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OLG Frankfurt: Rechtsmissbräuchlicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei vorherigem Versuch des "Verkaufs" der Anspruchsberechtigung und Androhung des wirtschaftlichen Ruins

OLG Frankfurt
Beschluss vom 10.05.2024
6 W 41/24


Das OLG Frankfurt hat in diesem Fall entschieden, dass ein rechtsmissbräuchlicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Versuch des "Verkaufs" der Anspruchsberechtigung und Androhung des wirtschaftlichen Ruins vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die gemäß §§ 936, 922, 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere nach § 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Eilantrag zu Recht wegen missbräuchlicher Anspruchsverfolgung als unzulässig zurückgewiesen.

1. Nach § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG ist eine missbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen. Außerdem spricht (u.a.) ein unangemessen hoch angesetzter Gegenstandswert für eine Abmahnung für einen Rechtsmissbrauch (§ 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG).

Über die benannten Missbrauchsgründe in § 8c Abs. 2 UWG hinaus kann die Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs nach dem allgemeinen Missbrauchstatbestand in § 8c Abs. 1 UWG unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich sein.

Von einem solchen Missbrauch ist entsprechend der angefochtenen Entscheidung auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Anspruchstellers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind (vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2019 - I ZR 149/18, GRUR 2019, 966 Rn. 33 mwN - Umwelthilfe; Dämmer in BeckOK UWG, 23. Edition, Stand: 01.01.2024, § 8c Rn. 9). Diese müssen dabei nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Es genügt, wenn die sachfremden Ziele überwiegen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 24.09.2020 - I ZR 169/17, GRUR 2021, 84 Rn. 17 - Verfügbare Telefonnummer; Dämmer aaO, § 8c Rn. 9; Goldmann in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 8c Rn. 41, 45), etwa weil der Anspruchsberechtigte kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann (vgl. z.B. BGH, GRUR 2019, 966 Rn. 34 - Umwelthilfe; Goldmann aaO, § 8c Rn. 40 mwN).

Die Annahme einer missbräuchlichen Anspruchsverfolgung kommt auch in Betracht, wenn die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs von der Absicht getragen ist, den Verletzer im Wettbewerb zu behindern oder zu schädigen (vgl. z.B. Dammer aaO, § 8c n. 11; Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Auflage 2024, § 8c Rn. 37;Goldmann aaO, § 8c Rn. 43). Ferner kann nach zutreffender Auffassung des Antragsgegners ein Missbrauch anzunehmen sein, wenn ein Anspruch geltend gemacht wird, nachdem der Anspruchsberechtigte zuvor vergeblich versucht hat, sich die Anspruchsberechtigung „abkaufen“ zu lassen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 22.06.2004 - 4 U 13/04, juris Rn. 32 f., zur Erledigung der Angelegenheit gegen Zahlung von 500.000 Euro; OLG München, Urteil vom 22.12.2011 - 29 U 3463/11, juris Rn. 71 f. - Ablauf eines titulierten Unterlassungsanspruchs, Branchenbuchformular; Feddersen aaO, § 8c Rn. 40; Fritzsche in Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 3. Aufl. 2022, § 8c Rn. 62). Zwar rechtfertigt die bloße Unnachgiebigkeit des Anspruchstellers (Goldmann aaO, § 8c Rn. 44) oder seine Bereitschaft zu einer vergleichsweisen Regelung noch nicht den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs. Dieser Vorwurf kann aber gerechtfertigt sein, wenn der Anspruchsteller anbietet, die Fortsetzung des als unlauter beanstandeten Verhaltens im Fall einer Gegenleistung zu dulden (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.01.2018 - 6 U 150/17, juris Rn. 19 - 3 Jahre Garantie).

Voraussetzung eines Rechtsmissbrauchs ist insoweit, dass die äußeren Umstände bei gebotener Gesamtwürdigung (u.a. etwaiger wirtschaftlichen Interessen des Anspruchstellers oder seines Verhaltens bei der Verfolgung des betreffenden und anderer Verstöße) den Schluss auf das Überwiegen sachfremder Motive zulassen (vgl. z.B. Goldmann aaO, § 8c Rn. 47 ff. mwN).

2. Nach diesen Maßstäben ist das Landgericht zutreffend von einer rechtsmissbräuchlichen Anspruchsverfolgung durch die Antragsteller ausgegangen.

a) Der Antragsgegner hat geltend gemacht und unter dem 19.03.2024 eidesstattlich versichert (vgl. seine Schutzschrift [EA 60 ff.] i.V.m. EA 119 f.), der Antragsteller zu 2 habe ihm bereits zu Beginn ihres Gesprächs am 24.02.2024 gesagt, er müsse das Angebot von Penisvergrößerungen von seiner Website und Werbung entfernen. Beim Angebot von Penisvergrößerungen handele es sich um sein „Baby“ und sein Monopol. Wenn der Antragsgegner künftig gleichwohl Penisvergrößerungen anbiete und durchführe, werde er ihn und seine Praxis wirtschaftlich ruinieren, dann sei insbesondere seine wirtschaftliche Existenz gefährdet. Der Antragssteller zu 2 habe angeboten, Patienten, die an einer Penisvergrößerung interessiert seien, künftig gegen 2.000 Euro an A zu „vermitteln“, dann werde er nichts gegen den Antragsgegner unternehmen. Wenn dieser nicht spätestens am kommenden Montag (26.02.2024) Bescheid gebe, ob er „kooperiere“, werde er ihn ruinieren. Der Antragsgegner habe dann am 25.02.2024 mit A telefoniert, der geäußert habe, der Antragsteller zu 2 setze öfter Kollegen unter Druck, damit diese ihm auf dem Gebiet der Penisvergrößerungen keine Konkurrenz machten. A habe dem Antragsgegner bestätigt, eine Vermittlung von Patienten sei ein vernünftiger „Deal“, damit dieser seine „Ruhe“ habe. Kurz darauf habe sich A nochmal bei ihm gemeldet und gesagt, er begehe so viele Gesetzesverstöße, dass er die Behandlung des Penis künftig unterlassen sollte. Nach Erhalt der (von Seiten der Antragsteller unterzeichneten) Vereinbarung am 27.02.2024 habe er mit dem Antragsteller zu 2 telefoniert. Dieser habe ihn aufgefordert, als „Geste“ guten Willens seine Google-Ads zur Penisvergrößerung ausschalten, was der Antragsgegner auch getan habe, damit der Antragsteller zu 2 nicht gegen ihn vorgehe. Auf den Hinweis, dass in der vorgelegten „Vereinbarung“ die Vergütung von 2.000 Euro nicht erwähnt sei, habe der Antragsteller zu 2 geäußert, das könne er nicht schriftlich abgeben, die Vereinbarung sei aber sehr gut und der Antragsgegner müsse diese sofort unterschreiben, damit er ihn in Ruhe lasse. Es gebe deutschlandweit mehrere Kollegen, die dankbar seien, so eine Vereinbarung von ihm zu bekommen. Er habe so eine Vereinbarung vor Jahren mit einem D geschlossen, der seitdem seine Ruhe habe und gegen den er nicht anwaltlich vorgegangen sei. Wenn der Antragsgegner die Vereinbarung sofort unterschreibe, gebe es „keinen Kampf“ mehr zwischen ihnen. Er wolle mit ihm zusammenarbeiten, zunächst müsse der Antragsgegner aber die Vereinbarung unterschreiben. Nach Unterzeichnung werde er ihm einen weiteren Vertrag vorlegen. Unterschreibe der Antragsgegner nicht, bekomme er keinen zweiten Vertrag und werde „voll angegriffen“. Er habe viele solche Verträge mit vielen Kollegen geschlossen. Der Antragsgegner solle die Vereinbarung unterschreiben, damit seine Existenz nicht gefährdet werde. Am 01.03.2024 habe er erneut (zunächst) mit A telefoniert. Er habe diesen gebeten, ihm die Facelift-Operationsmethode beizubringen, dann könne er die Bewerbung und Durchführung von Penisvergrößerungen unterlassen. A habe gesagt, ihm liege doch ein Angebot vor (‚unterschriebene Vereinbarung = „kein Krieg“‘), es gebe keine zweite schriftliche Vereinbarung ohne die erste. Der Antragsgegner habe angeboten, die Bewerbung von Penisvergrößerungen von seiner Website zu entfernen, bis sie eine weitere Vereinbarung getroffen hätten. A habe entgegnet, das gehe nicht. Er und der Antragsteller zu 2 hätte vieles in der Hand, um den Antragsgegner „anzugreifen“. Es sei nicht sinnvoll, mit dem Feuer zu spielen, der Antragsgegner könnte sogar seine Zulassung verlieren. Bei einem anschließenden Telefonat mit dem Antragsteller zu 2 habe dieser auf die Mitteilung, dass der Antragsgegner die Vereinbarung nicht unterschreiben werde, bis der Antragsteller zu 2 ihm einen zweiten Vertrag vorlege, geantwortet, der Antragsgegner könnte seine Zulassung verlieren. Ihm sei nicht bewusst, „was eine Hölle“ auf ihn zukomme, wenn er nicht unterschreibe. Die Frist zur Unterzeichnung der Vereinbarung laufe bis 04.03.2024, ansonsten beginne der „Krieg“ gegen ihn. Ab Montag werde der Antragsgegner ein Problem haben, falls er nicht unterschreibe. Der Antragsteller zu 2 agiere seit 25 Jahren so und habe schon mehr als 250 Klagen gegen andere ärztliche Kollegen geführt. Es sei sein Tagesgeschäft und seine Stärke. Ab Montag müsse der Antragsgegner mit den Konsequenzen leben. Der Antragsteller zu 2 rate ihm dringend, zu unterschreiben, ansonsten werde der Antragsgegner sehen, was er für ein Problem habe. Ab Montag sei der Antragsteller zu 2 ein „Kämpfer“ und der Antragsgegner könne mit massiven Problemen rechnen; ansonsten werde er seine Zulassung verlieren. Am 04.03.2024 habe ihm A erneut in einem Telefonat gesagt, er solle die Vereinbarung unterschreiben oder es fange an.

b) Dieser (eidesstattlich versicherten) Darstellung sind die Antragsteller zu wesentlichen Teilen nicht entgegengetreten, so dass diese gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen sind.

Nach der zutreffenden Feststellung des Landgerichts, haben die Antragsteller und A dem Antragsgegner vorgerichtlich (bindend) angeboten, auf die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen zu verzichten, wenn dieser sich im Gegenzug dazu verpflichte, von einer Bewerbung und Durchführung von Penisvergrößerungen abzusehen. Dies wäre für sie mit erheblichen wirtschaftlichen Vorteilen verbunden gewesen. Die Antragsteller und A haben dem Antragsgegner außerdem verbindlich zugesagt, bei Unterzeichnung der Vereinbarung von einer „Meldung“ bei der Landesärztekammer und dem Hessischen Landesamt abzusehen.

Nach eigenem Vorbringen des Antragstellers zu 2 hat dieser den Antragsgegner mehrfach und deutlich auf mögliche Folgen einer rechtlichen Auseinandersetzung - jedenfalls in Form von Ärger und Kosten - hingewiesen (vgl. die S. 3 ff. der Beschwerdeschrift [EA 136 ff.] i.V.m. seiner eidesstattlichen Versicherung, Anlage B1 S. 2 [EA 140]). Nach seiner Darstellung hat er zwar zur Wahrung des Renommées der Antragstellerseite darauf bestanden, dass der Antragsgegner vor einer etwaigen Zusammenarbeit alle Wettbewerbsverstöße einstellt. Allerdings sind die Antragsteller dem Vortrag des Antragsgegners zu den konkreten Äußerungen des Antragstellers zu 2 und As ihm gegenüber nicht entgegengetreten. Sie haben diese nicht ausdrücklich bestritten (vgl. Anlage B1, EA 139 f.). Für ein konkludentes Bestreiten besteht ebenfalls kein Anhaltspunkt. Daher ist nach § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen, dass der Antragsteller zu 2 und A den Antragsgegner vorgerichtlich massiv unter Druck gesetzt haben, die von ihrer Seite entworfene Vereinbarung mit der Verpflichtung zur Unterlassung einer Bewerbung und Durchführung von Penisverlängerungen zu unterschreiben, mit der (zusammengefassten) Drohung, ihn anderenfalls wettbewerbs- und berufsrechtlich ‚fertig zu machen‘, seine Existenz zu gefährden und gegebenenfalls sogar dafür zu sorgen, dass er seine Zulassung verliert. Dabei ging es A und dem Antragsteller zu 2, wie auch die oben wiedergegebene WhatsApp-Nachricht belegt (GA 117 f.), nicht in erster Linie darum, die streitgegenständlichen (angeblichen) Wettbewerbsverstöße zu unterbinden. Zwar ist etwa die Bezeichnung „Praxis1“ (auch innerhalb der Domain des Antragsgegners www.(…).de) an eine bekannte US-amerikanische Klinikgruppe mit der Internetdomain www.(…).com angelehnt. Es lässt sich aber nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass es den Antragstellern zumindest gleichermaßen auch darum ginge, eine Irreführung des Geschäftsverkehrs über geschäftliche Verbindungen und Kompetenzen des Antragsgegners zu verhindern. Sie wollten ihn primär dazu bringen, sich vollständig aus dem für sie lukrativen Markt der Penisverlängerungen zurückzuziehen (mit jeder Operation ist ein Deckungsbeitrag von ca. 11.000 Euro verbunden), um wieder im gleichen Umfang wie vor der Aufnahme der Internetwerbung durch den Antragsgegner Patienten bzw. Interessenten zu generieren. Nach eigenem Vorbringen der Antragsteller schadete ihnen die Internetwerbung des Antragsgegners erheblich. Der Markt für Penisverlängerungen ist mit ca. 10 Operateuren bundesweit sehr klein. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass A (unbestritten) gegenüber dem Antragsgegner angab, der Antragsteller zu 2 setze öfter Kollegen unter Druck, damit diese ihm auf dem Gebiet der Penisvergrößerungen keine Konkurrenz machten. Der Antragsteller zu 2 gab selbst (ebenfalls unbestritten) an, er agiere schon seit 25 Jahren so und habe mehr als 250 Klagen geführt, dies sei sein Tagesgeschäft und seine Stärke.

Dafür, dass der Antragsteller zu 2 gezielt nach möglichen Rechtsverletzungen des Antragsgegners gesucht hat, um diesen durch Androhung rechtlicher Konsequenzen und damit verbundener wirtschaftlicher Nachteile zur Aufgabe der Bewerbung und Durchführung von Penisverlängerungen zu bewegen, spricht neben vorgenannten Umständen, dass der Antragsteller zu 2 nicht nur auf den Internetseiten des Antragsgegners und der „Praxisklinik Ort1“ recherchierte, sondern auch auf der Facebook-Seite der „Kliniken1“ auf ein dem Antragsgegner möglicherweise abträgliches Foto von diesem stieß, mit dem er ihn konfrontierte (vgl. Anlage B1 S. 2, EA 140).

c) Bei gebotener Gesamtwürdigung aller Umstände hat das Landgericht den Eilantrag damit zutreffend als rechtsmissbräuchlich angesehen. Zwar stellt der Gegenstandswert der Abmahnung von 225.000 Euro für sich gesehen noch kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch dar. Die Antragstellerseite hat aber nicht nur versucht, sich die Berechtigung zur Verfolgung der geltend gemachten Unterlassungsanträge abkaufen zu lassen. Sie hat auch den Versuch unternommen, den Antragsgegner gezielt in seiner wettbewerblichen Tätigkeit auf dem Gebiet der Penisverlängerungen zu behindern (was teilweise in Form der Änderung der Google-Ads bereits erfolgreich war), um sich den entsprechenden Marktanteil zu sichern (vgl. insofern auch S. 12 f. des Eilantrags und S. 4 der Beschwerdeschrift, EA 137). Ein solches Vorgehen ist nach zutreffender Auffassung des Landgerichts nicht mehr vom Wettbewerbsrecht gedeckt, sondern rechtsmissbräuchlich.

An dieser Bewertung ändert der Umstand nichts, dass der Antragsgegner - jedenfalls teilweise - unlauter geworben haben mag. Für die Frage eines Rechtsmissbrauchs der Antragsteller kommt es auch nicht darauf an, dass der Antragsgegner die Unterzeichnung der Vereinbarung davon abhängig machte, dass A ihm das Facelifting beibringt (Anlage B1 S. 2, EA 140). Entsprechendes gilt für seine Bereitschaft, mit der Vereinbarung der Zuführung von Patienten für Penisverlängerungen gegen Zahlung von 2.000 Euro einen (weiteren) Gesetzesverstoß zu begehen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Verzicht des Urhebers gegenüber Microstockportal auf Benennung als Urheber kann nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB oder § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sein

BGH
Urteil vom 15.06.2023
I ZR 179/22
Microstock-Portal
UrhG §§ 13, 97a Abs. 4 Satz 1; BGB § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass der Verzicht des Urhebers gegenüber einem Microstockportal auf Benennung als Urheber nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB oder § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sein kann.

Leitsätze des BGH_
a) Das Recht des Urhebers auf Anbringung der Urheberbezeichnung gemäß § 13 Satz 2 UrhG ist in seinem Kern unverzichtbar. Daraus, dass der Urheber nach § 13 Satz 2 UrhG bestimmen kann, ob das Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen und welche Bezeichnung zu verwenden ist, ergibt sich jedoch, dass es ihm außerhalb dieses unverzichtbaren Kerns grundsätzlich freisteht, durch ausdrücklich oder stillschweigend getroffene vertragliche Vereinbarungen mit dem Werkverwerter auf die Ausübung dieses Rechts zu verzichten oder in dieses Recht beeinträchtigende Nutzungen einzuwilligen.

b) Solche Vereinbarungen unterliegen allerdings Grenzen, deren Überschreitung gemäß § 138 Abs. 1 BGB und - soweit Allgemeine Geschäftsbedingungen in Rede stehen - gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB zur Unwirksamkeit der Vereinbarung führt.

c) Im Rahmen der bei der Prüfung dieser Bestimmungen vorzunehmenden Gesamtabwägung sind sowohl die Interessen von Urheber und Vertragspartner als auch die jeweiligen vertragsrelevanten Umstände wie die Art des Werks sowie der Zweck und die Dauer der Vereinbarung in den Blick zu nehmen. Zu berücksichtigen sind der sachliche und zeitliche Umfang der in Rede stehenden Einschränkung des Namensnennungsrechts. Dabei kommt es etwa darauf an, ob die Einschränkung nur bestimmte Werke oder bestimmte Nutzungen betrifft und nur für eine bestimmte Zeit gelten oder widerruflich sein soll oder aber der Urheber sich pauschal und dauerhaft zum Verzicht auf die Ausübung seines Namensnennungsrechts verpflichtet hat. Im Rahmen der Abwägung können zudem Verkehrsgewohnheiten und Branchenübungen berücksichtigt werden.

BGH, Urteil vom 15. Juni 2023 - I ZR 179/22 - OLG Frankfurt am Main - LG Kassel

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OLG Oldenburg: Kein gutgläubiger Erwerb eines Lamborghinis Nachts auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants - Gesamtumstände des Einzelfalls legen fehlende Verfügungsbefugnis nahe

OLG Oldenburg:
Urteil vom 27.03.2023
9 U 52/22


Das OLG Oldenburg hat diesem Fall den gutgläubigen Erwerb eines Lamborghinis Nachts auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants abgelehnt. Die Gesamtumstände des Einzelfalls legen nahe. dass der Veräußerer keine Verfügungsbefugnis hatte.

1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gegeben. Für die Klage sind die deutschen Gerichte nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (nachfolgend: EuGVVO) zuständig, weil der Beklagte seinen Wohnsitz in Deutschland hat.

2. Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

a. Die Frage, ob der Beklagte das Eigentum an dem Fahrzeug erworben hat, beurteilt sich gem. Art. 43 Abs. 1 EGBGB nach deutschem Recht als der maßgeblichen lex rei sitae (§§ 929 Satz 1, 932 Abs. 1 und 2 BGB). In dem für die Vollendung des Eigentumserwerbs des Beklagten durch Einigung und Übergabe maßgeblichen Zeitpunkt befand sich das Fahrzeug in Deutschland.

b. Der Kläger kann von dem Beklagten gem. § 985 BGB die Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlangen.

Nach den erstinstanzlichen Feststellungen, die dem Berufungsverfahren gem. § 529 Abs. 2 ZPO zugrunde zu legen sind, war der Kläger Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Soweit der Beklagte nunmehr die "Legitimation" des Klägers bestreitet, bleibt bereits offen, ob er damit die frühere Eigentümerstellung des Klägers bestreiten oder aber behaupten will, das Eigentum sei infolge einer Schadensregulierung durch eine Versicherung auf diese übergegangen. Im Übrigen wäre der Vortrag selbst für den Fall, dass man ihn als hinreichend konkret erachten wollte, im Berufungsverfahren nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO nicht dargelegt ist.

Der Kläger hat sein Eigentum durch das streitgegenständliche Rechtsgeschäft nicht an den Beklagten verloren. Zwar hat am 16.8.2019 zwischen den - als Vertreter des EE auftretenden - Brüdern FF und dem Beklagten eine dingliche Einigung und Übergabe im Sinne von § 929 Satz 1 BGB stattgefunden. Weil das Fahrzeug weder dem EE noch den Brüdern FF gehörte und diese nicht verfügungsbefugt waren, handelten sie als Nichtberechtigte.

Gemäß § 932 BGB wird der Erwerber durch eine durch Einigung und Übergabe des unmittelbaren Besitzes erfolgte Veräußerung auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zum Zeitpunkt der Eigentumsübertragung nicht in gutem Glauben war. Nach § 932 Abs. 2 BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Dass der Beklagte nicht in gutem Glauben war, muss der Kläger beweisen. Der Gesetzgeber hat die fehlende Gutgläubigkeit im Verkehrsinteresse bewusst als Ausschließungsgrund ausgestaltet. Derjenige, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, muss die Erwerbsvoraussetzungen beweisen, nicht aber seine Gutgläubigkeit (BGH, Urteil vom 23.9.2022 – V ZR 148/21 – juris).

Der Beklagte hat vorliegend nicht gutgläubig Eigentum an dem Fahrzeug erworben. Zwar bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte, dass dem Beklagten positiv bekannt war, dass der EE weder Eigentümer noch verfügungsbefugt war. Der Beklagte hat jedoch zur Überzeugung des Senats insoweit grob fahrlässig gehandelt.

Unter grober Fahrlässigkeit wird im allgemeinen ein Handeln verstanden, bei dem die im Rechtsverkehr erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGHZ 77, 274, 278, BGH, NJW 2013, 1946 Rn 11). Im Rahmen des § 932 Abs. 2 BGB gibt es keine Entlastung wegen fehlender subjektiver Fahrlässigkeit, weil der Rechtsverkehr sich bei der Konkretisierung des guten Glaubens auf gleichmäßige Mindestanforderungen einstellen können muss. Es gilt daher ein streng objektiver Maßstab, so dass die persönlichen Maßstäbe des Erwerbers und seine Handelsgewohnheiten den Maßstab nicht mindern (BGH LM § 932 Nr. 12, 21). Der Beklagte kann sich mithin nicht darauf berufen, dass es sich aus seiner Sicht um einen üblichen Geschäftsvorgang gehandelt habe, den er bzw. Familienangehörige bereits wiederholt in ähnlicher Weise praktiziert hätten, der Kauf ihm persönlich unverdächtig vorkam und er gutgläubig gewesen sei.

Es gehört regelmäßig zu den objektiven Mindesterfordernissen gutgläubigen Erwerbs eines Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen (BGH, NJW 1996, 2226, 2227). Auch wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und des Briefes ist, kann der Erwerber gleichwohl bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht hingegen nicht (BGH, NJW 2013, 1946 Rn 13). Anhand der Eintragungen ist die Möglichkeit gegeben, bei dem eingetragenen Berechtigten die Übereignungsbefugnis des Fahrzeugbesitzers nachzuprüfen. Diese Prüfung hat der Erwerber jedenfalls vorzunehmen, um sich nicht dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit auszusetzen. Kommt der Erwerber dieser Obliegenheit nach und wird ihm ein gefälschter Kraftfahrzeugbrief vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten (BGH, NJW 2013, 1946 Rn. 14).

Nach den Feststellungen des Landgerichts sind dem Beklagten deutsche Originalzulassungsbescheinigungen I und II übergeben worden, die vom Kreis Ort7 ausgegeben worden sind. Soweit der Kläger erstmals im Berufungsverfahren konkret behauptet, dass diese ggf. als Fälschungen zu erkennen waren, ist er damit gem. § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, weil nicht erkennbar ist, dass er ohne Nachlässigkeit daran gehindert gewesen wäre, bereits erstinstanzlich entsprechend vorzutragen und der Beklagte den Vortrag bestritten hat.

Allerdings konnte der Beklagte trotz der ihm vorgelegten Originalzulassungsbescheinigungen nicht davon ausgehen, dass die Fahrzeugbesitzer FF verfügungsbefugt waren. Denn nicht sie waren in den Zulassungsbescheinigungen ausgewiesen, sondern eine in Spanien wohnhafte Person namens EE. Unstreitig haben sich die Brüder als bloße Vermittler ausgegeben, und der Beklagte hat davon abgesehen, mit dem EE in persönlichen Kontakt zu treten. Der Beklagte hat auch darauf verzichtet, sich eine schriftliche Vollmacht des EE vorlegen zu lassen. Stattdessen hat er sich unter Vorlage einer Kopie der Vorderseite eines auf den Namen EE ausgestellten spanischen Personalausweises auf die mündliche Angabe der Brüder FF verlassen, bevollmächtigt zu sein. Dies reicht nicht aus, um eine Bevollmächtigung glaubhaft zu belegen. Dies gilt umso mehr, als die Schreibweise des Namens und der Adresse in den Zulassungsbescheinigungen von der vorgelegten Kopie des Personalausweises bzw. dem Kaufvertrag abweicht und zudem aus den Zulassungsbescheinigungen nicht eindeutig hervorging, ob es sich bei dem EE tatsächlich um denjenigen handelte, auf den das Fahrzeug zugelassen war, oder er ggf. nur Empfangsbevollmächtigter war (im Einzelnen s.u.).

Indem der Beklagte das Fahrzeug erworben hat, ohne nähere Nachforschungen zur Person des angeblichen Eigentümers sowie zur Bevollmächtigung der beiden Brüder anzustellen, hat er die ihm obliegenden Überprüfungspflichten im Zusammenhang mit der Vorlage der Zulassungsbescheinigungen nicht erfüllt. Besondere Vorsicht war hier auch vor dem Hintergrund angezeigt, dass es sich um ein Luxusfahrzeug handelt, das erst wenige Tage vor dem Verkauf aus dem EU-Ausland nach Deutschland eingeführt und hier mit Kurzzeitkennzeichen zugelassen worden war. Ungewöhnlich war zudem, dass die Brüder offenbar sofort zur Inzahlungnahme eines Fahrzeugs des Beklagten unter Anrechnung auf den Kaufpreis bereit waren, ohne zuvor mit dem vermeintlichen Eigentümer Rücksprache zu halten und ohne dass sich dieser das Fahrzeug ansieht oder sich zumindest Lichtbilder und Papiere des Fahrzeugs übersenden lässt. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Brüder ausweislich der TÜ-Mitschnitte (Bl. 7 I, Anlage K 12, Anlagenband, Anlage B 3, Bl. 122 I ff.) vor dem Verkauf angegeben haben, dass auf den EE alle Kaufverträge gemacht werden. Auch vor diesem Hintergrund hätte für den Beklagten Anlass zu weiteren Nachfragen bestanden, erscheint es doch ungewöhnlich, dass eine Privatperson regelmäßig Fahrzeuge verkauft, und die gewerblich im Autohandel tätigen Brüder ausschließlich für diese Privatperson handeln und daher alle Kaufverträge auf den EE ausstellen.

Nach alldem bestand für den Beklagten trotz Vorlage der Zulassungsbescheinigungen von vornherein Anlass, sowohl an der Eigentümerstellung des EE als auch an einer Bevollmächtigung der Brüder FF zu zweifeln. Auch von letzteren waren dem Beklagten mit Ausnahme einer Telefonnummer keinerlei persönliche Daten (vollständiger Name, Adresse etc.) bekannt.

Hinzu kommen weitere besondere Umstände des Verkaufs, die sich in vielfacher Hinsicht als auffällig darstellten. So handelte es sich um einen Straßenverkauf. Ein erstes Treffen hatte zunächst am 13.8.2019 in Ort3 auf dem Parkplatz einer Spielothek stattgefunden. Das Fahrzeug konnte nach Bekunden der Brüder zu diesem Zeitpunkt noch nicht übergeben werden, weil sie es angeblich zunächst noch für eine Hochzeitsfahrt eines Freundes benötigten. Es erscheint wenig nachvollziehbar, warum diese als Vermittler berechtigt gewesen sein sollten, das Fahrzeug zu privaten Zwecken zu nutzen.

Ungewöhnlich erscheinen zudem Zeit und Ort des Vertragsschlusses und der Übergabe. Nachdem die Brüder FF zunächst angeboten hatten, das Fahrzeug am 15.8.2019 an die Wohnanschrift des Beklagten zu bringen, einigte man sich später darauf, sich um 12 Uhr "in der Mitte" auf dem Gelände einer Tankstelle in Ort4 zu treffen, wobei keiner der Beteiligten einen persönlichen Bezug zu der Örtlichkeit hatte. Später teilten die Brüder mit, erst gegen 19 Uhr am Treffpunkt zu sein. Nachdem der Beklagte am Treffpunkt eingetroffen war, teilten die Brüder im Laufe des Abends mit, im Stau zu stehen. Später gaben sie an, in eine Polizeikontrolle geraten zu sein. Dort habe es Verzögerungen gegeben, weil noch "eine Rechnung beim Amt" offen gewesen sei. Sie trafen schließlich erst gegen 23 Uhr am Treffpunkt ein, woraufhin nach der Durchführung von Probefahrten erst um 1 Uhr des Folgetages der Kaufvertrag unterschrieben und das Fahrzeug auf dem Gelände einer Tankstelle an den Beklagten übergeben wurde.

Ein Straßenverkauf im Gebrauchtwagenhandel gebietet besondere Vorsicht, weil er erfahrungsgemäß das Risiko der Entdeckung eines gestohlenen Fahrzeugs mindert (BGH, NJW 1992, 310). Er führt nur dann nicht zu weitergehenden Nachforschungspflichten, wenn er sich für den Erwerber als nicht weiter auffällig darstellt (BGH, NJW 2013, 1946 Rn. 15). Vorliegend gab es indes, wie dargelegt, ganz erhebliche Auffälligkeiten.

Auffällig waren auch die offensichtlichen Übertragungsfehler in der Wiedergabe des Namens sowie der Wohnanschrift des angeblichen Verkäufers. Lautete dessen Name ausweislich der vorgelegten Kopie des Personalausweises "(...)" (Anlage K 9, Anlagenband), wurde er in den Zulassungsbescheinigungen und dem Kaufvertrag als "(...)" bezeichnet. Überdies ist die Wohnanschrift des Verkäufers in der Zulassungsbescheinigung II und in dem Kaufvertrag nicht identisch wiedergegeben. Heißt es in der Zulassungsbescheinigung II "(...)", heißt es im Kaufvertrag "(...)".

Aus der Zulassungsbescheinigung I geht zudem der EE nicht eindeutig als derjenige hervor, auf den das Fahrzeug zugelassen ist, folgt dem Namen doch der Zusatz "Empfangsbevollmächtigter", wobei nicht hinreichend deutlich wird, ob sich dieser Zusatz auf den EE oder den GG bezieht, dessen Name erst in der nachfolgenden Rubrik "Vorname(n)" genannt ist.

Der Beklagte hat zudem auf einen Abgleich der im Kaufvertrag angegebenen Adresse mit dem Personalausweis verzichtet, denn eine Kopie der Rückseite des Personalausweises war ihm nicht vorgelegt worden, so dass ihm eine Überprüfung der Wohnanschrift nicht möglich war.

Der Kaufvertrag ist zudem unvollständig ausgefüllt. Es fehlen Angaben zur Anzahl der übergebenen Schlüssel sowie dazu, ob Service- und Wartungsarbeiten lückenlos durchgeführt wurden und das Serviceheft vorliegt. Gerade bei Luxusfahrzeugen wird aber üblicherweise Wert auf eine lückenlose Dokumentation der durchgeführten Wartungen und Services gelegt. Auch wurden unstreitig die Servicehefte nicht an den Beklagten übergeben. Dass insbesondere Luxusfahrzeuge durch Vertragswerkstätten "scheckheftgepflegt" sind, stellt einen bei Vertragsverhandlungen üblicherweise maßgeblichen Umstand dar.

Dem Beklagten wurde der DEKRA-Prüfbericht vom Tag der Zulassung mit der zutreffenden FIN (Anlage K 13, Anlagenband) vorgelegt, der als Empfänger allerdings weder den Veräußerer noch die Bevollmächtigten, sondern einen dritten Namen (JJ) ausweist.

Bei einer Gesamtbetrachtung der genannten Umstände ergaben sich im Zeitpunkt des Erwerbs für den Beklagten zahlreiche Auffälligkeiten, die darauf hindeuteten, dass es sich um ein illegal nach Deutschland eingeführtes Fahrzeug handelte und der im Kaufvertrag als Veräußerer benannte EE weder der Eigentümer noch zu einer Verfügung über das Fahrzeug befugt war. Diese Verdachtsmomente werden zur Überzeugung des Senats nicht dadurch entkräftet, dass das Fahrzeug im Internet bei mobile.de angeboten wurde, deutsche Zulassungsbescheinigungen I und II und ein DEKRA-Bericht existierten, der Beklagte die Brüder FF bereits aus einem Gebrauchtwagenverkauf seines Bruders kannte, ihm eine Kopie der Vorderseite des Personalausweises des angeblichen Eigentümers vorgelegt und ihm zudem nach eigenen Angaben zwei Schlüssel übergeben worden sind, mit denen er das Fahrzeug jedenfalls mechanisch öffnen konnte.

Es kann dahinstehen, ob dem Beklagten tatsächlich zwei Schlüssel für das Fahrzeug übergeben worden sind und ob und ggf. in welchem Umfang diese funktionsfähig waren. Ebenso kann offenbleiben, ob der Beklagte das Fahrzeug zu einem angemessenen Kaufpreis erworben hat und ob im Gegenzug der für das in Zahlung genommene Fahrzeug in Anrechnung gebrachte Betrag von 60.000,- € angemessen war. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, die von dem Beklagten erbrachte Gegenleistung dem Verkehrswert des streitgegenständlichen Fahrzeugs entsprochen haben sollte und der Beklagte kein durch eine Straftat erlangtes Fahrzeug erwerben wollte, waren die Begleitumstände des Erwerbs in ihrer Gesamtschau insgesamt so auffällig, dass der Beklagte weitere Nachforschungen zur Berechtigung des Veräußerers hätte anstellen müssen. Nur weil der Bruder des Beklagten bereits einmal ein Fahrzeug an die Brüder verkauft hatte, ohne dass es dabei zu Problemen gekommen ist, und die Familie schon mehrfach ohne Komplikationen Fahrzeuge aus dem Ausland erworben hatte, durfte der Beklagte nicht von der Unbedenklichkeit des streitgegenständlichen Kaufs ausgehen. Der Beklagte durfte sich angesichts der höchst ungewöhnlichen Begleitumstände des Erwerbs nicht allein auf einen Abgleich der Fahrgestellnummer mit den Zulassungspapieren und dem DEKRA-Prüfbericht beschränken. Indem er auf eine Überprüfung der Berechtigung des Verkäufers sowie der Bevollmächtigung der als Vermittler auftretenden Brüder verzichtet hat, hat er bewusst die Augen verschlossen und grundlegende Sorgfaltspflichten außer Acht gelassen, die in Anbetracht der auffälligen Gesamtumstände jedem unmittelbar hätten einleuchten müssen.

Eine Beziehung der Strafakten gegen die Brüder FF (Landgericht Darmstadt, Az. 10 KLs – 1300 Js 89440/19) ist nicht veranlasst. Dass der Beklagte seinerseits mit dem streitgegenständlichen Kauf Opfer eines Betruges geworden ist und die Brüder auch andere Käufer auf gleiche Weise betrogen haben, ist unstreitig. Ebenso ist als unstreitig zugrunde zu legen, dass dem Beklagten Original-Zulassungsbescheinigungen des Landkreises Ort7 vorgelegt worden sind. Die den streitgegenständlichen Erwerb betreffenden TKÜ-Protokolle liegen vor. Nachdem der Beklagte nicht dargelegt hat, inwieweit den Strafakten ein weitergehender Erkenntnisgewinn zukommen soll, hat der Senat von einer Beiziehung der Akten abgesehen.

Der Beklagte hat den unmittelbaren Besitz an dem Fahrzeug erlangt. Auch kann sich der Beklagte nicht auf ein von dem Kläger abgeleitetes Besitzrecht berufen.


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