu entkräften vermocht hat, hält der Senat fest. Die Nichteinbeziehung sowohl der schlitzartigen Scheinwerfer („Augen“) als auch der seitlichen Enden des Frontspoilers („Kiefer“) hat zur Folge, dass die Erscheinungsform des Teilerzeugnisses beim Betrachter keinen Gesamteindruck im Sinne eines „Gesichts“ hervorruft.

bb. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht erzeugt die Erscheinungsform des Teilerzeugnisses beim Betrachter auch keinen Gesamteindruck im Sinne eines „Greifvogelkopfes“. Assoziationen an einen „Greifvogelkopf“ können - wenn überhaupt -nur durch die Variante des PKW A. geweckt werden, bei der der v-förmige Bereich der Fronthaube in schwarzer Lackierung bis an die Vorderkante der Fronthaube heruntergezogen ist. Diese Variante ist jedoch nicht Gegenstand der Offenbarung. Auch nach Auffassung der Klägerin ist schutzbegründend für das Klagegeschmacksmuster 1 das untere Foto auf Seite 1 der Anlage rop 20, auf dem das V-förmige Element der Fronthaube mit einer etwas abgestumpften Spitze ausgestaltet ist. Bei einem „abgeschnittenen“ V fehlt es an dem für einen „Greifvogelkopf“ charakteristischen und prägenden Merkmal des spitzen Schnabelendes. Darauf hat der Senat bereits mit Urteil vom 06. Dezember 2022 hingewiesen, ohne dass die Klägerin dem im weiteren Gang des Verfahrens inhaltlich entgegengetreten ist.

cc. Ohne Erfolg trägt die Klägerin betreffend den Gesamteindruck vor, die Gestaltung des beanspruchten mittleren Bereichs lehne sich an ein Flugzeug an. Der informierte Benutzer erkennt in den von der Klägerin in Bezug genommenen Lichtbildern (vgl. Seite 8 ihres Schriftsatzes vom 16. November 2016), auf denen Flugzeuge abgebildet sind, eine ganz andere Formensprache, die sich deutlich von der Gestaltung des beanspruchten mittleren Bereichs unterscheidet. In dem doppelschichtigen Frontspoiler in Kombination mit dem vertikalen Verbindungssteg („Philtrum“) sowie dem mittig aus dem V-förmigen Element der Fronthaube herausragenden, in Längsrichtung angeordneten flossenartigen Element („Strake“) findet sich keine Entsprechung zu einem Cockpit ebenso wenig wie ein Pendant zu den Flügeln.

dd. Schlussendlich folgt der Senat der Klägerin auch nicht darin, wenn diese ausführt, der Teil des PKW A., für den sie Schutz beanspruche, erinnere in charakteristischer Weise an die Front eine Formel-1-Rennwagens. Um Assoziationen an einen Formel-1-Rennwagen hervorzurufen, genügt es nicht, dass der Spoiler bloß am Mittelsteg „aufgehängt“ ist. Die Anmutung an einen Formel-1-Rennwagen knüpft nach der Wahrnehmung des informieren Benutzers entscheidend an die freien Enden des Frontspoilers mit den nach oben weisenden Flügeln an, denn diese Gestaltungsmerkmale verleihen dem Fahrzeug den sportlich-schnittigen, dynamischen Charakter und pflegen das Image eines rasanten Formel-1-Rennwagens. Genau diesen Bereich hat die Klägerin jedoch aus dem Klagegeschmacksmuster 1 ausgeklammert.

B. (Klagegeschmacksmuster 2)

Die Berufung der Klägerin bleibt auch in Bezug auf den von ihr formulierten Hilfsantrag erfolglos. Das Klagegeschmacksmuster 2 ist nicht entstanden, denn es nicht in einer den Kriterien der EuGH-Rechtsprechung entsprechenden Art und Weise durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar erkennbar abgegrenzt (siehe unter 1.) und zudem aus der Sicht eines informierten Benutzers nicht geeignet, selbst einen "Gesamteindruck" hervorzurufen (siehe unter 2.).

1. Die Musterfähigkeit des Klagegeschmacksmusters 2 - bestehend aus dem vertikalen Verbindungssteg („Philtrum“) sowie einem im Berufungsantrag zu Ziffer II. näher beschriebenen Teilbereich des zweischichtigen Frontspoilers - scheidet aus. Die von der Klägerin sowohl im Bereich des vertikalen Verbindungstegs („Philtrum“) als auch im Bereich des Frontspoilers vorgenommene äußere Grenzziehung verläuft weder präzise noch klar erkennbar anhand der vom EuGH für maßgeblich erachteten Gestaltungsmerkmale. Die Klägerin trägt selbst vor, dass der Verbindungssteg problemlos als durch seine Gestalt abgegrenztes Element wahrgenommen werden könne. Dies zu Gunsten der Klägerin als zutreffend unterstellt, ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht, wieso der informierte Benutzer den vertikalen Verbindungssteg („Philtrum“) zusammen mit dem in Rede stehenden Teilbereich des zweischichtigen Frontspoilers als klar erkennbar abgegrenzten, präzise umrissenen Bereich erkennen soll. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die vorstehenden Ausführungen des Senat verwiesen, mit denen dargelegt worden ist, dass die von der Klägerin vorgenommenen äußeren Grenzziehungen keine Entsprechung in Linien, Konturen, Farben oder Strukturen finden, die aus der Sicht des informierten Benutzers ein eindeutig umrissenes Muster definieren. Die Klägerin beansprucht mit dem Klagegeschmacksmuster 2 Schutz für einen letztlich willkürlich festgelegten Teilbereich des Gesamterzeugnisses. Eine solche Vorgehensweise findet in Art. 11 Abs. 2 GGV keine Stütze.

2. Darüber hinaus ist der zweischichtige Frontspoiler, so wie er von der Klägerin in seinen Merkmalen im Berufungsantrag zu Ziffer II. beschrieben worden ist, nicht geeignet, selbst einen Gesamteindruck hervorzurufen. Es handelt sich - wie dargetan - um einen in seinen äußeren Grenzen willkürlich festgelegten Teilbereich, der vollständig in dem Gesamterzeugnis untergeht. Insbesondere erinnert das Klagegeschmacksmusters 2 - bestehend aus dem vertikalen Verbindungssteg („Philtrum“) sowie einem im Berufungsantrag zu Ziffer II. näher beschriebenen Teilbereich des zweischichtigen Frontspoilers - aus den bereits dargelegten Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, nicht an einen Formel-1-Rennwagen.

C. (Klagegeschmacksmuster III)

Ohne Erfolg stützt die Klägerin ihre Ansprüche höchst hilfsweise auf ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das ausweislich des Berufungsantrages zu Ziffer III. den gesamten Frontspoiler umfasst.

Dahinstehen kann, ob die Klägerin in Anwendung der vom EuGH formulierten Kriterien ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster an dem Klagegeschmacksmuster 3 erlangt hat. Selbst wenn dies zu Gunsten der Klägerin unterstellt wird, so sind ihre Rechte durch das Angebot und den Vertrieb des „Front kits“ der Beklagten, das die Teile eines Spoilers enthält, nicht verletzt.

1. Dem (unterstellten) Klagegeschmacksmuster 3 kommt ein durchschnittlicher Schutzbereich zu, denn die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers des PKW A. war in Bezug auf den Frontspoiler aufgrund der Musterdichte beschränkt.

2. Der Abstand des Klagegeschmacksmusters 3 zum vorbekannten Formenschatz ist beträchtlich. Es gab zwar - wie aus der Anlage HPR 13 ersichtlich - bereits doppelschichtige Frontspoiler. Die mit dem (unterstellten) Klagegeschmacksmuster 3 verwirklichte Kombination des doppelschichtigen Frontspoilers mit einem mittleren Verbindungssteg und den nach oben gezogenen äußeren Enden war aber unbekannt.

3. Die von der Klägerin angegriffene Ausführungsform fällt nicht in den Schutzbereich des (unterstellten) Klagegeschmacksmusters 3, denn der Frontspoiler der Beklagten erzeugt nicht denselben Gesamteindruck.

3.1. Gemäß Art. 10 Abs. 1 GGV sind für die Frage der Übereinstimmung des Gesamteindrucks die Übereinstimmungen und Unterschiede in den einzelnen Merkmalen zu gewichten und so der Gesamteindruck zu beurteilen. Maßstab für die Prüfung des hervorgerufenen Gesamteindrucks ist der informierte Benutzer (vgl. EuGH GRUR 2012, 506 Rn. 57 - PepsiCo). Hierbei handelt es sich um eine Person, die das Produkt, welches das Geschmacksmuster verkörpert, zu dem für dieses Produkt vorgesehenen Zweck benutzt (vgl. EuG GRUR Int 2011, 746 Rn. 51 - Sphere Time), verschiedene Geschmacksmuster, die es in dem betreffenden Wirtschaftsbereich gibt, kennt, über gewisse Kenntnisse über die Gestaltungselemente, die die Geschmacksmuster regelmäßig aufweisen, verfügt und die Produkte mit vergleichsweise großer Aufmerksamkeit nutzt (vgl. EuGH GRUR 2012, 506 Rn. 59 - PepsiCo; BGH GRUR 2013, 285 Rn. 55 - Kinderwagen II). Bei Sportwagen - wie hier - schenkt der informierte Benutzer dem Produktdesign eine hohe Aufmerksamkeit und nimmt die Details - sowohl was die Gemeinsamkeiten als auch was die Unterschiede angeht - entsprechend wahr.

3.2. Mit dieser Maßgabe fehlt es an einem übereinstimmenden Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Ausführungsformen. Der Senat verkennt nicht, dass eine Vielzahl der von der Klägerin die in ihrem Antrag beschriebenen Merkmale übereinstimmend verwirklicht sind (siehe auch Seite 8 des Schriftsatzes vom 10. Januar 2023). Es bestehen jedoch auch ganz erhebliche und aus der Sicht eines informierten Benutzers deutlich wahrnehmbare Unterschiede, insbesondere in der Farbgebung und Linienführung, die als Ausdruck eines bestimmten - ganz unterschiedlichen - Designkonzepts zu verstehen ist. Die Darstellung der Klägerin, der einzige Unterschied bestehe darin, dass bei der Verletzungsform die seitlichen Flaps der zweiten/oberen Schicht hochgezogen seien, greift zu kurz.

a. Auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass beim (unterstellten) Klagegeschmacksmuster 3 die zweite Schicht des Frontspoilers teilweise in einer Kontrastfarbe lackiert ist. Es wird der silberne Farbton aufgegriffen, in dem auch die Kontraststreifen auf der Fronthaube gehalten sind. Diese Farbe kontrastiert markant und einprägsam mit der schwarzen Lackierung des sich in einer dritten Schicht darunter befindlichen Splitters. Aus der Sicht des informierten Betrachters ergibt sich somit ein farblicher Dreiklang aus rot, schwarz und silber, der für den Gesamteindruck des (unterstellten) Klagegeschmacksmusters mitprägend ist. Die beschriebene Farbgebung lenkt das Augenmerk des Betrachters ganz gezielt auf den silberfarbenen Bereich des Frontspoilers, der durch die aufgebrachte Beschriftung - links: Kennung „A.“ und rechts: Kundenwunschnummer - in der Wahrnehmung des Betrachters eine zusätzliche Hervorhebung erfährt, so dass dieser Bereich des Fahrzeugs als echter „Hingucker“ zu bewerten ist. Dies gilt nicht in vergleichbarer Weise für das vermeintliche Verletzungsmuster. Der angegriffenen Frontspoiler verfügt über keine Kontrastfarbe; er ist schwarz und knüpft damit an die ebenfalls schwarze Lackierung des darunter liegenden Splitters an. Prägend für die angegriffene Gestaltung ist der farbliche Zweiklang aus schwarz und gelb kennzeichnend, der den Frontspoiler deutlich zurückhaltender, harmonischer und eher sanft wirken lässt. Im Gegensatz dazu macht das (unterstellte) Klagegeschmacksmuster 3 einen kantigeren Eindruck und erzielt beim Betrachter eine aggressiv-sportliche Wirkung. Aus der Sicht des informierten Benutzers weicht die Formensprache der sich gegenüberstehenden Muster in ihrem ästhetischen Gehalt daher deutlich voneinander ab.

b. Im Rahmen der Vergleichsbetrachtung ist weiterhin zu berücksichtigen, dass das (unterstellte) Klagegeschmacksmuster 3 in erheblichem Maße durch die im vorbekannten Formenschatz so nicht ersichtliche Gestaltung des äußeren Bereich des Frontspoilers charakterisiert wird. An den äußeren Enden knickt der in diesem Bereich silberfarbene Frontspoiler jeweils im stumpfen Winkel nach oben ab und bildet mit dem darunter angeordneten schwarz lackierten Splitter eine von den Beklagten als „Double flaps“ bezeichnete, parallele Anordnung, die durchaus einprägsam ist. Auch weil der Frontspoiler vor den Kotflügeln angeordnet ist, prägt diese Gestaltung den Gesamteindruck des Klagegeschmacksmusters 3 erheblich mit. Die angegriffene Gestaltung weicht gerade in diesem Bereich der äußeren, seitlichen Enden deutlich vom (unterstellten) Klagegeschmacksmuster 3 ab. Die äußeren Enden sind ausweislich Anlage rop 4, Bild 1 nicht- wie beim (unterstellten) Klagegeschmacksmuster 3 - im stumpfen Winkel nach oben abgeknickt; sie münden auch nicht in einer parallelen Linienführung zu dem darunter angebrachten Splitter, sondern sind relativ weit um die Fahrzeugfront herum- sowie hochgezogen. Sie steigen sodann in einem spitzen Winkel bis zur Frontschürze auf, in die sie nach einer weiteren Abkantung münden. Zusammen mit dem Kotflügel, der seinerseits nach unten geknickt ist und bis an den Frontspoiler reicht, bilden die Enden des Frontspoilers bei der angegriffenen Gestaltung einen verhältnismäßig großen Luftdurchlass, der auf dem Kotflügel vor dem Vorderrad endet. Der Eindruck, der durch das vermeintliche Verletzungsmuster erzeugt wird, speist sich maßgeblich daraus, dass die hochgezogenen Spoiler-Enden die Wirkung eines geschlossenen Rahmens um den Kühlergrill haben. Der Spoiler sitzt auch nicht - wie beim (unterstellten) Klagegeschmacksmuster 3 - vor dem Fahrzeug, insbesondere nicht vor dem Kotflügel, sondern ist harmonisch und dezent in die Fahrzeugfront integriert. Diese Wirkung wird zusätzlich noch durch die auf den Vorderkanten der Spoiler-Enden platzierten LEDs und den etwas zurückgesetzten Verbindungssteg verstärkt. In der Gesamtwirkung erscheint die angegriffene Gestaltung auch aufgrund dieser Merkmale sanfter und weniger sportlich aggressiv als die des Klagegeschmacksmusters 3. Während das (unterstellte) Klagegeschmacksmuster 3 mit Assoziationen an kompromisslose Hochgeschwindigkeit spielt, orientiert sich die angegriffene Gestaltung eher an der für Sportwagen traditionellen Formensprache und verwirklicht damit ein gänzlich anderes Designkonzept als das (unterstellte) Klagegeschmacksmuster 3.

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BGH: Zur Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters an einem Bauelement eines Fahrzeugs durch Veröffentlichung eines Fotos des Fahrzeugs

BGH
Urteil vom 10.03.2022
I ZR 1/19
Front kit II
Verordnung (EG) Nr. 6/2002 Art. 3 Buchst. c, Art. 4 Abs. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung zur Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters an einem Bauelement eines Fahrzeugs durch Veröffentlichung eines Fotos des Fahrzeugs geäußert.

Leitsätze des BGH:
a) Durch die Veröffentlichung der Fotografie eines Fahrzeugs wird ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an einem Bauelement des Fahrzeugs als komplexem Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. c und Art. 4 Abs. 2 GGV der Öffentlichkeit gemäß Art. 11 GGV zugänglich gemacht, sofern die Erscheinungsform dieses Bauelements eindeutig erkennbar ist (Anschluss an EuGH, Urteil vom 28. Oktober 2021 - C-123/20, GRUR 2021, 1523 [juris Rn. 52] = WRP 2022, 42 - Ferrari).

b) Die Erscheinungsform des Bauelements hat Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GGV, wenn es einen sichtbaren Teilbereich des Fahrzeugs darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist. Dies setzt voraus, dass die Erscheinungsform des Bauelements geeignet sein muss, selbst einen "Gesamteindruck" hervorzurufen, und nicht vollständig in dem Gesamterzeugnis untergeht (Anschluss an EuGH, Urteil vom 28. Oktober 2021 - C-123/20, GRUR 2021, 1523 [juris Rn. 50] = WRP 2022, 42 - Ferrari). Auf die Merkmale einer gewissen Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form kommt es nicht an.

BGH, Urteil vom 10. März 2022 - I ZR 1/19 - OLG Düsseldorf - LG Düsseldorf

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LG Frankfurt: Panoramareiheit nach § 59 UrhG gilt auch für Luftbildaufnahme per Drohne - richtlinienkonforme Auslegung unter Beachtung der InfoSoc-Richtlinie

LG Frankfurt
Urteil vom 25.11.2020
2-06 O 136/20


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass die Panoramareiheit nach § 59 UrhG auch für Luftbildaufnahmen per Drohne gilt. Dies folgt - so das Gericht - aus der richtlinienkonformen Auslegung unter Beachtung der InfoSoc-Richtlinie.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die geltend gemachten Ansprüche bestehen nicht; auf die hilfsweise geltend gemachte Aufrechnung kommt es nicht an. Denn die Handlung des Beklagten — die öffentlich Zugänglichmachung einer Luftbildaufnahme der Lahntalbrücke Limburg - ist durch § 59 Abs. 1 UrhG gedeckt.

1. Nach überkommener Auffassung ist eine Luftaufnahme eines Gebäudes nicht nach § 59 Abs. 1 UrhG privilegiert, weil dadurch Teile des Gebäudes aufgenommen werden, die von dem Weg, der Straße oder dem Platz aus nicht zu sehen sind (BGH, GRUR 2003, 1035, 1037 -Hundertwasser-Haus). Dabei betont der Bundesgerichtshof, dass bei Auslegung von Schrankenbestimmungen berücksichtigt werden müsse, dass die Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers nicht übermäßig beschränkt werden dürfen (BGH, GRUR 2002, 605 f. - Verhüllter Reichstag; BGH, GRUR 2003, 1035, 1037 — Hundertwasser-Haus). § 59 Abs. 1 UrhG liege die Erwägung zugrunde, dass Werke, die sich dauernd an öffentlichen StraßBen oder Plätzen befinden, in gewissem Sinne Gemeingut geworden seien und daher der Urheber, der der Aufstellung oder Errichtung seines Werkes an einem Öffentlichen Ort zustimme, sein Werk damit in bestimmten Umfang der Allgemeinheit widme (BGH, GRUR 2002, 605, 606 - Verhüllter Reichstag; BGH, GRUR 2003, 1035, 1037 - Hundertwasser-Haus, m.w.N.). Dabei stützt sich der Bundesgerichtshof auch auf die Gesetzgebungsmaterialien zu 8 20 KUG (BGH, GRUR 2002, 605, 606 - Verhüllter Reichstag). Von diesem Zweck sei die gesetzliche Bestimmung nicht mehr gedeckt, wenn der Blick von einem für das allgemeine Publikum unzugänglichen Ort aus fixiert werde; es bestehe keine Notwendigkeit eine Darstellung oder Aufnahme vom urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrecht anzunehmen, die eine ganz andere Perspektive gelte (BGH, GRUR 2003, 1035, 1037 - Hundertwasser-Haus).

2. Dem schließt sich das Gericht nicht an. Vielmehr ist die Vorschrift richtlinienkonform anhand des Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte der Informationsgesellschaft (nachfolgend: „InfoSoc-RL“) auszulegen. Die richtlinienkonforme Auslegung ergibt, dass auch Luftbildaufnahmen von 8 59 Abs. 1 UrhG gedeckt sind und auch der Einsatz von Hilfsmitteln nicht aus der Schutzschranke heraus führt.

a) In methodischer Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsordnung keinen Rechtssatz kennt, wonach Ausnahmevorschriften stets restriktiv interpretiert werden müssten (BVerfG, NJW 1978, 1149, 1150). Für jede Vorschrift, auch für eine Ausnahmevorschrift, gilt, dass sie korrekt und das heißt hier ihrem eindeutigen Inhalt und Sinn entsprechend auszulegen ist.

b) Art. 5 Abs. 3 Buchst. h InfoSoc-RL sieht die Möglichkeit einer Ausnahmeregelung vor für Werke der Baukunst, die dazu angefertigt wurden, sich bleibend an öffentlichen Orten zu befinden. Teilweise wird vertreten „an öffentlichen Orten“ impliziere, dass das Werk auch für den Menschen ohne besondere Anstrengung oder Hilfsmittel wahrnehmbar ist (Leenen, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 5. Aufl. 2019 InfoSoc-RL Art. 5 Rn. 134). Eine solche einschränkende Auslegung ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der Richtlinie. Maßgeblich ist lediglich, dass sich das Werk an einem öffentlichen Ort befindet; von welchem Ort das Werk betrachtet wird, regelt die Richtlinie gerade nicht. Auch die englische und die französische Sprachfassung der Richtlinie lässt nicht erkennen, dass der Ort, von dem das Werk betrachtet wird, eingeschränkt werden soll (englisch: „to be located permanently in public places“, französisch: „pour &tre placees en permancence dans des lieux publics“). Die Richtlinie enthält darüber hinaus auch keine Einschränkung dahingehend, dass der Einsatz von Hilfsmitteln ausgeschlossen sein soll. Dass die Richtlinienbestimmung keine Einschränkung hinsichtlich Hilfsmittel und Ort der Betrachtung kennt, muss auch für die Auslegung der deutschen Umsetzungsnorm - § 59 Abs. 1 UrhG - berücksichtigt werden.

c) Auch der Bundesgerichtshof vertritt die Auffassung, dass Schrankenbestimmungen nicht stets eng, sondern die enge Auslegung im Einzelfall einer großzügigeren, dem Gewicht der durch die Schrankenbestimmung geschützten Interessen genügenden Interpretation weichen müsse (BGH, GRUR 2017, 798 Rn. 17 - AIDA Kussmund). Außerdem müsse § 59 UrhG
richtlinienkonform ausgelegt werden. Den Mitgliedstaaten stehe es nach Art. 5 Abs. 2 bis 4 InfoSoc-RL zwar frei, ob sie in den dort genannten Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht, das Recht der öffentlichen Wiedergabe oder das Verbreitungsrecht vorsehen. Sie müssen aber, wenn sie eine Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf diese Verwertungsrechte einführen, deren Voraussetzungen vollständig umsetzen, da eine inkohärente Umsetzung dem Harmonisierungsziel der Richtlinie zuwiderliefe (BGH, GRUR 2017, 798 Rn. 26 - AIDA Kussmund mit Verweis auf EUGH, GRUR 2014, 972 Rn. 16 - Deckmyn und Vrijheidsfonds/Vandersteen). Bei richtlinienkonformer Auslegung sei es geboten, die Nennung von „Wegen, Straßen oder Plätzen“ in § 59 Abs. 1 UrhG als lediglich beispielhaft anzusehen (BGH, GRUR 2017, 798 Rn. 24, 26 - AIDA Kussmund). Auch ein Kreuzfahrtschiff könne daher ein öffentlicher Ort sein, das auf der Hohen See, im Küstenmeer, auf Seewasserstraßen und in Seehäfen eingesetzt werde. Diese Gewässer seien grundsätzlich allgemein zugänglich und dürften von jedermann mit Wasserfahrzeugen befahren werden. Das Kreuzfahrtschiff befinde sich an öffentlichen Orten, soweit es von diesen Gewässern aus wahrgenommen werden könne. Darüber hinaus befinde sich das Kreuzfahrtschiff auch deshalb an öffentlichen Orten, weil es vom allgemein zugänglichen Festland aus zu sehen sei (BGH, GRUR 2017, 798 Rn. 30 - AIDA Kussmund). Damit hat der Bundesgerichtshof auch implizit entschieden, dass der Einsatz von Hilfsmitteln zulässig ist. Denn um ein Werk von einem Gewässer aus sehen zu können, ist notwendigerweise ein Hilfsmittel (Boote, Schiffe) einzusetzen.

d) Bei der richtlinienkonformen Auslegung muss auch die technische Entwicklung der letzten Jahre berücksichtigt werden. Dafür spricht auch, dass das bis zum 30.06.1990 in 8 27 Abs. 2 LuftVG (a.F.) geregelte Verbot, von einem Luftfahrzeug aus außerhalb des Fluglinienverkehrs ohne behördlicher Erlaubnis Lichtbildaufnahmen zu fertigen, mit folgender Begründung aufgehoben wurde (BT-Drs. 11/6805, S. 74):
„Angesichts der heutigen Satelliten- und Fototechnik ist darüber hinaus der Grund für diese Vorschrift längst entfallen.“

Diese Erwägungen gelten angesichts der heutigen Entwicklungen erst recht und auch für die Panoramafreiheit. Wird beispielsweise aus einem Hubschrauber heraus Fotografien gemacht, auf denen ein Bauwerk zu sehen ist, diese Fotografien dann auf soziale Netzwerke (Facebook, Instagram, Twitter) oder auf private Blogs geteilt, böte dies bei enger Auslegung des §59 Abs. 1 UrhG ein Einfallstor für Abmahnungen, zumal das Urheberrecht insoweit keine Differenzierung zwischen privater und gewerblicher Nutzung kennt.

e) Im Übrigen ist das Werk von einem öffentlichen Ort einsehbar. Nach § 1 Abs. 1 LuftVG ist die Benutzung des Luftraums durch Luftfahrzeuge grundsätzlich frei. Es ist außerdem nicht einzusehen, weshalb die Panoramafreiheit greift, wenn ein Werk von einem Gewässer aus wahrgenommen werden kann, nicht aber, wenn ein Werk vom Luftraum aus wahrgenommen werde kann. Für die Ungleichbehandlung gibt es keinen sachlichen Grund; insbesondere ergibt sich eine solche Einschränkung nicht aus der Richtlinie. Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass der Einsatz von Drohnen erlaubnispflichtig sei, muss berücksichtigt werden, dass auch die Nutzung von Wasserfahrzeugen grundsätzlich erlaubnispflichtig ist, der Bundesgerichtshof gleichwohl die Panoramafreiheit angewandt hat. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass der Vortrag des Beklagten, dass die streitgegenständliche Brücke auch mittels Teleobjektiv vom Westerwald oder vom Taunus entsprechend hätte fotografiert werden können, unbestritten blieb. Die Brücke war auch unter diesem Gesichtspunkt von öffentlichen Plätzen einsehbar.

f) Das Argument der Klägerin, die Außenansicht eines Bauwerks unterläge bei derart weit verstandener Panoramafreiheit nicht mehr dem urheberrechtlichen Schutz, verfängt nicht. So ist dieses Argument insoweit zirkulär, als der (möglicherweise sehr geringe) Schutzumfang nicht zur Begründung des (weiten) Schutzumfangs herangezogen werden kann. Außerdem bezieht sich die Panoramafreiheit nach § 59 UrhG ohnehin nur auf bestimmte Arten der Vervielfältigung, nämlich mit Mitteln der Malerei
oder Graphik, durch Lichtbild oder Film. Ob darüber hinaus die von der Kammer vertretene Ansicht dahingehend eingeschränkt werden muss, dass die Hindernisse, die den Sichtzugang auf das Werk beschränken (etwa durch Hecken vor einem Gebäude), auch insoweit auf den Luftraum übertragen werden müssen, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Ablichtung der Brücke vom Westerwald oder dem Taunus durch irgendwelchen Sichtschutz behindert wurde.

Volltext BGH: Fotografien von gemeinfreien Gemälden oder anderen zweidimensionalen Werken genießen Lichtbildschutz nach § 72 UrhG

BGH
Urteil vom 20.12.2018
I ZR 104/17
Museumsfotos
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 14 Abs. 2; UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2, § 51 Satz 3, § 72, § 97 Abs. 1 Satz 1, § 97a Abs. 3 Satz 1, § 137f Abs. 1 Satz 2; BGB § 249 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 305 Abs. 2 Nr. 1, § 305c Abs. 2, § 307; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Fotografien von gemeinfreien Gemälden oder anderen zweidimensionalen Werken genießen Lichtbildschutz nach § 72 UrhG über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Stützt der Kläger einen Unterlassungsanspruch sowohl auf den Schutz des Lichtbildwerks nach § 2 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 UrhG als auch auf den Lichtbildschutz nach § 72 UrhG, handelt es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand (Festhaltung an BGH, Urteil vom 3. November 1999 - I ZR 55/97, GRUR 2000, 317, 318 [juris Rn. 12] = WRP 2000, 203 - Werbefotos).

b) Fotografien von (gemeinfreien) Gemälden oder anderen zweidimensionalen Werken unterfallen regelmäßig dem Lichtbildschutz nach § 72 UrhG.

c) Fertigt der Besucher eines kommunalen Kunstmuseums unter Verstoß gegen das im privatrechtlichen Besichtigungsvertrag mittels Allgemeiner Geschäftsbedingungen wirksam vereinbarte Fotografierverbot Fotografien im Museum ausgestellter Werke an und macht er diese Fotografien im Internet öffentlich zugänglich, kann der Museumsträger als Schadensersatz die Unterlassung der öffentlichen Zugänglichmachung im Internet verlangen.

BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 104/17 - OLG Stuttgart - LG Stuttgart

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Fotografien von gemeinfreien Gemälden oder anderen zweidimensionalen Werken genießen Lichtbildschutz nach § 72 UrhG

BGH
Urteil vom 20.12.2018
I ZR 104/17
Museumsfotos


Der BGH hat entschieden, dass Fotografien von gemeinfreien Gemälden oder anderen zweidimensionalen Werken Lichtbildschutz nach § 72 UrhG genießen.

Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof zur Veröffentlichung von Fotografien gemeinfreier Kunstwerke

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass Fotografien von (gemeinfreien) Gemälden oder anderen zweidimensionalen Werken regelmäßig Lichtbildschutz nach § 72 UrhG genießen. Der Senat hat weiter entschieden, dass der Träger eines kommunalen Kunstmuseums von einem Besucher, der unter Verstoß gegen das im Besichtigungsvertrag mittels Allgemeiner Geschäftsbedingungen vereinbarte Fotografierverbot Fotografien im Museum ausgestellter Werke anfertigt und im Internet öffentlich zugänglich macht, als Schadensersatz Unterlassung der öffentlichen Zugänglichmachung verlangen kann.

Die Klägerin betreibt das Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim. Sie hat im Jahr 1992 durch einen Mitarbeiter dort ausgestellte Kunstwerke fotografieren lassen und diese Fotografien in einer Publikation veröffentlicht.

Der Beklagte ist ehrenamtlich für die deutschsprachige Ausgabe des Internet Lexikons Wikipedia mit dem zentralen Medienarchiv Wikimedia Commons tätig. Der Beklagte hat Fotografien in die Mediendatenbank Wikimedia Commons hochgeladen und zum öffentlichen Abruf bereitgestellt, auf denen Werke - Gemälde und andere Objekte - aus der im Eigentum der Klägerin stehenden Sammlung zu sehen sind. Diese Werke sind sämtlich gemeinfrei, also wegen Ablaufs der Schutzfrist (§ 64 UrhG) urheberrechtlich nicht mehr geschützt. Bei den Fotografien handelte es sich teilweise um Aufnahmen aus der Publikation der Klägerin, die der Beklagte zuvor eingescannt hatte. Die übrigen Fotos hatte der Beklagte bei einem Museumsbesuch im Jahr 2007 selbst angefertigt und Wikimedia Commons unter Verzicht auf sein Urheberrecht zur Verfügung gestellt.

Die Klägerin hat den Beklagten auf Unterlassung und Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Sie stützt ihren Unterlassungsanspruch hinsichtlich der vom Beklagten eingescannten Fotografien auf Urheber- und Leistungsschutzrechte. Hinsichtlich der vom Beklagten selbst erstellten Fotografien beruft sie sich auf eine Verletzung des mit dem Beklagten geschlossenen Besichtigungsvertrags, der ein Fotografierverbot enthalte, sowie auf eine Verletzung ihres Eigentums an den ausgestellten Objekten.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist - soweit für die Revision von Bedeutung - ohne Erfolg geblieben.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen.

Das Hochladen der eingescannten Bilder aus der Publikation der Klägerin verletzt das der Klägerin vom Fotografen übertragene Recht, die Lichtbilder öffentlich zugänglich zu machen (§ 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG, § 72 Abs. 1 UrhG, § 19a UrhG). Die Fotografie eines Gemäldes genießt Lichtbildschutz nach § 72 Abs. 1 UrhG. Bei ihrer Anfertigung hat der Fotograf Entscheidungen über eine Reihe von gestalterischen Umständen zu treffen, zu denen Standort, Entfernung, Blickwinkel, Belichtung und Ausschnitt der Aufnahme zählen. Deshalb erreichen solche Fotografien regelmäßig - so auch im Streitfall - das für den Schutz nach § 72 Abs. 1 UrhG erforderliche Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung.

Mit der Anfertigung eigener Fotografien anlässlich eines Museumsbesuchs hat der Beklagte gegen das vertraglich vereinbarte Fotografierverbot verstoßen. Die entsprechende Vorschrift in der Benutzungsordnung und aushängende Piktogramme mit einem durchgestrichenen Fotoapparat stellen Allgemeine Geschäftsbedingungen dar, die wirksam in den privatrechtlichen Besichtigungsvertrag einbezogen worden sind und der Inhaltskontrolle standhalten. Die Klägerin kann als Schadensersatz wegen der Vertragsverletzung des Beklagten gemäß § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB verlangen, dass der Beklagte es unterlässt, die Bildaufnahmen durch Hochladen im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Dieses Verhalten stellt ein äquivalent und adäquat kausales Schadensgeschehen dar, das einen hinreichenden inneren Zusammenhang mit der Vertragsverletzung aufweist.

Vorinstanzen:

LG Stuttgart - Urteil vom 27. September 2016 - 17 O 690/15

OLG Stuttgart - Urteil vom 31. Mai 2017 - 4 U 204/16

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 64 UrhG:

Das Urheberrecht erlischt siebzig Jahre nach dem Tode des Urhebers.

§ 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG:

Wer das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, kann von dem Verletzten auf Beseitigung der Beeinträchtigung, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.

§ 72 Abs. 1 Satz 1 UrhG:

Lichtbilder und Erzeugnisse, die ähnlich wie Lichtbilder hergestellt werden, werden in entsprechender Anwendung der für Lichtbildwerke geltenden Vorschriften des Teils 1 geschützt.

§ 19a UrhG:

Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ist das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.

§ 280 Abs. 1 BGB:

Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

§ 249 Absatz 1 BGB:

Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.



BGH: Panoramafreiheit nach § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG erlaubt auch gewerbliche Vervielfältigung Verbreitung und öffentliche Wiedergabe der Fotografie

BGH
Urteil vom 19.01.2017
I ZR 242/15
East Side Gallery
UrhG § 59 Abs. 1 Satz 1, § 62 Abs. 1 Satz 1


Der BGH hat entschieden, dass die Panoramafreiheit nach § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG erlaubt auch gewerbliche Vervielfältigung Verbreitung und öffentliche Wiedergabe der Fotografie

Leitsätze des BGH:

a) Die Bestimmung des § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG gestattet nicht nur das Fotografieren eines Werkes, das sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befindet, sondern darüber hinaus die - auch gewerbliche - Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe der Fotografie.

b) Durch das Aufbringen der Fotografie eines Werkes auf einem dreidimensionalen Träger wird eine nach § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG zulässige Vervielfältigung des Werkes durch Lichtbild erst dann zu einer nach § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG unzulässigen Vervielfältigung des Werkes in dreidimensionaler Form, wenn dadurch zwischen der Fotografie und dem dreidimensionalen Träger nicht nur eine rein äußerliche, physische Verbindung geschaffen wird, sondern darüber hinaus eine innere, künstlerische Verbindung entsteht, so dass die Fotografie nicht lediglich von einem dreidimensionalen Objekt getragen wird, sondern mit diesem zu einem einheitlichen Werk verschmilzt.

c) Die Vervielfältigung von Teilen eines Werkes nach § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG verstößt nicht gegen das Änderungsverbot des § 62 Abs. 1 Satz 1 UrhG.

BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 - I ZR 242/15 - Kammergericht - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten kann Herstellung und Verwertung von Foto- und Filmaufnahmen zu gewerblichen Zwecken verbieten

BGH
Urteile vom 17. Dezember 2010 –
V ZR 44/10, 45/10 und 46/10


Der BGH hat entschieden, dass die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten die ungenehmigte Herstellung und Verwertung von Foto- und Filmaufnahmen der von ihr verwalteten Gebäude und Gartenanlagen zu gewerblichen Zwecken untersagen darf, sofern sie Eigentümerin ist und die Fotos von ihren Grundstücken aus erstellt wurden.

Die Pressemitteilung des BGH finden Sie hier: "BGH: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten kann Herstellung und Verwertung von Foto- und Filmaufnahmen zu gewerblichen Zwecken verbieten" vollständig lesen