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OLG Naumburg: Online-Coaching bedarf nur dann einer FernUSG-Erlaubnis wenn eine Lernerfolgskontrolle erfolgt

OLG Naumburg
Urteil vom 26.11.2024
1 U 41/24


Das OLG Naumburg hat entschieden, dass Online-Coaching nur dann einer FernUSG-Erlaubnis bedarf,wenn eine Lernerfolgskontrolle erfolgt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Entscheidend kommt es auf die Frage an, ob der Dienstvertrag über das Coaching-Programm dem FernUSG unterfällt. Unstreitig ist das Steuer-Coaching-Programm der Klägerin nicht als Fernlehrgang nach § 12 Abs. 1 S. 1 FernUSG zugelassen, was zur Nichtigkeit nach § 7 Abs. 1 FernUSG führt, sofern es sich um Fernunterricht handelt. Dies ist indessen nicht der Fall.

Fernunterricht i. S. d. FernUSG setzt nach § 1 Abs. 1 die entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten voraus, wobei Lehrender und Lernender ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen. Der Vertrag der Parteien erfüllt die Merkmale der Entgeltlichkeit, der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten sowie der räumlichen Trennung.

Neben der Vermittlung von Kenntnissen enthält der Vertrag zwar auch beratende Elemente (vgl. S. 4 der Anlage B 1, Bl. 21 d. A. diverse Beratungs- und Analysegutscheine). Die einleitenden Versprechen (vgl. S. 2 der Anlage B 1, Bl. 19 d. A.) stellen jedoch das Erwerben von Wissen auf steuerlichem Gebiet in den Mittelpunkt. Die Bezeichnung als Coaching, also als interaktive und personenbezogene Form der Prozessberatung (Schwab/Sablotny, NJW 2024, 2802), steht dem nicht entgegen. Am Merkmal der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten scheitert die Anwendbarkeit des FernUSG nicht (anders z. B. AG Traunstein MMR 2024, 815; anders auch OLG München, Beschluss vom 16. Mai 2024, 3 U 984/24 zu einem Vertrag mit Schwerpunkt 1:1-Coaching ohne Überwachung der Lernerfolgs).

Teilweise wird das Merkmal der räumlichen Trennung einschränkend ausgelegt mit der Begründung, es trage dem Umstand Rechnung, dass der Lernende zusätzliche Anstrengungen unternehmen müsse, um mit dem Lehrenden Kontakt aufzunehmen. Es liege daher nicht vor bei Videokonferenzen oder anderer synchronen Kommunikation, die jederzeit einen Kontakt wie in Präsenz ermöglichten (Vennemann, NK-FernUSG, 2. Auflage, § 1, Rn. 10; LG Mönchengladbach, Urteil vom 13, März 2024, 2 O 217/21, zitiert bei Lach, jurisPR-ITR 18/2024 Anm. 4 m. w. N.). Nach anderer Ansicht widerspricht eine solche einschränkende Auslegung dem Wortlaut und sei auch aufgrund der mit dem Gesetz beabsichtigten umfassenden Ordnung des Fernunterrichtsmarktes zum Schutz der Teilnehmerinteressen nicht geboten (OLG Stuttgart, Urteil vom 29. August 2024, 13 U 176/23, Rn. 31). Sofern der Unterricht teilweise räumlich getrennt und teilweise synchron stattfindet, kommt es bei der Beurteilung der überwiegenden räumlichen Trennung nicht auf die Lerngeschwindigkeit des Einzelnen an, sondern auf den Umfang des Stoffes und den Schwerpunkt des Vertrages (vgl. Vennemann a. a. O., Lach a. a. O.; Schwab/Sablotny a. a. O.). Der Vertrag der Parteien enthält mit den acht Online- Modulen, der Orientierungstabelle, dem Plakat und den Kompendien (vgl. Überblick Anlage B 1, Bl. 18 d. A.) zunächst Elemente der Wissensvermittlung in räumlicher Trennung. Daneben ist ein Netzwerk- und Spezialistentag zu Beginn in F. und ein ein- oder zweitägiges Schlussevent vorgesehen, die ohne räumliche Trennung stattfinden. Bei dem ebenfalls vereinbarten 14tägigen Live-Webinar handelt es sich dem OLG Stuttgart folgend um eine Veranstaltung mit räumlicher Trennung oder nach anderer Ansicht um Synchronunterricht. Abschließender Entscheidung bedarf es hierzu nicht, denn ganz überwiegend erarbeiten sich die Teilnehmer die Kenntnisse anhand der zur Verfügung gestellten Materialien selbst und räumlich getrennt von den Lehrenden. Auch das Merkmal der räumlichen Trennung liegt danach vor.

Kritisch und hier im Ergebnis zu verneinen ist das Merkmal der Lernerfolgskontrolle. Dieses ist im FernUSG selbst nicht definiert. Der BGH nahm in dem auch vom Landgericht zugrunde gelegten Urteil vom 15. Oktober 2009 (NJW 2010, 608, 609) ausgehend von der Entstehungsgeschichte des FernUSG eine weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals vor. Neben schriftlichen Korrekturen kämen auch begleitende Unterrichtsveranstaltungen oder andere Mittel zur Überwachung des Lernerfolgs in Betracht, etwa eine mündliche Kontrolle während eines begleitenden Direktunterrichts durch Frage und Antwort (BGH a. a. O. Rn. 19). Es genüge, dass der Lernende berechtigt sei, eine Überwachung des Lernerfolgs einzufordern (BGH a. a. O. Rn. 20). Hiervon ist das Landgericht richtig ausgegangen. Berücksichtigt werden muss in diesem Zusammenhang, dass in dem vom BGH entschiedenen Fall der Kurs als „Studium“ und „Lehrgang“ bezeichnet wurde, mit Begriffen also, die schon für sich mit Lernkontrollen verbunden sind (BGH a. a. O. Rn. 24). Die Teilnehmer waren als Absolventen bezeichnet, was ebenfalls mehr als Teilnahme und damit eine Lernkontrolle nahelegt (BGH a. a. O. Rn. 25). Im Vertrag der hiesigen Parteien geht es um Wissensvermittlung und Beratungsleistungen. Zwar wird den Teilnehmern nach Abschluss ein Zertifikat ausgestellt, das sie als Absolventen des Next Level Steuercoachings ausweist. Anders als im vom BGH entschiedenen Fall werden Begriffe wie „Studium“ und „Lehrgang“ jedoch nicht verwendet. Die Freischaltung der acht Module erfolgt im 14tägigen Rhythmus. Die Freischaltung des nächsten Moduls ist also nicht abhängig davon, dass der Teilnehmer die Inhalte des aktuellen Moduls zur Kenntnis genommen bzw. aufgenommen hat. Die Überwachung eines konkreten Lernerfolges schuldete die Klägerin nach dem Vertrag nicht. Vielmehr räumte sie dem Teilnehmer die Möglichkeit ein, individuelle Fragen zu den Inhalten des Steuercoachings zu stellen, was keine Lernerfolgskontrolle darstellt (vgl. auch OLG Schleswig-Holstein Urteil vom 5. Juli 2024, 19 U 65/24, Rn. 47; OLG Hamburg Urteil vom 20. Februar 2024, 10 U 44/23, Rn. 28; OLG München GRUR-RS 2024, 19897, Rn. 17). Soweit das OLG Celle (Urteil vom 1. März 2023, MMR 2023, 864) die dem Teilnehmer eingeräumte Möglichkeit, Fragen zu stellen, zur Lernerfolgskontrolle für ausreichend erachtet hat, überzeugt dies ausgehend vom Wortlaut des § 1 Abs. 1 FernUSG, in dem es um eine Überwachung des Lernerfolgs geht, nicht. Bei der Würdigung des vertraglich Vereinbarten handelt es sich indessen um eine dem Tatrichter überlassene Einzelfallentscheidung.

Liegt kein Fernunterricht i. S. d. § 1 Abs. 1 FernUSG vor, ist ein Widerrufsrecht nach § 4 S. 1 FernUSG ausgeschlossen. Die Frage, ob das Gesetz nur Verbraucher schützt oder auch von Unternehmen geschlossene Verträge betrifft (hierzu Laukemann/Förster, WRP 2024, 24), muss nicht entschieden werden.

Der Geschäftsführer der Beklagten hat nicht als Verbraucher gehandelt, so dass ein Widerrufsrecht gemäß § 356 BGB ebenfalls ausscheidet.

Die Klägerin kann für die Entgeltforderung gegenüber der Beklagten Prozesszinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz beanspruchen, §§ 291, 288 Abs. 2 BGB.

Freistellung von den Kosten für die Inanspruchnahme des Inkassounternehmens schuldet die Beklagte hingegen nicht, denn die Klägerin trägt selbst vor, dass die Beklagte trotz mehrfacher Aufforderung nicht zahlte. Zweckentsprechend wäre daher die gerichtliche Geltendmachung gewesen.



Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG München: Vertrag über Online-Coaching zum Thema Kryptowährungen mangels FernUSG-Zulassung nichtig - Anspruch auf Rückzahlung der Kursgebühren

LG München
Urteil vom 15.01.2024
44 O 16944/23

Das LG München hat entschieden, dass der streitgegenständliche Vertrag über Online-Coaching zum Thema Kryptowährungen mangels FernUSG-Zulassung nichtig ist und einen Anspruch der Kursteilnehmerin auf Rückzahlung der Kursgebühren bejaht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Online-Coaching zu Kryptowährung
Die 44. Zivilkammer des Landgerichts München I hat heute die Betreiberin einer Plattform für Online-Coaching zur Rückzahlung von 1.500 EUR an eine Kundin verurteilt. Zudem hat das Landgericht München I festgestellt, dass der zwischen Kundin und Anbieterin geschlossene Vertrag nichtig ist (44 O 16944/23). Der beklagten Plattformbetreiberin fehle schon die erforderliche Zulassung für das Anbieten von Fernunterricht.

Die Kundin war zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitigen Vertrages erwerbslos. Sie trug vor, sie sei durch Werbung in sozialen Medien und den mit ihr online verhandelnden Coach, der ihr gegenüber als Finanzexperte auftrat, überrumpelt worden. Mit der Klage verfolgte sie daher das Ziel, sich von diesem Vertrag wieder zu lösen.

Die Plattformbetreiberin war dagegen der Auffassung, der im Streit stehende Vertrag sei wirksam. Insbesondere sei das Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (Fernunterrichtsschutzgesetz – FernUSG) und die dort geregelten Schutzmechanismen nicht auf den Vertrag anwendbar. Denn die Klägerin habe den Vertrag als Existenzgründerin geschlossen und sei daher wie eine Unternehmerin zu behandeln. Außerdem habe sie im Rahmen des Bestellvorgangs aktiv auf ihr Widerrufsrecht verzichtet.

Dem ist das Gericht nicht gefolgt und hat die Klage weitgehend zugesprochen.

Die klagende Kundin sei von der Beklagten beim Bestellprozess wahrscheinlich schon nicht ausreichend über ihr Widerrufsrecht belehrt worden. Selbst wenn sie beim Vertragsschluss als Existenzgründerin gehandelt habe, sei der Vertrag jedoch bereits nichtig, da das FernUSG zu ihrem Schutz in diesem Fall auf sie anwendbar sei. Die Beklagte habe der Klägerin Fernunterricht angeboten, ohne über die hierfür erforderliche Erlaubnis zu verfügen.

Gerade der Schutzzweck des Gesetzes spreche dafür, das Gesetz auch auf Personengruppen anzuwenden, die nicht Verbraucher seien. Geschützt werden sollten nämlich allgemein vor Anbietern, die nicht durch eine staatliche Stelle geprüft wurden und deren Qualität der Bildungswillige schon angesichts der räumlichen Distanz schlechter prüfen kann als bei einer Bildungsmaßnahme in Präsenz.

Die Klägerin sei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erwerbslos und in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation gewesen. Selbst wenn unterstellt werde, dass sie sich mit der angebotenen Bildungsmaßnahme eine Existenz im Bereich E-Commerce habe aufbauen wollen, sei ihre Schutzbedürftigkeit nicht wesentlich geringer gewesen als die eines Verbrauchers im Sinne des § 13 BGB.

Damit hat die Klage der Kundin ganz überwiegend Erfolg. Lediglich hinsichtlich eines von der Klägerin geforderten immateriellen Schadenersatzes für den behaupteten Kontrollverlust über ihre Daten im Rahmen des Bestellvorgangs hat das Gericht die Klage abgewiesen.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Zum Hintergrund:

Das Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (Fernunterrichtsschutzgesetz – FernUSG) regelt in Deutschland Rechte und Pflichten der Anbieter und Teilnehmer beim Fernunterricht. Das Gesetz bestimmt unter anderem, dass Fernlehrgänge einer staatlichen Zulassung bedürfen, und definiert umfassende Informations- und Vertragspflichten für zulassungspflichtige Fernlehrgänge.

§ 7 FernUSG

(1) Ein Fernunterrichtsvertrag, der von einem Veranstalter ohne die nach § 12 Abs. 1 erforderliche Zulassung des Fernlehrgangs geschlossen wird, ist nichtig.