KG Berlin
Beschluss vom 04.03.2019
8 U 74/17
Das KG Berlin hat entschieden, dass die Angabe einer Postfach-Anschrift in der Widerrufsbelehrung unzureichend ist und die Widerrufsfrist nicht in Gang setzt. Ein Postfach-Anschrift ist keine ladungsfähige Anschrift.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass die den Klägern erteilte Widerrufsinformation nicht geeignet war, die Widerrufsfrist von 14 Tagen (§
355 Abs. 2 BGB a.F.) in Gang zu setzen, da sie wegen Angabe eines Postfachs anstatt einer ladungsfähigen (Haus-)Anschrift nicht den Anforderungen des Art.
247 § 6 Abs. 2 EGBGB genügte.
a) Nach Art.
247 § 6 Abs. 2 S. 1 EGBGB müssen im Vertrag neben den Angaben zur Frist für die Ausübung eines nach §
495 BGB bestehenden Widerrufsrechts auch Angaben zu "anderen Umständen für die Erklärung des Widerrufs" gemacht werden. Hierzu gehört nach allgemeiner Meinung unter anderem die Mitteilung, wem gegenüber und auf welchem Weg der Widerruf erklärt werden kann.
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Für die Konkretisierung der in Art.
247 § 6 Abs. 2 EGBGB nur angesprochenen, aber nicht näher dargelegten "Umstände" ist nach zutreffender und herrschender Meinung auf die Regelung des §
360 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 4 BGB in der vom 11.06.2010 bis 12.06.2014 geltenden Fassung (die mit Wirkung ab 13.06.2014 in Art.
246 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 bis 4 EGBGB übernommen wurde) abzustellen (LG Münster, Urt. v. 01.04.2014 -
14 O 206/13 juris Tz 62; MüKo/Schürnbrand, BGB, 7. Aufl., § 492 Rn 28; Staub/Renner, Großkommentar zum HGB, Bd. 10/2 (Bankvertragsrecht), 5. Aufl., 4. Teil -Kreditgeschäfte- Rn 672; jurisPK/Schwintowski, BGB, 7. Aufl., § 492 Rn 18; Staudinger/Kessal-Wulf, BGB, Neub. 2012, § 492 Rn 70; Derleder NJW 2009, 3195, 3200; Rösler/Werner BKR 2009, 1, 4).
§
360 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BGB a.F. ordnet an, dass die Widerrufsbelehrung den Namen und die ladungsfähige Anschrift desjenigen enthalten muss, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist. Nach §
355 Abs. 3 BGB a.F. ist dieser Belehrungsinhalt Voraussetzung für den Beginn der Widerrufsfrist. Beide Vorschriften, die allerdings unmittelbar nur die Ausgestaltung des notwendigen Inhalts einer Widerrufsbelehrung betreffen, sind mit Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 29.07.2009 (
BGBl. I, 2355) gleichzeitig mit der Neufassung des §
495 BGB betreffend das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und der Einführung des Instituts einer als Vertragsbestandteil zu erfolgenden Widerrufsinformation in Art.
247 § 6 Abs. 2 EGBGB geschaffen worden. Sämtliche Regelungen sind gleichzeitig am 11.06.2010 in Kraft getreten. Nach §
495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB gelten die §§
355 bis
359a BGB für das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen "mit der Maßgabe", dass "an die Stelle der Widerrufsbelehrung die Pflichtangaben nach Artikel
247 § 6 Abs. 2 EGBGB treten".
Unter diesen Umständen ist nicht zweifelhaft, dass der Gesetzgeber zur Konkretisierung der in Art.
247 § 6 Abs. 2 EGBGB angesprochenen "Umstände" auf die gleichzeitig geschaffene Regelung des §
360 Abs. 1 BGB abstellen wollte. Die Regelung des §
495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB, wonach die Pflichtangaben nach Art.
247 Abs. 2 EGBGB an die Stelle der Widerrufsbelehrung treten, spricht nicht gegen, sondern für diese Annahme. Denn es war erklärtes Ziel des Gesetzgebers, mit der Einführung der Widerrufsinformation für Verbraucherkreditverträge der Vollharmonisierung durch die Richtlinie 2008/48/EG vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge, welche eine gesonderte Widerrufsbelehrung außerhalb des Vertrags nicht vorsah, gerecht zu werden und aus diesem Grund "die entsprechende Information im Vertrag an ihre Stelle treten zu lassen" (
BT-DrS 16/11643, S. 83; s.a. BGH, Urt. v. 23.02.2016 -
XI ZR 101/15,
BGHZ 209, 86 =
NJW 2016, 1881 Tz 29 f. mit dem Hinweis, dass daher nunmehr die Informationen zum Widerrufsrecht im Sinne eines "Ein-Urkunden-Modells" in die Vertragsurkunde aufzunehmen seien). Aus Gründen der Vollharmonisierung sei für "eine Belehrung im Sinne des §
355 Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit §
360 Abs. 1 BGB kein Raum mehr"; an die Stelle der Belehrung trete daher nach §
495 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine Vertragsklausel (a.a.O., S. 164). Es besteht auch kein sachlicher Grund, an eine Widerrufsinformation andere inhaltliche Anforderungen zu stellen als an eine Widerrufsbelehrung (s.a. Grüneberg BKR 2019, 1: an die Stelle der Widerrufsbelehrung sei die Widerrufsinformation getreten, "ohne dass dadurch der Gehalt grundlegend geändert wurde"). Es ist auch nicht ersichtlich, anhand welcher sonstigen Regelungen als des §
360 Abs. 1 BGB a.F. bestimmt werden sollte, welche "anderen Umstände für die Erklärung des Widerrufs" zum Inhalt einer Widerrufsinformation gemacht werden sollen.
§
495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB ist daher nicht dahin auszulegen, dass es (gerade) für einen Verbraucherdarlehensvertrag auf Angaben i.S. von §
360 Abs. 1 BGB für den Beginn der Widerrufsfrist nicht ankommt, sondern dass §
355 Abs. 3 BGB lediglich mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass - der insoweit geltenden anderen Konzeption folgend - nicht auf eine Widerrufsbelehrung (die nämlich nicht zu erfolgen hat), sondern auf die Pflichtangaben nach Art.
247 § 6 Abs. 2 BGB abzustellen ist, die jedoch - nicht anders als im unmittelbaren Anwendungsbereich von §
355 Abs. 3 BGB - "den Anforderungen des §
360 Abs. 1 BGB entsprechen" müssen.
Dieses der gesetzlichen Regelung zwar nicht auf den ersten Blick (s. Derleder a.a.O.: "Gipfel der gesetzgebungstechnischen Umständlichkeit"), aber dennoch hinreichend klar zu entnehmende Ergebnis entspricht auch dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers, der in
BT-DrS 16/11643 S. 128 die in Art.
247 § 6 Abs. 2 EGBGB angesprochenen Umstände insbesondere mit den Formerfordernissen "entsprechend §
360 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BGB" erklärt. Dieser gesetzgeberische Wille wird nochmals dadurch bestätigt, dass mit Wirkung ab dem 30.07.2010 ein Muster einer Widerrufsinformation als Anlage 6 zu Art.
247 § 6 Abs. 2 EGBGB eingeführt wurde, in dem nach Gestaltungshinweis 3 die Angabe einer "ladungsfähigen Anschrift" vorgeschrieben ist, und es in
BT-DrS 17/1394 S. 21 heißt: "Das Muster entspricht den Vorgaben des Artikels
247 § 6 Abs. 2 EGBGB - neu -, mit dem die Vorgaben des Artikels 10 Abs. 2 Buchstabe q der Verbraucherkreditrichtlinie umgesetzt werden, und verweist auf §
495 Abs. 2 Nr. 1 BGB".
Die von der Beklagten angegebenen Fundstellen, wonach §
360 BGB auf das verbraucher-kreditrechtliche Widerrufsrecht nach §
495 Abs. 1 BGB "keine Anwendung" findet, weil nach §
495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB die Pflichtangaben an die Stelle der Widerrufsbelehrung treten (MüKo/ Masuch, BGB, 6. Aufl. 2012, § 360 Rn 7; BeckOK-BGB/Christmann, 31. Edition 1.5.2014, § 360 Rn 4) befassen sich nicht mit der hier in Frage stehenden Auslegung von Art.
247 § 6 Abs. 2 EGBGB und dürften ohnehin nur dahin zu verstehen sein, dass es einer gesonderten Widerrufsbelehrung im Recht des Verbraucherdarlehensvertrags nicht bedarf.
b) Eine Postfachanschrift stellt keine "ladungsfähige Anschrift" dar (s. BGH
NJW 2002, 2391, 2394; BVerwG
NJW 1999, 2608, 2609). Eine solche setzt vielmehr die Angaben einer Straße, Hausnummer und Postleitzahl voraus (s. BGH, Urt. v. 20.06.2017 -
XI ZR 72/16,
NJW-RR 2017, 1197 Tz 26).
Die Rechtsprechung des BGH zum alten Recht der Widerrufsbelehrung, wonach eine "Anschrift" i.S. von §
355 Abs. 2 S. 1 BGB (in der Fassung bis 10.06.2010) nur als "Postanschrift" zu verstehen war und daher auch eine Postfachanschrift einschloss (s. BGH, Urt. v. 12.07.2016 -
XI ZR 564/15,
BGHZ 211, 123 =
NJW 2016, 3512 Tz 16; Urt. v. 25.01.2012 -
VIII ZR 95/11,
NJW 2012, 1065 Tz 13; Urt. v. 11.04.2002 -
I ZR 306/99,
NJW 2002, 2391), ist auf das seit dem 11.06.2010 geltende Recht der Widerrufsinformation nicht mehr anwendbar, da die oben genannten, aufeinander abgestimmten Vorschriften insoweit eine andere Auslegung ergeben (a.A. Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 9. Aufl., § 495 Rn 103; OLG Saarbrücken, Urt. v. 06.12.2018 -
4 U 166/17 - juris Tz 41 f. für einen am 28.06.2010 geschlossenen Darlehensvertrag unter Hinweis auf "§
355 Abs. 2 S. 1 BGB aF" und die genannte Rechtsprechung des BGH).
Soweit Bülow a.a.O. darauf hinweist, dass für Verbraucherkreditverträge das sog. "Ein-Urkunden-Modell" gelte, und daraus den Schluss zieht, dass die Angabe der Anschrift im Vertragsrubrum ausreichend sei, ist dem nicht zu folgen. Das Gesetz unterscheidet zwischen allgemeinen Pflichtangaben, zu denen nach Art.
247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB Name und Anschrift des Darlehensgebers gehören, und den nach §
495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB an die Stelle der Widerrufsbelehrung tretenden Pflichtangaben nach Art.
247 § 6 Abs. 2 EGBGB (sog. Widerrufsinformation, s. BGH
NJW 2017, 1306 Tz 10). Letztere setzt eine Vertragsklausel voraus, die den Verbraucher klar und verständlich (s. Art.
247 § 6 Abs. 1 EGBGB, der insoweit auch für Absatz 2 gilt, s.
BGHZ 209, 86 Tz 27 f.) über das Bestehen des Widerrufsrechts, die Frist und die Umstände für die Widerrufserklärung, zu denen auch der Adressat gehört, unterrichtet. Es soll dem Verbraucher gerade nicht zugemutet werden, sich die Informationen aus dem gesamten Vertragswerk zusammenzusuchen. Eine an anderer Stelle stehende ladungsfähige Anschrift genügt daher nicht (s. Staudinger/Kaiser, Neub. 2012, § 360 Rn 23 m.N.).
c) Der somit gegebene Mangel der Widerrufsinformation ist nicht wegen Verwendung des Musters nach Art.
247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB i.V.m. Anlage 6 ohne Bedeutung. Der Beklagten kommt die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters nicht zugute, da dieses gerade die Angaben der ladungsfähigen Anschrift vorschreibt und deren Weglassen eine relevante Abweichung vom Muster darstellt (s. BGH, Urt. v. 20.06.2017 -
XI ZR 72/16,
NJW-RR 2017, 1197 Tz 26; Urt. v. 12.07.2016 -
XI ZR 564/15,
BGHZ 211, 123 Tz 24)."
Den Volltext der Entscheidung finden Sie
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