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EuGH: Hersteller müssen unabhängigen Wirtschaftsakteuren Fahrzeug-Identifizierungsnummern zur Verfügung stellen - personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO in Kombination mit Halterdaten

EuGH
Urteil vom 09.11.2023
C-319/22
Gesamtverband Autoteile-Handel (Zugang zu Fahrzeuginformationen)


Der EuGH hat entschieden, dass Fahrzeughersteller unabhängigen Wirtschaftsakteuren die Fahrzeug-Identifizierungsnummern zur Verfügung stellen müssen. Der EuGH führt weiter aus, dass es sich in Kombination mit Halterdaten dabei um personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO handelt, die Verpflichtung aber DSGVO-konform ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Fahrzeughersteller müssen unabhängigen Wirtschaftsakteuren Fahrzeug-Identifizierungsnummern bereitstellen.

Ermöglicht diese Nummer, den Halter eines Fahrzeugs zu identifizieren, und stellt sie daher ein personenbezogenes Datum dar, ist diese Verpflichtung mit der Datenschutz-Grundverordnung vereinbar.

Fahrzeughersteller sind nach dem Unionsrecht verpflichtet, unabhängigen Wirtschaftsakteuren, zu denen Reparaturbetriebe, Ersatzteilhändler und Herausgeber technischer Informationen gehören, die Informationen zugänglich zu machen, die für die Reparatur und Wartung der von ihnen hergestellten Fahrzeuge erforderlich sind.

Ein deutscher Branchenverband des freien Kfz -Teilehandels ist der Ansicht, dass weder die Form noch der Inhalt der Informationen, die seinen Mitgliedern vom Lkw-Hersteller Scania zur Verfügung gestellt werden, dieser Verpflichtung genügen. Um dieser Situation abzuhelfen, rief der Verband ein deutsches Gericht an. Dieses hat sich seinerseits an den Gerichtshof gewandt, da es sich über den Umfang der Verpflichtungen von Scania nicht im Klaren war. Es möchte u. a. wissen, ob Fahrzeug-Identifizierungsnummern personenbezogene Daten darstellen, zu deren Übermittlung die Hersteller verpflichtet sind.

Der Gerichtshof entscheidet diese Frage dahingehend, dass Fahrzeughersteller verpflichtet sind, Zugang zu allen Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen zu gewähren.

Diese Informationen müssen nicht unbedingt über eine Datenbankschnittstelle zugänglich gemacht werden, die eine maschinengesteuerte Abfrage und den Download der Ergebnisse ermöglicht. Ihr Format muss jedoch für die unmittelbare elektronische Weiterverarbeitung geeignet sein. So muss es das Format ermöglichen, die maßgeblichen Daten zu extrahieren und unmittelbar nach ihrer Erhebung zu speichern. Der Gerichtshof entscheidet außerdem, dass die Fahrzeughersteller verpflichtet sind, eine Datenbank zu erstellen, die die Informationen über die Teile umfasst, die durch Ersatzteile ausgetauscht werden können. Die Suche nach Informationen in dieser Datenbank muss anhand der Fahrzeug-Identifizierungsnummern und weiterer Merkmale wie der Motorleistung oder der Ausstattungsvariante des Fahrzeugs möglich sein.

Der Gerichtshof betont, dass die Fahrzeug-Identifizierungsnummern in der Datenbank enthalten sein müssen.

Diese Nummer ist als solche nicht personenbezogen. Sie wird jedoch zu einem personenbezogenen Datum, wenn derjenige, der Zugang zu ihr hat, über Mittel verfügt, die ihm die Identifizierung des Halters des Fahrzeugs ermöglichen, sofern der Halter eine natürliche Person ist. Der Gerichtshof stellt hierzu fest, dass der Halter wie auch die Fahrzeug-Identifizierungsnummer in der Zulassungsbescheinigung angegeben sind. Selbst in den Fällen, in denen die Fahrzeug-Identifizierungsnummern als personenbezogene Daten einzustufen sind, steht die Datenschutz-Grundverordnung dem nicht entgegen, dass Fahrzeughersteller verpflichtet sind, sie unabhängigen Wirtschaftsakteuren bereitzustellen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Werkstätten muss von Fahrzeugherstellern diskriminierungsfreier Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen sowie zum On-Board-Diagnosesystem gewährt werden

EuGH
Urteil vom 05.10.2023
C-296/22


Der EuGH hat entschieden, dass Werkstätten von den Fahrzeugherstellern ein diskriminierungsfreier Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen sowie zum On-Board-Diagnosesystem gewährt werden muss.

Tenor der Entscheidung:
Art. 61 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit Anhang X der Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und (EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 2007/46/EG

ist dahin auszulegen, dass

er dem entgegensteht, dass ein Fahrzeughersteller den Zugang unabhängiger Wirtschaftakteure zu Fahrzeugreparatur- und ‑wartungsinformationen sowie zu Informationen des On-Board-Diagnosesystems, einschließlich den Schreibzugriff für diese Informationen, von anderen Voraussetzungen als von den in der Verordnung bestimmten abhängig macht.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Keine Markenrechtsverletzung durch Verwendung des als Wort-/Bildmarke geschützten Logos eines Logistikunternehmens auf Modellbau-LKW und Modellbau-Lagerhalle

BGH
Urteil vom 12.01.2023
I ZR 86/22
DACHSER
MarkenG § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3


Der BGH hat entschieden, dass keine Markenrechtsverletzung durch Verwendung des als Wort-/Bildmarke geschützten Logos eines Logistikunternehmens auf Modellbau-LKW und Modellbau-Lagerhalle vorliegt.

Leitsätze des BGH:
a) Angesichts der jahrzehntelangen Üblichkeit detailgetreuer Nachbildungen im Modellspielzeugbau und der Erwartung, die der Verkehr hieran stellt, besteht ein berechtigtes Interesse, ein in der Realität vorkommendes Fahrzeug nachzubauen und darauf nicht nur - wie in der Wirklichkeit - das Kennzeichen des Herstellers des jeweiligen Fahrzeugs, sondern auch Kennzeichen anzubringen, die Unternehmen auf solchen Fahrzeugen zum Zwecke der Werbung für ihre Dienstleistungen verwenden. Wenn ein von einem Dritten detailgetreu nachgebildetes Kfz-Modell an der entsprechenden Stelle die Abbildung einer bekannten Dienstleistungsmarke trägt, ist eine Ausnutzung des Rufs "in unlauterer Weise" im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 MarkenG nur dann gegeben, wenn über die bloße wirklichkeitsgetreue Abbildung hinaus in anderer Weise versucht wird, die Wertschätzung der bekannten Marke werblich zu nutzen. Ergibt sich beim Vertrieb solcher Spielzeugautos jeglicher Zusammenhang mit der Marke allein aus der spielzeughaft verkleinerten Nachbildung des Originals zwangsläufig wie beiläufig, fehlt es an dem Merkmal der unlauteren Rufausnutzung (Bestätigung und Fortführung von BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 - I ZR 88/08, GRUR 2010, 726 = WRP 2010, 1039 - Opel-Blitz II).

b) Wegen der jahrzehntelangen Üblichkeit detailgetreuer Nachbildungen der Realität im Spielzeug- und Modellbereich und einer entsprechenden Verbrauchererwartung besteht ein berechtigtes Interesse des Spielzeugherstellers, nicht nur Fahrzeuge, sondern auch Gebäude als Modelle vertreiben zu können, auf denen bekannte Marken angebracht sind, soweit sie eine Miniaturdarstellung der Realität darstellen. Nach den Umständen des Einzelfalls kann es ausreichen, wenn das Modell die für die Unternehmensidentität entscheidenden Gestaltungsmerkmale einschließlich des Logos übernimmt, so dass der Verkehr in dem Modell den Nachbau eines in der Realität typischerweise vorkommenden Gebäudes des Markeninhabers erkennt.

BGH, Urteil vom 12. Januar 2023 - I ZR 86/22 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Köln: Keine Markenrechtsverletzung durch Verwendung des als Wort-/Bildmarke geschützten Logos eines Logistikunternehmens auf Modellbau-LKW und Modellbau-Lagerhalle

OLG Köln
Urteil vom 29.04.2022
6 U 178/21


Das OLG Köln hat entschieden, das keine Markenrechtsverletzung durch Verwendung des als Wort-/Bildmarke geschützten Logos eines Logistikunternehmens auf einem Modellbau-LKW und einer Modellbau-Lagerhalle vorliegt.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts steht der Klägerin weder ein Anspruch auf Unterlassung der Verwendung des Zeichens „B“ auf dem streitbefangenen LKW-Modell noch auf dem Lagerhallenmodell der Beklagten aus § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 MarkenG zu. Die Klägerin stützt ihren Unterlassungsanspruch markenrechtlich nur auf den Bekanntheitsschutz und hilfsweise auf § 4 Nr. 3a und b bzw. auf Irreführung nach §§ 5, 8 UWG.

1. LKW-Modell

Nach § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 MarkenG kann der Inhaber einer Marke es Dritten untersagen, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen ein mit der Marke identisches Zeichen oder ein ähnliches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn es sich bei der Marke um eine im Inland bekannte Marke handelt und die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der bekannten Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt.

a. Die Frage der Bekanntheit der Klagemarke, die zum einen für die von der Klagemarke angesprochenen Verkehrskreise, aber im Fall der Ausnutzung des Rufs auch für das von der Verletzermarke angesprochene Publikum vorliegen muss (vgl. Hacker in: Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl. § 14 Rn. 386), kann vorliegend dahin gestellt bleiben, weil ein Anspruch bereits an anderer Stelle scheitert (s.u.).

b. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob die Beklagte die unterstellt bekannte Marke identisch oder in ähnlicher Weise iSd § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 MarkenG benutzt.

c. Eine gedankliche Verknüpfung zwischen dem benutztem Zeichen und der Klagemarke liegt angesichts der Identität bzw. der jedenfalls sehr hohen Zeichenähnlichkeit vor.

d. Eine Beeinträchtigung des Rufs oder der Wertschätzung der für die Klassen 9, 35, 39 und 42 eingetragenen Klagemarke findet jedoch nicht statt. Selbst wenn ein Miniatur-Modell der Beklagten eine schlechte Qualität aufweisen würde, würde sich dies nicht auf das Image und den Ruf der Logistik-/Speditionsdienstleistungen der Klägerin auswirken, weil der angesprochene Verkehr, der sich für Miniatur-Modelle interessiert, keine Veranlassung hat, von einer minderen Qualität des Modell-Nachbaus auf die Qualität der Dienstleistung der Klägerin zu schließen. Der Verkehr ist es gewohnt, dass es sich bei Miniatur-Modellen in der Regel um wirklichkeitsgetreue Nachbildungen von in der Realität vorkommenden Fahrzeugen oder Gebäuden handelt. Er weiß auch, dass in der Realität LKWs mit Drittmarken bedruckt sein können, um z.B. zum Ausdruck zu bringen, dass diese von dem Drittunternehmen für seine Dienstleistungen benutzt werden, oder um die Fläche für sonstige Werbezwecke zu nutzen. Bei einem Miniatur-Modell eines LKWs mit dem Aufdruck einer Drittmarke wird der Verkehr, soweit keine weiteren Anhaltspunkte hinzukommen, davon ausgehen, dass solche LKWs in der Realität mit diesem Aufdruck vorkommen. Er wird indessen keine Verbindung zwischen der Qualität des LKW-Modells und der Dienstleistung des Inhabers der Drittmarke vermuten; ebenso wenig wie zwischen der Qualität des Originalfahrzeugs und des Modells.

Das Verkehrsverständnis können die Mitglieder des Senats als Verbraucher selbst feststellen, weil der Durchschnittsverbraucher Miniatur-Modelle und nachgebaute Spielzeuge kennt und entsprechenden Angeboten in der Werbung begegnet.

e. Es liegt jedoch eine Anlehnung und damit eine gewisse Ausnutzung der (unterstellten) Unterscheidungskraft und Wertschätzung der Klagemarke insoweit vor, als mit der Nachbildung von Originalen unter Verwendung von Marken, wie es sie in der Wirklichkeit gibt, zwangsläufig durch die Gestaltung des Modells eine Anlehnung an den Ruf des Markeninhabers verbunden ist (vgl. BGH, Urt. v. 14.01.2010 – I ZR 88/08 – juris Rn. 29 – C).

aa. Indem die Beklagte auf den Seitenflächen des Kühlkoffers ein mit der Dienstleistungsmarke der Klägerin (quasi-)identisches Zeichen übernimmt, wird der angesprochene Verkehr die Klagemarke erkennen und auch der Klägerin zuordnen. Es wird dabei jedoch keine der Funktionen der Marke in unlauterer Weise beeinträchtigt. Der Verbraucher, der sich für Modellbau-/Spielzeug-Fahrzeuge interessiert, erkennt, dass es sich um einen Nachbau handelt und dass es sich bei der Übernahme der Klagemarke ebenfalls um ein Detail aus der Wirklichkeit handelt, das im Modell nachgebildet wird. Aufgrund der jahrzehntelangen Tradition von detailgetreuen Nachbauten im Modell- und Spielzeugbereich ist dem Verkehr bekannt, dass mit der Anbringung von Fremdmarken auf Modellen, seien es die Marken der Hersteller der nachgebauten Objekte oder von Drittmarken, die auf den Originalen vorhanden sind, keine eigenständigen Hinweise auf die Herkunft oder Qualität des Modells oder auf zwischen den Markeninhabern und dem Modellbauer bestehenden Vertragsbeziehungen erteilt werden, sondern dass es sich lediglich um die Übernahme der in der Realität vorkommenden Originalgestaltung handelt. Soweit keine sonstigen Hinweise auf Lizenzbeziehungen vorliegen, hat der Verkehr keine Veranlassung, allein aus der detailgetreuen Übernahme einer Marke auf das Bestehen solcher Beziehungen zu schließen. Dass sich das Verkehrsverständnis seit der Entscheidung „C“ des BGH grundlegend verändert hätte und die an Modellen und Spielzeugnachbauten interessierten Verbraucher nunmehr bereits allein von der Übernahme der Gestaltung eines Fahrzeugs oder sonstigen Produkts samt Marken auf Lizenzbeziehungen schließen würden, ist weder hinreichend dargetan noch sonst ersichtlich.

bb. Der Modell- und Spielzeughersteller profitiert zwar insoweit von einem möglichen guten Ruf von übernommenen Marken, weil dieser die Attraktivität seiner Modelle erhöhen und Sammelanreize bieten kann. Eine solche Ausnutzung hängt jedoch zwangsläufig mit der Nachbildung von Objekten, die es in der Wirklichkeit gibt, zusammen (vgl. BGH, Urt. v. 14.01.2010 – I ZR 88/08 – juris Rn. 29 – C). Diese mit der realitätsgetreuen Nachbildung zwangsläufig verbundene Folge stellt sich nicht als unlautere Ausnutzung iSd § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG dar, solange nicht über die bloße wirklichkeitsgetreue Abbildung hinaus in anderer Weise versucht wird, den Ruf der Klagemarke werblich zu nutzen (vgl. BGH, Urteil vom 14.01.2010 – I ZR 88/08 – juris Rn. 29 f. – C).

cc. Die Klägerin hebt zwar hervor, dass die Dienstleistungsmarke der Klägerin gerade nicht zwangsläufig Teil des nachgebildeten Fahrzeugs sei. Aus dem Umstand, dass die Marke der Klägerin nicht zwingend zur Karosserie des Original-LKWs gehört, folgert die Klägerin, dass es sich bei ihrer Marke nicht um einen zwingend nachzubildenden Bestandteil des Originalfahrzeugs handelt und sieht darin den entscheidenden Unterschied zu der der C-Entscheidung des BGH zugrunde liegenden Konstellation.

Es kommt jedoch nicht darauf an, dass es in der Realität LKWs der Marke Atego von E auch ohne Aufdruck der Klagemarke gibt, die die Beklagte hätte nachbauen können, sodass der Nachbau des gewählten LKWs in seiner konkreten Ausgestaltung samt Klagemarke deshalb nicht zwingend gewesen wäre. Es geht vielmehr darum, dass bei einem Modell-/Spielzeugnachbau die Übernahme der für einen detailgetreuen Nachbau zwingend notwendigen Bestandteile die Unlauterkeit nicht begründen, weil der Verkehr deren Übernahme erwartet. Der BGH hat in seiner C-Entscheidung ausgeführt, dass „die wirklichkeitsgetreue Nachbildung als solche noch nicht unlauter im Sinne von § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 MarkenG ist, weil insoweit wegen der Erwartungen, welche die angesprochenen Verbraucher an derartige Spielzeuge stellen, und der darauf beruhenden jahrzehntelangen Üblichkeit detailgetreuer Nachbildungen ein berechtigtes Interesse der Beklagten besteht“ (BGH, Urt. v. 14.01.2010 – I ZR 88/08 – juris Rn. 30 – C). Dies gilt nach wie vor und auch für den vorliegenden Fall. Vorliegend sind die angegriffenen Modelle in gleicher Weise nur das Ergebnis einer detailgetreuen Nachbildung eines in der Realität vorkommenden Fahrzeugs, weil es unstreitig LKWs A mit der an der Fahrzeugfront und auf dem Kühlkoffer aufgebrachten Marke der Klägerin im Straßenbild gibt.

Dass die Beklagte bereits im Rahmen ihrer unternehmerischen Entscheidung, welches Fahrzeug sie als Modell nachbauen möchte, gezwungen wäre, sich auf solche Fahrzeuge zu beschränken, die über die Herstellermarke des Fahrzeugbauers hinaus keine weitergehenden Marken aufweisen, ist durch die BGH-Entscheidung gerade nicht vorgezeichnet. Entscheidet sich ein Modellbauer zum Nachbau, ist er verpflichtet, eine etwaige Markenverwendung insoweit zu beschränken, als sie für den originalgetreuen Nachbau, wie ihn der Verkehr erwartet, zwingend notwendig ist und sie keinen werblichen Überschuss aufweist. Darüber, dass er bereits in der Auswahl des nachzubauenden Fahrzeugs beschränkt wäre und deshalb keine Fahrzeuge mit Dienstleistungsmarken nachbauen dürfe, verhält sich die Entscheidung des BGH gerade nicht. Indem der BGH auf die Erwartungen und Üblichkeiten auf dem Spielzeug- bzw. Modellmarkt abstellt, die auf naturgetreue Nachbildungen gerichtet sind, lässt sich keine Einschränkung auf die Herstellermarken der Originalfahrzeuge herleiten. Solange der maßgebliche Verkehrskreis ein mit der Klagemarke identisches oder ähnliches Logo auf einer Nachbildung nicht als Angabe über die Herkunft versteht, sondern nur als Übernahme eines Gestaltungselements im Rahmen des Nachbaus ist ein berechtigtes Interesse der Modellbauer anzunehmen, die die Unlauterkeit der Ausnutzung ausschließt.

dd. Dieses Verständnis wird auch durch den EuGH bestätigt, wenn er darauf hinweist, dass nach seiner Rechtsprechung das in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 89/104 niedergelegte ausschließliche Recht dem Markeninhaber gewährt wurde, um dem Markeninhaber den Schutz seiner spezifischen Interessen als Inhaber dieser Marke zu ermöglichen, d.h. um sicherzustellen, dass diese Marke ihre Funktionen erfüllen kann, und dass die Ausübung dieses Rechts daher auf Fälle beschränkt bleiben muss, in denen die Benutzung des Zeichens durch einen Dritten die Funktionen der Marke und insbesondere ihre Hauptfunktion, d.h. die Gewährleistung der Herkunft der Ware gegenüber den Verbrauchern beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte (s. EuGH, Urteil vom 25.01.2007 – C-48/05 –, juris Rn. 21 mwN). Gerade die Herkunftsfunktion wird vorliegend aufgrund der besonderen Verkehrserwartung und Üblichkeit auf dem Gebiet des Modellnachbaus nicht tangiert. Gleiches gilt für die Gewährleistungsfunktion. Allenfalls berührt sind die Werbe- oder Kommunikationsfunktion, was jedoch angesichts der Erwartungen und des Verständnisses des angesprochenen Verkehrs, der das Zeichen als bloße Übernahme eines zur Gestaltung des Originals gehörenden Bestandteils auffasst, nicht unlauter ist.

ee. Dass bereits seit Jahrzehnten Fahrzeuge auch mit Werbe- und Dienstleistungsaufdrucken von Drittmarken als Miniatur-Modelle auf dem Markt vertrieben werden, hat die Beklagte anhand von diversen Auszügen aus Prospekten und Internetseiten von Drittanbietern belegt (s. nur Bl. 530 ff. d.A.). Dies ist den Mitgliedern des Senats auch aus eigener Anschauung bekannt. Solange sich die Markennutzung auf das für eine detailgetreue Nachbildung notwendige und damit zwangsläufig einhergehende Maß beschränkt, liegt daher keine unlautere Ausnutzung des Rufs vor (s. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.01.2022 – I-20 U 117/20, S. 25, Bl. 119 e.A., wenn auch zu einer speziellen Fallgestaltung).

f. Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass das LKW-Modell der Beklagten zum einen von minderer Qualität sei und diverse Unterschiede zum Original aufzeige, handelt es sich aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise um nur geringfügige Abweichungen, etwa hinsichtlich der mit bloßem Auge kaum wahrnehmbaren Größenverhältnisse der Markenaufschrift oder der Farbnuancen wie im nachgelassenen Schriftsatz vom 01.04.2022 im Einzelnen ausgeführt. Soweit sich ein deutlicherer Unterschied aus dem unter dem Führerhaus des Modells angebrachten „Lenkschleifer“ ergibt, so erkennt der angesprochene Verkehr, dass dies eine Abweichung zum Original darstellt, die offensichtlich rein technisch bedingt ist, um das LKW-Modell auf Elektrospulen lenken zu können. Durch das Vorhandensein dieses Lenkschleifers und der anderen geringfügigen Abweichungen verändert sich nicht das Verständnis des angesprochenen Verkehrs, dass es sich bei den verwendeten Marken, seien es die Herstellermarke des Fahrzeugs oder die Dienstleistungsmarke eines Logistikunternehmens, nur um von den Originalfahrzeugen als Gestaltungselement übernommene Zeichen handelt. Anders als in dem von der Klägerin zitierten Urteil des OLG Frankfurt vom 09.05.2019 – 6 U 98/18 –, in dem durch die Vorrichtung, mit der das dortige Kfz-Modell in die Führungsschiene einer Spielzeugrennbahn eingebaut werden konnte, der vordere Teil der Karosserie hochgestellt wirkte, ist hier die Gestaltung des LKWs selbst durch den Lenkschleifer nicht verändert.

g. Soweit die Klägerin meint, selbst eine jahrzehntelange Übung auf einem bestimmten Markt, könne nicht dazu führen, dass ein Markeninhaber seine Markenrechte auf diesem Markt verliere, nur weil andere Markeninhaber die Markenverletzungen durch die Modellbauer jahrzehntelang geduldet hätten, steht diesem Einwand gerade die o.g. Rechtsprechung des BGH entgegen. Solange aufgrund der Üblichkeit dieses speziellen Marktes und den damit verbundenen Käufererwartungen ein berechtigtes Interesse der Modell- und Spielzeugbauer am detailgetreuen Nachbau besteht, stellt sich die Übernahme von Marken als Teil einer Originalgestaltung nicht als unlauter dar.

h. Auch dass sich – wie von der Klägerin behauptet – Unternehmen eine Gestattung oder Lizenz des Drittmarkeninhabers einholen, wie sie die Klägerin für ihre Marke seit einigen Jahren vergibt, ändert nichts daran, dass der Verkehr daran gewöhnt ist, dass Miniaturen von diversen Fahrzeugen mit unterschiedlichen Aufdrucken detailgetreu angeboten werden. Sie werden daher in erster Linie davon ausgehen, dass es in der Realität ein entsprechendes Original gibt, und – ohne weitere Anhaltspunkte – nicht erwarten, dass ein Drittmarkeninhaber mit dem Modellhersteller eine vertragliche Vereinbarung getroffen hat, um auf dem Miniatur-Modell mit seiner Marke zu werben oder eine entsprechende Lizenz erteilt hat. Auch eine solche Vorstellung würde aber nach der C-Entscheidung nicht zu einer Unlauterkeit führen (vgl. BGH, aaO).

i. Als besonderes Unlauterkeitsmerkmal führt die Klägerin die Anmeldung der Marke B durch die Beklagte an, die diese u.a. für Modellfahrzeuge geschützt hat. Dagegen ist die Klägerin mit einem Nichtigkeits- und Löschungsverfahren vorgegangen. Bei der Frage, ob in den zum Gegenstand des Rechtsstreits gemachten Verhaltensweisen der Beklagten eine Markenverletzung iSd § 14 Abs. 2 MarkenG vorliegt, kommt es nicht auf außerhalb der Markenverwendung liegende Umstände an. Die Anmeldung der Marke B zugunsten der Beklagten mag aus Sicht der Klägerin rechtsmissbräuchlich sein. Die hier beanstandeten Markenbenutzungen liegen jedoch innerhalb der in der Rechtsprechung gesetzten Grenzen, sodass allein eine möglicherweise weitergehende Nutzungsabsicht der Beklagten in der Zukunft sich auf die Rechtmäßigkeit der konkret beanstandeten Markennutzung nicht auswirkt. Im Übrigen hat die Beklagte die Eintragung mit ihrem Interesse erklärt, nicht von der Klägerin an der Nutzung der Klagemarke für ihre Modelle gehindert zu werden. Ein Vorgehen aus der Marke gegen Dritte sei von vornherein nicht beabsichtigt gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass die Eintragung nicht Verteidigungs-, sondern Angriffsinteressen diente, sind von der Klägerin nicht näher dargetan und auch sonst nicht ersichtlich.

j. Der Hinweis der Klägerin, dass die Beklagte auf der Umverpackung mit dem Zeichen „B“ werbe, führt ebenfalls nicht zur Unlauterkeit. Die Unlauterkeit der Anlehnung an den Ruf einer bekannten Marke i.S.v. § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 MarkenG ist zwar nicht ausgeschlossen, soweit ein werblicher Überschuss hinzukommt, indem etwa die Marke über das mit der wirklichkeitsgetreuen Nachbildung notwendigerweise verbundene Maß hinaus, z.B. auf der Umverpackungen oder sonst hervorgehoben, benutzt wird (vgl. BGH, aaO, Rn. 29). Die Beklagte nutzt das Zeichen „B“ auf der Umverpackung ihrer Produkte und auf ihrer Homepage aber nur in gleicher Schriftgröße, -farbe und gleichem Schrifttyp wie die anderen das Produkt beschreibenden Angaben. Eine überschießende werbliche Nutzung ist darin, anders als etwa bei Nutzung der farblich gestalteten Marke selbst, nicht zu sehen.

Auf den Umverpackungen und auf der Homepage befindet sich zudem stets blickfangmäßig hervorgehoben die eigene Wort-/Bildmarke der Beklagten, sodass für den Verkehr stets ein eindeutiger Hinweis auf die Beklagte als Herstellerin des Modells ersichtlich ist. Dass die Beklagte über die bloße möglichst detailgetreue Herstellung der streitbefangenen Miniatur-Modelle hinaus versuchen würde, den Ruf der Klägerin auszunutzen, ist nicht ersichtlich (vgl. auch OLG Düsseldorf, aaO, S. 25, Bl. 119 e.A.).

k. Soweit die Klägerin die Ansicht vertritt, dass eine Klageabweisung die Folge hätte, dass im Modellbereich ihre Markenrechte ausgesetzt würden, weil sie keinen Einfluss auf ihre Außenwirkung nehmen könne, so ist ein solcher Einfluss zur Wahrung ihrer Markenrechte nicht erforderlich, weil der Verkehr gerade keine Rückschlüsse aus der konkreten Gestaltung, der Detailtreue oder der Qualität eines Nachbaus auf dessen Herkunft aus dem Hause der Klägerin oder auf die Eigenschaften und Qualitäten der klägerischen Dienstleistungen zieht. Ihre Außenwahrnehmung und ihre Markenrechte werden durch einen nicht mit ihr im Detail abgestimmten Nachbau von schlechter oder ungenauer Qualität nicht berührt.

l. Auf die Möglichkeit einer Erschöpfung, weil der Modell-Kühlkoffer von D stammt, kommt es nach alledem nicht an.

2. Lagerhallenmodell

Auch bzgl. des Lagerhallenmodells besteht kein Unterlassungsanspruch der Klägerin aus § 14 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 MarkenG.
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a. Da der Modell- und Spielzeugbereich auch Gebäude umfasst, sind grundsätzlich unterschiedliche Marktüblichkeiten oder Erwartungen des angesprochenen Verkehrs im Vergleich zu Fahrzeugmodellen nicht festzustellen. Erkennt der Verkehr, dass ein Spielzeug oder Modell ein Nachbau eines in der Wirklichkeit vorkommenden Gebäudes ist, verbindet er mit den auf dem Modell aufgebrachten Marken keinen Herkunftshinweis, sondern nimmt aufgrund der in diesem Bereich bestehenden besonderen Verkehrserwartung der Verbraucher an, dass die Marken auch auf dem Original vorhanden und als Teil der Gestaltung übernommen sind. Auch wenn der Senat nicht verkennt, dass es Spielzeuggebäude gibt, die nicht mit einem Unternehmenskennzeichen oder einer Marke gekennzeichnet sind, sondern nur mit ihrer jeweiligen Gewerbebezeichnung wie „Metzgerei“ oder „Bäckerei“, so liegt dies daran, dass auch in der Realität bei Betrieben zur Deckung des Bedarfs des täglichen Lebens herkömmlich die Gewerbebezeichnung hervorgehoben wurde statt mit einem alleinigen Hinweis auf den Inhaber oder dessen Marken zu werben.

Dieser Umstand ändert jedoch nichts daran, dass bei Gebäuden, die in der Realität ein Kennzeichen aufweisen, der Verkehr das entsprechende Kennzeichen auf einem Gebäude-Modell in gleicher Weise wie bei einem Fahrzeugmodell nur als Teil der nachgemachten Gestaltung versteht.

b. Hinsichtlich der Lagerhalle besteht hier die Besonderheit, dass mittlerweile unstreitig ist, dass es eine Lagerhalle, die mit dem Modell der Beklagten identisch ist und dem Nachbau als Vorlage diente, in der Realität nicht gibt. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass die Klägerin ihre Lagerhallen zwar nach einem bestimmten gleichförmigen Konzept mit bestimmten wiederkehrenden Merkmalen errichten lasse, die die Beklagte mit ihrem Modell wiedergebe. Es ist jedoch unstreitig, dass keine Halle existiert, die 1:1 mit dem streitgegenständlichen Lagerhallen-Modell übereinstimmt, weshalb die Klägerin das Modell der Beklagten als „fiktive“ Lagerhalle bezeichnet.

Auch insoweit bleibt der Senat bei seiner Ansicht, dass die Aufbringung der Marke auf dem Lagerhallenmodell keine unlautere Ausnutzung iSd § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG darstellt. Denn es ist seitens der Beklagten belegt, dass die Klägerin über Lagerhallen verfügt, die im Wesentlichen über ein einheitliches und charakteristisches Design verfügen und mit der Marke B gekennzeichnet sind. Die den Gesamteindruck prägenden Gestaltungselemente der Lagerhallen mit ihren rechteckigen Formen, den blauen Fassaden (teilweise mit Fenstern, teilweise fensterlos), Rolltore mit gelben Nummern im Erdgeschoss, B-Schriftzug in Gelb auf den Gebäudeseiten, gelbe Umrandung am Dach, und Kies auf den Flachdächern mit Oberlichtern), die typisch für die im Schriftsatz vom 30.03.2022 eingeblendeten Lagerhallen sind, finden sich im Wesentlichen auch im Beklagtenmodell wieder, wenn auch nicht 1:1, wie etwa bei der Beschriftung der Rolltore (einmal seitlich, einmal über den Rolltoren) oder der Positionierung des Logos. Trotz dieser Unterschiede erkennt der angesprochene Verkehr, dass es sich bei dem Modell um den Nachbau einer typischen Lagerhalle der Klägerin handelt. Dabei ist dem Verkehr bekannt, dass anders als bei Fahrzeugen, die einer bestimmten Unternehmensflotte angehören, unterschiedliche Gebäude eines Unternehmens regelmäßig Unterschiede aufweisen werden, etwa weil ein Unternehmen sowohl bereits existierende Gebäude nutzt, die es anmietet, als auch Gebäude selbst errichtet oder weil es bei selbst errichteten Gebäuden aufgrund von unterschiedlichen Ausgangssituationen wie Lage, Grundstücksgröße u.ä. zu unterschiedlichen Gestaltungen kommen kann. Vor diesem Hintergrund wird der angesprochene Verkehr in einem Modell, das die für die Unternehmensidentität entscheidenden Gestaltungselemente samt Logo übernimmt, den Nachbau einer in der Realität typischerweise vorkommenden Lagerhalle der Klägerin wiedererkennen.

c. Es kann danach auch im Fall des Lagerhallenmodells nicht festgestellt werden, dass der Verkehr wegen des Vorhandenseins der Klagemarke auf diesem Modell die Vorstellung verbindet, die Lagerhalle stamme von der Klägerin oder von einem mit ihr lizenzvertraglich verbundenen Unternehmen. Die Übernahme der Marke geschieht in dem Umfang, in dem sie notwendig ist, um ein möglichst realitätsgetreues Modell einer typischen und dem Verkehr bekannten klägerischen Lagerhalle abzubilden, die er in dem Modell wiedererkennt.

d. Dass es sich um einen Bausatz handelt und es dem Kunden überlassen bleibt, ob er das klägerische Logo auf die Lagerhalle aufbringt oder nicht, ändert nichts daran, dass ein Modell einer typischen Lagerhalle der Klägerin zulässigerweise auch die Anbringung des Logos erlaubt. Bei einem Bausatz bleibt es letztlich immer dem Kunden überlassen, ob er den Bausatz überhaupt gemäß der Anleitung zusammensetzt.

2. Ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch steht der Klägerin nicht zu. Ein Anspruch wegen unlauterer Nachahmung nach § 4 Nr. 3a oder b UWG kommt nicht in Betracht, soweit es sich um Umstände handelt, die bereits von § 14 MarkenG erfasst werden. Eine Irreführung der Verbraucher über den Hersteller oder das Bestehen von Lizenzbeziehungen liegt nicht vor, weil aufgrund der Besonderheiten des Miniatur-Modell-Marktes die angesprochenen Verkehrskreise nicht aufgrund der detailgetreuen Übernahme einer Drittmarke über den Hersteller oder die Eigenschaft des Herstellers irren, weshalb auch ein Anspruch aus §§ 5, 8 UWG scheitert.

3. Da kein Unterlassungsanspruch besteht, unterliegen auch die geltend gemachten Annexansprüche der Klageabweisung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

5. Die Revision ist auf Anregung der Parteien mit Blick auf die abweichende Entscheidung des OLG Frankfurts vom 09.05.2019 – 6 U 98/18 - und der über die Interessen der Parteien dieses Rechtsstreits hinausreichenden grundsätzlichen Bedeutung iSd § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Kein Unterlassungsanspruch von Anwohnern gemäß § 1004 Abs. 1 BGB bei Verstößen gegen Lkw-Durchfahrtsverbot nach dem Luftreinhalteplan der Stadt Stuttgart

BGH
Urteil vom 14.06.2022
VI ZR 110/21


Der BGH hat entschieden, dass kein Unterlassungsanspruch von Anwohnern gegen eine Spedition gemäß § 1004 Abs. 1 BGB bei Verstößen gegen das Lkw-Durchfahrtsverbot nach dem Luftreinhalteplan der Stadt Stuttgart besteht.

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof verneint einen Unterlassungsanspruch von Anwohnern bei Verstößen gegen das nach dem Luftreinhalteplan der Landeshauptstadt Stuttgart bestimmte Lkw-Durchfahrtsverbot

Sachverhalt

Die Kläger sind Eigentümer von innerhalb der Stuttgarter Umwelt- und Lkw-Durchfahrtsverbotszone gelegenen Grundstücken an bzw. in unmittelbarer Nähe der H. Straße. Sie machen geltend, die Beklagte, die eine Spedition betreibt, verstoße mehrmals täglich gegen das Durchfahrtsverbot, indem sie das Gebiet mit Lkw befahre, und nehmen die Beklagte deshalb unter Berufung auf die mit der Feinstaub- und Stickoxidbelastung verbundene Gesundheitsgefährdung auf Unterlassung des Befahrens der H. Straße in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Dagegen haben die Kläger die vom Landgericht zugelassene Revision eingelegt und ihr Klagebegehren weiterverfolgt.

Entscheidung des Senats:

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat hat die Revision zurückgewiesen. Den Klägern steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

Die Kläger wenden sich nicht gegen die Beurteilung des Landgerichts, wonach sich das Unterlassungsbegehren nicht auf § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB aufgrund einer Gesundheitsverletzung stützen lässt. Diese Beurteilung ist rechtlich auch nicht zu beanstanden. Sie nehmen auch die Annahme des Landgerichts hin, dass der Beklagten auf der Grundlage des klägerischen Vortrags keine wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung der klägerischen Grundstücke im Sinne des § 906 BGB zuzurechnen ist. Auch insoweit sind Rechtsfehler des Landgerichts nicht ersichtlich. Damit scheidet ein auf die Eigentümerstellung der Kläger gestützter Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 906 BGB ebenfalls aus.

Ein Unterlassungsanspruch analog § 823 Abs. 2 i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes steht den Klägern auch bei einem unterstellten Verstoß von Mitarbeitern der Beklagten gegen das Lkw-Durchfahrtsverbot nicht zu. Das auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG in Verbindung mit dem Luftreinehalteplan für die Landeshauptstadt Stuttgart angeordnete Durchfahrtsverbot ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der einzelnen Anwohner innerhalb der Durchfahrtsverbotszone, das es diesen ermöglicht, dem Verbot Zuwiderhandelnde zivilrechtlich auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen.

Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des Gesetzes an, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Es reicht nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen.

Im Streitfall wurde das Lkw-Durchfahrtsverbot nicht für bestimmte Straßen zur Reduzierung der die dortigen Anlieger beeinträchtigenden Schadstoffkonzentrationen, sondern grundsätzlich für das gesamte Stadtgebiet angeordnet, um allgemein die Luftqualität zu verbessern und der Überschreitung von Immissionsgrenzwerten entgegenzuwirken. Die Kläger sind insoweit nur als Teil der Allgemeinheit begünstigt. Bereits dies spricht gegen die Annahme, ein Schutz von Einzelinteressen in der von den Klägern begehrten Weise sei Intention des streitgegenständlichen Lkw-Durchfahrtsverbots. Unter dem potentiell drittschützenden Aspekt des Gesundheitsschutzes käme auch ein Unterlassungsanspruch des Einzelnen hinsichtlich des Befahrens der gesamten Verbotszone nicht in Betracht. Denn schon angesichts der Größe der Verbotszone kann nicht angenommen werden, dass die an einer beliebigen Stelle der Verbotszone durch Kraftfahrzeuge verursachten Immissionen für jeden Anlieger innerhalb dieser Zone die unmittelbare Gefahr einer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort und damit eine potentielle Gesundheitsbeeinträchtigung verursachen. Im Ergebnis lässt sich daher im Streitfall kein Personenkreis bestimmen, der durch das Lkw-Durchfahrtsverbot seinem Zweck entsprechend im Wege der Einräumung eines individuellen deliktischen Unterlassungsanspruchs bei Verstößen gegen das Verbot geschützt werden sollte. Es ist nichts ersichtlich dafür, dass § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG i.V.m. der streitgegenständlichen Planmaßnahme einen Anspruch auf Normvollzug zwischen einzelnen Bürgern begründen will.

Vorinstanzen:

Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt - Urteil vom 8. September 2020 - 5 C 2071/19

Landgericht Stuttgart - Urteil vom 11. März 2021 - 5 S 180/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines Anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

§ 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

§ 906 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt.

§ 40 Abs. 1 Satz 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)

Die zuständige Straßenverkehrsbehörde beschränkt oder verbietet den Kraftfahrzeugverkehr nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, soweit ein Luftreinhalteplan oder ein Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen nach § 47 Absatz 1 oder 2 dies vorsehen.

BGH: Schadensersatz in LKW-Kartell-Fällen - Hemmung der Verjährung beginnt schon mit Ermittlungsmaßnahmen wegen Kartellrechtsverstoßes

BGH
Urteil vom 23.11.2020
KZR 35/19
LKW-Kartell
GWB 2005 § 33 Abs. 3, Abs. 5

Der BGH hat im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen in den LKW-Kartell-Fällen entschieden, dass die Hemmung der Verjährung schon mit Einleitung von Ermittlungsmaßnahmen wegen Kartellrechtsverstößen der beteiligten Unternehmen und nicht erst mit förmlicher Einleitung eines Verfahrens durch die Europäische Kommission beginnt.

Leitsätze des BGH:

a) Sind von einem Kartell mit hoher Marktabdeckung über einen längeren Zeitraum Preislisten und Listenpreiserhöhungen abgestimmt worden, ist bei der Prüfung, ob einem Unternehmen durch den Erwerb eines Produkts eines Kartellbeteiligten ein Schaden entstanden ist, der Erfahrungssatz, dass die im Rahmen eines Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, auch dann zu berücksichtigen, wenn eine Koordinierung der Transaktionspreise nicht stattgefunden hat.

b) In die dem Tatrichter obliegende Gesamtwürdigung, ob die Kartellabsprache einen Schaden verursacht hat, ist dieser Erfahrungssatz mit dem Gewicht einzustellen, das ihm im konkreten Fall nach Inhalt, Umfang und Dauer der Verhaltenskoordinierung sowie aller weiterer erheblicher Umstände zukommt, die für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells sprechen. Dabei sind bindende Feststellungen der Kommission oder der Kartellbehörde umfassend und erschöpfend zu berücksichtigen; der Tatrichter ist nicht gehindert, aus diesen Feststellungen Schlussfolgerungen zu ziehen, die als solche von der Bindungswirkung nicht umfasst sind.

c) Die Hemmung der Verjährung eines Schadensersatzanspruchs beginnt nicht erst mit der förmlichen Einleitung eines Verfahrens durch die Europäische Kommission, sondern bereits mit einer Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, gegen das betreffende Unternehmen wegen einer verbotenen Beschränkung des Wettbewerbs zu ermitteln.

BGH, Urteil vom 23. September 2020 - KZR 35/19 - OLG Stuttgart LG Stuttgart

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Hannover legt EuGH vor: Werden Müllfahrzeuge und andere Sonder- und Spezialfahrzeuge von Entscheidung zum LKW-Kartell umfasst

LG Hannover
Beschluss vom 19.10.2020
13 O 24/19

Das LG Hannover hat dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob Müllfahrzeuge und andere Sonder- und Spezialfahrzeuge von der Entscheidung zum LKW-Kartell umfasst werden.

Tenor der Entscheidung:
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV folgende Frage zur Auslegung der Handlungen der Organe der Union vorgelegt:

Ist der in dem Verfahren nach Artikel 101 AEUV und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.39824 – Lastkraftwagen) ergangene Beschluss der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Juli 2016 - C(2016) 4673 final - dahingehend auszulegen, dass auch Sonder- / Spezialfahrzeuge, insbesondere Müllfahrzeuge, von den Feststellungen dieser Kommissionsentscheidung erfasst sind.

2. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorlagefrage zu 1. ausgesetzt.

3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


Aus den Entscheidungsgründen:

"b. Der Wortlaut der auf den Fall anwendbaren nationalen Vorschrift (aa.) und die einschlägige nationale Rechtsprechung (bb.) werden wie folgt mitgeteilt (Art. 94 lit. b) EuGHVerfO):

aa. Die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgebende Bestimmung des deutschen Rechts in der hier anwendbaren Fassung lautet:

㤠33 GWB - Unterlassungsanspruch, Schadensersatzpflicht


(4) 1Wird wegen eines Verstoßes gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes oder Artikel 81 oder 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Schadensersatz begehrt, ist das Gericht insoweit an die Feststellung des Verstoßes gebunden, wie sie in einer bestandskräftigen Entscheidung der Kartellbehörde, der Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder der Wettbewerbsbehörde oder des als solche handelnden Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft getroffen wurde. 2Das Gleiche gilt für entsprechende Feststellungen in rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen, die infolge der Anfechtung von Entscheidungen nach Satz 1 ergangen sind. 3Entsprechend Artikel 16 Abs. 1 Satz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 gilt diese Verpflichtung unbeschadet der Rechte und Pflichten nach Artikel 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.“

33 Abs. 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung vom 15. Juli 2005, gültig vom 13. Juli 2005 bis 29. Juni 2013, Fundstelle: BGBl I 2005, S. 2114, 2122)

Dabei geht das vorlegende Gericht davon aus, dass gemäß den allgemeinen Regeln des intertemporären Rechts Schuldverhältnisse grundsätzlich nach demjenigen Recht zu beurteilen sind, welches zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses galt. Für den - hier streitgegenständlichen - gesetzlichen Schadensersatzanspruch, der aufgrund eines Kartellverstoßes entsteht, gilt insofern nichts Abweichendes. Angesichts der vom Kläger behaupteten Kartellverstöße der Beklagten im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Fahrzeugen, denen die Aufträge des Klägers vom 19. Juni 2006 und 16. Oktober 2007 zugrunde liegen, ist daher die zu diesen Zeitpunkten geltende Fassung des § 33 Abs. 4 GWB anzuwenden.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass diese nationale Vorschrift eine deklaratorische Wiedergabe des ohnehin unionsrechtlich geltenden Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 darstellt, zumindest soweit diese unionsrechtliche Regelung reicht (vgl. zur heute aktuellen Nachfolgeregelung des § 33b GWB: Franck in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2020, § 33b GWB Rn. 4).

bb. In der hier bekannten einschlägigen nationalen Rechtsprechung wird die Vorlage-Frage bislang nur selten thematisiert.

Das vorlegende Gericht ist - in anderer Besetzung - in einem früheren Urteil vom 17. Juni 2019 – 13 O 9/19 –, juris Rn. 49, ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dass Sonderfahrzeuge nicht Gegenstand der Feststellungen im Beschluss der Kommission vom 19.07.2016 seien.

Das Oberlandesgericht Stuttgart geht in seinem Urteil vom 04. April 2019 – 2 U 101/18 –, juris Rn. 139, 141, davon aus, dass der Beschluss der Kommission zwar Lastkraftwagen für den militärischen Gebrauch, den Aftersales-Bereich, andere Dienstleistungen und Garantien für Lastkraftwagen, den Verkauf von gebrauchten Lastkraftwagen und sämtlichen anderen, von den Adressatinnen dieses Beschlusses verkauften Waren oder Dienstleistungen nicht erfasse, indes eine weitere Einschränkung für andere Sonderfahrzeuge nicht enthalte. Denn entscheidend für die Frage, welche Lastkraftwagen Gegenstand der Entscheidung der Kommission waren, sei der Kommissionsbeschluss selbst, nicht aber ein Auskunftsersuchen im Vorfeld dieser Entscheidung.

Das Landgericht Stuttgart geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass, soweit die Kommission im Laufe ihres Ermittlungsverfahrens in einem Schreiben geäußert hat, „Sonder-Spezialfahrzeuge (z.B. Militärfahrzeuge, Feuerwehrfahrzeuge)“ seien vom Begriff „Lkw“ nicht betroffen, dies keinen Eingang in die Kommissionsentscheidung vom 19. Juli 2016 gefunden habe. Dort seien nur der Aftersales-Bereich, andere Dienstleistungen und Garantien für Lkw, der Verkauf von gebrauchten Lkw und sämtliche anderen, von den Adressatinnen der Entscheidung verkauften Waren oder Dienstleistungen sowie in einer Fußnote „Lkw für den militärischen Gebrauch" ausgenommen. Feuerwehrfahrzeuge oder sonstige nicht militärische Sonderfahrzeuge seien hingegen nicht ausgenommen worden (vgl. LG Stuttgart, Urteil vom 23. Dezember 2019 – 30 O 132/18 –, juris Rn. 35 m.w.N).

c. Aus den nachstehenden Gründen hat das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung des Beschlusses der Kommission vom 19. Juli 2016 im Sinne der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage (aa.) und es ergibt sich insofern ein entscheidungsrelevanter Zusammenhang zwischen dem Beschluss der Kommission und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht (bb.) (Art. 94 lit. c) EuGHVerfO):

aa. Zweifel an der Auslegung des Beschlusses der Kommission ergeben sich zunächst aus dem Umstand, dass die wörtliche Formulierung des Beschlusses der Kommission vom 19. Juli 2016

„Von der Zuwiderhandlung betroffen sind Lastkraftwagen zwischen 6 und 16 Tonnen („mittelschwere Lastkraftwagen“) sowie Lastkraftwagen über 16 Tonnen („schwere Lastkraftwagen“), wobei es sich sowohl um Solofahrzeuge als auch um Sattelzugmaschinen handelt (im Folgenden werden mittelschwere und schwere Lastkraftwagen gemeinsam als „Lastkraftwagen“ bezeichnet) (1 Ausgenommen Lastkraftwagen für militärische Zwecke). Nicht betroffen sind der Kundendienst, andere Dienstleistungen und Garantien für Lastkraftwagen, der Verkauf von gebrauchten Lastkraftwagen und jegliche anderen Waren oder Dienstleistungen.“

(vgl. deutsche Zusammenfassung des Beschlusses im Amtsblatt der Europäischen Union 2017/C 108/5, 108/7 – DE – vom 06.04.2017)

allgemein nur von Lastkraftwagen spricht und dabei ausschließlich Lastkraftwagen für militärische Zwecke ausdrücklich ausnimmt, so dass in der Folge verschiedene Interpretationsmöglichkeiten bezüglich anderer Spezialfahrzeuge denkbar sind. Einerseits könnte diese Formulierung so verstanden werden, dass grundsätzlich nur „normale“ Lastkraftwagen - ohne solche für militärische Zwecke - erfasst sein sollen und damit Sonderfahrzeuge mangels ausdrücklicher Erwähnung dem Begriff „andere Waren“ unterfallen und von dem Begriff der „Lastkraftwagen“ ausgenommen sein sollen. Andererseits könnte diese Formulierung auch so verstanden werden, dass mit dem Begriff der „Lastkraftwagen“ jedwede Art von Lastkraftwagen, also auch alle Arten von Sonderfahrzeuge - außer Militärfahrzeuge - gemeint sein sollen.

Weiterhin ergeben sich Zweifel an der Auslegung des Beschlusses der Kommission aus dem von der Beklagten angeführten Umstand, dass die Kommission im Vorfeld des Beschlusses vom 19. Juli 2016 in einem an die Beklagte gerichteten Auskunftsersuchen vom 30. Juni 2015 den Umfang der Untersuchungen präzisiert und dabei mitgeteilt hat, dass der Begriff des Lastkraftwagens „Sonder-/Spezialfahrzeuge (z.B. Militärfahrzeuge, Feuerwehrfahrzeuge)“ nicht erfasse.

Sollte ein Beschluss der Kommission denselben Auslegungsmethoden zugänglich sein wie ein Gesetz, könnte ein Auslegungsergebnis unter Heranziehung der Entstehungsgeschichte des Beschlusses erzielt werden; dann wären unter Umständen Äußerungen der Kommission im Vorfeld der Beschlussfassung im Rahmen der Auslegung des Wortlautes des Beschlusses zur Bestimmung der Reichweite seiner Wirkung heranzuziehen.

Unklar ist insofern, ob im Rahmen des Auskunftsersuchens vom 30. Juni 2015 seitens der Kommission möglicherweise schon im Vorfeld der späteren Beschlussfassung klargestellt worden ist, dass Sonder-/Spezialfahrzeuge generell nicht dem Begriff der Lastkraftwagen unterfallen sollen, und der in diesem Auskunftsersuchen enthaltene Klammerzusatz mit dem Hinweis „z.B. Militärfahrzeuge, Feuerwehrfahrzeuge“ nur eine beispielhafte, nicht jedoch abschließende Aufzählung enthält.

Mangels einer entsprechenden expliziten Formulierung in dem Beschluss der Kommission vom 19. Juli 2016 ist weiterhin unklar, ob nicht nach dem Auskunftsersuchen vom 30. Juni 2015 im Rahmen der endgültigen Willensbildung zur Fassung des Beschlusses möglicherweise eine vor der Beschlussfassung zunächst noch erwogenen Außerachtlassung von Sonderfahrzeugen wieder fallen gelassen worden ist und bei endgültiger Beschlussfassung eine Einbeziehung von Sonderfahrzeugen (außer Militärfahrzeugen) gewollt und gemeint war.

Nimmt man des Weiteren in den Blick, dass der Beschluss der Kommission im sogenannten Settlement-Verfahren zustande gekommen ist, steht zudem im Raum, dass hier die letztlich von der Kommission gewählten sprachliche Formulierungen „weicher“ ausgefallen sein könnten, um überhaupt eine Settlement-Entscheidung zu erreichen. Unklar ist auch vor diesem Hintergrund, welche Folge eine solche möglicherweise „weichere“ Formulierung für die Reichweite der rechtlichen Wirkungen des Beschlusses vom 19. Juli 2016 in Bezug auf Sonderfahrzeuge haben sollte.

bb. Der entscheidungsrelevante Zusammenhang zwischen dem Beschluss der Kommission und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht ergibt sich daraus, dass nach dem deutschen Recht gemäß der vorstehend bereits zitierten Vorschrift § 33 Abs. 4 GWB a.F. eine Bindungswirkung der deutschen Gerichte an die von der Kommission getroffenen Feststellungen des Kartellrechtsverstoßes besteht.

Das exakte - im Wege der Auslegung zu präzisierende - Verständnis des Wortlauts des Beschlusses der Kommission vom 19. Juli 2016 hat damit Bedeutung für die Reichweite der nach nationalem Recht vorgesehenen Bindungswirkung. Insofern muss das vorlegende nationale Gericht in dem hier anhängigen Verfahren des Kartellschadensrecht klar bestimmen können, in welchem Umfang der Beschluss der Kommission vom 19. Juli 2020 Bindungswirkung hat. Dies ist derzeit nicht möglich.

In dem konkret vorgelegten Verfahren hängt daher der Erfolg oder Misserfolg der Klage von der Beantwortung der aufgeworfenen Frage zur Auslegung des Beschlusses der Kommission vom 19. Juli 2016 ab. Ergäbe die Auslegung, dass Sonderfahrzeuge, wie hier die streitgegenständlichen Müllfahrzeuge, nicht von der Wirkung des Beschlusses der Kommission erfasst sein sollen, könnte der Kläger sich nicht auf eine entsprechende unmittelbare Bindungswirkung des Kommissionsbeschlusses berufen und hinsichtlich der dann lediglich noch denkbaren mittelbaren Auswirkungen des Kartells ergäben sich andere, weitergehende prozessuale Anforderungen an die Darlegungslast der Parteien.

Dabei hält das vorlegenden Gericht es für prozessökonomisch, die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage bereits jetzt zu klären, weil insbesondere eine im weiteren Klageverfahren ggf. erforderliche werdende wirtschaftliche Bewertung möglicher Kartellschäden, nur mit einem erheblichen prozessualen und kostenmäßigen Aufwand - ggf. unter Einholung ökonomischen Sachverstands - möglich sein wird.

Die Beantwortung der Frage hat auch erhebliche Bedeutung über das vorgelegten Verfahren hinaus. Insofern weist das vorlegenden Gericht bereits heute darauf hin, dass bei ihr noch weitere Verfahren mit ähnlich gelagerten Sachverhalten, indes mit zum Teil wesentlich mehr Erwerbsvorgängen (teilweise mehrere hundert Lastkraftwagen), anhängig sind, in denen es ebenfalls - auch - um die Streitfrage geht, ob Müllfahrzeuge oder weitere Arten von Sonder- / Spezialfahrzeugen wie etwa Feuerwehrfahrzeuge, Econic-Fahrzeuge (= Niederflurfahrzeuge), Beton-Fahrmischer, Kehrmaschinen, Winterdienstfahrzeuge, Tank- bzw. Gefahrgutfahrzeuge, Low-Liner, Fahrzeuge ohne Frontunterfahrschutz oder weitere individuelle Spezialanfertigungen von der Bindungswirkung des Beschlusses der Kommission vom 19. Juli 2016 umfasst sind. Aus diesem Grund besteht auch ein grundsätzliches Interesse an der Klärung der vorgelegten Frage.

Das vorlegende Gericht merkt schließlich noch an, dass es sich, unabhängig von seinem Recht, zunächst in einem Verfahren nach Art. 15 Abs. 1 VO 1/2003 die Kommission direkt um eine Stellungnahme zu der vorgelegten Auslegungsfrage zu ersuchen (vgl. Ritter in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Auflage 2012, Rn. 18), dafür entschieden hat, sogleich den Gerichtshof nach Art. 267 AEUV im Wege der Vorabentscheidung um die Beantwortung der vorgelegten Frage zu ersuchen, weil nach hiesiger Einschätzung in einem Verfahren nach Art. 15 VO 1/2003 eine von beiden Parteien des zugrundeliegenden Verfahrens abschließend akzeptierte Antwort nicht wird erreicht werden können, während im Verfahren nach Art. 267 AEUV eine verbindliche gerichtliche Klärung erfolgen kann (vgl. Karpenstein in Das Recht der Europäischen Union, 70. EL Mai 2020 Rn. 102 m.w.N.)."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




EuGH: Fehlerhafte LKW-Maut-Berechnung durch Bundesrepublik Deutschland - Kosten der Verkehrspolizei dürfen nicht Berechnung mit einfließen

EuGH
Urteil vom 28.10.2020
C-321/19
BY und CZ / Bundesrepublik Deutschland


Der EuGH hat entschieden, dass die LKW-Maut durch die Bundesrepublik Deutschland fehlerhaft berechnet wurde, da die Kosten der Verkehrspolizei keine Infrastrukturkosten sind und somit nicht in die Berechnung mit einfließen dürfen.

Tenor der Entscheidung:

1. Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge in der durch die Richtlinie 2006/38/EG des Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Kosten der Verkehrspolizei nicht unter den Begriff der „Kosten für [den] Betrieb“ im Sinne dieser Bestimmung fallen.

2. Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der durch die Richtlinie 2006/38 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass die gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren die Infrastrukturkosten des betreffenden Verkehrswegenetzes wegen nicht unerheblicher Berechnungsfehler oder wegen der Berücksichtigung von Kosten, die nicht unter den Begriff der „Infrastrukturkosten“ im Sinne dieser Bestimmung fallen, um 3,8 % bzw. 6 % übersteigen.

3. Der Einzelne kann sich vor den nationalen Gerichten gegenüber einem Mitgliedstaat unmittelbar auf die Verpflichtung aus Art. 7 Abs. 9 und Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/62 in der durch die Richtlinie 2006/38 geänderten Fassung, ausschließlich die Infrastrukturkosten im Sinne von Art. 7 Abs. 9 zu berücksichtigen, berufen, wenn der Mitgliedstaat dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist oder sie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat.

4. Die Richtlinie 1999/62 in der durch die Richtlinie 2006/38 geänderten Fassung ist im Hinblick auf Rn. 138 des Urteils vom 26. September 2000, Kommission/Österreich (C‑205/98, EU:C:2000:493), dahin auszulegen, dass sie dem entgegensteht, dass ein überhöhter Mautgebührensatz durch eine im gerichtlichen Verfahren eingereichte Neuberechnung der Infrastrukturkosten nachträglich gerechtfertigt wird.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Die Kosten der Verkehrspolizei dürfen bei der Berechnung der Mautgebühren für die Benutzung des transeuropäischen Straßennetzes durch schwere Nutzfahrzeuge nicht berücksichtigt werden

Sie gehören nicht zu den Infrastrukturkosten, die bei der Berechnung der Mautgebühren zugrunde zu legen sind.

BY und CZ betrieben eine Gesellschaft polnischen Rechts, die im Güterkraftverkehr tätig war, u. a. in Deutschland. Für die Benutzung deutscher Bundesautobahnen zahlten sie für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 18. Juli 2011 Mautgebühren in Höhe von insgesamt 12 420,53 Euro. Sie erhoben in Deutschland Klage auf Rückzahlung der Mautgebühren. Sie machen geltend, dass die Methode, nach der die von ihnen entrichteten Mautgebühren berechnet worden seien, unionsrechtswidrig sei. Sie habe zu einer überhöhten finanziellen Verpflichtung geführt.

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Deutschland), das als Berufungsgericht über den Rechtsstreit zu entscheiden hat, möchte vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob es gegen die Richtlinie über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge verstößt, dass bei der Berechnung der in Rede stehenden Mautgebühren die Kosten der Verkehrspolizei berücksichtigt wurden.

Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten, die auf dem transeuropäischen Straßennetz Mautgebühren einführen oder beibehalten, die genaue und unbedingte Verpflichtung auferlegt, bei der Festsetzung der Mautgebühren ausschließlich die „Infrastrukturkosten“, d. h. die Baukosten und die Kosten für Betrieb, Instandhaltung und Ausbau des betreffenden Verkehrswegenetzes, zu berücksichtigen.

Folglich kann sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten gegenüber einem Mitgliedstaat unmittelbar auf diese Verpflichtung berufen, wenn der Mitgliedstaat dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist oder sie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat.

Zu der Frage, ob die Kosten der Verkehrspolizei unter den Begriff der Kosten für den Betrieb fallen und als solche in die Berechnung der Mautgebühren einfließen können, stellt der Gerichtshof sodann fest, dass mit diesem Begriff die Kosten gemeint sind, die durch den Betrieb der betreffenden Infrastruktur entstehen. Polizeiliche Tätigkeiten fallen aber in die Verantwortung des Staates, der dabei hoheitliche Befugnisse ausübt und nicht lediglich als Betreiber der Straßeninfrastruktur handelt. Die Kosten der Verkehrspolizei können daher nicht als Kosten für den Betrieb im Sinne der Richtlinie angesehen werden.

Zu dem Umstand, dass die Infrastrukturkosten im vorliegenden Fall aufgrund der Berücksichtigung der Kosten der Verkehrspolizei lediglich in verhältnismäßig geringem Umfang (3,8 % bzw. 6 %) überschritten werden, stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie u. a. jeder Überschreitung der Infrastrukturkosten aufgrund der Berücksichtigung nicht ansatzfähiger Kosten entgegensteht.

Den Antrag Deutschlands, die Wirkung des Urteils zeitlich zu beschränken, weist der Gerichtshof zurück.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Stuttgart: Betroffene LKW-Käufer haben dem Grunde nach Anspruch auf Schadensersatz gegen am LKW-Kartell beteiligte Verkäufer

OLG Stuttgart
Urteil vom 04.04.2019
2 U 101/18


Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass betroffene LKW-Käufer haben dem Grunde nach Anspruch auf Schadensersatz gegen am LKW-Kartell beteiligte Verkäufer.

Pressemitteilung des Gerichts:

Oberlandesgericht Stuttgart zu Ansprüchen eines Käufers auf Schadensersatz gegen einen am LKW-Kartell beteiligten Verkäufer

Kurzbeschreibung:

Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Christoph Stefani hat mit einem heute verkündeten Berufungsurteil in einem Zivilrechtsstreit zwischen dem Käufer mehrerer LKW und der Daimler AG als Verkäuferin entschieden, dass dem Käufer Schadensersatzansprüche dem Grunde nach zustehen.

Die Beklagte war Mitglied eines von 1997 bis 2011 bestehenden Kartells von LKW-Herstellern, die untereinander Bruttopreislisten und Informationen über Bruttopreise austauschten. Ein von der Europäischen Kommission gegen die LKW-Hersteller geführtes Kartellverfahren endete im Juli 2016 mit einem Vergleich und der Verhängung von Bußgeldern.

Mit der Begründung, dass aufgrund des Kartells die von ihren Tochterfirmen bezahlten Kaufpreise für die im Zeitraum 1997 bis 2011 gekauften LKW kartellbedingt überhöht gewesen seien, verlangt die Klägerin Schadensersatz. Das Landgericht Stuttgart hat in einem sogenannten Grundurteil die Schadensersatzansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Frage, in welcher Höhe ein Schaden entstanden ist, der Klärung im anschließenden Betragsverfahren überlassen.

Der 2. Zivilsenat hat dieses Urteil im Wesentlichen bestätigt. Der Kartellrechtsverstoß sei zwischen den Parteien unstreitig und auch durch den Beschluss der Kommission vom 19.07.2016 bindend festgestellt. Die LKW-Käufe, die Gegenstand der Klage seien, seien mit Ausnahme des zeitlich ersten Kaufs im Jahr 1997 von dem Kartellverstoß betroffen, weil nach den Feststellungen der Europäischen Kommission die ausgetauschten Bruttopreislisten die Preise aller mittelschweren und schweren LKW-Modelle sowie sämtlicher vom jeweiligen Hersteller ab Werk angebotenen Sonderausstattungen enthalten hätten. Es sei auch wahrscheinlich, dass ein Schaden entstanden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diene die Gründung eines Kartells grundsätzlich der Steigerung des Gewinns der am Kartell beteiligten Unternehmen, weshalb eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass das Kartell gebildet und erhalten werde, weil es höhere als am Markt erzielbare Preise erbringe. Damit sei zugleich wahrscheinlich, dass bei den Abnehmern der am Kartell beteiligten Firmen hierdurch ein Schaden verursacht werde. Die gegen diesen wirtschaftlichen Erfahrungssatz des Bundesgerichtshofs von der Beklagten vorgebrachten Einwendungen hat der Senat nicht für durchgreifend erachtet, weil diese im Widerspruch zu den bindenden Feststellungen der Europäischen Kommission stünden. Verjährung sei nicht eingetreten, weil die Verjährungsfrist ab den ersten Ermittlungsmaßnahmen der Europäischen Kommission bis zum Abschluss des Verfahrens gehemmt gewesen sei.

Die Revision wurde zugelassen.

Aktenzeichen:

2 U 101/18 - Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 4. April 2019
45 O 1/17 - Landgericht Stuttgart - Urteil vom 30. April 2018

Relevante Normen:

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

§ 33 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch
(1) Wer gegen eine Vorschrift dieses Teils oder gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verstößt (Rechtsverletzer) oder wer gegen eine Verfügung der Kartellbehörde verstößt, ist gegenüber dem Betroffenen zur Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet.

§ 33a Schadensersatzpflicht
(1) Wer einen Verstoß nach § 33 Absatz 1 vorsätzlich oder fahrlässig begeht, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)

Artikel 101
(1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere
a) Die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen;




OVG Münster legt EuGH Fragen zur Berechnung der LKW-Maut vor

OVG Münster
Beschluss vom 28.03.2019
9 A 118/16


Das OVG Münster hat dem EuGH diverse Fragen zur Berechnung der LKW-Maut vorgelegt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Oberverwaltungsgericht legt dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Berechnung der LKW-Maut vor

Die Kläger, die ein Speditionsunternehmen mit Sitz in Polen betrieben, begehren die Rückerstattung der im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 18. Juli 2011 gezahlten Autobahnmaut. Sie machen geltend, dass die seit Juli 2011 unmittelbar im Bundesfernstraßenmautgesetz geregelten Mautsätze wegen Verstößen gegen die unionsrechtlichen Vorgaben in der Wegekostenrichtlinie (Richtlinie 1999/62/EG in der Fassung der Richtlinie 2006/38/EG) fehlerhaft seien. Die Kläger wenden sich außerdem dagegen, dass der Gesetzgeber die rückwirkende Geltung der im Jahr 2009 durch eine Änderung der Mauthöhenverordnung erhöhten Mautsätze angeordnet hat, nachdem infolge des Urteils des Senats vom 25. Oktober 2012 (9 A 2054/07; s. dazu Pressemitteilungen des OVG NRW vom 26. Oktober 2012 und vom 7. August 2013) Zweifel an der Wirksamkeit der Mauthöhenverordnungen aufgekommen waren. Das Verwaltungsgericht Köln hat die Klagen abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Kläger zugelassen.

Zwei zuvor vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. unterstützte (Muster-) Verfahren, in denen ebenfalls die Vereinbarkeit der mautrechtlichen Regelungen mit dem Unionsrecht in Frage gestellt worden war, wurden im Jahr 2018 außergerichtlich beigelegt.

Das vorliegende Verfahren dient als Musterverfahren für etliche weitere von polnischen Speditionsunternehmern betriebene Erstattungsklagen. Es kann auch Bedeutung für die Anwendung der Maßstäbe erlangen, nach denen heute bzw. in Zukunft die Maut erhoben wird.

Die für den genannten Zeitraum maßgebliche gesetzliche Festsetzung der Autobahnmaut in Deutschland beruht mit gewissen Modifikationen auf der vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebenen „Aktualisierung der Wegekostenrechnung für die Bundesfernstraßen in Deutschland“ vom 30. November 2007 (Wegekostengutachten 2007) mit einem Kalkulationszeitraum von 2007 bis 2012. Dieses Gutachten stellt eine Fortschreibung der „Wegekostenrechnung für das Bundesfernstraßennetz“ vom März 2002 (Wegekostengutachten 2002) mit dem Kalkulationszeitraum 2003 bis 2010 dar und war Grundlage für eine Anhebung der Mautsätze im Jahr 2009. Eine später für die Zeit ab 2014 erstellte Wegekostenrechnung (Wegekostengutachten 2014) hat, zum Teil wegen geänderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, zum Teil wegen einer geänderten Kostenermittlung, wiederum zu einer Absenkung der Mautsätze geführt.

Der 9. Senat ist in der mündlichen Verhandlung am 27. und 28. März 2019 nach ergänzender Anhörung der vom Bundesverkehrsministerium hinzugezogenen Gutachter zu der Einschätzung gelangt, dass jedenfalls Bedenken gegen die Vereinbarkeit der hier streitbefangenen Mautsätze mit den unionsrechtlichen Vorgaben bestehen, wonach die Mautgebühren auf der ausschließlichen Anlastung von Infrastrukturkosten beruhen. Die Bedenken des Senats betreffen den Ansatz der Polizeikosten sowie die Ermittlung der Grundstückskosten. Der Europäische Gerichtshof soll nun im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV klären, ob sich der Einzelne auf einen etwaigen Verstoß gegen die Wegekostenrichtlinie, die sich an die Mitgliedstaaten richtet und von diesen bis zum 10. Juni 2008 umgesetzt werden musste, berufen kann, ob die Kosten der Verkehrspolizei angesetzt werden können und ob es im Falle von Kalkulationsmängeln, die sich auf die Höhe der festgesetzten Mautsätze ausgewirkt haben, ähnlich wie von der nationalen Gebühren-Rechtsprechung angenommen, eine Fehlertoleranzschwelle gibt, bis zu deren Überschreitung Kalkulationsmängel unbeachtlich sind.

Aktenzeichen: 9 A 118/16 (I. Instanz: VG Köln 14 K 7974/13)