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OLG Stuttgart: Herausgabe von auf Server gespeicherten Daten eines Dritten und Verpflichtung zur Verschwiegenheit keine Onlinedurchsuchung nach § 100b StPO und unzulässig

OLG Stuttgart
Beschluss vom 19.05.2021
2 Ws 75/21


Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass die Aufforderung zur Herausgabe von auf Server gespeicherten Daten eines Dritten und Verpflichtung zur Verschwiegenheit keine Onlinedurchsuchung nach § 100b StPO. Eine derartige Emittlungsmaßnahme gegen einen IT-Dienstleister ist mangels Befugnisnorm unzulässig.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die von der Staatsanwaltschaft Mannheim beantragte Ermittlungsmaßnahme entspricht nicht einer in § 100b StPO normierten Onlinedurchsuchung, sondern stellt sich im Hinblick auf den mitbetroffenen IT-Servicedienstleister als Maßnahme sui generis dar, die der Gesetzgeber (bislang) nicht vorgesehen hat. Insbesondere besteht keine Rechtsgrundlage dafür, den IT-Servicebetreiber zu einer Mitwirkung (1.) an einer gegenüber dem Beschuldigten heimlichen Ausforschung des IT-Systems und zum Stillschweigen (2.) darüber zu verpflichten.

1. § 100b StPO regelt den verdeckten Zugriff der Ermittlungsbehörden auf ein vom Beschuldigten genutztes informationstechnisches System mit technischen Mitteln und sieht keine heimlich auszuübende Mitwirkungsverpflichtung eines Dritten vor.

Bereits vor Normerlass war nach der Rechtsprechung des BGH die Beschlagnahme und Auswertung eines Computers und dessen vollständigen Datenbestandes nach §§ 94 ff., 102 ff. StPO mit den entsprechenden Herausgabepflichten aus § 95 StPO möglich; eine verdeckte Online-Durchsuchung war demgegenüber wegen der damit aufgrund der Heimlichkeit der Maßnahme gesteigerten Eingriffsintensität und mangels gesetzlicher Grundlage nicht zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 31.01.2007 - StB 18/06). Mit Einführung der Onlinedurchsuchung gemäß § 100b StPO wollte der Gesetzgeber die diesbezüglich erkannte Regelunglücke schließen und den Ermittlungsbehörden verdeckte Durchsuchungsmaßnahmen unter bestimmten, einschränkenden Voraussetzungen mit technischen Mitteln ermöglichen, wie sich der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 18/12785) entnehmen lässt. Die Gesetzesmotive (aaO, Seite 54) verdeutlichen, dass der Gesetzgeber eine Online-Durchsuchung im Sinne eines verdeckten, d.h. heimlichen, staatlichen Zugriffs auf ein fremdes informationstechnisches System mit dem Ziel, dessen Nutzung zu überwachen und gespeicherte Inhalte auszuleiten, verstanden wissen wollte. Da er nach der damaligen Rechtslage eine „offene“ Durchsuchung und Beschlagnahme der auf informationstechnischen Geräten gespeicherten Daten nach den §§ 94 ff., 102 ff. StPO jedoch bereits als grundsätzlich legitimiert ansah, stellte er mit der Schaffung des § 100b StPO einerseits die Heimlichkeit der Maßnahme in den Mittelpunkt und wollte zur Wahrung derselben den Einsatz technischer Instrumentarien erlauben. Er wollte staatlichen Ermittlungsbehörden ermöglichen, das IT-System eines Beschuldigten ohne dessen Wissen zu infiltrieren. Zwar lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen, wie hiernach zum Einsatz kommende technische Mittel ausgestaltet sein sollten; die Gesetzesbegründung geht jedoch erkennbar davon aus, dass solche Mittel angewendet werden müssen, um die heimliche Datenerhebung zu erreichen. Deutlich wird in den Gesetzesmaterialien auch, dass die Informationsbeschaffung im Rahmen des § 100b StPO deutlich weiter reichen sollte, als dies bis dahin auf Grundlage einer - ausschließlich Kommunikationsinhalte umfassenden - Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO möglich war; nicht nur neu hinzukommende Kommunikationsinhalte, sondern alle auf einem informationstechnischen System gespeicherten Inhalte sowie das gesamte Nutzungsverhalten einer Person sollten überwacht werden können.

Vor diesem Hintergrund setzt sich die Gesetzesbegründung auch intensiv mit der Frage auseinander, dass die Ausforschung und Untersuchung aller Daten und Aktivitäten eines IT-Systems über die reinen Kommunikationsinhalte hinaus den von Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich besonders geschützten Kernbereich der privaten Lebensführung betreffen kann. Dementsprechend hat der Gesetzgeber sich hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen und der verfahrensrechtlichen Sicherungen des § 100b StPO an den Regelungen zur akustischen Wohnraumüberwachung orientiert. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollte von der Online-Durchsuchung den verfassungsrechtlichen Vorgaben folgend restriktiv Gebrauch gemacht werden, was auch durch die Subsidiaritätsklausel in § 100b Abs. 1 Nr. 3 StPO zum Ausdruck kommt.

Diesem gesetzgeberischen Willen und den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechend ist bei der Anwendung und Auslegung der Norm nach Ansicht des Senats Zurückhaltung geboten. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Typisierung der einzelnen Ermittlungsmaßnahmen und der ihnen jeweils innewohnende Charakter muss im Blick behalten werden: Im Ausgangspunkt erfährt daher eine Onlinedurchsuchung gemäß § 100b StPO im Gegensatz zur Durchsuchung und Beschlagnahme nach §§ 94 ff., 102 ff. StPO ihre spezifische Prägung durch die Heimlichkeit der Maßnahme. Daher sind in § 100b StPO anders als bei der Telefonüberwachung nach § 100a StPO, der Bestandsdatenauskunft nach § 100j StPO oder der Erhebung von Nutzungsdaten bei Telemediendiensten gem. § 100k StPO gerade keine Mitwirkungspflichten von Providern vorgesehen. Das Fehlen einer vergleichbaren Ermächtigungsnorm im Bereich des § 100b StPO zeigt, dass der Fall einer offenen Maßnahme gegenüber dem Diensteanbieter gerade nicht geregelt ist.

Die Anordnung einer Onlinedurchsuchung durch das Gericht erlaubt den Ermittlungsbehörden, ein bestimmtes IT-System des Beschuldigten oder eines Dritten, dessen IT-System der Beschuldigte nutzt, zu infiltrieren, um Daten aus diesem System zu erheben. Die Ausführung der Maßnahme obliegt zwar der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen. Dabei ist es nach allgemeinen Grundsätzen grundsätzlich auch denkbar, dass die Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ eine gerichtlich angeordnete Ermittlungsmaßnahme nicht oder nur teilweise ausführen lässt, etwa, wenn der Vollzug der angeordneten Maßnahme aufgrund von aktuellen Entwicklungen nicht (mehr) zweckmäßig erscheint. Auch ist es zulässig, eine gerichtlich angeordnete Maßnahme nur teilweise auszuführen, wenn sich eine in der Anordnung vorgesehene Zwangsmaßnahme durch die freiwillige Mitwirkung der betroffenen Person erübrigt.

Für nicht zulässig hält es der Senat allerdings, im Wege eines Erst-Recht-Schlusses - wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerde argumentiert - die Verpflichtung eines Dritten zur Mitwirkung als vermeintlich milderes Mittel gegenüber einer technischen Infiltration auf Grundlage von § 100b StPO anzuordnen; hierin ist kein Minus, sondern vielmehr ein Aliud zu sehen. Die Vorschrift des § 100b StPO behandelt nämlich nur das Verhältnis von staatlichen Ermittlungsbehörden gegenüber Beschuldigten und nicht auch gegenüber Dritten. Hätte der Gesetzgeber über das in § 100b Abs. 3 S. 2 StPO bereits vorgesehene Maß hinaus in Rechte Dritter eingreifen und sie etwa zur Mitwirkung verpflichten wollen, hätte dies bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen einer ausdrücklichen Regelung bedurft.

Denn eine offene, den Diensteanbieter verpflichtende Maßnahme nach § 100b StPO würde neben dem Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme und dem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis auch einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Diensteanbieters darstellen, der nach Art. 12 Abs.1 S.2 GG einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedürfte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. August 2015 – StB 7/15 –, juris zu § 100a und 100b Abs. 3 S.1 a.F.). Insoweit stellt auch § 95 StPO mit der dort normierten Herausgabepflicht keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar, da dieser allein die Herausgabe von (beschlagnahmefähigen) Gegenständen betrifft, worunter zwar grds. die vorliegend zu erhebenden (Bestands-) Daten fallen, nicht aber die auch dem § 100b StPO unterfallende laufende Kommunikation nebst Überwachung des Nutzungsverhaltens.

Eine gegenüber dem Diensteanbieter - und nicht einem Beschuldigten - als Eingriffsadressaten nach § 100b Abs. 3 S. 2 StPO offene Maßnahme nach § 100b StPO käme darüber hinaus vor dem Hintergrund der Subsidiaritätsklausel des § 100b Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht in Betracht. Insoweit stellt die im vorliegenden Fall zur Erhebung von Bestandsdaten ausreichende analoge Durchsuchung und Beschlagnahme nach §§ 102 ff., 94 ff. StPO den geringeren Eingriff bei gleichem Erfolg der Maßnahme (einmalige Erhebung der zum Zeitpunkt der Durchsuchung vorhandenen Daten) dar.

2. Darüber hinaus ergibt sich aus § 100b i.V.m. § 101 Abs. 4 S. 3 u. 4 StPO, genauso wenig wie (bislang) aus den §§ 94 ff. StPO, eine Ermächtigung, den betroffenen Diensteanbieter zur Verschwiegenheit gegenüber seinem Kunden, dem Beschuldigten, zu verpflichten. Die durch § 101 Abs. 4 S. 3 u. 4 StPO ermöglichte Zurückstellung der Benachrichtigung des Betroffenen stellt lediglich eine Ausnahme von der ansonsten nach § 35 StPO spätestens mit Beginn einer Maßnahme durch die staatlichen Organe vorzunehmende Benachrichtigung dar; keinesfalls kann hierüber ein Dritter - noch dazu in Bezug auf seine Berufsausübung - zum Stillschweigen verpflichtet werden. Eine Stillschweigeverpflichtung ergibt sich für (deutsche) Diensteanbieter allein aus § 113 Abs. 6 S. 2 TKG (bzw. § 17 G 10), der aber seinerseits keine Ermächtigungsnorm für die Strafverfolgungsbehörden darstellt und dessen Reichweite sich überdies auf den Anwendungsbereich des TKG beschränkt, das auf den vorliegend in Rede stehenden Anbieter von Cloud-Diensten keine Anwendung findet.

3. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift zu bedenken gibt, dass der Einsatz qualifizierter technischer Mittel (Überwachungssoftware) im Rahmen der sog. Quellen-TKÜ auf praktische Probleme stoße und die Ermittlungsbehörden darauf angewiesen seien, auf andere Art Zugriff auf Kommunikationsplattformen oder Cloud-Dienste zu nehmen, bedarf es vorliegend keiner Entscheidung darüber, ob die Ausnutzung solcher Zugangsdaten sich als Einsatz technischer Mittel im Sinne des § 100b StPO darstellt. Da sich weder aus dem Gesetz noch aus den Gesetzesmaterialien konkrete Festlegungen zur Ausgestaltung der technischen Mittel entnehmen lassen, erscheint es nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass andere Eingriffe - etwa durch Verwendung eines heimlich erlangten Zugangspassworts -, die sich aus Sicht eines Systembetreibers jedenfalls als systemfremder Zugriff von außen darstellen dürften, unter § 100b StPO bzw. § 100a Abs. 1 Satz 2 StPO fallen können. In diesem Fall würden sich, solange die Maßnahme durch die Ermittlungsbehörden selbst vorgenommen wird, die in der vorliegend zu entscheidenden Konstellation maßgeblichen Probleme der mangelnden Heimlichkeit sowie der Mitwirkungspflicht eines Dritten nicht stellen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Frankfurt: Störerhaftung des Host-Providers für rechtswidrige Äußerungen in gehosteten Inhalte - Anhörung per E-Mail kann Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit genügen

LG Frankfurt
Beschluss vom 23.12.2020
2-03 O 418/20


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass ein Host-Provider als Störer für rechtswidrige Äußerungen in gehosteten Inhalten haften kann, wenn er trotz Inkenntnissetzung untätig bleibt. Das Gericht hat ferner entschieden, dass eine Anhörung per E-Mail dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren genügen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:

"a. Auf die vorliegende Veröffentlichung ist deutsches Recht anwendbar (vgl. BGH NJW 2013, 2348; BGH NJW 2012, 2197 Rn. 31; BGH GRUR 2020, 435 Rn. 17 ff. – Yelp).

b. Die angegriffene Äußerung greift unzulässig in das Persönlichkeitsrecht des Antragtellers ein.

Die Antragsgegnerin verbreitet vorliegend ein Gerücht. Die Quelle dieses Gerüchts, die A, hat eingeräumt, dass es keine tatsächliche Grundlage für das Gerücht gibt und hat – wie der Antragsgegnerin im Rahmen der Anhörung mitgeteilt worden ist – eine entsprechende Unterlassungserklärung abgegeben. Dass der Antragsteller angeblich etwas mit den in der Berichterstattung genannten Clans zu tun hat, stellt für die vorliegende Verbreitung des Gerüchts (vgl. dazu OLG Köln, Urt. v. 28.06.2018 – 15 U 150/17, BeckRS 2018, 16334 Rn. 21; Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl. 2019, § 16 Rn. 60 f. m.w.N.; BeckOGK/Specht-Riemenschneider, Stand 01.08.2020, § 823 Rn. 1487), der Antragsteller habe den Anlass für die abgebildeten Schlägereien gegeben, keine hinreichende Grundlage dar.

c. Die Antragsgegnerin haftet insoweit als Störerin.

Mittelbarer Störer ist zunächst einmal derjenige, der in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat. Dabei genügt als Mitwirkung in diesem Sinn auch die Unterstützung oder die Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte (BGH NJW 2016, 56 Rn. 34).

Mittelbarer Störer kann auch der Betreiber eines Internetportals oder ein Host-Provider sein, wenn er später positive Kenntnis von einer Rechtsgutsverletzung durch einen von einem Dritten eingestellten Inhalt erlangt (BGH NJW 2007, 2558). Zwar trifft den Betreiber keine Verpflichtung, die bei ihm eingestellten Inhalte auf eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten Betroffener zu überprüfen (BGH NJW 2012, 2345 – RSS-Feeds; BGH NJW 2012, 148). Wird ihm die Rechtsverletzung jedoch bekannt, so ist er ex nunc zur Unterlassung verpflichtet. In dem Unterlassen, einen als unzulässig erkannten Beitrag zu entfernen, liegt nämlich eine Perpetuierung der Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Der Betreiber eines Internetforums ist „Herr des Angebots“ und verfügt deshalb vorrangig über den rechtlichen und tatsächlichen Zugriff. Auch wenn von ihm keine Prüfpflichten verletzt werden, so ist er doch nach allgemeinem Zivilrecht zur Beseitigung und damit zur Unterlassung künftiger Rechtsverletzungen verpflichtet (BGH NJW 2007, 2558 Rn. 9; BGH NJW 2016, 2106 Rn. 23 – Ärztebewertungsportal III).

Wird eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten behauptet, wird sich eine Rechtsverletzung durch den Betreiber allerdings nicht stets ohne weiteres feststellen lassen. Denn sie erfordert eine Abwägung zwischen dem Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und dem durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK geschützten Recht jedenfalls des Providers auf Meinungs- und Medienfreiheit. Ist der Provider jedoch mit der Beanstandung eines Betroffenen konfrontiert, die so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer bejaht werden kann, kann eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sachverhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den beanstandeten Beitrag Verantwortlichen erforderlich sein (OLG Frankfurt a.M. NJW 2018, 795 Rn. 36; LG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.9.2018 – 2/03 O 123/17, BeckRS 2018, 37426 Rn. 50; LG Hamburg MMR 2018, 407). Dies gilt auch dann, wenn die Zulässigkeit einer Meinungsäußerung im Streit steht (BGH NJW 2018, 2324 Rn. 32 (Suchmaschine); LG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.09.2018 – 2-03 O 123/17, BeckRS 2018, 37426 Rn. 50; vgl. auch BGH GRUR 2016, 855, Rn. 23 f. m.w.N - jameda.de II; OLG Frankfurt a.M. NJW 2018, 795 Rn. 33 f. in Bezug auf Schmähkritik).

Welcher Überprüfungsaufwand vom Host-Provider im Einzelfall zu verlangen ist, ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung, bei der die betroffenen Grundrechte der Beteiligten zu berücksichtigen sind, zu ermitteln (BGH NJW 2016, 2106 Rn. 38 – Ärztebewertungsportal III; LG Hamburg MMR 2018, 407 Rn. 46 m.w.N.). Mindestens ist in der Regel jedenfalls eine Stellungnahme des einstellenden Dritten zu der Rüge des Betroffenen einzuholen. Eine Verpflichtung zur Löschung des beanstandeten Eintrags entsteht, wenn auf der Grundlage der Stellungnahme des für den Beitrag Verantwortlichen und einer etwaigen Replik des Betroffenen unter Berücksichtigung etwa zu verlangender Nachweise von einer rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts auszugehen ist (BGH NJW 2012, 148 Rn. 27). Ein Anspruch auf Unterlassung/Löschung besteht aber auch dann, wenn keine Stellungnahme des Dritten eingeholt wird, der Host-Provider also seinen Prüfpflichten nicht nachkommt (OLG Frankfurt a.M. NJW 2018, 795 Rn. 36; LG Frankfurt a.M., Urt. v. 13.09.2018 – 2-03 O 123/17, BeckRS 2018, 37426 Rn. 50).

In Anwendung dieser Grundsätze hat die Antragsgegnerin auf die Abmahnung des Antragstellers hin ihren Pflichten nicht genügt. Der Hinweis des Antragstellers war insoweit hinreichend konkret, um Pflichten der Antragsgegnerin auszulösen. Der Antragsteller hat in seiner Abmahnung unter Angabe der konkreten URL und der konkreten in dem Video enthaltenen Äußerung erläutert, dass die Äußerung unwahr ist und auch im Übrigen unzulässig in sein Persönlichkeitsrecht eingreife. Damit konnte und musste die Antragsgegnerin auf Grundlage des Vortrags des Antragstellers prüfen, ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt. Dem ist die Antragsgegnerin offensichtlich nicht in hinreichendem Umfang nachgekommen. Sie hat nämlich trotz Hinweises und Abmahnung lediglich erwidert, dass keine „Beleidigung“ vorliege. Die Antragsgegnerin hat dadurch zu erkennen gegeben, dass sie das Vorbringen des Antragstellers nicht bzw. nicht in hinreichendem Umfang zur Kenntnis genommen geprüft hat. Der Antragsteller hat nämlich nicht das Vorliegen einer Beleidigung gerügt, sondern vielmehr die Behauptung unwahrer Tatsachen bzw. eines unwahren Gerüchts sowie den Verstoß gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung. Auf dieser Grundlage konnte sich die Antragsgegnerin nicht darauf beschränken, eine „Beleidigung“ zu prüfen, selbst wenn man den englischen Begriff der „defamation“ weiter ziehen würde.

d. Darauf, dass die Antragsgegnerin das Video auf die gerichtliche Anhörung hin für den Zugang über das deutsche Angebot gesperrt hat, kam es hiernach nicht mehr an, da die Antragsgegnerin bereits ab der Abmahnung und ihrer nicht hinreichenden Reaktion als Störerin auf Unterlassung haftete. Insoweit kann offenbleiben, ob die Antragsgegnerin durch die von ihr vorgenommene Maßnahme ihren Pflichten genügt hätte, wobei letztlich auch unklar bleibt, was mit dem von der Antragsgegnerin angeführten Vortrag, sie habe das Video auf die gerichtliche Anhörung hin „für das auf Deutschland ausgerichtete Länderangebot ihres Dienstes ... vorsorglich gesperrt“ konkret ausgedrückt werden soll. So bleibt unklar, ob das Video aus Deutschland überhaupt nicht mehr abgerufen werden konnte oder nicht (vgl. insoweit auch EuGH GRUR 2019, 1317 – Google/CNIL).

e. Die Kammer hat erwogen, den Tenor nach § 938 ZPO auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu beschränken. Angesicht der neueren Rechtsprechung des EuGH zur Reichweite nationaler Anordnungen auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen (vgl. EuGH GRUR 2019, 1317 – Google/CNIL; EuGH NJW 2019, 3287 – Glawischnig-Piesczek/Facebook) erachtet die Kammer eine solche Beschränkung derzeit nicht als geboten. Insoweit ist die angegriffene Persönlichkeitsrechtsverletzung (unzutreffender Vorwurf der zumindest mittelbaren Verwicklung in Clan-Kriminalität und schwerste Körperverletzungen) auch als hinreichend schwerwiegend anzusehen.

f. Soweit die Antragsgegnerin rügt, dass das Herkunftslandprinzip nach § 3 Abs. 2 TMG einer Inanspruchnahme der Antragsgegnerin entgegenstehe, folgt die Kammer dem jedenfalls für das vorliegende Eilverfahren nicht. Der Kammer ist aus anderen Verfahren vor der Kammer bekannt, dass nach dem hier maßgeblichen irischen Recht das entscheidende Merkmal bei der Prüfung der Frage, ob eine „Diffamierung“ vorliegt, der Wahrheitsgehalt der entsprechenden Behauptung ist. Im Common Law wird der diffamierende Charakter einer Veröffentlichung daran gemessen, ob die Aussage den Ruf des von der Äußerung Betroffenen beeinträchtigt hat, wobei als Maßstab die Ansicht der „vernünftigen“ Mitglieder der Gesellschaft zugrunde zu legen ist (vgl. OLG München, Urt. v. 13.11.2018 – 18 U 1282/16, BeckRS 2018, 29212 Rn. 75 ff.).

Im Rahmen dieser im Eilverfahren hier nach § 293 ZPO zu Grunde zu legenden Grundsätze (vgl. zuletzt OLG Frankfurt a.M. GRUR 2020, 493 Rn. 38 ff. – MBST-Sytem, wonach im Rahmen des Eilverfahrens im Rahmen einer Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist, wenn das ausländische Recht nicht in einer mit dem Eilverfahren zu vereinbarende Weise ermittelt werden kann) liegt ein Verstoß gegen das Herkunftslandprinzip nach § 3 Abs. 2 TMG nicht vor, da die angegriffene Äußerung auch nach irischem Recht unzulässig in das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers eingreift. Insoweit hat der Antragsteller auch hinreichend nach dem Maßstab der §§ 294, 286 ZPO glaubhaft gemacht, dass die angegriffene Äußerung unwahr ist. Die Kammer hat diesbezüglich insbesondere berücksichtigt, dass die A eine Unterlassungserklärung abgegeben und damit eingeräumt hat, dass es für die Äußerung keine tatsächliche Grundlage gibt.

g. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist gegeben.

h. Die Entscheidung über die Androhung eines Ordnungsmittels beruht auf § 890 ZPO.

2. Auch der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nötige Verfügungsgrund liegt vor.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.

4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 3 ZPO, 53 Abs. 1 GKG.

5. Die Kammer hat die Antragsgegnerin angehört, da Deckungsgleichheit zwischen Antragsschrift und Abmahnung nicht vorlag. Hierbei hat sie der Antragsgegnerin zunächst per E-Mail (vgl. zur Form der Anhörung BVerfG NJW 2018, 3634) aufgegeben, eine Adresse zu benennen, an die die Antragsschrift z.B. per Fax oder per beA übermittelt werden kann und sodann die Antragsgegnerin zur Stellungnahme aufgefordert.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Düsseldorf: Werbung mit unternehmenseigenem Server und eigenem Rechenzentrum durch Provider irreführend, wenn diese von einer Tochtergesellschaft betrieben werden

OLG Düsseldorf
Urteil vom 03.06.2014
I-20 U 66/13


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung vorliegt, wenn ein Provider / Hoster mit unternehmenseigenem Server und eigenem Rechenzentrum wirbt, diese aber tatsächlich von einer Tochtergesellschaft betrieben werden.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung der Werbung mit den Aussagen "unternehmenseigene Server" und "Rechenzentrum der X. I. GmbH" aus § 8 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 3, 5 Abs. 1 UWG.

Gemäß § 5 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt. Irreführend ist eine geschäftliche Handlung jedenfalls dann, wenn sie unwahre Angaben enthält. Ob eine Werbeaussage unwahre Angaben enthält, richtet sich nach dem Verständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers (BGH, GRUR 2004, 244, 245 - Marktführerschaft). Dessen Erwartungen kann der Senat vorliegend selbst beurteilen. Daran ändert der Umstand, dass seine Mitglieder nicht zu den potentiellen Kunden der Beklagten gehören, nichts. Die Werbeadressaten verfügen in ihrer Mehrzahl über keine fachspezifischen Kenntnisse. Die Aussage ist nicht anders zu beurteilen als eine, die sich an Allgemeinheit richtet (vgl. BGH, GRUR 2002, 550, 552 - Elternbriefe). Zur Feststellung der Verkehrsauffassung ist der Tatrichter als Teil dieser Allgemeinheit regelmäßig ohne weiteres in der Lage (BGH, a. a. O.).

Die Aussagen "unternehmenseigene Server" und "Rechenzentrum der X. I. GmbH" werden dahingehend verstanden, das Rechenzentrum werde von der Beklagten selbst unterhalten. Die Beklagte ist jedoch unstreitig nicht die Betreiberin des Rechenzentrums. Ob das von ihr genutzte Rechenzentrum von der X. O. mit Sitz in B. unterhalten wird und ob diese eine 90-prozentige Tochtergesellschaft der Beklagten ist, ist unerheblich. Für die angesprochenen Verkehrskreise ist entscheidend, dass ihre Daten den unmittelbaren Zugriffsbereich ihres potentiellen Vertragspartners nicht verlassen. Mit der Auslagerung zu einer, noch dazu im Ausland ansässigen Tochtergesellschaft, die ihnen gegenüber gerade nicht vertraglich verpflichtet ist, rechnen sie nicht. Zudem besteht bei einer Tochtergesellschaft immer die Gefahr, dass diese verkauft wird oder in Insolvenz fällt und damit nicht mehr der Kontrolle der Vertragspartnerin untersteht, ohne dass der Kunde dies mitbekommt."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: