Skip to content

LG Erfurt legt EuGH Fragen zum Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO bei Kontrollverlust im Zusammenhang mit Facebook-Scraping vor

LG Erfurt
Beschluss vom 03.04.2025
8 O 895/23


Das LG Erfurt hat dem EuGH Fragen zum Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO bei Kontrollverlust im Zusammenhang mit Facebook-Scraping zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Tenor:
Das Ausgangsverfahren wird ausgesetzt. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV die folgenden Fragen zur Auslegung von Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vorgelegt:

Frage 1
Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht bei einem Verstoß gegen die DSGVO einer betroffenen Person Schadensersatz zusprechen muss, die lediglich nachgewiesen hat, dass ein Dritter (und nicht der beklagte datenschutzrechtlich Verantwortliche) ihre personenbezogenen Daten im Internet veröffentlicht hat? Mit anderen Worten: Stellt der bloße und ggf. nur kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene Daten einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO dar?

Frage 2
Falls Frage 1 bejaht wird: Inwieweit unterscheidet sich die Antwort oder macht es einen Unterschied, wenn die veröffentlichten Daten nur aus bestimmten personenbezogenen Daten bestehen (einschließlich allenfalls numerische Nutzer-ID, Name und Geschlecht), welche die betroffene Person bereits selbst im Internet veröffentlicht hatte, in Verbindung mit der Telefonnummer der betroffenen Person, die ein Dritter (bei dem es sich nicht um den beklagten datenschutzrechtlich Verantwortlichen handelt) mit diesen personenbezogenen Daten verknüpft hat?

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Gegenstand des Ausgangsverfahrens und zugrundeliegender Sachverhalt

Mit ihrer beim Landgericht Erfurt eingereichten Klage - einem Scraping-Fall - macht die Klägerin immateriellen Schadensersatz und eine Reihe weiterer Ansprüche aufgrund von Verstößen der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung („DSGVO“) geltend. Die Beklagte, deren Sitz in Irland ist, betreibt die Social-Media-Plattform Facebook in Europa („Plattform der Beklagten”).

Die Klägerin unterhält ein Nutzerkonto auf der Plattform der Beklagten. Im Rahmen der Registrierung auf der Plattform der Beklagten müssen Nutzer bestimmte Informationen wie Name und Geschlecht angeben. Diese Informationen (zusammen mit der von der Beklagten generierten Nutzer-ID) sind im Rahmen des Nutzerprofils stets öffentlich einsehbar, worüber Nutzer in Kenntnis gesetzt werden. Diese öffentlichen Nutzerinformationen erleichtern die Kontaktaufnahme mit anderen Menschen. Dies entspricht dem Unternehmenszweck der Plattform der Beklagten, nämlich Menschen die Möglichkeit zu geben, Gemeinschaften zu bilden und die Welt näher zusammenzubringen.

Neben den immer öffentlichen Nutzerinformationen können Nutzer in ihrem Profil nach ihrer individuellen Präferenz weitere Informationen angeben. In diesem Zusammenhang können sie festlegen, welche anderen Gruppen von Nutzern diese Informationen sehen können („Freunde“, [auch] „Freunde von Freunden“, „Öffentlich“). Die Beklagte stellt hierfür Privatsphäre-Einstellungen zur Verfügung, durch die Nutzer bestimmen können, inwieweit von ihnen bereitgestellte Informationen öffentlich einsehbar sein sollen (sog. „Zielgruppenauswahl“). Über die Funktion und Bedeutung dieser Privatsphäre-Einstellungen informierte die Beklagte ihre Nutzer in ihrem Hilfebereich.

Entschied sich ein Nutzer - wie die Klägerin - dafür, seine Telefonnummer anzugeben, war die Standard-Zielgruppenauswahl während des relevanten Zeitraums „Freunde“. Die Telefonnummer war demnach nicht öffentlich einsehbar. Im Hinblick auf die Sichtbarkeit ihrer Handynummer hatte die Klägerin es bei der Standardeinstellung der Beklagten belassen, sodass diese nicht öffentlich sichtbar war.

Die Privatsphäre-Einstellungen auf der Plattform der Beklagten ermöglichten es den Nutzern auch, festzulegen, wer ihre Profile anhand ihrer Telefonnummern suchen kann (sog. „Suchbarkeits-Einstellungen“). Entschied sich ein Nutzer dafür, seine Telefonnummer anzugeben, war die Standard-Suchbarkeitseinstellung während des relevanten Zeitraums „Alle“. Nutzer konnten jedoch ihre Suchbarkeitseinstellungen jederzeit auf „Freunde“, „Freunde von Freunden“ oder (ab Mai 2019) auf „Nur ich“ festlegen. Die letztgenannte Einstellung verhinderte, dass andere Nutzer das betreffende Profil über die Telefonnummer finden konnten.

Die Möglichkeit, das Profil eines Nutzers anhand einer Telefonnummer zu finden, sollte ebenfalls dem Ziel dienen, Menschen miteinander zu verbinden. Die Plattform der Beklagten hat weltweit Milliarden von Nutzern. Die Suche nach einem Nutzerprofil allein anhand des Namens mag daher nicht ausreichen, um einen anderen Nutzer sicher zu identifizieren.

Die Klägerin entschloss sich dazu, ihre Telefonnummer auf der Plattform der Beklagten anzugeben, wobei sie die Standard-Suchbarkeitseinstellung „Alle“ nicht änderte.

Bis September 2019 ermöglichte die sog. Kontakt-Importer-Funktion Nutzern, Kontakte von ihren Mobilgeräten auf der Plattform der Beklagten hochzuladen. Hierdurch konnten die Nutzer diese Kontakte auf der Plattform der Beklagten finden und mit ihnen in Kontakt treten, sofern die Suchbarkeitseinstellungen des gesuchten Nutzers auf „Alle“ eingestellt waren (so wie dies bei der Klagepartei der Fall war).

Über einen bestimmten Zeitraum hinweg haben unbekannte Dritte (sog. „Scraper“), die in keiner Verbindung zur Beklagten standen, über die Kontakt-Importer-Funktion Mobiltelefonnummern hochgeladen. Die Mobiltelefonnummern hatten die Scraper bereits vorher anderweitig (d. h. nicht auf der Plattform der Beklagten) erlangt oder generiert. Wurden beim Hochladen der Telefonnummern Nutzerprofile gefunden, sammelten die unbekannten Dritten die Daten, die in den Profilen der Nutzer öffentlich einsehbar waren, und machten sich diese nutzbar.

Bei der Kontakt-Importer-Funktion handelte es sich um eine regulär vorgesehene Funktion der Plattform der Beklagten. Die Scraper wandten automatisierte Tools an, um diese Funktion auszunutzen und um auf Daten zuzugreifen, die in diesem Fall öffentlich einsehbar waren. Diese ohne Erlaubnis erfolgte Datenerhebung mit automatisierten Tools und Methoden fand während des relevanten Zeitraums statt und war (und ist immer noch) durch die Nutzungsbedingungen der Beklagten untersagt.

Die Scraper sammelten unzulässigerweise öffentlich einsehbare Daten zahlreicher Nutzer, fügten diese den Telefonnummern dieser Nutzer hinzu und veröffentlichten diese Daten in einer Datenbank im Internet bzw. Darknet. Dieses Vorgehen umfasste auch personenbezogene Daten der Klägerin, nämlich deren Telefonnummer in Verbindung mit den aus ihrem öffentlich einsehbaren Profil abgegriffenen Informationen (Nutzer-ID, Vorname, Nachname und Geschlecht).

Die Klägerin fordert unter anderem immateriellen Schadensersatz auf der Grundlage von Art. 82 DSGVO. Sie bringt vor, sie habe allein aufgrund der Tatsache, dass ihre Daten abgegriffen und in einer Datenbank veröffentlicht wurden, die Kontrolle über diese Daten verloren. Nach Ansicht der Klägerin stellt dieser Kontrollverlust schon als solcher einen immateriellen Schaden dar.

Die Beklagte macht demgegenüber geltend, dass Art. 82 DSGVO nicht dazu diene, vom Scraping betroffenen Personen Schadensersatz zu gewähren, die zwar von Datenschutzverletzungen betroffen sind, aber keinen konkreten, über den bloßen Kontrollverlust hinausgehenden Schaden erlitten haben. Dabei ist die Beklagte der Auffassung, dass der Scraping-Sachverhalt bereits keinen „Datenschutzverstoß“ darstelle. Die Beklagte macht ferner geltend, dass die bloße erneute Veröffentlichung der Daten der Klagepartei – die gemäß ihren individuellen Privatsphäre-Einstellungen bereits vorher öffentlich einsehbar waren – keinen immateriellen Schadensersatz begründen könne.


II. Einschlägige unionsrechtliche Bestimmungen

Art. 82 DSGVO (Haftung und Recht auf Schadensersatz)

Erwägungsgrund 75 DSGVO (Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen)

Erwägungsgrund 83 S. 3 DSGVO (Sicherheit der Verarbeitung)

Erwägungsgrund 85 S. 1 DSGVO (Pflicht zur Meldung von Datenschutzverletzungen an die Aufsichtsbehörde)

III. Relevante nationale Rechtsprechung

Die deutsche Rechtsprechung divergiert zu der Frage, ob der bloße Kontrollverlust einen immateriellen Schaden darstellt. Die bereits vorliegenden Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Union werden unterschiedlich interpretiert.

In nahezu identischen Verfahren haben mehrere deutsche Oberlandesgerichte Klagen auf immateriellen Schadensersatz abgewiesen. Sie haben dabei festgestellt, dass die auf Scraping beruhende erneute oder erstmalige Veröffentlichung von Daten und der damit einhergehende Kontrollverlust allein nicht ausreichen, um einen immateriellen Schaden zu begründen.

Der Bundesgerichtshof hat allerdings kürzlich in einem Verfahren wegen des unzulässigen Datenscrapings judiziert, dass ein bloßer und selbst kurzzeitiger Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten schon an sich als immaterieller Schaden im Sinne von Art. 82 DSGVO einzuordnen ist und zu einem, wenn auch überschaubaren, Geldanspruch führt (BGH, Urteil vom 18.11.2024 - VI ZR 10/24). Dies soll somit unabhängig davon gelten, ob die Klagepartei individuelle immaterielle Beeinträchtigungen und Nachteile aufgrund des Kontrollverlusts darlegt und nachweist. Weder muss eine konkrete missbräuchliche Verwendung der Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein, wie ein Identitätsdiebstahl, noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

Zu dem jedenfalls erforderlichen „Kontrollverlust“ fehlt es allerdings an einer Definition oder näheren Maßgaben.

IV. Entscheidungserheblichkeit und Erläuterung der Vorlagefragen

Die Antworten des Gerichtshofes der Europäischen Union zu den Vorlagefragen sind entscheidungserheblich. Das vorlegende Gericht geht von einem Datenschutzverstoß der Beklagten mit negativen Folgen aus. Es ist jedoch zweifelhaft, ob ein immaterieller Schaden zu bejahen ist. Abhängig davon, ob die bloße - erneute oder erstmalige - Veröffentlichung von personenbezogenen Daten im Internet als immaterieller Schaden eingestuft wird oder nicht, kann das Gericht dem Klageantrag auf immateriellen Schadenersatz entweder (zumindest teilweise) stattgeben oder ihn abweisen.

Insbesondere hält das Gericht eine Klarstellung des Gerichtshofs für erforderlich, ob Art. 82 Abs. 1 DSGVO es einem nationalen Gericht ermöglicht, einer betroffenen Person Schadensersatz zuzusprechen, obwohl diese keinen konkreten und individuellen materiellen oder immateriellen Schaden nachgewiesen hat, wie begründete Befürchtungen eines Missbrauchs oder andere psychische Beeinträchtigungen, sondern sich lediglich darauf beruft, dass ihre Daten im Internet veröffentlicht wurden und sie somit die Kontrolle hierüber verloren habe. Dieser Klarstellung dient die Vorlagefrage zu 1.

Für den Fall, dass die Vorlagefrage zu 1 bejaht wird, ersucht das Gericht mit der Vorlagefrage zu 2. den Gerichtshof um Klärung, ob der Gerichtshof zu einer anderen Einschätzung gelangt, wenn die (erneut) veröffentlichten Daten lediglich aus solchen personenbezogenen Daten bestehen, deren Veröffentlichung im Internet die betroffene Person vorher selbst veranlasst hatte (einschließlich allenfalls numerische Nutzer-ID, Name und Geschlecht), sowie der Telefonnummer der betroffenen Person.

Bei dieser Bewertung könnte zu berücksichtigen sein, dass die unzulässiger Weise abgegriffenen Daten der Klägerin auf deren Nutzerprofil öffentlich einsehbar waren, während die Mobiltelefonnummer der Klägerin weder abgegriffen noch anderweitig aus dem Nutzerprofil der Klagepartei abgerufen wurde. Damit unterscheidet sich dieser Sachverhalt wohl von den Fällen, die bisher Gegenstand von Vorabentscheidungsverfahren zu Art. 82 DSGVO waren. Es stellt sich die Frage, ob die Klägerin nicht bereits vor dem Datenschutzverstoß die Kontrolle über ihre vom Scraping betroffenen personenbezogenen Daten verloren hatte, was zu einem Ausschluss von Ersatzansprüchen führen könnte.

Nach alledem bestehen Zweifel, ob es sich bei der Problematik des „bloßen Kontrollverlustes“ bereits um einen „acte éclairé“ handelt. Die bisherigen Urteile des Gerichtshofes könnten jedenfalls so verstanden werden, dass ein bloßer Kontrollverlust als solcher noch keinen Schaden darstellt, vielmehr - mit höherem Begründungs- und Beweisaufwand - weitere Voraussetzungen und Umstände hinzutreten müssen, wie etwa psychische Beeinträchtigungen oder ein tatsächlicher Missbrauch von Daten (s. nur EuGH, Urteil vom 25.01.2024, C-687/21, Rn. 67, EuGH, Urteil vom 14.12.2023, C-340/21, Rn. 84, und EuGH, Urteil vom 14.12.2023, C-456/22, Rn. 22).

Den Parteien des Ausgangsverfahrens wurde ausgiebig rechtliches Gehör gewährt. Die Befugnis des Einzelrichters, unionsrechtliche Fragestellungen zu würdigen und vor den Gerichtshof zu bringen, beruht auf Art. 267 AEUV (eingehend LG Erfurt, Hinweisbeschluss vom 4. Februar 2025 - 8 O 211/24, juris). Ein Einzelrichter ist nicht gehalten, gemäß § 348 Abs. 3 ZPO seine Kammer zur Entscheidung über eine Übernahme anzurufen. Dies hat Generalanwalt Rantos in einem Dieselfall herausgestellt (EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts vom 2. Juni 2022, C-100/21, Rn. 75 ff.):

„Daher bin ich der Ansicht, dass Art. 267 AEUV einer nationalen Regelung entgegensteht, die, wenn ein Einzelrichter meint, dass sich im Rahmen einer bei ihm anhängigen Rechtssache eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts stellt, die eine Entscheidung des Gerichtshofs erfordert, diesem vorschreibt, diese Frage einer Zivilkammer vorzulegen, und er folglich daran gehindert ist, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.“


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Zur Bemessung des Streitwerts in Facebook-Scraping-Fällen für Ansprüche auf Unterlassung, Zahlung, Auskunft und Feststellung

BGH
Beschluss vom 10.12.2024
VI ZR 7/24


Der BGH hat sich in diesem Beschluss zur Bemessung des Streitwerts in Facebook-Scraping-Fällen für Ansprüche auf Unterlassung, Zahlung, Auskunft und Feststellung geäußert.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Senat hat den Streitwert für das Revisionsverfahren auf die Gebührenstufe bis 4.000 € festgesetzt und die Klageanträge dabei - wie zuvor das Berufungsgericht - wie folgt bemessen: 1.000 € (Zahlungsantrag) + 500 € (Feststellungsantrag) + 1.500 € (Unterlassungsanträge) + 500 € (Auskunftsantrag) = 3.500 €. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wendet sich allein gegen die Wertfestsetzung für die Unterlassungsanträge, die er - wie zuvor das Landgericht - mit insgesamt 5.000 € (2 x 2.500 €) bemessen haben möchte.

Eine Höherfestsetzung des Streitwerts für die Unterlassungsanträge ist nicht veranlasst. Der Streitwert ist nach allgemeinen Regeln unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen (§ 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 GKG, § 3 ZPO). Maßgeblich bei einem Unterlassungsantrag nach - wie im Streitfall geltend gemacht - bereits erfolgter Verletzungshandlung ist das Interesse des Anspruchstellers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße, welches maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für den Inhaber des verletzten Rechts bestimmt wird. Allerdings kann auch anderen, von der bereits erfolgten Verletzungshandlung unabhängigen Faktoren - etwa dem Grad der Wahrscheinlichkeit künftiger Zuwiderhandlungen - Rechnung zu tragen sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - I ZR 1/15, NJW 2017, 814 Rn. 33 ff. mwN). Das Gefährdungspotential ist dabei allein mit Blick auf das konkrete Streitverhältnis zu bestimmen. Für generalpräventive Erwägungen ist bei der Bewertung eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs ebenso wenig Raum (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - I ZR 1/15, NJW 2017, 814 Rn. 42 mwN) wie für eine Orientierung an einem etwaigen (Gesamt-)Schaden unter Einbeziehung anderer Betroffener (vgl. Senat, Beschluss vom 30. November 2004 - VI ZR 65/04, juris Rn. 2; OLG Hamm, Urteil vom 15. August 2023 - 7 U 19/23, juris Rn. 277; OLG Frankfurt/M., K&R 2024, 673). Schließlich darf das Gesamtgefüge der Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitgegenstände nicht aus den Augen verloren werden (BGH, Beschluss vom 26. November 2020 - III ZR 124/20, K&R 2021, 127 Rn. 11).

Nach diesen Grundsätzen ist die erfolgte Festsetzung des Wertes der Unterlassungsanträge auf insgesamt 1.500 € (2 x 750 €) sachgerecht (vgl. zu Parallelfällen auch OLG Hamm, Urteil vom 15. August 2023 - 7 U 19/23, juris Rn. 279 ff.; OLG Frankfurt/M., K&R 2024, 673: jeweils insgesamt 1.000 €). Der Kläger selbst hat seinen Zahlungsanspruch auf Ersatz des bereits eingetretenen Schadens auf 1.000 € beziffert. Der Senat hat hierzu in einem weiteren Parallelverfahren näher ausgeführt, dass er auch eine Bemessung in der Größenordnung von 100 € für den bloßen Kontrollverlust von Rechts wegen nicht beanstanden würde (Urteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, juris Rn. 100). Seinen Antrag auf Feststellung hinsichtlich etwaiger zukünftiger Schäden hat auch der Kläger mit 500 € bewertet; dies erscheint angesichts der absehbaren Schwierigkeiten beim Nachweis der Ursächlichkeit künftiger Schäden auch sachgerecht. Die Verletzungshandlung liegt bereits fünf Jahre zurück, ohne dass es bislang jenseits des bloßen Kontrollverlustes zum Eintritt nachweisbarer Schäden oder einer weiteren Verletzungshandlung gekommen wäre; die Beklagte hat die Suchbarkeitsfunktion in der dem Streitfall inmitten stehenden Ausgestaltung vielmehr zwischenzeitlich deaktiviert. Beide Unterlassungsanträge nehmen ihren Ausgangspunkt in derselben Verletzungshandlung und hängen in der Sache eng zusammen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Volltext BGH liegt vor: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes soferm keine wirksame Einwilligung vorlag

BGH
Urteil vom 18.11.2024
VI ZR 10/24
DS-GVO Art. 82 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes sofern keine wirksame Einwilligung vorlag - dann auch Unterlassungsanspruch über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Immaterieller Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO kann auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung sein. Weder muss eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

BGH, Urteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24 - OLG Köln - LG Bonn

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes sofern keine wirksame Einwilligung vorlag - dann auch Unterlassungsanspruch

BGH
Urteil vom 18.11.2024
VI ZR 10/24


Der BGH hat im Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO entschieden, dass in Facebook-Scraping-Fällen ein Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes in Höhe von 100 EURO angemessen sein dürfte, sofern keine wirksame Einwilligung in die Datenverarbeitung vorlag. Dies hat die Vorinstanz nunmehr zu prüfen. Der BGH hat zudem entschieden, dass dann auch Unterlassungsanspruch und ein Feststellungsinteresse für einen Schadensersatzfeststellungsanspruch besteht.

Die Pressmeiteilung des BGH:
Bundesgerichtshof entscheidet über Ansprüche im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall beim
sozialen Netzwerk Facebook (sog. Scraping)

Sachverhalt:

Die Beklagte betreibt das soziale Netzwerk Facebook. Anfang April 2021 wurden Daten von ca. 533 Millionen Facebook-Nutzern aus 106 Ländern im Internet öffentlich verbreitet. Unbekannte Dritte hatten sich zuvor den Umstand zu Nutze gemacht, dass die Beklagte es in Abhängigkeit von den Suchbarkeits-Einstellungen des jeweiligen Nutzers ermöglicht, dass dessen Facebook-Profil mithilfe seiner Telefonnummer gefunden werden kann. Die unbekannten Dritten ordneten durch die in großem Umfang erfolgte Eingabe randomisierter Ziffernfolgen über die Kontakt-Import-Funktion Telefonnummern den zugehörigen Nutzerkonten zu und griffen die zu diesen Nutzerkonten vorhandenen öffentlichen Daten ab (sog. Scraping).

Von diesem Scraping-Vorfall waren auch Daten des Klägers (Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Arbeitsstätte und Geschlecht) betroffen, die auf diese Weise mit dessen Telefonnummer verknüpft wurden. Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um eine Ausnutzung des Kontakt-Tools zu verhindern. Ihm stehe wegen des erlittenen Ärgers und des Kontrollverlusts über seine Daten Ersatz für immaterielle Schäden zu. Darüber hinaus begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm in diesem Zusammenhang auch alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO Schadensersatz in Höhe von 250 € zugesprochen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers insgesamt abgewiesen. Weder reiche der bloße Kontrollverlust zur Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO aus noch habe der Kläger hinreichend substantiiert dargelegt, über den Kontrollverlust als solchen hinaus psychisch beeinträchtigt worden zu sein.

Mit Beschluss vom 31. Oktober hat der Bundesgerichtshof das Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren gemäß § 552b ZPO n.F. bestimmt (Pressemitteilung 206/24). Nachdem die Revision nicht zurückgenommen wurde oder sich anderweitig erledigt hat, hat der Bundesgerichtshof jedoch am 11. November 2024 mündlich zur Sache verhandelt und nach allgemeinen Regeln durch Urteil über die Revision des Klägers entschieden.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision des Klägers war teilweise erfolgreich.

Der Anspruch des Klägers auf Ersatz immateriellen Schadens lässt sich mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht verneinen. Nach der für die Auslegung des Art. 82 Abs. 1 DSGVO maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH kann auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung ein immaterieller Schaden im Sinne der Norm sein. Weder muss insoweit eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

Erfolg hatte die Revision auch, soweit das Berufungsgericht die Anträge des Klägers auf Feststellung einer Ersatzpflicht für zukünftige Schäden, auf Unterlassung der Verwendung seiner Telefonnummer, soweit diese nicht von seiner Einwilligung gedeckt ist, und auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abgewiesen hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es nicht an dem notwendigen Feststellungsinteresse des Klägers, da die Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden unter den Umständen des Streitfalles ohne Weiteres besteht. Der genannte Unterlassungsanspruch ist hinreichend bestimmt und dem Kläger fehlt insoweit auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen (weiterer Unterlassungsantrag und Auskunftsantrag) blieb die Revision hingegen ohne Erfolg.

Im Umfang des Erfolges der Revision hat der Bundesgerichtshof die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Für die weitere Prüfung hat der Bundesgerichtshof das Berufungsgericht zum einen darauf hingewiesen, dass die von der Beklagten vorgenommene Voreinstellung der Suchbarkeitseinstellung auf "alle" nicht dem Grundsatz der Datenminimierung entsprochen haben dürfte, wobei das Berufungsgericht ergänzend die Frage einer wirksamen Einwilligung des Klägers in die Datenverarbeitung durch die Beklagte zu prüfen haben wird. Zum anderen hat der Bundesgerichtshof Hinweise zur Bemessung (§ 287 ZPO) des immateriellen Schadens aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO erteilt und ausgeführt, warum unter den Umständen des Streitfalles von Rechts wegen keine Bedenken dagegen bestünden, den Ausgleich für den bloßen Kontrollverlust in einer Größenordnung von 100 € zu bemessen.

Vorinstanzen:

LG Bonn - Urteil vom 29. März 2023 - 13 O 125/22

OLG Köln - Urteil vom 7. Dezember 2023 - 15 U 67/23

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

Artikel 82 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) - Haftung und Recht auf Schadenersatz

(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

(…)



Volltext BGH liegt vor: Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO - Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen

BGH
Beschluss vom 31.10.2024
VI ZR 10/24
ZPO § 552b


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH bestimmt Rechtsstreit um möglichen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Zur Bestimmung eines Leitentscheidungsverfahrens gemäß § 552b ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 328).

BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2024 - VI ZR 10/24 - OLG Köln - LG Bonn

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision wirft Rechtsfragen auf, die für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung sind. Der Senat bestimmt das vorliegende Verfahren daher zum Leitentscheidungsverfahren im Sinne des § 552b ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 328; im Folgenden: § 552b ZPO nF).

1. Die formalen Voraussetzungen zur Bestimmung des vorliegenden Verfahrens zum Leitentscheidungsverfahren liegen vor. Das Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 ist nach seinem Art. 7 am Tag nach der Verkündung, mithin am 31. Oktober 2024 in Kraft getreten. Die Revisionsbegründung des Klägers wurde der Beklagten am 8. April 2024 zugestellt, die Revisionserwiderung der Beklagten ist am 15. Oktober 2024 eingegangen (§ 552b Satz 1 ZPO nF). Eine Anhörung der Parteien im Rahmen der Bestimmung des Verfahrens zum Leitentscheidungsverfahren ist nicht erforderlich (arg e contr. § 148 Abs. 4 ZPO nF; vgl. ferner Allgayer, Stellungnahme als Sachverständiger zum [Regierungs-]Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens bei Bundesgerichtshof, BTRechtsausschuss vom 13. Dezember 2023, S. 4); etwas anderes würde auch die Zielsetzung des Gesetzes unterlaufen, eine zügige höchstrichterliche Klärung trotz der Rücknahme von Revisionen aus prozesstaktischen Gründen oder aufgrund eines Vergleiches zu ermöglichen (vgl. BT-Drs. 20/8762 S. 10).

2. Das Verfahren wirft die folgenden Rechtsfragen auf:

a) Liegt in der Implementierung der sog. Kontakt-Import-Funktion in Verbindung mit der Standardvoreinstellung "alle" ein Verstoß der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO ?

b) Ist der bloße Verlust der Kontrolle über die gescrapten und nunmehr mit der Mobiltelefonnummer des Betroffenen verknüpften Daten geeignet, einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu begründen? Falls ja, wie wäre der Ersatz für einen solchen Schaden zu bemessen ?

c) Welche Anforderungen sind an die Substantiierung einer Schadensersatzklage nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu stellen ?

d) Reicht die bloße Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden in einem Fall wie dem vorliegenden aus, um ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO zu begründen?

e) Genügen die vom Kläger gestellten Anträge, dass die Beklagte es unterlasse,

- personenbezogene Daten der Klägerseite unbefugten Dritten über eine Software zum Importieren von Kontakten zugänglich zu machen, ohne die nach dem Stand der Technik möglichen Sicherheitsmaßnahmen vorzusehen, um die Ausnutzung des Systems für andere Zwecke als der Kontaktaufnahme zu verhindern, und

- die Telefonnummer des Klägers auf Grundlage einer Einwilligung zu verarbeiten, die wegen der unübersichtlichen und unvollständigen Informationen durch die Beklagte erlangt wurde, namentlich ohne eindeutige Informationen darüber, dass die Telefonnummer auch bei Einstellung auf 'privat' noch durch Verwendung des Kontaktimporttools verwendet werden kann, wenn nicht explizit hierfür die Berechtigung verweigert und, im Falle der Nutzung der FacebookMessenger App, hier ebenfalls explizit die Berechtigung verweigert wird,

dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ?

3. Die Entscheidung dieser Rechtsfragen ist für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung (§ 552b Satz 1 ZPO n.F.). Beim erkennenden Senat sind derzeit 25 weitere Revisionsverfahren zu dem Scraping-Vorfall bei der Beklagten anhängig. In den Tatsacheninstanzen sind bei unterschiedlichen Gerichten noch insgesamt mehrere tausend Verfahren anhängig (vgl. OLG Stuttgart, GRUR-RS 2023, 32883 Rn. 136: über 100 eigene und bundesweit mehr als 6.000 Parallelverfahren; OLG Hamm, GRUR-RS 2024, 16856 Rn. 23: Vielzahl eigener Parallelverfahren; OLG Köln, GRUR-RS 2023, 37347 Rn. 29: Vielzahl gleichgelagerter eigener Verfahren).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH bestimmt Rechtsstreit um möglichen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO

BGH
Beschluss vom 31.10.2024
VI ZR 10/24


BGH hat einen Rechtsstreit um möglichen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO bestimmt.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof bestimmt Leitentscheidungsverfahren in dem sog. Scraping-Komplex (Ansprüche im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall beim sozialen Netzwerk Facebook)

Der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus der Datenschutz-Grundverordnung zuständige VI. Zivilsenat hat in dem sog. Scraping-Komplex (Pressemitteilung 115/24) das Revisionsverfahren VI ZR 10/24 zum Leitentscheidungsverfahren bestimmt. Nach der durch das Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 328) neu geschaffenen Vorschrift des § 552b ZPO kann der Bundesgerichtshof ein bei ihm anhängiges Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren bestimmen, wenn die Revision Rechtsfragen aufwirft, deren Entscheidung für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist. Mit der Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren ist eine Entscheidung über die Rechtsfragen auch dann zu treffen, wenn eine inhaltliche Entscheidung über die Revision aus prozessualen Gründen nicht mehr ergehen kann. Damit soll eine zügige höchstrichterliche Klärung trotz der Rücknahme von Revisionen aus prozesstaktischen Gründen oder aufgrund eines Vergleichs ermöglicht werden.

Das zum Leitentscheidungsverfahren bestimmte Revisionsverfahren VI ZR 10/24 wirft die Rechtsfragen auf,

ob in der von der Beklagten bei Implementierung der sog. Kontakt-Import-Funktion vorgenommenen Standardvoreinstellung auf "alle" ein Verstoß der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO liegt,

ob der bloße Verlust der Kontrolle über die gescrapten und nunmehr mit der Mobiltelefonnummer des jeweiligen Betroffenen verknüpften Daten geeignet ist, einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu begründen,

wie in einem solchen Fall der Schaden zu bemessen wäre,

welche Anforderungen an die Substantiierung einer Schadensersatzklage nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu stellen sind,

ob die bloße Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden ausreicht, um ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO zu begründen,

ob die vom Kläger gestellten Unterlassungsanträge dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügen.

Diese Rechtsfragen sind für eine Vielzahl beim Bundesgerichtshof und in den Tatsacheninstanzen anhängiger, in wesentlichen Teilen gleichgearteter Verfahren von Bedeutung. Diese Verfahren können nunmehr grundsätzlich bis zur Erledigung des Leitentscheidungsverfahrens ausgesetzt werden.

In zwei zunächst zur Verhandlung am 8. Oktober 2024 vorgesehenen Verfahren sind die Revisionen von den Klägern kurzfristig vor dem Termin zurückgenommen worden (Pressemitteilung 190/24). Für den 11. November 2024 ist Termin zur mündlichen Verhandlung in dem nunmehr zum Leitentscheidungsverfahren bestimmten Revisionsverfahren VI ZR 10/24 anberaumt (Pressemitteilung 195/24). In dem weiteren für den 11. November 2024 terminierten Verfahren VI ZR 186/24 ist die Revision zwischenzeitlich ebenfalls zurückgenommen worden.

Vorinstanzen:

LG Bonn - Urteil vom 29. März 2023 - 13 O 125/22

OLG Köln - Urteil vom 7. Dezember 2023 - 15 U 67/23

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 552b ZPO n.F.: Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren

Wirft die Revision Rechtsfragen auf, deren Entscheidung für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung ist, so kann das Revisionsgericht nach Eingang einer Revisionserwiderung oder nach Ablauf eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung das Revisionsverfahren durch Beschluss zum Leitentscheidungsverfahren bestimmen. Der Beschluss enthält eine Darstellung des Sachverhalts und der Rechtsfragen, deren Entscheidung für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung ist.

§ 565 ZPO n.F.: Leitentscheidung

(1) Endet die zum Leitentscheidungsverfahren bestimmte Revision, ohne dass ein mit inhaltlicher Begründung versehenes Urteil ergeht, so trifft das Revisionsgericht durch Beschluss eine Leitentscheidung. Der Beschluss ergeht ohne mündliche Verhandlung.

(2) In dem Beschluss wird

1. festgestellt, dass die Revision beendet ist, und

2. eine Leitentscheidung zu den im Beschluss nach § 552b benannten Rechtsfragen getroffen.

(3) Der Beschluss ist zu begründen. Die Begründung ist auf die Erwägungen zur Entscheidung der maßgeblichen Rechtsfragen zu beschränken.

§ 148 ZPO n.F.: Aussetzung bei Vorgreiflichkeit

(…)

(4) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Rechtsfragen abhängt, die den Gegenstand eines bei dem Revisionsgericht anhängigen Leitentscheidungsverfahrens bilden, nach Anhörung der Parteien anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Leitentscheidungsverfahrens auszusetzen ist. Eine Aussetzung hat zu unterbleiben, wenn eine Partei der Aussetzung widerspricht und gewichtige Gründe hierfür glaubhaft macht. (…)