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OLG Köln: Fehlende Dringlichkeit wenn nach einstweiliger Verfügung gegen GmbH erst später gegen alleinigen Geschäftsführer einstweilige Verfügung begehrt wird

OLG Köln
Urteil vom 29.05.2020
6 U 288/19


Das OLG Köln hat entschieden, dass wenn nach einstweiliger Verfügung gegen eine GmbH erst später gegen den alleinigen Geschäftsführer eine einstweilige Verfügung begehrt wird, insoweit die Dringlichkeit fehlt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung ist in der Sache begründet. Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Antragsgegner zu. Es fehlt insoweit an einem Verfügungsgrund. Denn es kann als Zeitpunkt der Kenntnis von Verstoß und Verletzer nicht erst auf den Zeitpunkt der Zustellung des Urteils des Senats in dem Verfahren gegen die GmbH – 31 O 222/16 – am 19.11.2018 und die Testkäufe am 11. und 13.2.2019 abgestellt werden.

1. Die Antragstellerin hätte zu dem Zeitpunkt, als sie von dem Vertrieb der nachgeahmten Produktgestaltung Kenntnis erlangt und gegen die Gesellschaft vorgegangen ist, auch den Antragsgegner persönlich in Anspruch nehmen können und müssen. Sie hatte damals Kenntnis von allen Umständen, die eine unlautere geschäftliche Handlung iSd § 4 Nr. 3 UWG begründeten. Sie hat sich damals entschieden, nur gegen die Gesellschaft vorzugehen und nicht auch gegen den Antragsgegner.

a. Sie behauptet nunmehr, dass sie keine Kenntnis von der internen Organisation der Gesellschaft gehabt habe und damals nicht gewusst habe, inwieweit der Geschäftsführer mitgewirkt und für die Produktgestaltung verantwortlich gewesen sei. Diese Argumentation überzeugt nicht.

b. Dass die Antragstellerin damals nicht auch gegen den Geschäftsführer vorgegangen ist, mag daran gelegen haben, dass sie es seinerzeit nicht für erforderlich gehalten hat oder sich – mangels Kenntnis von der undurchsichtigen Unternehmensgruppenstruktur - keine Gedanken gemacht hat. Dass sie ein Vorgehen überlegt, aber wegen der Unkenntnis von den internen Unternehmensabläufen und insbesondere den Entscheidungskompetenzen und damit wegen der Unkenntnis der Beteiligung des Antragsgegners an der Entscheidung zum Vertrieb einer bestimmten Ausstattung davon abgesehen hat, auch gegen ihn vorzugehen, erscheint wenig plausibel.

aa. Aus dem Rubrum des Parallelverfahrens gegen die Gesellschaft ergibt sich bereits, dass die E GmbH & Co. KG nur einen Geschäftsführer hatte. Damit konnte die Antragstellerin ohne weiteres damals bereits erkennen, dass es keine Zuständigkeitsprobleme innerhalb der Geschäftsführung geben konnte. Sie wusste damals bereits, dass der Antragsgegner Alleingeschäftsführer war und somit alle wichtigen Entscheidungen allein zu treffen hatte.

bb. Außerdem wusste sie, dass es um den Vertrieb einer bestimmten Produktreihe unter einem bestimmten Markenzeichen und in einer bestimmten Ausstattung ging. Über die Aufnahme des Vertriebs einer eigenen Produktpalette und die Produktgestaltung wird typischerweise auf Geschäftsleitungsebene entschieden (s. BGH, Urt. v. 22.1.2015 – I ZR 107/13, GRUR 2015, 909 = WRP 2015, 1090 – Exzenterzähne Rn. 45 mwN). Da es nur einen Geschäftsführer gab, musste die Antragstellerin damals schon davon ausgehen, dass die Entscheidung über den Vertrieb letztlich von dem Antragsgegner herrührte. Der Verweis auf die Möglichkeit der Entscheidung einer Marketingabteilung führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch wenn eine Marketingabteilung das Design einer Ausstattung erarbeitet, ist es üblich, solche Entscheidungen letztlich auf Geschäftsführungsebene zu treffen oder freizugeben. Sollte es in dem Unternehmen des Antragsgegners tatsächlich so sein, dass eine Abteilung solche Maßnahmen alleinverantwortlich trifft, beruht eine solche Organisation letztlich auf einer Entscheidung der Geschäftsführung, für die sie im Ergebnis ebenfalls verantwortlich zeichnet, weil sie die Struktur in dieser Weise eingeführt und „in Gang gesetzt“ hat.

cc. Auf die komplexe Rechtsprechung zur Geschäftsführerhaftung bei einem von mehreren Geschäftsführern, der möglicherweise mit einer bestimmten Maßnahme nicht befasst war und deshalb nicht aus seiner Organstellung heraus verantwortlich ist, kommt es vorliegend nicht an.

c. Wenn danach davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin bereits zu dem Zeitpunkt, als sie gegen die Gesellschaft vorgegangen ist, alle Umstände kannte, die auch eine Verantwortlichkeit des Alleingeschäftsführers begründeten, hat sie durch ihr Vorgehen gezeigt, dass es ihr mit der Durchsetzung ihrer Rechte dem Antragsgegner gegenüber nicht so eilig war und damit die Vermutung des § 12 Abs. 2 UWG selbst widerlegt.

d. Der Umstand, dass nach Verurteilung der Gesellschaft nach wie vor noch Produkte in der verbotenen Aufmachung erworben werden konnten, stellt keine andersartige oder derart intensivere Verletzungshandlung dar, dass dadurch eine neue Dringlichkeitsfrist in Gang gesetzt worden wäre.

2. Da die Antragstellerin zum einen die Möglichkeit hat und bereits in Anspruch genommen hat, gegen die Gesellschaft zu vollstrecken, und ihr weiterhin die Möglichkeit bleibt, gegen den Geschäftsführer im Wege der Hauptsacheklage vorzugehen, ist ihr auch in keiner Weise rechtlicher Schutz verwehrt. Es besteht lediglich kein Bedürfnis für ein Eilverfahren mehr.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Osnabrück: Schadensersatz von 3,25 Mio EURO gegen Hersteller von angeblichem "Wasser-Diesel"

LG Osnabrück
Urteil vom 29.04.2019
18 O 5/17


Das LG Osnabrück hat den Hersteller von angeblichem "Wasser-Diesel" sowie ehemalige und aktuelle Geschäftsführer zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von rund 3,25 Mio EURO verurteilt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Landgericht Osnabrück verurteilt Hersteller von angeblichem „Wasser-Diesel“ zu Schadensersatz

Ein nicht alltägliches Verfahren hat schon vor einigen Monaten das Landgericht Osnabrück abschließen können. Mit Urteil vom 29. April 2019 (Az. 18 O 5/17) verurteilte die 5. Kammer für Handelssachen ein Unternehmen aus Papenburg und zwei ehemalige bzw. aktuelle Geschäftsführer des Unternehmens aus Leer und Papenburg zur Leistung von rund 3,25 Mio. Euro Schadensersatz.

Vorausgegangen war ein mehrjähriges Verfahren. Geklagt hatte ein Unternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, hinter dem chinesische Investoren standen. Diese Investoren waren spätestens Anfang 2013 mit dem beklagten Unternehmen aus Papenburg und seinen beiden Geschäftsführern in Kontakt gekommen. Das beklagte Unternehmen warb zu diesem Zeitpunkt damit, mit einem sogenannten „EGM Bounding System“ gewöhnlichen Diesel durch mechanische und chemische Bearbeitung dergestalt mit Wasser verbinden zu können, dass sich beides untrennbar verbinde. Entstehen sollte dadurch ein Wasser-Diesel-Gemisch, das annähernd den doppelten Energiegehalt wie der ursprüngliche Diesel aufweisen sollte, obgleich nur Wasser hinzugefügt wurde.

Die chinesischen Investoren waren zunächst von dieser Technologie überzeugt. Sie kamen deshalb im weiteren Verlauf des Jahres 2019 mit dem Unternehmen aus Papenburg überein, gemeinsam eine kommerzielle Anlage für die neuartige Technologie in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu bauen. Zu diesem Zweck gründeten sie das Gemeinschaftsunternehmen, das später die Klage erheben sollte. Im Laufe des Jahres 2013 überwiesen die chinesischen Investoren dann auf Rechnung des noch in Gründung befindlichen Gemeinschaftsunternehmens insgesamt rund 3,25 Mio. Euro nach Papenburg. Im Gegenzug wurde ihnen eine Beteiligung an einer angeblich bereits in den Vereinigten Arabischen Emiraten betriebenen Anlage zur Erzeugung des neuartigen Wasser-Diesels eingeräumt. Zudem wurde versprochen, elf weitere Anlagen von Papenburg dorthin zu liefern.

Im April 2014 bestätigte das Papenburger Unternehmen dann, dass die elf Anlagen zur Verschiffung bereitstünden. Kurz darauf, im Mai 2014, kam es jedoch zum Bruch zwischen den Parteien und die Klägerin, das nun gegründete Gemeinschaftsunternehmen, forderte die Rückzahlung der von den chinesischen Investoren vorgestreckten Gelder. Als die geforderte Rückzahlung ausblieb, erhob das Gemeinschaftsunternehmen schließlich im Jahr 2017 vor dem Landgericht Osnabrück Klage gegen das Papenburger Unternehmen und seine beiden Geschäftsführer.

In dem Verfahren machte die Klägerin geltend, die vermeintliche Technologie zur Dieselvermehrung durch Beigabe von Wasser - die nach Angaben der Beklagten von einem russischen Bauingenieur und einem aus Sibirien stammenden Oberarzt entwickelt worden sei - funktioniere nicht. Es habe auch nie einen überprüfbaren Beleg für die Funktionsfähigkeit der Technologie gegeben. Dennoch hätten das Papenburger Unternehmen und seine Geschäftsführer in betrügerischer Absicht mit der Vermarktung der vermeintlichen Wundertechnik begonnen. Sie hätten so über mehrere Jahre, auch schon vor dem Jahr 2013, die chinesischen Investoren und andere Geldgeber umworben. Konkret sei versprochen worden, man könne jederzeit eine Anlage aufbauen, die im kommerziellen Stil aus 1l Wasser und 1l Diesel durch Verbindung beider Komponenten 1,7l eines neuartigen Diesels erzeugen könne. Dieser habe denselben Energiegehalt wie gewöhnlicher Diesel, sodass es rein durch Wasserzugabe und mechanische Bearbeitung zu einer Energiemehrung um 70% komme. All dies sei jedoch gelogen gewesen. Die in die Vereinigten Arabischen Emirate gelieferte Anlage sei überdies mangelhaft und weise laufend Schäden auf. Die Beklagten seien daher verpflichtet, die erhaltenen knapp 3,25 Mio. Euro zurückzuzahlen.

Die Beklagten lehnten eine Zahlung dagegen ab. Sie machten geltend, die Klage sei aus diversen rechtlichen Gründen schon unzulässig. U.a. fehle es an einer Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Konkrete Versprechen zum Wirkungsgrad der neuen Technologie und der Leistungsfähigkeit habe man außerdem nie abgegeben. Tatsache sei aber gleichwohl, dass die Technologie funktionsfähig sei und man mit ihr sehr wohl aus 1l Wasser und 1l Diesel etwa 1,7l bis 1,8l Output-Diesel erzeugen könne. Die Anlage in den Vereinigten Arabischen Emiraten laufe nach ihrer Kenntnis auch störungsfrei.

Das Landgericht Osnabrück sah sich als zuständig an und beauftragte schließlich einen Sachverständigen damit, die Funktionsfähigkeit der angeblichen Dieselvermehrungstechnologie zu prüfen. Als daraufhin das beklagte Papenburger Unternehmen Standorte seiner Anlagen zur Prüfung nennen sollte, machte es zunächst geltend, die entwickelte Anlage sei für Diesel und Wasser in den Vereinigten Arabischen Emiraten optimiert. Sie könne nur getestet werden, wenn man je 200.000l Diesel und Wasser von dort importiere.

Schließlich teilten die Beklagten dann mit, in einem Container seien Komponenten für elf weitere Anlagen gelagert. Diese sollte der Sachverständige nun auf Vorgabe durch das Gericht prüfen. Der Sachverständige konnte im Jahr 2018 letztlich den Container - der zwischenzeitlich durch die Polizei im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gegen die beklagten beschlagnahmt worden war - mithilfe der Polizei öffnen. Darin fand er diverse Metallkomponenten vor. Aus seiner Sicht konnten diese jedoch, auch unter Berücksichtigung der Planungsunterlagen des Papenburger Unternehmens, die zwischenzeitlich von Polizei und Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden waren, keinesfalls zu einer funktionsfähigen Anlage zusammengesetzt werden. Erst recht konnten sie nach seinen Feststellungen nicht Grundlage einer Diesel-Vermehrung sein.

Auf Grundlage dieser Angaben verurteilte das Landgericht Osnabrück das beklagte Papenburger Unternehmen und seine beiden Geschäftsführer wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und Betruges zur Erstattung der erhaltenen 3,25 Mio. Euro. Alle drei hätten immer wieder, auch im Prozess, behauptet, die Wasser-Diesel-Technologie sei grundsätzlich funktionstüchtig und könne eine Energievermehrung von Diesel bewirken. Sie hätten jedoch trotz mehrfacher Aufforderung keinerlei funktionsfähige Anlage oder andere Belege hierfür vorweisen können. Der Sachverständige habe sehr eindeutig dargelegt, dass sich aus den ihm präsentierten Teilen aus dem Container keine funktionsfähige Anlage, gar mit den versprochenen Eigenschaften, zusammensetzen lasse. Dem hätten die Beklagten nichts Substantielles entgegenzusetzen gehabt. Dies lasse keinen anderen Schluss zu, als dass die angebliche Technologie nicht funktioniere und dies den Beklagten von Beginn an bewusst gewesen sei. Ihre gegenteiligen Aussagen seien daher als bewusste Täuschung anzusehen, um Investoren anzulocken.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Berufung ist vor dem Oberlandesgericht Oldenburg unter dem Az. 8 U 120/19 anhängig.



BGH: "Griff in die Kasse" durch Geschäftsführer einer GmbH der zur Insolvenz der GmbH führt kann mittelbare vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der GmbH-Gläubiger sein

BGH
Urteil vom 07.05.2019
VI ZR 512/17
BGB § 826; GmbHG § 43


Der BGH hat entschieden, dass der "Griff in die Kasse" durch den Geschäftsführer einer GmbH, der zur Insolvenz der GmbH führt, eine mittelbare vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Gläubiger der GmbH sein kann.

Leitsätze des BGH:

a) Bei mittelbaren Schädigungen setzt ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB voraus, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (Fortführung Senatsurteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 189/78,
NJW 1979, 1599, 1600, juris Rn. 16 ff.; BGH, Urteil vom 11. November 1985 - II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 236 f., juris Rn. 15).

b) Die Verpflichtung des Geschäftsführers einer GmbH aus § 43 Abs. 1 GmbHG, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt, besteht grundsätzlich nur gegenüber der Gesellschaft, nicht hingegen im Verhältnis zu außenstehenden Dritten (Bestätigung Senatsurteil vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 22 f.; ferner BGH, Urteil vom 18. Juni 2014 - I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 Rn. 23 - Geschäftsführerhaftung).

c) Zur Haftung des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber den Gesellschaftsgläubigern wegen eines zur Insolvenz der Gesellschaft führenden "Griffs in die Kasse".

BGH, Urteil vom 7. Mai 2019 - VI ZR 512/17 - OLG Karlsruhe - LG Konstanz

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: