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BGH: Bebilderte identifizierende Verdachtsberichterstattung über Wirecard-Prozess rechtlich zulässig

BGH
Urteil vom 27.05.2025
VI ZR 337/22
GG Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 2; BGB § 823, § 1004 Abs. 1 Satz 2; KUG § 22 Satz 1, § 23; DSGVO Art. 85 Abs. 2


Der BGH hat entschieden, dass eine bebilderte identifizierende Verdachtsberichterstattung über den Wirecard-Prozess rechtlich zulässig ist.

Leitsatz des BGH:
Zur Zulässigkeit einer identifizierenden Bildberichterstattung über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren (hier: zulässige Bebilderung einer Verdachtsberichterstattung im Rahmen des sogenannten Wirecard-Skandals).

BGH, Urteil vom 27. Mai 2025 - VI ZR 337/22 - OLG München - LG München I

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Dresden: Journalistische Sorgfaltsanforderungen können auch für private Blogbetreiber gelten - Unzulässige identifizierende Verdachtsberichterstattung

OLG Dresden
Hinweisbeschluss vom 14.04.2025
4 U 1466/24


Das OLG Dresden hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass journalistische Sorgfaltsanforderungen auch für private Blogbetreiber gelten können. Vorliegend ging es um eine unzulässige identifizierende Verdachtsberichterstattung

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Beklagten bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die begehrte Unterlassung bejaht, denn der beanstandete Textbeitrag des Beklagten verletzt den Kläger nach Abwägung aller beiderseitigen Interessen rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe greifen nicht durch.

Bei den Äußerungen des Beklagten handelt es sich zumindest teilweise um Tatsachenbehauptungen (1.). Für diese gelten die Grundsätze der identifizierenden Verdachtsberichterstattung (2.). Der Beklagte kann sich hierbei nicht auf das Laienprivileg berufen (a.). Den journalistischen Sorgfaltsanforderungen im Rahmen der identifizierenden Verdachtsberichterstattung ist der Beklagte nicht gerecht geworden (b.). Der Beitrag verletzt den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, was der Kläger nach Abwägung aller widerstreitenden Interessen nicht hinnehmen muss (3.).

1. Der Beitrag des Beklagten enthält teilweise substanzarme Meinungsäußerungen, teilweise aber auch die Äußerung von Verdachtstatsachen.

Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Die Äußerung darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.2016 - 1 BvR 1018/15, juris Rn. 21; BGH, Urteil vom 04.04.2017 - VI ZR 123/16, juris Rn. 30, jeweils m.w.N.).

Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden sind und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinungsäußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern die Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 – 1 BvR 1555/88, juris Rn. 46).

Der maßgebliche Rezipient entnimmt dem streitgegenständlichen Artikel in Bezug auf den Kläger im Gesamtkontext zunächst die Aussage, der Kläger sei möglicherweise in leitender Position in einem Unternehmen in der Schweiz tätig, das unter anderem ("auch") digitale Investments an Anleger verkauft.

Hierbei handelt es sich weder in der Einzelschau noch bei Berücksichtigung des gesamten Kontextes um eine Tatsachenbehauptung, weil der Begriff "nicht unbedeutende Position" zwar den Schluss nahelegt, der Kläger sei bei einem Schweizer Unternehmen in leitender Position tätig gewesen, tatsächlich aber derart unbestimmt ist, dass er einer Beweisaufnahme nicht zugänglich wäre. Auf welcher Hierarchieebene und mit welcher Einflussmöglichkeit der Kläger in dem Unternehmen tätig war und um welches Unternehmen es sich überhaupt handelt, bleibt völlig offen. Aus dem Zusammenhang des Berichts vom 18.9.2023 (Anlage AS 4, 1. Instanz) drängt sich lediglich die Schlussfolgerung auf, dass es sich hierbei jedenfalls nicht um die T... AG selbst handelt, denn der Bericht legt nur nahe, dass der Kläger sich "in deren engem Umfeld" bewegt.

Der Bericht enthält aber weiter die Behauptung, der Kläger sei in der nicht näher bezeichneten Position möglicherweise selbst als Verkäufer tätig geworden und habe Anlegern Investments verkauft, bei denen die Kunden ihr Geld verloren hätten. Er enthält weiter die Behauptung, der Kläger habe auch daran mitgewirkt ("im näheren Umfeld"), dass Anleger bei der T... investiert hätten. Der Begriff "abgewickelt" legt dem Leser im Zusammenhang mit der Information "Anleger verloren dabei über 40 Millionen Euro" unabweislich den Schluss nahe, die Firma sei wegen erfolgloser Investments in Insolvenz gegangen, und der Kläger persönlich habe als Verkäufer den Anlegern wertlose Anlagen verkauft und zusätzlich darauf hingewirkt ("im näheren Umfeld der T..."), dass die Kunden bei der T... investieren. Jeder dieser Teilaspekte wäre durch eine Beweisaufnahme überprüfbar. Die einschränkenden Zusätze in Bezug auf den Kläger ("möglicherweise", "im Umfeld... sehen", "unserer Sicht nach") ändern an der Einordnung als Tatsachenbehauptung nichts (vgl. Wenzel; Handbuch der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 4, Rz. 55). Ebenso verhält es sich mit den weiteren im Test enthaltenen Formulierungen "sehen wir", "möglicherweise" und "aus unserer Sicht".

2. Für diese Tatsachenbehauptungen gelten die Grundsätze der identifizierenden Verdachtsberichterstattung.

Danach darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 16.11.2021 - VI ZR 1241/20, juris Rz. 18).

a) Für den Beklagten gelten hierbei keine geringeren Sorgfaltsanforderungen als für die Medien allgemein. Das sogenannte Laienprivileg findet vorliegend keine Anwendung. Hiernach dürfen sich im Grundsatz Privatpersonen auf Berichte Dritter ungeprüft berufen, sofern diese unwidersprochen geblieben sind (vgl. BVerfG, B. v. 23.2.2000 - 1 BvR 456/95, B. v. 9.10.1991 - 1 BvR 1555/88, jeweils nach juris). Journalisten hingegen, die ohne eigene Recherche Meldungen aus anderen Medien übernehmen, genügen ihrer Sorgfaltspflicht nicht (OLG Köln, U. v. 16.3.2017 - 15 U 134/16, juris). Wie dem Senat aus zahlreichen Verfahren bekannt ist, betreibt der Beklagte seit vielen Jahren die Internetseite www.DieBewertung.de, für die er zu den dort behandelten Themen eigene Recherchen anstellt, Presseanfragen stellt und in den Artikeln auch ausdrücklich auf seine journalistische Tätigkeit verweist. So ist er auch für den vorliegenden Artikel vorgegangen, der gerade nicht auf eine Berichterstattung Dritter Bezug nimmt, sondern die dortigen Inhalte als Ergebnisse eigener Recherchen präsentiert. Auch weist ihn das Impressum seiner Seite als "Chefredakteur" und als Mitglied des DJV, also des journalistischen Verbands Deutschland aus (Anl. AS 2, I. Instanz). Der Mitarbeiterstab des Bewertungsportals wird dort als "Redaktion" bezeichnet. Hier erwartet der Leser eine journalistische Arbeitsweise und einen an journalistischen Qualitätsanforderungen zu messenden Informationsgehalt, wodurch der Beklagte den Eindruck erweckt, sich an diesen Standards messen zu lassen.

b) Den journalistischen Sorgfaltsanforderungen im Rahmen der identifizierenden Verdachtsberichterstattung ist der Beklagte nicht gerecht geworden.

Bei der hierfür notwendigen Recherche muss jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst Öffentlichkeitswert verleihen, zutage treten. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen.

Das grundsätzliche Erfordernis einer Möglichkeit zur Stellungnahme soll sicherstellen, dass der Standpunkt des von der Verdachtsberichterstattung Betroffenen in Erfahrung und gegebenenfalls zum Ausdruck gebracht wird, der Betroffene also selbst zu Wort kommen kann. Dies setzt voraus, dass der Betroffene nicht nur Gelegenheit zur Stellungnahme erhält, sondern dass seine etwaige Stellungnahme auch zur Kenntnis genommen und der Standpunkt des Betroffenen in der Berichterstattung sichtbar wird (BGH, Urteil vom 16.11.2021 - VI ZR 1241/20, juris Rz. 25 m.w.N.). Der Standpunkt des Betroffenen ist dabei für den Leser nicht nur dann relevant, wenn sich die Stellungnahme konkret zu den geäußerten Verdachtsmomenten verhält, sich der Beschuldigte vom Verdacht "entlasten" kann. Auch die Information über ein bloßes Dementi ist grundsätzlich geeignet, der Gefahr einer Vorverurteilung des Betroffenen zu begegnen (BGH, a.a.O).

Während der Inhalt der behaupteten Presseanfrage vom 12.09.2023 nicht in das Verfahren eingeführt wurde, genügt die vom Beklagten an den Kläger gerichtete Anfrage vom 18.10.2022 (AG 16, I. Instanz) schon nicht den an eine Aufforderung zur Stellungnahme zu stellenden Anforderungen, weil in ihr zwar der Kläger zu seinen Verbindungen zur W... AG und zur T..., nicht aber zu den Vorwürfen im Zusammenhang mit dem Totalverlust von vermittelten Investments der Anleger befragt wurde. Da die Anfrage bereits nicht vollständig die in der Berichterstattung erhobenen Verdächtigungen abbildet und damit nicht den Anforderungen in der Rechtsprechung genügt, dem Betroffenen die zum Gegenstand der Berichterstattung gemachten Vorwürfe konkret vorzuhalten (BGH, Urteil vom 17.12.2013 - VI ZR 211/12 - juris), bedarf es keiner Entscheidung, ob das ausweichende Antwortverhalten des Klägers ("... wenden Sie sich bitte an...") der endgültigen Ablehnung einer Stellungnahme gleichkommt. Im Übrigen rechtfertigen auch die vom Beklagten in erster Instanz vorgelegten Rechercheergebnisse nicht vollständig die mitgeteilten Verdächtigungen. So kommt an keiner Stelle zum Ausdruck, dass der Kläger, der nach den Recherchen zwar Vertriebspartner abgeworben haben, und in leitender Position tätig geworden sein soll, auch über einen eigenen, von ihm persönlich betreuten Kundenstamm verfügt haben soll. Letzteres suggeriert aber der beanstandete Bericht.

Entscheidend ist allerdings, dass alle vom Beklagten nunmehr angeführten Anknüpfungstatsachen, die Anhaltspunkte für die geäußerten Verdächtigungen bieten sollen, in dem Bericht nicht erwähnt werden. Eine identifizierende Berichterstattung ist aber nicht zulässig, wenn sie lediglich dazu dient, in den Raum gestellte, nicht belegte Behauptungen und substanzarme Verdachtsmomente zu verbreiten. Wenn - wie hier - nur vage Verdachtsmomente mitgeteilt werden aus denen der Leser ohne zusätzliche Informationen nichts ableiten kann, fehlt es entweder an einem Vorgang von gravierendem Gewicht, der erst ein Informationsinteresse an einer namentlichen Nennung begründen könnte, oder die Äußerung wird ohne Zusatzinformationen insgesamt so substanzarm, dass sie als Meinungsäußerungen zu qualifizieren wäre. Dann aber bestünde keine Berechtigung zu einer Namensnennung (vgl. zu den Anforderungen: Wenzel, a.a.O., Kap. 10, Rz. 157). Ein Fall von Schwerstkriminalität oder ein besonderes öffentliches Interesse gerade an der Person des Klägers, das die Berechtigung zur identifizierenden Verdachtsberichterstattung begründen könnte (Wenzel, a.a.O. m.w.N.), liegt hier nicht vor.

3. Die Berichterstattung stellt einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar und ist rechtswidrig. Im Rahmen der insoweit vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Recht des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit (st. Rspr. BGH: Urteil vom 19.11.2024 - VI ZR 87/24; Urteil vom 20. 6. 2023 - VI ZR 262/21 - jeweils nach juris) überwiegt das Schutzinteresse des Klägers.

Der Senat verkennt dabei nicht, dass es im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 GG den Medien obliegen muss, nach publizistischen Kriterien über Gegenstand und Inhalt ihrer Berichterstattung zu entscheiden und sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden können (vgl. BGH v. 21.11.2006 - VI ZR 259/05, AfP 2007, 44; BVerfG v. 25.01.2012 - 1 BvR 2499/09, AfP 2012, 143). In Ansehung dessen darf zwar grundsätzlich nicht die Frage aufgeworfen werden, ob auch ohne Identifizierung des Klägers hätte berichtet werden können, doch ist das nicht absolut zu verstehen (unklar Sajuntz, NJW 2017, 698, 700). Der Umfang und die Notwendigkeit einer Identifizierung ist vielmehr bei der wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts gebotenen Abwägung zwischen dem durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit und dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit zu berücksichtigen (OLG Köln, U. v. v. 03.10.2016 - 15 U 127/16, BeckRS 2016, 113198). Grundsätzlich muss dabei zwischen dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit an einem Vorgang als solchem und an der Identifizierbarkeit der Betroffenen unterschieden werden, zumal nicht jedes öffentliche Interesse an einem Vorgang zugleich auch ein vergleichbar schützenswertes Interesse auch und gerade an der Identifizierung der daran Beteiligten mit sich bringen muss. Es ist grundsätzlich immer mit besonderer Sorgfalt abzuwägen, ob dem Informationsinteresse nicht ggf. auch ohne Namensnennung und/oder sonstige Identifizierbarkeit in gleichem Umfang genügt werden kann (OLG Köln, Urteil vom 16. März 2017 – 15 U 134/16 –, juris Rz. 25 m.w.N.).

So liegt der Fall hier: Es mag sich um eine Angelegenheit von allgemeinem Interesse handeln, über digitale Investments mit einem hohen Verlustrisiko und einer Vielzahl hiervon betroffener Anleger ("40 Millionen Schaden") zu berichten. Anknüpfungstatsachen, die eine solche Bewertung erläutern würden, sind der streitgegenständlichen Berichterstattung aber nicht zu entnehmen. Der Bericht äußert aber den Verdacht, dass der Kläger - direkt als Verkäufer oder Vermittler ("Kunden von ihm") oder indirekt ("im Umfeld", "leitende Position") für den Verlust von Anlegergeldern in Millionenhöhe, möglicherweise sogar in betrügerischer Absicht ("kein gutes Bild vom Verhalten der T...") persönlich verantwortlich ist. Unabhängig davon, dass der Kläger selbst keine Person des öffentlichen Interesses ist, ist ein schutzwürdiges Interesse an der Verbreitung derartiger Gerüchte unter Namensnennung nicht erkennbar.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerfG: Scharfe Kritik an der Bundesregierung durch Journalisten auf X mittels Ankündigungstext und Verlinkung auf Artikel einer Online-Publikation von Meinungsfreiheit gedeckt

BVerfG
Beschluss vom 11.04.2024
1 BvR 2290/23

Das BVerfG hat entschieden, dass scharfe Kritik an der Bundesregierung durch einen Journalisten auf X mittels Ankündigungstext und Verlinkung auf einen Artikel einer Online-Publikation von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Journalisten gegen die gerichtliche Untersagung einer kritischen Äußerung über die Bundesregierung

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde eines Journalisten stattgeben. Dieser wendet sich gegen eine einstweilige Verfügung, durch die ihm eine kritische Äußerung gegenüber der Bundesregierung untersagt wurde.

Im August 2023 veröffentlichte der Beschwerdeführer auf der Kommunikationsplattform „X“ die Kurznachricht „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. In der Kurznachricht verlinkt war der Artikel eines Online-Nachrichtenmagazins mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“. Das Kammergericht untersagte dem Beschwerdeführer auf Antrag der Bundesregierung die Äußerung „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!).“ Die Äußerung sei eine unwahre Tatsachenbehauptung, die geeignet sei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit der Bundesregierung zu gefährden. Hiergegen wendet sich dieser mit seiner Verfassungsbeschwerde.

Die Entscheidung des Kammergerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Sie verfehlt erkennbar den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Indem das Kammergericht für seine Beurteilung die in der Kurznachricht wiedergegebene Schlagzeile ausblendet, verharrt seine Sinndeutung auf einer isolierten Betrachtung des Kurznachrichtentextes.

Sachverhalt:

Am 25. August 2023 veröffentlichte das Online-Nachrichtenmagazin (…) einen Artikel mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“, in dem es unter anderem hieß: „Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor zwei Jahren hat die Bundesregierung 371 Millionen Euro für Entwicklungshilfe im Land bereitgestellt. (…).“ Etwa eine Stunde nach der Veröffentlichung setzte der Beschwerdeführer auf der Kommunikationsplattform „X“ eine zu diesem Artikel verlinkende Kurznachricht ab. Ihr Text lautete: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. Am Ende seiner Kurznachricht fügte der Beschwerdeführer den Internet-Link zu dem Artikel ein, dessen Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ unterhalb des Links angezeigt wurde.

Mit angegriffenem Beschluss vom 14. November 2023 untersagte das Kammergericht dem Beschwerdeführer die Äußerung „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)“. Juristische Personen des öffentlichen Rechts könnten zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt werde. Ein solcher Ehrenschutz könne jedenfalls dann geltend gemacht werden, wenn die konkrete Äußerung geeignet sei, die juristische Person schwerwiegend in ihrer Funktion zu beeinträchtigen. So liege es hier. Durch die Äußerung des Beschwerdeführers bestünde die Gefahr, dass bei der Bevölkerung der Eindruck entstehe, die Bundesregierung zahle Entwicklungshilfe an ein Terrorregime, das die Rechte der Bevölkerung mit Füßen trete. Dies könne Zweifel in das Vertrauen der Arbeit der Bundesregierung und ihre Funktionsfähigkeit wecken.

Durch den Beschluss des Kammergerichts sieht sich der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

1. a) Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Zwar dürfen grundsätzlich auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen. Ihr Schutz darf indessen nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen. Das Gewicht des für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden Grundrechts der Meinungsfreiheit ist dann besonders hoch zu veranschlagen, da es gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.

b) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Auszugehen ist stets vom Wortlaut der Äußerung. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind verkannt, wenn die Gerichte eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinne einstufen mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Werturteile ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter.

2. Hieran gemessen, verstößt die Entscheidung des Kammergerichts gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit, da sie den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung erkennbar verfehlt.

a) Aus der Sicht eines Durchschnittslesers war es bereits angesichts der wiedergegebenen Vorschau des verlinkten Artikels ein hervorstechendes Anliegen des Beschwerdeführers, zwischen seiner Kurznachricht und einem hiermit verlinkten Nachrichtenartikel einen inhaltlichen Bezug herzustellen. Wird für die Kontextbestimmung einer Äußerung eine hierin für den Rezipienten erkennbar in Bezug genommene, inhaltlich sogar unmittelbar wahrnehmbare Schlagzeile eines Nachrichtenartikels ausgeblendet, verfehlt bereits dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Deutung umstrittener Äußerungen. Das war hier der Fall.

b) Indem das Kammergericht für seine Beurteilung die in der Kurznachricht wiedergegebene Schlagzeile „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ ausblendet, verharrt seine Sinndeutung auf einer isolierten Betrachtung des Kurznachrichtentextes. Auch zieht es nicht in Erwägung, ob die Annahme einer Tatsachenbehauptung angesichts der wiedergegebenen Schlagzeile „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ als fernliegend auszuscheiden und aus der Sicht eines Durchschnittslesers allein die zugespitzte Meinungsäußerung anzunehmen sei, mit einer Zahlung von „Entwicklungshilfe für Afghanistan“ zahle Deutschland faktisch „Entwicklungshilfe an die Taliban“. Zugleich verliert das Kammergericht aus dem Blick, dass die Kritik an der Bundesregierung als Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und Meinens geprägt ist, auch dann als Meinungsäußerung geschützt wird, wenn sich in ihr Tatsachen und Meinungen vermengten, und dass weder die Bundesregierung Zahlungen von Entwicklungshilfe „für Afghanistan“ in Abrede stellt, noch die angegriffene Entscheidung in Zweifel zieht, dass die Gefahr ihres mittelbaren Zugutekommens an die Machthaber in Afghanistan besteht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerfG: Verfassungsbeschwerde eines Presseunternehmens gegen eine im zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht unzulässig

BVerfG
Beschluss vom 10.11.2023
1 BvR 2036/23


Das BVerfG hat entschieden, dass die Verfassungsbeschwerde eines Presseunternehmens gegen eine in einem zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht unzulässig ist.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Unzulässige Verfassungsbeschwerde eines Presseunternehmens gegen eine in einem zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde eines überregional tätigen Presseunternehmens, seines Rechtsnachfolgers und zweier Mitarbeiter nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen eine in einem laufenden zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht richtet. Damit wird der daneben gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

Die Beschwerdeführerin zu 1) - ein überregional tätiges Presseunternehmen - wird in dem Ausgangsverfahren von einem dem Erzbistum Köln angehörenden Geistlichen auf Unterlassung einer im Jahr 2021 veröffentlichten Berichterstattung in Anspruch genommen. Diese betraf den Vorwurf der dienstlichen Beförderung des Geistlichen trotz Kenntnis der Entscheidungsträger von gegen ihn erhobenen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs. Das Oberlandesgericht Köln bestimmte im Berufungsverfahren Termin zur Beweisaufnahme durch Vernehmung eines Zeugen, schloss die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung des Zeugen aus und legte unter anderem den im Termin anwesenden Mitarbeitern der Beschwerdeführerin zu 2), die den entsprechenden Geschäftsbereich der Beschwerdeführerin zu 1) zwischenzeitlich übernommen hatte, gemäß § 174 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) die Verpflichtung auf, über den Inhalt der Aussage des Zeugen und die Inhalte der Erörterung der Beweisaufnahme Stillschweigen zu bewahren. Die Beschwerdeführer sehen sich durch die auferlegte Geheimhaltungsverpflichtung in ihrer Pressefreiheit verletzt und rügen eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Verfassungsrechtlich relevante Fehler bei der Auslegung oder Anwendung der gesetzlichen Grundlage der angeordneten Geheimhaltungspflicht sind weder dargetan noch ersichtlich.

Sachverhalt:

Kläger des Ausgangsverfahren (im Folgenden: Kläger) ist ein dem Erzbistum Köln angehörender katholischer Geistlicher, der sich mit einer Unterlassungsklage gegen eine von der Beschwerdeführerin zu 1) im Jahr 2021 veröffentlichte Berichterstattung wendet. Die Berichterstattung betraf den Vorwurf einer dienstlichen Beförderung des Klägers trotz Kenntnis der Entscheidungsträger von gegen ihn erhobenen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs, die unter anderem auf einen internen Bericht des Erzbistums gestützt wurden. Der Kläger wurde im Nachgang zu dieser Berichterstattung beurlaubt; in einem kirchenrechtlichen Verfahren wurde er zwischenzeitlich freigesprochen.

Im Berufungsverfahren bestimmte das Oberlandesgericht Köln die Vernehmung eines Zeugen, auf dessen Schilderungen der interne Bericht des Erzbistums Bezug nimmt. Das Beweisthema umfasste die Frage, ob es „während der Zeit der Tätigkeit des Klägers (…) Saunabesuche, Alkohol, Masturbation und das Vorspielen von Pornofilmen im Zusammenhang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ gegeben habe. Der Berufungssenat schloss für die Dauer der Vernehmung des Zeugen die Öffentlichkeit aus und legte den im Termin anwesenden Mitarbeitern und dem Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zu 2) die Verpflichtung auf, über den Inhalt der Aussage des Zeugen und die Inhalte der Erörterung der Beweisaufnahme Stillschweigen zu bewahren. Die auf § 174 Abs. 3 GVG gestützte Auferlegung von Geheimhaltungspflichten begründete er damit, dass innerhalb der ihm eingeräumten Ermessensausübung das Schutzinteresse des Zeugen an der Wahrung seiner Anonymität und seines persönlichen Lebensbereichs das von der Beschwerdeführerin zu 2) geltend gemachte Recht aus Art. 5 Grundgesetz (GG) und das von ihr wiederholt bekundete Interesse an einer weiteren Berichterstattung überwiege.

Mit ihrer erhobenen Verfassungsbeschwerde und ihrem gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügen die Beschwerdeführer, die ihnen auferlegte Geheimhaltungsverpflichtung verletze sowohl ihre Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als auch das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da ihre Begründung eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen lässt.

Zwar beinhaltet die ausgesprochene Geheimhaltungsverpflichtung einen intensiven Eingriff in die Pressefreiheit der Beschwerdeführer. Verfassungsrechtlich relevante Fehler bei der Auslegung oder Anwendung von § 174 Abs. 3 GVG sind indes weder dargetan noch ersichtlich. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde legen die Beschwerdeführer ungeachtet einer gesteigerten Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Kommunikationsgrundrechte eine die Pressefreiheit verkennende Fehlgewichtung der schutzwürdigen Interessen des Zeugen bei einer Aussage in öffentlicher Sitzung nicht dar.

1. Die Aufarbeitung sexueller Übergriffe auf Kinder und Jugendliche durch Geistliche und sonstige Mitarbeiter der katholischen Kirche bildet allerdings ein gesellschaftliches Thema, das von einem herausragenden öffentlichen Informationsinteresse begleitet wird. Dem steht jedoch gegenüber, dass Prozesse zwar in der, aber nicht für die Öffentlichkeit stattfinden. Einer unbegrenzten Öffentlichkeit der Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht stehen gewichtige Interessen gegenüber. Für § 171b Abs. 1 GVG war es eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Entscheidung des Gesetzgebers, den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht davon abhängig zu machen, dass das Schutzinter­esse des Betroffenen überwiegt, sondern ihn bereits zu ermöglichen, wenn bei einer Verletzung schutzwürdiger Interessen des Betroffenen das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände nicht überwiegt. § 174 Abs. 3 GVG verstärkt diesen Schutz des Betroffenen. Er zielt damit zugleich - mittelbar - auf die Vermeidung von Einschüchterungseffekten ab, die bei Fehlen einer effektiv geschützten Aussagesituation auf Seiten der Betroffenen zu besorgen wären, und die zugleich die im öffentlichen Interesse stehende Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege beeinträchtigen würden.

2. Nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen ist es, mit den Beschwerdeführern das Beweisthema lediglich der Privat- oder gar nur der Sozialsphäre des Zeugen zuzuordnen. Indem es Hintergrund, Hergang und Folgen sexueller Handlungen umfasst, die dem Zeugen widerfahren sein sollen, berührt es vielmehr insgesamt dessen Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und Wahrung seiner Intimsphäre. Diesem Recht auch unter den Bedingungen der Rechtspflege in einer seinem Stellenwert gerecht werdenden Weise Rechnung zu tragen, sind die Gerichte durch Anwendung der ihnen in den Vorschriften der §§ 169 bis 174 GVG eingeräumten Befugnisse in besonderer Weise berufen. Das öffentliche Informationsinteresse ist daher nicht in gleicher Weise schützenswert wie die übrigen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Zeugen gegenübertretenden Interessen, insbesondere das öffentliche Interesse an einer ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung. Diesem Umstand wird die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.

3. Ebensowenig gelingt es den Beschwerdeführern, die ihnen auferlegte Geheimhaltungspflicht unter dem Aspekt der Erforderlichkeit nachvollziehbar anzugreifen.

Bereits nicht nachvollziehbar begründet haben die Beschwerdeführer, weshalb sich die ihnen auferlegte Geheimhaltungspflicht auch auf sämtliche etwaig identischen Tatsachen erstrecke, die bereits vor Vernehmung des Zeugen bekannt geworden seien. Weder dargelegt noch ersichtlich ist deshalb auch, weshalb die ausgesprochene Geheimhaltungsverpflichtung mit Blick auf § 353d Nr. 2 StGB nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen sollte.

Nicht nachvollziehbar darzulegen vermögen die Beschwerdeführer eine Verletzung der Pressefreiheit aber auch insoweit, als sie rügen, dass die Geheimhaltungsverpflichtung nicht auf identifizierende Tatsachen beschränkt worden sei. Abgesehen von der Vermeidung einer erneuten Aktivierung der bereits entstandenen Identifizierbarkeit durfte sich das Oberlandesgericht auch davon leiten lassen, nicht auch die unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgte Aussage des Zeugen zum Ursprung einer erneuten Konfrontation des Zeugen mit dem von ihm geschilderten Geschehnissen durch eine Berichterstattung der Beschwerdeführer werden zu lassen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerwG: Bundesnachrichtendienst muss einem Journalisten Auskunft über Hintergrundgespräche des BND mit anderen Medienvertretern erteilen

BVerwG
Urteil vom 09.11.2023
10 A 2.23


Das BVerwG hat entschieden, dass der Bundesnachrichtendienst einem Journalisten Auskunft über Hintergrundgespräche des BND mit anderen Medienvertretern erteilen muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Auskünfte über Hintergrundgespräche beim Bundesnachrichtendienst
Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist verpflichtet, einem Journalisten Auskünfte darüber zu erteilen, welche fünf Medien in den Jahren 2019 und 2020 jeweils die meisten Einzelhintergrundgespräche erhalten haben, wie viele Gespräche jeweils geführt wurden und wie hoch jeweils Anteil und Zahl der mit Vertretern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veranstalteten Gespräche war. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger ist Journalist einer Tageszeitung. Er begehrt die genannten Auskünfte, die ihm seitens des BND unter Berufung auf nicht vorliegende statistische Auswertungen zunächst nicht erteilt wurden. Später teilte der BND dem Kläger die fünf Medien mit, mit denen im Gesamtzeitraum 2019/2020 am häufigsten Einzelhintergrundgespräche geführt worden sind. Bereits zuvor hatte der BND dem Kläger die im Zeitraum 2019 bis März 2020 besprochenen Themen mitgeteilt.

Die Klage hatte Erfolg. Dem Kläger stehen auf der Grundlage des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs der Presse die begehrten Auskünfte zu. Eine Generierung nicht vorhandener Informationen verlangt der Kläger nicht. Überwiegende öffentliche Interessen und der Schutz der Pressefreiheit der Medien, die an Einzelhintergrundgesprächen teilgenommen haben, stehen der Auskunftserteilung im konkreten Fall nicht entgegen. Im Hinblick auf die durch den BND bereits erteilten Auskünfte wird nicht ersichtlich, dass durch die Herausgabe der begehrten ergänzenden Informationen die Gefahr der Aufdeckung der Recherchen betroffener Medienvertreter durch Dritte signifikant gesteigert wird.

BVerwG 10 A 2.23 - Urteil vom 09. November 2023


BVerwG: Kein vorbeugender Rechtsschutz eines Journalisten gegen BND auf Unterlassung der Anhörung Betroffener bei zukünftigen Medienanfragen

BVerwG
Urteil vom 09.11.2023
10 A 3.23

Das BVerwG hat entschieden, dass ein Journalist gegen den BND einen Anspruch auf Unterlassung der Anhörung Betroffener bei zukünftigen Medienanfragen nicht im Wege des vorbeugendes Rechtsschutzes geltend machen kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kein vorbeugender Rechtsschutz eines Journalisten auf Unterlassungen des BND bei künftigen Anfragen

Ein Journalist, der zu Pressekontakten einer Behörde mit anderen Medienvertretern recherchiert, kann im Hinblick auf seine erst künftigen Auskunftsbegehren nicht verlangen, dass die Behörde auf die Anhörung Betroffener verzichtet. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger ist Journalist bei einer Tageszeitung. Er hatte verschiedene Auskünfte des Bundesnachrichtendienstes (BND) zu dessen Einzelhintergrundgesprächen mit Vertretern anderer Medien verlangt (vgl. hierzu die Presseinformation Nr. 85/2023 vom heutigen Tage im Verfahren BVerwG 10 A 2.23). Vor Erteilung einer Antwort hatte sich der BND in anonymisierter und abstrahierter Form an die betroffenen Medien gewandt, um zu erfragen, ob dort Einwände gegen entsprechende Auskünfte bestünden. Der Kläger verlangte vom BND die Abgabe einer Erklärung, es bei künftigen Rechercheanfragen zu unterlassen, die betroffenen Medien anzuhören. Der BND lehnte die Abgabe einer entsprechenden Erklärung ab.

Die Unterlassungsklage hat keinen Erfolg; sie ist bereits unzulässig. Sie bezieht sich auf künftige Rechercheanfragen des Klägers zu Hintergrundgesprächen mit Medien mit nicht näher bekanntem Inhalt. Vorbeugender verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz setzt voraus, dass der Kläger das von der Behörde erwartete Verhalten konkret bezeichnet, um dem Gericht eine Rechtmäßigkeitsprüfung zu ermöglichen. Nach dem Vortrag des BND wird es jedoch bei zukünftigen Rechercheanfragen betreffend Hintergrundgespräche nicht in jedem Falle erneut zu einer Anhörung der betroffenen Medien kommen. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer etwaigen Anhörung betroffener Medienvertreter kommt es außerdem einzelfallbezogen auf die betroffenen Belange auf Seiten des Klägers wie auch auf Seiten der anderen Medienvertreter an, im Besonderen auf den Schutz ihres Grundrechts der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in Gestalt des Recherchegeheimnisses. Ihre Abwägung ist ohne Kenntnis des näheren Inhalts einer künftigen Rechercheanfrage des Klägers nicht möglich.

BVerwG 10 A 3.23 - Urteil vom 09. November 2023


AG Berlin-Mitte: Bundesminister darf Nutzer bei Twitter / X und anderen sozialen Netzwerken jedenfalls dann blockieren wenn es sich nach den Gesamtumständen um ein Privat-Account handelt

AG Berlin-Mitte
Beschluss vom 19.10.2023
151 V 167/23 eV


Das AG Berlin-Mitte hat entschieden, dass ein Bundesminister Nutzer bei Twitter / X und anderen sozialen Netzwerken jedenfalls dann blockieren darf, wenn es sich nach den Gesamtumständen um ein Privat-Account handelt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der zulässige, auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auszulegende, Antrag des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg.

1.) Dem Antragsteller steht der gegen den Antragsgegner geltend gemachte materiell-rechtliche (Verfügungs-)Anspruch auf Zugang zu dessen Account bzw. Unterlassung der fortwährenden Blockade seines eigenen Accounts nicht zu.

a.) Ein solcher Zugangsanspruch ergibt sich insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt eines diskriminierungsfreien Zugangs zu sog. öffentlichen Einrichtungen. Eine solche öffentliche Einrichtung wird gemeinhin definiert, als eine Zusammenfassung personeller und sachlicher Mittel, die ein Träger öffentlicher Verwaltung in Erfüllung einer in seinen Wirkungskreis fallenden Aufgabe einem bestimmten Kreis der Öffentlichkeit durch (ausdrückliche oder schlüssige) Widmung im Rahmen ihres Nutzungszwecks zur Benutzung zur Verfügung stellt. Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur erfüllen etwa von Behörden betriebene, staatliche Social Media-Accounts diese Anforderungen (vgl. VG Hamburg,Urt.v.28.04.2021-3K5339/19,juris;VGMainz,Urt.v.13.04.2018-4K762/17,juris; VGMünchen,Urt.v.27.10.2017-M26K16.5928,juris;Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Einzelfragen zu hoheitlichen Social-Media-Accounts, WD 10 - 3000 - 033/22; Kalscheuer/Jacobsen, NVwZ 2020, 370; Milker, NVwZ 2018, 1751; zu im Internet betriebenen Datenbanken vgl. auch BVerwG, Urt. v. 19.02.2015 - 1 C 13/14).

Entgegen der Ansicht des Antragstellers handelt es sich beim Account des Antragsgegners indes nicht um einen hoheitlichen Account i.S.e. öffentlichen Einrichtung. Dem steht aus Sicht des Gerichts bereits entgegen, dass dieser ausdrücklich nicht dahingehend gewidmet wurde, sondern der Antragssteller gerade nicht ausschließlich in seiner Eigenschaft als Bundesminister, sondern zumindest auch als Bundestagsabgeordneter, Universitätsprofessor, Wissenschaftler und eben Privatmann „selbst und privat tweetet“ (vgl. Profil-Biografie des Antragsgegners). Der Account des Antragsgegners ist auch nicht seinem Inhalt nach als hoheitlich zu qualifizieren - und damit ggf. konkludent durch rein tatsächliches Bereitstellen dahingehend gewidmet worden.

Wohingegen die äußerungsrechtliche Zulässigkeit einer konkreten Äußerung auch auf Social Media-Accounts in der Rechtsprechung bereits weitgehend geklärt zu sein scheint (vgl. etwa VerfGH Berlin, Urt. v. 20. 2. 2019 - VerfGH 80/18; VG Berlin, Beschluss v. 21.02.2022 - 6 L 17/22), trifft dies auf die rechtliche Einordnung ganzer Social Media-Accounts als privat oder hoheitlich noch nicht zu; in der Praxis im Zusammenhang im Gegensatz zu Behörden mit konkreten Amtsträgern aufgetretene Fälle konnten bisher - soweit erkennbar - keiner gerichtlichen Klärung in der Sache zugeführt werden. Klare Vorgaben des Gesetzgebers wären zwar äußerst wünschenswert, liegen bisher jedoch nicht vor. Ausgangspunkt der Einordnung muss nach Ansicht des Gerichts - wie auch beim Äußerungsrecht von Amtsträgern - die sog. Sprecherrollentheorie des Bundesverfassungsgerichts sein (vgl. zum Ganzen etwa BVerfG, Urt. v. 27.02.2018 - 2 BvE 1/16, juris; BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14, juris; Milker, JA 2017, 647; Barczak, NVwZ 2015, 1014; Gusy, NVwZ 2015, 700). Während sich Handlungen und Äußerungen von Privatpersonen auf Freiheitsgrundrechte stützen lassen, kann der Staat sich auf solche nicht berufen. Jedoch ist es für die hinter einem Hoheitsträger stehende Privatperson möglich, sich am politischen Wettbewerb zu beteiligen und sich diesbezüglich auf die Meinungsfreiheit zu berufen, sofern sie nicht in der Funktion als Hoheitsträger auftritt; ein Amtsträger kann also in verschiedenen Sprecherrollen auftreten: Als Amtswalter oder Privatperson (insb. Parteipolitiker). Auch wenn diese Rollen schon in der “analogen Welt“ nicht immer trennscharf abgegrenzt werden können (m.w.N. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14, juris, Rn. 54), gilt nichts abweichendes für Accounts auf Social Media-Plattformen.

Zudem kommt es, anders als für die Frage nach der äußerungsrechtlichen Zulässigkeit einzelner Beiträge, für die Frage nach der Qualifizierung als öffentliche Einrichtung nach Ansicht des Gerichts auf das Gesamtgepräge des ganzen Social Media-Accounts an (a.A. und bereits bei einzelnen hoheitlichen Beiträgen bejahend Reinhard, Die Follower, die ich rief …, 27.06.2019, verfügbar unter: https://verfassungsblog.de/die-follower-die-ich-rief/, zuletzt abgerufen am 18.10.2023); dies ergibt sich schon aus dem Wesen der Widmung als einheitlichem Rechtsakt sowie der Möglichkeit einer entsprechenden Entwidmung. Es würde zu einer künstlichen Aufspaltung eines einheitlichen digitalen Auftritts führen, wenn ein Bundesminister mit jedem Beitrag unter Nennung seiner Funktion einen konkludenten Widmungsakt vornimmt und diesen im nächsten Beitrag mit Urlaubsbildern zugleich widerruft; vor allem dann, wenn - wie hier - in der Profil-Biografie ein ausdrücklich entgegenstehender Wille des Accountbetreibers erkennbar ist. Ferner muss für den potenziellen Abonnenten bereits im Vorwege eines möglichen Abonnierens feststehen, ob es sich um einen staatlichen oder privaten Account handelt (so Harding, NJW 2019, 1910, 1913).

Erforderlich ist also eine umfassende Würdigung des konkreten Social Media-Accounts im Rahmen einer Gesamtschau, wobei insbesondere dessen Inhalt, Form und der äußere Zusammenhang der auf ihm getätigten Äußerung abzustellen ist (zu den herangezogenen Abgrenzungskriterien und ihren Anpassungen an den digitalen Raum m.w.N. Harding, NJW 2019, 1910, 1912; Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Einzelfragen zu hoheitlichen Social-Media-Accounts, WD 10 - 3000 - 033/22, S. 5 ff.). Entscheidend ist, ob der Amtswalter aus Sicht eines objektiven bzw. unvoreingenommenen Beobachters in spezifischer Weise staatliche Autorität in Anspruch nimmt.

Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass allein die Verwendung der Amtsbezeichnung den privaten Charakter einer Verlautbarung noch nicht aufzuheben vermag, da durch ihn amtliche Autorität nicht in spezifischer Weise in Anspruch genommen wird. Vielmehr gestatten es die Beamtengesetze des Bundes und der Länder einem Hoheitsträger ausdrücklich, die Amtsbezeichnung auch außerhalb des Dienstes zu führen (vgl. bspw. § 86 Abs. 2 S. 2 BBG). Damit sich allein aus dem Hinweis auf die Amtsträgereigenschaft der hoheitliche Charakter einer Äußerung ergibt, muss der Amtsträger seine Stellung derart in den Vordergrund rücken, dass der objektive Beobachter davon ausgehen muss, es komme dem Amtsträger gerade darauf an, in amtlicher Funktion aufzutreten und amtliche Autorität auszunutzen. Dies kann den vom Antragssteller in Bezug genommenen Beiträgen des Antragsgegners nicht entnommen werden. Der bloße Hinweis auf eine Dienstreise unter Verwendung eines sog. Selfies vermag bei unbefangenen Bürgern ebenso wenig den Eindruck einer hoheitlichen Verlautbarung eines Bundesministers und Ausnutzung seiner amtlichen Autorität erwecken, wie das Teilen eines geschenkten Jutebeutels nebst Trophäe unter offensichtlich (weil mit aus Symbolen erstelltem Gesichtsausdruck versehen, sog. Emoticon bzw. Smiley) auch satirisch gemeinter Verwendung der Worte „So spannend können Meldungen eines Ministers sein ;)“. Das Teilen des Accounts des Antragsgegners durch unzweifelhaft hoheitliche Accounts wie dem offiziellen Account eines Bundesministeriums wiederum vermag an der Qualifizierung des “privaten“ Accounts nichts zu ändern. Ferner muss die Verwendung der Bezeichnung „Bundestagsabgeordneter“ in diesem Kontext von vornherein ohne Auswirkung auf die Abgrenzung von privat und hoheitlich bleiben. Denn die Differenzierung zwischen hoheitlichen und parteipolitischen Accounts von Abgeordneten würde grundlegend ihren Zweck verfehlen, da nicht der einzelne Abgeordnete, sondern das Parlament in der Gesamtheit seiner Mitglieder Hoheitsgewalt ausübt (vgl. BVerfG, Urt. v. 21.07.2000 - 2 BvH 3/91, juris, Rn. 51; BVerfG, Urt. v. 13.06.1989 - 2 BvE 1/88, juris, Rn. 102; BVerfG, Beschluss v. 10.05.1977 - 2 BvR 705/75, juris, Rn. 27).

Der Antragsgegner greift auch auf keine ihm allein wegen der Eigenschaft als Bundesminister zur Verfügung stehenden Ressourcen zurück, sodass er unter dem Gesichtspunkt der Umstände seiner Verlautbarungen hoheitliche Autorität nicht in spezifischer Weise in Anspruch nimmt. Dabei steht der Möglichkeit, nach außen sichtbar auf staatliche Ressourcen zurückzugreifen auch nicht entgegen, dass die Aufmachung von Profilen auf der Social Media-Plattform X im Wesentlichen identisch ist und nur begrenzt zur Disposition der einzelnen Accountbetreiber steht. Denn der Accountbetreiber kann insbesondere durch seinen Nutzernamen, die Bilder seines Profils, der Biografie seines Accounts sowie einem Impressum ausreichend auf die äußere Gestaltung des Profils Einfluss nehmen. Deswegen ist es - soweit ersichtlich - weitgehende Praxis, dass sich Nutzernamen staatlicher Accounts ausschließlich aus dem Namen bzw. der Abkürzung des jeweiligen Ressorts speisen und nicht aus Amtsbezeichnungen des jeweiligen Ministers. Das soll gerade dazu dienen, mögliche Verwechslungen mit persönlichen Accounts von Amtsinhabern zu vermeiden (vgl. bspw. Landesregierung Nordrhein-Westfalen, Handreichung für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen zur Kommunikation und Information in Sozialen Medien, November 2018, S. 6). Die Nutzung spezieller hoheitlicher Ressourcen durch den Antragsgegner ist jedoch nicht erkennbar, insbesondere erfolgte keine Verwendung des Bundeswappens oder ähnlicher nach außen erkennbar hoheitlicher Zeichen. Auch lautet der Name des Accounts schlicht „@[…]“ bzw. „Prof. Dr. […]“ und eben nicht „Bundesminister der Gesundheit Prof. Dr. […]“. Evtl. verbleibende Unsicherheiten können letztlich nur durch den Accountbetreiber selbst überwunden werden. Wenn - wie hier - ein expliziter Hinweis erfolgt, dass das Profil ausschließlich zur privaten Kommunikation dienen soll, bleibt dies zumindest solange maßgeblich, wie staatliche Öffentlichkeitsarbeit nicht quasi rechtsmissbräuchlich unter dem Deckmantel privater Äußerungen betrieben wird (Harding, NJW 2019, 1910, 1914).

Aber auch aus der Materie der Verlautbarung kann im konkreten Fall nicht darauf geschlossen werden, dass der Antragsgegner amtliche Autorität auf spezifische Weise in Anspruch genommen hat, etwa weil er überwiegend Aussagen trifft, die er allein aufgrund eines mit seinem Amt zusammenhängenden Informationsvorsprungs treffen konnte oder die Äußerungen im privaten Kontext schlichtweg sinnlos erscheinen. Das Teilen eines Selfies vor einem Regierungsflieger mag zwar (zeitlich und örtlich) mit der hoheitlichen Tätigkeit des Antragsgegners zusammenhängen. Ein mit dem Amt zusammenhängender Informationsvorsprung ist bei dem schlichten Hinweis auf offizielle Dienstreisen, bei denen regelmäßig auch Pressevertreter zugegen sind, indes nicht erkennbar. Ebenso erweist sich auch der vom Antragsteller in Bezug genommene Beitrag im Zusammenhang mit der Verleihung des Preises „Goldener Blogger 2022“ als reine Privatsache. Es handelt sich hierbei um einen Preis, der jährlich im Rahmen einer Gala für besondere Leistungen im Bereich der Sozialen Medien vergeben wird. Im Falle des Antragsgegners wurde dieser gerade nicht für seine (gesellschafts-)politischen Leistungen oder seiner Tätigkeit als Bundesminister der Gesundheit, sondern für den „Twitter-Account des Jahres“ vergeben. Hieran vermag auch der Hinweis auf das eigene Ministeramt nichts ändern (siehe oben). Dass der Antragsgegner auf seinem Account - wie der Antragsteller meint - ausschließlich für seine (politische) Regierungsarbeit und “sein“ Bundesministerium wirbt, hat der Antragsteller folglich nicht ausreichend dargelegt.

Schließlich vermag auch der Verweis des Antragsstellers auf die Verifizierung des Accounts des Antragsstellers, „weil es sich um einen staatlichen Account oder den einer multilateralen Organisation handelt“, dem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Zum einen erfolgte diese Verifizierung nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragsgegners ohne sein Zutun und zum anderen steht diese Möglichkeit gerade nicht nur Trägern hoheitlicher Gewalt bzw. Mitgliedern der Exekutive in gerade dieser Funktion, sondern auch jedem “einfachen“ Mitglied des Deutschen Bundestages offen.

b.) Weitere mögliche Anspruchsgrundlagen sind weder vom Antragssteller vorgetragen, noch für das Gericht ersichtlich. Etwaige vertragliche Ansprüche scheitern bereits an der fehlenden vertraglichen Beziehung zwischen privaten Nutzern eines sozialen Netzwerks; eine solche besteht allein im Verhältnis zum Netzwerkbetreiber. Wer etwa eine Facebook-Freundschaft abschließt, eine Fanpage liked oder eine Facebook-Gruppe gründet, gibt gerade keine Erklärung mit Rechtsbindungswillen ab (vgl. Friehe, NJW 2020, 1697, 1701). Umgekehrt geben die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von X jedoch jedem Nutzer das Recht, durch vielfältige Maßnahmen auf unerwünschte Nutzerinhalte reagieren zu dürfen. Diese Nutzungsbedingungen sind bei der erstmaligen Benutzung der Plattform einsehbar und müssen auch von jedermann akzeptiert werden.

Auch kann sich der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner als Privatperson nicht direkt auf die Grundrechte berufen, welche unmittelbare Wirkungen nur gegenüber Hoheitsträgern entfalten. In Bezug auf Privatrechtsbeziehungen besteht nach herrschender Meinung nur eine abgeschwächte Wirkung, die sog. mittelbare Drittwirkung. Der Regelungsgehalt der Grundrechte fließt dabei (nur) über die Auslegung des einfachen Rechts in das Privatrecht ein, insbesondere über die Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln (vgl. instruktiv zur mittelbaren Drittwirkung BVerfG, Urt. v. 11.04.2018 - 1 BvR 3080/09, juris, Rn. 31 ff.). Soweit ersichtlich nicht eingehend in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur besprochen, wäre eine etwaige mittelbare Drittwirkung bezüglich einer nutzerveranlassten Löschung nur über die Generalklauseln der §§ 242, 826, 1004 BGB denkbar (wohl ablehnend Friehe, NJW 2020, 1967, 1701). Soweit dies überhaupt angenommen werden kann, wären die Grenzen einer solchen mittelbaren Grundrechtswirkung jedenfalls sehr eng zu ziehen.

Soweit dies für Netzwerkbetreiber ggf. noch denkbar erscheint, kann individuellen Privatnutzern gerade kein staatsgleiches Pflichtenprogramm auferlegt werden. Vielmehr lassen sich das Entfernen unliebsamer Kommentare Dritter sowie das Blockieren anderer Nutzer seinerseits auf Art. 2 Abs. 1 GG (ggf. i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als Ausformung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung) zurückführen und genießen daher im Fall eines privaten Accounts grundrechtlichen Schutz (zutreffend Harding, NJW 2019, 1910, 1911). Zudem enthält die Meinungsfreiheit des Antragsgegners auch das spiegelbildliche Recht, eine bestimmte Meinung eben nicht bzw. nicht uneingeschränkt jeder Person gegenüber äußern zu müssen (sog. negative Meinungsfreiheit, vgl. m.w.N. zur Rspr des BVerfG unter vielen Degenhart in Kahl/Waldhoff/Walter, BonnerKomm GG, 220. EL, 2023, Art. 5, Rn. 145; Bethge in Sachs, GG, 9. Aufl., 2021, Art. 5, Rn. 38a; Schemmer in BeckOK GG, 56. Edition, 2023, Art. 5, Rn. 16). Es ist also nicht so, dass der Antragsgegner seine Auffassungen nur dann verbreiten dürfte, wenn er etwaige Gegenmeinung zugleich quasi mit anheftet; auch wenn solche Gegenmeinungen im Falle von Kommentaren und Retweets sicherlich eindeutig als Meinungsäußerung eines Anderen erkennbar bleiben.

Schließlich sind auch die auf ein digitales Hausverbot entsprechend anwendbaren Grundsätze des öffentlich-rechtlichen Hausrechts, insbesondere deren Voraussetzungen und Einschränkungen, auf privat geführte Accounts im virtuellen Raum nicht anwendbar (m.w.N. zum virtuellen Hausrecht BVerwG, Beschluss v. 09.04.2019 - 6 B 162/18, juris; Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Einzelfragen zu hoheitlichen Social-Media-Accounts, WD 10 - 3000 - 033/22, S. 10 ff.; Milker, NVwZ 2018, 1751, 1754; Kalscheuer/Jacobsen, NVwZ 2020, 371; Kalscheuer/Jacobsen, NJW 2018, 2358, 2359 ff.). Dessen Voraussetzungen können im hiesigen Falle mithin dahinstehen.

2.) Darüber hinaus hat der Antragsteller aber auch weder einen Verfügungsgrund dargelegt, noch ist ein solcher für das Gericht hinreichend ersichtlich.

Der - neben dem Vorliegen eines Verfügungsanspruchs - für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Grundsatz stets erforderlicher Verfügungsgrund besteht nach §§ 935, 940 ZPO in der objektiv begründeten Besorgnis, durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes werde die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert, so dass dieser aufgrund einer besonderen Dringlichkeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache einer einstweiligen Sicherung seines Anspruchs bedarf (vgl. zum Ganzen m.w.N. Drescher in MünchKomm ZPO, 6. Aufl., 2020, § 935, Rn. 15 ff.; Mayer in BeckOK ZPO, 50. Edition, 2023, § 935, Rn. 11 ff.; Volkommer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., 2022, § 935, Rn. 10 ff.).

Auf eine besondere Dringlichkeit gerichtete Ausführungen lässt der ansonsten durchaus umfangreiche Vortrag des Antragsstellers vermissen. Welche unzumutbaren Nachteile dem Antragssteller durch die nunmehr immerhin schon neun Monate andauernde Blockade seines Accounts drohen sollen, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten, legt er in keiner Weise dar. Jedenfalls sein als Pressevertreter nachvollziehbares Informationsbedürfnis kann - zumindest vorübergehend - ausreichend durch Zugriff auf die Website des Antragsgegners befriedigt werden, welche wiederum dessen Beiträge auf der Social Media-Plattform X einbettet (ebenso VG Köln, Beschluss v. 01.02.2023 - 6 L 1923/22). Daneben sind die Beiträge auf der Social Media-Plattform X auch ohne eigenen Account bzw. Zugriff durch den eigenen Account online frei aufrufbar. Soweit der Antragsteller ausführt, ihm seien bestimmte Interaktionsmöglichkeiten etwa in Form des Kommentierens, Retweetens und/oder Zitierens genommen worden, bleibt schon unklar, warum es gerade die fehlende Möglichkeit dieser konkreten Art der Interaktion sein soll, die ihm ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens unzumutbar machen würden. Jedenfalls bleibt ihm eine direkte Kontaktaufnahme über die sonst üblichen Pressekanäle sowie eine Berichterstattung über Beiträge des Antragsgegners - auch ohne direktes retweeten - ohne Weiteres möglich.

Vor diesem Hintergrund letztlich dahinstehen kann damit die Frage, ob die Dringlichkeit durch nachlässige Verfahrensbetreibung des Antragstellers - etwa im Zusammenhang mit in seinem Bereich liegenden Zustellungsproblemen - bereits selbst widerlegt sein könnte. Jedenfalls die nicht mehr nur unerhebliche Verzögerung des Hauptsacheverfahrens ist dem Antragsteller mangels bisher erfolgter Einzahlung des Kostenvorschusses anzulasten, was wiederum auch als Indiz für die Dringlichkeit des hiesigen Verfahrens herangezogen werden kann.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Köln: Veränderung eines als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützten Zeitungsartikels kann nach § 14 UrhG und § 39 UrhG unzulässig sein

LG Köln
Urteil vom 10.08.2023
14 O 144/23


Das LG Köln hat entschieden, dass die Veränderung eines als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützten Zeitungsartikels nach § 14 UrhG und § 39 UrhG unzulässig sein kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Köln gem. § 32 ZPO örtlich zuständig. Erfolgsort der von dem Verfügungskläger vorgetragenen unerlaubten Handlung i. S. d. § 32 ZPO war auch der Bezirk des Landgerichts Köln, da der Online-Artikel der Verfügungsbeklagten jedenfalls auch im Bezirk des Landgerichts Köln bestimmungsgemäß abrufbar war (s. schon die Beschlussverfügung der Kammer, Bl. 135 d. A.).

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch begründet.

1. Es besteht ein Verfügungsanspruch. Der Verfügungskläger hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des aus §§ 97 Abs. 1, 14, 19a, 39 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG folgenden Unterlassungsanspruchs gegen die Verfügungsbeklagte dargelegt und glaubhaft gemacht.

Zunächst wird auf die Ausführungen der Kammer in der Beschlussverfügung zu der Schutzfähigkeit des streitgegenständlichen Artikels und der im Rahmen der §§ 14, 39 UrhG erforderlichen Interessenabwägung verwiesen. Das Vorbringen der Verfügungsbeklagten in der Widerspruchsbegründung verändert die Einschätzung der Kammer in diesem Zusammenhang nicht.

Bei dem Artikel des Verfügungsbeklagten handelt es sich um ein geschütztes Sprachwerk i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG. Ein Sprachwerk genießt dann urheberrechtlichen Schutz, wenn es auf einer persönlichen geistigen Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG beruht. Diese kann sowohl in der von der Gedankenführung geprägten Gestaltung der Sprache als auch in der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffes zum Ausdruck kommen (BGH GRUR 1997, 459, 460 – CB-infobank I; OLG Düsseldorf ZUM 2014, 242, 243). Je länger dabei ein Text ist, desto größer ist der Spielraum für Gestaltungsmöglichkeiten bei der individuellen Wortwahl und Darstellungsform und kann deshalb umso eher eine hinreichende eigenschöpferische Prägung erkannt werden (OLG Köln GRUR-RR 2016, 59, 60 – Afghanistan Papiere). Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten, ein Thema darzustellen, und der Vielzahl der Ausdrucksmöglichkeiten ist bei Zeitungsartikeln in aller Regel von einer persönlichen geistigen Schöpfung des Autors auszugehen (Loewenheim/Leistner, in: Schricker/Loewenheim, UrhG, 6. Aufl. 2020, § 2 Rn. 142).

Nach diesen Grundsätzen ist bei dem streitgegenständlichen Artikel ohne Weiteres von einer persönlichen geistigen Schöpfung des Verfügungsklägers und damit einer Schutzfähigkeit des Artikels auszugehen. Die Länge des Artikels, die Gedankenführung des Verfügungsbeklagten in Bezug auf ein mögliches „Greenwashing“ von B. sowie die politischen Kontakte, die das Unternehmen unterhält, sowie die Originalität von Wortwahl, Satzbau und sprachlichen Bildern („Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet“) gehen weit über eine bloße Aneinanderreihung vorgegebener Fakten, die ggf. nicht schutzfähig wäre, hinaus.

Die Verfügungsbeklagte hat das Werk des Verfügungsklägers durch die Entfernung der im Tenor der Beschlussverfügung genannten Passagen ohne dessen Zustimmung verändert und es damit beeinträchtigt (§ 14 UrhG) bzw. in unzulässiger Weise verändert (§ 39 Abs. 1 UrhG). Die durch die Verfügungsbeklagte vorgenommenen Änderungen sind insbesondere nicht im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung bzw. über § 39 Abs. 2 UrhG als gerechtfertigt anzusehen.

Wie bereits in der Beschlussverfügung angesprochen ist das Verhältnis zwischen § 14 UrhG und § 39 UrhG nicht abschließend geklärt (vgl. LG Berlin GRUR 2007, 964, 967 – Z. Hauptbahnhof). Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an, weil der Artikel durch die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Auslassungen i. S. d. § 14 UrhG beeinträchtigt wird. Von einer Entstellung bzw. sonstigen Beeinträchtigung gem. § 14 UrhG ist auszugehen, wenn der geistig-ästhetische Gesamteindruck des Werks beeinträchtigt wird, die Beeinträchtigung geeignet ist, die Interessen des Urhebers zu gefährden und eine Interessenabwägung zulasten des Beeinträchtigenden ausfällt (OLG Köln GRUR 2023, 1012, 1015 – Moschee-Vordach; LG Köln ZUM-RD 2023, 224, 227; vgl. LG Berlin GRUR 2007, 964, 967). Eine Beeinträchtigung liegt bei jeder objektiv nachweisbaren Änderung des vom Urheber bestimmten Gesamteindrucks vor (OLG Köln GRUR 2023, 1012, 1015 – Moschee-Vordach; Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 7. Aufl. 2022, § 14 Rn. 10). Bei der sodann vorzunehmenden Interessenabwägung kommt es insbesondere darauf an, festzustellen, welchen Einfluss die Veränderungen auf den künstlerischen bzw. hier journalistischen Gesamteindruck des Werks haben. Beziehen sich die Änderungen nur auf ganz untergeordnete Werkelemente oder sind sie sonst von nicht nennenswerter Relevanz für das gesamte Werk, kommt ihnen in der Interessenabwägung auch weniger Gewicht zu. Umgekehrt führen erhebliche Änderungen im Gesamteindruck zu einer entsprechend schwerwiegenden Beeinträchtigung der Urheberinteressen (LG Köln ZUM-RD 2023, 224, 227).

Nach diesen Maßstäben liegt bei den im Tenor aufgeführten Auslassungen ein hinreichend relevanter Eingriff in den Gesamteindruck des Sprachwerks vor. In objektiver Hinsicht fehlen in der angegriffenen Fassung zum einen Ausführungen zur bekannten Verteidigungspolitikerin H.-Y. und zum anderen das abschließende Fazit zu dem Themenkomplex der politischen Verflechtungen von B.. Das Fazit „Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet“ zeichnet sich zudem – jedenfalls im Kontext des Gesamtwerks – durch eine besondere sprachliche Individualität und Originalität aus. Diese fußt auf einer persönlichen geistigen Schöpfung des Verfügungsbeklagten und verstärkt den Eindruck einer individuellen Stellungnahme zum Thema. Durch die Auslassungen geht ein maßgeblicher Teil der Aussage des Artikels verloren, zumal die Verknüpfungen des Konzerns zu verschiedenen Personen des politischen Lebens in einer vom Verfügungskläger individuell und ohne Sachzwänge gewählten Abfolge dargestellt worden sind. Diese Teile waren gerade auch für die Verfügungsbeklagte von besonderer Bedeutung, hatte Herr T. den Verfügungsbeklagten doch explizit mit der Durchdringung der politischen Beziehungen von B. beauftragt („Wer stürzt [sic] sie politisch?“). Insofern erscheint der Vortrag der Verfügungsbeklagten, die Änderungen seien geringfügig gewesen und hätten sich auf den unbedingt erforderlichen Umfang beschränkt, nicht tragfähig und sogar widersprüchlich.

Die Streichungen beeinträchtigen die Interessen des Verfügungsklägers. Dem Verfügungskläger wurde durch die veränderte Fassung ein Text zugeordnet, der in dieser Fassung nicht von ihm stammt. Aufgrund dessen muss er ggf. mit Kritik rechnen, etwa weil er nicht ausreichend recherchiert und die Beziehungen von Frau H.-Y. zu B. nicht ausreichend kritisch beleuchtet hätte. Damit könnte der vom Antragsteller nicht gewünschte Eindruck entstehen, er wäre parteiisch oder wollte bestimmte Personen schützen. Durch den Hinweis der Verfügungsbeklagten unter dem Artikel, dass die entfernten Teile irreführend gewesen seien, drohte dem Verfügungskläger zudem der Vorwurf der unsachgemäßen, ggf. tendenziösen Berichterstattung. Beides muss er grundsätzlich vor dem Hintergrund seiner urheberpersönlichkeitsrechtlichen Beziehung zu dem Sprachwerk nicht hinnehmen.

Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung überwiegen die Interessen des Verfügungsklägers die der Verfügungsbeklagten. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der Gesamteindruck des Werks durch die Änderungen in journalistisch-erzählerischer wie in sprachlicher Hinsicht erheblich verändert wurde (s. o.) und die Urheberinteressen des Verfügungsklägers entsprechend schwerwiegend beeinträchtigt wurden. Die von der Verfügungsbeklagten vorgetragenen Gegeninteressen können diesen Eingriff nicht rechtfertigen.

Zu berücksichtigen sind vorliegend das Interesse der Antragsgegnerin, nicht durch Frau H.-Y. verklagt zu werden und diesbezüglich eine Opportunitätsentscheidung treffen zu können, und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Frau H.-Y. – insoweit hat die Verfügungsbeklagte entsprechende Gegendarstellungsverlangen von Frau H.-Y. nach Ansicht des Gerichts hinreichend glaubhaft gemacht. Das Interesse der Verfügungsbeklagten, einen Prozess zu vermeiden, ist im Wesentlichen wirtschaftlicher Natur und damit nach Auffassung des Gerichts nicht besonders gewichtig. Insbesondere sind auch die Prozessaussichten von Frau H.-Y. völlig unklar. Der Verfügungskläger bezeichnet Frau H.-Y. im Originalartikel als „Rüstungs- und Kriegslobbyistin“. Diese Bezeichnung könnte ggf. eine Ehrverletzung darstellen und einen Unterlassungsanspruch von Frau H.-Y. rechtfertigen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Frau H.-Y. unstreitig nicht im Lobbyregister des Bundestags eingetragen ist. Auf der anderen Seite ist fraglich, ob dem Lobbyregister in diesem Zusammenhang ausschlaggebende Bedeutung zukommen kann und es sich nicht gerade mit Blick auf den Begriff der „Kriegslobbyistin“ um eine Meinungsäußerung des Verfügungsklägers handelt. An dieser Frage hängen das Prozessrisiko der Verfügungsbeklagten und das Gewicht der zu berücksichtigenden Interessen von Frau H.-Y.. Letztlich kann die Frage jedoch dahinstehen. Denn jedenfalls wäre es aus Sicht der Verfügungsbeklagten geboten gewesen, den Verfügungskläger vor der Entfernung der beiden Textstellen um seine Zustimmung zu bitten. Hätte er zugestimmt, hätte die Verfügungsbeklagte die Kürzungen unproblematisch vornehmen können. Hätte er nicht zugestimmt, hätte die Verfügungsbeklagte den Artikel im Gesamten von ihrem Online-Auftritt entfernen können. Der Beklagten wäre in diesem Fall lediglich ein Schaden in Höhe des an den Kläger gezahlten Honorars von 400,00 EUR entstanden. Indem sie eine entsprechende Nachfrage unterließ, gewährte sie ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen eigenständig Vorrang vor den urheberrechtlichen Interessen des Verfügungsklägers. Sie beeinträchtigte damit das Urheberrecht des Verfügungsklägers in so schwerwiegender Weise, dass sein Interesse die Interessen der Verfügungsbeklagten und die Interessen von Frau H.-Y. nach Auffassung des Gerichts überwiegt. Da also bereits das Gesetz die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Änderungen verbietet, kommt es nicht darauf an, ob die Forderung des Verfügungsklägers, dass alle Änderungen an dem Artikel mit ihm abgesprochen werden müssten, noch Vertragsbestandteil geworden ist. Insofern ist aber darauf hinzuweisen, dass Urheberpersönlichkeitsrechte im Grundsatz aufgrund ihrer engen persönlichen Verbundenheit zum Werk die Tendenz haben, soweit wie möglich beim Urheber zu bleiben (vgl. zu § 13 UrhG: BGH, GRUR 1995, 671 – Namensnennungsrecht des Architekten). Ein wirksamer Verzicht auf die Ausübung von solchen urheberrechtlichen Positionen ist nur ausnahmsweise anzunehmen. Dabei trägt vorliegend jedoch die Verfügungsbeklagte bereits keinen schuldrechtlichen Verzicht auf urheberrechtliche Positionen bzw. eine schuldrechtliche Einigung hinsichtlich zukünftiger einseitiger Änderungen am Text durch sie vor.

Weil bereits eine Beeinträchtigung des Werks i. S. d. § 14 UrhG vorliegt, kann die Verfügungsbeklagte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Verfügungskläger seine Einwilligung zu den Änderungen nach Treu und Glauben nicht hätte versagen können, § 39 Abs. 2 UrhG. Im Übrigen erlaubt § 39 Abs. 2 UrhG bei Printmedien lediglich die Korrektur von Schreib- oder Interpunktionsfehlern, ggf. auch die Verbesserung sprachlicher Ausdrücke etwa eines nicht muttersprachlichen Autors. Die sinnentstellende Kürzung von Beiträgen ist jedoch nicht von § 39 Abs. 2 UrhG umfasst (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 7. Aufl. 2022, § 39 Rn. 19; Wandtke, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 6. Aufl. 2022, § 39 Rn. 26). Auch aus dem Vortrag der Verfügungsbeklagten, es entspreche ständiger Branchenübung im Zeitungswesen, dass redaktionelle Änderungen ohne weitere Absprachen zulässig seien, folgt nichts anderes. Denn nach den vorstehenden Ausführungen handelt es sich bei den von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Änderungen gerade nicht um redaktionelle Änderungen, also die Berichtigung von offensichtlichen Schreib- oder Interpunktionsfehlern, sondern die Beeinträchtigung des Werks in seinem journalistischen und sprachlichen Kern.

Der veränderte Artikel wurde sodann über die Webseite der Verfügungsbeklagten öffentlich zugänglich gemacht, § 19a UrhG. Dies war angesichts der von der Verfügungsbeklagten vorgenommen Veränderungen nicht mehr von der ursprünglich eingeräumten Lizenz des Verfügungsklägers gedeckt, mithin rechtswidrig. Die für die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch die vorangegangene Rechtsverletzung indiziert. Diese kann grundsätzlich nur durch Abgabe einer geeignet strafbewehrten Unterlassungsverpflichtung beseitigt werden. Eine solche hat die Antragsgegnerin auf die Abmahnung des Verfügungsklägers vom 14.04.2023 nicht abgegeben.

2. Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Dringlichkeit als Voraussetzung des Verfügungsgrunds wird im Urheberrecht – anders als im Lauterkeitsrecht nach § 12 Abs. 1 UWG – zwar nicht vermutet. Der Antragsteller hat vielmehr darzutun und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO vorliegen und der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar ist (vgl. OLG Köln ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Nürnberg GRUR-RR 2019, 64). Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung wird sich die Dringlichkeit aber auch ohne Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben (vgl. OLG Köln ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Köln BeckRS 2016, 09601; OLG München BeckRS 2008, 42109). So liegen die Dinge hier. Die Rechtsverletzung dauerte im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch an. Aufgrund der Aktualität des Artikels und der schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner Urheberinteressen musste der Verfügungskläger sich vorliegend nicht auf das Hauptsacheverfahren verweisen lassen.

III. Die durch §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO vorgesehene Vollziehungsfrist von einem Monat ab Zustellung der einstweiligen Verfügung beim Verfügungskläger ist durch die Zustellung der Beschlussverfügung vom 28.04.2023 bei der Verfügungsbeklagten am 25.05.2023 (vgl. Bl. 190 d. A.) gewahrt.

IV. Auch war die Beschlussverfügung nicht wegen eines Gehörsverstoßes des Gerichts aufzuheben. Die Kammer hat bereits mit Verfügung vom 09.06.2023 darauf hingewiesen, dass der Verfügungsbeklagten die Antragsschrift vom 19.04.2023 und der Hinweisbeschluss vom 19.04.2023 per E-Mail am 20.04.2023 übersendet worden sind. Gegen eine Unkenntnis der Verfügungsbeklagten spricht zudem die E-Mail von Herrn T. an den Verfügungskläger vom 05.05.2023, in der Herr T. dem Verfügungskläger eine außergerichtliche Beilegung des Streits vorschlug (Bl. 246 d. A.). Jedenfalls wirkt sich ein etwaiger Gehörsverstoß durch die Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 10.08.2023 und die damit einhergehende Möglichkeit zur rechtlichen Stellungnahme für das weitere Verfahren nicht aus (vgl. ausführlich Urteil der Kammer vom 03.03.2022, Az. 14 O 419/21).


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VG Minden: Betreiber von Blogs und YouTube-Kanälen können sich auf Pressefreiheit berufen sofern die Informationsweitergabe eine gewisse Struktur aufweist

VG Minden
Beschluss vom 16.08.2023
1 L 729/23


Das VG Minden hat entschieden, dass sich auch Betreiber von Blogs und YouTube-Kanälen auf die Pressefreiheit berufen können, sofern die Informationsweitergabe eine gewisse Struktur aufweist.

Aus den Entscheidungsgründen:
IV. In dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang ist der Antrag des Antragstellers begründet. Insoweit hat er sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dass die einstweilige Anordnung die Hauptsache vorwegnimmt, steht ihrem Erlass nicht entgegen.

1. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO bestimmt, dass das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen kann, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei sind sowohl die tatsächlichen Voraussetzungen des zugrundeliegenden materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) als auch die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO). Dies ist hier der Fall.

2. Ein Anordnungsanspruch liegt vor. Dieser Anspruch ergibt sich mangels einer einschlägigen gesetzlichen Regelung unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GG (Pressefreiheit). Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, Pressevertreter zu sein, der Antragsgegner hat diese Glaubhaftmachung nicht erschüttert (a.). Pressevertretern ist die Mitnahme der für ihre Berichterstattung erforderlichen Geräte in ein Gerichtsgebäude zu gestatten (b.). Die Absicht eines Pressevertreters, über ein ihn selbst betreffendes Gerichtsverfahren zu berichten, schließt eine Berufung auf die Pressefreiheit nicht aus (c.). Die weiteren vom Antragsgegner vorgebrachten Argumente stehen dem Erlass der einstweiligen Anordnung ebenfalls nicht entgegen (d).

a. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, Angehöriger der Presse zu sein, der Antragsgegner hat diese Glaubhaftmachung nicht erschüttert.

aa. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG war von Anfang an auf eine umfassende Erfassung jeglicher Medien angelegt. Seine Beschränkung auf Presse, Rundfunk und Film ist allein historisch bedingt, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst alle zum Zeitpunkt der Erarbeitung des Grundgesetzes bekannten Medien.

Vgl. Grabenwarter, in: Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 5 Rn. 262 ff. (Stand: Januar 2018); Kühling, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Art. 5 GG Rn. 88 (Stand: Februar 2023).

Dementsprechend müssen alle seitdem hinzugekommenen, insbesondere digitale Massenkommunikationsmittel in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einbezogen werden. Da die Rundfunkfreiheit angesichts der vom Bundesverfassungsgericht identifizierten Besonderheiten einen Sonderstatus innehat

- vgl. Cornils, in: Löffler, Presserecht, 6. Auflage 2015, § 1 LPG Rn. 200; Kühling, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Art. 5 GG Rn. 88 (Stand: Februar 2023) -

und diese wie die Filmfreiheit spezifisch auf die Verbreitung einer Kombination von Ton und bewegten Bildern ausgerichtet ist, ist allen neuen Medien - die sich wie die Tätigkeit des Antragstellers - nicht als Rundfunk oder Film darstellen, zumindest auf der Rechtsfolgenseite ein Schutz wie der Presse zu gewähren. Dies gilt nicht nur für die digitale Transformation klassischer Zeitungsangebote im Internet ("Online-Zeitung"), sondern auch für sonstige Informationsangebote im Internet, wie z.B. Blogs oder Videoplattformen wie z.B. YouTube.

Vgl. mit im Einzelnen unterschiedlichen Konturierungen Cornils, in: Löffler, Presserecht, 6. Auflage 2015, § 1 LPG Rn. 188 ff.; Grabenwarter, in: Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 5 Rn. 245 und 250 ff. (Stand: Januar 2018); Kühling, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Art. 5 GG Rn. 88 (Stand: Februar 2023).

Der entwicklungsoffene Wortlaut des Art. 5 Abs.1 Satz 2 GG

- vgl. Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, Art. 5 Rn. 68; Kühling, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Art. 5 GG Rn. 88 (Stand: Februar 2023) -

steht dem nicht entgegen.

Vgl. Grabenwarter, in: Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 5 Rn. 262 (Stand: Januar 2018).

bb. Der persönliche Schutzbereich der so verstandenen Pressefreiheit erfasst alle Personen, die Informationen beschaffen, sie aufbereiten und sodann unter Nutzung medialer Verbreitungswege einem unbestimmten Personenkreis zugänglich machen.

Vgl. Grabenwarter, in: Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 5 Rn. 220 (Stand: Januar 2018).

Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Personen hauptberuflich, nebenberuflich oder ehrenamtlich tätig sind.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1996 - 1 BvR1183/90 -, BVerfGE 95, 28 (juris Rn. 25); Grabenwarter, in: Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 5 Rn. 220 (Stand: Januar 2018).

Eine besondere Qualifikation ist ebenso wenig zu fordern

- vgl. Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, Art. 5 Rn. 75a -

wie ein journalistisches Mindestniveau.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1602/07 u.a. -, BVerfGE 120, 180, Rn. 42; Cornils, in: Löffler, Presserecht, 6. Auflage 2015, § 1 LPG Rn. 205, 210, und 212.

Erforderlich ist allerdings eine gewisse Strukturierung der Informationsweitergabe, so dass z.B. bloße Äußerungen in einem Chat-Room nicht unter die Presse-, sondern unter die Meinungsfreiheit fallen.

Vgl. Kühling, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Art. 5 GG Rn. 88 (Stand: Februar 2023).

cc. Danach hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, als Pressevertreter tätig zu sein. Er betreibt seinen Angaben zufolge, die sich durch Recherchen im Internet bestätigt haben, einen YouTube-Kanal (…) und zumindest einen Blog (…). Für diese Plattformen beschafft der Antragsteller Informationen, bereitet sie auf und macht sie auf diesen Plattformen als medialem Verbreitungsweg einem unbestimmten Personenkreis zugänglich. Soweit dies in der Kürze der für die Entscheidung des Gerichts zur Verfügung stehenden Zeit geprüft werden konnte, leistet der Antragsteller auch ein gewisses Mindestmaß an Strukturierung der Informationsweitergabe. Dass der Antragsteller neben einigen eigenen Beiträgen vielfach "nur" Beiträge Dritter verlinkt

- hierzu Cornils, in: Löffler, Presserecht, 6. Auflage 2015, § 1 LPG Rn. 205 -

und zumindest mit seinem YouTube-Kanal angesichts der Anzahl der dort dokumentierten Abonnenten und Aufrufe wohl nur über eine beschränkte Reichweite verfügt, steht seiner Glaubhaftmachung, er sei Pressevertreter, nicht entgegen. Insoweit kommt es nur auf die potentielle Reichweite seiner Angebote an

- vgl. Cornils, in: Löffler, Presserecht, 6. Auflage 2015, § 1 LPG Rn. 209 -,

die bei internetbasierten Angeboten unbegrenzt ist. Ob Vertreter der Presse über einen Presseausweis verfügen, ist für ihre Einbeziehung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unbeachtlich.

b. Angehörigen der Presse ist die Mitnahme der für ihre Berichterstattung erforderlichen Geräte in ein Gerichtsgebäude zu gestatten. Der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst alle im Zusammenhang mit der Presse stehenden Tätigkeiten von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und Meinung. Geschützt sind die ungehinderte Recherche und sonstige Informationsbeschaffung unter Nutzung pressespezifischer Methoden.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2001 - 1 BvR 2623/95 u.a. -, BVerfGE 103, 44 (juris Rn. 54); Cornils, in: Löffler, Presserecht, 6. Auflage 2015, § 1 LPG Rn. 211.

Zu diesen Methoden gehört auch die Anfertigung von Fotos und Filmaufnahmen.

c. Die Absicht eines Vertreters der Presse, über ein ihn selbst betreffendes Gerichtsverfahren zu berichten, schließt eine Berufung auf die Pressefreiheit nicht aus. Die Presse entscheidet selbst, worüber sie berichtet. Im Zentrum des durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährten Schutzes steht die Freiheit der Gründung von Presseunternehmen und die Gestaltung von Presseerzeugnissen. Die Gestaltungsfreiheit wird sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht gewährleistet. Zur inhaltlichen Gestaltungsfreiheit gehört die Bestimmung, welche Themen behandelt und welche Beiträge veröffentlicht werden sollen. Zur formalen Gestaltungsfreiheit gehört die Entscheidung über die äußere Darbietung der Beiträge sowie ihre Platzierung innerhalb einer Veröffentlichung.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 1998 - 1 BvR 1861/93 u.a. -, BVerfGE 97, 125 (juris Rn. 107).

Für das Gericht ist auch nicht erkennbar, dass ein Bericht über eine die Presse selbst betreffende Angelegenheit - wie der Antragsgegner meint - gegen den Pressekodex verstößt. Ziffer 6 des Pressekodex (Trennung von Tätigkeiten), auf die sich der Antragsgegner bezieht, lautet:

"Journalisten und Verleger üben keine Tätigkeiten aus, die die Glaubwürdigkeit der Presse in Frage stellen könnten."

Richtlinie 6.1 (Doppelfunktion), die Ziffer 6 des Pressekodex erläutert, lautet:

"Übt ein Journalist oder Verleger neben seiner publizistischen Tätigkeit eine Funktion, beispielsweise in einer Regierung, einer Behörde oder in einem Wirtschaftsunternehmen aus, müssen alle Beteiligten auf strikte Trennung dieser Funktionen achten. Gleiches gilt im umgekehrten Fall."

Ein "Verbot" der Berichterstattung in eigener Sache lässt sich dem ebenso wie den übrigen "Bestimmungen" des Pressekodex nicht entnehmen. Im Übrigen führen jedenfalls vereinzelte Verstöße gegen den Pressekodex, der eine freiwillige Selbstverpflichtung darstellt, nicht zu einem Verlust des Schutzes aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

d. Die weiteren vom Antragsgegner vorgebrachten Argumente stehen dem Erlass der einstweiligen Anordnung ebenfalls nicht entgegen. Ob für den vom Antragsteller geplanten Beitrag ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht, ist rechtlich unerheblich.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. März 2010 - 1 BvR 1891/05 -, NJW-RR 2010, 1195, Rn. 29.

Die diesbezügliche Forderung des Antragsgegners verstößt gegen die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Presse. Danach bestimmt die Presse - wie bereits vorstehend unter c. dargelegt - selbst, worüber sie wie berichtet. Die weiteren Hinweise des Antragsgegners, der Antragsteller könne außerhalb des Justizgebäudes filmen und schriftlich über den Prozessverlauf berichten, steht mit der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit der Presse ebenfalls nicht in Einklang.


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BGH: In Teilen unzulässige Fernsehberichterstattung über Kindesentführung mit Fotos und Telefonmitschnitten wegen Schutzbedürftigkeit des Opfers auch 35 Jahre später

BGH
Urteil vom 06.06.2023
VI ZR 309/22
BGB § 823; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5


Der BGH hat entschieden, dass die Fernsehberichterstattung über eine Kindesentführung mit Fotos des Opfers und Telefonmitschnitten wegen der Schutzbedürftigkeit des damals minderjährigen Opfers auch 35 Jahre nach der Tat in Teilen unzulässig ist.

Leitsatz des BGH:
Zur teilweisen Unzulässigkeit einer Filmberichterstattung über eine Kindesentführung wegen Schutzbedürftigkeit des Opfers.

BGH, Urteil vom 6. Juni 2023 - VI ZR 309/22 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sieh hier:


BVerwG: BMJ muss keinen Informationszugang zu Unterlagen gewähren die ein von der Generalbundesanwalt geführtes strafrechtliches Ermittlungsverfahren betreffen

BVerwG
Urteil vom 29.03.2023
10 C 6.21


Das BVerwG hat entschieden, dass das BMJ muss keinen Informationszugang zu Unterlagen gewähren muss, die ein von der Generalbundesanwalt geführtes strafrechtliches Ermittlungsverfahren betreffen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kein Anspruch auf Informationszugang gegen Bundesjustizministerium in einem Ermittlungsverfahren

Das Bundesministerium der Justiz muss keinen Informationszugang zu Unterlagen gewähren, die ein beim Generalbundesanwalt geführtes strafrechtliches Ermittlungsverfahren betreffen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger, ein eingetragener Verein zur Förderung der Informationsfreiheit, beantragte beim früheren Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz den Informationszugang zu einer Weisung des Bundesministeriums an den Generalbundesanwalt, zu dem gesamten Schriftverkehr in diesem Ermittlungsverfahren sowie zu den vom Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Generalbundesanwalt hierzu gefertigten Gutachten. Das Bundesjustizministerium lehnte den Antrag unter Berufung auf vorrangige Regelungen der Strafprozessordnung über den Zugang zu amtlichen Informationen ab. Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos.


Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Der Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes ist nicht eröffnet, weil er sich allein auf die materielle Verwaltungstätigkeit der Behörden und sonstigen Stellen des Bundes bezieht. Demgegenüber gehören die begehrten Informationen zum Tätigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz als Aufsichtsbehörde hinsichtlich des Generalbundesanwalts als Organ der Rechtspflege. Das Bundesjustizministerium ist insoweit selbst als Organ der Rechtspflege tätig. Sämtliche begehrten Unterlagen zu den Ermittlungen und strafrechtlichen Bewertungen des zur Strafanzeige gebrachten Handelns bilden nach den Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts den Kern der strafrechtlichen Ermittlungen.


BVerwG 10 C 6.21 - Urteil vom 29. März 2023

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, OVG 12 B 16.19 - Urteil vom 23. Juni 2021 -

VG Berlin, VG 2 K 124.18 - Urteil vom 24. Oktober 2019 -


BVerwG: Weder Informationsfreiheitsgesetz noch Bundesarchivgesetz gewähren Journalistin Anspruch auf Wiederbeschaffung von Unterlagen Helmut Kohls

BVerwG
Urteil vom 29.03.2023
10 C 2.22


Das BVerwG hat entschieden, dass weder das Informationsfreiheitsgesetz noch das Bundesarchivgesetz einer Journalistin einen Anspruch auf Wiederbeschaffung von Unterlagen Helmut Kohls gewähren.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kein Anspruch auf Wiederbeschaffung von Unterlagen Helmut Kohls

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass weder das Informationsfreiheitsgesetz noch das Bundesarchivgesetz einen Anspruch auf die Wiederbeschaffung bei einer Behörde im Antragszeitpunkt nicht mehr vorhandener Unterlagen gewähren. Zudem darf die Suche nach begehrten Informationen in äußerst umfangreichen Aktenbeständen ausnahmsweise unterbleiben, wenn sie die Wahrnehmung vorrangiger Sachaufgaben erheblich behindern würde.

Die Klägerin, eine Journalistin, begehrt vom Bundeskanzleramt unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz und das Bundesarchivgesetz Zugang zu sämtlichen amtlichen Unterlagen des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, die beim Bundeskanzleramt oder bei der Witwe Helmut Kohls vorhanden seien. Hilfsweise begehrt sie Zugang zu derartigen Unterlagen aus dem Zeitraum 1982 bis Juni 1987, höchst hilfsweise zu derartigen Unterlagen zu den Themen deutsch-südamerikanische Beziehungen, Südamerika, Chile, Argentinien und Paraguay. Das Bundeskanzleramt gewährte Einsicht in insgesamt 45 bei ihm vorhandene Unterlagen und lehnte den Antrag im Übrigen ab.


Die hierauf erhobene Klage auf Zugang zu sämtlichen begehrten Unterlagen wies das Verwaltungsgericht ab. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die nicht thematisch eingegrenzten Anträge seien nicht hinreichend bestimmt, weil sie nicht sinnvoll bearbeitet werden könnten. Hinsichtlich der Unterlagen zu Südamerika sei der Anspruch nach erfolgter Stichwortsuche in sämtlichen Registraturen vollständig erfüllt. Die Beklagte habe hinreichend dargelegt, dass eine händische Suche unzumutbar sei, weil dies die Durchsicht von über 9000 Aktenbänden voraussetze. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Wiederbeschaffung weiterer Unterlagen, falls sich solche - was ungeklärt geblieben ist - im Besitz der Witwe Helmut Kohls befinden sollten.


Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Zwar steht die Annahme, die Anträge der Klägerin seien zu unbestimmt, nicht mit Bundesrecht in Einklang. Ein Informationszugangsantrag muss erkennen lassen, auf welche Informationen er gerichtet ist. Das war hier der Fall. Insoweit erweist sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aber aus anderen Gründen als richtig. Eine Behörde darf die Suche nach Informationen in einem äußerst umfangreichen Aktenbestand ausnahmsweise verweigern, wenn mit ihr ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Dies ist zu bejahen, wenn die informationspflichtige Behörde bei der Wahrnehmung ihrer vorrangigen Sachaufgaben erheblich behindert würde. So liegt es, wenn Akten im Umfang mehrerer tausend Bände oder der gesamte über mehrere Jahre entstandene Aktenbestand händisch durchsucht werden müssten. Im Einklang mit Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht einen Anspruch auf Wiederbeschaffung bei der Behörde im Antragszeitpunkt nicht mehr vorhandener Unterlagen abgelehnt. Das Informationsfreiheitsgesetz und das Bundesarchivgesetz gewähren lediglich einen Anspruch auf Zugang zu Unterlagen, die bei Antragstellung bei der informationspflichtigen Stelle vorhanden sind.

BVerwG 10 C 2.22 - Urteil vom 29. März 2023

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, OVG 12 B 17/20 - Urteil vom 03. Juni 2022 -

VG Berlin, VG 2 K 218.17 - Urteil vom 26. Mai 2020 -



BGH: Bildberichterstattung über einen Bundespolizisten bei einem Einsatz mit einem unverpixelten Foto kann zulässig sein

BGH
Urteil vom 08.112022
VI ZR 22/21
BGB § 823, § 1004 Abs. 1 Satz 2; KUG § 22, § 23 Abs. 1 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, das die Bildberichterstattung über einen Bundespolizisten bei einem Einsatz mit einem unverpixelten Foto nach Abwägung aller Umstände zulässig sein kein.

Leitsatz des BGH:
Zur Zulässigkeit einer Bildberichterstattung über einen Bundespolizisten, der bei einem Einsatz anlässlich eines Neonazifestivals Aufnäher an seiner Uniform trug.

BGH, Urteil vom 8. November 2022 - VI ZR 22/21 - OLG Naumburg - LG Dessau-Roßlau

Aus den Entscheidungsgründen:

b) Nach diesen Maßstäben stellt das unverpixelte Foto des Klägers in den im Wesentlichen gleichlautenden Artikeln auf www.bild.de und www.bz-berlin.de mit der Überschrift "Aufregung um Polizisten-Abzeichen bei Neonazi-Treffen" ein Bildnis der Zeitgeschichte dar. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorzunehmende Abwägung hier zugunsten der Beklagten ausfällt. aa) Das portraitähnliche Foto zeigt den Kläger mit unverpixeltem und halb ins Profil gedrehtem Kopf ohne Kopfbedeckung. Er trägt eine Sonnenbrille; sein

Gesicht mit Ausnahme seiner Augen ist gut zu erkennen. Aufgrund des portraitartigen Charakters des Bildes kann er im Kollegen- und Bekanntenkreis identifiziert werden. Er steht vor einem Einsatzfahrzeug der Polizei in Uniform. Zu sehen ist nur der Oberkörper. Auf seiner Schutzweste ist in Brusthöhe der Schriftzug "POLIZEI" zu lesen. Unter diesem Schriftzug sind zwei Aufnäher zu erkennen.

Der eine zeigt ein Schwert mit nach unten zeigender Spitze und einem auf der Klinge des Schwertes unterhalb des Griffs angebrachten Schild mit rotem Kreuz. Rechts und links der Klinge sind Flügel mit Federn zu sehen. Über dem Schwert steht in Großbuchstaben "RECTE FACIENDO NEMINEM TIMEAS", übersetzt: "Tue Recht und scheue niemand". Auf dem zweiten Aufnäher ist ein griechisches Omega zu sehen. Das Rund des griechischen Buchstabens umschließt einen Spartanerhelm mit zwei gekreuzten Schwertern. Unterhalb des Buchstabens steht "ΜΟΛΟΝ ΛΑΒΕ" (Molon Labe), übersetzt: "Komm und hol sie dir"

Für den unvoreingenommenen und verständigen Leser (vgl. Senatsurteile vom 27. April 2021 - VI ZR 166/19, AfP 2021, 336 Rn. 11; vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21, juris Rn. 29; jeweils mwN) wirft die Bildberichterstattung im Gesamtzusammenhang die offene Frage auf, ob der Kläger mit der rechten Szene
sympathisiert. Mit diesem Informationsgehalt beeinträchtigt die angegriffene Berichterstattung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers zusätzlich in seinen Ausprägungen des Schutzes der Berufsehre und der sozialen Anerkennung (vgl. dazu Senatsurteile vom 27. September 2016 - VI ZR 250/13, NJW 2017, 482 Rn. 17, 31; vom 26. Januar 2021 - VI ZR 437/19, VersR 2021, 856 Rn. 18).

bb) Den Berichterstattungen kommt erheblicher Informationswert zu. Der Artikel befasst sich bereits in seinem ersten Absatz, in dem der Inhalt des Tweets der Initiative "Rechts rockt nicht!" erläutert wird, auch mit der Problematik, inwieweit Polizisten mit rechtsnationalen oder gar rechtsradikalen Gruppierungen sympathisieren. Anders als die Revision meint, beschäftigt er sich nicht nur damit, welche Bedeutung die vom Kläger getragenen Aufnäher haben könnten und ob diese Abzeichen an der Uniform erlaubt gewesen seien.
[...]
(1) Das Bild des Klägers mit dem Text des Tweets der Initiative "Rechts rockt nicht!" illustriert die sachlich gehaltene Textberichterstattung der Beklagten zu der Thematik, dass ein Bundespolizist bei einem dienstlichen Einsatz anlässlich eines Neonazifestivals am 22. Juni 2019 zwei fragwürdige Aufnäher an der
Uniform getragen habe. Der Kläger hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eingeräumt, dass einzelne auf den Aufnähern zu erkennende Elemente in der rechten Szene Verwendung finden. Er hat nur bestritten, dass die beiden Aufnäher in ihrer Gesamtheit in diesen Kreisen benutzt würden. Da die Berichterstattung gerade nicht die Tatsachenbehauptung aufstellt, die vom Kläger auf dem Bild getragenen Aufnäher würden in ihrer Gesamtheit in der rechten Szene verwendet, musste das Berufungsgericht dieser Frage nicht nachgehen. Es musste auch die vom Kläger behauptete teils religiöse Bedeutung der Aufnäher nicht weiter aufklären. Schließlich konnte offen bleiben, ob der Spruch "Molon Labe", wie im Artikel behauptet und vom Kläger bestritten, tatsächlich auch von "Waffen-Fans in den USA" genutzt wird. Selbst wenn sich diese Tatsachenbehauptung als falsch herausstellen sollte, änderte dies am Aussagegehalt des Artikels in Bezug auf den Kläger, der eingeräumt hat, dass jedenfalls einzelne Elemente der beiden Aufnäher in der rechten Szene Verwendung finden, nichts Entscheidendes.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


VG Köln: Bundesverteidigungsministerium muss Presse Auskunft über Hubschrauberflug von Ministerin Lambrecht mit Ihrem Sohn geben

VG Köln
Beschluss vom 22.08.2022
6 L 978/22


Das VG Köln hat entschieden, dass das Bundesverteidigungsministerium der Presse Auskunft über den Hubschrauberflug von Ministerin Lambrecht mit Ihrem Sohn geben muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Verteidigungsministerium muss Fragen zu Hubschrauber-Foto des Sohnes der Ministerin beantworten

Das Bundesverteidigungsministerium muss der Presse Auskunft über Details zu Entstehung und Veröffentlichung eines Fotos erteilen, das den Sohn von Ministerin Lambrecht in einem Hubschrauber der Bundeswehr zeigt. Dies hat das Verwaltungsgericht Köln mit Beschluss vom 22. August 2022 entschieden und damit dem Eilantrag eines Journalisten teilweise stattgegeben.

Das Foto entstand augenscheinlich in jenem Hubschrauber, der die Ministerin und ihren Sohn am 13. April 2022 von Berlin nach Ladelund beförderte. Die Ministerin besuchte sodann das Bataillon Elektronische Kampfführung 911 in Stadum. Nach dem Truppenbesuch reiste sie mit ihrem Sohn in einem Auto zur nahegelegenen Insel Sylt, um dort den Osterurlaub zu verbringen. Der Sohn der Ministerin veröffentlichte das Foto auf seinem damals öffentlich einsehbaren Instagram-Profil.

Der Journalist wollte vom Verteidigungsministerium wissen, welcher zeitliche Abstand zwischen der Buchung des Hotels auf Sylt und der Terminierung des Truppenbesuchs lag. Ferner wollte er wissen, welche Kenntnisse die Ministerin über die Entstehung des Fotos und seine Veröffentlichung hatte, insbesondere, ob die Ministerin das Foto selbst angefertigt habe. Das Ministerium lehnte eine Beantwortung im Wesentlichen mit der Begründung ab, eine Auskunft sei ausgeschlossen, weil diese allein die Ministerin als Privatperson betreffe. Daraufhin hat der Journalist einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Köln gestellt.

Dieser Antrag hatte ganz überwiegend Erfolg. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt: Ein Auskunftsanspruch über den Zeitpunkt der Hotelbuchung ist ausgeschlossen, weil es sich um eine Privatangelegenheit der Ministerin handelt. Anders liegt der Fall jedoch bei den Fragen zu Entstehung und Veröffentlichung des Fotos. Aus dessen Gesamtkontext ergibt sich ein hinreichender dienstlicher Bezug zur Bundeswehr: Die Anreise der Ministerin zu einem Truppenbesuch unter Inanspruchnahme eines Bundeswehrhubschraubers bildete den dienstlichen Rahmen, innerhalb dessen das Foto entstanden ist. Erst durch die Inanspruchnahme von Ressourcen der Bundeswehr und von Befugnissen, die der Ministerin als Behördenleiterin zustehen, konnte das Bild entstehen. Insoweit hat zudem das Informationsinteresse der Presse Vorrang gegenüber dem Schutz der Privatsphäre. Die streitigen Fragen zielen nicht auf eine Informationsgewinnung zu besonders sensiblen Bereichen der Privatsphäre. Zudem muss sich die Ministerin entgegenhalten lassen, dass sie selbst durch die Mitnahme ihres Sohnes in einem Bundeswehrhubschrauber ihre privaten Belange mit der Wahrnehmung ihrer Amtsgeschäfte verwoben hat.

Gegen den Beschluss können die Beteiligten Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden würde.


BVerfG: Beschaffung von Daten von Informanten durch Journalisten regelmäßig von Pressefreiheit gedeckt und nicht als Datenhehlerei nach § 202d StGB strafbar

BVerfG
Beschluss vom 30.03.2022
1 BvR 2821/16


Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass die Beschaffung von Daten von Informanten durch Journalisten regelmäßig von der Pressefreiheit gedeckt und nicht als Datenhehlerei nach § 202d StGB strafbar ist. Da die Verfassungsbeschwerde aber nicht hinreichend substantiiert war, hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten durch die angegriffenen Regelungen nicht hinreichend substantiiert dargelegt haben.

1. Die Beschwerdeführer können grundsätzlich Träger von Grundrechten und damit beschwerdefähig sein. Das gilt auch für die Beschwerdeführer zu 2) und zu 9), die als eingetragene Vereine (vgl. BVerfGE 3, 383 <390>; 10, 221 <225>; 24, 278 <282>; 97, 228 <253>; 105, 279 <292 f.>) und damit als inländische juristische Personen im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtsberechtigt sind. Juristische Personen können sich grundsätzlich auf die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Grundrechte der Presse- und Rundfunkfreiheit berufen (vgl. BVerfGE 95, 28 <34 f.>).

2. Die Beschwerdeführer haben jedoch nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt, beschwerdebefugt zu sein.

a) Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG ist zur Begründung der Verfassungsbeschwerde das angeblich verletzte Recht zu bezeichnen und der seine Verletzung enthaltende Vorgang substantiiert darzulegen (vgl. BVerfGE 9, 109 <114 f.>; 81, 208 <214>; 99, 84 <87>). Die Verfassungsbeschwerde muss sich mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 89, 155 <171>; 101, 331 <345 f.>). Die Beschwerdeführenden müssen darlegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert; sie müssen das Grundrecht in Bezug zu dem Lebenssachverhalt setzen und die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung verdeutlichen (vgl. BVerfGE 79, 203 <209>; 108, 370 <386 f.>; 120, 274 <298>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 88). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein sollen (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 101, 331 <346>; 115, 166 <179 f.>; 130, 1 <21>). Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen eine gesetzliche Vorschrift, so muss der Beschwerdeführer ausreichend substantiiert geltend machen, durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 40, 141 <156>; 60, 360 <370>; 72, 39 <43>; 79, 1 <13>; stRspr). Zu den Begründungsanforderungen an eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde gehört auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der einfachrechtlichen Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juli 2015 - 1 BvR 1560/15 -, Rn. 5; vom 20. Mai 2021 - 1 BvR 928/21 -, Rn. 12).

b) Diesen Maßstäben genügt die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis nicht. Zwar ist der Schutzbereich der Presse- und Rundfunkfreiheit eröffnet, und die Beschwerdeführer haben dargelegt, dass die Tätigkeiten, die sie durch die angegriffenen Normen für beeinträchtigt halten, dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unterfallen. Der Vortrag der Beschwerdeführer genügt hinsichtlich des geltend gemachten Eingriffs und ihrer Beschwer jedoch nicht den Anforderungen.

aa) Das Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt den gesamten Prozess der Herstellung und Verbreitung von digitalen oder analogen Presseerzeugnissen und Rundfunksendungen von der Informationsgewinnung bis zur Veröffentlichung und zum Vertrieb der hergestellten Inhalte (vgl. BVerfGE 10, 118 <121>; 66, 116 <133>; 77, 65 <74 ff.>; 117, 244 <258 f.>; stRspr). Dabei schützt das Grundrecht die an diesem Prozess berufsmäßig beteiligten Personen nicht nur vor gezielter staatlicher Einflussnahme auf die inhaltliche und formelle Gestaltung der Presse- und Rundfunkerzeugnisse. Als Grundentscheidung für ein freies Presse- und Rundfunkwesen gewährleistet Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vielmehr auch die institutionellen Rahmen- und Funktionsbedingungen der journalistischen Tätigkeit (vgl. BVerfGE 20, 162 <174 ff.>; 66, 116 <133 f.>). Zu diesen unentbehrlichen Funktionsbedingungen freier Presse- und Rundfunktätigkeit gehören insbesondere auch die grundsätzliche Zugänglichkeit der für diese Tätigkeit benötigten Informationen. Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zur Information versetzt die Medien in den Stand, die ihnen in der freiheitlichen Demokratie zukommende Funktion wahrzunehmen (BVerfGE 91, 125 <134>; 103, 44 <59>). Dies bedingt auch die Notwendigkeit eines besonderen Schutzes der für die Informationsgewinnung benötigten Quellen, des in diesem Rahmen vorausgesetzten Vertrauensverhältnisses und der Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit (vgl. BVerfGE 20, 162 <176>; 66, 116 <134>; 100, 313 <365>; 117, 244 <259>). Zudem betrifft der Schutz vor inhaltsbezogenen Einwirkungen nicht allein Eingriffe im traditionellen Sinne (zum herkömmlichen Eingriffsbegriff siehe BVerfGE 105, 279 <300>), sondern kann auch bei mittelbaren Einwirkungen auf die Presse (vgl. BVerfGE 52, 283 <296>) ausgelöst werden, wenn sie in der Zielsetzung und ihren Wirkungen Eingriffen gleichkommen (vgl. BVerfGE 105, 252 <273>). Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt den Trägern der Pressefreiheit daher ein subjektives Abwehrrecht auch gegen Beeinträchtigungen, die mittelbar über eine Einflussnahme des Staates auf Dritte eintreten, etwa dadurch, dass das Verhalten dieser Dritten die publizistischen Wirkungsmöglichkeiten oder die finanziellen Erträge des Presseorgans in einer Weise nachteilig beeinflusst, die einem Eingriff gleichkommt. Dass über faktische Nachteile des Informationshandelns hinaus rechtliche Auswirkungen an die staatliche Maßnahme geknüpft sein müssen, ist nicht Voraussetzung dafür, dass die Kommunikationsfreiheit beeinträchtigt sein kann (vgl. BVerfGE 113, 63 <76 f.>).

bb) Es bleibt in jedem Fall Sache der Beschwerdeführer, die Einzelheiten der von ihnen erstrebten Handlungen, deren Verbot sie bekämpfen möchten, hinreichend substantiiert darzulegen, so dass das Bundesverfassungsgericht in die Lage versetzt wird, die Frage der unmittelbaren Betroffenheit zu beurteilen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 92 BVerfGG; vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 88).

Die Beschwerdeführer tragen nicht hinreichend substantiiert vor, dass ein grundrechtlich geschütztes Verhalten von der angegriffenen Norm nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik betroffen und eine Auslegung im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 GG nicht möglich ist. Insbesondere sind die von den Beschwerdeführern vorgetragenen Beispielsfälle vom Tatbestand der Datenhehlerei eindeutig nicht umfasst. Mangels ersichtlicher Strafbarkeit besteht hier kein Risiko von Journalisten betreffenden strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen nach § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO (n.F.). Das Vorbringen der Beschwerdeführer lässt auch nicht erkennen, dass die angegriffenen Vorschriften für sie oder Dritte eine einem Eingriff gleichkommende abschreckende Wirkung entfalten könnten.

(1) Regelmäßig dürfte es bereits an der rechtswidrigen Tat eines anderen im Sinne des § 202d Abs. 1 StGB fehlen, durch die die Daten erlangt wurden. Handelt es sich bei dem Informanten um einen an sich berechtigten Mitarbeiter des Betroffenen, der auf die übermittelten Daten zugreifen kann, kann sich der Mitarbeiter und Informant durch die Weitergabe der Daten strafbar gemacht haben. Er hätte die Daten aber nicht durch eine rechtswidrige Tat erlangt, da er schon zuvor auf sie zugreifen konnte.

(2) Selbst bei unterstellter Verwirklichung des objektiven Tatbestandes bestehen unter Zugrundelegung des Vortrags der Beschwerdeführer erhebliche Zweifel daran, dass der subjektive Tatbestand der Datenhehlerei erfüllt sein könnte. Zunächst ist fraglich, ob sich aus den Ausführungen der Beschwerdeführer zu den von ihnen gebildeten Beispielsfällen überhaupt ein bedingter Vorsatz des Handelnden im Hinblick auf die rechtswidrige Vortat ergibt. Der Gesetzesbegründung nach reicht das Bewusstsein, dass die Daten aus irgendeiner rechtswidrigen Tat stammen, nicht aus (BTDrucks 18/5088, S. 47). Dass ein Journalist eine rechtwidrige Beschaffung der Daten aufgrund ihrer Sensibilität nicht ausschließen kann, genügt gerade nicht.

Weiter fehlt es an hinreichendem Vortrag, der eine Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht des Journalisten erkennen ließe. Die (Dritt-)Bereicherung und die Schädigung setzen gemäß der Gesetzesbegründung ausdrücklich Absicht voraus (BTDrucks 18/5088, S. 47). Die Schädigung beziehungsweise der Vorteil müssen vom Täter als Erfolg gewollt werden, es muss ihm gerade darauf ankommen. Steht die Aufklärung von Missständen im Vordergrund, richtet sich die Absicht des Täters hierauf, nicht aber auf die Schädigung.

(3) Letztlich fehlt es an hinreichendem Vortrag der Beschwerdeführer dazu, warum der Tatbestandsausschluss für sie keine Anwendung finden sollte. In Anbetracht der weiteren Gesetzesbegründung drängt sich entgegen der Annahme der Beschwerdeführer auf, dass ein umfassender Ausschluss journalistischer Tätigkeiten bezweckt wird ("Zum anderen wird klargestellt, dass [...] insbesondere journalistische Tätigkeiten unter den Tatbestandsausschluss fallen."; BTDrucks 18/5088, S. 48). Der Tatbestandsausschluss zielt darauf ab, dass eine journalistische Tätigkeit auch dann nicht unter Strafe gestellt wird, wenn Recherchen gegebenenfalls unergiebig sind und es im Ergebnis nicht zu einer Veröffentlichung kommt. Entscheidend ist die Vorstellung des jeweiligen Journalisten, dass seine Handlungen in eine konkrete Veröffentlichung münden kann.

Soweit die Beschwerdeführer vortragen, das Ausschließlichkeitskriterium des § 202d Abs. 3 Satz 1 StGB werde der journalistischen Praxis nicht gerecht, weil regelmäßig ein Bündel von Motiven vorliege, überzeugt dies bereits im Ansatz nicht. Die Lesart der Beschwerdeführer verengt in nicht nachvollziehbarer Weise den Anwendungsbereich des zugunsten der Journalisten eingefügten Tatbestandsausschlusses und steht in direktem Widerspruch zu der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Zielsetzung, journalistische Tätigkeiten umfassend zu schützen. Aus dem Wortlaut und der Systematik der Norm ergibt sich, dass die Verwendung einen objektiv funktionalen Zusammenhang zur Aufgabenerfüllung aufweisen muss. Der konkrete Zusammenhang mit der - hier journalistischen - Aufgabenerfüllung ist der Grund, der die Tatbestandslosigkeit des Umgangs mit ansonsten bemakelten Daten begründet.

(4) Die von den Beschwerdeführern monierte abschreckende und eingriffsäquivalente Wirkung der angegriffenen Normen, die eine "Aura des vielleicht Strafbaren" umgebe, lässt sich nach dem Obenstehenden nicht nachvollziehen. Ein hinreichendes Risiko, dass sich Journalisten nach § 202d StGB strafbar machen, besteht nicht. Dementsprechend ist ebensowenig mit vorgelagerten Ermittlungsmaßnahmen zu rechnen. Dies deckt sich mit der vom Bundesministerium der Justiz im Rahmen der Beantwortung des Fragenkatalogs (§ 27a BVerfGG, § 22 Abs. 5 GOBVerfG) durchgeführten Abfrage in den Landesjustizverwaltungen, wonach seit 2018 keine Verfahren nach § 202d StGB Journalisten betreffend bekannt sind.

Gleichfalls ist nicht nachzuvollziehen und von den Beschwerdeführern nicht dargelegt, dass von den angegriffenen Normen eine Einschüchterungswirkung bei den Quellen der Journalisten ausgehen sollte, da sie sich als Vortäter nicht nach § 202d StGB strafbar machen. Auch eine von den angegriffenen Normen ausgehende Abschreckungswirkung auf sonstige Mittelspersonen haben die Beschwerdeführer weder dargelegt, noch würde sie aus den eingegangenen Antworten auf den Fragenkatalog der Kammer sonstwie ersichtlich. Eine Tatbestandsverwirklichung durch Hilfspersonen der Journalisten liegt ebenfalls fern und ist nicht hinreichend ausgeführt; erhalten etwa IT-Spezialisten von Journalisten Daten zur Bearbeitung, so fehlt es aufgrund des Tatbestandsausschlusses zugunsten der Journalisten bereits an einer tauglichen, rechtswidrigen Vortat im Sinne des § 202d StGB mit Blick auf die Hilfspersonen.


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