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BGH: Interne Zuständigkeitsregelungen in der Geschäftsleitung können zur Beschränkung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit eines Organs einer juristischen Person führen


BGH
Urteil vom 09.11.2023
III ZR 105/22
Haftung eines Organs für unerlaubte Bankgeschäfte
KWG § 32 Abs. 1, § 54; StGB § 14 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 276, § 823


Der BGH hat entschieden, dass interne Zuständigkeitsregelungen in der Geschäftsleitung zur Beschränkung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit eines Organs einer juristischen Person führen können.

Leitsätze des BGH:
a) Wer entgegen § 32 Abs. 1 KWG ohne entsprechende Erlaubnis Bankgeschäfte erbringt, macht sich bei fahrlässigem oder vorsätzlichem Handeln gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1, Abs. 2 KWG strafbar. Wirken die Geschäfte berechtigend und verpflichtend für eine juristische Person, trifft die strafrechtliche Verantwortlichkeit gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB denjenigen, der in organschaftlicher Stellung für die juristische Person tätig ist (Bestätigung von BGH, Urteile vom 15. Mai 2012 - VI ZR 166/11, NJW 2012, 3177 Rn. 19 und vom 12. Dezember 2019 - IX ZR 77/19, NJW-RR 2020, 292 Rn. 35).

b) Die objektive Organstellung allein ist nicht hinreichend, um eine Haftung zu begründen. Es bedarf zusätzlich des Verschuldens, § 276 BGB, das gesondert festgestellt werden muss.

c) Interne Zuständigkeitsregelungen in der Geschäftsleitung einer juristischen Person können zwar nicht zu einer Aufhebung, wohl aber zu einer Beschränkung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Es bestehen jedoch in jedem Fall gewisse Überwachungspflichten, die das danach unzuständige Organ zum Eingreifen veranlassen müssen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch das zuständige
Organ nicht mehr gewährleistet ist (Fortführung von BGH, Urteil vom 15. Oktober 1996 - VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 377 f).

BGH, Urteil vom 9. November 2023 - III ZR 105/22 - OLG Schleswig - LG Kiel

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Düsseldorf: Vorstand und Geschäftsführer einer juristischen Person haften nicht persönlich für Kartellgeldbußen des Unternehmens

OLG Düsseldorf
Urteil vom 27.07.2023
VI-6 U 1/22 (Kart)


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass Vorstand und Geschäftsführer einer juristischen Person nicht persönlich für Kartellgeldbußen des Unternehmens haften.

Die Pressemitteilung des OLG Düsseldorf:
Vorstand und Geschäftsführer haften nicht persönlich für Kartell-Geldbußen eines Unternehmens

Der 6. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat heute entschieden, dass Vorstand und Geschäftsführer nicht persönlich für Geldbußen eines Unternehmens haften.

Die Klägerinnen hatten den Beklagten wegen seiner Beteiligung an einem Edelstahlkartell auf Schadensersatz verklagt. Der Beklagte war Geschäftsführer der klagenden GmbH und Vorstandsvorsitzender der klagenden AG, zweier miteinander verbundener Edelstahlunternehmen gewesen. In diesen Funktionen hatte der Beklagte in der Zeit von Juli 2002 bis Ende 2015 – insbesondere seit 2012 auch als Vorstandsvorsitzender eines maßgeblichen Branchenverbandes – regelmäßig an dem Austausch wettbewerblich sensibler Informationen teilgenommen. Das Bundeskartellamt hatte in dem anschließenden Bußgeldverfahren gegen zehn Edelstahlunternehmen, zwei Branchenverbände und siebzehn verantwortliche Personen – darunter den Beklagten – Geldbußen in Höhe von insgesamt rund 355 Mio. Euro verhängt. Gegen die GmbH hatte das Bundeskartellamt ein Bußgeld in Höhe von 4,1 Mio. Euro und gegen den Beklagten persönlich ein weiteres Bußgeld festgesetzt. Gegen die AG wurde im Hinblick auf das Bußgeld gegen die GmbH kein Bußgeld festgesetzt.

Die klagende GmbH fordert von dem Beklagten Schadenersatz in Höhe des gegen das Unternehmen festgesetzten Bußgeldes. Die klagende AG verlangt Erstattung der Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten in Höhe von mehr als einer Mio. Euro. Darüber hinaus begehren beide Klägerinnen die Feststellung, dass der Beklagte für alle aus dem Kartell resultierenden Zukunftsschäden hafte.

Mit Urteil vom 10.12.2021 hatte das Landgericht Düsseldorf (Az.: 37 O 66/20 (Kart)) die Klage hinsichtlich des Unternehmens-Bußgeldes sowie der geltend gemachten Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten abgewiesen. Im Übrigen hatte das Landgericht festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet sei, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Zukunftsschäden zu leisten, die aus dem Wettbewerbsverstoß resultierten.

Der 6. Kartellsenat unter Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Prof. Dr. Ulrich Egger hat das landgerichtliche Urteil bestätigt. Der Senat geht davon aus, dass der Beklagte vorsätzlich an dem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch mitgewirkt habe. Der Beklagte habe sich auch nicht in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. So habe er sich etwa auf den Sitzungen des Edelstahl-Vereinigung e.V. mit anderen Wettbewerbern über wettbewerblich sensible Informationen wie die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen ausgetauscht. Vor diesem Hintergrund sei es fernliegend, dass ihm die Kartellrechtswidrigkeit nicht bewusst gewesen sein soll.

Das Landgericht habe zutreffend entschieden, dass hinsichtlich des gegen die GmbH festgesetzten Bußgeldes kein Regress gegen den Beklagten in Betracht komme. Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers und des Vorstandes, hier des Beklagten, für Kartellbußen eines Unternehmens scheide aus. Andernfalls werde die kartellrechtliche Wertung unterlaufen, wonach – wie vorliegend – getrennte Bußgelder gegen die handelnde Person und das Unternehmen selbst festgesetzt werden. Die kartellrechtlichen Vorschriften sähen jeweils getrennte Bußgeldnormen für die handelnden Personen und das beteiligte Unternehmen, auch der Höhe nach, vor. Durch den Rückgriff auf den Geschäftsführer bestehe darüber hinaus die Gefahr, dass der Sanktionszweck eines Unternehmensbußgeldes gefährdet werde. So könnten Unternehmen sich durch den Rückgriff auf Geschäftsführer und Vorstände faktisch ihrer kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung entziehen. Dies gelte erst recht, wenn Vorstand und Geschäftsführer über eine sog. "D&O-Versicherung" haftpflichtversichert seien und die Deckungssumme weit höher sei als das gegen das Unternehmen verhängte Bußgeld.

Da die Aufklärungs- und Verteidigerkosten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren gegen das Unternehmen vor dem Bundeskartellamt stünden, könnten diese Kosten ebenfalls nicht erstattet verlangt werden.

Es bleibe mithin eine Haftung des Geschäftsführers und Vorstandes für zivilrechtliche Ansprüche Dritter, die aufgrund des Kartells geschädigt worden seien. Die vom Beklagten geltend gemachte Verjährung greife nicht. Die mehreren Treffen bildeten im Rahmen einer einheitlichen Grundabsprache eine Bewertungseinheit, so dass die Verjährung der Ansprüche gegen das Leitungsorgan nicht nach jedem Treffen gesondert, sondern erst mit dem letzten Treffen beginne.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Bislang ist keine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser in der Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Frage der persönlichen Haftung von Vorstand und Geschäftsführern für Geldbußen eines Unternehmens ergangen.

Aktenzeichen: VI-6 U 1/22 (Kart).



BAG: Geschäftsführer einer GmbH muss Arbeitnehmern keinen Schadensersatz wegen unterbliebener Zahlung des Mindestlohns leisten

BAG
Urteil vom 30.03.2023
8 AZR 120/22


Das BAG hat entschieden, dass der Geschäftsführer einer GmbH Arbeitnehmern keinen Schadensersatz wegen unterbliebener Zahlung des Mindestlohns leisten muss.

Leitsatz des BAG:
Geschäftsführer einer GmbH haften gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der GmbH nicht deshalb auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB, weil sie im Einzelfall nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG für Verstöße der GmbH gegen ihre Verpflichtung aus § 20 MiLoG, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zu zahlen, bußgeldrechtlich verantwortlich sind. Der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG stellt – ungeachtet des § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG – kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der GmbH in ihrem Verhältnis zu dem/den Geschäftsführer/n der Gesellschaft dar.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Beklagten haften nämlich als Geschäftsführer der Schuldnerin dem Kläger nicht persönlich für die unterbliebene Zahlung des Mindestlohns.

1. Nach der gesetzlichen Wertung ist die Haftung von Geschäftsführern einer GmbH grundsätzlich auf das Verhältnis zur Gesellschaft begrenzt (§ 43 Abs. 2 GmbHG). Außenstehenden Dritten haften Geschäftsführer grundsätzlich nicht persönlich. Vielmehr ist die Außenhaftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach § 13 Abs. 2 GmbHG auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Zwar umfasst die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, die nach § 43 Abs. 1 GmbHG den Geschäftsführern einer GmbH aufgrund ihrer Organstellung obliegt, auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (sog. Legalitätspflicht). Diese Pflicht besteht aber grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber und nicht auch im Verhältnis zu außenstehenden Dritten. § 43 Abs. 1 GmbHG regelt allein die Pflichten des Geschäftsführers aus seinem durch die Bestellung begründeten Rechtsverhältnis zur Gesellschaft. Diese Pflichten dienen nicht dem Zweck, Gläubiger der Gesellschaft vor den Folgen einer sorgfaltswidrigen Geschäftsführung zu schützen. Aus der Regelung in § 43 Abs. 2 GmbHG wird deutlich, dass eine Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nur Schadensersatzansprüche der Gesellschaft, nicht hingegen der Gläubiger der Gesellschaft entstehen lässt (st. Rspr., vgl. BAG 23. Februar 2016 – 9 AZR 293/15 – Rn. 19, BAGE 154, 162; BGH 10. Juli 2012 – VI ZR 341/10 – Rn. 22 f. mwN, BGHZ 194, 26).

2. Ein Geschäftsführer einer GmbH haftet deshalb nur dann persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, wenn ein besonderer Haftungsgrund gegeben ist (st. Rspr., zB BAG 23. Februar 2016 – 9 AZR 293/15 – Rn. 14, BAGE 154, 162; 23. Februar 2010 – 9 AZR 44/09 – Rn. 22, BAGE 133, 213; 24. November 2005 – 8 AZR 1/05 – Rn. 20).

3. Ein besonderer Haftungsgrund liegt indes nicht vor. Die Beklagten sind dem Kläger nicht nach den – hier als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden – Bestimmungen in § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zum Schadensersatz verpflichtet. Der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG stellt – ungeachtet der sich aus § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG im Einzelfall ergebenden bußgeldrechtlichen Verantwortung der Geschäftsführer einer GmbH für Verstöße gegen die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns – kein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Gesellschaft, hier des Klägers, in ihrem Verhältnis zu den Geschäftsführern der Gesellschaft, hier den Beklagten, iSv. § 823 Abs. 2 BGB dar.

a) Die Beklagten in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer der Schuldnerin sind allerdings taugliche Täter einer Ordnungswidrigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG, auch wenn sich die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns aus § 20 MiLoG nicht an sie richtet.

aa) Nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 20 MiLoG das dort genannte Arbeitsentgelt nicht oder nicht rechtzeitig zahlt. Nach § 20 MiLoG sind Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland verpflichtet, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 MiLoG spätestens zu dem in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG genannten Zeitpunkt zu zahlen. Danach konnte der Bußgeldtatbestand nur durch die Schuldnerin als Arbeitgeberin, nicht aber durch die Beklagten verwirklicht werden.

bb) Handelt jedoch jemand – wie hier die Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin – als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, so ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale) die Möglichkeit der Ahndung begründen, auch auf den Vertreter anzuwenden, wenn diese Merkmale nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vorliegen. Da es sich bei der Arbeitgeberstellung iSd. § 20 MiLoG um ein besonderes persönliches Merkmal iSv. § 9 Abs. 1 OWiG handelt (vgl. Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 21 Rn. 30; HK-MiLoG/Ramming 2. Aufl. § 21 Rn. 30; HK-ArbR/Fechner 5. Aufl. MiLoG § 21 Rn. 4), wird im Anwendungsbereich von § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG die Bußgeldbewehrung der unterlassenen oder verspäteten Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns auf die handelnden Geschäftsführer einer GmbH erstreckt.

b) Es kann offenbleiben, ob Voraussetzung für die Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG die Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers, hier der Schuldnerin, im Zeitpunkt der Fälligkeit des Mindestlohnanspruchs ist und – sofern dies bejaht würde, wofür viel spricht (vgl. BGH 25. September 2006 – II ZR 108/05 – Rn. 8; HK-MiLoG/Ramming 2. Aufl. § 21 Rn. 18, 37; Kudlich in Thüsing MiLoG und AEntG 2. Aufl. § 21 MiLoG Rn. 15 unter Verweis auf § 23 AEntG Rn. 28; HK-ArbR/Fechner 5. Aufl. § 21 MiLoG Rn. 3) – ob die Schuldnerin zum maßgeblichen Zeitpunkt zahlungsfähig war. Ebenso kann dahinstehen, ob der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG auch die Nichtzahlung der Vergütung in Höhe des Mindestlohns für Zeiten ohne Arbeitsleistung erfasst (zum Meinungsstand vgl.: HK-MiLoG/Schubert 2. Aufl. § 20 Rn. 11 ff.; Vogelsang/Wensing NZA 2016, 141, 142 ff.). Die Beklagten sind dem Kläger bereits deshalb nicht nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zum Schadensersatz verpflichtet, weil § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG kein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der Schuldnerin im Verhältnis zu den Beklagten ist.

aa) Als Schutzgesetze iSd. § 823 Abs. 2 BGB kommen solche gesetzlichen Gebote oder Verbote in Betracht, durch die das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und bestimmt sind. Eine Rechtsnorm kann nur dann ein Schutzgesetz sein, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise vor einer Verletzung eines bestimmten Rechtsguts oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des Gesetzes an, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Insoweit reicht es aus, dass die Gewährung von Individualschutz wenigstens eines der vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Anliegen ist, selbst wenn auf die Allgemeinheit gerichtete Schutzzwecke ganz im Vordergrund stehen (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 206/06 – Rn. 40; 18. August 2005 – 8 AZR 542/04 – zu II 2 c aa der Gründe; 6. November 2002 – 5 AZR 487/01 – zu II 4 a der Gründe; 25. April 2001 – 5 AZR 368/99 – zu B II 1 b aa der Gründe mwN, BAGE 97, 350; ebenso BGH 14. Juni 2022 – VI ZR 110/21 – Rn. 9; 23. Juli 2019 – VI ZR 307/18 – Rn. 12; 13. März 2018 – VI ZR 143/17 – Rn. 27 mwN, BGHZ 218, 96).

Voraussetzung für die Annahme eines Schutzgesetzes ist zudem, dass die Schaffung eines individuellen deliktischen Anspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint, um auszuschließen, dass die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine allgemeine Haftung für Vermögensschäden unterlaufen wird. Dabei muss in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (vgl. BAG 18. August 2005 – 8 AZR 542/04 – zu II 2 c aa der Gründe; 6. November 2002 – 5 AZR 487/01 – zu II 4 a der Gründe; 25. April 2001 – 5 AZR 368/99 – zu B II 1 b aa der Gründe, BAGE 97, 350; BGH 14. Juni 2022 – VI ZR 110/21 – Rn. 10; 23. Juli 2019 – VI ZR 307/18 – Rn. 13; 22. Juni 2010 – VI ZR 212/09 – Rn. 26 mwN, BGHZ 186, 58).

bb) In Anwendung dieser Grundsätze stellen § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG kein Schutzgesetz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der Schuldnerin im Verhältnis zu den Beklagten dar.

(1) Zwar sind aus § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG das geschützte Interesse, die Art der Verletzung und der Kreis der geschützten Personen klar und deutlich ersichtlich. Denn es werden erkennbar die im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davor geschützt, dass ihnen entgegen § 20 MiLoG das dort genannte Arbeitsentgelt, dh. ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 MiLoG, nicht spätestens zu dem in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG bestimmten Zeitpunkt gezahlt wird.

(2) § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG bezweckt überdies zumindest auch den Schutz individueller Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.

(a) Mit dem Mindestlohngesetz verfolgt der Gesetzgeber sowohl Individual- als auch Gemeinwohlinteressen. Durch die Normierung eines angemessenen Verhältnisses von Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt sollen die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) für alle im Inland tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleistet und damit zugleich die sozialen Sicherungssysteme entlastet werden (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 28; BAG 25. Mai 2022 – 6 AZR 497/21 – Rn. 43; 24. Juni 2021 – 5 AZR 505/20 – Rn. 24, BAGE 175, 192; 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16 – Rn. 29 f., BAGE 155, 202; ausführlich Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. Einführung Rn. 67 ff., Rn. 73 ff.).

(b) Vor diesem Hintergrund soll die Bußgeldandrohung in § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG den Arbeitgeber dazu anhalten, seiner Verpflichtung zur rechtzeitigen Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns tatsächlich nachzukommen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs hat der Gesetzgeber es ausdrücklich nicht für ausreichend erachtet, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allein auf die zivilrechtliche Durchsetzung ihrer Mindestlohnansprüche zu verweisen. Andernfalls würde, da insbesondere im Bereich der einfachen und gering bezahlten Tätigkeiten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre individualrechtlichen Ansprüche oftmals praktisch nicht durchsetzen, das Ziel des Gesetzes, Mindestarbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer effektiv zu gewährleisten und durchzusetzen, nicht erreicht (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 2).

(3) Es bedarf keiner Entscheidung, ob § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG überhaupt ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB ist. Jedenfalls handelt es sich bei § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG – ungeachtet der durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG bewirkten Erweiterung der bußgeldrechtlichen Verantwortung auf die Geschäftsführer einer GmbH – nicht um ein Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der GmbH in ihrem Verhältnis zu deren Geschäftsführern.

(a) Wie unter Rn. 12 ausgeführt, haftet eine GmbH als Arbeitgeberin aufgrund der gesetzlichen Haftungsbeschränkung des § 13 Abs. 2 GmbHG für durch Verstöße gegen gesetzliche Ver- und Gebote entstehende Schäden ausschließlich mit ihrem Gesellschaftsvermögen. Eine Haftung der Geschäftsführer sieht das Gesetz nicht vor. Dieses gesellschaftsrechtlich normierte Haftungssystem kann zwar durch den Gesetzgeber erweitert werden. Eine solche Erweiterung ist bezüglich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Geschäftsführer einer GmbH für Verstöße gegen Straftatbestände durch § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB und für die Begehung von Ordnungswidrigkeiten durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG erfolgt. Auch kann in einer solchen Erweiterung durch eine bußgeldrechtliche Haftung zugleich die Begründung einer Ausnahme von der gesellschaftsrechtlichen Haftungssystematik des GmbHG durch den Gesetzgeber liegen (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 206/06 – Rn. 41). Voraussetzung für eine solche Ausnahme ist allerdings, dass die eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB begründende Schutznorm hinreichend deutlich erkennen lässt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Geschäftsführer der Gesellschaft – über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehend – persönlich haften sollen.

(b) Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf die in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG getroffenen Bestimmungen nicht erfüllt.

Die Annahme, den Regelungen in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 OWiG komme der Charakter eines Schutzgesetzes iSd. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer GmbH im Verhältnis zu den Geschäftsführern der GmbH zu, würde dazu führen, dass dieser Personenkreis von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Gesellschaft selbst bei nur (leicht) fahrlässiger Verwirklichung des Bußgeldtatbestands nach § 823 Abs. 2 BGB auf Schadensersatz in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns in Anspruch genommen werden könnte. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer Vielzahl von Fällen im Hinblick auf die Zahlung des Mindestlohns über die GmbH als ihren Vertragsarbeitgeber hinaus mit dem Geschäftsführer bzw. den Geschäftsführern einen weiteren bzw. weitere Schuldner hätten. Hierdurch würde das Haftungssystem des GmbHG, in dem es eine allgemeine Durchgriffshaftung auf die Geschäftsführer der Gesellschaft nicht gibt, für den Bereich der Vergütungspflicht des Arbeitgebers – jedenfalls in Höhe des Mindestlohns – vielfach konterkariert. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei der Vergütungspflicht um die Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers handelt, bedarf es für die Annahme, die Bestimmungen in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 OWiG seien Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer GmbH im Verhältnis zu den Geschäftsführern der GmbH, konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber – letztlich abweichend von der Haftungssystematik des GmbHG – eine über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehende Schadensersatzverpflichtung der für die GmbH handelnden Organe bzw. Vertreter schaffen wollte (vgl. BGH 13. April 1994 – II ZR 16/93 – zu II 2 b der Gründe, BGHZ 125, 366).

Für einen solchen Willen des Gesetzgebers ist indes nichts ersichtlich. Dieser hat die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns durch einen unmittelbaren – nach § 3 MiLoG unabdingbaren – Leistungsanspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber nach § 1 Abs. 1 iVm. § 20 MiLoG abgesichert. Zudem soll – wie unter Rn. 25 ausgeführt – ausweislich der Gesetzesbegründung mit der Bußgeldandrohung in § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG verhindert werden, dass die rechtzeitige Zahlung des Mindestlohns, die sowohl der Existenzsicherung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen als auch der Entlastung der sozialen Sicherungssysteme dient, daran scheitert, dass die Beschäftigten diesen Leistungsanspruch nicht selbst gegen den Arbeitgeber durchsetzen. Demgegenüber lassen sich den Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber zur effektiven Durchsetzung des Mindestlohnanspruchs (auch) eine – über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehende – zivilrechtliche Haftung der für den Arbeitgeber handelnden Organe bzw. Vertreter auch nur erwogen hätte.

(4) Eine andere Bewertung ist – entgegen der Rechtsansicht des Klägers – auch nicht deshalb geboten, weil es sich bei § 266a Abs. 2 und Abs. 3 StGB anerkanntermaßen um Schutzgesetze zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (vgl. BAG 18. August 2005 – 8 AZR 542/04 – zu II 2 c aa der Gründe) handelt, wobei diese Bestimmungen ihrerseits iVm. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB eine Haftung der Geschäftsführer einer GmbH nach § 823 Abs. 2 BGB gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der GmbH begründen können (zur Haftung gegenüber dem Sozialversicherungsträger nach § 266a Abs. 1 StGB: vgl. zB BGH 11. Juni 2013 – II ZR 389/12 – Rn. 13; 2. Dezember 2010 – IX ZR 247/09 – Rn. 19, BGHZ 187, 337; 15. Oktober 1996 – VI ZR 319/95 – zu II der Gründe, BGHZ 133, 370). § 266a Abs. 2 und Abs. 3 StGB sind deshalb als Schutzgesetze iSv. § 823 Abs. 2 BGB anerkannt, weil sie dem Schutzinteresse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der treuhänderischen Verwaltung von Teilen ihres Arbeitseinkommens dienen (vgl. BAG 18. August 2005 – 8 AZR 542/04 – aaO). Demgegenüber fehlt es im Hinblick auf die Zahlung der Vergütung – auch in Höhe des Mindestlohns – an einer vergleichbaren treuhänderischen Bindung des Arbeitgebers. Insoweit ist vielmehr anerkannt, dass dem Arbeitgeber grundsätzlich keine allgemeine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich der Lohnzahlungen und sonstiger Leistungen im Austauschverhältnis zukommt (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 206/06 – Rn. 37).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG Köln: Fehlende Dringlichkeit wenn nach einstweiliger Verfügung gegen GmbH erst später gegen alleinigen Geschäftsführer einstweilige Verfügung begehrt wird

OLG Köln
Urteil vom 29.05.2020
6 U 288/19


Das OLG Köln hat entschieden, dass wenn nach einstweiliger Verfügung gegen eine GmbH erst später gegen den alleinigen Geschäftsführer eine einstweilige Verfügung begehrt wird, insoweit die Dringlichkeit fehlt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung ist in der Sache begründet. Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Antragsgegner zu. Es fehlt insoweit an einem Verfügungsgrund. Denn es kann als Zeitpunkt der Kenntnis von Verstoß und Verletzer nicht erst auf den Zeitpunkt der Zustellung des Urteils des Senats in dem Verfahren gegen die GmbH – 31 O 222/16 – am 19.11.2018 und die Testkäufe am 11. und 13.2.2019 abgestellt werden.

1. Die Antragstellerin hätte zu dem Zeitpunkt, als sie von dem Vertrieb der nachgeahmten Produktgestaltung Kenntnis erlangt und gegen die Gesellschaft vorgegangen ist, auch den Antragsgegner persönlich in Anspruch nehmen können und müssen. Sie hatte damals Kenntnis von allen Umständen, die eine unlautere geschäftliche Handlung iSd § 4 Nr. 3 UWG begründeten. Sie hat sich damals entschieden, nur gegen die Gesellschaft vorzugehen und nicht auch gegen den Antragsgegner.

a. Sie behauptet nunmehr, dass sie keine Kenntnis von der internen Organisation der Gesellschaft gehabt habe und damals nicht gewusst habe, inwieweit der Geschäftsführer mitgewirkt und für die Produktgestaltung verantwortlich gewesen sei. Diese Argumentation überzeugt nicht.

b. Dass die Antragstellerin damals nicht auch gegen den Geschäftsführer vorgegangen ist, mag daran gelegen haben, dass sie es seinerzeit nicht für erforderlich gehalten hat oder sich – mangels Kenntnis von der undurchsichtigen Unternehmensgruppenstruktur - keine Gedanken gemacht hat. Dass sie ein Vorgehen überlegt, aber wegen der Unkenntnis von den internen Unternehmensabläufen und insbesondere den Entscheidungskompetenzen und damit wegen der Unkenntnis der Beteiligung des Antragsgegners an der Entscheidung zum Vertrieb einer bestimmten Ausstattung davon abgesehen hat, auch gegen ihn vorzugehen, erscheint wenig plausibel.

aa. Aus dem Rubrum des Parallelverfahrens gegen die Gesellschaft ergibt sich bereits, dass die E GmbH & Co. KG nur einen Geschäftsführer hatte. Damit konnte die Antragstellerin ohne weiteres damals bereits erkennen, dass es keine Zuständigkeitsprobleme innerhalb der Geschäftsführung geben konnte. Sie wusste damals bereits, dass der Antragsgegner Alleingeschäftsführer war und somit alle wichtigen Entscheidungen allein zu treffen hatte.

bb. Außerdem wusste sie, dass es um den Vertrieb einer bestimmten Produktreihe unter einem bestimmten Markenzeichen und in einer bestimmten Ausstattung ging. Über die Aufnahme des Vertriebs einer eigenen Produktpalette und die Produktgestaltung wird typischerweise auf Geschäftsleitungsebene entschieden (s. BGH, Urt. v. 22.1.2015 – I ZR 107/13, GRUR 2015, 909 = WRP 2015, 1090 – Exzenterzähne Rn. 45 mwN). Da es nur einen Geschäftsführer gab, musste die Antragstellerin damals schon davon ausgehen, dass die Entscheidung über den Vertrieb letztlich von dem Antragsgegner herrührte. Der Verweis auf die Möglichkeit der Entscheidung einer Marketingabteilung führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch wenn eine Marketingabteilung das Design einer Ausstattung erarbeitet, ist es üblich, solche Entscheidungen letztlich auf Geschäftsführungsebene zu treffen oder freizugeben. Sollte es in dem Unternehmen des Antragsgegners tatsächlich so sein, dass eine Abteilung solche Maßnahmen alleinverantwortlich trifft, beruht eine solche Organisation letztlich auf einer Entscheidung der Geschäftsführung, für die sie im Ergebnis ebenfalls verantwortlich zeichnet, weil sie die Struktur in dieser Weise eingeführt und „in Gang gesetzt“ hat.

cc. Auf die komplexe Rechtsprechung zur Geschäftsführerhaftung bei einem von mehreren Geschäftsführern, der möglicherweise mit einer bestimmten Maßnahme nicht befasst war und deshalb nicht aus seiner Organstellung heraus verantwortlich ist, kommt es vorliegend nicht an.

c. Wenn danach davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin bereits zu dem Zeitpunkt, als sie gegen die Gesellschaft vorgegangen ist, alle Umstände kannte, die auch eine Verantwortlichkeit des Alleingeschäftsführers begründeten, hat sie durch ihr Vorgehen gezeigt, dass es ihr mit der Durchsetzung ihrer Rechte dem Antragsgegner gegenüber nicht so eilig war und damit die Vermutung des § 12 Abs. 2 UWG selbst widerlegt.

d. Der Umstand, dass nach Verurteilung der Gesellschaft nach wie vor noch Produkte in der verbotenen Aufmachung erworben werden konnten, stellt keine andersartige oder derart intensivere Verletzungshandlung dar, dass dadurch eine neue Dringlichkeitsfrist in Gang gesetzt worden wäre.

2. Da die Antragstellerin zum einen die Möglichkeit hat und bereits in Anspruch genommen hat, gegen die Gesellschaft zu vollstrecken, und ihr weiterhin die Möglichkeit bleibt, gegen den Geschäftsführer im Wege der Hauptsacheklage vorzugehen, ist ihr auch in keiner Weise rechtlicher Schutz verwehrt. Es besteht lediglich kein Bedürfnis für ein Eilverfahren mehr.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Osnabrück: Schadensersatz von 3,25 Mio EURO gegen Hersteller von angeblichem "Wasser-Diesel"

LG Osnabrück
Urteil vom 29.04.2019
18 O 5/17


Das LG Osnabrück hat den Hersteller von angeblichem "Wasser-Diesel" sowie ehemalige und aktuelle Geschäftsführer zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von rund 3,25 Mio EURO verurteilt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Landgericht Osnabrück verurteilt Hersteller von angeblichem „Wasser-Diesel“ zu Schadensersatz

Ein nicht alltägliches Verfahren hat schon vor einigen Monaten das Landgericht Osnabrück abschließen können. Mit Urteil vom 29. April 2019 (Az. 18 O 5/17) verurteilte die 5. Kammer für Handelssachen ein Unternehmen aus Papenburg und zwei ehemalige bzw. aktuelle Geschäftsführer des Unternehmens aus Leer und Papenburg zur Leistung von rund 3,25 Mio. Euro Schadensersatz.

Vorausgegangen war ein mehrjähriges Verfahren. Geklagt hatte ein Unternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, hinter dem chinesische Investoren standen. Diese Investoren waren spätestens Anfang 2013 mit dem beklagten Unternehmen aus Papenburg und seinen beiden Geschäftsführern in Kontakt gekommen. Das beklagte Unternehmen warb zu diesem Zeitpunkt damit, mit einem sogenannten „EGM Bounding System“ gewöhnlichen Diesel durch mechanische und chemische Bearbeitung dergestalt mit Wasser verbinden zu können, dass sich beides untrennbar verbinde. Entstehen sollte dadurch ein Wasser-Diesel-Gemisch, das annähernd den doppelten Energiegehalt wie der ursprüngliche Diesel aufweisen sollte, obgleich nur Wasser hinzugefügt wurde.

Die chinesischen Investoren waren zunächst von dieser Technologie überzeugt. Sie kamen deshalb im weiteren Verlauf des Jahres 2019 mit dem Unternehmen aus Papenburg überein, gemeinsam eine kommerzielle Anlage für die neuartige Technologie in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu bauen. Zu diesem Zweck gründeten sie das Gemeinschaftsunternehmen, das später die Klage erheben sollte. Im Laufe des Jahres 2013 überwiesen die chinesischen Investoren dann auf Rechnung des noch in Gründung befindlichen Gemeinschaftsunternehmens insgesamt rund 3,25 Mio. Euro nach Papenburg. Im Gegenzug wurde ihnen eine Beteiligung an einer angeblich bereits in den Vereinigten Arabischen Emiraten betriebenen Anlage zur Erzeugung des neuartigen Wasser-Diesels eingeräumt. Zudem wurde versprochen, elf weitere Anlagen von Papenburg dorthin zu liefern.

Im April 2014 bestätigte das Papenburger Unternehmen dann, dass die elf Anlagen zur Verschiffung bereitstünden. Kurz darauf, im Mai 2014, kam es jedoch zum Bruch zwischen den Parteien und die Klägerin, das nun gegründete Gemeinschaftsunternehmen, forderte die Rückzahlung der von den chinesischen Investoren vorgestreckten Gelder. Als die geforderte Rückzahlung ausblieb, erhob das Gemeinschaftsunternehmen schließlich im Jahr 2017 vor dem Landgericht Osnabrück Klage gegen das Papenburger Unternehmen und seine beiden Geschäftsführer.

In dem Verfahren machte die Klägerin geltend, die vermeintliche Technologie zur Dieselvermehrung durch Beigabe von Wasser - die nach Angaben der Beklagten von einem russischen Bauingenieur und einem aus Sibirien stammenden Oberarzt entwickelt worden sei - funktioniere nicht. Es habe auch nie einen überprüfbaren Beleg für die Funktionsfähigkeit der Technologie gegeben. Dennoch hätten das Papenburger Unternehmen und seine Geschäftsführer in betrügerischer Absicht mit der Vermarktung der vermeintlichen Wundertechnik begonnen. Sie hätten so über mehrere Jahre, auch schon vor dem Jahr 2013, die chinesischen Investoren und andere Geldgeber umworben. Konkret sei versprochen worden, man könne jederzeit eine Anlage aufbauen, die im kommerziellen Stil aus 1l Wasser und 1l Diesel durch Verbindung beider Komponenten 1,7l eines neuartigen Diesels erzeugen könne. Dieser habe denselben Energiegehalt wie gewöhnlicher Diesel, sodass es rein durch Wasserzugabe und mechanische Bearbeitung zu einer Energiemehrung um 70% komme. All dies sei jedoch gelogen gewesen. Die in die Vereinigten Arabischen Emirate gelieferte Anlage sei überdies mangelhaft und weise laufend Schäden auf. Die Beklagten seien daher verpflichtet, die erhaltenen knapp 3,25 Mio. Euro zurückzuzahlen.

Die Beklagten lehnten eine Zahlung dagegen ab. Sie machten geltend, die Klage sei aus diversen rechtlichen Gründen schon unzulässig. U.a. fehle es an einer Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Konkrete Versprechen zum Wirkungsgrad der neuen Technologie und der Leistungsfähigkeit habe man außerdem nie abgegeben. Tatsache sei aber gleichwohl, dass die Technologie funktionsfähig sei und man mit ihr sehr wohl aus 1l Wasser und 1l Diesel etwa 1,7l bis 1,8l Output-Diesel erzeugen könne. Die Anlage in den Vereinigten Arabischen Emiraten laufe nach ihrer Kenntnis auch störungsfrei.

Das Landgericht Osnabrück sah sich als zuständig an und beauftragte schließlich einen Sachverständigen damit, die Funktionsfähigkeit der angeblichen Dieselvermehrungstechnologie zu prüfen. Als daraufhin das beklagte Papenburger Unternehmen Standorte seiner Anlagen zur Prüfung nennen sollte, machte es zunächst geltend, die entwickelte Anlage sei für Diesel und Wasser in den Vereinigten Arabischen Emiraten optimiert. Sie könne nur getestet werden, wenn man je 200.000l Diesel und Wasser von dort importiere.

Schließlich teilten die Beklagten dann mit, in einem Container seien Komponenten für elf weitere Anlagen gelagert. Diese sollte der Sachverständige nun auf Vorgabe durch das Gericht prüfen. Der Sachverständige konnte im Jahr 2018 letztlich den Container - der zwischenzeitlich durch die Polizei im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gegen die beklagten beschlagnahmt worden war - mithilfe der Polizei öffnen. Darin fand er diverse Metallkomponenten vor. Aus seiner Sicht konnten diese jedoch, auch unter Berücksichtigung der Planungsunterlagen des Papenburger Unternehmens, die zwischenzeitlich von Polizei und Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden waren, keinesfalls zu einer funktionsfähigen Anlage zusammengesetzt werden. Erst recht konnten sie nach seinen Feststellungen nicht Grundlage einer Diesel-Vermehrung sein.

Auf Grundlage dieser Angaben verurteilte das Landgericht Osnabrück das beklagte Papenburger Unternehmen und seine beiden Geschäftsführer wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und Betruges zur Erstattung der erhaltenen 3,25 Mio. Euro. Alle drei hätten immer wieder, auch im Prozess, behauptet, die Wasser-Diesel-Technologie sei grundsätzlich funktionstüchtig und könne eine Energievermehrung von Diesel bewirken. Sie hätten jedoch trotz mehrfacher Aufforderung keinerlei funktionsfähige Anlage oder andere Belege hierfür vorweisen können. Der Sachverständige habe sehr eindeutig dargelegt, dass sich aus den ihm präsentierten Teilen aus dem Container keine funktionsfähige Anlage, gar mit den versprochenen Eigenschaften, zusammensetzen lasse. Dem hätten die Beklagten nichts Substantielles entgegenzusetzen gehabt. Dies lasse keinen anderen Schluss zu, als dass die angebliche Technologie nicht funktioniere und dies den Beklagten von Beginn an bewusst gewesen sei. Ihre gegenteiligen Aussagen seien daher als bewusste Täuschung anzusehen, um Investoren anzulocken.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Berufung ist vor dem Oberlandesgericht Oldenburg unter dem Az. 8 U 120/19 anhängig.



BGH: "Griff in die Kasse" durch Geschäftsführer einer GmbH der zur Insolvenz der GmbH führt kann mittelbare vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der GmbH-Gläubiger sein

BGH
Urteil vom 07.05.2019
VI ZR 512/17
BGB § 826; GmbHG § 43


Der BGH hat entschieden, dass der "Griff in die Kasse" durch den Geschäftsführer einer GmbH, der zur Insolvenz der GmbH führt, eine mittelbare vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Gläubiger der GmbH sein kann.

Leitsätze des BGH:

a) Bei mittelbaren Schädigungen setzt ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB voraus, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (Fortführung Senatsurteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 189/78,
NJW 1979, 1599, 1600, juris Rn. 16 ff.; BGH, Urteil vom 11. November 1985 - II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 236 f., juris Rn. 15).

b) Die Verpflichtung des Geschäftsführers einer GmbH aus § 43 Abs. 1 GmbHG, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt, besteht grundsätzlich nur gegenüber der Gesellschaft, nicht hingegen im Verhältnis zu außenstehenden Dritten (Bestätigung Senatsurteil vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 22 f.; ferner BGH, Urteil vom 18. Juni 2014 - I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 Rn. 23 - Geschäftsführerhaftung).

c) Zur Haftung des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber den Gesellschaftsgläubigern wegen eines zur Insolvenz der Gesellschaft führenden "Griffs in die Kasse".

BGH, Urteil vom 7. Mai 2019 - VI ZR 512/17 - OLG Karlsruhe - LG Konstanz

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: