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BVerfG: Bei Bewertung von Beiträgen auf Facebook-Seite als jugendgefährdend und etwaiger Verpflichtung zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten muss Meinungsfreiheit beachtet werden

BVerfG
Beschluss vom 27. August 2019
1 BvR 811/17


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass bei der Bewertung von Beiträgen auf einer Facebook-Seite als jugendgefährdend und einer etwaigen daraus folgenden Verpflichtung zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten die Meinungsfreiheit beachtet werden muss.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Zu der Bedeutung der Meinungsfreiheit bei der Einschätzung einer Äußerung als „jugendgefährdend“ und der daran geknüpften bußgeldbewehrten Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten

Entscheidungen, die an die Bewertung einer durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Äußerung als jugendgefährdend nachteilige Rechtsfolgen knüpfen, müssen der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit Rechnung tragen. Diese Grundsätze sind auch dann zu beachten, wenn nicht die Meinungsäußerung selbst Gegenstand eines Verfahrens ist, sondern deren Bewertung ihrerseits Grundlage für eine weitere belastende staatliche Maßnahme wird. Soweit eine Einstufung von Äußerungen als „jugendgefährdend“ die Grundlage für die bußgeldbewehrte Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten bildet, muss im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch berücksichtigt werden, welche Bedeutung eine solche Pflicht für die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung der Betroffenen besitzt. Dies hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden und einer Verfassungsbeschwerde eines Beschwerdeführers stattgegeben.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist einer der Landesverbände der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und unterhält eine allgemein zugängliche Facebook-Seite, auf der er eigene Texte zu politischen Themen einstellt und auf fremde Texte verlinkt. Zwischen November 2014 und Januar 2016 erstellte der Beschwerdeführer eine Vielzahl von kämpferischen Beiträgen zur Flüchtlingspolitik, die sowohl von Nutzerinnen und Nutzern als auch von dem Beschwerdeführer selbst mit grob herabsetzenden Kommentaren gegenüber Flüchtlingen versehen wurden. Aufgrund der Beiträge setzte die Landesmedienanstalt gegen den Beschwerdeführer eine Geldbuße fest. Der Beschwerdeführer habe einen Jugendschutzbeauftragten bestellen müssen, da er jugendgefährdende Angebote geschäftsmäßig über Telemedien zugänglich mache.

Auf den hiergegen gerichteten Einspruch stellte das Amtsgericht fest, dass es nicht darauf ankomme, ob die Beiträge tatsächlich volksverhetzenden Inhalt hätten. Die Jugendgefährdung folge schon aus den grob vereinfachten Darstellungen, Slogans und Kommentaren, die geeignet seien, zur undifferenzierten Ablehnung ganzer Bevölkerungsgruppen und aggressiver Feindseligkeit gegenüber religiösen und ethnischen Minderheiten beizutragen. Demnach habe der Beschwerdeführer einen Jugendschutzbeauftragten bestellen müssen; weil er dies versäumt habe, sei die verhängte Geldbuße rechtmäßig. Das Kammergericht verwarf die Rechtsbeschwerde als unbegründet. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

I. Soweit der Beschwerdeführer rügt, durch die angegriffenen Entscheidungen in seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt zu sein, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet.

Politische Parteien sind Träger von Grundrechten, insbesondere der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Gegenstand des Schutzbereichs sind Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden. Daher fallen die beanstandeten Kommentare nicht schon deshalb aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, weil sie sich gegen Minderheiten richten oder einen hetzerischen und möglicherweise offen rassistischen Gehalt aufweisen.

II. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltslos gewährt. Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit bedarf aber immer der besonderen Rechtfertigung. So ist es erforderlich, dass Entscheidungen, die an die Bewertung einer durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Äußerung als jugendgefährdend nachteilige Rechtsfolgen, wie die Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten, knüpfen, die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit berücksichtigen.

Diesen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht. Erforderlich ist eine nachvollziehbare Darlegung der einzelnen Subsumtionsschritte unter die Tatbestandsmerkmale der angewendeten Norm, in der sich die Fachgerichte mit der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit auseinandersetzen und insbesondere den hier in Frage stehenden Jugendschutz berücksichtigen. Das Gericht hat hingegen die Äußerungen nur pauschal als jugendgefährdend eingestuft, ohne einzelfallbezogen den Bedeutungsgehalt der beanstandeten Äußerungen in tragfähiger Weise zu ermitteln und die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers zu berücksichtigen. Insbesondere setzte es sich nicht in irgendeiner Weise mit der hier in Frage stehenden Sanktion - der Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten - und deren Bedeutung und Eingriffsgewicht für Verantwortliche von Äußerungen in sozialen Netzwerken auseinander.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



VG München: Lasertag-Verbot für unter 14jährige Kinder nebst Zutrittsverbot im Eilverfahren bestätigt

VG München
Beschluss vom 07.12.2107
M 18 S 17.3702


Das VG München hat das Lasertag-Verbot für unter 14jährige Kinder nebst Zutrittsverbot der Stadt Ingolstadt in einem Eilverfahren bestätigt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Kein Lasertag-Spiel für unter 14-Jährige – Verbot der Stadt Ingolstadt vorläufig bestätigt

Kinder unter 14 Jahren dürfen vorerst weiterhin nicht am Lasertag-Spiel in einer Halle im Raum Ingolstadt teilnehmen. Mit heute bekannt gegebenem Beschluss hat die 18. Kammer des Verwaltungsgerichts München einen Eilantrag gegen ein
Zutrittsverbot zu einer Lasertaganlage für unter 14-Jährige Personen abgelehnt.

Beim Lasertag-Spiel versuchen Spieler, mit einem speziellen Laserpointer Gegenspieler oder andere Ziele zu treffen. Treffer werden auf den von den Spielern getragenen Westen blinkend angezeigt. Die Stadt Ingolstadt untersagte dem Betreiber einer Lasertaganlage aus Jugendschutzgründen den Zutritt von Personen unter 14 Jahren. Es sei eine desensibilisierende und aggressionssteigernde Wirkung des Lasertag-Spiels auf Kinder zu erwarten. Laut Betreiber stellt Lasertag hingegen eine
Weiterentwicklung hergebrachter Fangspiele („Räuber und Gendarm“) und Ballspiele (Brennball, Völkerball) dar.

Die Eilentscheidung des Gerichts beruht auf einer Güterabwägung. Ob das Lasertag-Spiel für die psychologische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen als eine moderne Variante hergebrachter Spiele einzuordnen oder als verfremdetes, die psychologische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigendes Kriegsspiel anzusehen ist, konnte von der Kammer mangels entsprechender empirischer Studien im Eilverfahren nicht abschließend geklärt werden. Auch besteht noch Klärungsbedarf hinsichtlich des konkreten Betriebskonzepts der Anlage. Der Schutz der seelischen und geistigen
Gesundheit von Kindern unter 14 Jahren überwiege jedoch die finanziellen Interessen des Betreibers, sodass dieser etwaige durch das Zutrittsverbot entstehenden Umsatzeinbußen bis zur gerichtlichen Klärung in der Hauptsache
hinnehmen müsse.

Gegen den bereits am 7. Dezember 2017 gefassten Beschluss (M 18 S 17.3702) kann innerhalb von zwei Wochen Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt werden