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Volltext BGH liegt vor: Auch Leasingnehmer und Mietkäufer können Anspruch auf Kartellschadensersatz im Fall des LKW-Kartells haben

BGH
Urteil vom 05.12.2023
KZR 46/21
LKW-Kartell III
GWB 1999 §§ 1, 33; GWB 2005 §§ 1, 33 Abs. 3, Abs. 5


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Auch Leasingnehmer und Mietkäufer können Anspruch auf Kartellschadensersatz im Fall des LKW-Kartells haben über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:
a) Aus dem zugunsten von Abnehmern eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens streitenden Erfahrungssatz, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die
wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, folgt, dass auch die für kartellbetroffene Produkte von einem Leasingnehmer oder Mietkäufer an eine Finanzierungsgesellschaft zu entrichtenden Entgelte kartellbedingt überhöht sind, wenn die Leasing- oder Mietkaufverträge auf die vollständige Deckung des jeweiligen Anschaffungspreises gerichtet sind.

b) Regressionsanalysen, die einem zeitlichen Vergleichsmarktansatz folgen, können allenfalls eine Annäherung an die Wirklichkeit im Sinne einer Schätzung darstellen; sie hindern für sich allein den Tatrichter nicht, aufgrund einer
Gesamtabwägung die für ein Grundurteil hinreichende Überzeugung zu gewinnen, dass jedenfalls ein Schaden in irgendeiner Höhe entstanden ist.

BGH, Urteil vom 5. Dezember 2023 - KZR 46/21 - OLG Naumburg - LG Magdeburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Auch Leasingnehmer und Mietkäufer können Anspruch auf Kartellschadensersatz im Fall des LKW-Kartells haben

BGH
Urteil vom 05.12.2023
KZR 46/21
LKW-Kartell III


Der BGH hat entschieden, dass auch Leasingnehmer und Mietkäufer Anspruch auf Kartellschadensersatz im Fall des LKW-Kartells haben können.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof zum Kartellschadensersatz für geleaste Lastkraftwagen

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass Ansprüche auf Ersatz von kartellbedingten Schäden auch Leasingnehmern und Mietkäufern von Lastkraftwagen zustehen können.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

Die Klägerin nimmt die beklagte Daimler AG auf Ersatz kartellbedingten Schadens in Anspruch. Nach einem Vergleich mit den Betroffenen stellte die Europäische Kommission mit Beschluss vom 19. Juli 2016 fest, dass die Beklagte und mindestens vier weitere Hersteller, nämlich MAN, Volvo/Renault, Iveco und DAF durch Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere LKW sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für diese Fahrzeuge gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen haben. Für die Zuwiderhandlung, die sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckte und vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 andauerte, verhängte die Kommission gegen die Beklagte ein Bußgeld von gut einer Milliarde Euro. Die Streithelferinnen zu 1 bis 9 sind Konzernunternehmen weiterer Hersteller von LKW, die dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten sind.

Die Klägerin ist ein mittelständisches Unternehmen, das im Baustoffhandel tätig ist. Sie nutzte auf der Grundlage von zwölf Leasingverträgen und Mietkaufverträgen im Zeitraum von Februar 2005 bis 2012 von der Beklagten sowie dem Konzern der Streithelferinnen zu 1 bis 3 hergestellte mittelschwere und schwere LKW. Das Landgericht hat ihre auf Schadensersatz in Höhe von 51.683,51 € gerichtete Klage abgewiesen.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Klage wegen der zwischen 2005 und 2011 geschlossenen elf Leasing- und Mietkaufverträge als dem Grunde nach gerechtfertigt erkannt (vgl. § 304 ZPO). Wegen des 2012 geschlossenen Leasingvertrags hat es die Klage abgewiesen; insoweit ist das Urteil rechtskräftig. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte, von den Streithelferinnen unterstützt, ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit Recht hat das Berufungsgericht einen vorsätzlichen Verstoß der Beklagten gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV (Art. 81 EGV) sowie § 1 GWB festgestellt. Es hat zutreffend die Feststellungen im Kommissionsbeschluss für bindend erachtet und angenommen, dass die Beklagte vom 17. Januar 1997 bis 18. Januar 2011 an einer Koordinierung der Bruttolistenpreise für mittelschwere und schwere LKW beteiligt war (BGH, Urteil vom 13. April 2021 - KZR 19/20, WuW 2021, 569 Rn. 13 ff. - LKW-Kartell II). Das wettbewerbsbeschränkende Verhalten war geeignet, einen Schaden der Klägerin zu begründen, weil sie Leasing- und Mietkaufverträge über LKW geschlossen hat, die sachlich und zeitlich von den Absprachen erfasst waren.

Der Klägerin ist aufgrund der Kartellabsprache auch mit der für ein Grundurteil erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden. Zugunsten der Abnehmer eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens streitet der Erfahrungssatz, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten. Daraus folgt, dass auch die für kartellbetroffene Produkte von einem Leasingnehmer oder Mietkäufer an eine Finanzierungsgesellschaft zu entrichtenden Entgelte kartellbedingt überhöht sind, wenn die Leasing- oder Mietkaufverträge - wie es hier der Fall war - auf die vollständige Deckung des jeweiligen Anschaffungspreises gerichtet sind. Aufgrund der Art und Schwere des Kartellverstoßes, der Marktabdeckung der Kartellbeteiligten im Europäischen Wirtschaftsraum von mehr als 90 % und der Aufrechterhaltung des Kartells über 14 Jahre kommt dem Erfahrungssatz bei der erforderlichen Gesamtabwägung ein erhebliches Gewicht zu. Die Beklagte hat demgegenüber nicht erklärt, weshalb die Preiskoordinierung trotz ihrer langen Dauer wirkungslos geblieben sei. Die Gründung und Aufrechterhaltung des Kartells trotz der damit verbundenen erheblichen Risiken ist ohne eine lohnenswerte Kartellrendite nicht nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund stehen die Vergleichsmarktbetrachtungen der Beklagten und der Streithelferinnen 1 bis 3, wonach nur ein insignifikanter Kartelleffekt eingetreten sein soll, für sich allein nicht der Annahme entgegen, dass jedenfalls ein Schaden in irgendeiner Höhe entstanden ist. Nunmehr wird das Landgericht im Betragsverfahren über die Schadenshöhe zu befinden haben.

Vorinstanzen:

LG Magdeburg - Urteil vom 8. Januar 2020 - 7 O 302/18
OLG Naumburg - Urteil vom 30. Juli 2021 - 7 Kart 2/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Artikel 101 AEUV(ex-Artikel 81 EGV)

(1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere

a)

die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen;

b)

die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen;

c) …

§ 1 GWB

Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.

§ 304 ZPO

(1) Ist ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig, so kann das Gericht über den Grund vorab entscheiden.

EuGH: Regelung die hälftige Kostenteilung bei teilweiser Staatgabe einer Schadensersatzklage wegen Wettbewerbs- bzw. Kartellrechtsverstößen vorsieht unionsrechtskonform

EuGH
Urteil vom 16.02.2023
C-312/21
Tráficos Manuel Ferrer


Der EuGH hat entschieden, dass eine nationale Regelung, welche die hälftige Kostenteilung bei teilweiser Staatgabe einer Schadensersatzklage wegen Wettbewerbs- bzw. Kartellrechtsverstößen vorsieht, unionsrechtskonform ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht:

Das einschlägige Unionsrecht steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach in dem Fall, dass dem Antrag teilweise stattgegeben wird, jede Partei ihre Kosten und die Hälfte der gemeinsamen Kosten trägt.

Die Informationsasymmetrie zwischen den Parteien bleibt bei der Beurteilung der Möglichkeit für ein nationales Gericht, den durch eine solche Zuwiderhandlung verursachten Schaden zu schätzen, unberücksichtigt.

Durch Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Mitgliedstaaten oder der Union können sowohl Unternehmen als auch Einzelpersonen Schäden verursacht werden. Die Richtlinie 2014/104 enthält bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen solcher Zuwiderhandlungen. Nach dieser Richtlinie muss jede natürliche oder juristische Person, die einen durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schaden erlitten hat, den vollständigen Ersatz dieses Schadens verlangen und erwirken können. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, u. a. Maßnahmen vorzusehen, um die Informationsasymmetrie zwischen der Partei, der der Schaden entstanden ist, und der Partei, die die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen hat, zu beheben.

Die Europäische Kommission erließ am 19. Juli 2016 einen Beschluss, in dem sie feststellte, dass 15 Lkw-Hersteller, darunter die Daimler AG, die Renault Trucks SAS und die Iveco SpA, an einem Preiskartell für Lkw im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beteiligt waren.

Zwei spanische Unternehmen, von denen das eine einen von Daimler hergestellten Lkw der Marke Mercedes und das andere elf Lkw (fünf hergestellt von Daimler, vier von Renault Trucks und zwei von Iveco) erworben hatte, reichten am 11. Oktober 2019 beim Handelsgericht Nr. 3 Valencia (Spanien) eine Schadensersatzklage gegen Daimler ein. Sie machen geltend, ihnen sei aufgrund der Zuwiderhandlung dieses Unternehmens ein Schaden entstanden, der in einem Preisaufschlag bei den erworbenen Fahrzeugen bestehe, und legten zum Nachweis dieses Preisaufschlags ein Sachverständigengutachten vor. Daimler legte ihrerseits ein eigenes Sachverständigengutachten vor. Die beiden spanischen Unternehmen legten ein technisches Gutachten über die Ergebnisse vor, die erzielt wurden, nachdem es ihnen auf Vorschlag von Daimler gestattet worden war, Einsicht in die Daten zu nehmen, die in dem von Daimler vorgelegten Sachverständigengutachten berücksichtigt wurden.

Da das spanische Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit des nationalen Verfahrensrechts mit dem Unionsrecht hat, hat es dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass das Unionsrecht in Bezug auf Schadensersatzklagen im Sinne der Richtlinie 2014/104 einer nationalen zivilprozessualen Vorschrift, wonach in dem Fall, dass dem Antrag teilweise stattgegeben wird, jede Partei ihre Kosten und die Hälfte der gemeinsamen Kosten trägt, es sei denn, es liegt ein missbräuchliches Verhalten vor, nicht entgegenstehen. Eine solche Vorschrift macht die Ausübung des Rechts auf vollständigen Ersatz des durch ein wettbewerbswidriges Verhalten entstandenen Schadens nicht praktisch unmöglich und erschwert sie auch nicht übermäßig (Grundsatz der Effektivität).

Im Gegensatz zur Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln2, die einem ungleichen Kräfteverhältnis zwischen einer schwachen Partei (dem Verbraucher) und einer starken Partei (dem Gewerbetreibenden, der Waren verkauft oder vermietet oder Dienstleistungen erbracht hat) Grenzen setzt, betrifft die Richtlinie 2014/104 nämlich Klageverfahren, bei denen es um die außervertragliche Haftung eines Unternehmens geht und die ein Kräfteverhältnis zwischen den Parteien aufweisen, das aufgrund des Eingreifens der nationalen Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie wieder ins Gleichgewicht gebracht werden kann. Durch das Tätigwerden des Unionsgesetzgebers wurde der geschädigte, ursprünglich benachteiligte Kläger somit mit Instrumenten ausgestattet, mit denen das Kräfteverhältnis zwischen ihm und demjenigen, der die Zuwiderhandlung begangen hat, zu seinen Gunsten wieder ins Gleichgewicht gebracht werden soll. Die Entwicklung dieses Kräfteverhältnisses hängt vom Verhalten jeder dieser Parteien ab, insbesondere davon, ob die geschädigte Partei von den ihr zur Verfügung gestellten Instrumenten Gebrauch macht oder nicht.

Daher ist es der geschädigten Partei, wenn sie teilweise unterliegt, zumutbar, ihre eigenen Kosten oder zumindest einen Teil davon sowie einen Teil der gemeinsamen Kosten zu tragen, wenn u. a. das Entstehen dieser Kosten ihr – beispielsweise, weil sie überzogene Forderungen gestellt hat, oder aufgrund ihrer Prozessführung – zuzurechnen ist.

Was die Möglichkeit für ein nationales Gericht betrifft, den Schaden gemäß der Richtlinie 2014/104 zu schätzen, weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine solche Schätzung zum einen voraussetzt, dass das Vorliegen des Schadens erwiesen ist, und zum anderen, dass es praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig ist, ihn genau zu beziffern. Dies bedeutet u. a., dass Schritte wie der in der Richtlinie vorgesehene Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln erfolglos geblieben sein müssen. Die Informationsasymmetrie muss dabei nicht berücksichtigt werden, da bei der konkreten Bezifferung des Schadens Schwierigkeiten auch dann möglich sind, wenn die Parteien hinsichtlich der verfügbaren Informationen auf demselben Niveau sind.

Der Umstand, dass die Partei, die die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen hat, der geschädigten Partei Daten zur Verfügung stellte, auf die sie sich stützte, um dem Gutachten der geschädigten Partei zu widersprechen, ist für sich genommen für die Beurteilung der Frage, ob es den nationalen Gerichten gestattet ist, den Schaden zu schätzen, nicht relevant. Der Umstand, dass der Anspruch gegenüber lediglich einem der Adressaten eines Beschlusses geltend gemacht wurde, mit dem die fragliche Zuwiderhandlung festgestellt wurde, ist für diesen Zweck grundsätzlich ebenfalls nicht relevant.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: