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OLG Frankfurt: Amazon haftet ab Inkenntnissetzung für Wettbewerbsverstöße durch Angebote von Amazon-Marketplace-Händlern - Pflicht zu Verhinderung gleichartiger Rechtsverletzungen

OLG Frankfurt
Urteil vom 21.12.2023
6 U 154/22


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass Amazon als Plattformbetreiber ab Inkenntnissetzung für Wettbewerbsverstöße durch Angebote von Amazon-Marketplace-Händlern haften. Amazon ist zudem verpflichtet, gleichartige Rechtsverletzungen durch andere Händler zu verhindern.

Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

Leitsätze des Gerichts:
1. Wird der Betreiber einer Verkaufsplattform auf Verstöße gegen Kennzeichnungsvorschriften hingewiesen (hier: Bezeichnung eines Sojaproduktes als „Milch“), besteht eine Pflicht zur Verhinderung künftiger gleichartiger Verletzungshandlungen auch jenseits des konkreten Angebots.

2. Durch die Kennzeichnung eines Angebots als „amazon's choice für reismilch“ macht sich der Anbieter der Verkaufsplattform den Begriff nicht zu eigen, wenn der Verkehr erkennt, dass nur das vom Nutzer eingegebene Suchwort wiedergegeben wird.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Die Klage ist zulässig.

1. Die jederzeit von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO (VO (EU) Nr. 1215/2012). Die der Beklagten zur Last gelegten unerlaubten Handlungen in Form von Wettbewerbsverstößen fanden über den Amazon-Marketplace mit deutscher Top-Level-Domain statt (dazu, dass vorgenannte Bestimmung auch greift, wenn mit einer Klage verhindert werden soll, dass sich ein als rechtswidrig angesehenes Verhalten wiederholt, vgl. z.B. BGH, Urteil vom 14.01.2020 - VI ZR 497/18, juris Rn. 13 mwn). Außerdem hat sich die Beklagte rügelos auf die Klage eingelassen (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 Brüssel Ia-VO).

2. Der Kläger ist klagebefugt (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG).

Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG regelt nicht nur die sachlich-rechtliche Anspruchsberechtigung, sondern auch die prozessuale Klagebefugnis. Die Klagebefugnis des Wirtschaftsverbands ist als Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Die Tatsachen, aus denen sich diese ergibt, müssen spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorliegen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 26.01.2023 - I ZR 111/22, GRUR 2023, 585 Rn. 13 mwN - Mitgliederstruktur).

Danach stehen die Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG denjenigen rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen zu, die in der Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG eingetragen sind, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, und die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt.

Diese Voraussetzung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in der seit dem 13.10.2023 geltenden Fassung sind erfüllt. Der Kläger ist in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG eingetragen (Stand: 04.11.2023). Er erfüllt nach seiner Mitgliederstruktur auch die weiteren Anforderungen dieser Norm. Ihm gehören ca. 1.000 Unternehmen und etwa 800 Verbände an, darunter nahezu alle Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern. Durch die Zuwiderhandlung werden Interessen seiner Mitglieder berührt.

II. Allerdings ist die Klage nach dem gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom II-Verordnung (VO (EG) Nr. 864/2007) anwendbaren Recht nur in dem vom Landgericht zugesprochenen Umfang begründet.

1. Das Landgericht hat dem Unterlassungsantrag zu 1 a) zu Recht aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG i.V.m. Art. 78 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 2 i.V.m. Anhang VII Teil III Nr. 1, Nr. 6 VO (EU) Nr. 1308/2013 stattgegeben.

Die Beklagte hat ihre wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verletzt, indem sie trotz vorhergehenden Hinweises des Klägers auf Verstöße von Drittbewerbern gegen die europäischen Bezeichnungsvorschriften für Milch und Milcherzeugnisse auf der von ihr betriebenen Plattform nicht effektiv dafür gesorgt hat, dass gleichartige Verstöße beseitigt und effektiv verhindert werden.

a) Dritte Gewerbetreibende haben auf dem Amazon-Marketplace unstreitig gegen die europäischen Bezeichnungsvorschriften für Milch- und Milcherzeugnisse verstoßen, indem sie vegane Milchersatzprodukte mit dem Wortbestandteil „Milch“ vermarktet haben. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt darin ein Rechtsbruch im Sinne von § 3a UWG.

aa) Nach Art. 78 Abs. 1 Buchst. c VO (EU) Nr. 1308/2013 gelten für Milch und Milcherzeugnisse, die für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, die Begriffsbestimmungen, Bezeichnungen und Verkehrsbezeichnungen des Anhangs VII dieser Verordnung. Diese Bezeichnungen dürfen in der Union nach Art. 78 Abs. 2VO (EU) Nr. 1308/2013 nur für die Vermarktung eines Erzeugnisses verwendet werden, das den entsprechenden Anforderungen des Anhangs VII der Verordnung genügt.

Anhang VII Teil III (Milch und Milcherzeugnissen) Nr. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 sieht insoweit vor, dass der Ausdruck „Milch“ ausschließlich dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug, vorbehalten ist. Eine der Ausnahmen der Buchstaben a) und b) dieser Vorschrift (eine die Zusammensetzung nicht verändernde Behandlung, ein standardisierter Fettgehalt oder die Kombination mit anderen Worten zur Bezeichnung des Typs, der Qualitätsklasse, des Ursprungs, der vorgesehenen Verwendung, physikalischen Behandlung oder veränderten Zusammensetzung, sofern diese Veränderungen lediglich im Zusatz und/oder Entzug natürlicher Milchbestandteile bestehen) steht nicht in Rede.

Anhang VII Teil III Nr. 3 VO (EU) Nr. 1308/2013 ist ebenfalls nicht einschlägig. Danach kann die Bezeichnung „Milch“ nur dann mit einem oder mehreren Worten für ein zusammengesetztes Erzeugnis verwendet werden, wenn Milch oder ein Milcherzeugnis (vgl. insofern Anhang VII Teil III Nr. 2 VO (EU) Nr. 1308/2013) einen nach der Menge oder nach der für das Erzeugnis charakteristischen Eigenschaft wesentlichen Teil darstellt. Die streitgegenständlichen veganen Milchersatzprodukte enthalten unstreitig weder Milch noch ein Milcherzeugnis.

Nach Anhang VII Teil III Nr. 5 Satz 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 dürfen die Bezeichnungen gemäß Teil III Nr. 1, 2 und 3 nur für die in der betreffenden Nummer genannten Erzeugnisse verwendet werden. Soweit nach Satz 2 dieser Vorschrift für Erzeugnisse, deren Art aufgrund ihrer traditionellen Verwendung genau bekannt ist, und/oder wenn die Bezeichnungen eindeutig zur Beschreibung einer charakteristischen Eigenschaft des Erzeugnisses verwandt werden, eine Ausnahme gilt, liegt eine solche hier nicht vor. Nach Art. 91 Satz 1 Buchst. a VO (EU) Nr. 1308/2013 i.V.m. Art. 1 i.V.m. Anhang I des Beschlusses 2010/791/EU der Kommission vom 20. Dezember 2010 (zur Festlegung des Verzeichnisses der Erzeugnisse gemäß Anhang XII Abschnitt III Nummer 1 Unterabsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007) sind in Deutschland zwar Bezeichnungen wie „Kokosmilch“, „Erdnussbutter“ oder „Fleischkäse“ gestattet, nicht aber die streitgegenständlichen Bezeichnungen für vegane Milchersatzprodukte (zur Fortgeltung dieses Beschlusses im Anwendungsbereich der VO (EU) Nr. 1038/2013, vgl. EuGH, Urteil vom 14.06.2017 - C-422/16, GRUR 2017, 828 Rn. 12, 34 - Tofu-Town.com). Zwar kann die Kommission nach Art. 78 Abs. 3 VO (EU) Nr. 1308/2013 delegierte Rechtsakte, wie vorgenannten Beschluss 2010/791/EU, erlassen, um einem nachweislich bestehenden Bedarf unter anderem aufgrund geänderter Verbrauchererwartungen nachzukommen. Es ist aber nicht dargetan und auch nicht ersichtlich, dass ein solcher Rechtsakt für die streitgegenständlichen Bezeichnungen bereits ergangen wäre.

Nach Anhang VII Teil III Nr. 6 VO (EU) Nr. 1308/2013 darf bei anderen als den unter Nummern 1, 2 und 3 von Teil III genannten Erzeugnissen nicht durch Etikett, Handelsdokumente, Werbematerial, Werbung irgendwelcher Art im Sinne des Art. 2 RL 2006/114/EG oder durch eine Aufmachung irgendwelcher Art behauptet oder der Eindruck erweckt werden, dass es sich bei dem betreffenden Erzeugnis um ein Milcherzeugnis handele.

Wie der Gerichtshof der Europäischen Union bereits entschieden hat, sind Art. 78 Abs. 2 und Anhang VII Teil III der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass die Bezeichnung „Milch“ und die nach vorgenannter Verordnung ausschließlich Milcherzeugnissen vorbehaltenen Bezeichnungen bei der Vermarktung oder Werbung zur Bezeichnung eines rein pflanzlichen Produkts verwendet werden, und zwar selbst dann, wenn diese Bezeichnungen durch klarstellende oder beschreibende Zusätze ergänzt werden, die auf den pflanzlichen Ursprung des betreffenden Produkts hinweisen, es sei denn, das Erzeugnis ist - wie hier nicht - in Anhang I des Beschlusses 2010/791/EU der Kommission vom 20. Dezember 2010 aufgeführt (vgl. EuGH, Urteil vom 14.06.2017 - C-422/16, GRUR 2017, 828 Rn.52 - Tofu-Town.com).

Gegen dieses Verbot haben die Drittanbieter mit ihren streitgegenständlichen Angaben verstoßen.

bb) Die europäischen Bezeichnungsvorschriften für Milch und Milcherzeugnisse sind nach zutreffender Auffassung des Landgerichts sog. Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 3a UWG.

Nach dieser Vorschrift handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, wenn der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

Diese Voraussetzungen sind entgegen der Ansicht der Beklagten erfüllt. Es besteht auch eine Eignung zur spürbaren Interessenbeeinträchtigung.

(1) Soweit Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen, die den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezwecken, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne Weiteres geeignet sind, die Interessen der Verbraucher im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen (vgl. z.B. BGH; EuGH-Vorlage vom 20.04.2023 - I ZR 108/22, GRUR 2023, 831 Rn. 14 mwN - Hautfreundliches Desinfektionsmittel), ist nach zutreffender Auffassung der Beklagten zwar nicht ersichtlich, dass die streitgegenständlichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 zumindest auch dem Gesundheitsschutz dienten.

(2) Allerdings geht aus den Erwägungsgründen 64 und 76 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 hervor, dass diese Bestimmungen im Interesse der Erzeuger, der Händler und der Verbraucher unter anderem zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen für die Erzeugung und Vermarktung sowie der Qualität der Erzeugnisse, zum Verbraucherschutz und zum Erhalt der Wettbewerbsbedingungen beitragen sollen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union tragen die verletzten Bestimmungen zur Erreichung dieser Ziele bei, indem sie vorsehen, dass nur die Produkte, die den vorgegebenen Anforderungen entsprechen, mit der Bezeichnung „Milch“ und den ausschließlich Milcherzeugnissen vorbehaltenen Bezeichnungen gekennzeichnet werden dürfen, und zwar auch dann, wenn diese Bezeichnungen durch klarstellende oder beschreibende Zusätze - wie sie im Ausgangsverfahren des Gerichtshofs in Rede standen - ergänzt werden (vgl. EuGH, GRUR 2017, 828 Rn. 43, 47, 52 - Tofu-Town.com). Ohne eine solche Beschränkung könnten anhand der Bezeichnungen „Milch“ und „Milcherzeugnis“ die Produkte, die über die mit der natürlichen Zusammensetzung der tierischen Milch verbundenen besonderen Eigenschaften verfügen, nicht mehr eindeutig bestimmt werden. Aufgrund der dadurch geschaffenen Verwechslungsgefahr widerspräche dies dem Verbraucherschutz und liefe dem Ziel zuwider, die wirtschaftlichen Bedingungen für die Erzeugung und Vermarktung sowie die Qualität der „Milch“ und „Milcherzeugnisse“ zu verbessern (vgl. EuGH, GRUR 2017, 828 Rn. 44 - Tofu-Town.com). Die Bezeichnungsvorgaben garantieren den Erzeugern dieser Produkte unverfälschte Wettbewerbsbedingungen und den Verbrauchern, dass die so bezeichneten Produkte alle denselben Qualitätsstandards genügen. Gleichzeitig werden die Verbraucher vor Verwechslungen in Bezug auf die Zusammensetzung der Produkte geschützt, die sie zu erwerben beabsichtigen (vgl. EuGH, GRUR 2017, 828 Rn. 48 - Tofu-Town.com).

(3) Der Umstand, dass ein Großteil der von den streitgegenständlichen Warenangeboten angesprochenen Verbraucher nicht der Fehlvorstellung unterliegen mag, dass die ausdrücklich als vegan bzw. Milchersatz beworbenen Produkte keine Milch enthalten, führt nicht dazu, dass die Verstöße gegen die europäischen Bezeichnungsvorschriften nicht geeignet wären, die Interessen (jedenfalls) von Milcherzeugern und -händlern sowie der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen.

Wie oben bereits dargetan wurde, hat der europäische Gesetzgeber zur Sicherstellung einheitlicher Qualitätsstandards und zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr für die Verbraucher in der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorgesehen, dass die Bezeichnung „Milch“ nur für „echte“ Milchprodukte verwendet werden darf. Durch diese Verordnung ist eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Milch und Milcherzeugnisse errichtet worden (vgl. deren Art. 1 Abs. 1 und 2 Buchst. p)). Bei Nichteinhaltung der Bezeichnungsvorschriften droht eine Verwässerung des durch vollständige Harmonisierung geschützten Begriffes der „Milch“. Dies kann sich, wie in der Berufungsverhandlung erörtert worden ist, für Erzeuger und Vertreiber von Milch, deren Herstellung aufgrund der Nutztierhaltung anderen Anforderungen unterliegt als die Produktion veganer Milchersatzprodukte, nachteilig auswirken. Eine Verwässerung des Begriffs liefe auch dem Ziel zuwider, diesen zur Schaffung einheitlicher Qualitätsstandards europaweit zu vereinheitlichen. Für Verbraucher besteht zudem jedenfalls insoweit eine Irreführungsgefahr, als Milch, wie in der Berufungsverhandlung ebenfalls erörtert worden ist, über Nährstoffe verfügt, die vegane Ersatzprodukte teilweise nicht oder jedenfalls nicht im gleichen Maße haben (etwa einen hohen Protein- und Kalziumanteil, vgl. insofern auch Anlage B11). Insoweit besteht die Gefahr, dass Verbraucher annehmen könnten, als „Milch“ bezeichnete Ersatzprodukte enthielten zwar keine Milch, verfügten aber über dieselben Nähstoffe wie „echte“ Milch, so dass sie - vielleicht sogar mit Vorteilen für Umwelt und Tiere - als echte Milchalternative konsumiert werden könnten. Dies rechtfertigt die Annahme einer Eignung zur spürbaren Interessenbeeinträchtigung.

(4) Auf die „Jogginghosen“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs und das Kriterium der Eignung, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte, kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten schon deshalb nicht an, weil diese Entscheidung mit dem Vorenthalten einer wesentlichen Information auf eine andere Fallgestaltung betrifft (vgl. BGH, Urteil vom 31.01.2018 - I ZR 73/17, GRUR 2019, 82 Rn. 30 f. - Jogginghosen; Urteil vom 21.01.2021 - I ZR 17/18, GRUR 2021, 752 Rn. 58 mwN - Berechtigte Gegenabmahnung; siehe insofern § 51 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UWG nF).

b) Zwar ist die Beklagte nicht als Täterin eines Verstoßes gegen § 3a UWG in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 oder Teilnehmerin an einem solchen Verstoß und auch nicht als Störerin für die Wettbewerbsverstöße verantwortlich. Allerdings hat sie ihrer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht nicht genügt und daher im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG unlauter gehandelt.

aa) Eine Haftung der Beklagten als aktiv handelnde Täterin oder Teilnehmerin eines Verstoßes gegen die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 kommt nicht in Betracht.

(1) Die Frage, ob sich jemand als Täter, Mittäter, Anstifter oder Gehilfe in einer die zivilrechtliche Haftung begründenden Weise an einer deliktischen Handlung eines Dritten beteiligt hat, beurteilt sich nach den im Strafrecht entwickelten Rechtsgrundsätzen. Täter ist danach derjenige, der die Zuwiderhandlung selbst oder in mittelbarer Täterschaft begeht (§ 25 Abs. 1 StGB). Mittäterschaft erfordert eine gemeinschaftliche Begehung, also ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken (vgl. § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Gehilfenhaftung setzt neben einer objektiven Beihilfehandlung zumindest einen bedingten Vorsatz in Bezug auf die Haupttat voraus, der das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit einschließen muss (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 22.07.2010 - I ZR 139/08, juris Rn. 30 mwN - Kinderhochstühle im Internet I).

(2) Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte nicht dadurch, dass sie den Drittanbietern den von ihr betriebenen Amazon-Marketplace zur Verfügung gestellt hat, selbst (mit Tatherrschaft) die unzulässigen Bezeichnungen für vegane Milchersatzprodukte verwendet. Sie hat auch nicht vorsätzlich an den Verstößen der gesetzwidrig handelnden Anbieter mitgewirkt. Es ist nicht dargetan und auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte vor den Hinweisen des Klägers Kenntnis von den konkreten Verstößen gehabt hätte. Die Produktangebote der Drittanbieter wurden automatisiert und ohne vorhergehende Prüfung durch die Beklagte eingestellt und auf die Hinweise des Klägers jeweils unverzüglich entfernt. Der Umstand, dass die Beklagte allgemein Kenntnis von möglichen Gesetzesverstößen auf ihrer Plattform gehabt und/oder damit gerechnet haben mag, dass es dort zu vergleichbaren Rechtsverletzungen kommt, begründet noch keinen bedingten Vorsatz in Bezug auf die ihr nicht konkret zur Kenntnis gelangten Gesetzesverstöße Dritter (vgl. insofern z.B. BGH, Urteil vom 12.07.2007 - I ZR 18/04, GRUR 2007, 890 Rn. 21 - Jugendgefährdende Medien bei eBay; BGH, Urteil vom 02.06.2022 - I ZR 140/15, GRUR 2022, 1308 Rn. 78 - YouTube II; Urteil vom 02.06.2022 - I ZR 53/17, GRUR 2022, 1324 Rn. 26 mwN - uploaded II, jeweils zum Urheberrecht). Dass die Beklagte gewusst hätte oder hätte wissen müssen, dass über ihre Plattform im Allgemeinen entsprechende Rechtsverletzungen begangen werden (vgl. insofern z.B. BGH, GRUR 2022, 1308 Rn. 77 - YouTube II; GRUR 2022, 1324 Rn. 33 - uploaded II), hat der Kläger nicht behauptet und ist auch nicht erkennbar. Das Geschäftsmodell der Beklagten regt auch nicht zu einem rechtswidrigen Tätigwerden an (vgl. insofern z.B. BGH, GRUR 2022, 1324 Rn. 25 mwN - uploaded II).

bb) Eine Störerhaftung scheidet in den Fällen eines Verhaltensunrechts von vornherein aus (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 22.07.2010 - I ZR 139/08, juris Rn. 48 mwN - Kinderhochstühle im Internet I).

cc) Allerdings hat die Beklagte ihrer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht als sog. Host-Provider nicht im vollen Umfang genügt. Daher ist sie selbst dann gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 UWG zur Unterlassung verpflichtet, wenn die Voraussetzungen einer Haftungsbefreiung nach europäischem Recht erfüllt sein mögen.

(1) Die Beklagte ist nach dem in Umsetzung von Art. 15 E-Commerce-Richtlinie (RL 2003/31/EG) erlassenen § 7 Abs. 2 TMG (i.V.m. § 2 Satz 1 Nr. 1 TMG) als sog. Host-Provider nicht dazu verpflichtet, die auf der Amazon-Plattform gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf dort auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Maßnahmen, die darin bestehen, einem Diensteanbieter wie der Beklagten aufzugeben, allein auf eigene Kosten Filtersysteme einzurichten, die mit einer allgemeinen und ständigen Überwachung verbunden sind, um jeder künftigen Verletzung etwa von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen, wären daher mit Art. 15 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie nicht vereinbar (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 22.06.2021 - C-682/18 u.a., juris Rn. 135 - YouTube und Cyando).

Soweit für die Beklagte nach ihrer Angabe bereits seit August 2023 der gemäß Art. 93 Abs. 2 Satz 1 DSA in der Regel erst ab dem 17.02.2024 geltende Digital Services Act (Verordnung (EU) Nr. 2022/2065) anwendbar ist (vgl. insofern für sehr große Online-Plattformen, die gemäß Art. 33 Abs. 3 DSA benannt wurden, Art. 92 DSA), führt dies nicht zu einer abweichenden Bewertung. Nach Art. 8 DSA wird auch Anbietern von Vermittlungsdiensten keine allgemeine Verpflichtung auferlegt, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hindeuten.

(2) Zu Gunsten der Beklagten kann auch davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen einer Haftungsbefreiung nach § 10 Satz 1 TMG bzw. Art. 6 Abs. 1 DSA erfüllt sind. Daher kann dahingestellt bleiben, ob dieses Haftungsprivileg überhaupt für Unterlassungsansprüche gilt (verneinend noch BGH, Urteil vom 12.07.2007 - I ZR 18/04, GRUR 2007, 890 Rn. 20 - Jugendgefährdende Medien bei eBay).

(a) Nach § 10 Satz 1 TMG, durch den Art. 14 E-Commerce-Richtlinie umgesetzt worden ist, sind Diensteanbieter für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben (Nr. 1) und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird (Nr. 2). Die tatsächliche Kenntnis bzw. das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit muss sich grundsätzlich auf konkrete rechtswidrige Tätigkeiten und Informationen bzw. auf konkrete rechtswidrige Handlungen der Nutzer beziehen (vgl. EuGH, Urteil vom 22.06.2021 - C-682/18 u.a., juris Rn. 112 f., 118 - YouTube und Cyando).

Entsprechend sieht Art. 6 Abs. 1 DSA für das sog. Hosting vor, dass bei der Durchführung eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung der von einem Nutzer bereitgestellten Informationen besteht, der Diensteanbieter nicht für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen haftet, sofern er keine tatsächliche Kenntnis von einer rechtswidrigen Tätigkeit oder rechtswidrigen Inhalten hat und sich in Bezug auf Schadenersatzansprüche auch keiner Tatsachen oder Umstände bewusst ist, aus denen eine rechtswidrige Tätigkeit oder rechtswidrige Inhalte offensichtlich hervorgeht (Buchst. a), oder sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erlangt, zügig tätig wird, um den Zugang zu den rechtswidrigen Inhalten zu sperren oder diese zu entfernen (Buchst. b). Die Pluralformulierung „rechtswidrigen Inhalten“ führt aus Sicht des Senats nicht zu einer anderen Bewertung. Soweit vorgenannte Bestimmung nach Art. 6 Abs. 3 DSA keine Anwendung auf die verbraucherschutzrechtliche Haftung von Online-Plattformen findet, die Verbrauchern das Abschließen von Fernabsatzverträgen mit Unternehmern ermöglichen, wenn die Online-Plattform die spezifischen Einzelinformationen dazu darstellt oder die betreffende Einzeltransaktion anderweitig in einer Weise ermöglicht, bei der ein durchschnittlicher Verbraucher davon ausgehen kann, dass die Information oder das Produkt oder die Dienstleistung, die bzw. das Gegenstand der Transaktion ist, entweder von der Online-Plattform selbst oder von einem ihrer Aufsicht unterstehenden Nutzer bereitgestellt wird, ist diese Voraussetzung im Streitfall nicht erfüllt. Unter diese Ausnahme dürften nur Konstellationen fallen, in denen ein Anbieter nicht nur - wie ein Hosting-Anbieter dies stets tut - eine zentrale Rolle bei der Verbreitung der Information einnimmt, sondern über seine neutrale Rolle als Betreiber hinaus eine aktive Rolle spielt, die ihm Kenntnis von den in Rede stehenden Inhalten oder eine Kontrolle über diese zu verschaffen vermag (vgl. insofern u.a. EuGH, Urteil vom 22.06.2021 - C-682/18 u.a., juris Rn. 77, 106, 117 - YouTube und Cyando, zum alten Recht).

(b) Eine derartige aktive Rolle hat die Beklagte ausgehend davon, dass die Angebote der Händler ohne vorhergehende Prüfung automatisiert eingestellt wurden und sie auch sonst keinen Einfluss darauf genommen oder den Eindruck erweckt hat, die Produktangebote stammten von ihr oder würden von ihr überprüft, nicht gespielt.

(3) Allerdings lässt bzw. ließe eine fehlende Haftung der Beklagten nach § 10 Satz 1 TMG bzw. Art. 6 Abs. 1 DSA die Möglichkeit einer gerichtlichen Verurteilung zur Unterlassung wegen eines Verstoßes gegen ihre wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht unberührt.

(a) Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 TMG bleiben Verpflichtungen zur Entfernung von Informationen oder zur Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen aufgrund von gerichtlichen oder behördlichen Anordnungen auch im Fall der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den §§ 8 bis 10 TMG unberührt.

Entsprechend sieht Art. 6 Abs. 4 DSA vor, dass Art. 6 DSA die Möglichkeit unberührt lässt, dass eine Justiz- oder Verwaltungsbehörde nach dem Rechtssystem eines Mitgliedstaats vom Diensteanbieter verlangt, eine Zuwiderhandlung abzustellen oder zu verhindern.

(b) Diesbezüglich ist anerkannt, dass nach der § 7 TMG zugrundeliegenden E-Commerce-Richtlinie nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats selbst dann insbesondere gerichtliche Anordnungen an einen Hosting-Anbieter ergehen können, wenn dieser eine der in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie angeführten alternativen Voraussetzungen erfüllt, also selbst nicht als verantwortlich anzusehen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 03.10.2019 - C-18/18, juris Rn. 25 - Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland; siehe auch Erwägungsgrund 45 der E-Commerce-Richtlinie).

Diese Voraussetzung ist erfüllt. Die vorgerichtlichen Hinweise des Klägers haben für die Beklagte eine wettbewerbsrechtlichen Prüfungs- und Beseitigungspflicht ausgelöst, die über die von ihr getroffenen Maßnahmen hinausgegangen ist. Daher folgt der zuerkannte Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG i.V.m. § 3 Abs. 1 UWG.

(aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine unlautere Wettbewerbshandlung begehen, wer durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr in einer ihm zurechenbaren Weise die Gefahr eröffnet, dass Dritte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, die durch das Wettbewerbsrecht geschützt sind, wenn er diese Gefahr nicht im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren begrenzt (vgl. z.B. BGH, GRUR 2007, 890 Rn. 22, 36 - Jugendgefährdende Medien bei eBay). In einem solchen Fall kommt ein täterschaftlicher Verstoß gegen die Generalklausel des § 3 UWG in Betracht (vgl. BGH, GRUR 2007, 890 Rn. 22, 36 - Jugendgefährdende Medien bei eBay). Die Bereitstellung der Plattform ist insoweit die Wettbewerbshandlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG (vgl. BGH, GRUR 2007, 890 Rn. 23 - Jugendgefährdende Medien bei eBay).

Wer durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr die Gefahr schafft, dass Dritte durch das Wettbewerbsrecht geschützte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, trifft wettbewerbsrechtlich die Pflicht, diese Gefahr im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen. Dem liegt der allgemeine Rechtsgrundsatz zugrunde, dass jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, die ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen muss, die zur Abwendung der Dritten daraus drohenden Gefahren notwendig sind (vgl. BGH, GRUR 2007, 890 Rn. 36 - Jugendgefährdende Medien bei eBay). Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Gefahr in einem Erfolgs- oder Handlungsunrecht realisiert (vgl. BGH, GRUR 2007, 890 Rn. 37 mwN - Jugendgefährdende Medien bei eBay).

Die wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht eines Telediensteanbieters hinsichtlich rechtsverletzender fremder Inhalte konkretisiert sich als Prüfungspflicht. Haftungsvoraussetzung ist eine Verletzung von Prüfungspflichten. Deren Bestehen und Umfang richten sich nach zutreffender Ansicht des Landgerichts im Einzelfall nach einer Abwägung aller betroffenen Interessen und relevanten rechtlichen Wertungen. Entsprechend den zur Störerhaftung entwickelten Grundsätzen kommt es entscheidend darauf an, ob und inwieweit dem in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (vgl. BGH, GRUR 2007, 890 Rn. 38 mwN - Jugendgefährdende Medien bei eBay). Dem Betreiber eines von der Rechtsordnung gebilligten Geschäftsmodells dürfen dabei keine Anforderungen auferlegt werden, die dieses gefährden oder seine Tätigkeit unverhältnismäßig erschweren, wobei die fehlende Verpflichtung des Betreibers zur allgemeinen Überwachung mit zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, GRUR 2007, 890 Rn. 39 mwN - Jugendgefährdende Medien bei eBay). Insgesamt bedarf es eines Gleichgewichts zwischen den verschiedenen beteiligten Interessen (vgl. EuGH, Urteil vom 03.10.2019 - C-18/18, juris Rn. 43 f. - Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland, zu Erwägungsgrund 41 der E-Commerce-Richtlinie; Urteil vom 22.06.2021 - C-682/18 u.a., juris Rn. 138 - YouTube und Cyando).

(bb) Insofern hat der Kläger bereits vorgerichtlich hinreichend deutlich auf die von Drittanbietern auf der Amazon-Plattform begangenen Verstöße gegen europäische Bezeichnungsvorschriften hingewiesen. Soweit die Beklagte der Auffassung ist, die Spürbarkeit dieser Verstöße sei vorprozessual nicht dargetan worden, ist ein Erfordernis zu entsprechenden Rechtsausführungen weder für die Klägerin ersichtlich gewesen noch hat es solcher bei objektiver Betrachtung bedurft. Für die Beklagte war erkennbar, dass ein Verstoß gegen die europäischen Bezeichnungsvorschriften geeignet ist, die Interessen von Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen.

(cc) Die vom Landgericht antragsgemäß ausgesprochene Unterlassungspflicht erscheint bei gebotener Abwägung der widerstreitenden Interessen auch erforderlich, um den europäischen Bezeichnungsvorschriften im gebotenen Umfang Geltung zu verschaffen.

Auf Seiten des Diensteanbieters ist sein Recht auf Schutz der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12.12.2007 (GRC) beeinträchtigt. Zwar sollte die nach Art. 11 GRC geschützte Meinungs- und Informationsfreiheit im Streitfall weder zu Gunsten der Beklagten noch von Drittanbietern betroffen sein. Allerdings ist der Anspruch auf unternehmerische Freiheit von Drittanbietern mit in die Abwägung einzustellen. Da ein Recht auf unternehmerische Betätigung allerdings nur im Rahmen des geltenden Rechts besteht, wird in die Freiheit der Drittanbieter nur relevant eingegriffen, soweit ausnahmsweise eine rechtmäßige Verwendung der streitgegenständlichen Bezeichnungen in Rede steht, nicht aber bei deren rechtsverletzender Verwendung. Eine schutzwürdige Beeinträchtigung der Interessen Dritter ist insoweit allenfalls bei Verwendung der streitgegenständlichen Begriffe außerhalb des Lebensmittelbereichs denkbar.

Zwar kommt die täterschaftliche Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht unter dem Gesichtspunkt der Eröffnung eines gefahrenträchtigen Betriebs grundsätzlich nur unter engen Voraussetzungen in Betracht, um einer unangemessenen Ausdehnung der Haftung für Rechtsverstöße Dritter entgegenzuwirken (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 05.10.2017 - I ZR 184/16, GRUR 2018, 203 Rn. 37 - Betriebspsychologe). Auch ist der Beklagten zuzugeben, dass abweichend von den Entscheidungen „Jugendgefährdende Medien bei eBay“ und „Schwimmscheiben“ kein Rechtsgut von hoher Bedeutung wie der Jugend- (vgl. insofern BGH, GRUR 2007, 890 Rn. 40 - Jugendgefährdende Medien bei eBay) oder Gesundheitsschutz (vgl. insofern OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 24.06.2021 - 6 U 244/19, juris Rn. 58 - Schwimmscheiben) in Rede stehen dürfte.

Allerdings ist nicht zu verkennen, dass sich auch bei fehlender Prüfungs- und Beseitigungspflicht der Beklagten empfindliche Rechtsschutzlücken ergäben. Die vom europäischen Gesetzgeber geschützten Produktbezeichnungen für Milch und Milcherzeugnisse drohten in dem Fall zu verwässern, zumal die Beklagte hierzulande eine der größten Online-Handelsplattformen betreibt. Diese Verwässerungsgefahr besteht insbesondere, weil jedenfalls auf Seiten der Verbraucher nicht unüblich ist, die beanstandeten Bezeichnungen für vegane Milchersatzprodukte zu verwenden (vgl. Anlagen B5 ff.; vgl. auch Anlage B17). Um eine derartige Verwässerung zu vermeiden, müssten Anspruchsteller wie der Kläger der Beklagten jedes einzelne gesetzesverletzende Angebot melden, damit dieses gelöscht wird, oder jeden Drittanbieter gesondert in Anspruch nehmen. Letzteres wäre zwar aufgrund der auf dem Marktplatz der Beklagten vorgeschriebenen Impressumspflicht grundsätzlich denkbar, allerdings mit erheblichem Aufwand verbunden, zumal unstreitig sein dürfte, dass das Produktangebot auf Amazon ständigen Veränderungen unterliegt. Ein Anspruchsteller müsste daher selbst kontinuierlich Marktüberwachung betreiben, um - im Rahmen des Möglichen - für eine Einhaltung der europäischen Bezeichnungsvorgaben zu sorgen. Dies kann deutlich einfacher und effektiver durch die Beklagte, etwa mit einem Wortfilter, umgesetzt werden. Dass es dadurch zu einer unzumutbaren Flut an (berechtigten) Beschwerden käme, ist bei sachgerechter Umsetzung der Unterlassungs- und Beseitigungspflicht nicht erkennbar.

Der Unterlassungstenor ist auch so konkret, dass die Beklagte keine autonome Bewertung vornehmen muss und auf automatisierte Techniken und Mittel zur Nachforschung zurückgreifen kann (vgl. insofern EuGH, Urteil vom 03.10.2019 - C-18/18, juris Rn. 45 f., 53 - Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland, zur E-Commerce-Richtlinie).

c) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das ausgesprochene Verbot auch nicht zu weitgehend.

aa) Wie der Gerichtshof der Europäischen Union für persönlichkeitsverletzende Äußerungen auf einer Online-Plattform bereits entschieden hat, kann es im Einzelfall legitim sein, von einem Hosting-Anbieter sowohl die Sperre wortgleicher als auch sinngleicher Äußerungen zu verlangen, um zu erreichen, dass der Anbieter jeden weiteren Schaden beim Betroffenen verhindert und die Wirkungen einer Verfügung nicht leicht umgangen werden können, was die betroffene Person zu einer Vielzahl von Verfahren zwingen könnte. Dies gilt unabhängig davon, wer den Auftrag für die Speicherung der Information gegeben hat (vgl. insgesamt EuGH, Urteil vom 03.10.2019 - C-18/18, juris Rn. 37-41, 53 - Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland). Eine solche Verpflichtung läuft nicht auf eine allgemeine Überwachungspflicht hinaus. Der Umstand, dass in der deutschen Fassung des Art. 18 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie - anders in anderen Sprachfassungen - im Zusammenhang mit der Pflicht von Mitgliedstaaten zur Ermöglichung von Klagen nur von dem Ziel, „eine“ mutmaßliche Rechtsverletzung abzustellen und zu verhindern, dass den Betroffenen weiterer Schaden entsteht, die Rede ist, steht einer Erstreckung des Verbots auf gleichartige Rechtsverletzungen nicht entgegen (vgl. EuGH, Urteil vom 03.10.2019 - C-18/18, juris Rn. 30, 37 - Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland). Es ist anerkannt, dass einem Anbieter (jedenfalls im Einzelfall) aufgegeben werden kann, dafür zu sorgen, dass sich derartige Rechtsverletzungen nicht wiederholen (vgl. EuGH, Urteil vom 22.06.2021 - C-682/18 u.a., juris Rn. 129-133, 136 - YouTube und Cyando, zur E-Commerce-Richtlinie; siehe auch BGH, Urteil vom 02.06.2022 - I ZR 135/18, GRUR 2022, 1328 Rn. 46 f, 49 - uploaded III, zum Urheberrecht: „gleichartige“ Rechtsverletzungen). Dies spiegelt sich nunmehr auch in Art. 9 Abs. 1 DSA wider Diese Vorschrift nimmt Bezug auf eine (auf Grundlage des geltenden Unionsrechts oder des nationalen Rechts im Einklang mit dem Unionsrecht) von den zuständigen nationalen Justiz- oder Verwaltungsbehörden erlassene Anordnung zum Vorgehen gegen „einen oder mehrere“ bestimmte rechtswidrige Inhalte. Dem entspricht es, dass sich die durch eine Verletzungshandlung begründete, für einen Verletzungsunterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr nach deutschem Recht nicht nur auf mit der konkreten Verletzungshandlung identische Verletzungshandlungen, sondern im Interesse eines wirksamen Rechtsschutzes auf alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen erstreckt, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 09.12.2021 - I ZR 146/20,GRUR 2022, 399 Rn. 11 mwN - Werbung für Fernbehandlung).

Insofern begehrt der Kläger vorliegend nur das Verbot wortgleicher Rechtsverletzungen.

bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht auch nicht nur eine Pflicht, künftige Rechtsverstöße durch einen sog. Upload-Filter zu verhindern. Eine Unterlassungsverpflichtung kann sich auch darauf erstrecken, bereits bestehende, fortgesetzte und damit in die Zukunft reichende Rechtsverletzungen zu beseitigen (vgl. z.B. BGH, GRUR 2022, 1328 Rn. 47 mwN - upload III).

Zwar besteht eine Pflicht zur Verhinderung gleichartiger Verletzungshandlungen nur im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren (vgl. z.B. BGH, GRUR 2022, 1328 Rn. 47 - upload III). Es sind nur Maßnahmen zu treffen, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in der Situation der Beklagten erwartet werden können, um entsprechende Verstöße effektiv zu unterbinden (vgl. insofern z.B. BGH, GRUR 2022, 1324 Rn. 39 mwN - uploaded II, wenn auch zum Urheberrecht). Besondere technische Schwierigkeiten oder mit dem Einsatz eines Wortfilters verbundene erhebliche Kosten sind auf Grundlage der für den Senat bindenden Feststellungen des Landgerichts aber weder anzunehmen noch sonst ersichtlich.

Die Beklagte macht lediglich geltend, es bestehe die Gefahr, dass auch rechtmäßige Wörter herausgefiltert würden und sie von den diese verwendenden Drittanbietern oder seit Inkrafttreten der DSA von der Kommission auf Zahlung hoher Geldbußen (vgl. insofern Art. 74 Abs. 1 DSA) in Anspruch genommen werden könnte.

Dieser Umstand führt nicht zu einer abweichenden Bewertung. Es ist nicht ersichtlich, dass in relevantem Umfang ein sog. Overblockig drohte, das eine aufwändige manuelle Nachprüfung erforderlich machte. Soweit die Beklagte gestützt auf Anlage B16 auf dieses Risiko verweist, hat der Kläger entgegnet, der Einsatz eines Wortfilters könne grundsätzlich auf den Bereich der „Lebensmittel & Getränke“ beschränkt werden. Soweit Teile der Drittanbieter andere Gegenstände innerhalb dieser Kategorie anbieten (wie etwa Kochmixer, Sojamilchbereiter, „Pflanzenmilch Bereiter“, Shampoo Nussmilchbeutel, Passiertücher oder einen „Sojamilch Filter Löffel […]“), erscheinen sie nicht schutzwürdig, sofern aufgrund eines Wortfilters für Lebensmittel und Getränke unzulässige gesetzliche Bezeichnungen herausgefiltert werden. Dies gilt erst Recht, wenn die Beklagte solche gesetzwidrigen Angebote nicht - wie bisher - vollständig entfernt, sondern gegebenenfalls flankiert von einem Hinweis an den jeweiligen Anbieter mithilfe einer „Suche und Ersetze“-Funktion nur die für Lebensmittel unzulässigen Bezeichnungen durch Wörter wie „Hafterdring“, „Reisdrink“, etc, ersetzte. Inwiefern der Einsatz eines Wortfilters außerhalb der Kategorie „Lebensmittel & Getränke“ geboten sein könnte, um dem titulierten Verbot zu entsprechen, bleibt der Einschätzung der Beklagten überlassen.

cc) Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil für einen Anbieter wie die Beklagte seit (bzw. mit) Inkrafttreten des Digital Service Act mit einer Löschung bestimmte Hinweispflichten einhergehen. Es ist nicht ersichtlich, dass diesen Verpflichtungen nicht mit überschaubarem Aufwand automatisiert Rechnung getragen werden könnte. Daher kann offenbleiben, ob entsprechende Gesetzesvorgaben überhaupt geeignet sein können, einer wettbewerblichen Verkehrspflicht entgegenzustehen.

Bei gebotener Gesamtabwägung überwiegt demnach das vom Kläger verfolgte Interesse an der streitgegenständlichen Unterlassung (und Beseitigung).

dd) Soweit ein Verbot auf Grund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb von vornherein auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist, ist diesem Umstand dadurch Rechnung getragen, dass sich die ausgesprochene Verurteilung antragsgemäß auf die Internetseite www.(...).de bezieht.

ee) Dem titulierten Verbot steht schließlich nicht entgegen, dass § 3 Abs. 2 UWG vorsieht, dass geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, unlauter sind, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen. Aus den oben bereits dargelegten Gründen kann vorliegend entgegen der Auffassung der Beklagten von einer entsprechenden Eignung ausgegangen werden. Jedenfalls aber besteht ein Wettbewerbsverstoß zu Lasten von Milcherzeugern und -anbietern, deren Schutz die streitgegenständlichen Bezeichnungsvorgaben ebenfalls dienen.

d) Für die erforderliche Wiederholungsgefahr besteht eine tatsächliche Vermutung (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 12.03.2020 - I ZR 126/18, GRUR 2020, 755 Rn. 80 mwN - WarnWetterApp).

e) Die Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel beruht auf § 890 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 ZPO. Soweit das Landgericht im Unterlassungstenor versehentlich die vom Kläger gemäß § 890 Abs. 2 ZPO mit beantragte Androhung einer (Ersatz) Ordnungshaft vergessen hat, hat der Senat diese offensichtliche Unrichtigkeit gemäß § 319 Abs. 1 BGB berichtigt.

2. Demgegenüber steht dem Kläger kein Anspruch aus § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 3a UWG und der Verordnung (EU) Nr.1308/2013 darauf zu, dass die Beklagte es gemäß dem Antrag zu 1 b) unterlässt, auf der Internetseite www.(...).de vegane Milchersatzprodukte mit der Angabe „Amazon's Choice für ‚reismilch‘" zu bewerben,wenn dies geschieht wie gemäß der Anlage K13.

a) Soweit der Kläger das Wort „reismilch“ im Antrag zu 1 b) nicht in Anführungszeichen gesetzt hat, entspricht dies schon nicht der konkreten Verletzungsform, von der bei der rechtlichen Bewertung auszugehen ist.

b) Die beanstandete Angabe richtet sich vorliegend an den normal informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher (vgl. z.B. BGH, GRUR 2022, 1347 Rn. 21 - 7 x mehr). Dieser erkennt im konkreten Kontext (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 02.06.2022 - I ZR 93/21, GRUR 2022, 1347 Rn. 23 mwN - 7 x mehr), dass das Wort „reismilch“ im Rahmen der angegriffenen Angabe

Abbildung

die Wiedergabe seines Suchbegriffs darstellt. Er hat keinen Anlass zu der Annahme, „reismilch“ sei ein von „Amazon“ selbst verwendeter Begriff. Zwar erkennt der angesprochene Verkehr aufgrund der Wendung „Amazon’s Choice“, dass „Amazon“ - und damit bei gebotener objektiver Betrachtung der Plattformenbetreiber und nicht das technisch tatsächlich für den Algorithmus verantwortliche Unternehmen - eine Produktempfehlung ausspricht. Das Wort „Choice“ ist ein Grundwort der englischen Sprache, das dem Durchschnittsverbraucher als englischer Begriff für „Wahl“ oder „Auswahl“ geläufig ist. Allerdings hat das Landgericht unangegriffen und nach dem allein maßgeblichen Vortrag des Klägers mangels Anhaltspunkts für die fehlende Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellung für den Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend festgestellt, dass die Einblendung „Amazon's Choice für reismilch" nach substantiiertem Vortrag der Beklagten nur Folge des vom jeweiligen Kaufinteressenten im Suchfeld eingegebenen Begriff „reismilch" ist. Diesen Vortrag hat die Klägerseite in der Berufungsverhandlung ausdrücklich bestätigt. Ein Verbraucher, der aufgrund der Eingabe dieses Suchbegriffs auf die Empfehlung der Beklagtenseite stößt, erkennt nach zutreffender Auffassung der Beklagten ohne Weiteres aufgrund der auf ein Zitat hindeutenden Anführungszeichen und der von ihm stammenden Kleinschreibung des ersten Buchstabens des Suchworts, dass dieses lediglich wiedergegeben wird, ohne dass sich „Amazon“ den Suchbegriff aus Sicht des Verkehrs bei der Empfehlung zu Eigen macht.

b) Davon ausgehend besteht für die Beklagte als Plattformbetreiberin keine rechtliche Verpflichtung dazu, sich bei der Wiedergabe des Nutzersuchworts an die europäischen Bezeichnungsvorschriften zu halten.


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OLG Frankfurt: Kerngleicher Verstoß gegen Unterlassungsverpflichtung wenn Instagram-Influencer "B*******" statt "Bullshit" schreibt - 500 EURO Ordnungsgeld

OLG Frankfurt
Beschluss vom 23.09.2021
6 W 76/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein kerngleicher Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung vorliegt, wenn ein Instagram-Influencer "B*******" statt dem untersagten "Bullshit" schreibt. Wie schon das Landgericht hielt das OLG ein Ordnungsgeld von 500 EURO für angemessen.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Das Landgericht hat der Antragsgegnerin durch Beschluss - einstweilige Verfügung - vom 19.3.2021 bei Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel u.a. untersagt,

Zusammenstellungen von Aussagen über Quality First, deren Influencer und deren Produkte in den Highlights des Instagram-Accounts „A“ mit „Mehr Bullshit“ zu bezeichnen, wenn dies geschieht wie nachfolgend eingeblendet am 22.1.2021:

(Von der Darstellung des nachfolgenden Bildes wurde aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes abgesehen - die Red.)

Die Antragsgegnerin hielt nach Zustellung der einstweiligen Verfügung weiterhin Zusammenstellungen von Aussagen über die Gläubigerin bereit. Diese waren nunmehr überschrieben mit „Mehr B********t“ und „Noch mehr B***“ (Screenshot vom 27.04.2021, Anlage G 2).

Auf Antrag der Antragstellerin hat das Landgericht durch Beschluss vom 21.6.2021 der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 500 €, ersatzweise ein Tag Ordnungshaft, auferlegt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es handele sich um eine kerngleiche Verletzung der mit der einstweiligen Verfügung untersagten Handlung. Die Schuldnerin benutze den untersagten Begriff “Bullshit“ weiter. Sie habe lediglich die mittleren Buchstaben des Wortes durch Sternchen ersetzt. Angesprochenen Verkehrskreise verstünden hierunter weiter den untersagten Begriff.

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Dieser hat das Landgericht mit Beschluss vom 17.8.2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht wegen eines schuldhaften Verstoßes gegen das Unterlassungsgebot ein Ordnungsgeld in Höhe von 500 € festgesetzt. Dies ist weder dem Grund noch der Höhe nach zu beanstanden.

1. Zur Auslegung des Titels:

Die Urteilsformel (§ 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) muss inhaltlich bestimmt sein. Zur Bestimmung von Umfang und Reichweite der Urteilsformel können der Tatbestand und das dort in Bezug genommene Parteivorbringen sowie die Entscheidungsgründe herangezogen werden (ständige Rspr.; BGH GRUR 2014, 1211 Rn 16 - Runes of Magics II; BGH GRUR 2016, 395 Rn 18 - Smartphone-Werbung; BGH WRP 2016, 1221 Rn 14 - LGA tested).

Der Verbotstenor der einstweiligen Verfügung enthält das Verbot, „Zusammenstellungen von Aussagen über Quality First, deren Influencer und deren Produkte in den Highlights des Instagram-Accounts „A“ mit „Mehr Bullshit“ zu bezeichnen, wenn dies wie nachfolgend eingeblendet geschieht“. Es folgt eine Einblendung der Instagram-Seite, aus der sich allerdings nicht die Formulierung „Mehr Bullshit“ ergibt, sondern nur der Begriff „Mehr Bullsh...“ Der hieraus vermeintlich entstehende Widerspruch hinsichtlich der Reichweite des Titels lässt sich indes zwar nicht durch die Gründe des Beschlusses aufheben, die - bei Beschlussverfügungen typisch - kurzgehalten sind und zu dem hier gegenständlichen Antrag keine Ausführungen enthalten. In diesem Fall kann auf die Antragsschrift Bezug genommen werden, auf die das Landgericht verwiesen und damit zum Teil seiner Begründung gemacht hat. Darin hat die Antragstellerin unter Verweis auf die Anlage AS 8 (USB-Stick) vorgetragen, die Kategorie sei mit „Mehr Bullshit“ überschrieben worden. Aus den Bildschirmaufzeichnungen auf dem USB-Stick ergibt sich, dass die Antragsgegnerin die Inhalte unter der Überschrift „Mehr Bullshit“ geteilt hat. Der Titel ist daher dahingehend auszulegen, dass nicht nur „Mehr Bull...“, sondern auch „Mehr Bullshit“ erfasst ist.

2. Gegen diese Unterlassungsverpflichtung hat die Antragsgegnerin durch ihre Veröffentlichung unter der Überschrift „Mehr B********t“ (Anlage G 2) verstoßen. Hierin liegt ein kerngleicher Verstoß. Der Verkehr wird erkennen, dass auch mit der durch Sterne verfremdeten Aussage „Mehr Bullshit“ artikuliert werden sollte. Er ist daran gewöhnt, bei derart verfremdeten Wörter anzunehmen, dass ein inkriminiertes Wort, üblicherweise ein Schimpfwort, verwendet werden soll. Hinzu kommt, dass das menschliche Gehirn, wie von der Antragstellerin unbestritten vorgetragen, beim Lesevorgang insbesondere die Anfangs- und Endbuchstaben eines jeden Wortes erfasst. So vorgeprägt, wir der Verkehr bei der Suche nach einem inkriminierten (Schimpf-)Wort nur auf das Wort „Bullshit“ kommen können. Dem „plumpen Umgehungsversuch“ (so die Antragstellerin) ist daher kein Erfolg beschieden.

3. Der Verstoß erfolgte auch schuldhaft, nämlich zumindest fahrlässig. Ob dabei die Änderung der ursprünglichen Version zur hier gegenständlichen vor oder nach Zustellung der einstweiligen Verfügung erfolgte, ist nicht relevant. Die Antragsgegnerin hätte nach Zustellung der einstweiligen Verfügung ihren Instagram-Auftritt entsprechend anpassen müssen.

4. Die Höhe des Ordnungsgeldes begegnet keinen Bedenken. Sie wird von der Antragsgegnerin auch nicht explizit angegriffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO."


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LG Trier: Verstoß gegen Unterlassungsverpflichtung wenn Unterlassungsschuldner Dritte ermuntert wettbewerbswidriges Video weiter auf YouTube und Instagram zu teilen und zu verbreiten

LG Trier
Beschluss vom 29.07.2021
7 HK O 9/21


Das LG Trier hat entschieden, dass ein Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung vorliegt, wenn der Unterlassungsschuldner Dritte ermuntert, ein wettbewerbswidriges Video weiter auf YouTube und Instagram zu teilen und zu verbreiten.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsmittels nach § 890 Abs. 1 und 2 ZPO liegen vor.

Die Antragsgegnerin wurde gemäß rechtskräftigem Endurteil verpflichtet, es zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen zu äußern,

a) die unter der Marke „E.“ vertriebenen Produkte seien früher nicht in Deutschland hergestellt worden, wenn dies geschieht wie am 02.03.2021 in der Story des Instagram-Accounts „.“ und/oder wie in dem am 05.03.2021 auf dem YouTube-Kanal „Z...+ N.“ unter dem Link .veröffentlichten Video mit dem Titel „E. Leak | J. W. Teil 1 #fake #in #germany #alle #lügen“ (ab Minute 4:15; ab Minute 1:27:45), als Videos überreicht mit Anlage AST 7;

und/oder

b) die unter der Marke „E.“ vertriebenen Produkte seien „Fake in Germany“ gewesen, wenn dies geschieht wie am 02.03.2021 in der Story des Instagram-Accounts „.“ und/oder wie in dem am 05.03.2021 auf dem YouTube-Kanal „Z...+ N.“ unter dem Link .veröffentlichten Video mit dem Titel „E. Leak | J. W. Teil 1 #fake #in #germany #alle #lügen“ (ab Minute 1:31:15), als Videos überreicht mit Anlage AST 7.

Die Antragsgegnerin hat dieser Unterlassungsverpflichtung zuwidergehandelt.

Die Antragsgegnerin hat die verbotenen Äußerungen selbst nicht nochmals getätigt, aber ihre Follower dazu aufgefordert, die Message des neu geschnittenen Videos im Vergleich zu dem alten Video unter seiner Instagram Story zu posten. Da die Antragstellerin nur beantragt hat, die Äußerungen zu unterlassen, ist es zwar zweifelhaft, ob das Anregen von Äußerungen allein der Unterlassungsverpflichtung nach der sog. Kerntheorie ebenfalls unterfällt.

Nach dieser dürfen zwar im Interesse eines hinreichenden Rechtsschutzes und zur Vermeidung unnötiger Streitverlagerungen in die Vollstreckungsinstanz zwar gewisse Verallgemeinerungen über die enge Form der festgestellten Verletzungshandlung hinaus vorgenommen werden, sofern auch in der erweiterten Form das Charakteristische der konkreten Verletzungsform aus der begangenen Handlung zum Ausdruck kommt. Eine in bestimmter Form begangene Verletzungshandlung lasse nicht nur die Wiederholung der genau identischen Verletzungsform vermuten, sondern auch die Begehung zwar leicht abgewandelter, aber in ihrem Kern gleicher Handlungen (OLG München, Urteil vom 12. 11. 2003 - 7 U 3739/03, GRUR-RR 2004, 63, beck-online).

Vorliegend kommt aber hinzu, dass sich die Antragsgegnerin die oben genannten Äußerungen zu eigen gemacht hat, als sie sich die Kommentierung des Nutzers „...“, dass „E... fake“ sei und „im Ausland produziert“, mit dem Kommentar „Dank dir“ zusätzlich zu eigen gemacht hat. Macht sich die Antragsgegnerin eine Kommentierung unter ihrer Story, die sie angeregt hat und die sie unproblematisch hätte löschen können, durch einen befürwortenden Kommentar zu eigen, so steht dies auch nach der Kerntheorie einer eigenen Äußerung gleich.

Die Äußerungen sind auch in ihrem Kern wesensgleich, auch wenn sich der Unterlassungstenor nur auf die Vergangenheit bezog. In der Behauptung, dass dies auch in der Gegenwart noch so sei, ist aber die frühere Behauptung enthalten und wird sogar in ihrem Erheblichkeitsgrad gesteigert.

Das Gericht hat das beantragte Ordnungsgeld auf 1.000,00 € festgesetzt. Es hat hierbei sowohl die Schwere der fortgesetzten Zuwiderhandlung berücksichtigt als auch dem Umstand Rechnung getragen, dass die Schuldnerin F... GmbH & Co. KG durch ein empfindliches Übel zur Einhaltung des gerichtlichen Verbots angehalten wird. Die Ordnungshaft hat ihre Rechtsgrundlage in § 890 I 1 ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 891 S. 3, 91 ZPO."


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OLG Köln: Vertragsstrafe bei einem kerngleichen Verstoß in der Werbung auch wenn sich Wortlaut der Unterlassungserklärung auf bestimmte Werbung bezieht

OLG Köln
Urteil vom 13.03.2020
6 U 201/19


Das OLG Köln hat entschieden, dass eine Vertragsstrafe bei einem kerngleichen Verstoß in der Werbung auch dann verwirkt ist, wenn sich der Wortlaut der Unterlassungserklärung auf eine bestimmte Werbung bezieht.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.100 € nebst Zinsen wendet. Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt die beanstandete Werbung der Beklagten einen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtungserklärung dar, so dass die Vertragsstrafe verwirkt ist.

Für die Frage, ob die beanstandete Handlung der Beklagten einen Verstoß darstellt, ist die Unterlassungsvereinbarung zwischen den Parteien auszulegen. Im Rahmen der Auslegung der Unterlassungsvereinbarung ist zu berücksichtigen, dass die Parteien bei der inhaltlichen Ausgestaltung eines Unterlassungsvertrages frei sind, so dass sich dessen Auslegung nach den allgemeinen für die Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen richtet. Maßgebend für die Reichweite einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtung ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB), zu dessen Auslegung neben dem Inhalt der Vertragserklärungen auch die beiderseits bekannten Umstände, insbesondere die Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung, ihr Zweck, die Wettbewerbsbeziehung zwischen den Vertragsparteien und ihre Interessenlage heranzuziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 18.09.2014 – I ZR 76/13, GRUR 2015, 258 – CT-Paradies; BGH, Urteil vom 17.07.2008 – I ZR 168/05, GRUR 2009, 181 – Kinderwärmekissen; BGH, Urteil vom 25.10.2012 – I ZR 169/10, GRUR 2013, 531 – Einwilligung in Werbeanrufe II; BGH, Urteil vom 17.07.1997 – I ZR 40/95, GRUR 1997, 931 – Sekundenschnell; Kessen in Teplitzky, Wettbewerbliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl., 8. Kap. Rn. 13).

Ein unmittelbarer Rückgriff auf die Grundsätze, die für die Auslegung eines in gleicher Weise formulierten Unterlassungstitels gelten, kommt dagegen nicht in Betracht, weil einem Unterlassungsvertrag der Charakter eines vollstreckbaren Titels fehlt (vgl. BGH, GRUR 1997, 931 – Sekundenschnell; Kessen in Teplitzky aaO, Kap. 12 Rn. 13, jeweils mwN).

Der Umstand, dass sich ein Unterlassungsvertrag seinem Wortlaut nach nur auf eine bestimmte Werbung bezieht, bedeutet nicht, dass sich die vertragliche Unterlassungspflicht auf diesen beschränken muss. Zweck eines Unterlassungsvertrages ist es regelmäßig, nach einer Verletzungshandlung die Vermutung der Wiederholungsgefahr durch eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungsverpflichtung auszuräumen und damit die Einleitung oder Fortsetzung eines gerichtlichen Verfahrens entbehrlich zu machen. Die Vermutung der Wiederholungsgefahr gilt jedoch nicht allein für die genau identische Verletzungsform, sondern umfasst auch alle im Kern gleichartigen Verletzungsformen. Der regelmäßig anzunehmende Zweck eines Unterlassungsvertrages spricht deshalb erfahrungsgemäß dafür, dass die Vertragsparteien durch ihn auch im Kern gleichartige Verletzungsformen erfassen wollten. Zwingend ist dies aber nicht. Die Auslegung des Unterlassungsvertrages kann auch ergeben, dass dieser bewusst eng auf die bezeichnete konkrete Verletzungsform bezogen ist (vgl. BGH, GRUR 1997, 931 – Sekundenschnell, Kessen in Teplitzky aaO, Kap. 8 Rn. 16, jeweils mwN). Eine besonders eng am Wortlaut orientierte Auslegung des Unterlassungsversprechens kann geboten sein, wenn im Verhältnis zur Bedeutung der Sache eine besonders hohe Vertragsstrafe vereinbart wurde (vgl. BGH, Urteil vom 13.02.2003 – I ZR 281/01, GRUR 2003, 545 – Hotelfoto). Dies gilt nicht, wenn sich der Versprechende zur Zahlung einer vom Kläger nach billigem Ermessen festzusetzenden Vertragsstrafe verpflichtet hat, die im Streitfall auf ihre Angemessenheit zu überprüfen ist (vgl. BGH, GRUR 2015, 258 – CT-Paradies).

Nach dem Wortlaut der Vereinbarung hat sich die Beklagte verpflichtet, es zu unterlassen, für die oben genannten Arzneimittel (B. Direkt, B. Protect und B. N) ohne gem. § 4 Abs. 3 HWG dem jeweils beworbenen Arzneimittel zugeordnet wiederzugeben, insbesondere so, wie in der Anlage erfolgt.

Der Wortlaut bezieht sich auf die Werbung für eines der genannten Arzneimittel ohne die Pflichtangaben mit entsprechender Zuordnung wiederzugeben. Damit macht bereits der Wortlaut deutlich, dass sich die Unterlassungsverpflichtung der Beklagten nicht auf eine Werbung ohne Pflichtangaben bezog, sondern auf eine solche, bei der die Zuordnung der Pflichtangaben nicht hinreichend erfolgte. Die Tatsache, dass sich die Formulierung „insbesondere“ auf eine Anlage bezog, in der eine Werbung vollständig ohne Pflichtangaben erfolgte, steht dem letztlich nicht entgegen. Denn die Bezugnahme durch die Formulierung „insbesondere“ soll das Charakteristische der Verletzungshandlung beispielhaft hervorheben, diese aber nicht beschränken. Es kommt hinzu, dass der Unterlassungserklärung der Beklagten eine Abmahnung des Klägers vom 05.04.2004 vorausgegangen ist. Der Inhalt der Abmahnung kann für die Auslegung der Unterlassungserklärung – jedenfalls im Rahmen der sonstigen zu berücksichtigenden Umstände – ebenfalls betrachtet werden. In der Abmahnung wies der Kläger auf folgendes hin:

Ferner geben Sie nicht die erforderlichen Pflichtangaben bei der jeweiligen Produktwerbung wieder – wie in § 4 Abs. 3 HWG gefordert in deutlicher Form – sondern geben lediglich am Ende dieser Seite den Hinweis an „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Vor diesem Hintergrund konnte der Kläger die Unterlassungserklärung der Beklagten allein dahin verstehen, dass diese die abgemahnte Handlung ebenfalls umfassen sollte. Dabei ist – wie dargelegt – auch zu berücksichtigen, dass die Unterlassungserklärung den Sinn hatte, die Wiederholungsgefahr auszuräumen. Diese bestand indes in Bezug auf eine Werbung, bei der die Pflichtangaben nicht in der Nähe der der Werbung, sondern deutlich unterhalb von dieser positioniert waren.

Die nunmehr vom Kläger beanstandete Handlung fällt unter die Unterlassungsverpflichtung, weil die Beklagte erneut eine Werbung ohne hinreichende Zuordnung der Pflichtangaben nutzte.

Soweit sich die Unterlassungsverpflichtungserklärung nicht auf Produkte bezog, die Gegenstand der nunmehr angegriffenen Werbung sind, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn Inhalt der Abmahnung und Kern der Verletzungshandlungen war die fehlende Zuordnung zu einem Produkt aus der „B. Familie“. Zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr musste die Beklagte daher eine Unterlassungserklärung abgeben, die sich auch auf den Kernbereich der damaligen Verletzungshandlung bezog. Vor diesem Hintergrund sollte die Unterlassungserklärung auch weitere Produkte der Produktfamilie umfassen.

Soweit die Beklagte beanstandet, das Landgericht habe Vortrag zugrunde gelegt, der erst nach der mündlichen Verhandlung erfolgt sei, kann dem nicht beigetreten werden. Der Kläger hat im Rahmen der Klagebegründung vorgetragen, was Inhalt der Unterlassungsverpflichtung war und diese, wie auch die Abmahnung, mit der Klageschrift vorgelegt.

Die Zuwiderhandlung erfolgte schuldhaft. Das Verschulden wird vermutet (vgl. Schaub in Teplitzky aaO, Kap. 20 Rn. 15, mwN); Anhaltspunkte, die gegen ein Verschulden der Beklagten sprechen würden, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

Die Höhe der Vertragsstrafe, die sich aus der Vereinbarung ergibt, ist nicht zu beanstanden, zumal es sich um eine fest vereinbare Summe und nicht um eine nach billigem Ermessen zu bestimmende Vertragsstrafe handelt.

3. Die Berufung des Klägers hat Erfolg und führt zur Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer weiteren Vertragsstrafe von 5.100 € nebst Zinsen.

Wie unter Ziffer 2 dargelegt ist die Vertragsstrafe durch die beanstandete Verletzungshandlung verwirkt. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Vertragsstrafe auch für zwei Verletzungshandlungen verwirkt. Für mehrere Verletzungshandlungen wird die Vertragsstrafe mehrfach fällig, sofern sie nicht als natürliche Handlungseinheit angesehen werden können (vgl. Schaub in Teplitzky aaO, Kap. 20 Rn. 16). Dabei ist wiederum die Auslegung der Vereinbarung der Vertragsstrafe zu betrachten.

Im Rahmen der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass das Sicherungsbedürfnis des Gläubigers mit einfließen kann, der Schuldner aber nicht übermäßig belastet werden soll (vgl. Schaub in Teplitzky aaO, Kap. 20 Rn. 17b). Dies führt im Ausgangspunkt dazu, dass häufig eine einheitliche Handlung anzunehmen ist, wenn dem Schuldner eine Handlung vorgeworfen wird, wie etwa das Einstellen einer Werbung in das Internet. Etwas anderes ist indes dann anzunehmen, wenn die Handlung nach einer Abmahnung andauert. Denn in diesem Fall liegt in der Nichthandlung trotz Kenntnis der Verletzungshandlung ein erneuter Verstoß. Andernfalls wäre die Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe nicht geeignet, die Gefahr der Wiederholung dauerhaft auszuräumen. Denn der Schuldner könnte bei einer Dauerhandlung lediglich einmal auf Zahlung der Vertragsstrafe in Anspruch genommen werden, bevor ein erneutes Verfahren erforderlich wäre. Dies entspricht in der Regel nicht dem erkennbaren Willen der Parteien. Anhaltspunkte, dass hier eine andere Auslegung vorzunehmen wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.


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LG Frankfurt: Zur Frage wann ein kerngleicher Verstoß gegen eine Unterlassungsverfügung bei Wortberichterstattung vorliegt

LG Frankfurt
Beschluss vom 28.10.2019
2-03 O 152/19


Das LG Frankfurt hat sich in dieser Entscheidung mit der Frage befasst, wann ein kerngleicher Verstoß gegen eine Unterlassungsverfügung bei Wortberichterstattung vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Anträge auf Verhängung eines Ordnungsgeldes nach § 890 Abs. 1 ZPO waren zurückzuweisen. Die Schuldnerin hat den ihr im Beschluss der Kammer vom 18.04.2019 auferlegten Unterlassungsverpflichtungen nicht zuwidergehandelt.

1. Die Kammer geht hierbei jedoch zunächst davon aus, dass die sogenannte „Kerntheorie“ auf die Wortberichterstattung anwendbar ist. Insoweit folgt die Kammer nicht der Auffassung der Schuldnerin, dass aufgrund einer Nichtanwendbarkeit der Kerntheorie in der Wortberichterstattung ein Ordnungsmittel gemäß § 890 ZPO generell nicht verhängt werden könne.

Zu Recht verweist die Schuldnerin insoweit auf die Entscheidung des BGH in NJW 2019, 1142. Dort heißt es in Rn. 19:

„Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, grundsätzlich zu klären, ob und in welchem Umfang die „Kerntheorie“ auf das Recht der Wortberichterstattung übertragbar ist (ablehnend zur Übertragung der „Kerntheorie“ auf die Bildberichterstattung Senat, NJW 2010, 1454 = AfP 2010, 60 Rn. 7; NJW 2009, 2823 = AfP 2009, 406 Rn. 7; NJW 2008, 3138 = AfP 2008, 507 Rn. 7; BGHZ 174, 262 = NJOZ 2008, 4785 Rn. 11 ff.; vgl. zur Wortberichterstattung Senat, Urt. v. 24.7.2018 – VI ZR 330/17, BeckRS 2018, 32622 Rn. 44; BVerfG, Beschl. v. 9.7.1997 – 1 BvR 730/97, BeckRS 1997, 9994 Rn. 10; Wenzel/Burkhardt, Kap. 12 Rn. 158; Meyer in Paschke/Berlit/Meyer, Kap. 40 Rn. 36; Neben, Triviale Personenberichterstattung als Rechtsproblem, 2001, 292 f.; Engels/Stulz-Herrnstadt/Sievers, AfP 2009, 313 [317, 319 f.]).“

Hieraus entnimmt die Kammer jedoch gerade nicht, dass durch jede Veränderung im Text stets ein zuvor ergangener Unterlassungstenor verlassen wird. Das BVerfG hat insoweit ausgeführt (BVerfG, Beschl. v. 09.07.1997 – 1 BvR 730/97, BeckRS 1997, 9994 Rn. 12):

„Das Landgericht und das Oberlandesgericht verstehen als Zuwiderhandlungen im Sinne des § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO solche Äußerungen, die der Verkehr als den untersagten Äußerungen gleichwertig ansieht und bei denen etwaige Abweichungen den Äußerungskern unberührt lassen. Dieses Verständnis schränkt die Meinungsfreiheit nicht übermäßig ein. Würden nur völlig identische Äußerungen die Rechtsfolge des § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO auslösen, könnte die Unterlassungsverpflichtung leicht umgangen werden; ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen dem Persönlichkeitsrecht und der Meinungsfreiheit wäre nicht gewährleistet.“

Auch der EuGH geht davon aus, dass – europarechtlich – eine Verpflichtung zur Entfernung von „sinngleichen“ Äußerungen zulässig ist (EuGH, Urt. v. 03.10.2019 – C-18/18 - Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland, Rn. 45):

„Unter diesen Umständen erscheint eine Verpflichtung wie die oben in den Rn. 41 und 45 beschriebene zum einen, indem sie sich auch auf Informationen sinngleichen Inhalts erstreckt, hinreichend wirksam, um den Schutz der von den diffamierenden Äußerungen betroffenen Person sicherzustellen. Zum anderen wird dieser Schutz nicht durch eine übermäßige Verpflichtung des Hosting-Anbieters gewährleistet, da die Überwachung und das Nachforschen, die sie erfordert, auf die Informationen beschränkt sind, die die in der Verfügung genau bezeichneten Einzelheiten enthalten, und da ihr diffamierender Inhalt sinngleicher Art den Hosting-Anbieter nicht verpflichtet, eine autonome Beurteilung vorzunehmen, so dass er auf automatisierte Techniken und Mittel zur Nachforschung zurückgreifen kann.“

Aus diesen Entscheidungen folgert die Kammer, dass durch eine Wortberichterstattung im Grundsatz – auch in veränderter Form – ein Verstoß gegen einen Unterlassungstenor erfolgen kann (ebenso OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2001, 187; KG Berlin AfP 2007, 582; OLG München AfP 2001, 322; LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 24.09.2019 – 2-03 O 35/18; Wenzel/Burkhardt, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 12 Rn. 20, 158 m.w.N.; Paschke/Berlit/Meyer, Hamburger Kommentar Gesamtes Medienrecht, 3. Aufl. 2016, Kap. 40 Rn. 36; Schwartmann/Schulenberg, Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht, 2018, Kap. 9 Rn. 175; differenzierend Engels/Stulz-Herrnstadt, AfP 2009, 313). Denn wenn man generell den Untersagungstenor durch – ggf. geringfügige – Veränderungen verlassen könnte, wäre der Betroffene einer Persönlichkeitsrechtsverletzung in weiten Teilen schutzlos gestellt, so dass – wie das BVerfG ausführt – ein verhältnismäßiger Ausgleich der betroffenen Rechtspositionen nicht mehr gewährleistet wäre.

2. Inhaltlich erfasst die Wirkung des Untersagungstenors daher auch solche Änderungen, die den Kern der Verletzungsform unberührt lassen. Ob diese Voraussetzung im Einzelfall erfüllt ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei Tatbestand und Gründe der Ausgangsentscheidung einzubeziehen sind (Wenzel/Burkhardt, a.a.O., Kap. 12 Rn. 20, 158 m.w.N.; Paschke/Berlit/Meyer, a.a.O., Kap. 40 Rn. 36). Das BVerfG spricht davon, dass „etwaige Abweichungen den Äußerungskern unberührt lassen“ (BVerfG, Beschl. v. 09.07.1997 – 1 BvR 730/97, BeckRS 1997, 9994 Rn. 12). Der EuGH wiederum versteht als „sinngleiche Informationen“ solche, die eine Aussage vermitteln, deren Inhalt im Wesentlichen unverändert bleibt und daher sehr wenig von dem Inhalt abweicht, der zur Feststellung der Rechtswidrigkeit geführt hat (EuGH, Urt. v. 03.10.2019 – C-18/18 - Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland, Rn. 39). Daher müssten die sinngleichen Informationen spezifische Einzelheiten umfassen, die von demjenigen, der die Verfügung erlassen hat, gebührend identifiziert worden sind, wie den Namen der von der zuvor festgestellten Verletzung betroffenen Person, die Umstände, unter denen diese Verletzung festgestellt wurde, und einen Inhalt, der dem für rechtswidrig erklärten Inhalt sinngleich ist (EuGH, Urt. v. 03.10.2019 – C-18/18 – Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland, Rn. 45). Teilweise wird auch vertreten, dass ein Verstoß anzunehmen sei, sofern die Äußerung nur eine Umgehung des Verbots darstellt (Paschke/Berlit/Meyer, a.a.O., Kap. 40 Rn. 36). Bei unwahren Tatsachenbehauptungen soll der unwahre Informationsgehalt einer Aussage der Kern der tenorierten Äußerung sein (Engels/Stulz-Herrnstadt, AfP 2009, 313, 320).

Nach dem Leitsatz der oben zitierten BGH-Entscheidung soll bei rechtswidrigen Eingriffen in die Privatsphäre durch wahre Tatsachenbehauptungen eine Anwendung der „Kerntheorie“ dergestalt, dass sich ein gerichtliches Unterlassungsgebot auf Äußerungen mit anderem, geringeren Informationsgehalt und geringerer Intensität des Eingriffs erstreckt, nicht in Betracht kommen (BGH NJW 2019, 1142). Der BGH hatte in jenem Verfahren geprüft, ob das Verbot einer identifizierenden Berichterstattung über ein Treffen der dortigen Klägerin, das vom Schutz der Privatsphäre umfasst war, in Anwendung der Kerntheorie auch eine Berichterstattung über das Treffen ohne die Identifizierung der Klägerin erfassen würde (BGH NJW 2019, 1142 Rn. 17). Der BGH sah in diesem Fall bereits keine kerngleiche Berichterstattung, weil die nicht identifizierende Berichterstattung über das Treffen einen anderen, geringeren Informationsgehalt hätte. Auch wäre der Eingriff in die Privatsphäre der Klägerin geringer, weil ein wesentliches Detail des Treffens nicht preisgegeben würde. Damit würden sich nicht unwesentliche abwägungsrelevante Gesichtspunkte für die Beurteilung, ob ein rechtswidriger Eingriff in die Privatsphäre vorliegt, ändern. Dies gelte auch dann, wenn im Ergebnis eine unzulässige Berichterstattung aufgrund eines weiterhin vorhandenen Eingriffs in die Privatsphäre vorliegen würde (BGH NJW 2019, 1142 Rn. 20).

Nach einer Entscheidung des KG Berlin ist ein kerngleicher Verstoß nicht anzunehmen, wenn sich die Umstände einer Berichterstattung derart ändern, dass sich damit zugleich deren Gesamteindruck bezogen auf den Kern der verbotenen Verletzungshandlung ändert. Über eine derart geänderte Berichterstattung sei nicht bereits bei Erlass der Verbotstenors implizit mitentschieden worden (KG Berlin AfP 2007, 528). Das KG Berlin stellt zudem auf den Anlass für eine Berichterstattung ab (KG Berlin AfP 2007, 528). Gehen deshalb zwei Berichterstattungen auf denselben Anlass zurück, stehen Abweichungen bei der Formulierung der einzelnen, zur Identifizierung geeigneten Merkmale der Person des Betroffenen der Annahme eines kerngleichen Verstoßes nicht entgegen (KG Berlin AfP 2007, 582, 583; vgl. insoweit auch LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 24.09.2019 – 2-03 O 35/18). Allerdings könne ein Unterschied auch in einer Veränderung der Sachlage bestehen, z.B. weil nach einer Verdachtsberichterstattung zwischenzeitig Ermittlungen gegen den Betroffenen aufgenommen worden sind, wenn also neue Verdachtsmomente aufgetreten sind, die bei der ursprünglichen Untersagungsentscheidung noch nicht Grundlage des Verbots sein konnten (KG Berlin AfP 2007, 582, 583).

Weiter kann aber zu berücksichtigen sein, dass demjenigen, bei dem eine gerichtlich bindende Verletzungshandlung festgestellt worden ist, eine Zurückhaltung bei künftiger Berichterstattung abverlangt werden kann (BVerfG, Beschl. v. 09.07.1997 – 1 BvR 730/97, BeckRS 1997, 9994 Rn. 13).

3. In Anwendung dieser Grundsätze liegt ein Verstoß gegen die einstweilige Verfügung durch die veränderte Textfassung gemäß dem Vollstreckungsantrag zu 1. (gestützt auf den Tenor der Unterlassungsverfügung zu 2.) hier nicht vor.

a. Die Kammer hat der Schuldnerin untersagt, unter Bezugnahme auf den Antragsteller zu verbreiten:

2. „(Gegen 0.30 Uhr am 23. Juni 2017 schießt ein Unbekannter dem Trainer in die Kniekehle; in der Halbwelt die letzte Warnung. Doch aufklären, was passiert ist, müssen nun nicht die ... Polizisten, die die Leute vom ... seit Jahrzehnten kennen, sondern die Kollegen in ....) Dort führen sie X, den Gym-Besitzer, als Beschuldigten. Sie verdächtigen ihn, etwas mit dem Schuss auf den Trainer zu tun zu haben. […]. X sei es wohl nicht selbst gewesen, er, der Trainer, vermute aber, dass X dahinterstecke. Mehr haben die Ermittler nicht in der Hand. Sie führen unabhängig von X drei weitere Männer als Beschuldigte.“

wenn dies geschieht wie gemäß dem Artikel in Anlagen AST 2/3, Bl. 15 ff. d.A.).

b. Der Gläubiger wirft der Schuldnerin vor, dass sie gegen den Untersagungstenor zu 2. verstoßen habe, indem sie die Äußerung

„Dort führen sie X, den Gym-Besitzer, als Beschuldigten. Sie verdächtigen ihn, etwas mit dem Schuss auf den Trainer zu tun zu haben. […]. X sei es wohl nicht selbst gewesen, er, der Trainer, vermute aber, dass X dahinterstecke. Mehr haben die Ermittler nicht in der Hand. Sie führen unabhängig von X drei weitere Männer als Beschuldigte.““

lediglich abgeändert habe in

„Dort führen sie insgesamt vier Männer als Beschuldigte, natürlich auch aus dem Boxmilieu, in dem der Trainer den Täter oder seiner Auftraggeber vermutet.“

c. Zunächst ist zu beachten, dass der Gläubiger auch durch die abgeänderte Darstellung erkennbar ist.

An die Erkennbarkeit einer Person werden grundsätzlich keine hohen Anforderungen gestellt. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob alle oder ein erheblicher Teil der Leser oder gar die Durchschnittsleser die gemeinte Person identifizieren können. Vielmehr reicht die Erkennbarkeit im Bekanntenkreis aus (BGH GRUR 1979, 732 – Fußballtor; OLG Frankfurt a.M. GRUR-RR 2017, 120 Rn. 44 – Dschihadist; OLG Köln NJW-RR 2019, 106 Rn. 20; Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl. 2019, § 13 Rn. 53). Ausreichend ist es darüber hinaus, wenn der Betroffene begründeten Anlass zu der Annahme hat, dass über das Medium persönlichkeitsverletzende Informationen auch an solche Empfänger gelangen, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, anhand der mitgeteilten individualisierenden Merkmale die Person zu identifizieren, auf die sich die Aussagen beziehen (BVerfG NJW 2004, 3619, 3620; BGH GRUR 2010, 940 Rn. 13 f. – Überwachter Nachbar). Hierbei soll eine Erkennbarkeit nicht bestehen, wenn die zusätzlichen Informationen erst durch eine Internetrecherche ermittelt werden können (OLG Köln NJW-RR 2019, 106 Rn. 21 f.).

In Anwendung dieser Grundsätze geht die Kammer von der Erkennbarkeit des Gläubigers aus. Die Schuldnerin bezeichnet den Gläubiger als „...größe in ...“ im Box-Milieu, ferner als „in ... prominenter Boxer und K“. Der Gläubiger trägt vor, dass er die einzige Person in Hamburg sei, auf die dies zutrifft. Zudem trägt er vor, dass er durch vielfältige Berichterstattung in Hamburg bekannt sei, so dass auch eine Vielzahl von Personen das entsprechende Zusatzwissen („prominenter ... Boxer in ...“) haben dürften, was die Schuldnerin wohl in Abrede stellt (S. 2 ihres Schriftsatzes vom 06.06.2019, Bl. 82 d.A.).

d. Die nunmehr angegriffene Äußerung hat jedoch ein anderes Gepräge und verlässt hierdurch den Kernbereich des tenorierten Verbots. Zum einen ist die Intensität der Rechtsverletzung durch den Verzicht auf die Namensnennung reduziert worden, obwohl der Kläger – mit entsprechendem Zusatzwissen und damit für einen kleineren Kreis – noch identifizierbar sein dürfte (vgl. zur geringeren Intensität beim Verzicht auf die Nennung des Nachnamens LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 15.10.2019 – 2-03 O 398/19). Darüber hinaus ist die nunmehr angegriffene Äußerung auch im Übrigen verändert worden. Im Ursprungsbericht wurde der Verdacht geäußert, dass es der Gläubiger wohl nicht selbst gewesen sei, er aber dahinter stecke. Lediglich im Nachgang wurde darauf hingewiesen, dass es drei weitere Beschuldigte gebe. Im Gegensatz dazu lässt die nunmehr angegriffene Äußerung offen, welche der vier als Beschuldigte geführten Personen wohl hauptsächlich als Täter in Betracht kommen bzw. gegen wen sich der Verdacht des Trainers berichtet.

4. Auch ein Verstoß gegen die einstweilige Verfügung durch die veränderte Textfassung gemäß dem Vollstreckungsantrag zu 2. (gestützt auf den Tenor der Unterlassungsverfügung zu 3. und 6.) liegt nicht vor.

a. Die Kammer hat der Schuldnerin untersagt, unter Bezugnahme auf den Antragsteller zu verbreiten:

3. „X ist in ... auch deshalb bekannt, weil er 20xx die ... heiratete. In dem Mordfall führt die Polizei ihn ausdrücklich nicht als Beschuldigten, ihr fehlen jegliche Beweise.“

6. „Ein deutsches Gericht hat A jüngst verboten zu behaupten, X habe mit dem Mord zu tun. Womöglich geht es nur darum, X wegen seines mutmaßlichen Engagements für die K zu diskreditieren. X bestreitet sämtliche Vorwürfe.“

wenn dies geschieht wie gemäß dem Artikel in Anlagen AST 2/3, Bl. 15 ff. d.A.).

Die beiden Passagen finden sich in der Printfassung (Anlage AST 2, Bl. 15 d.A.) auf der zweiten Seite am Ende der linken bzw. am Anfang der mittleren Spalte (Äußerung zu 3.) sowie im unteren Bereich der rechten Spalte (Äußerung zu 6.). Vor der Äußerung zu 6. heißt es dort:

„Das regierungsnahe türkische Internetportal H schrieb im Sommer: „Hinter dem Mord an dem ... Boxer steckt die K.“ Das Boulevardblatt „...“ schrieb: ‚Der Verdacht erhärtet sich, dass der K-Anhänger X den Befehl gegeben hat.‘“

b. Der Gläubiger wirft der Schuldnerin vor, dass sie gegen den Untersagungstenor zu 3./6. verstoßen habe, indem sie auf der vierten Seite der Anlage ZV 4 (Bl. 69 d.A.) äußert:

„Das regierungsnahe türkische Internetportal H schrieb im Sommer: „Hinter dem Mord an dem ... Boxer steckt die K.“ Ein Boulevardblatt „...“ geht sogar noch weiter und schreibt ausdrücklich, gegen welchen in Hamburg prominenten Boxer und ... sich der Verdacht richten soll. Gegen den Mann wurde in der Türkei jüngst Haftbefehl erlassen, womöglich geht es aber nur darum, ihn wegen seines mutmaßlichen Engagements für die K zu verfolgen und zu diskreditieren. Er bestreitet sämtliche Vorwürfe und in Deutschland wird er von den zuständigen Ermittlungsbehörden ausdrücklich nicht als Beschuldigter geführt.“

c. Auch insoweit geht die Kammer davon aus, dass der Gläubiger im Gesamtkontext der Äußerung weiterhin – jedenfalls für bestimmte Personen – erkennbar ist.

d. Die Äußerung verlässt jedoch den Kernbereich der Verbotsverfügung. Denn auch hier ist zu beachten, dass durch das Weglassen des Namens und die jedenfalls in geringem Umfang veränderte Struktur der Äußerungen „nicht unwesentliche abwägungsrelevante Gesichtspunkte für die Beurteilung, ob ein rechtswidriger Eingriff ... vorliegt“ (BGH NJW 2019, 1142 Rn. 20) verändert werden.

Die Kammer hat hierbei auch berücksichtigt, dass von der Schuldnerin grundsätzlich auch eine besondere Zurückhaltung bei der Weiterverbreitung der angegriffenen Berichterstattung verlangt werden kann.

5. Gleiches gilt für die veränderte Textfassung gemäß dem Vollstreckungsantrag zu 3. (gestützt auf den Tenor der Unterlassungsverfügung zu 5.).

a. Die Kammer hat der Schuldnerin untersagt, unter Bezugnahme auf den Antragsteller zu verbreiten:

5. „Das Boulevardblatt ‘...‘ schrieb: ‘Der Verdacht erhärtet sich, dass der K-Anhänger X den Befehl gegeben hat.“

wenn dies geschieht wie gemäß dem Artikel in Anlagen AST 2/3, Bl. 15 ff. d.A.).

b. Der Gläubiger wirft der Schuldnerin vor, dass sie gegen den Untersagungstenor zu 5. verstoßen habe, indem sie auf der vierten Seite der Anlage ZV 4 (Bl. 69 d.A.) äußerte:

„Das regierungsnahe türkische Internetportal H schrieb im Sommer: „Hinter dem Mord an dem türkischen Boxer steckt die K.“ Ein Boulevardblatt „...“ geht sogar noch weiter und schreibt ausdrücklich, gegen welchen in Hamburg prominenten Boxer und ... sich der Verdacht richten soll. Gegen den Mann wurde in der Türkei jüngst Haftbefehl erlassen, womöglich geht es aber nur darum, ihn wegen seines mutmaßlichen Engagements für die K zu verfolgen und zu diskreditieren. Er bestreitet sämtliche Vorwürfe und in Deutschland wird er von den zuständigen Ermittlungsbehörden ausdrücklich nicht als Beschuldigter geführt.“

c. Auch hier geht die Kammer davon aus, dass durch das Weglassen des Namens des Gläubigers der Kernbereich der Verbotsverfügung verlassen wird.


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LG Dortmund: Für Feststellung ob kerngleicher Verstoß gegen Unterlassungstitel wegen unzulässiger Werbeaussage mit Wirkversprechen vorliegt ist auf Urteilsgründe abzustellen

LG Dortmund
Urteil vom 26.08.2019
10 O 233/02


Aus den Entscheidungsgründen:

"Der Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes ist schon deshalb nicht begründet, weil eine Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungstitel nicht vorliegt.

1.
Es kann dahinstehen, ob das beanstandete Verhalten schon deshalb nicht unter den Schutzbereich des Verbotstenors fällt, weil die Auslegung des Verfügungsantrages ggf. bereits ergibt, dass in der Wahl der konkreten Verletzungshandlung als Unterlassungsbegehren eine bewusste Beschränkung liegt (vgl. zu diesem Gesichtspunkt: BGH, Beschluss vom 03.04.2014, I ZB 42/11; Beschluss vom 29.09.2016, I ZB 34/15).

Denn auch eine kerngleiche Verletzungshandlung kann nicht festgestellt werden.

2.
Der dem Gläubiger aufgrund einer in der Vergangenheit liegenden Verletzungshandlung zustehende Unterlassungsanspruch ist nicht auf ein der Verletzungshandlung in jeder Hinsicht entsprechendes Verhalten beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf kerngleiche Verletzungshandlungen. Erfasst werden über die identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Abwandlungen, in denen das charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt (BGH, Urteil vom 29.09.2016, Aktenzeichen I ZB 34/15; Zöller, ZPO, 32. Auflage, § 890, Rn. 4). Wird eine Maßnahme so verändert, dass sich deren Gesamteindruck bezogen auf den Kern des Verbots ändert, unterfällt sie nicht dem Verbotskern des Titels. Dies gilt selbst dann, wenn die abgeänderte Form selbst rechtswidrig wäre (vgl. Hess in juris PK- UWG, 4. Aufl., § 12, Rn. 254 mit weiteren Nachweisen). Eine weitergehende Titelauslegung ist schon aufgrund des strafähnlichen Charakters des Ordnungsmittels des § 890 ZPO unstatthaft (BGH, NJW 1989, 2327).

Voraussetzung für die Erstreckung des Schutzumfanges des Unterlassungstenors auf kerngleiche Verletzungshandlungen ist jedoch, dass diese in das Erkenntnisverfahren und die Verurteilung einbezogen sind. Das rechtlich Charakteristische der konkreten Verletzungsform, das für die Bestimmung des Kerns der verbotenen Handlung maßgeblich ist, ist auf das beschränkt, was bereits Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren gewesen ist (BGH WRP 2014, 719).

Die Kerntheorie erlaubt nicht, die Vollstreckung aus einem Unterlassungstitel auf Handlungen zu erstrecken, die nicht Gegenstand des Erkenntnisverfahrens waren. Darin läge eine wegen des Sanktionscharakter der Ordnungsmittel des § 890 ZPO unzulässige Titelerweiterung.

Zweifel gehen dabei zulasten des Titelinhabers, da er durch entsprechende Antragsformulierung die notwendige Verallgemeinerung des Verbotes herbeiführen kann und das Vollstreckungsverfahren nicht mit Ungewissheiten belastet werden soll, die besser im Erkenntnisverfahren geklärt würden (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011,286; Köhler/Bornkamm, UWG, 37. Aufl., § 12, Rn. 6.4).

Geht es wie hier um die Verwendung abweichender Begrifflichkeiten so ist anhand der Urteilsgründe zu prüfen, warum das Gericht im Erkenntnisverfahren das Verbot erlassen hat, welche Sachverhaltsaspekte mithin für die Subsumtion relevant waren. Fragestellungen, die nicht geprüft wurden, können dabei nicht als mitentschieden erachtet werden (Grosch/Ebersohl/Herrmann/Federsen/Schwippert in: Teplitzky/Peifer/Leistner, UWG, 2. Aufl., § 12 Rn. 857f. mit Beispielsfällen).

Bei der Notwendigkeit einer eigenständigen Untersuchung der abweichenden Begrifflichkeit scheidet eine Bestrafung aus (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 28.04.2015, Az. 3 W 32/15 = PharmR 2015, 412; OLG Stuttgart WRP 1989,276). Als im Kern gleich können aber solche Verletzungshandlungen angesehen werden, die sich lediglich als Ergebnis „kosmetische(r) Änderungen“ darstellen (OLG Hamburg, Beschluss vom 06.09.2010, Az. 3 W 81/10, zitiert nach juris)

a)
Da die Antragstellerin im Ausgangsverfahren keine Verallgemeinerung des Verbotes herbeiführte, sondern lediglich eine konkrete Werbeaussage zum Gegenstand machte und hier eine abweichende Begrifflichkeit in Rede steht, kann das charakteristische der Unterlassungspflicht mithin nur unter Hinzuziehung der Urteilsgründe herausgearbeitet werden. Die hier maßgeblichen Urteilsgründe lauten:

„Gemäß § 3 HWG ist die irreführende Werbung von Arzneimitteln unzulässig. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln Wirkungen beigelegt werden, die Ihnen nicht zukommen. Die hier streitige Werbeaussage, die sich über die Wirkung des Arzneimittels verhält, ist für den durchschnittlichen, verständigen und aufmerksamen Betrachter nicht eindeutig. Sie lässt verschiedene Auslegungs - oder Verständnismöglichkeiten zu und ist aus diesem Grunde geeignet, den angesprochenen Personenkreis irrezuführen.

Der Aussagegehalt der Wirkungsaussage lässt sich bei einer eher allgemeinen Würdigung dahin zusammenfassen, dass sich die versprochenen Wirkungen einstellen, wenn mit der Entnahme (gemeint offensichtlich: Einnahme) des Medikamentes bereits vor dem Ausbruch der Erkältungskrankheit begonnen wird. Welcher Zeitpunkt hier aber konkret angesprochen ist, ist nicht eindeutig bestimmbar. Die Bezugnahme auf den Zeitraum oder Zeitpunkt vor dem „richtigen“ Beginn der Erkrankung („bevor sie richtig beginnt“) lässt eine sichere zeitliche Eingrenzung nicht zu. Der „richtige“ Beginn kann gleichzusetzen sein mit dem Zeitpunkt des Ausbruchs der Erkältungskrankheit. Der „richtige“ Beginn kann aber auch den Zeitpunkt beschreiben, indem die ersten Symptome erkennbar werden, die über nicht spezifische Befindlichkeitsbeschwerden hinausgehen und eindeutig auf eine beginnende Erkältungskrankheit hinweisen. In diesem Fall verlagert sich auch der nach der Werbeaussage empfohlene Zeitpunkt für den Beginn der Einnahme. Es ist früher mit der Einnahme zu beginnen als in dem erstgenannten Fall. Der Wahl des Einnahmezeitpunktes ist aber für die angesprochenen Verkehrskreise für die Einordnung des Medikamentes, etwa als Mittel der Linderung oder Heilung oder auch Vorbeugung von Bedeutung. Diese Einordnung wiederum bedingt eine unterschiedliche Bewertung oder ein anderes Verständnis der in der hier in Rede stehenden Aussage beworbenen Wirkungsweise des Arzneimittels. Von einem Arzneimittel, das erst nach Auftreten der o.a. Symptome eingenommen wird, kann erwartet werden, wenn es in der Anzeige heißt „Hält die Erkältung auf“, dass die Erkältungssymptome gemildert werden oder der vollständige oder auch nur schwerere Ausbruch der Erkrankung verhindert wird. Im zweiten Fall hingegen ist die Wirkungsaussage dahin zu verstehen, dass es nicht zum Erkältungseintritt und auch nicht zu den o.a. Symptomen kommt.

Die Wirkungsaussage der Beklagten ist zumindest im letztgenannten Fall irreführend. Arzneimitteln darf in der Werbung grundsätzlich keine Wirkung beigelegt werden, die ihnen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend abgesichert sind. (Wird ausgeführt…)“

b)
Schon die Bestimmung der Charakteristik der Verletzungsform anhand der Urteilsgründe ist mit Unsicherheiten belastet. Der rechtliche Bezugspunkt der Feststellung der Wettbewerbswidrigkeit der Handlung bleibt unklar. So leitet das Gericht eine Irreführung zunächst daraus her, dass verschiedene Auslegungs- oder Verständnismöglichkeiten in zeitlicher Hinsicht bezüglich des Satzteiles „… bevor sie richtig beginnt“ vorlägen. Denkbarer rechtlicher Bezugspunkt hierfür wäre § 3 Abs. 1 S. 1 HWG.

Sodann benennt das Gericht zwei mögliche Deutungen, wobei die letztgenannte irreführend sei, weil dem Mittel unzulässig eine Wirkung beigelegt würde. Damit wäre § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG in Bezug genommen.

Diese Unsicherheit lässt sich auch dann nicht aufklären, wenn man den materiellrechtlichen Obersatz des Urteils in den Blick nimmt. Mit diesem wird inhaltlich sowohl § 3 Abs. 1 S. 1 als auch S. 2 Nr. 1 HWG zitiert.

Nach alledem bleibt offen, ob die Rechtswidrigkeit der konkreten Verletzungshandlung nur aus § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG oder zugleich auch aus § 3 Abs. 1 S. 1 HWG hergeleitet wird. Verbleibende Zweifel treffen insoweit die Antragstellerin.

Im Fall der Herleitung auch aus § 3 Abs. 1 S. 1 HWG würde die Charakteristik der Verletzungshandlung das Vorliegen einer Irreführung durch verschiedene Auslegungs- oder Verständnismöglichkeiten in zeitlicher Hinsicht umfassen. Ob die nun beanstandeten Formulierungen in gleicher Weise eine Irreführung in zeitlicher Hinsicht herbeiführen, könnte nur durch eine neue, eigenständige Prüfung ermittelt werden. Damit kann aber bereits eine Kerngleichheit nicht mehr bejaht werden, unabhängig davon, ob diese Prüfung ergeben würde, dass eine Irreführung im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 HWG vorliegt. Anderes könnte sich nur dann ergeben, wenn das Ergebnis der Prüfung gleichsam auf der Hand läge, weil es sich bei der Änderung der Formulierung um eine bloß kosmetische Änderung handelte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Ersticken einer Erkältung „im Keim“ setzt vielmehr das Vorliegen einer Erkältung voraus. Ähnlich liegt es bei den Formulierungen in der Anlage OA 4. Dort werden sogar differenziertere Aussagen zum Einnahmezeitpunkt getätigt. Die Auslegungs - und Verständnisfragen stellen sich damit in allen Fällen wesentlich anders.

c)
Aber selbst dann, wenn man das Charakteristische der Werbeaussage nur aus dem letzteren Begründungsteil des Urteils ableitet, der sich unzweifelhaft auf § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG bezieht, so ließe sich eine Verallgemeinerung nur aus der vom Gericht angenommenen Wirkungsaussage ableiten, dass es nicht zum Erkältungseintritt und auch nicht zu Symptomen komme, die über nicht spezifische Befindlichkeitsbeschwerden hinausgehen und eindeutig auf eine beginnende Erkältungskrankheit hinweisen (= „o. A. Symptome“). Nur diese Wirkungsaussage hat das Gericht beanstandeten Werbung entnommen und geprüft.

aa)
Sämtlichen nun beanstandeten Formulierungen kann aber nicht entnommen werden, dass dem Mittel wiederum die Wirkungsweise beigelegt würde, dass es nicht zum „Erkältungseintritt“ komme. Eine Erkältung, die „im Keim“ erstickt wird, muss jedenfalls in einem ganz frühen Stadium schon vorgelegen haben. Eine Erkältung, die nicht voll zum Ausbruch kommt, ist jedenfalls bereits teilweise zum Ausbruch gekommen.

bb)
Auch hier kommt es im Rahmen der Zwangsvollstreckung nicht darauf an, ob die nun beanstandeten Werbeaussagen ihrerseits eine unzulässige Beilegung von Wirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG beinhalten. Maßgeblich ist allein, ob anhand der oben genannten Kriterien ein kerngleicher Verstoß festgestellt werden kann.

d)
Bei alledem steht einem Verstoß hinsichtlich der Anlage OA 5 bereits entgegen, dass insoweit N1 Globuli beworben wurden. Unstreitig war dieses Mittel im Jahr 2002 noch gar nicht zugelassen und auf dem Markt, so dass die Auslegung des Tenors ergeben muss, dass es dem Verbot nicht unterfällt. Zweifelhaft ist sogar noch, ob dies nicht überdies auch für die beanstandete Formulierung aus der Anlage OA 3 zu gelten hat, weil nicht auszuschließen ist, dass sich die Formulierung in dem Auszug in der Google-Trefferliste originär ebenfalls auf das Mittel N1 Globuli bezieht. Dafür spricht, dass dieser Treffer nicht, wie der Antragsteller vorträgt, bei der Suche mit dem Begriff „N1“ erschien, sondern, wie sich aus der in Bezug genommenen Anlage OA 3 ergibt, bei einer Suche mit den weiteren Begriffen „keim“ und „ersticken“, welche auch Gegenstand der Werbeaussage der Anlage OA 5 sind."

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OLG Frankfurt: Kerngleicher Verstoß gegen Unterlassungsverpflichtung bei Markenrechtsverletzung wenn lediglich ein Buchstabe verändert wird

OLG Frankfurt am Main
03.05.2018
6 W 36/18


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein kerngleicher Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung bei einer Markenrechtsverletzung vorliegt, wenn lediglich ein Buchstabe verändert wird ("Jakuzzi" statt "Jacuzzi")

Aus den Entscheidungsgründen:

"2.) Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin durch die Bewerbung eines Whirlpool unter der Bezeichnung "Jakuzzi" schuldhaft gegen die einstweilige Verfügung verstoßen hat. Die Bezeichnung fällt in den Kernbereich des Unterlassungstitels und der Verstoß erfolgte auch schuldhaft.

a) Die Bewerbung unter der Bezeichnung "Jakuzzi" fällt in den Kernbereich des mit der einstweiligen Verfügung ausgesprochenen Verbotes.

Ob das Handeln eine Zuwiderhandlung darstellt, bestimmt sich nach der durch Auslegung zu ermittelnden Reichweite des Unterlassungstitels. Der Verbotsumfang ist nicht auf die im Urteil beschriebene sogenannte konkrete Verletzungsform begrenzt, es sei denn, dass das Verbot eng auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkt ist (BGH GRUR 2010, 454 [BGH 22.10.2009 - I ZR 58/07] Rn. 12 - Klassenlotterie). Sofern der Titel das Charakteristische oder den "Kern" der Verletzungsform zweifelsfrei zum Ausdruck bringt, werden nicht nur die mit der verbotenen konkreten Verletzungsform identischen, sondern auch abgewandelte, aber im Kern gleichartige (aber nicht bloß ähnliche) Handlungsformen erfasst (BGH GRUR 2010, 253 [BGH 10.12.2009 - I ZR 46/07] Rn. 30 - Fischdosendeckel; BGH GRUR 2010, 855 [BGH 19.05.2010 - I ZR 177/07] Rn. 17 - Folienrollos). Die Zuordnung einer Handlung zum Kernbereich des Verbots kommt allerdings nicht in Betracht, wenn sie nicht Gegenstand der Prüfung im Erkenntnisverfahren gewesen ist (BGH GRUR 2013, 1071 [BGH 06.02.2013 - I ZB 79/11][BGH 06.02.2013 - I ZB 79/11] Rnr. 14, 18 - Umsatzangaben; zum Urheberrecht BGH GRUR 2013, 1235 [BGH 20.06.2013 - I ZR 55/12] Rnr. 18 - Restwertbörse II - sowie BGH GRUR 2014, 706 [BGH 03.04.2014 - I ZB 42/11] Rnr. 12 f. - Reichweite des Unterlassungsgebots). Die Zugehörigkeit zum Verbotsbereich ist insbesondere dann anzunehmen, wenn neben der in Bezug genommenen konkreten Verletzungshandlung zur Beschreibung abstrakt formulierte Merkmale verwendet werden. Sie haben dann die Funktion, den Kreis der Varianten näher zu bestimmen, die von dem Verbot als kerngleiche Handlungen erfasst sein sollen (BGH GRUR 2010, 855 [BGH 19.05.2010 - I ZR 177/07] Rnr. 17 - Folienrollos).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Landgericht zu Recht von einem kerngleichen Verstoß ausgegangen. Allein der Austausch des Buchstabens "c" durch ein "k" in dem Wort "Jacuzzi" bei ansonsten identischer Verletzungsform führt aufgrund der phonetischen Identität und der hohen schriftbildlichen Ähnlichkeit nicht aus dem Verbotsumfang heraus. Dass es sich nach Auffassung der Antragsgegnerin bei dem Wort "Jakuzzi" um einen beschreibenden Begriff des allgemeinen Sprachgebrauchs handeln soll, führt zu keinem anderen Ergebnis. Wäre dies der Fall, würde dies unter Umständen die Eintragungsfähigkeit der Marke oder auch die markenmäßige Benutzung in Frage stellen. Hierbei handelt es sich jedoch um Einwendungen, die allein im markenrechtlichen Löschungsverfahren oder gegebenenfalls im Erkenntnisverfahren eingewendet werden könnten, nicht hingegen im Vollstreckungsverfahren, in dem materielle Einwendungen regelmäßig nicht zu berücksichtigen sind. Über den Umweg des Vollstreckungsverfahrens jedenfalls kann die Antragsgegnerin nicht erreichen, mit ihren materiell-rechtlichen Einwänden gegen den Titel zum Erfolg zu kommen.

Ein abweichende Beurteilung käme allenfalls dann in Betracht, wenn es sich bei der Marke "Jacuzzi" um eine abgewandelte Schreibweise der rein beschreibenden Angabe "Jakuzzi" handelte; denn unter diesen Umständen würde sich die - wiederum einem neuen Erkenntnisverfahren vorzubehaltende - Frage stellen, ob der Schutzbereich der an eine rein beschreibende Angabe angelehnten Marke auch die Benutzung der beschreibenden Angabe selbst umfassen würde (vgl. hierzu BGH GRUR 2008, 803 - HEITEC, Rn. 22). Eine solche Fallgestaltung ist jedoch nicht gegeben. Selbst wenn der angesprochene Verkehr den in Rede stehenden Begriff - wie von der Antragsgegnerin vorgetragen - als Synonym für Whirlpool verstehen sollte, gilt dies auch und erst recht in der Schreibweise "Jacuzzi". Denn gerade in dieser Schreibweise sind die von dem gleichnamigen Hersteller stammenden Whirlpools bekannt geworden.

b) Der Verstoß erfolgt auch schuldhaft.

Der Schuldner hat für Vorsatz und Fahrlässigkeit einzustehen. Auf einen vermeidbaren Verbotsirrtum kann sich der Schuldner nicht berufen (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen UWG § 12 Rn. 6.7). Entscheidend ist, ob er bei gebotener Sorgfalt mit einer für ihn ungünstigen Beurteilung der Rechtslage durch das Gericht rechnen musste. Dies ist hier der Fall.

3.) In der Sache sieht jedoch der Senat einen Betrag in Höhe von 5.000 € als ausreichend, aber auch notwendig an, um die Antragsgegnerin zukünftig zur Einhaltung der Unterlassungsverpflichtung anzuhalten.

Der Senat hat hierbei berücksichtigt, dass zum einen nur ein fahrlässiger Verstoß vorlag und die Antragsgegnerin nicht die Verletzung identisch fortgeführt hat, sondern versucht hat, durch die Abänderung der Bezeichnung aus dem Verbotsbereich zu gelangen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es sich um den ersten Verstoß gegen die einstweilige Verfügung handelte und die Antragstellerin nicht als Markeninhaberin vorgegangen ist, sondern nur als Wettbewerberin, was wirtschaftlich einen geringeren Eingriff in ihre Rechte darstellt. Von daher erscheint dem Senat ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 € angemessen."


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KG Berlin: Beschränkung einer Unterlassungserklärung auf konkretes Produkt reicht bei Wettbewerbsverstoß regelmäßig nicht um Wiederholungsgefahr auszuräumen

KG Berlin
Urteil vom 02.09.2016
5 U 16/16


Das KG Berlin hat entschieden, dass die Beschränkung einer Unterlassungserklärung auf ein konkretes Produkt bei einem Wettbewerbsverstoß regelmäßig nicht ausreicht, um die Wiederholungsgefahr auszuräumen. Vorliegend ging es um die wettbewerbswidrige Werbung für ein Arzneimittel. Die abgegebene Unterlassungserklärung beschränkte sich auf das konkret beworbene Produkt und nicht wie nach Ansicht des KG Berlin erforderlich auf die Produktgattung Arzneimittel.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Berufung der Antragsgegnerin ist als solche statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Mit Recht hat das Landgericht seine einstweilige Verfügung - soweit seitens des Antragstellers weiterhin begehrt - bestätigt. Auf die Begründung im angefochtenen Urteil wird - zustimmend - verwiesen und mit Blick auf die dagegen gerichteten Berufungsangriffe lediglich das Folgende ausgeführt:

I.

Das Landgericht hat nicht gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen.

1.

Die Verbotsformel der Beschlussverfügung kongruiert ebenso exakt mit dem damaligen Verbotsantrag, wie diejenige des Urteilsausspruchs mit dem erstinstanzlich zuletzt gestellten Antrag des Antragstellers.

2.

In gleicher Weise kongruiert die landgerichtliche Verbotsbegründung mit der Antragsbegründung. Laut Antragsbegründung ging es gerade darum, das Verbot auf andere Arzneimittel außer Maaloxan und Nagel Batrafen zu erstrecken. Es wurde um die Reichweite der Kerntheorie gestritten (und zwar - materiell - nur). Umgekehrt ging der ursprüngliche Antrag insoweit über diesen Streit hinaus, als auch die beiden genannten Arzneimittel (trotz diesbezüglicher Unterwerfung) erfasst wurden. Insoweit ist die Beschlussverfügung zu Unrecht ergangen und zu Recht - auch infolge des zuletzt gestellten erstinstanzlichen Antrags - nicht bestätigt worden.

3.

Dessen allen ungeachtet kommt § 308 ZPO letztlich auch schon allein deshalb nicht zum Tragen, weil der Antragsteller - zweitinstanzlich - das landgerichtliche Verbot, so wie es (zuletzt) ausgesprochen wurde, verteidigt, indem er beantragt, die dagegen gerichtete Berufung der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

II.

Fehl geht auch der Berufungsangriff gegen die Annahmen des Landgerichts zum Anspruchsumfang, namentlich der Kerntheorie und der Reichweite der durch den Verstoß hervorgerufenen - und mittels eingeschränkter Unterwerfung nur eingeschränkt ausgeräumten - Wiederholungsgefahr.

Das hier in Rede stehende gesetzliche Verbot der Werbung mit fachlichen Empfehlungen gilt in exakt gleicher Weise für alle Arzneimittel. Daher ist im Verhältnis zum Verstoß einer solchen Werbung für die Arzneimittel Maaloxan und Nagel Batrafen ein Verstoß mittels solcher Werbung für irgendein sonstiges Arzneimittel kerngleich. Daher beschränkte sich der Unterlassungsanspruch aufgrund Wiederholungsgefahr keineswegs nur auf die in der Werbung angeführten Arzneimittel Maaloxan und Nagel Batrafen, sondern erstreckte sich auf alle anderen Arzneimittel gleichermaßen. Die Wiederholungsgefahr ist mittels eingeschränkter Unterwerfung aber nur bezüglich der beiden genannten Arzneimittel ausgeräumt worden, nicht aber bezüglich aller anderen Arzneimittel. Deshalb besteht insoweit (weiterhin, trotz Unterwerfung) ein Unterlassungsanspruch bezüglich einer Werbung wie geschehen mit fachlichen Empfehlungen für alle sonstigen Arzneimittel außer Maaloxan und Nagel Batrafen.


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BGH: Zur Reichweite eines Unterlassungsanspruchs bei kerngleichen Verstößen in der Vollstreckung - beschränkt auf streitgegenständliche Schutzrechte

BGH
Beschluss vom 03.04.2014
I ZB 42/11
Reichweite des Unterlassungsgebots
ZPO § 890 Abs. 1

Leitsätze des BGH:


a) Die Verletzung eines bestimmten Schutzrechts kann die Verhängung eines Ordnungsmittels für kerngleiche Verletzungen anderer Schutzrechte rechtfertigen, wenn die kerngleichen Verletzungshandlungen in das Erkenntnisverfahren und die Verurteilung einbezogen sind (Fortführung von BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 I ZR 55/12, GRUR 2013, 1235 Rn. 18 = WRP 2014, 75 Restwertbörse II).

b) Das rechtlich Charakteristische der konkreten Verletzungsform, das für die Bestimmung des Kerns der verbotenen Handlung und die Reichweite des Vollstreckungstitels maßgeblich ist, ist auf die Schutzrechte beschränkt, die Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren gewesen sind.

BGH, Beschluss vom 3. April 2014 - I ZB 42/11 - OLG Hamburg - LG Hamburg

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BGH: Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für eine Unterlassungsklage bei kerngleichen Verstößen, die durch eine Unterlassungsverfügung abgedeckt sind

BGH
Urteil vom 19.05.2010
I ZR 177/07
Folienrollos
UWG § 12 Abs. 2; ZPO § 253

Leitsatz des BGH:


Gibt der Schuldner auf eine Unterlassungsverfügung, durch die ihm unterschiedliche, in einem ersten Schreiben enthaltene Äußerungen untersagt worden sind, eine Abschlusserklärung ab, so besteht für eine auf die Untersagung eines zweiten Schreibens gerichtete weitere Unterlassungsklage, die sich auf kerngleiche Äußerungen bezieht, kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn zwar mit dieser Klage neben den als kerngleich bereits verbotenen Äußerungen weitere dort enthaltene Äußerungen beanstandet werden, die isolierte Untersagung
dieser Äußerungen aber nicht begehrt wird.

BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 - I ZR 177/07 -

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OLG Hamm: Flucht in eine neue Rechtsform entbindet nicht von Verpflichtungen aus einer strafbewehrten Unterlassungserklärung

OLG Hamm
Urteil vom 30.04.2009
4 U 1/09


Im vorliegenden Fall hatte der Inhaber einer Einzelfirma wegen unzulässiger gesundheitsbezogener Werbeaussagen für ein von ihm vertriebenes Produkt eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Später gründete der Inhaber eine GmbH, die ebenfalls dieses Produkt vertrieb. Nun forderte die Klägerin die Vertragsstrafe ein, da die GmbH mit kerngleichen Werbeaussagen geworben hatte. Das Gericht gab der Klage statt.

In den Entscheidungsgründen heißt es dazu:

"Der Beklagte war Inhaber der Einzelhandelsfirma J. Er hat die Unterlassungserklärungen nicht etwa nicht für sich und nur für die Firma abgegeben, weil er nämlich selbst die Einzelhandelsfirma war. Einzelhandelsunternehmung und Inhaber sind insoweit nicht trennbar, § 17 I HGB. Die Firma ist ihrerseits nicht eigenständig eine rechtsfähige Person. Der Beklagte selbst ist hieraus verpflichtet und insofern auch verantwortlich für die Verstöße, die nunmehr durch die J GmbH, deren Geschäftsführer er ist, erfolgt sind. Er bleibt, wie vom Kläger gerügt, in Persona auch im Rahmen seiner Funktion als Geschäftsführer der (neuen) GmbH aus den Unterlassungsverträgen verpflichtet, und kann nunmehr nicht auf eine neue und andere Organisationseinheit verweisen. Der persönlich verpflichtete Unterlassungsschuldner handelt verantwortlich und schuldhaft, wenn er sich nunmehr eines Dritten bedient oder als Organ oder Geschäftsführer eines Dritten (juristische Person, Gesellschaft) (zuwider-) handelt oder, wenn er dies könnte, den Verstoß nicht verhindert (vgl. Senat GRUR 1979, 873 und 1979, 807; Ahrens-Spätgens, Kap. 64. Rn. 70; Teplitzky, Kap. 57 Rn. 26; jew. m.w.N.)."

Die Flucht in eine andere Rechtsform ist - was mitunter vergessen wird - kein geeignetes Mittel um ein einmal abgegebenes Vertragsstrafeversprechen auszuhebeln.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
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