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LG Hamburg: Pflicht zur Löschung falscher Inhalte auf Drittseiten - Angabe von Dr. med. dent. durch Zahnarzt ohne Doktortitel bei Jameda und in Online-Branchenbüchern

LG Hamburg
Urteil vom 26.07.2016
312 O 574/15


Das LG Hamburg hat entschieden, dass ein Unternehmen ggf. verpflichtet ist, irreführende Einträge auf Webseiten Dritter zu entfernen. Dies soll selbst dann gelten, wenn das Unternehmen keine vertraglichen Beziehungen mit der jeweiligen Webseite unterhält und den Eintrag nicht veranlasst hat. Eine Haftung kommt nach Ansicht des Gerichts dann in Betracht, wenn der Betroffene trotz Kenntnis von der Rechtsverletzung untätig bleibt. Vorliegend ging es um einen Zahnarzt, der bei jameda und in Online-Branchnbüchern als "Dr. med. dent." gelistet war, ohne tatsächlich über einen Doktortitel zu verfügen.


Aus den Entscheidungsgründen:

"Indem die Beklagte, nachdem sie durch den Kläger von diesen fehlerhaften und irreführenden Einträgen in Kenntnis gesetzt worden war, über einen Zeitraum von mehreren Monaten keinerlei Schritte ergriffen hat, um eine Korrektur zu veranlassen, hat sie gegen ihre unternehmerische Sorgfaltspflicht gemäß § 3 Abs. 2 UWG verstoßen. Danach sind geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen. Die „unternehmerische Sorgfalt” erfordert wiederum nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG den Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn in seinem Tätigkeitsbereich gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten einhält.

Voraussetzung für das Entstehen einer unternehmerischen Sorgfaltspflicht ist eine geschäftliche Handlung, von der erkennbar die ernsthafte Gefahr ausgeht, dass Dritte durch das Lauterkeitsrecht geschützte Interessen von Marktteilnehmern verletzen. Es muss also in der Person eines Dritten Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr eines Wettbewerbsverstoßes bestehen. Dies ist erforderlich, „um einer unangemessenen Ausdehnung der Haftung für Rechtsverstöße Dritter entgegenzuwirken“ (Feddersen/Köhler, a.a.O., § 8 Rn. 2.10, m.V. auf BGH GRUR 2007, 890 Rn 38 - Jugendgefährdende Medien bei eBay).Ihrem Inhalt nach ist die Sorgfaltspflicht darauf gerichtet, den wettbewerbswidrigen Erfolg, also die Zuwiderhandlung des Dritten, abzuwenden. Was im Einzelnen geschuldet ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es kann sich insbesondere um Prüfungs-, Überwachungs- und Eingreifpflichten handeln (Feddersen/Köhler, a.a.O., m.w.N.). Die durch die Sorgfaltspflicht begründeten Anforderungen an den Unternehmer werden dadurch angemessen begrenzt, dass nur solche Gefahrabwendungsmaßnahmen geschuldet sind, deren Erfüllung ihm möglich und zumutbar ist. Dabei hängt die Zumutbarkeit einerseits davon ab, wie groß die vom Dritten ausgehende Verletzungsgefahr und wie gewichtig das verletzte Interesse ist, und andererseits davon, welches wirtschaftliche Eigeninteresse der Verpflichtete hat und welcher Aufwand für die Gefahrenabwehr erforderlich ist (vgl. Feddersen/Köhler, a.a.O., m.w.N.). Zur Bestimmung des Ausmaßes der Prüfungs- und Handlungspflichten ist eine Gesamtabwägung der Einzelfallumstände vorzunehmen, in deren Rahmen auch zu berücksichtigen ist, in welchem Grade der Verletzte schutzbedürftig ist, ob ihm etwa ein unmittelbares Vorgehen gegen den eigentlichen Verletzer möglich und zumutbar ist (vgl. Feddersen/Köhler, a.a.O., § 8 Rn. 2.11 m.w.N.).

Insofern sind nach Auffassung der Kammer bei der Bestimmung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht auch die allgemeinen Grundsätze zu wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflichten zu berücksichtigen, die der BGH in der Entscheidung „Jugendgefährdende Medien bei eBay“ (Urteil vom 12.7.2007, Az.: I ZR 18/04, GRUR 2007, 890) formuliert hat. Noch zu § 3 UWG in der Fassung vom 3. Juli 2004 hat der BGH zur Haftung der Betreiberin der Internetplattform eBay für jugendgefährdende Angebote Dritter ausgeführt:

„Im Hinblick darauf, dass die Beklagte mit ihrer Internetplattform die ernsthafte Gefahr einer Verletzung des Jugendschutzrechts und damit auch der lauterkeitsrechtlich geschützten Verbraucherinteressen eröffnet hat, kommt unter dem Aspekt der Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht eine Haftung der Beklagten nach § 3 UWG in Betracht […]. Wer durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr die Gefahr schafft, dass Dritte durch das Wettbewerbsrecht geschützte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, ist wettbewerbsrechtlich dazu verpflichtet, diese Gefahr im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen […]. Im Bereich der deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB sind Verkehrspflichten als Verkehrssicherungspflichten in ständiger Rechtsprechung anerkannt […]. Verkehrspflichten hat der Bundesgerichtshof auch bereits im Immaterialgüterrecht sowie der Sache nach im Wettbewerbsrecht angenommen […]. Dieser Rechtsprechung aus unterschiedlichen Rechtsbereichen ist der allgemeine Rechtsgrundsatz gemeinsam, dass jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, die ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen muss, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren notwendig sind. Wer gegen eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verstößt, ist Täter einer unlauteren Wettbewerbshandlung.
[…]

Eine Handlungspflicht der Beklagten entsteht aber, sobald sie selbst oder über Dritte Kenntnis von konkreten jugendgefährdenden Angeboten erlangt hat. Ab Kenntniserlangung kann sie sich nicht mehr auf ihre medienrechtliche Freistellung von einer Inhaltskontrolle der bei ihr eingestellten Angebote berufen […]. Ist die Beklagte auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden, besteht für sie ein lauterkeitsrechtliches Handlungsgebot. Es ist mit der Lauterkeit des Wettbewerbs nicht zu vereinbaren, wenn die Beklagte bewusst in Kauf nimmt, ihre Umsätze mit Provisionen für Auktionsgeschäfte zu erzielen, die aufgrund von Angeboten abgeschlossen worden sind, die gegen das Jugendschutzrecht verstoßen.“ (BGH, a.a.O., Rn. 36 und 42, m.w.N.)

Dabei verkennt die Kammer nicht die Unterschiede zwischen dem vorliegenden Sachverhalt und demjenigen, welcher der zitierten Entscheidung des BGH zugrunde lag. So war etwa das Geschäftsmodell der dortigen Beklagten gerade darauf gerichtet, eine Verkaufsplattform für Dritte zu eröffnen, wodurch sie die Gefahr schuf, dass diese auch jugendgefährdende Medien zum Erwerb anbieten könnten. Demgegenüber ist die Tätigkeit der Beklagten nicht darauf gerichtet, Dritten eine Plattform für ein eigenes geschäftliches Handeln zu schaffen.

Diesen und anderen Unterschieden ist nach Auffassung der Kammer im Rahmen der gebotenen Einzelfallabwägung bei der Bestimmung des Bestehens und Umfangs von Handlungspflichten der Beklagten angemessen Rechnung zu tragen. Sie führen im Ergebnis dazu, dass diese nur geringere Anforderungen an die Beklagte stellen dürften. Indem sie gänzlich untätig geblieben ist, hat die Beklagte indes auch diese eng begrenzten Handlungspflichten verletzt. Im Einzelnen:

Indem die Beklagte eine zahnärztliche Praxis betreibt, nimmt sie am Wettbewerb teil und unterliegt den lauterkeitsrechtlichen Anforderungen. Insbesondere wäre es ihr gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 UWG verboten, selbst mit einem Doktortitel für ihre Leistungen zu werben, den sie tatsächlich nicht besitzt. Dies hat sie - wie inzwischen unstreitig ist - selbst auch nicht getan. Sie hat vielmehr zunächst lediglich durch die Aufnahme ihrer zahnärztlichen Tätigkeit eine sehr entfernte Gefahr begründet, dass Dritte sie durch eigenverantwortliches Handeln im Internet zu Unrecht und in irreführender Weise mit einem Doktortitel benennen und unter dieser Bezeichnung auf ihre Praxis hinweisen könnten. Einen konkreten Anlass für derartige irreführende Einträge, etwa in Online-Verzeichnissen wie jameda oder dem Stadtbranchenbuch Hamburg hat sie nach dem Parteivortag nicht gesetzt. Die unmittelbare Gefahr einer Irreführung der Verbraucher haben mithin die Anbieter der jeweiligen Internetportale eigenverantwortlich gesetzt, indem sie teils Daten erworben und Profile von Ärzten erstellt haben, die, wie die Beklagte, dies nicht veranlasst hatten. Insofern konnte es auch nicht originäre Aufgabe der Beklagten sein, im Sinne einer allgemeinen Prüfungspflicht proaktiv zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie im Internet nicht von Dritten in irreführender Weise betitelt wird.

Eine begrenzte - in ihrem Umfang angemessen zu beschränkende - Handlungspflicht begründet die unternehmerische Sorgfaltspflicht aber nach Auffassung der Kammer in dem Moment, in dem die Beklagte positive Kenntnis von einem Interneteintrag erhält, in dem unter irreführender Nennung eines „Dr. med. dent.“-Titels auf ihre geschäftliche Tätigkeit als Zahnärztin hingewiesen wird. Dies muss zumindest im Falle von Portalen wie den hier streitgegenständlichen Internetseiten jameda - laut Eigenwerbung „Deutschlands größte Arztempfehlung“ - und www.stadtbranchenbuch-hamburg.de gelten, die ersichtlich darauf gerichtet sind, potentiellen Patienten, die im Internet nach einem Zahnarzt suchen, diesbezügliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Die Einträge haben insofern einen nicht unerheblichen Werbeeffekt für die Beklagte. Gleichzeitig können sie ihr Irreführungspotential gegenüber dem Verbraucher in besonderer Weise entfalten, wenn dieser im Internet eine Auswahl verschiedener Zahnärzte findet und sich gegebenenfalls auf der Grundlage der verfügbaren Daten für einen Zahnarzt bzw. eine Zahnärztin entscheidet. Zudem illustrieren der Sachverhalt des vorliegenden Verfahrens und nicht zuletzt auch die Recherchen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten den Multiplikationseffekt, den ein fortdauernder fehlerhafter Eintrag im Internet haben kann. So greift die Webseite Stadtbranchenbuch nach dem eigenen Vortrag der Beklagten auf die Daten von jameda zurück. Eine Google-Suche wie die aus Anlage K 5 ersichtliche führt wiederum dazu, dass die fehlerhaften Einträge wiedergegeben werden, wobei die vom Kläger am 12. August 2015 durchgeführte Google-Suche zu den Suchbegriffen „dr. v. h.- h.“ unter den ersten sechs Treffern immerhin drei Webseiten listete, welche die Klägerin mit Doktortitel führten, nämlich www.jameda.de, aktuelle-oeffnungszeiten.com und www.sanego.de. Eine Duldung solcher Einträge ist nach alledem im Sinne des § 3 Abs. 2 UWG geeignet, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen.

Es besteht auch kein schützenswertes Interesse der Beklagten daran, dass Dritte ihre Praxis in irreführender Weise unter Angabe eines Doktortitels bewerben. Im Gegenteil darf nach Treu und Glauben von einem Unternehmer erwartet werden, dass er nicht wissentlich Einträge in derartigen Verzeichnissen duldet, die Verbraucher hinsichtlich seiner Qualifikation im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 UWG in die Irre führen. Die Beklagte konnte ohne weiteres, insbesondere ohne Notwendigkeit einer komplexeren Prüfung erkennen, dass die Angaben zu ihrer Person in den ihr zur Kenntnis gebrachten Einträgen unzutreffend und irreführend waren. Es ist mit der unternehmerischen Sorgfalt aber nicht vereinbar, eine offensichtlich fehlerhafte und irreführende Werbung für das eigene Unternehmen untätig hinzunehmen.

Nach alledem trifft die Beklagte zumindest eine begrenzte Handlungspflicht hinsichtlich der ihr jeweils konkret zur Kenntnis gebrachten irreführenden Einträge. In diesem Sinne, der eine positive Kenntnisnahme von den konkreten Verstößen voraussetzt, ist nach Auffassung der Kammer und Vorgesagtem auch die vom Kläger in der Antragsfassung gewählte Formulierung „verwenden zu lassen“ zu verstehen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: