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EuGH-Generalanwalt: Patentanwaltsgebühr nach § 140 Abs. 4 MarkenG im Markenstreitverfahren ohne Prüfung der Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung unionsrechtswidrig

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 11. November 2021(1)
C‑531/20
NovaText GmbH gegen Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass die Erstattungsfähigkeit der Patentanwaltsgebühr nach § 140 Abs. 4 MarkenG im Markenstreitverfahren ohne Prüfung der Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung unionsrechtswidrig ist.

Aus den Schlussanträgen:

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Bundesgerichtshof (Deutschland) wie folgt zu antworten:

Die Art. 3 und 14 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.°April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift entgegenstehen, die die Pflicht der unterliegenden Partei zur Erstattung der Kosten, die der obsiegenden Partei für die Mitwirkung eines Patentanwalts an einem markenrechtlichen Gerichtsverfahren entstanden sind, unabhängig davon vorsieht, ob die Mitwirkung des Patentanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Erstattungsfähigkeit der Patentanwaltskosten ohne Erforderlichkeit nach § 140 Abs. 4 MarkenG bedenklich aber verfassungsgemäß

OLG Frankfurt
Beschluss vom 22.01.2020
6 W 2/20


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Erstattungsfähigkeit der Patentanwaltskosten ohne Erforderlichkeit nach § 140 Abs. 4 MarkenG (früher § 140 Abs. 3 MarkenG - daher ist in der Entscheidung von § 140 III MarkenG die Rede ) bedenklich aber verfassungsgemäß ist. Das OLG Frankfurt hat die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.

Aus den Entscheidungsgründen:

1.) Gemäß § 140 III MarkenG sind von den Kosten, die durch die Mitwirkung eines Patentanwalts in einer Kennzeichenstreitsache entstehen, die Gebühren nach § 13 RVG und außerdem die notwendigen Auslagen des Patentanwalts zu erstatten.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Kosten für die Mitwirkung eines Patentanwalts in einer Kennzeichenstreitsache nach § 140 III MarkenG ohne Prüfung der Erforderlichkeit stets zu erstatten. Es ist nicht zu prüfen, ob die Mitwirkung des Patentanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne des § 91 I 1 ZPO notwendig war. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Patentanwalt gegenüber dem Rechtsanwalt eine „Mehrleistung“ erbracht hat (vgl. BGH GRUR 2003, 639, 64; BGH, GRUR 2011, 754 Tz. 17, BGH GRUR 2012, 756 Tz. 20, GRUR 2012, 759 Tz. 11 - Kosten des Patentanwalts I bis IV; GRUR 2016, 526 Tz. 46 - Irreführende Lieferantenangabe). Soweit für den Senat ersichtlich wurde diese Beurteilung bisher auch in der Instanzrechtsprechung durchgehend und in der Kommentarliteratur weitgehend vertreten; in letzter Zeit mehren sich jedoch die Stimmen, die Regelung für rechtspolitisch verfehlt oder sogar verfassungs- oder europarechtswidrig halten (Gruber in BeckOK Markenrecht, 19. Edition, § 140, Rnr. 33 ff; Gruber ZRP 2017, 53; Barnitzke, GRUR 2016, 908; vgl. auch BPatG GRUR 2000, 331, 333).

2.) Dass Patentanwalt A an dem Rechtsstreit mitgewirkt hat, wird von der sofortigen Beschwerde nicht explizit in Abrede gestellt. Jedenfalls aber reicht es für die Mitwirkung des Patentanwalts und die Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten regelmäßig aus, wenn die Mitwirkung eines Patentanwalts anwaltlich versichert wird, § 140 Abs. 2 ZPO (OLG Saarbrücken GRUR-RR 2009, 326 (327)). Den beteiligten Anwälten kann weder die wahrheitswidrige Behauptung einer Mitwirkung noch die Erstellung von Scheinrechnungen unterstellt werden (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2012, 308 (309) - Fahrbare Betonpumpen; OLG Saarbrücken GRUR-RR 2009, 326 (327)). Ausreichend ist sogar schon, wenn die Mitwirkung zu Beginn des Verfahrens angezeigt und später eine auf das Verfahren bezogene Rechnung vorgelegt wird (Senat, GRUR-RR 2012, 307), wie es hier geschehen ist.

3.) Soweit der Beklagte die Erforderlichkeit der Mitwirkung des Patentanwalts in Abrede stellt, ist diese gemäß § 140 III MarkenG nicht Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit. Gegen diese eindeutige gesetzliche Regelung mögen zwar erhebliche rechtspolitische Bedenken bestehen. Der Senat hat jedoch keine durchgreifenden Bedenken, dass die Regelung mit Verfassungsrecht und Europarecht vereinbar ist, so dass weder eine Richtervorlage nach Art. 100 GG noch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV in Betracht kommt.

a) Nach Art. 3 I 2 der Richtlinie 2004/48/EG dürfen die zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums im Sinne des Satzes 1 vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe nicht unnötig kostspielig sein. Nach Art. 14 haben die Mitgliedsstaaten sicher zu stellen, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei, in der Regel, soweit sie zumutbar und angemessen sind, von der unterlegenen Partei getragen werden, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen.

Dass die in § 140 III MarkenG vom Gesetzgeber vorgesehene Erstattungsfähigkeit der Kosten eines mitwirkenden Patentanwalts geeignet sein könnte, den Kläger aufgrund des bestehenden Kostenrisikos von der Durchsetzung seiner Markenrechte abzuhalten (vgl. Gruber, ZRP 2017, 53, 55), ist durch keine empirischen Daten belegt und entspricht auch nicht den Erfahrungen des Senats. Auch die Problematik, wonach die Begrenzung der Erstattung auf die Gebühren gemäß dem RVG ggf. dazu führen kann, dass die obsiegende Partei nur einen Teil der Kosten des mitwirkenden Patentanwalts erstattet erhält (Gruber aaO unter Bezugnahme auf Albrecht/Hofmann, Die Vergütung des Patentanwalts, 3. Aufl., Rn. 23), bedarf vorliegend keiner Erörterung. Allein maßgeblich ist die Frage, ob § 140 III MarkenG deshalb mit Art. 3 III 2, Art. 14 der Durchsetzungsrichtlinie nicht zu vereinbaren ist, weil kennzeichenrechtliche Streitigkeiten in der Regel ohne die Mitwirkung eines Patentanwalts allein von dem Rechtsanwalt bearbeitet werden können (so Gruber aaO S. 55; Barnitzke, GRUR 2016, 908, 909 f.; vgl. auch Tyra, WRP 2007, 1059, 1063 ff. und Günther/Pfaff, WRP 2010, 708, 710 f.) und folglich die von dem mitwirkenden Patentanwalt als nicht erforderliche Dienstleistungen angesehen werden können. Dass die „unwiderlegliche gesetzliche Vermutung“ (BGH aaO Tz. 46 -Irreführende Lieferantenangabe) mit den Vorgaben der Richtlinie 2004/48/EG (Durchsetzungsrichtlinie) nicht zu vereinbaren ist und deshalb entgegen der ständigen Rechtsprechung des BGH eine richtlinienkonforme Auslegung (vgl. hierzu BGH GRUR 2018, 1044 Tz. 48 mwN - Dead Island) dahingehend zu erfolgen hätte, dass im Einzelfall jeweils zu prüfen wäre, ob die Mitwirkung eines Patentantwalts erforderlich war, erachtet der Senat daher als fernliegend.

b) Es besteht auch keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 I 1 GG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 140 III MarkenG einzuholen.

Zulässig ist ein Antrag auf konkrete Normenkontrolle gem. Art. 100 I 1 GG nur, falls das vorgelegte Gesetz entscheidungserheblich und das vorlegende Gericht selbst von dessen Verfassungswidrigkeit überzeugt ist. Während die Entscheidungserheblichkeit hier zu bejahen ist, da die Erforderlichkeit der Hinzuziehung im vorliegenden Verletzungsprozess, bei dem eine besondere patentanwaltliche Expertise nicht notwendig war, nicht zu erkennen ist, ist der Senat von der Verfassungswidrigkeit der Regelung im Hinblick auf Art. 3 I GG nicht überzeugt. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, MDR 1998, 1311; OLG München, GRUR-RR 2004, 224; KG, Beschluss vom 30.07.2018, 19 W 149/17, BeckRS 2018, 29685; siehe auch Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 3. Aufl., 2018, § 140 RdNr. 67) verfängt die verfassungsrechtliche Kritik nicht. Nach der vertretbaren Entscheidung des Gesetzgebers bringt der Patentanwalt in Kennzeichenstreitsachen eine Sachkunde ein, die über die der beauftragten Rechtsanwälte hinausgeht; § 140 III MarkenG knüpft dabei zulässigerweise an die Gebühren des in der jeweiligen Instanz typischerweise vertretenden Rechtsanwalts an (OLG München, a.a.O.). Vergleichbare Regelungen enthalten §§ 143 III PatG, 27 III GebrMG, 52 IV DesignG, § 38 III SortschG. Hintergrund der Regelungen ist die Überlegung, dass es in den vorgenannten Streitsachen regelmäßig um komplexe Fragestellungen mit technischem Einschlag geht, deren Beherrschung von Rechtsanwälten nicht verlangt werden kann. Da eine Überprüfung der Notwendigkeit der Einschaltung eines Patentanwalts im Einzelfall nicht ohne weiteres vorgenommen werden kann, wird nach diesen Vorschriften unwiderlegbar vermutet, dass die Hinzuziehung notwendig und zweckentsprechend war. Ähnliche Erwägungen haben den Gesetzgeber offenbar bei der Schaffung des § 140 III MarkenG geleitet, da Markenstreitfälle häufig umfangreiche Registerrecherchen erfordern, die zum typischen Arbeitsgebiet eines Patentanwalts gehören. Vor diesem Hintergrund unterliegt diese Regelung nach Ansicht des Senats keinen durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit insbesondere mit Art. 3 I GG. Soweit darauf hingewiesen wird, dass das Fehlen der erforderlichen Fachkunde, das den historischen Gesetzgeber zu einer derartigen Regelung auch im Markenrecht veranlasst hatte nach Einführung der Fachanwaltschaft für gewerblichen Rechtsschutz nicht mehr vermutet werden könne und somit die Tätigkeit von Rechtsanwalt und Patentanwalt in nicht-technischen Streitsachen vergleichbar sei, sieht auch der Senat, dass diese Entwicklung Fragen aufwirft. Indes ist dem Gesetzgeber bei der Bewertung von tatsächlichen Verhältnissen oder der Prognose der tatsächlichen Entwicklung ein erheblicher Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Die Einschätzung, dass die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht dazu nötigt, Art. 140 III MarkenG abzuändern, erscheint dem Senat jedenfalls noch vertretbar, so dass der Senat sich keine hinreichende Überzeugung davon verschaffen kann, dass die Norm im Sinne von Art. 100 I GG verfassungswidrig ist.

4.) Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 II Nr. 2 ZPO). Die Verfassungsmäßigkeit und die Europarechtskonformität von § 140 III Marken ist in der Literatur teilweise angezweifelt worden (vgl. oben). Auch hat der Bundesgerichtshof in der letzten Entscheidung zu dieser Frage ausdrücklich offengelassen, ob an der bisherigen Auslegung von § 140 III MarkenG festzuhalten ist (BGH GRUR 2019, 983, Rnr. 10 - Kosten des Patentanwaltes V). Damit besteht die Möglichkeit, dass im Wege der verfassungskonformen Auslegung § 140 III MarkenG ggf. einschränkend auszulegen ist. Dies rechtfertigt die Zulassung der Rechtsbeschwerde.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: