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EuGH: Obligatorisches Mediationsverfahren bzw Streitschlichtungsverfahren in Verbraucherrechtsstreitigkeiten europarechtskonform

EuGH
Urteil vom 14.06.2017
C-75/16
Livio Menini und Maria Antonia Rampanelli / Banco Popolare Società Cooperativa


Der EuGH hat entschieden, dass ein dem gerichtlichen Klageverfahren vorgeschaltetes obligatorisches Mediationsverfahren bzw Streitschlichtungsverfahren in Verbraucherrechtsstreitigkeiten europarechtskonform ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Das Unionsrecht steht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die in Rechtsstreitigkeiten, an denen Verbraucher beteiligt sind, die verpflichtende Durchführung einer Mediation vor der Erhebung jeder gerichtlichen Klage vorsehen

Da der Zugang zur Gerichtsbarkeit gewährleistet sein muss, kann der Verbraucher die Mediation allerdings jederzeit abbrechen, ohne sich rechtfertigen zu müssen.

Herr Livio Menini und Frau Maria Antonia Rampanelli, beide italienische Staatsangehörige, haben das Tribunale Ordinario di Verona (Gericht Verona, Italien) gegen die Bank Banco Popolare angerufen. Diese fordert von ihnen die Rückzahlung von 991 848,21 Euro, die sie ihnen geliehen hat.

Das Gericht Verona weist darauf hin, dass die Klage von Herrn Menini und Frau Rampanelli nach italienischem Recht ohne eine vorherige außergerichtliche Mediation unzulässig sei, auch wenn sie als „Verbraucher“ handelten. Ferner sehe das italienische Recht vor, dass Verbraucher im Rahmen einer solchen verpflichtenden Mediation anwaltlichen Beistand benötigen und die
Mediation nicht ohne rechtfertigenden Grund abbrechen dürfen.

Da es an der Vereinbarkeit dieser nationalen Vorschriften mit dem Unionsrecht zweifelt, bittet das Gericht Verona den Gerichtshof um Auslegung der Richtlinie über Verbraucherrechtsstreitigkeiten.
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Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie, die es Verbrauchern ermöglichen soll, auf freiwilliger Basis mittels Verfahren zur alternativen Streitbeilegung (AS) Beschwerden gegen Unternehmer einzureichen, auf den vorliegenden Fall anwendbar sein könnte, soweit in dem Mediationsverfahren eine der möglichen Formen von AS gesehen werden kann, was vom nationalen Gericht zu prüfen sein wird. Der Gerichtshof weist insbesondere darauf hin, dass die Richtlinie anwendbar ist, wenn das AS-Verfahren (im vorliegenden Fall das Mediationsverfahren) die drei folgenden kumulativen Voraussetzungen erfüllt: Es muss von einem Verbraucher gegen einen Unternehmer wegen vertraglichen Pflichten aus Kauf- oder Dienstleistungsverträgen eingeleitet worden sein, es muss unabhängig, unparteiisch, transparent, effektiv, schnell und fair sein, und es muss einer Stelle übertragen werden, die auf Dauer eingerichtet und in einer besonderen, der Europäischen Kommission übermittelten Liste aufgeführt ist.

Für den Fall, dass das italienische Gericht zu dem Ergebnis käme, dass die Richtlinie über Verbraucherrechtsstreitigkeiten anwendbar ist, weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Freiwilligkeit bei den von dieser Richtlinie vorgesehenen AS-Verfahren nicht in der Freiheit der Parteien besteht, dieses Verfahren in Anspruch zu nehmen oder nicht, sondern darin, dass die Parteien selbst für das Verfahren verantwortlich sind und es nach ihrer eigenen Vorstellung organisieren und jederzeit beenden können. Daher kommt es nicht auf den verpflichtenden oder freiwilligen Charakter der Mediationsregelung an, sondern – wie von der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen – auf den Umstand, dass das Recht der Parteien auf Zugang zu den Gerichten
gewahrt bleibt.

Hierzu stellt der Gerichtshof festdass das Erfordernis eines einer gerichtlichen Klage vorgeschalteten Mediationsverfahrens mit dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes unter bestimmten Voraussetzungen – deren Prüfung dem nationalen Gericht obliegt – vereinbar sein kann. Dies ist insbesondere der Fall, wenn dieses Verfahren nicht zu einer die Parteien bindenden Entscheidung führt, keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung einer Klage bewirkt, die Verjährung der betroffenen Ansprüche hemmt und keine erheblichen Kosten mit sich bringt, vorausgesetzt, dass die elektronische Kommunikation nicht das einzige Mittel des Zugangs zu diesem Streitbeilegungsverfahren darstellt und dass 6) dringende Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes möglich sind.

Unter diesen Umständen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Tatsache, dass mit Rechtsvorschriften wie den italienischen nicht nur ein außergerichtliches Mediationsverfahren geschaffen wurde, sondern darüber hinaus dessen Inanspruchnahme vor Anrufung eines Gerichts verbindlich vorgeschrieben wurde, mit der Richtlinie vereinbar ist.

Der Gerichtshof betont andererseits, dass nationale Rechtsvorschriften nicht verlangen dürfen, dass der an einem AS-Verfahren beteiligte Verbraucher zwingend über anwaltlichen Beistand verfügt.

Abschließend weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Schutz des Rechts auf Zugang zur Gerichtsbarkeit beinhaltet, dass der Abbruch des AS-Verfahrens durch den Verbraucher – mit oder ohne rechtfertigenden Grund – in den nachfolgenden Stadien des Rechtsstreits nie nachteilige Folgen für ihn haben darf. Das nationale Recht darf jedoch Sanktionen im Fall der Nichtteilnahme der Parteien an dem Mediationsverfahren ohne rechtfertigenden Grund vorsehen, sofern der Verbraucher es nach dem ersten Treffen mit dem Mediator abbrechen darf.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Frankfurt: Unzulässige Zwangsmediationsklausel in AGB einer Rechtsschutzversicherung - Kostenübernahme für anwaltliche Beratung nur nach vorherigem Mediationsversuch

OLG Frankfurt
Urteil vom 09.04.2015
6 U 110/14


Das OLG Frankfurt hat völlig zu Recht entschieden, dass eine Klausel in den AGB einer Rechtsschutzversicherung, wonach die Übernahme der Kosten für eine anwaltliche Beratung von der vorherigen Durchführung eines Mediationsversuchs abhängt, unzulässig ist. Dies stellt eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Ausgangspunkt der Prüfung nach § 307 I BGB sind Gegenstand, Zweck und Eigenart des Vertragstyps, für den die beanstandete Klausel verwendet wird. Eine unangemessene Benachteiligung liegt dann vor, wenn bei umfassender Würdigung der Gesamtumstände der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. Palandt, BGB, 74. Aufl., Rdz. 12 zu § 307 m.w.N.). Dabei ist auf den gesamten Vertragsinhalt abzustellen; insbesondere kann auch die Kompensation von Vor- und Nachteilen zu berücksichtigen sein, soweit die Regelungen sachlich zusammengehören und in einem Wechselverhältnis stehen (vgl. Palandt a.a.O. Rdz. 14 m.w.N.).

Die streitgegenständlichen Klauseln beinhalten einen der Inanspruchnahme anwaltlicher Beratung vorgeschalten „Zwangsmediationsversuch“. Die Regelung verschafft der Beklagten erhebliche Vorteile, da sie die Kosten der von ihr zu erbringenden Versicherungsleistungen senkt; für den Versicherungsnehmer stellt sie jedoch eine erhebliche Beeinträchtigung dar, da sie den Zugang zur - für ihn kostenfreien - anwaltlichen Beratung erschwert. Als Kompensation hierfür erhält der Versicherungsnehmer allerdings den Vorteil, dass die Beklagte ihren Tarif „…-Aktiv“ mit den streitgegenständlichen Klauseln zu wesentlich günstigeren Konditionen anbietet als den Vertrag über eine „normale“ Rechtsschutzversicherung, der diese Beschränkungen nicht enthält. Es erscheint daher nicht von vornherein unangemessen benachteiligend, wenn der Versicherungsnehmer dafür Einschränkungen hinzunehmen hat, die seinen Interessen widersprechen. Entscheidend ist vielmehr, ob die mit dem „Zwangsmediationsversuch“ verbundene Einschränkung dem Versicherungsnehmer - von ihm nicht ohne weiteres zu durchschauende - Nachteile bringt, die durch günstigere Beiträge tatsächlich nicht aufgewogen werden. Dies ist nach Auffassung des erkennenden Senats zu bejahen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: