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AG Frankenthal: Kein Anscheinsbeweis dass eBay-Auktion durch Accountinhaber erstellt wurde wenn Umstände auf rechtswidrige Nutzung durch Dritten hindeuten

AG Frankenthal
Urteil vom 28.09.2022
3c C 113/22

Das AG Frankenthal hat entschieden, dass kein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass eine eBay-Auktion durch den Accountinhaber erstellt wurde, wenn Umstände auf eine rechtswidrige Nutzung durch einen Dritten hindeuten.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Entscheidung des Monats Oktober

Leitsatz:
Ein Anscheinsbeweis dahingehend, dass eine Ebay-Versteigerung durch den Accountinhaber initiiert wurde, greift jedenfalls dann nicht, wenn sich dem Käufer aufgrund anderer Umstände der Verdacht aufdrängen musste, der Account könnte von Dritten rechtswidrig genutzt worden sein. (Hier: Email mit ungewöhnlichem, zweifelhaften Abwicklungsvorschlag)

Sachverhalt:
Der Beklagte unterhielt einen eBay Account unter dem Namen „m.“. Unter diesem Account und unter der Auktionsnummer # 294163479699 wurde ein Rennrad „Cervelo s5 2019 — RH 56 cm — Gr. L / 1,75-1,85 zum Preise von 2.765,00 € zum Kauf angeboten. Der Kläger macht geltend, er sei zum Zeitpunkt des Auktionsende Höchstbietender gewesen, sodass zwischen den Parteien ein Kaufvertrag zustande gekommen sei. Gleichwohl habe der Beklagte das Fahrrad trotz mehrfacher Aufforderungen nicht ausgeliefert, sondern es vielmehr ab dem 11.5.2021 erneut anderweitig angeboten. Mit der weiteren Behauptung, das Fahrrad habe angesichts der sehr geringen Laufleistung einen Zeitwert von mindestens 4.500 € gehabt, macht der Kläger einen Nichterfüllungsschaden in Höhe von 1.735 € geltend.

Der Beklagte bringt vor, er habe keine entsprechende Auktion gestartet, sodass zwischen den Parteien auch kein Kaufvertrag zustande gekommen sein könne. Sein Account sei von einem unbekannten Dritten gehackt worden. Die eBay GmbH habe ihm mitgeteilt, sein Konto sei bereits am 19.5.2021 (Anmerkung: also nach der oben genannten Versteigerungsaktion) geschlossen worden. Aus dem aufgrund seiner Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft E. unter Aktenzeichen (…) geführten Ermittlungsverfahren ergebe sich, dass der wahre Vertragspartner des Klägers ein Herr J. sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klage ist unbegründet. Das Gericht kann nicht zu seiner Überzeugung feststellen, dass zwischen den Parteien ein Kaufvertrag gem. § 433 BGB zustande gekommen wäre, dessen Erfüllung der Kläger verlangen könnte. Der Kläger blieb hierfür beweisfällig. Andere zugunsten des Klägers streitende Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. Die Beweislast für das Zustandekommen eines Vertrages, aus dem Ansprüche hergeleitet werden sollen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Kläger. Beweis dafür, dass der Beklagte selbst das Verkaufsangebot bei eBay eingestellt hatte oder dieses mit dessen Kenntnis und Willen dort von einem Dritten eingestellt wurde, bietet der Kläger nicht an. Zu seinen Gunsten streitet auch nicht deshalb ein Anscheinsbeweis, weil ein eBay-Account des Beklagten verwendet wurde. Es fehlt insoweit bereits an einem typischen Geschehensablauf, weil der Sicherheitsstandard im Internet derzeit nicht ausreichend ist. Für eine Zurechnung reicht es nicht bereits aus, dass der Kontoinhaber evtl. die Zugangsdaten nicht hinreichend vor dem unberechtigten Zugriff des Handelnden geschützt hat. Auch eine von eBay gestellte und von jedem registrierten Nutzer akzeptierte Formularklausel, wonach Mitglieder grundsätzlich für sämtliche Aktivitäten haften, die unter Verwendung ihres Mitgliedskontos vorgenommen werden, begründet keine Haftung des Kontoinhabers gegenüber Auktionsteilnehmern (BGH, Urteil vom 11.05.2011, VIII ZR 289/09, juris; OLG Hamm, Urteil vom 16.11.2006, Az. 28 U 84/06, NJW 2007,611; Neubauer/Steinmetz, Handbuch des Multimediarechts, 2022, Teil 14, Internetauktionen, Rn. 58 f.). Selbst wenn zu Vorstehendem eine andere Auffassung vertreten würde, wäre ein zugunsten des Kläger in Betracht kommender Anscheinsbeweis jedenfalls erschüttert. Der Kläger selbst legt nämlich mit der Anlage zur Anspruchsbegründung auch eine Nachricht vor, die zwar die Absenderkennung des Beklagten trägt, jedoch den Empfänger mit dem fadenscheinigen Zusatz, der Absender der Nachricht habe „auf die letzte Auszahlung über drei Wochen (…) warten müssen“ darum bittet, „nicht direkt an eBay zu zahlen“, sondern eine Telefonnummer „[...]“ anzurufen. Bereits hier drängt sich der Verdacht eines Betrugsversuchs auf. Der Beklagte hat darüber hinaus unter Hinweis auf das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens dargelegt, nicht Inhaber der genannten Telefonnummer zu sein.


LG Hamburg hebt einstweilige Verfügung wieder auf - Coca-Cola muss Lebensmittelhändler EDEKA wegen Streit um Preise doch nicht weiter beliefern

LG Hamburg
Urteil vom 29.09.2022
415 HKO 72/22


Das LG Hamburg hat die zuvor erlassen einstweilige Verfügung in dem Rechtsstreit EDEKA gegen Coca Cola wieder aufgehoben. Coca-Cola muss den Lebensmittelhändler EDEKA wegen des Streits um Preise doch nicht weiter beliefern.

Wir hatten in dem Beitrag Volltext LG Hamburg: Coca-Cola muss Lebensmittelhändler EDEKA vorerst weiter beliefern - Lieferstopp zur Durchsetzung höherer Preise ist Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung über die vorausgegangene einstweilige Verfügung berichtet.


Volltext LG Hamburg: Coca-Cola muss Lebensmittelhändler EDEKA vorerst weiter beliefern - Lieferstopp zur Durchsetzung höherer Preise ist Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung

LG Hamburg
Beschluss vom 08.09.2022
415 HKO 72/22


Wir hatten bereits in dem Beitrag LG Hamburg: Coca-Cola muss Lebensmittelhändler EDEKA vorerst weiter beliefern - Lieferstopp zur Durchsetzung höherer Preise ist Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung über die Entscheidung berichtet.

Die Entscheidung:

Tenor:
1. Die Antragsgegnerin hat es bis zum 30.09.2022 zu unterlassen, die Antragstellerin mit Artikeln aus dem Sortiment der Antragsgegnerin auf Grundlage der von der Antragstellerin erstellten Jahresgesprächsbestätigung 2022 datierend vom 12. Januar 2022, insbesondere unter Anwendung der dort vereinbarten Fabrikabgabenpreise abzüglich der im zugehörigen Konditionsblatt dokumentierten Konditionen als Höchsteinkaufspreise, gemäß den Bestellungen der Antragstellerin bis zum wirksamen Abschluss einer Anschlussvereinbarung nicht mehr zu beliefern.

2. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht aus Ziffer 1. ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro und für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.

3. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Mit dem Beschluss ist zuzustellen: Antragsschrift vom 06.09.2022

Gründe:
Wegen des Sachverhaltes wird auf die Antragsschrift vom 06.09.2022 sowie die damit vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Der Anspruch der Antragstellerin ergibt sich aus § 33 GWB in Verbindung mit Art. 102 AEUV und ist auf Unterlassung der kartellrechtswidrigen Handlung gerichtet (Immenga/Mestmäcker/Fuchs, 6. Aufl. 2020, GWB § 19 Rn. 402). Die Kammer geht aufgrund der vorliegenden Glaubhaftmachung der Antragstellerin von einer marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin und einer missbräuchlichen Ausnutzung dieser marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 Abs. 2 a) AEUV durch die Antragsgegnerin aus. Aufgrund der Glaubhaftmachung hält es die Kammer nach der gebotenen Prüfung für ausreichend wahrscheinlich, dass die von der Antragsgegnerin begehrte Preiserhöhung prima facie unangemessen ist. Aufgrund des Umstandes, dass es jedoch sachliche Gründe für die angekündigte Preiserhöhung geben mag, für die nach Auffassung der Kammer die Antragsgegnerin die Darlegungs- und Beweislast trägt (Immenga/Mestmäcker/Fuchs, 6. Aufl. 2020, GWB § 19 Rn. 237), war die Unterlassungsverfügung bis 30.09.2022 zu befristen. Insofern geht die Kammer davon aus, dass dies bis Ende September von der Antragsgegnerin gegeben falls nachgeholt wird und die Parteien dann eine entsprechende Anschlussvereinbarung schließen können, so dass die erlassene Verfügung inhaltlich dem entspricht, was die Antragstellerin begehrt.

Aufgrund des Umstandes, dass die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass ihr ein erheblicher wirtschaftlicher und irreparabler Reputationsschaden in Folge der Nichtbelieferung entstehen wird, führt die erforderliche Abwägung hier auch dazu, dass es der Antragsgegnerin eher zuzumuten ist zu den bisherigen Preisen zu liefern (jedenfalls bis zum 30.09.2022). Aufgrund des glaubhaft gemachten möglichen Schadens war der sofortige Erlass der Verfügung durch den Vorsitzenden ohne vorherige (nochmalige) Anhörung der Antragsgegnerin gerechtfertigt. Der Inhalt der Schutzschrift vom 05.08.2022 wurde bei der Entscheidung berücksichtigt, rechtfertigt jedoch keine andere Entscheidung.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 ZPO.

EuG bestätigt Geldbuße von mehr als 4 Milliarden EURO gegen Google / Alphabet wegen des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung ganz überwiegend

EuG
Urteil vom 14.09.2022
T-604/18
Google und Alphabet/Kommission (Google Android)


Das EuG hat die Geldbuße der EU-Kommission von mehr als 4 Milliarden EURO gegen Google / Alphabet wegen des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung ganz überwiegend bestätigt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Das Gericht bestätigt weitgehend den Beschluss der Kommission, wonach Google den Herstellern von Android-Mobilgeräten und den Betreibern von Mobilfunknetzen rechtswidrige Beschränkungen auferlegt hat, um die beherrschende Stellung seiner Suchmaschine zu stärken.

Um Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung besser Rechnung zu tragen, hält das Gericht es jedoch im Anschluss an Erwägungen, die in einigen Punkten von denen der Kommission abweichen, für angebracht, gegen Google eine Geldbuße in Höhe von 4,125 Mrd. Euro zu verhängen Google, ein auf Produkte und Dienstleistungen, die mit dem Internet in Zusammenhang stehen, spezialisiertes Unternehmen des Sektors der Informations- und Kommunikationstechnologien, erzielt seine Einkünfte im Wesentlichen mit seinem Schlüsselprodukt, der Suchmaschine Google Search. Sein Geschäftsmodell basiert auf dem Zusammenspiel einer Reihe von Produkten und Dienstleistungen, die den Nutzern meist kostenlos angeboten werden, und Online-Werbedienstleistungen, bei denen die bei diesen Nutzern gesammelten Daten verwendet werden. Google bietet ferner das Betriebssystem Android an, mit dem nach Angaben der Europäischen Kommission im Juli 2018 etwa 80 % der in Europa verwendeten intelligenten Mobilgeräte ausgestattet waren. Verschiedene Beschwerden, die wegen bestimmter Geschäftspraktiken von Google im Bereich des mobilen Internets an die Kommission gerichtet wurden, veranlassten sie, am 15. April 2015 gegen Google ein Verfahren betreffend Android zu eröffnen.

Mit Beschluss vom 18. Juli 20183 verhängte die Kommission gegen Google eine Sanktion wegen Missbrauchs seiner beherrschenden Stellung durch die Auferlegung wettbewerbswidriger vertraglicher Beschränkungen für die Hersteller von Mobilgeräten und die Betreiber von Mobilfunknetzen, bei einigen seit dem 1. Januar 2011. Die Beschränkungen hatten drei Formen:

1. Beschränkungen in den „Vertriebsvereinbarungen“, wonach die Hersteller von Mobilgeräten seine allgemeine Such-App (Google Search) und seinen Browser (Chrome) vorinstallieren mussten, um von Google eine Lizenz für die Nutzung seines App Store (Play Store) zu erhalten;

2. Beschränkungen in den „Anti-Fragmentierungsvereinbarungen“, wonach die für die Vorinstallation der Apps Google Search und Play Store durch die Hersteller von Mobilgeräten erforderlichen Lizenzen nur erteilt wurden, wenn die Hersteller sich verpflichteten, keine Geräte zu verkaufen, die mit nicht von Google zugelassenen Versionen des Betriebssystems Android ausgestattet sind;

3. Beschränkungen in den „Vereinbarungen über die Teilung von Einnahmen“, wonach Google nur dann einen Teil der Werbeeinnahmen an die betreffenden Hersteller von Mobilgeräten und Betreiber von Mobilfunknetzen weiterleitete, wenn diese sich verpflichteten, auf einem im Voraus festgelegten Sortiment von Geräten keinen konkurrierenden allgemeinen Suchdienst vorzuinstallieren.

Nach Ansicht der Kommission wurde mit all diesen Beschränkungen das Ziel verfolgt, die beherrschende Stellung von Google im Bereich der allgemeinen Suchdienste und damit seine Einnahmen aus Werbeanzeigen im Zusammenhang mit diesen Suchen zu schützen und zu stärken. Das gemeinsame Ziel der streitigen Beschränkungen und ihre Wechselwirkung veranlassten die Kommission daher, sie als einheitliche und fortdauernde Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV und Art. 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) einzustufen.

Infolgedessen verhängte die Kommission gegen Google eine Geldbuße in Höhe von fast 4,343 Mrd. Euro; dabei handelt es sich um die höchste jemals in Europa von einer Wettbewerbsbehörde verhängte Geldbuße. Die von Google erhobene Klage wird vom Gericht im Wesentlichen abgewiesen; es erklärt den Beschluss der Kommission nur insofern für nichtig, als darin festgestellt wird, dass die oben angesprochenen sortimentbezogenen Vereinbarungen über die Teilung von Einnahmen als solche einen Missbrauch darstellen. Angesichts der konkreten Umstände der Rechtssache hält das Gericht es ferner für angebracht, die gegen Google verhängte Geldbuße in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auf 4,125 Mrd. Euro festzusetzen.

Würdigung durch das Gericht

An erster Stelle prüft das Gericht den Klagegrund, dass bei der Definition der relevanten Märkte und der anschließenden Beurteilung der beherrschenden Stellung von Google auf einigen dieser Märkte Beurteilungsfehler begangen worden seien. In diesem Rahmen hebt das Gericht hervor, dass es im Wesentlichen unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien und der Argumentation im angefochtenen Beschluss zu prüfen hat, ob Google aufgrund seiner Macht auf den relevanten Märkten in der Lage war, sich gegenüber den verschiedenen Faktoren, die geeignet waren, ihm bei seinem Verhalten Zwänge aufzuerlegen, in nennenswertem Umfang unabhängig zu verhalten.

Im vorliegenden Fall hat die Kommission in einem ersten Schritt vier relevante Märkte herausgearbeitet, und zwar erstens den weltweiten Markt (mit Ausnahme Chinas) für die Lizenzierung von Betriebssystemen für Mobilgeräte, zweitens den weltweiten Markt (mit Ausnahme Chinas) für Android-App-Stores, drittens die verschiedenen nationalen Märkte für allgemeine Suchdienste im EWR und viertens den weltweiten Markt der nicht betriebssystemspezifischen Internetbrowser für Mobilgeräte. In einem zweiten Schritt ist die Kommission zu dem Ergebnis gekommen, dass Google auf den drei erstgenannten Märkten eine beherrschende Stellung innehabe. Das Gericht weist darauf hin, dass die Kommission bei ihrer Darstellung der verschiedenen relevanten Märkte gebührend herausgearbeitet hat, dass sie einander ergänzen und miteinander in Verbindung stehen, insbesondere angesichts der weltweit umgesetzten Strategie von Google, seine Suchmaschine durch die Integration in ein „Ökosystem“ zu propagieren.

Speziell in Bezug auf die Definition des Umfangs des Marktes für die Lizenzierung von Betriebssystemen für intelligente Mobilgeräte und die anschließende Beurteilung der Stellung von Google auf diesem Markt stellt das Gericht fest, dass die Kommission – ohne dass die insoweit von Google vorgebrachten Rügen stichhaltig sind – zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die ausschließlich von vertikal integrierten Produktentwicklern genutzten „nichtlizenzierbaren“ Betriebssysteme wie iOS von Apple oder Blackberry nicht zum gleichen Markt gehörten, da andere Hersteller von Mobilgeräten keine Lizenz dafür erwerben können. Die Kommission hat auch mit der Feststellung, dass die beherrschende Stellung von Google auf diesem Markt durch den mittelbaren Wettbewerbsdruck, der dort durch das von Apple angebotene nicht-lizenzierbare Betriebssystem ausgeübt werde, nicht in Frage gestellt werde, keinen Fehler begangen. Sie ist überdies zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Open-Source-Charakter der Lizenz für die Nutzung des Android-Quellcodes keinen hinreichenden Wettbewerbsdruck erzeugte, um die fragliche beherrschende Stellung zu kompensieren.

An zweiter Stelle prüft das Gericht die verschiedenen Klagegründe, mit denen die fehlerhafte Beurteilung des missbräuchlichen Charakters der streitigen Beschränkungen gerügt wird. Erstens hat die Kommission die den Herstellern von Mobilgeräten auferlegten Bedingungen für die Vorinstallation4 als missbräuchlich eingestuft, indem sie zum einen das Bündel der Google -Search- und Play-StoreApps vom Bündel des Chrome-Browsers und von den vorgenannten Apps unterschieden und zum anderen die Ansicht vertreten hat, dass diese Bündel den Wettbewerb im Zeitraum der Zuwiderhandlung beschränkt hätten, ohne dass Google hierfür eine objektive Rechtfertigung habe anführen können.

Insoweit führt das Gericht aus, dass die Kommission das Vorliegen eines durch die streitigen Bedingungen für die Vorinstallation entstandenen Wettbewerbsvorteils damit begründet hat, dass eine solche Vorinstallation zu einer „Status-quo-Präferenz“ führen könne, resultierend aus der Neigung der Nutzer, sich der ihnen zur Verfügung stehenden Such- und Browser-Apps zu bedienen, die geeignet seien, die Nutzung des betreffenden Dienstes erheblich und nachhaltig zu verbessern, ohne dass dieser Vorteil von den Konkurrenten von Google wettgemacht werden könnte. Das Gericht stellt fest, dass die Analyse der Kommission zu diesem Punkt allen Einwänden von Google standhält.

Im Anschluss befasst sich das Gericht mit den Rügen, die sich gegen die Schlussfolgerung richten, dass die den Konkurrenten von Google zur Verfügung stehenden Mittel es ihnen nicht ermöglicht hätten, den von Google durch die fraglichen Bedingungen für die Vorinstallation erlangten erheblichen Wettbewerbsvorteil zu kompensieren, und führt dazu aus, dass diese Bedingungen zwar die Vorinstallation konkurrierender Apps nicht verbieten, doch ist ein solches Verbot für Geräte vorgesehen, die unter die Vereinbarungen über die Teilung von Einnahmen fallen – gleichgültig, ob diese sortimentbezogen sind oder für Ersatzgeräte gelten –, und damit für über 50 % der GoogleAndroid-Geräte, die von 2011 bis 2016 im EWR verkauft wurden; dies durfte die Kommission im Rahmen der kombinierten Wirkungen der fraglichen Beschränkungen berücksichtigen. Die Kommission war auch befugt, sich zur Stützung ihrer Schlussfolgerungen auf die Beobachtung der tatsächlichen Situation zu stützen, wobei sie feststellte, dass in der Praxis nur in begrenztem Umfang auf die Vorinstallation konkurrierender Apps, auf ihren Download oder über Browser auf konkurrierende Suchdienste zurückgegriffen wurde. Schließlich sieht das Gericht die Einwände von Google gegen die Erwägungen, aufgrund deren die Kommission jede objektive Rechtfertigung für die in die Prüfung einbezogenen Bündel verneinte, ebenfalls als nicht stichhaltig an und weist den Klagegrund der fehlerhaften Beurteilung des missbräuchlichen Charakters der Bedingungen für die Vorinstallation in vollem Umfang zurück.

Zweitens führt das Gericht in Bezug auf die Beurteilung der in den sortimentbezogenen Vereinbarungen über die Teilung von Einnahmen enthaltenen Bedingung der ausschließlichen Vorinstallation aus, dass die Kommission berechtigt war, die streitigen Vereinbarungen als Ausschließlichkeitsvereinbarungen einzustufen, da die vorgesehenen Zahlungen davon abhingen, dass bei dem betreffenden Produktsortiment keine konkurrierenden allgemeinen Suchdienste vorinstalliert wurden.

In Anbetracht dessen, dass die Kommission den missbräuchlichen Charakter dieser Vereinbarungen darin sah, dass sie geeignet gewesen seien, die betreffenden Hersteller von Mobilgeräten und Betreiber von Mobilfunknetzen davon abzuhalten, solche konkurrierenden Suchdienste vorzuinstallieren, musste sie allerdings nach der Rechtsprechung zu derartigen Praktiken anhand aller relevanten Umstände, zu denen der Umfang der Markterfassung durch die beanstandete Praxis sowie die ihr innewohnende Eignung zur Verdrängung mindestens ebenso leistungsfähiger Wettbewerber gehören, eine Analyse ihrer Befähigung zur Beschränkung des Leistungswettbewerbs vornehmen.

Die insoweit von der Kommission vorgelegte Analyse beruhte im Wesentlichen auf zwei Elementen, und zwar zum einen auf der Prüfung des Umfangs der Markterfassung durch die beanstandete Praxis und zum anderen auf den Ergebnissen ihrer Heranziehung des Kriteriums des ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers. Soweit die Kommission im Rahmen des ersten Elements davon ausgegangen ist, dass die fraglichen Vereinbarungen, unabhängig von der Art des verwendeten Geräts, einen „erheblichen Teil“ der nationalen Märkte für allgemeine Suchdienste erfasst hätten, wird diese Feststellung nach den Erkenntnissen des Gerichts aber nicht durch die von der Kommission im angefochtenen Beschluss dargelegten Gesichtspunkte bestätigt. Gleiches gilt zudem für eine der Prämissen des AEC-Tests, und zwar den Teil der Suchanfragen, den ein hypothetisch mindestens ebenso leistungsfähiger Wettbewerber, dessen App neben Google Search vorinstalliert wurde, für sich hätte gewinnen können. Das Gericht konstatiert ferner mehrere Begründungsfehler bei der Beurteilung wesentlicher Variablen des von der Kommission durchgeführten AEC-Tests, und zwar der Schätzung der einem solchen Wettbewerber zurechenbaren Kosten, der Beurteilung seiner Befähigung, die Vorinstallation seiner App zu erreichen, sowie der Schätzung der Einnahmen, die nach Maßgabe des Alters der im Umlauf befindlichen Mobilgeräte erzielt werden können. Daraus folgt, dass der AEC-Test in der von der Kommission durchgeführten Form die Feststellung eines Missbrauchs, der sich aus den sortimentbezogenen Vereinbarungen über die Teilung von Einnahmen selbst ergibt, nicht zu bestätigen vermag, so dass das Gericht dem entsprechenden Klagegrund stattgibt.

Drittens weist das Gericht in Bezug auf die Beurteilung der Beschränkungen in den AntiFragmentierungsvereinbarungen darauf hin, dass die Kommission eine solche Praxis insofern als missbräuchlich ansieht, als sie darauf abzielt, die Entwicklung und die Marktpräsenz von Geräten mit einer inkompatiblen „AndroidFork“ zu verhindern, ohne Google das Recht abzusprechen, Kompatibilitätsanforderungen allein für die Geräte aufzustellen, auf denen seine Apps installiert sind. Im Anschluss an die Feststellung, dass es die fragliche Praxis tatsächlich gab, führt das Gericht weiter aus, dass die Kommission zu der Annahme berechtigt war, dass die inkompatiblen Android-Forks Wettbewerbsdruck auf Google ausüben konnten. Unter diesen Umständen durfte die Kommission angesichts der von ihr dargelegten, zum Nachweis des Hindernisses für die Entwicklung und Vermarktung von Konkurrenzprodukten auf dem Markt der lizenzierten Betriebssysteme geeigneten Gesichtspunkte davon ausgehen, dass die fragliche Praxis zur Stärkung der beherrschenden Stellung von Google auf dem Markt für allgemeine Suchdienste geführt hatte und zugleich ein Innovationshemmnis darstellte, da sie die Vielfalt der den Nutzern zur Verfügung stehenden Angebote einschränkte.

An dritter Stelle prüft das Gericht den Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte, mit dem Google die Feststellung begehrt, dass sein Recht auf Akteneinsicht und sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden seien. Es befasst sich erstens mit der geltend gemachten Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht und führt dazu aus, dass die Rügen von Google den Inhalt einer Reihe von Aufzeichnungen über Treffen der Kommission mit Dritten während ihrer gesamten Untersuchung betreffen, die von der Kommission im Februar 2018 übermittelt wurden. Da alle diese Treffen der Einholung von Informationen, die sich auf den Gegenstand der Untersuchung bezogen, im Sinne von Art. 19 der Verordnung Nr. 1/20038 dienten, oblag es der Kommission, dafür zu sorgen, dass Aufzeichnungen erstellt wurden, die es dem betreffenden Unternehmen ermöglichten, sie zu gegebener Zeit zu konsultieren und seine Verteidigungsrechte wahrzunehmen. Im vorliegenden Fall stellt das Gericht fest, dass diesen Anforderungen nicht genügt wurde, zum einen wegen des zeitlichen Abstands zwischen den Treffen und der Übermittlung der sie betreffenden Aufzeichnungen und zum anderen wegen des summarischen Charakters der Aufzeichnungen. Zu den Folgen dieses Verfahrensfehlers führt das Gericht aus, dass ein solcher Fehler nach der Rechtsprechung nur dann zu einer Verletzung der Verteidigungsrechte führt, wenn das betreffende Unternehmen belegt, dass es sich ohne ihn besser hätte verteidigen können. Im vorliegenden Fall kommt das Gericht jedoch zu dem Ergebnis, dass sich den ihm hierzu unterbreiteten Anhaltspunkten und Argumenten kein derartiger Beleg entnehmen lässt.

Zweitens stellt das Gericht zur geltend gemachten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör fest, dass das dahingehende Vorbringen von Google das verfahrensrechtliche Gegenstück zu den gegen die Begründetheit der Einstufung einiger Vereinbarungen zur Teilung von Einnahmen als missbräuchlich gerichteten Rügen darstellt, da es die Weigerung betrifft, Google zu dem in diesem Rahmen durchgeführten AEC-Test anzuhören. Da die Kommission dies ablehnte, obwohl sie Google zwei Sachverhaltsschreiben übersandt hatte, in denen Inhalt und Umfang der ursprünglich in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegten Vorgehensweise erheblich ergänzt worden waren, ohne dass die Kommission – wie es geboten gewesen wäre – eine ergänzende Mitteilung der Beschwerdepunkte erließ und daran eine Anhörung anschloss, bejaht das Gericht eine Verletzung der Verteidigungsrechte von Google seitens der Kommission, mit der Google eine Chance genommen wurde, sich durch die Geltendmachung ihrer Argumente bei einer Anhörung besser zu verteidigen. Das Gericht fügt hinzu, dass
angesichts der zuvor konstatierten Unzulänglichkeiten bei der Durchführung des AEC-Tests durch die Kommission im vorliegenden Fall ein umso größeres Interesse an einer Anhörung bestand. Infolgedessen ist die Feststellung der Missbräuchlichkeit der sortimentbezogenen Vereinbarungen zur Teilung von Einnahmen auch auf dieser Grundlage für nichtig zu erklären.

Schließlich führt das Gericht zu der von ihm im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung vorzunehmenden eigenständigen Beurteilung der Höhe der Geldbuße zunächst aus, dass der angefochtene Beschluss zwar teilweise für nichtig zu erklären ist, soweit darin festgestellt wird, dass die sortimentbezogenen Vereinbarungen über die Teilung von Einnahmen als solche einen Missbrauch darstellen, doch hat diese teilweise Nichtigerklärung in Anbetracht der Verdrängungswirkungen, die sich aus den übrigen von Google im Zeitraum der Zuwiderhandlung angewandten missbräuchlichen Praktiken ergeben, bei einer Gesamtbetrachtung keine Auswirkungen auf die Gültigkeit der im angefochtenen Beschluss getroffenen Feststellung einer Zuwiderhandlung.

Die eigene Beurteilung aller die Sanktion betreffenden Umstände durch das Gericht führt zu dem Ergebnis, dass die wegen der begangenen Zuwiderhandlung gegen Google zu verhängende Geldbuße in Abänderung des angefochtenen Beschlusses auf 4,125 Mrd. Euro festzusetzen ist. Dabei hält es das Gericht wie die Kommission für angebracht, zu berücksichtigen, dass die Zuwiderhandlung vorsätzlich begangen wurde und welchen Wert die einschlägigen, von Google im letzten Jahr seiner vollständigen Beteiligung an der Zuwiderhandlung getätigten Verkäufe hatten. Hinsichtlich der Berücksichtigung von Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung hält es das Gericht hingegen aus den im Urteil dargelegten Gründen für angebracht, bei der Beurteilung der Auswirkungen der von der Kommission im angefochtenen Beschluss zutreffend festgestellten Verdrängungswirkungen der zeitlichen Entwicklung der verschiedenen Aspekte der Zuwiderhandlung und der Komplementarität der fraglichen Praktiken Rechnung zu tragen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Hamburg: Coca-Cola muss Lebensmittelhändler EDEKA vorerst weiter beliefern - Lieferstopp zur Durchsetzung höherer Preise ist Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung

LG Hamburg
Beschluss vom 08.09.2022
415 HKO 72/22


Das LG Hamburg hat im Wege einer einstweiligen Verfügung entschieden, dass Coca-Cola den Lebensmittelhändler EDEKA vorerst weiter beliefern muss. Das LG Hamburg sah in dem Lieferstopp des Getränkeherstellers zur Durchsetzung höherer Preise den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Die einstweilige Verfügung ist bis zum 30.09.2022 befristet.


Bundeskartellamt: Verfahren nach § 19a GWB gegen Google Germany und Alphabet wegen Google Maps und möglicher Wettbewerbsbeschränkungen bei Kartendiensten

Das Bundeskartellamt hat ein Verfahren nach § 19a GWB gegen Google Germany und Alphabet wegen Google Maps und möglicher Wettbewerbsbeschränkungen bei Kartendiensten eingeleitet.

Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:
Verfahren gegen Google wegen möglicher Wettbewerbsbeschränkungen bei Kartendiensten (Google Maps Plattform)

Das Bundeskartellamt hat ein Verfahren gegen die Google Germany GmbH, Hamburg, und Alphabet Inc., Mountain View, USA, eingeleitet. Das Verfahren betrifft mögliche Wettbewerbsbeschränkungen zulasten alternativer Kartendienste bei der Google Maps Plattform.

Das Verfahren stützt sich maßgeblich auf die neuen Befugnisse, die das Bundeskartellamt im Rahmen der erweiterten Missbrauchsaufsicht über große Digitalkonzerne Anfang letzten Jahres erhalten hat (§ 19a GWB). Die Behörde kann in einem zweistufigen Verfahren Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen. Ende letzten Jahres hatte das Bundeskartellamt diese Bedeutung bei Google/Alphabet festgestellt (siehe Pressemitteilung vom 5. Januar 2022). Parallel laufen bereits Verfahren zur Prüfung von Googles Konditionen zur Datenverarbeitung (siehe Pressemitteilung vom 25. Mai 2021) und dem Nachrichtenangebot Google News Showcase (siehe Pressemitteilungen vom 4. Juni 2021 und 12. Januar 2022).

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Google unterliegt als Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung einer verschärften Missbrauchsaufsicht. Wir gehen Hinweisen nach, wonach Google die Kombination seiner Kartendienste mit Kartendiensten Dritter einschränkt. Das betrifft etwa die Möglichkeit, Standortdaten von Google Maps, die Suchfunktion oder Google Street View auf Nicht-Google Karten einzubinden. Wir werden jetzt u.a. prüfen, ob Google seine Machtstellung bei bestimmten Kartendiensten durch diese Praxis weiter ausdehnen könnte. Die Prüfung erstreckt sich parallel auf Lizenzbedingungen für die Verwendung von Googles Kartendiensten in Fahrzeugen. Das Verfahren steht in einer Reihe weiterer Verfahren, die wir gegen Google und andere Digitalkonzerne wie Apple, Amazon und Meta/Facebook auf der Basis des § 19a GWB führen oder bereits abgeschlossen haben.“

Die Google Maps Plattform bietet Zugang zu verschiedenen Kartendiensten. Diese dienen beispielsweise dazu, Karten auf Drittseiten einzubinden, um etwa Standorte von Geschäften oder Hotels darzustellen. Nach vorläufigem Stand beschränkt Google insbesondere die Möglichkeit, Kartendienste von Google mit Karten von Dritten zu kombinieren. Dadurch wird möglicherweise der Wettbewerb im Bereich von Kartendienstleistungen behindert. Eine weitere Einschränkung könnte darin liegen, dass Google die Verwendung seiner Dienste mit dem Angebot „Google Automotive Services“ in Infotainment-Systemen in Fahrzeugen stark reglementiert.
Im Rahmen der Ermittlungen werden in den nächsten Wochen Kunden und Wettbewerber der Google Maps Plattform befragt.

Hintergrund: § 19a GWB

Im Januar 2021 ist die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB-Digitalisierungsgesetz) in Kraft getreten. Eine zentrale neue Vorschrift (§ 19a GWB) erlaubt dem Bundeskartellamt ein früheres und effektiveres Eingreifen, insbesondere gegen Verhaltensweisen großer Digitalkonzerne. Neben den Verfahren gegen Google / Alphabet wurden mit dem neuen Instrument in den vergangenen Monaten bereits gegen Facebook/Meta (siehe Pressemitteilung vom 28. Januar 2021 und 4. Mai 2022), gegen Amazon (siehe Pressemitteilung vom 18. Mai 2021) und gegen Apple (siehe Pressemitteilung vom 14. Juni 2022) Verfahren eingeleitet und erste Entscheidungen getroffen.



EuG: Beschluss der EU-Kommission gegen Qualcomm wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für LTE-Chipsätze nichtig

EuG
Urteil vom 15.06.2022
T-235/18
Qualcomm ./. EU-Kommission (Qualcomm – Ausschließlichkeitszahlungen)


Das EuG hat entschieden, dass Beschluss der EU-Kommission gegen Qualcomm wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für LTE-Chipsätze nichtig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Missbrauch einer beherrschenden Stellung auf dem Markt für LTE-Chipsätze: Das Gericht erklärt den Beschluss der Kommission, mit dem Qualcomm eine Geldbuße von rund einer Milliarde Euro auferlegt wurde, für nichtig

Es stellt fest, dass mehrere Verfahrensfehler die Verteidigungsrechte von Qualcomm beeinträchtigt haben und entkräftet die Analyse der Kommission bezüglich des diesem Unternehmen vorgeworfenen Verhaltens Qualcomm ist ein US- merikanisches Unternehmen, das Basisband-Chipsätze entwickelt und liefert, mit denen Smartphones und Tablets ausgestattet werden, damit diese eine Verbindung zu Mobilfunknetzen herstellen können, und die sowohl für Sprachdienste als auch für die Datenübertragung verwendet werden. So werden die Chipsätze an Originalgeräte-Hersteller, darunter Apple, verkauft, die sie in ihre Geräte einbauen.

Mit Beschluss vom 24. Januar 20182 verhängte die Kommission gegen Qualcomm eine Geldbuße in Höhe von fast einer Milliarde Euro wegen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung auf dem Weltmarkt für Chipsätze, die mit dem Standard Long Term Evolution (LTE) kompatibel sind. Der Zeitraum der Zuwiderhandlung erstreckte sich von Februar 2011 bis September 2016.

Nach Ansicht der Kommission war dieser Missbrauch durch Anreizzahlungen gekennzeichnet, aufgrund deren Apple seinen Bedarf an LTE-Chipsätzen ausschließlich durch Lieferungen von Qualcomm habe decken müssen. Unter diesen Umständen war die Kommission der Auffassung, dass diese Zahlungen, die sie als Ausschließlichkeitszahlungen einstuft, geeignet gewesen seien, wettbewerbswidrige Wirkungen zu entfalten, da sie Apples Anreize verringert hätten, sich an konkurrierende Anbieter von LTE-Chipsätzen zu wenden.

Mit seinem Urteil von heute erklärt das Gericht den Beschluss der Kommission insgesamt für nichtig. Es stützt sich zum einen auf die Feststellung mehrerer Verfahrensfehler, die die Verteidigungsrechte von Qualcomm beeinträchtigt haben, und zum anderen auf eine Analyse der wettbewerbswidrigen Auswirkungen der Anreizzahlungen.

Was die Nichtbeachtung der Verteidigungsrechte von Qualcomm anbelangt, stellt das Gericht mehrere Fehler fest, die die Kommission bei der Erstellung der Fallakte begangen hat. Es weist darauf hin, dass die Kommission verpflichtet ist, den genauen Inhalt jeder Unterredung, die zur Sammlung von Informationen über den Gegenstand einer Untersuchung erfolgt ist, in der von ihr gewählten Form aufzuzeichnen. Im vorliegenden Fall ist die Kommission dieser Verpflichtung u. a. in Bezug auf die Abhaltung von Sitzungen und Telefonkonferenzen mit Dritten nicht in vollem Umfang nachgekommen.

Außerdem stellt das Gericht fest, dass sich der angefochtene Beschluss darauf beschränkt, einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung allein auf dem Markt für LTE-Chipsätze festzustellen, während die Mitteilung der Beschwerdepunkte einen Missbrauch sowohl auf diesem Markt als auch auf dem Markt für UMTS-Chipsätze (UMTS = Universal Mobile Telecommunications System) betraf. Da sich eine solche Änderung der Beschwerdepunkte nach Ansicht des Gerichts auf die Relevanz der Daten auswirkte, auf die sich die wirtschaftliche Analyse von Qualcomm stützte, mit der die Eignung ihres Verhaltens, Verdrängungswirkungen zu entfalten, bestritten werden sollte, hätte die Kommission Qualcomm Gelegenheit geben müssen, dazu gehört zu werden und gegebenenfalls ihre Analyse anzupassen. Folglich hat die Kommission, da sie das Unternehmen zu diesem Punkt nicht angehört hat, dessen Verteidigungsrechte verletzt.

Was die Analyse anbelangt, ob die Zahlungen geeignet waren, wettbewerbswidrige Wirkungen zu entfalten, stellt das Gericht zum einen fest, dass die Kommission für ihre Feststellung, dass die betreffenden Zahlungen den Wettbewerb für den gesamten Bedarf von Apple an LTE-Chipsätzen sowohl für iPhones als auch für iPads beschränken konnten, nicht alle relevanten tatsächlichen Umstände berücksichtigt hat. Das Gericht stellt nämlich fest, dass die Kommission zwar zu dem Ergebnis gelangte, dass die Anreizzahlungen die Anreize für Apple, sich an konkurrierende Anbieter zu wenden, um sich mit LTE-Chipsätzen zu versorgen, verringert haben, jedoch aus dem Beschluss der Kommission hervorgeht, dass Apple für den überwiegenden Teil seines Bedarfs im relevanten Zeitraum, d. h. des Bedarfs, der im Wesentlichen iPhones entsprach, keine technische Alternative zu den LTE-Chipsätzen von Qualcomm hatte. Es gelangt zu dem Ergebnis, dass die Analyse der Kommission nicht unter Berücksichtigung aller relevanten tatsächlichen Umstände vorgenommen wurde und daher rechtswidrig ist.

Zum anderen stellt das Gericht fest, dass die Schlussfolgerung, dass die fraglichen Zahlungen die Anreize für Apple, sich an Wettbewerber von Qualcomm zu wenden, um sich für den Bedarf für bestimmte iPad-Modelle der Jahre 2014 und 2015 mit LTE-Chipsätzen zu versorgen, tatsächlich verringert hätten, nicht genügt, um die Wettbewerbswidrigkeit dieser Zahlungen für den gesamten Bedarf von Apple nachzuweisen. Eine solche begrenzte Analyse kann nämlich die fehlende Berücksichtigung aller relevanten tatsächlichen Umstände im Rahmen des allgemeinen Nachweises der Kommission, dass die fraglichen Zahlungen geeignet seien, im betreffenden Zeitraum wettbewerbswidrige Wirkungen im Hinblick auf den Gesamtbedarf von Apple an LTE-Chipsätzen für iPhones und iPads zu entfalten, nicht heilen. Außerdem stellt das Gericht fest, dass die Kommission jedenfalls keine Analyse entwickelt hat, die den Schluss zuließe, dass die betreffenden Zahlungen die Anreize für Apple, sich an Wettbewerber von Qualcomm zu wenden, um für bestimmte iPad-Modelle der Jahre 2014 und 2015 LTE-Chipsätze zu beziehen, tatsächlich verringert hätten.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



EuGH: Die Überprüfung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen darf nicht durch nationale Verfahrensgrundsätze behindert werden

EuGH
Urteile vom 17.05.2022
C-600/19, C-693/19, C-831/19, C-725/19, und C-869/19


Der EuGH hat entschieden, dass die Überprüfung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen nicht durch nationale Verfahrensgrundsätze behindert werden darf.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen: Nationale Verfahrensgrundsätze dürfen unionsrechtliche Rechte Einzelner nicht behindern

Der Effektivitätsgrundsatz verlangt eine wirksame Überprüfung der potenziellen Missbräuchlichkeit der Klauseln.

Mit seinen heutigen Urteilen entscheidet die Große Kammer des Gerichtshofs über mehrere Vorabentscheidungsersuchen spanischer, italienischer und rumänischer Gerichte, die die Auslegung der Richtlinie 91/13/EWG1 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen betreffen.

Der Gerichtshof wird dazu befragt, ob nationale Verfahrensgrundsätze wie die Rechtskraft Befugnisse insbesondere der nationalen Vollstreckungsgerichte zur Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln einschränken können. Es geht um die Frage, ob Grundsätze des innerstaatlichen Verfahrensrechts mit der Richtlinie 93/13 vereinbar sind, die eine solche Prüfung, einschließlich einer Prüfung von Amts wegen durch das Vollstreckungsgericht, auf der Vollstreckungsebene in Anbetracht dessen nicht gestatten, dass bereits zuvor erlassene Entscheidungen nationaler Gerichte vorliegen.

Der Gerichtshof verweist insoweit auf die Bedeutung, die dem Grundsatz der Rechtskraft sowohl im Unionsrecht als auch in den nationalen Rechtsordnungen zukommt. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollten die nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordenen Gerichtsentscheidungen nämlich nicht mehr in Frage gestellt werden können.

Allerdings erinnert der Gerichtshof auch daran, dass das mit der Richtlinie 93/13 geschaffene Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt. In Anbetracht dieser schwächeren Position sieht die Richtlinie 93/13 vor, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind. Es handelt sich um eine zwingende Bestimmung, die darauf abzielt, die nach dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen.

Anschließend verweist der Gerichtshof darauf, dass das nationale Gericht von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fällt, prüfen muss und dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, angemessene und wirksame Mittel vorzusehen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende gesetzt wird.
Die Verfahren zur Prüfung, ob eine Vertragsklausel missbräuchlich ist, sind im Prinzip nicht unionsrechtlich harmonisiert und damit Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten. Nationale Verfahrensbestimmungen müssen dem Effektivitätsgrundsatz genügen und mithin das Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes erfüllen. Insoweit kann nach der Auffassung des Gerichtshofs ohne eine wirksame Überprüfung der potenziellen Missbräuchlichkeit der in dem betreffenden Vertrag enthaltenen Klauseln die Einhaltung der durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte nicht garantiert werden.

Auf der Grundlage dieser Erwägungen erlässt der Gerichtshof die heutigen vier Urteile.

Rechtssache C-869/19 Unicaja Banco
Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau L und der Banco de Caja España de Inversiones, Salamanca y Soria SAU, in deren Rechte die Unicaja Banco SA eingetreten ist. Dieser Rechtsstreit betrifft eine unterbliebene amtswegige Prüfung seitens des Berufungsgerichts im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Unionsrecht. Die Bank hat Frau L ein Hypothekendarlehen gewährt. Der Vertrag enthielt eine Mindestzinsklausel, wonach der variable Zinssatz niemals unter 3 % fallen durfte. Frau L erhob Klage gegen die Bank mit dem Ziel der Nichtigerklärung der Klausel und der Erstattung der unrechtmäßig erhobenen Beträge. Sie machte geltend, die Klausel müsse wegen fehlender Transparenz für missbräuchlich erklärt werden. Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage statt, setzte der Restitutionswirkung in Anwendung einer nationalen Rechtsprechung jedoch zeitliche Grenzen. Das von der Bank angerufene Berufungsgericht erkannte auch nicht auf die vollständige Erstattung der gemäß der Mindestzinssatzklausel gezahlten Beträge, da Frau L das erstinstanzliche Urteil nicht mit der Berufung angefochten habe. Nach spanischem Recht könne das Berufungsgericht, wenn ein Teil eines Urteilstenors von keiner der Parteien in Frage gestellt werde, ihm nicht seine Wirkung absprechen oder ihn abändern. Diese Regel weise Ähnlichkeit mit der Regelung der Rechtskraft auf. Der spanische Oberste Gerichtshof möchte daher vom Gerichtshof wissen, ob das nationale Recht mit dem Unionsrecht insbesondere insoweit vereinbar ist, als ein nationales Gericht, das mit einer Berufung gegen ein Urteil befasst ist, mit dem der Erstattung der vom Verbraucher aufgrund einer für missbräuchlich erklärten Klausel rechtsgrundlos gezahlten Beträge zeitliche Grenzen gesetzt werden, einen Verstoß gegen die Richtlinie 93/13 nicht von Amts wegen aufgreifen und keine vollständige Erstattung dieser Beträge anordnen darf.

Unter Verweis auf seine Rechtsprechung bestätigt der Gerichtshof, dass das Unionsrecht einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, die Restitutionswirkungen in zeitlicher Hinsicht auf diejenigen Beträge beschränkt, die auf Grundlage einer missbräuchlichen Klausel rechtsgrundlos gezahlt wurden, nachdem die Gerichtsentscheidung verkündet worden war, mit der die Missbräuchlichkeit festgestellt wurde. Ferner vertritt der Gerichtshof die Auffassung, dass die Anwendung der betreffenden nationalen gerichtlichen Verfahrensgrundsätze den Schutz dieser Rechte unmöglich machen oder übermäßig erschweren kann und folglich den Effektivitätsgrundsatz beeinträchtigt. Das Unionsrecht steht nämlich der Anwendung von Grundsätzen des nationalen Gerichtsverfahrens entgegen, nach denen das nationale Gericht, das mit einer Berufung gegen ein Urteil befasst ist, mit dem die Erstattung der vom Verbraucher aufgrund einer für missbräuchlich erklärten Klausel rechtsgrundlos gezahlten Beträge einer zeitlichen Begrenzung unterworfen wird, nicht von Amts wegen diesen Verstoß aufgreifen und keine vollständige Erstattung dieser Beträge anordnen darf, sofern das Nichtvorgehen des betreffenden Verbrauchers gegen diese zeitliche Begrenzung nicht auf eine völlige Untätigkeit des Verbrauchers zurückgeführt werden kann.

Rechtssache C-600/19 Ibercaja Banco

Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen MA und der Ibercaja Banco SA über einen Antrag auf Zinszahlungen an das Kreditinstitut, nachdem MA und PO den zwischen diesen Parteien geschlossenen Hypothekendarlehensvertrag nicht erfüllt haben. Das zuständige Gericht ordnete die Vollstreckung aus dem Hypothekentitel der Ibercaja Banco an und gestattete die Pfändung zu Lasten der Verbraucher. Erst im Vollstreckungsverfahren, genauer gesagt nach der Versteigerung der mit der Hypothek belasteten Immobilie, machte MA die Missbräuchlichkeit der Verzugszinsklausel und der Mindestzinssatzklausel geltend, also zu einem Zeitpunkt, als die Rechtskrafts- und die Ausschlusswirkung es weder dem Gericht erlaubten, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit von Klauseln zu prüfen, noch es dem Verbraucher erlaubten,
die Missbräuchlichkeit der Klauseln geltend zu machen. Der Vertrag war bei der Einleitung des Hypothekenvollstreckungsverfahrens von Amts wegen geprüft worden, doch wurde die Prüfung der streitigen Klauseln weder ausdrücklich erwähnt noch begründet.

Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die in Anbetracht von Rechtskraft und Ausschlusswirkung weder dem Gericht erlauben, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln im Rahmen eines Hypothekenvollstreckungsverfahrens zu prüfen, noch dem Verbraucher erlauben, nach dem Ablauf der Einspruchsfrist die Missbräuchlichkeit dieser Klauseln in diesem Verfahren oder einem späteren Erkenntnisverfahren geltend zu machen, wenn diese Klauseln bereits bei der Einleitung des Hypothekenvollstreckungsverfahrens von Amts wegen von dem Gericht auf ihre etwaige Missbräuchlichkeit hin geprüft wurden, die gerichtliche Entscheidung, mit der die Zwangsvollstreckung aus der Hypothek gestattet wird, aber keine – selbst summarische – Begründung enthält, die diese Prüfung belegt, und in dieser Entscheidung nicht darauf hingewiesen wird, dass die Beurteilung, zu der das Gericht am Ende dieser Prüfung gelangt ist, nicht mehr in Frage gestellt werden kann, wenn nicht fristgemäß Einspruch eingelegt wird.

Wenn das Hypothekenvollstreckungsverfahren beendet ist und die Eigentumsrechte an der Immobilie an einen Dritten übertragen worden sind, kann allerdings das Gericht nicht mehr eine Prüfung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln vornehmen, die zur Aufhebung der Eigentumsübertragungsakte führen würde, und es kann die Rechtssicherheit der bereits an einen Dritten erfolgten Eigentumsübertragung nicht mehr in Frage stellen. Der Verbraucher muss jedoch in einer solchen Situation, um seine Rechte aus der Richtlinie wirksam und vollständig ausüben zu können, in der Lage sein, in einem nachfolgenden gesonderten Verfahren die Missbräuchlichkeit der Klauseln des Hypothekendarlehensvertrags geltend zu machen, um Ersatz des finanziellen Schadens zu erlangen, der durch die Anwendung dieser Klauseln verursacht wurde.

Verbundene Rechtssachen C-693/19 SPV Project 1503 und C-831/19 Banco di Desio e della Brianza u. a.

Diese Ersuchen ergingen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, in denen sich SPV Project 1503 Srl und Dobank SpA als Bevollmächtigte der Unicredit SpA auf der einen sowie YB auf der anderen Seite bzw. die Banco di Desio e della Brianza SpA und weitere Kreditinstituten auf der einen sowie YX und ZW auf der anderen Seite gegenüberstehen. Die Rechtsstreitigkeiten betreffen Zwangsvollstreckungsverfahren auf der Grundlage rechtskräftig gewordener Vollstreckungstitel. Die italienischen Vollstreckungsgerichte werfen die Frage nach der Missbräulichkeit der Vertragsstrafeklausel und der Verzugszinsklausel der Darlehensverträge sowie bestimmter Klauseln der Bürgschaftsverträge auf. Auf der Grundlage dieser Verträge haben die Gläubiger den Erlass von Mahnbescheiden erwirkt, die unanfechtbar geworden sind. Die Gerichte weisen allerdings darauf hin, dass sich nach den Grundsätzen des innerstaatlichen Verfahrensrechts in dem Fall, dass der Verbraucher keinen Widerspruch einlege, die Rechtskraft eines Mahnbescheids darauf erstrecke, dass die Klauseln des Bürgschaftsvertrags nicht missbräuchlich seien, und zwar selbst dann, wenn der Richter, der den Mahnbescheid erlassen habe, die Missbräuchlichkeit dieser Klauseln in keiner Weise ausdrücklich geprüft habe.

Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass eine solche nationale Regelung die dem nationalen Gericht obliegende Pflicht aushöhlen kann, von Amts wegen die etwaige Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln zu prüfen. Die an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu stellende Anforderung verlangt, dass das Vollstreckungsgericht – auch erstmals – beurteilen darf, ob Vertragsklauseln womöglich missbräuchlich sind, die als Grundlage für einen von einem Gericht auf Antrag eines Gläubigers erlassenen Mahnbescheid gedient haben, gegen den der Schuldner keinen Widerspruch eingelegt hat.

Rechtssache C-725/19 Impuls Leasing România

Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen IO und der Impuls Leasing România IFN SA über eine Beschwerde gegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Bezug auf einen Leasingvertrag. Das rumänische Gericht weist darauf hin, dass der Leasingvertrag, auf dessen Grundlage das Vollstreckungsverfahren eingeleitet worden sei, bestimmte Klauseln
enthalte, die als missbräuchlich angesehen werden könnten.

Die rumänische Regelung gestattet es indessen dem Gericht, das mit einer Beschwerde gegen die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung befasst ist, nicht, von Amts wegen oder auf Antrag des Verbrauchers zu prüfen, ob die Vertragsklauseln eines Leasingvertrags missbräulich sind, der zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden geschlossen wurde und der einen vollstreckbaren Titel darstellt, weil es einen ordentlichen Rechtsbehelf gibt, mit dem die Missbräuchlichkeit der Klauseln eines solchen Vertrags von dem Gericht, das mit diesem Rechtsbehelf befasst wird, überprüft werden kann. Zwar steht dem Gericht des Erkenntnisverfahrens, das mit einem Rechtsbehelf befasst ist, der sich vom demjenigen unterscheidet, der das Vollstreckungsverfahren betrifft, die Möglichkeit zu Gebote, das Vollstreckungsverfahren auszusetzen. Der Verbraucher, der die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens beantragt, ist jedoch verpflichtet, eine Sicherheitsleistung zu stellen, die auf der Grundlage des Gegenstandswerts des Rechtsbehelfs berechnet wird.

Der Gerichtshof hält es allerdings für wahrscheinlich, dass ein in Zahlungsverzug geratener Schuldner nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, um die erforderliche Sicherheitsleistung zu stellen. Zudem dürfen derartige Kosten den Verbraucher nicht davon abhalten, das Gericht anzurufen, um die etwaige Missbräuchlichkeit der Klauseln prüfen zu lassen.
Dies scheint indessen umso mehr dann der Fall zu sein, wenn der Gegenstandswert der eingelegten Rechtsbehelfe den Gesamtwert des Vertrags bei weitem übersteigt. Der Gerichtshof ist daher der Auffassung, dass das Unionsrecht einer solchen nationalen Regelung entgegensteht.




Bundeskartellamt: Meta (Facebook) - Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb nach § 19a GWB

Das Bundeskartellamt hat hinsichtlich Meta (Facebook) die überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb nach § 19a GWB festgestellt.

Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:

Für Meta (vormals Facebook) gelten neue Regeln – Bundeskartellamt stellt „überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb“ fest

Das Bundeskartellamt hat festgestellt, dass die Meta Platforms, Inc., Menlo Park, USA ein Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb ist. Damit sind die Instrumente der erweiterten Missbrauchsaufsicht auf Meta anwendbar, die der deutsche Gesetzgeber Anfang 2021 eingeführt hat.

Die neuen Regeln des § 19a GWB erlauben dem Bundeskartellamt ein früheres und effektiveres Eingreifen gegen Verhaltensweisen großer Digitalkonzerne. Das Bundeskartellamt kann Unternehmen, deren überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb es festgestellt hat, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Durch das von Meta geschaffene digitale Ökosystem mit einer sehr großen Zahl von Nutzenden ist das Unternehmen der zentrale Spieler im Bereich der sozialen Medien. Nach unseren Ermittlungen ist Meta damit auch im kartellrechtlichen Sinne ein Unternehmen von überragender marktübergreifender Bedeutung. Wir haben seine Position nach zeitweilig streitigem Verfahren jetzt förmlich nachgewiesen. Unsere Feststellung versetzt uns in die Lage, gegen etwaige Wettbewerbsverstöße deutlich effizienter vorzugehen, als wir das mit den bislang verfügbaren Instrumenten tun konnten. Meta hat auf Rechtsmittel gegen unsere Entscheidung verzichtet.“

Meta ist ein international tätiger Digitalkonzern, der insbesondere für seine Dienste Facebook (einschließlich des Messengers), Instagram und WhatsApp bekannt ist. Mit Features wie den „Stories“ oder den „Reels“ und Angeboten wie „Watch“ oder „Shops“ erweitert Meta sein Angebot fortlaufend. Als großes Zukunftsprojekt investiert Meta insbesondere in Hard- und Software für ein „Metaverse“, eine umfassende virtuelle 3D-Welt. Dafür hat Meta beispielsweise den 3D-Brillen- und Technologiehersteller Oculus (jetzt: Meta Quest) zugekauft.

Die Dienste von Meta werden weltweit von über 3,5 Milliarden Menschen genutzt. Auch in Deutschland nutzen weite Teile der Bevölkerung die Meta-Dienste. Aufgrund der vielen Nutzenden und der Daten, über die Meta zu ihnen verfügt, ist das Unternehmen zugleich der führende Anbieter im Bereich von Social-Media-Werbung. Aus dieser finanziert sich das Unternehmen bislang nahezu ausschließlich. Im Jahr 2021 ist der Gewinn von Meta im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um mehr als ein Drittel auf fast 40 Milliarden USD gestiegen.

Insgesamt betreibt Meta damit ein starkes, werbefinanziertes Ökosystem im Bereich der sozialen Medien, das sich immer weiter ausdehnt (siehe zur Veranschaulichung die beigefügte Grafik ).

Wegen wettbewerblicher Bedenken hat das Bundeskartellamt Meta bereits Anfang 2019 die Zusammenführung von Nutzerdaten aus verschiedenen Quellen untersagt (siehe Pressemitteilung vom 07. Februar 2019). Der Rechtsstreit mit Meta zu dieser Entscheidung ist jedoch bis heute vor den Gerichten anhängig. Außerdem führt das Bundeskartellamt bereits seit 2020 ein Verfahren gegen Meta wegen der Verknüpfung des 3D-Brillen-Angebots von Meta Quest (vormals Oculus) mit Facebook (siehe Pressemitteilung vom 10. Dezember 2020).

Mit der Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung Metas für den Wettbewerb gemäß § 19a Abs. 1 GWB sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, solche Verfahren zukünftig schneller abschließen zu können.

Die Entscheidung ist den gesetzlichen Vorgaben entsprechend auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. In dieser Zeit unterliegt Meta der besonderen Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt gemäß § 19a Abs. 2 GWB.

Meta hat erklärt, gegen den Beschluss kein Rechtsmittel einzulegen und die Normadressatenstellung im Sinne von § 19a Abs. 1 GWB nicht zu bestreiten. Meta erklärt damit allerdings ausdrücklich nicht, dass es zwingend mit allen von der Beschlussabteilung in der Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen übereinstimmt.

Zu seiner Entscheidung wird das Bundeskartellamt zeitnah einen Fallbericht veröffentlichen.

Hintergrund:

Seit Anfang 2021 sind mit der 10. GWB-Novelle neue Vorschriften im Bereich der Missbrauchsaufsicht in Kraft getreten, durch die das Bundeskartellamt schneller und effektiver gegen große Digitalkonzerne vorgehen kann. Das Amt hat seitdem verschiedene neue Verfahren gegen Google, Amazon, Meta (vormals Facebook) und Apple eingeleitet. Die überragende marktübergreifende Bedeutung von Alphabet / Google hat das Amt bereits Ende 2021 rechtskräftig festgestellt (siehe Pressemitteilung vom 5. Januar 2022).




EU-Kommission: Missbrauch marktbeherrschender Stellung seitens Apple durch Apple Pay auf iOS-Geräten - NFC und "tap and go"

EU-Kommission geht nach vorläufiger Auffassung vom einem Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung seitens Apple durch Apple Pay auf iOS-Geräten aus (insbesondere NFC und "tap and go").

Die Pressemitteilung des EU-Kommission:

Kartellrecht: Kommission übermittelt Apple Mitteilung der Beschwerdepunkte zu Apple-Pay-Praktiken

Die Europäische Kommission hat Apple von ihrer vorläufigen Auffassung in Kenntnis gesetzt, dass das Unternehmen seine beherrschende Stellung auf den Märkten für mobile Geldbörsen auf iOS-Geräten missbraucht hat. Durch Beschränkung des Zugangs zu einer Standardtechnologie für kontaktlose Zahlungen mit mobilen Geräten in Geschäften („NFC“ (Nahfeldkommunikation) oder „tap and go“) schränkt Apple den Wettbewerb im Bereich der mobilen Geldbörsen auf iOS-Geräten ein.

Die Kommission beanstandet, dass Apple die Entwickler von Apps für mobile Geldbörsen daran hindert, auf iOS-Geräten auf die erforderliche Hardware und Software (sogenannte „NFC-Inputs“) zuzugreifen, wovon die unternehmenseigene Lösung, Apple Pay, profitiert.

Die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission, Margrethe Vestager, erklärte dazu: „Mobile Zahlungen gewinnen in der digitalen Wirtschaft immer mehr an Bedeutung. Für die Integration der europäischen Zahlungsverkehrsmärkte ist es wichtig, dass den Verbrauchern die Vorteile eines wettbewerbsbasierten und innovativen Marktumfelds zugutekommen. Uns liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass Apple den Zugang Dritter zu Schlüsseltechnologien beschränkt hat, die für die Entwicklung konkurrierender mobiler Geldbörsen für Apple-Geräte benötigt werden. In unserer Mitteilung der Beschwerdepunkte stellen wir vorläufig fest, dass Apple den Wettbewerb zugunsten seiner eigenen Lösung Apple Pay beschränkt haben könnte. Ein solches Verhalten würde einen Verstoß gegen unsere Wettbewerbsvorschriften darstellen.“

Mitteilung der Beschwerdepunkte zu Zugangsbeschränkungen von Apple in Bezug auf mobile Zahlungstechnologien

Apple Pay ist die unternehmenseigene mobile Geldbörse auf iPhones und iPads, mit der mobile Zahlungen in Ladengeschäften und im Internet vorgenommen werden können. So bilden iPhones, iPads und die Apple-eigene Software ein „geschlossenes Ökosystem“. In diesem Ökosystem kontrolliert Apple alle Aspekte der Nutzererfahrung, einschließlich des Zugangs alternativer Entwickler mobiler Geldbörsen.

Die Kommission ist zu der vorläufigen Auffassung gelangt, dass Apple auf dem Markt für intelligente Mobilgeräte über beträchtliche Marktmacht verfügt und auf den relevanten Märkten für mobile Geldbörsen eine beherrschende Stellung innehat.

Denn Apple Pay ist die einzige mobile Geldbörse, die auf iOS-Geräten auf die erforderlichen NFC-Inputs zugreifen kann, weil Apple diese Inputs Drittentwicklern von Apps für mobile Geldbörsen nicht zur Verfügung stellt. Die NFC-Technologie „tap and go“ für Zahlungen in Geschäften ist in Apple-Mobilgeräten eingebunden. Mithilfe dieser Technologie kann ein Mobiltelefon mit Zahlungsterminals in Geschäften kommunizieren. Über die standardisierte NFC-Technologie, die an fast allen Zahlungsterminals in Geschäften nutzbar ist, können mobile Zahlungen am einfachsten und am sichersten vorgenommen werden. NFC ist nicht nur einfacher und sicherer, sondern kann in Europa auch in mehr Verkaufsstellen genutzt werden als andere Lösungen.

Die Kommission vertritt die vorläufige Auffassung, dass die beherrschende Stellung von Apple auf dem Markt für mobile Geldbörsen in seinem Betriebssystem iOS den Wettbewerb beschränkt, weil allein Apple Pay Zugang zur NFC-Technologie hat. Damit werden andere Wettbewerber aus dem Markt für mobile Geldbörsen auf iPhones ausgeschlossen, was die Innovationstätigkeit hemmt und die Auswahl für die Verbraucher verringert. Sollten sich die Bedenken der Kommission bestätigen, würde dies einen Verstoß gegen Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) darstellen, nach dem der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verboten ist.

Die Übermittlung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte greift dem Ergebnis des Verfahrens nicht vor.

In der heutigen Mitteilung der Beschwerdepunkte äußert die Kommission lediglich Bedenken hinsichtlich des Umstands, dass Drittentwicklern mobiler Geldbörsen für Zahlungen in Geschäften der Zugang zu NFC-Inputs verwehrt wird. Zwei andere Aspekte – Online-Beschränkungen sowie die mutmaßliche Verwehrung des Zugangs zu Apple Pay für bestimmte Produkte von Wettbewerbern –, die die Kommission als potenziell bedenklich einstufte, als sie die Einleitung der eingehenden Untersuchung der Praktiken von Apple in Bezug auf Apple Pay am 16. Juni 2020 bekannt gab, wurden hingegen nicht in die Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgenommen.

Hintergrund

Artikel 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung. Wie diese Bestimmungen umzusetzen sind, ist in der EU‑Kartellverordnung (Verordnung Nr. 1/2003 des Rates) festgelegt, die auch von den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten angewendet werden kann.

Die Mitteilung der Beschwerdepunkte ist ein förmlicher Schritt bei Untersuchungen der Kommission im Falle mutmaßlicher Verstöße gegen die EU-Kartellvorschriften, mit dem sie die Parteien schriftlich über die gegen sie vorliegenden Beschwerdepunkte in Kenntnis setzt. Die Unternehmen können dann die Untersuchungsakte der Kommission einsehen, sich schriftlich dazu äußern und eine mündliche Anhörung beantragen, in der sie gegenüber Vertretern der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden zu dem Fall Stellung nehmen. Weder die Übermittlung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte noch die Einleitung eines förmlichen Kartellverfahrens greift dem Untersuchungsergebnis vor.

Es gibt keine verbindlichen Fristen für den Abschluss einer kartellrechtlichen Untersuchung. Die Dauer einer solchen Untersuchung hängt von verschiedenen Faktoren ab, u. a. von der Komplexität des Falls, dem Umfang, in dem die betreffenden Unternehmen mit der Kommission kooperieren, und der Ausübung der Verteidigungsrechte.


Weitere Informationen finden Sie hier:

EuG: Entscheidung der EU-Kommission über Bußgeld in Höhe von 1,06 Mrd. Euro gegen Intel teilweise nichtig

EuG
Urteil in der Rechtssache
T-286/09 RENV
Intel Corporation / Kommission


Das EuG hat entschieden, dass die Entscheidung der EU-Kommission über ein Bußgeld in Höhe von 1,06 Mrd. Euro gegen Intel teilweise nichtig

Die Pressemitteilung des EuG:

Die Entscheidung, mit der die Kommission gegen Intel eine Geldbuße in Höhe von 1,06 Mrd. Euro verhängt hat, wird vom Gericht teilweise für nichtig erklärt

Die Prüfung, die die Kommission durchgeführt hat, ist unvollständig und beweist rechtlich nicht hinreichend, dass die streitigen Rabatte möglicherweise oder wahrscheinlich wettbewerbswidrige Wirkungen hatten

Mit Entscheidung vom 13. Mai 2009 verhängte die Europäische Kommission gegen den Chiphersteller Intel eine Geldbuße in Höhe von 1,06 Mrd. Euro, weil das Unternehmen von Oktober 2002 bis Dezember 2007 seine beherrschende Stellung auf dem Weltmarkt für x86 Prozessoren missbräuchlich ausgenutzt habe, indem es eine Strategie zur Verdrängung seiner Wettbewerber vom Markt umgesetzt habe.

Der Missbrauch habe in zwei Verhaltensweisen gegenüber den Handelspartnern bestanden, nämlich in reinen Beschränkungen und bedingten Rabatten. Was Letztere angehe, habe Intel vier strategisch wichtigen Computerherstellern (Dell, Lenovo, Hewkett-Packard [HP] und NEC) Rabatte unter der Bedingung gewährt, dass sie alle oder nahezu alle ihre x86-Prozessoren bei ihr bezögen.

Außerdem habe Intel an ein auf Mikroelektronikgeräte spezialisiertes europäisches Einzelhandelsunternehmen (Media-Saturn-Holding) Zahlungen unter der Bedingung geleistet, dass es ausschließlich mit x86-Prozessoren von ihr ausgerüstete Computer verkaufe. Diese Rabatte und Zahlungen (im Folgenden: streitige Rabatte) hätten eine Treuebindung der vier Computerhersteller und von Media-Saturn erzeugt und so die Fähigkeit der Wettbewerber von Intel, einen auf der Leistung ihrer x86-Prozessoren beruhenden Wettbewerb auszutragen, erheblich geschwächt. Das wettbewerbswidrige Verhalten von Intel habe somit dazu beigetragen, die Auswahl der Verbraucher und die Anreize für Innovation zu verringern.

Intel erhob gegen die Entscheidung der Kommission Klage. Die Klage wurde vom Gericht mit Urteil vom 12. Juni 2014 in vollem Umfang abgewiesen. Intel legte gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel ein. Mit Urteil vom 6. September 2017 hob der Gerichtshof das Urteil auf und wies die Sache an das Gericht zurück.

Intel hatte seinen Antrag auf Aufhebung des ersten Urteils insbesondere damit begründet, dass das Gericht bei der Untersuchung der streitigen Rabatte rechtsfehlerhaft nicht sämtliche Umstände des konkreten Falles berücksichtigt habe. Hierzu hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Gericht wie die Kommission davon ausgegangen sei, dass die Treuerabatte, die von einem Unternehmen in beherrschender Stellung gewährt worden seien, bereits aufgrund ihres Wesens geeignet gewesen seien, den Wettbewerb zu beschränken, so dass es nicht erforderlich sei, sämtliche Umstände des konkreten Falles zu untersuchen oder einen AEC-Test (as efficient competitor test) durchzuführen. In ihrer Entscheidung hat die Kommission die Umstände des konkreten Falles dennoch eingehend untersucht. Sie ist zu dem Schluss gelangt, dass ein ebenso leistungsfähiger Wettbewerber Preise hätte anwenden müssen, die nicht rentabel gewesen wären, und dass die streitigen Rabatte daher geeignet gewesen seien, einen solchen Wettbewerber vom Markt zu verdrängen. Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass dem AEC‑ Test eine tatsächliche Bedeutung für die von der Kommission vorgenommene Beurteilung der Frage zugekommen ist, ob die in Rede stehenden Verhaltensweisen geeignet waren, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen, und dass das Gericht deshalb verpflichtet war, das gesamte Vorbringen von Intel zum AEC-Test und dessen Durchführung durch die Kommission zu prüfen. Da das Gericht dies nicht getan hat, hat der Gerichtshof das erste Urteil aufgehoben und die Sache zur Prüfung der Frage, ob die streitigen Rabatte im Hinblick auf das Vorbringen von Intel geeignet waren, den Wettbewerb zu beschränken, an das Gericht zurückverwiesen. Mit seinem Urteil vom 26. Januar 2022, das nach der Zurückverweisung ergeht, erklärt das Gericht die angefochtene Entscheidung insoweit teilweise für nichtig, als die streitigen Rabatte als Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV eingestuft werden und gegen Intel wegen sämtlicher als Missbrauch eingestufter Verhaltensweisen eine Geldbuße verhängt wird.

Würdigung durch das Gericht

Zunächst geht das Gericht auf die Frage ein, welchen Gegenstand der Rechtsstreit nach der Zurückverweisung hat. Hierzu stellt es fest, dass der einzige Fehler, der die Aufhebung des ersten Urteils gerechtfertigt hat, darin besteht, dass das Gericht im ersten Urteil das Vorbringen von Intel unberücksichtigt gelassen hat, mit dem der von der Kommission durchgeführte AEC-Test beanstandet wird. Das Gericht ist deshalb der Auffassung, dass es sich bei seiner Prüfung sämtliche Feststellungen, die nicht unter dem vom Gerichtshof festgestellten Fehler leiden, zu eigen machen kann. Es handelt sich dabei zum einen um die Feststellungen, die im ersten Urteil zu den reinen Beschränkungen und deren Rechtswidrigkeit gemäß Art. 102 AEUV getroffen worden sind. Nach Auffassung des Gerichts hat der Gerichtshof die Unterscheidung, die in der angefochtenen Entscheidung zwischen den Verhaltensweisen, die reine Beschränkungen darstellen, und den übrigen Verhaltensweisen von Intel, auf die allein sich der AEC-Test bezieht, im Grundsatz nämlich nicht beanstandet. Zum anderen macht sich das Gericht die Ausführungen im ersten Urteil zu eigen, mit denen festgestellt worden ist, dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung das Vorliegen der streitigen Rabatte nachgewiesen hat.

Sodann prüft das Gericht den Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung. Es stellt als Erstes die Methode dar, die Gerichtshof für die Beurteilung der Frage, ob ein Rabattsystem geeignet ist, den Wettbewerb zu beschränken, vorgegeben hat. Es führt insoweit aus, dass ein Rabattsystem, das von einem Unternehmen eingerichtet wurde, das auf dem Markt eine beherrschende Stellung innehat, als Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden kann, wenn aufgrund seiner Art vermutet werden kann, dass es wettbewerbsbeschränkende Wirkungen hat. Dabei handelt es sich jedoch bloß um eine Vermutung. Die Kommission ist deshalb nicht von vornherein von ihrer Verpflichtung zur Prüfung der wettbewerbswidrigen Auswirkungen des Rabattsystems befreit. Macht ein Unternehmen in beherrschender Stellung im Verwaltungsverfahren, gestützt auf Beweise, geltend, dass sein Verhalten nicht geeignet gewesen sei, den Wettbewerb zu beschränken und insbesondere die beanstandeten Verdrängungswirkungen zu erzeugen, hat die Kommission zu prüfen, ob das Rabattsystem geeignet ist, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen. Dabei hat die Kommission nicht nur das Ausmaß der beherrschenden Stellung des Unternehmens auf dem relevanten Markt und den Umfang der Markterfassung durch die beanstandete Verhaltensweise, die Bedingungen und Modalitäten der Gewährung der in Rede stehenden Rabatte sowie deren Dauer und Höhe zu prüfen, sondern auch, ob eine eventuelle Strategie zur Verdrängung der mindestens ebenso effizienten Wettbewerber vorliegt. Hat die Kommission einen AEC-Test durchgeführt, gehört auch dieser zu den Gesichtspunkten, die sie bei der Beurteilung der Frage, ob ein Rabattsystem geeignet ist, den Wettbewerb zu beschränken, zu berücksichtigen hat.

Als Zweites prüft das Gericht zunächst, ob sich die Kommission bei ihren Ausführungen zur Eignung der streitigen Rabatte, den Wettbewerb zu beschränken, an die beschriebene Methode gehalten hat. Das Gericht stellt insoweit fest, dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung rechtsfehlerhaft angenommen hat, dass der AEC-Test, auch wenn sie ihn durchgeführt habe, nicht erforderlich gewesen sei, um feststellen zu können, dass die streitigen Rabatte von Intel missbräuchlich gewesen seien. Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass es sich nicht auf diese Feststellung beschränken kann. Da im Rechtsmittelurteil festgestellt wird, dass dem AEC-Test für die von der Kommission vorgenommene Beurteilung der Frage, ob die in Rede stehenden Rabatte geeignet waren, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen, eine tatsächliche Bedeutung zukommt, war das Gericht verpflichtet, das gesamte Vorbringen von Intel zum AEC-Test zu prüfen. Da die Prüfung der Frage, ob die streitigen Rabatte geeignet sind, den Wettbewerb zu beschränken, im Rahmen des Nachweises des Vorliegens einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht, hier des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung, erfolgt, macht das Gericht als Drittes Ausführungen zu den Regeln, die für die Beweislast und das Beweismaß gelten.

Wegen des Grundsatzes der Unschuldsvermutung, der auch bei einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht gilt, hat die Kommission das Vorliegen einer solchen Zuwiderhandlung nachzuweisen, wenn nötig, durch ein Bündel genauer und übereinstimmender Indizien, so dass hinsichtlich des Vorliegens der Zuwiderhandlung kein Zweifel verbleibt. Macht die Kommission geltend, dass der festgestellte Sachverhalt nur durch die Existenz eines wettbewerbswidrigen Verhaltens erklärt werden könne, ist das Vorliegen der betreffenden Zuwiderhandlung nicht hinreichend bewiesen, wenn es den betroffenen Unternehmen gelingt, eine andere plausible Erklärung zu liefern. Stützt sich die Kommission hingegen auf Beweismittel, die grundsätzlich geeignet sind, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung zu beweisen, obliegt es den betroffenen Unternehmen, darzutun, dass deren Beweiswert nicht ausreichend ist.

Als Viertes untersucht das Gericht nach diesen Regeln das Vorbringen zu den Fehlern, die der Kommission beim AEC-Test unterlaufen sein sollen. Das Gericht stellt insoweit im Hinblick auf das Vorbringen von Intel zur Beurteilung der einschlägigen Kriterien durch die Kommission fest, dass diese bei den einzelnen Rabatten rechtlich nicht hinreichend dargetan hat, dass sie geeignet gewesen wären, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen.

Erstens stellt das Gericht zu dem in Bezug auf Dell durchgeführten AEC-Test fest, dass die Kommission unter den Umständen des vorliegenden Falles bei der Ermittlung des „bestreitbaren Teils“ zwar die bekannten Daten anderer Wirtschaftsteilnehmer als des Unternehmens in beherrschender Stellung heranziehen durfte. Im Hinblick auf das entsprechende Vorbringen von Intel gelangt das Gericht jedoch zu dem Schluss, dass dieses Vorbringen geeignet ist, bei ihm Zweifel hinsichtlich der Frage zu begründen, ob der bestreitbare Teil richtig angesetzt worden ist. Es stellt deshalb fest, dass die Beweise, aufgrund derer die Kommission festgestellt hat, dass die Dell gewährten Rabatte geeignet seien, während des gesamten relevanten Zeitraums Wettbewerber vom Markt zu verdrängen, nicht ausreichen. Zweitens gilt dasselbe nach Auffassung des Gerichts auch für die Ausführungen zu den HP gewährten Rabatten, bei denen nicht für den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung nachgewiesen worden ist, dass sie Wettbewerber vom Markt verdrängt hätten. Drittens stellt das Gericht fest, dass die Ausführungen der Kommission zu den Rabatten, die Gesellschaften des NEC-Konzerns unter verschiedenen Bedingungen gewährt worden sind, unter zwei Fehlern leiden. Der eine betrifft den Wert der bedingten Rabatte, der andere die unzureichend begründete Extrapolation der für ein einziges Quartal geltenden Ergebnisse auf den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung. Viertens stellt das Gericht fest, dass auch nicht hinreichend nachgewiesen ist, dass die Lenovo gewährten Rabatte geeignet gewesen wären, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen. Denn der Kommission sind bei der Bezifferung der nicht in Geldleistung bestehenden Vorteile Fehler unterlaufen. Fünftens kommt das Gericht auch bei dem in Bezug auf Media-Saturn durchgeführten AEC-Test zu demselben Ergebnis. Das Gericht führt insoweit aus, dass die Kommission in keiner Weise dargelegt hat, warum es bei der Prüfung der Media-Saturn gewährten Zahlungen gerechtfertigt gewesen wäre, die für ein Quartal geltenden Ergebnisse, zu denen sie bei der Analyse der NEC gewährten Rabatte gelangt ist, auf den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung zu extrapolieren.

Als Fünftes prüft das Gericht, ob die Kommission in der angefochtenen Entscheidung alle Kriterien hinreichend berücksichtigt hat, nach denen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu beurteilen ist, ob eine Preispolitik geeignet ist, einen Wettbewerber vom Markt zu verdrängen. Das Gericht stellt insoweit fest, dass die Kommission das Kriterium des Umfangs der Markterfassung der angefochtenen Verhaltensweise nicht hinreichend und die Dauer der Rabatte nicht richtig geprüft hat.

Die Prüfung, die die Kommission durchgeführt hat, ist mithin unvollständig. Jedenfalls hat die Kommission damit rechtlich nicht hinreichend dargetan, dass die streitigen Rabatte möglicherweise oder wahrscheinlich wettbewerbswidrige Wirkungen gehabt hätten. Das Gericht erklärt die angefochtene Entscheidung daher insoweit für nichtig, als in ihr davon ausgegangen wird, dass diese Verhaltensweisen einen Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV darstellten.

Was die Auswirkungen dieser teilweisen Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung auf die Höhe der Geldbuße angeht, die die Kommission gegen Intel verhängt hat, weist das Gericht darauf hin, dass es nicht in der Lage ist, zu bestimmen, welcher Betrag der Geldbuße allein auf die reinen Beschränkungen entfällt. Deshalb erklärt es den Artikel der angefochtenen Entscheidung, mit dem gegen Intel wegen der festgestellten Zuwiderhandlung eine Geldbuße in Höhe von 1,06 Mrd. Euro verhängt wird, in vollem Umfang für nichtig.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BKartA: Google / Alphabet - Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb nach § 19a GWB

BKartA
Entscheidung vom 30.12.2021
B7 – 61/21

Das BKartA hat hinsichtlich Google bzw. Alphabet die überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb nach § 19a GWB festgestellt.

Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:

Alphabet/Google ist ein Anwendungsfall für neue Aufsicht über große Digitalkonzerne - Bundeskartellamt stellt „überragende marktübergreifende Bedeutung“ fest

Das Bundeskartellamt hat entschieden, dass die Alphabet Inc., Mountain View, USA und damit auch das Tochterunternehmen Google der erweiterten Missbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörde unterfällt.

Eine im Januar 2021 in Kraft getretene neue Vorschrift des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§ 19a GWB) erlaubt dem Bundeskartellamt ein früheres und effektiveres Eingreifen, insbesondere gegen Verhaltensweisen großer Digitalkonzerne. Das Bundeskartellamt kann in einem zweistufigen Vorgehen Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Seit Januar 2021 haben wir ein neues Instrument zur Aufsicht über große Digitalkonzerne. Nach weniger als einem Jahr haben wir nun die erste förmliche Entscheidung auf der Basis dieser Vorschrift getroffen und eine überragende marktübergreifende Bedeutung von Google festgestellt. Das ist ein ganz wesentlicher Schritt, denn auf dieser Grundlage kann das Bundeskartellamt jetzt konkrete, für den Wettbewerb schädliche Verhaltensweisen aufgreifen. Wir haben bereits damit begonnen, uns mit der Verarbeitung persönlicher Daten durch Google sowie dem Thema Google News Showcase intensiver zu befassen. Parallel dazu betreiben wir mit Nachdruck weitere Verfahren gegen Amazon, Apple und Meta, ehemals Facebook.“

Google ist eine multinationale Unternehmensgruppe, die eine Vielzahl von Internetdiensten und Softwareprodukten anbietet. Obergesellschaft ist die Alphabet Inc. Zu den bekanntesten Diensten und Produkten Googles gehören die Google-Suchmaschine, der Karten- und Navigationsdienst Google Maps, der Videodienst YouTube, der Browser Chrome, das Betriebssystem Android, der App-Store Play Store und der E-Mail-Dienst Gmail. Finanziert werden die für den privaten Nutzer im Regelfall kostenlosen Dienste ganz überwiegend über Werbung. Daneben ist Google u.a. mit einer Vielzahl verschiedener Werbedienste zur Vermarktung seiner eigenen und der Online-Werbeflächen Dritter sowie damit in Zusammenhang stehender Dienstleistungen wie etwa dem Tracking von Nutzerverhalten tätig.

Nach Auffassung des Bundeskartellamtes verfügt Google über eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb im Sinne des § 19a Abs. 1 GWB. Das Unternehmen verfügt über eine wirtschaftliche Machtposition, die ihm vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte, marktübergreifende Verhaltensspielräume eröffnet.

In Deutschland hat Google mit Marktanteilen von über 80 Prozent eine beherrschende Stellung auf dem Markt für allgemeine Suchdienste und ist der wesentliche Anbieter für suchgebundene Werbung. Außerdem ist Google in Deutschland marktstarker Anbieter einer breiten Vielzahl von Diensten und erreicht hohe Nutzerreichweiten. Auch bei der Vermarktung von Online-Werbung verfügt Google über reichweitenstarke Werbedienste, die die gesamte Wertschöpfungskette abdecken.

Weiterhin hat Google in seinem digitalen Ökosystem bedeutenden Einfluss auf den Zugang anderer Unternehmen zu seinen Nutzern und Werbekunden (z.B. über die Google-Suche, YouTube, Android, den Play Store oder seine Werbedienste) und kann marktübergreifend gegenüber anderen Unternehmen die Regeln und Rahmenbedingungen vorgeben. Insoweit kann von einem „Infrastrukturcharakter“ dieser Dienste gesprochen werden, weil eine Vielzahl anderer Leistungen weitgehend nur darüber erbracht werden können bzw. diese Dienste eine hohe Bedeutung für die wirtschaftlichen Aktivitäten Dritter haben.

Insbesondere auf Grund der hohen Reichweiten seiner Dienste verfügt Google auch über einen herausragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten. Die große Nutzerbasis Googles, die weite Verbreitung seiner Werbedienste und die Vielzahl der Daten, die Google über Nutzer - dienste- und teilweise auch geräteübergreifend - erheben kann, ermöglichen Google nicht nur die Vermarktung zielgerichteter Werbung, sondern auch die stetige Fortentwicklung seiner Dienste. Die wettbewerblichen Vorteile aus diesem Datenzugang sowie andere Ressourcen, wie etwa die Marke „Google“ können als vielfältig nutzbare Einsatzfaktoren („shareable inputs“) marktübergreifend eingesetzt werden. Dies erleichtert es, Dienste zu betreiben, zu verbessern, zu erweitern und völlig neue Dienste zu entwickeln. Schließlich kommt Googles überragende Bedeutung für den Wettbewerb in seiner Marktkapitalisierung zum Ausdruck, die weltweit eine der höchsten ist und Googles große Finanzkraft widerspiegelt.

Die Entscheidung des Bundeskartellamtes ist entsprechend den gesetzlichen Vorgaben auf fünf Jahre befristet. Innerhalb dieses Zeitraumes unterliegt Google in Deutschland der besonderen Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt nach § 19a Abs. 2 GWB.


Den Fallbericht des Bundeskartellamts finden Sie hier:


EuG: Geldbuße von 2,42 Mrd EURO der EU-Kommission gegen Google wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung im Zusammenhang mit Google Shopping bestätigt

EuG
Urteil vom 10.11.2021
T-612/17
Google and Alphabet v Commission (Google Shopping)

Das Europäische Gericht (EuG) hat die Geldbuße von 2,42 Mrd. EURO der EU-Kommission gegen Google wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung im Zusammenhang mit Google Shopping bestätigt (siehe auch zum Thema Materialien der EU-Kommission: Geldbuße von 2,42 Mrd EURO gegen Google wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung - Vorzugsbehandlung des eigenen Preisvergleichsdienstes).

Die Pressemitteilung des EuG:

The General Court largely dismisses Google’s action against the decision of the Commission finding that Google abused its dominant position by favouring its own comparison shopping service over competing comparison shopping services

The General Court upholds the fine of €2.42 billion imposed on Google.

By decision of 27 June 2017, the Commission found that Google had abused its dominant position on the market for online general search services in 13 countries in the European Economic Area, by favouring its own comparison shopping service, a specialised search service, over competing comparison shopping services. The Commission found that the results of product searches made using Google’s general search engine were positioned and displayed in a more eye-catching manner when the results came from Google’s own comparison shopping service than when they came from competing comparison shopping services. Moreover, the latter results, which appeared as simple generic results (displayed in the form of blue links), were accordingly, unlike results from Google’s comparison shopping service, prone to being demoted by adjustment algorithms in
Google’s general results pages.

In respect of that infringement, the Commission imposed a pecuniary penalty on Google of €2 424 495 000, of which €523 518 000 jointly and severally with Alphabet, its parent company. Google and Alphabet brought an action against the Commission’s decision before the General Court of the European Union. By its judgment today, the General Court dismisses for the most part the action brought by the two companies, and upholds the fine imposed by the Commission.

I. The General Court recognises the anticompetitive nature of the practice at issue First of all, the General Court considers that an undertaking’s dominant position alone, even one on the scale of Google’s, is not a ground of criticism of the undertaking concerned, even if it is planning to expand into a neighbouring market. However, the General Court finds that, by favouring its own comparison shopping service on its general results pages through more favourable display and positioning, while relegating the results from competing comparison services in those pages by means of ranking algorithms, Google departed from competition on the merits. On account of three specific circumstances, namely (i) the importance of the traffic generated by Google’s general search engine for comparison shopping services; (ii) the behaviour of users, who typically concentrate on the first few results; and (iii) the large proportion of ‘diverted’ traffic in the traffic of comparison shopping services and the fact that it cannot be effectively replaced, the practice at issue was liable to lead to a weakening of competition on the market.

The General Court also notes that, given the universal vocation of Google’s general search engine, which is designed to index results containing any possible content, the promotion on Google’s results pages of only one type of specialised result, namely its own, involves a certain form of abnormality. A general search engine is infrastructure that is, in principle, open, the rationale and value of which lie in its capacity to be open to results from external (third-party) sources and to display those sources, which enrich and enhance the credibility of the search engine.

Next, the General Court considers that the present case relates to the conditions of supply by Google of its general search service by means of access to general results pages for competing comparison shopping services. It states, in that respect, that the general results page has characteristics akin to those of an essential facility inasmuch as there is currently no actual or
potential substitute available that would enable it to be replaced in an economically viable manner on the market. However, the General Court confirms that not every practice relating to access to such a facility necessarily means that it must be assessed in the light of the conditions applicable to the refusal to supply set out in the judgment in Bronner, on which Google relied in support of its arguments. In that context, the General Court considers that the practice at issue is based not on a refusal to supply but on a difference in treatment by Google for the sole benefit of its own comparison service, and therefore that the judgment in Bronner is not applicable in this case.

Lastly, the General Court finds that Google’s differentiated treatment is based on the origin of the results, that is, whether they come from its own comparison shopping service or from competing services. The General Court thus rules that, in reality, Google favours its own comparison shopping service over competing services, rather than a better result over another result.
The General Court notes that even if the results from competing comparison shopping services were more relevant, they could never receive the same treatment as results from Google’s comparison shopping service in terms of their positioning or their display. While Google did subsequently enable competing comparison shopping services to enhance the quality of the display of their results by appearing in its ‘boxes’ in return for payment, the General Court notes that that service depended on the comparison shopping services changing their business model and ceasing to be Google’s direct competitors, becoming its customers instead.

II. The Commission correctly found harmful effects on competition

The General Court rejects the arguments put forward by Google in challenging the passages of the contested decision relating to the consequences of the practice at issue for traffic. The General Court points out that those arguments take account only of the impact of the display of results from Google’s comparison shopping service, without taking into account the impact of the poor placement of results from competing comparison shopping services in the generic results. Yet the Commission had called into question the combined effects of those two aspects, relying in that respect on numerous factors, including specific traffic data and the correlation between the visibility of a result and the traffic to the website from which that result comes, to establish the link between Google’s conduct and the overall decrease in traffic from its general results pages to competing comparison shopping services and the significant increase in traffic for its own comparison shopping service.

As regards the effects of the practice at issue on competition, the General Court recalls that an abuse of a dominant position exists where the dominant undertaking, through recourse to methods different from those governing normal competition, hinders the maintenance of the degree of competition in the market or the growth of that competition, and that that may be established
merely by demonstrating that its conduct is capable of restricting competition. Accordingly, while the Commission was required to analyse all the relevant circumstances, including Google’s arguments in relation to the actual evolution of the markets, it was not required to identify actual exclusionary effects on the markets. In that context the General Court notes that, in this case, after
having measured the actual effects of the conduct concerned on comparison shopping services’ traffic from Google’s general results pages, the Commission had a sufficient basis for showing as it did that that traffic accounted for a large share of their total traffic, that that share could not be effectively replaced by other sources of traffic, such as advertising (AdWords) or mobile
applications, and that the potential outcome was the disappearance of comparison shopping services, less innovation on their market and less choice for consumers, characteristic features of a weakening of competition.

The General Court also rejects Google’s argument that competition on the market for comparison shopping services remains strong because of the presence of merchant platforms on that market. The General Court confirms the Commission’s assessment that those platforms are not on the same market. Although both categories of website offer product search functions, they do not do so under the same conditions, and users, whether internet users or online sellers, do not use them in the same way but do so, if at all, on a complementary basis. The General Court therefore endorses the Commission’s view that there is little competitive pressure on Google from merchant platforms. It makes clear that even if merchant platforms had been in the same market as comparison shopping services, the anticompetitive effect identified would have been sufficient for Google’s conduct to be characterised as abusive because, in all the countries concerned, a not insignificant share of that market, that of comparison shopping services, would have been affected.

The General Court therefore confirms the Commission’s analysis in respect of the market for specialised search services for comparison shopping.

However, the General Court considers that the Commission did not establish that Google’s conduct had had – even potential – anticompetitive effects on the market for general search services and therefore annuls the finding of an infringement in respect of that market alone.

III. The General Court rules out any objective justifications for Google’s conduct

In further disputing that its conduct was abusive, Google relied, first, on the allegedly procompetitive characteristics of its conduct, in the sense that it is said to have improved the quality of its search service and counterbalanced the exclusionary effect linked to the practice at issue, and, secondly, on technical constraints preventing Google from providing the equal treatment sought by the Commission.

The General Court rejects those arguments. It finds, first, that while the algorithms for the ranking of generic results or the criteria for the positioning and display of Google’s specialised product results may, as such, represent pro-competitive service improvements, that does not justify the practice at issue, namely, the unequal treatment of results from Google’s comparison shopping service and results from competing comparison shopping services. The General Court considers, secondly, that Google has not demonstrated efficiency gains linked to that practice that would counteract its negative effects on competition.

IV. Following a fresh assessment of the infringement, the General Court confirms the amount of the penalty

Finally, the General Court rejects Google’s arguments that no penalty should have been imposed on it. In particular, the imposition of a penalty on Google was precluded neither by the fact that the type of conduct in question had been analysed for the first time by the Commission in the light of competition rules, nor by the fact that the Commission had, at one stage in the procedure, indicated that it could not require Google to make certain modifications to its practices or that it had been willing to try to resolve the case by means of commitments to be given by Google. Furthermore, having made its own assessment of the facts with a view to determining the level of the penalty, the General Court finds, first, that the annulment in part of the contested decision, limited to the market for general search services, has no impact on the amount of the fine, since the Commission did not take the value of sales on that market into consideration in order to determine the basic amount of the fine. Secondly, the General Court emphasises the particularly serious nature of the infringement and, while it takes account of the fact that the abuse has not been demonstrated on the market for general search services, it also takes into consideration the fact that the conduct in question was adopted intentionally, not negligently. The General Court concludes its analysis by finding that the amount of the pecuniary penalty imposed on Google must be confirmed.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG München: Zur internationalen und örtlichen Zuständigkeit bei unberechtigter Sperrung eines deutschen Amazon Marketplace-Händlers durch Amazon mit Sitz in Luxemburg

LG München
Urteil vom 03.09.2021
37 O 9343/21


Das LG München hat sich mit der internationalen und örtlichen Zuständigkeit bei unberechtigter Sperrung eines deutschen Amazon Marketplace-Händlers durch Amazon mit Sitz in Luxemburg befasst.

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Das Landgericht München I ist für die geltend gemachten kartell- und wettbewerbsrechtlichen Ansprüche zwar international, nicht aber örtlich zuständig. Für den vertraglichen Erfüllungsanspruch fehlt es bereits an einer internationalen Zuständigkeit.

1. Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts München I für die geltend gemachten kartell- und wettbewerbsrechtlichen Ansprüche beurteilt sich vorliegend nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 2 der VO (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel-Ia-VO).

Die Verfügungsklägerin beruft sich unter anderem darauf, dass die Verfügungsbeklagte mit der Deaktivierung des Verkäuferkontos ihre marktbeherrschende Stellung i.S.d. §§ 19 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 S. 1 GWB missbraucht hat bzw. als Mitbewerberin die Verfügungsklägerin im geschäftlichen Verkehr behindert hat i.S.d. §§ 3, 4 Nr. 4, 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 UWG. Damit macht sie auf eine unerlaubte Handlung i.S.d. Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO gestützte Ansprüche geltend.

a) Die Brüssel-Ia-VO ist auf das vorliegende Verfahren anwendbar, da es sich um eine Zivilsache handelt und die Verfügungsbeklagte ihren Sitz in einem Mitgliedsstaat der EU, nämlich in Luxemburg, hat (vgl. Art. 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO).

b) Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten schließt das Bestehen einer Vertragsbeziehung zwischen den Parteien die Beurteilung des Klageanspruchs als deliktischen Anspruch i.S.d. Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO nicht aus. Entscheidend für die Abgrenzung des besonderen Gerichtsstands des Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO von dem besonderen Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO ist vielmehr, ob ein gesetzlicher Anspruch geltend gemacht wird, der unabhängig von einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Dies ist dann der Fall, wenn die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der mit der Klage beanstandeten Handlung des Anspruchsgegners nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhängt, sondern hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen ist (EuGH, Urt. v. 24.11.2020 - C- 59/19, Rn. 32f. - Wikingerhof; BGH, Urteil vom 10.02.2021 - KZR 66/17, Rn. 11, juris).

c) So verhält es sich im vorliegenden Fall. Für die Kartellrechtswidrigkeit des beanstandeten Verhaltens kommt es allein darauf an, ob der Verfügungsbeklagten eine marktbeherrschende Stellung zukommt und sie diese missbräuchlich ausgenutzt hat. Auf den Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen ASE-Vertrags oder der sonstigen dem Vertragsverhältnis zugrundeliegenden Bestimmungen kommt es dagegen nicht an. Es ist deshalb im Sinne der Abgrenzungsformel des EuGH (EuGH, Urt. v. 24.11.2020 - C-59/19, Rn. 32 - Wikingerhof) zur Beurteilung der Begründetheit der Klage nicht unerlässlich, den Vertrag zwischen den Parteien auszulegen.

Zwar erfordert die nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB stets gebotene Interessenabwägung im Einzelfall bei einer Vertragsbeziehung der Parteien auch eine Betrachtung der vertragstypischen Rechte und Pflichten und der zwischen den Parteien getroffenen Regelungen. Für die Qualifikation des Klageanspruchs als deliktischen Anspruch ist dies jedoch ohne Belang, zumal dabei Interessen nicht berücksichtigt werden dürfen, deren Durchsetzung insbesondere nach den kartellrechtlichen Wertungen rechtlich missbilligt werden (BGH, Urt. v. 10.02.2021 - KZR 66/17, Rn. 13, juris).

d) Soweit die Verfügungsbeklagte unter Berufung auf Urteile der Landgerichte Düsseldorf und Wiesbaden die Unanwendbarkeit von Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO damit begründet, dass die geltend gemachten deliktsrechtlichen Ansprüche in untrennbarem Zusammenhang mit der vertraglichen Vereinbarung der Parteien stehen (LG Wiesbaden, Urt. v. 11.02.2020 - 2 O 130/20 - Anlage HM 23, S.6), bzw. der Vertrag nicht hinweggedacht werden könne, ohne dass der Anspruch entfiele (LG Düsseldorf, Urt. v. 15.07.2020 - 12 O 285/19, Anlage HM 24 S. 9) kann ihr nicht gefolgt werden. Zwar knüpft der hier geltend gemachte Anspruch insofern an das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien an, als die Verfügungsklägerin ohne den Abschluss des ASE-Vertrages nicht über die Plattform der Verfügungsbeklagten hätte verkaufen können und es somit auch nicht zu einer Deaktivierung ihres Verkäuferkontos hätte kommen können. Dies dürfte jedoch bereits mit der vom EuGH in seiner früheren Rechtsprechung noch angeführten Anknüpfung an ein Vertragsverhältnis (EuGH Urt. v. 13.03.2014 - C-548/12, Rn. 27 - Brogsitter zur Vorgängernorm Art. 5 Nr. 3 VO (EG) 44/2001 (Brüssel-I-VO)) nicht gemeint gewesen sein. Maßgeblich ist vielmehr, wie der EuGH nunmehr - den beiden angeführten Urteilen des LG Wiesbaden und LG Düsseldorf zeitlich nachgelagert - klargestellt hat (EuGH, Urt. v. 24.11.2020 - C-59/19, Rn. 32 - Wikingerhof) und wie oben bereits ausgeführt wurde, dass sich die Verfügungsklägerin in ihrer Antragsschrift auf einen Verstoß gegen das deutsche Wettbewerbsrecht beruft, das den Missbrauch einer beherrschenden Stellung unabhängig von einem Vertrag oder einer anderen freiwillig eingegangenen Verpflichtung allgemein verbietet. Der kartellrechtliche Missbrauchsanspruch kann sich aus dem Gesetz unabhängig davon ergeben, ob die Verfügungsbeklagte sich mit der Deaktivierung im Rahmen ihrer vertraglichen Befugnisse gehalten hat. Eine Auslegung des Vertrages ist für die Beurteilung dieses Anspruchs daher nicht unerlässlich.

e) Auch bei den von der Verfügungsklägerin geltend gemachten lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen ergibt sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO, da es sich hierbei um quasi-deliktische Ansprüche im Sinne dieser Norm handelt (Geimer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, Artikel 7 (Artikel 5 LugÜ) EuGVVO, Rn. 54). Für die Einordnung der beanstandeten Verhaltensweisen als unlauter, kommt es auf eine Auslegung des zwischen den Parteien bestehenden Vertragswerks nicht an. Die Frage, ob die Parteien Mitbewerber sind und die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin im geschäftlichen Verkehr unbillig behindert hat, bemisst sich allein nach den Vorschriften des anwendbaren Lauterkeitsrechts. Dabei ist es unschädlich, dass die aufgrund der Vertragsbeziehung gegebene Interessenlage gegebenenfalls bei der Beurteilung einer etwaigen Unbilligkeit in die Abwägung einzubeziehen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 10.02.2021 - KZR 66/17, Rn. 13, juris).

f) Die durch Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO begründete Zuständigkeit deutscher Gerichte ist nicht durch eine zwischen den Parteien geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 25 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO ausgeschlossen. Zwar haben die Parteien in Ziff. 17 des ASE-Vertrages eine Zuständigkeit der Gerichte von Luxemburg Stadt, Luxemburg, vereinbart. Diese steht der Annahme der Zuständigkeit deutscher Gerichte jedoch nicht entgegen, da sie bereits nach ihrem Wortlaut keinen ausschließlichen Gerichtsstand begründet.

2. Soweit die Verfügungsklägerin ihr Unterlassungsbegehren dagegen auf einen vertraglichen Anspruch aus dem ASE-Vertrag stützt, besteht hierfür keine internationale Zuständigkeit des Landgerichts München I. Für vertragliche Ansprüche ist gem. Art. 7 Nr. 1 a) Brüssel-Ia-VO das Gericht an dem Ort zuständig, an dem die vertragliche Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Bei Dienstleistungen ist dies der Ort, an dem die Dienstleistung erbracht worden ist oder hätte erbracht werden müssen, Art. 7 Nr. 1 b) Brüssel-IA-VO. Wo im Einzelfall der mit der Dienstleistung bezweckte Erfolg eintritt, ist grundsätzlich unbeachtlich (Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 61. EL Januar 2021, VO (EG) 1215/2012 Art. 7 Rn. 124). Da die Verfügungsbeklagte ihre Dienstleistungen nach dem Parteivorbringen von ihrem Sitz in Luxemburg aus erbringt, sind die dortigen Gerichte für vertragliche Ansprüche zuständig.

Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO begründet im Falle einer Anspruchskonkurrenz auch keine Annexzuständigkeit kraft Sachzusammenhangs auch für die vertraglichen Ansprüche (EuGH, Urt. v. 27.09.1988 - C 189/87, Rn. 19 f.; BGH, Beschluss vom 10.12.2002 - X ARZ 208/02, Rn. 19, juris; OLG Bamberg, Urt. v. 24.04.2013 - 3 U 198/12, Rn. 64, juris; aA Geimer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, Artikel 7 (Artikel 5 LugÜ) Brüssel-Ia-VO, Rn. 106 m.w.N.).

Die besonderen Zuständigkeiten der Art. 7,8 Brüssel-Ia-VO sind als Ausnahmen zur Allzuständigkeit des Wohnsitzstaates des Beklagten (Art. 4 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO) einschränkend auszulegen. Die Gerichte des nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO international zuständigen Mitgliedstaates sind daher nicht auch dafür zuständig, über die Klage unter anderen, nichtdeliktischen Gesichtspunkten entscheiden. Zwar kann dies dazu führen, dass einzelne Aspekte eines Rechtsstreits von verschiedenen Gerichten entschieden werden, doch hat der Kläger stets die Möglichkeit, seine Klage unter sämtlichen Gesichtspunkten vor das Gericht des Wohnsitzes des Beklagten zu bringen (EuGH, Urt. v. 27.09.1988 - C 189/87, Rn. 19 f.).

3. Dem Landgericht München I fehlt, soweit es vorliegend international zuständig ist, jedoch die örtliche Zuständigkeit.

a) Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO regelt neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit. Ein Deliktsgerichtsstand ist dabei sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort gegeben (EuGH, Urt. v. 21.05.2015 - C-352/13, Rn. 38 - CDC Hydrogene Peroxide; BGH, Urt. v. 06.11.2007 - VI ZR 34/07, Rn. 17). Dabei ist der Handlungsort der Ort des ursächlichen Geschehens, der hier angesichts des Sitzes der handelnden Verfügungsbeklagten in Luxemburg liegt. Der Erfolgsort ist der Ort, an dem sich der behauptete Schaden konkret zeigt.

b) Der Erfolgsort liegt hier - worauf die Kammer in der Verhandlung mündlich hingewiesen hat - jedenfalls in Mannheim als Sitz der Verfügungsklägerin, weil diese hier durch die Sperrung ihres Verkäuferkontos in ihrem Geschäftsbetrieb unmittelbar getroffen wird (vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.05.2015 - C-352/13, Rn. 52 - CDC Hydrogene Peroxide). Ein Erfolgsort i.S.d. Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO ist dagegen nicht in München gegeben.

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Erfolgsort i.S.d. Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO auch in München gegeben ist, ist zu berücksichtigen, dass Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO als Ausnahmeregelung autonom und eng auszulegen ist (EuGH, Urt. v. 21.05.2015 - C- 352/13, Rn. 37 CDC Hydrogene Peroxide). Zudem beruht die Zuständigkeitsregel nach ständiger Rechtsprechung des EuGH darauf, dass zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt. Bei unerlaubten Handlungen oder ihnen gleichgestellten Handlungen ist nämlich das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, insbesondere wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden. Die Ermittlung eines der Anknüpfungspunkte, die nach dieser Rechtsprechung anerkannt sind, muss es somit erlauben, die Zuständigkeit des Gerichts zu begründen, das objektiv am besten beurteilen kann, ob die Voraussetzungen für die Haftung des Beklagten vorliegen, so dass nur das Gericht zulässigerweise angerufen werden kann, in dessen Zuständigkeitsbereich der relevante Anknüpfungspunkt liegt (EuGH, Urt. v. 21.05.2015 - C-352/13, Rn. 39-41 - CDC Hydrogene Peroxide).

c) Zwar können konkrete Auswirkungen des Verhaltens der Verfügungsbeklagten auch in München auftreten. Die Verkaufsplattform der Verfügungsbeklagten AHZOn.deMarketplace richtet sich in erster Linie an Kunden auf dem deutschen Markt. Daher kann der Ausschluss von einzelnen Verkäufern, gleich welchen Sitzlandes, den Wettbewerb auf dem gesamten deutschen Endkundenmarkt, mithin auch in München, beeinträchtigen (vgl. LG München I, Urt. v. 12.05.2021 - 37 O 32/21, Rn. 55, juris).

Der Zweck des Deliktsgerichtsstands ist es nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH jedoch, eine möglichst enge Verbindung von Gericht und Streitgegenstand herzustellen. Die Maxime des EuGH, dass das „am besten“ zur Entscheidung geeignete Gericht zur Entscheidung berufen ist, sowie der Ausnahmecharakter des Art. 7 Brüssel-Ia-VO sprechen dafür, dass trotz der durch den Verstoß möglichen Auswirkungen auf den gesamten deutschen Markt nicht alle deutschen Gerichte für den Rechtsstreit zuständig sein sollen. Zwar ist es fraglich, welche tatsächlichen Vorteile eine Verhandlung am Sitz der Verfügungsklägerin gegenüber anderen deutschen Gerichten bietet, zumal es vorliegend nicht um die Ermittlung eines bei der Verfügungsklägerin eingetretenen Schadens, sondern um die Entscheidung über einen Unterlassungsanspruch geht. Hiervon kann jedoch nicht in jedem Einzelfall die Zuständigkeit abhängen, da dies dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit zuwiderliefe, die der gesamten Zuständigkeitsordnung der Brüssel-Ia-VO inhärent ist (vgl. Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 61. EL Januar 2021, VO (EG) 1215/2012 Art. 7 Rn. 138).

Eine Abweichung von der Zuständigkeit am Ort des Geschäftssitzes kommt insbesondere in Betracht, wenn die Verfügungsklägerin außerhalb der EU ansässig ist und daher innerhalb des international zuständigen Mitgliedsstaates keine besonders enge Verbindung zu einem bestimmten Gerichtsort besteht (vgl. LG München I, Urt. v. 12.05.2021 - 37 O 32/21, Rn. 55, juris). Vorliegend ist dagegen eine örtliche Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO lediglich in Mannheim begründet, da die Verfügungsklägerin ihren Sitz in Deutschland hat. Auch weist die Streitigkeit vorliegend nach dem Parteivorbringen keinen sonstigen Bezug zum örtlichen Zuständigkeitsbereich des Landgerichts München I auf.


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BKartA leitet gegen Apple Verfahren nach § 19a GWB ein - Missbräuchliches Verhalten von Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb

Das Bundeskartellamt hat gegen Apple ein Verfahren nach § 19a GWB (Missbräuchliches Verhalten von Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb) eingeleitet.

Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:

Verfahren gegen Apple nach neuen Digitalvorschriften (§ 19a Abs. 1 GWB) – Bundeskartellamt prüft Apples marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb

Das Bundeskartellamt hat heute ein Verfahren gegen das Technologieunternehmen Apple nach den neuen kartellrechtlichen Vorschriften für Digitalkonzerne eingeleitet. Es handelt sich insgesamt um das vierte große Digitalunternehmen, gegen das das Amt mit dem neuen Instrument vorgeht. In den vergangenen Monaten wurden bereits gegen Facebook (siehe PM vom 28. Januar 2021), gegen Amazon (siehe PM vom 18. Mai 2021) und gegen Google (PM vom 25. Mai 2021) entsprechende Ermittlungen aufgenommen.

Im Januar 2021 ist die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB-Digitalisierungsgesetz) in Kraft getreten. Eine zentrale neue Vorschrift (§ 19a GWB) ermöglicht der Behörde ein früheres und effektiveres Eingreifen, insbesondere gegen Verhaltensweisen großer Digitalkonzerne. Das Bundeskartellamt kann in einem zweistufigen Verfahren Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen.

Eingeleitet hat das Bundeskartellamt heute gegen Apple die erste Stufe, ein Verfahren zur Feststellung dieser marktübergreifenden Bedeutung. Ein Anhaltspunkt für eine solche Position eines Unternehmens kann ein sich über verschiedene Märkte erstreckendes Ökosystem sein. Entsprechende Machtstellungen sind von anderen Unternehmen oft nur schwer angreifbar.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Wir werden jetzt prüfen, ob Apple rund um das iPhone mit dem proprietären Betriebssystem iOS ein digitales Ökosystem über mehrere Märkte errichtet hat. Apple stellt Tablets, Computer und „Wearables“ her und vertreibt eine Reihe gerätebezogener Services und Dienstleistungen. Neben verschiedenen Hardware-Produkten des Konzerns sind im Geschäftsbereich Services der App Store, die iCloud, AppleCare, Apple Music, Apple Arcade, Apple TV+ sowie weitere Dienstleistungen und Services zusammengefasst. Wir werden uns neben der Stellung des Konzerns in diesen Bereichen unter anderem auch mit der weitreichenden Integration über mehrere Marktstufen, der technologischen und finanziellen Ressourcenstärke des Unternehmens sowie seinem Zugang zu Daten beschäftigen. Ein Schwerpunkt der Ermittlungen wird auf dem Betrieb des App Stores liegen, da er Apple vielfach befähigt, Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen.“

Ausgehend von diesem ersten Verfahren beabsichtigt das Bundeskartellamt, sich in einem möglichen weiteren Verfahren konkrete Verhaltensweisen von Apple genauer anzusehen. Dem Amt liegen diesbezüglich verschiedene Beschwerden gegen potentiell wettbewerbsgefährdende Praktiken vor. Dazu zählen unter anderem eine Verbändebeschwerde aus der Werbe- und Medienbranche, die sich gegen Apples Tracking-Einschränkung von Nutzern im Zusammenhang mit der Einführung des Betriebssystems iOS 14.5 richtet, und eine Beschwerde gegen die ausschließliche Vorinstallation von konzerneigenen Anwendungen als möglicher Unterfall einer nach § 19a GWB verbotenen Selbstbevorzugung. Darüber hinaus wird von App-Entwicklern der Zwang zur Nutzung des Apple-eigenen Systems für In-App-Käufe (IAP) sowie die damit verbundene Provisionshöhe von 30 Prozent kritisiert. Zudem werden die damit in Zusammenhang stehenden Marketingbeschränkungen im App Store thematisiert. Letztgenannte Beschwerde weist Parallelen zum laufenden Verfahren der Europäischen Kommission gegen Apple wegen der Beschränkungen des Streamingdienstes Spotify und einer entsprechenden Bevorzugung eigener Dienste auf. Das Bundeskartellamt wird sich insoweit ggf. mit der Europäischen Kommission sowie weiteren Wettbewerbsbehörden in Verbindung setzen. Über die Einleitung eines weiteren Verfahrens ist noch nicht entschieden worden.