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OLG Frankfurt: Fehlende Klagebefugnis eines Vereins für Musterfeststellungsklage wenn Mindestmitgliederzahl nur durch "Internetmitglieder" ohne Stimmrecht erreicht wird

OLG Frankfurt
Urteil vom 05.11.2021
24 MK 1/18


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass einem Verein die Klagebefugnis für eine Musterfeststellungsklage fehlt, wenn die Mindestmitgliederzahl von 350 natürlichen Personen nur durch "Internetmitglieder" ohne Stimmrecht erreicht wird.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Keine Klagebefugnis für Musterfeststellungsverfahren

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit kürzlich im Klageregister veröffentlichtem Urteil die Musterfeststellungsklage der Schutzgemeinschaft für Bankkunden e.V. als unzulässig abgewiesen (Fortführung von BGH, Urteil vom 17.11.2020, XI ZR 171/19). Es fehlt dem Musterkläger an der Klagebefugnis, begründete das OLG seine Entscheidung.

Der Musterkläger, ein eingetragener Verein, möchte im Rahmen einer Musterfeststellungsklage diverse Feststellungen im Zusammenhang mit dem Verbrauchererwerb von Orderschuldverschreibungen, Genussrechten und/oder Nachrangdarlehen bestimmter Unternehmen erreichen.

Das OLG hat die Musterfeststellungsklage als unzulässig abgewiesen. Der Kläger zähle nicht zu den qualifizierten Einrichtungen, die zur Erhebung einer Musterfeststellungsklage berechtigt seien. Musterfeststellungsklagen dürfen insbesondere von qualifizierten Einrichtungen (§ 3 Abs. 1 S. 1 UKlaG) erhoben werden, die als Mitglieder mindestens 10 Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 350 natürliche Personen haben (§ 606 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Der Kläger erfülle hier weder die Mindestzahl hinsichtlich der Verbände aus dem gleichen Aufgabenbereich noch der natürlichen Personen. Den vorgelegten Mitgliederlisten seien zwar mehr als 350 Vereinsmitglieder zu entnehmen. Enthalten sei dabei jedoch eine große Zahl sogenannter Internet-Mitglieder. Diese seien nicht mitzurechnen, da sie keine Vollmitglieder darstellten. Insbesondere hätten sie kein Stimmrecht auf den Versammlungen des Musterklägers. Sie könnten damit nicht auf das Verhalten und die Geschicke des Vereins maßgeblich Einfluss nehmen. Abzüglich dieser „Internet-Mitglieder“ verfüge der Musterkläger nicht über die erforderlichen 350 Personen.

Soweit der Kläger angekündigt habe, auch die „Internet-Mitglieder“ mit einem Stimmrecht ausstatten zu wollen, sei eine entsprechende Satzungsänderung nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in das Register eingetragen worden.

Es bestünden zudem erhebliche Zweifel, ob der Kläger tatsächlich in Erfüllung seiner satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht-gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeit wahrnehme. Es stehe im Raum, dass die gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen beim Kläger eine wesentliche, keinesfalls eine nur untergeordnete Rolle spiele.

Das Urteil ist kraft Gesetzes mit der Revision anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 5.11.2021, Az. 24 MK 1/18

Erläuterungen:
§ 606 ZPO Musterfeststellungsklage
(1) Mit der Musterfeststellungsklage können qualifizierte Einrichtungen die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungsziele) zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer begehren. Qualifizierte Einrichtungen im Sinne von Satz 1 sind die in § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Unterlassungsklagengesetzes bezeichneten Stellen, die

als Mitglieder mindestens zehn Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 350 natürliche Personen haben,
...

BGH: Bei mehreren Feststellungszielen einer Musterfeststellungsklage ist das Erfordernis des § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO für jedes Feststellungsziel zu erfüllen

BGH
Beschluss vom 30.07.2019
VI ZB 59/18
ZPO § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, § 610 Abs. 5, §§ 263, 264


Leitsätze des BGH:

a) Bei mehreren Feststellungszielen einer Musterfeststellungsklage ist das Erfordernis des § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO für jedes Feststellungsziel zu erfüllen.

b) Zu den Anforderungen, die an die Glaubhaftmachung daran zu stellen sind, dass von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern abhängen.

c) Zu der Möglichkeit der Erweiterung einer Musterfeststellungsklage.

BGH, Beschluss vom 30. Juli 2019 - VI ZB 59/18 - OLG Braunschweig

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Bundesregierung legt Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage (MFK) vor

Die Bundesregierung hat Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage (MFK)vorgelegt.

Dazu die Erläuterungen des BMJ:

"Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungklage (MFK)

Im heutigen durch Massengeschäfte geprägten Wirtschaftsleben erleidet häufig eine Vielzahl Verbraucherinnen und Verbraucher gleichartige Schäden, z.B. bei unzulässigen Bearbeitungsgebühren von Kreditinstituten, unwirksamen Preisklauseln von Energie- oder Telekommunikationsanbietern oder in Fällen der Produkthaftung. Gerade wenn der erlittene Schaden im Einzelfall gering ist, werden Schadensersatz- oder Erstattungsansprüche meist nicht individuell verfolgt, weil der Aufwand der Rechtsdurchsetzung aus Sicht des Geschädigten unverhältnismäßig hoch ist. Die Forderungen verfallen und der Unrechtsgewinn (zum Nachteil der rechtstreu handelnden Wettbewerber) verbleibt beim Unternehmen. Man spricht hier vom sogenannten „rationalen Desinteresse“ der Verbraucher.

Aus diesem Grund liegen die Vorteile einer Musterfeststellungsklage (MFK) auf der Hand:

· Verbraucherinnen und Verbraucher kommen zu ihrem Recht, ohne selbst gegen Unternehmen und Konzerne vorgehen zu müssen. Sie können sich in einem Klageregister kostenfrei anmelden, um die Verjährung ihrer Ansprüche zu hemmen
und vom (erfolgreichen) Ausgang des Verfahrens zu profitieren. Die Anmeldung kann ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts erfolgen. Die Ansprüche müssen nicht an Prozessfinanzierer abgetreten werden.
· Unternehmen erlangen durch die MFK Rechtssicherheit und werden davor geschützt, einer Vielzahl von Einzelverfahren oder Sammelklagen großer kommerzieller Rechtsdienstleister ausgesetzt zu sein.
· Gerichte werden durch die Bündelung der Vielzahl von Einzelverfahren entlastet.

Die zentralen Regelungen des Gesetzentwurfs im Überblick:

· Feststellungsziele: Zentrale Streitfragen / Anspruchsvoraussetzungen mit Bedeutung für eine Vielzahl von Verbrauchern werden in einem einzigen Verfahren entschieden (Vorteile: keine divergierenden Feststellungen, hohe Prozessökonomie, kein Kostenrisiko für Verbraucher).
· Mindestzahl betroffener Verbraucher: Die MFK ist nur zulässig, wenn die Betroffenheit von min. zehn Verbrauchern glaubhaft gemacht wird und min. 50 Verbraucher ihre Ansprüche binnen zwei Monaten nach öffentlicher Bekanntmachung der MFK zum Klageregister anmelden.
· Klagebefugnis: Klagebefugt sind nur besonders qualifizierte Einrichtungen. Dazu zählen (1) in Deutschland registrierte Verbraucherschutzvereine nach § 4 UKlaG und (2) ausländische qualifizierte Einrichtungen, die in einer Liste der EU-Kommission aufgeführt werden. Zusätzlich müssen diese qualifizierten Einrichtungen weitere strenge Voraussetzungen erfüllen, um Missbrauch auszuschließen: (i) min. 350 Mitglieder oder 10 Mitgliedsverbände, (ii) seit min. vier Jahren in die Liste eingetragen, (iii) Sicherung einer satzungsmäßigen Aufgabenwahrnehmung durch weitgehend nicht gewerbsmäßige
aufklärende oder beratende Tätigkeit; (iv) keine Erhebung der MFK in Gewinnerzielungsabsicht; (v) nicht mehr als 5 % der finanziellen Mittel von Unternehmen.
· Opt-in-Verfahren: Betroffene Verbraucher können ihre Ansprüche / Rechtsverhältnisse zum Klageregister anmelden, um von den Wirkungen der MFK zu profitieren.
· Klageregister: Das Register wird beim Bundesamt für Justiz geführt. Darin wird die MFK nebst rechtlichen Hinweisen öffentlich bekannt gemacht und Anmeldungen erfasst. Das Klageregister soll zum 01.11.2018 eingerichtet sein. Bis zum Aufbau eines
vollelektronischen Klageregisters kann es übergangsweise manuell geführt werden.
· Verjährungshemmung: Durch die wirksame Anmeldung wird die Verjährung der Ansprüche ab Erhebung der MFK gehemmt. Die Verbraucher erleiden also keinen Rechtsverlust bei Abwarten des Prozessausgangs.
· Bindungswirkung: Das Urteil entfaltet für Folgestreitigkeiten zwischen angemeldeten Verbrauchern und beklagtem Unternehmen Bindungswirkung (Rechtssicherheit).

Ablauf der Musterfeststellungsklage
· Bekanntmachung: Nach Einreichung der Klage bei Gericht und Zustellung an den Beklagten wird die MFK im Klageregister des BfJ öffentlich bekannt gemacht (nebst Hinweisen für die Verbraucher zur Anmeldung und deren Rechtsfolgen).
· Anmeldung: Ab Bekanntmachung der MFK bis zum Ablauf des Tages vor dem ersten Termin können sich betroffene Verbraucher anmelden. Eine Rücknahme der Anmeldung ist zulässig; sie muss aber spätestens vor Ablauf des Tages vor dem ersten Termin erfolgen. Liegen zwei Monate nach Bekanntmachung mindestens 50 Anmeldungen vor, ist die MFK zulässig.
· Prozess: Das Musterfeststellungsverfahren wird nur zwischen Verband und Unternehmen geführt (nach den allgemeinen Regeln der Zivilprozessordnung). Angemeldete Verbraucher sind nicht verfahrensbeteiligt, d.h. sie tragen kein Prozesskostenrisiko und können bspw. als Zeugen vernommen werden.
· Ergebnis: Das Musterfeststellungsverfahren kann durch Vergleich oder Urteil beendet werden. Das Urteil lautet auf Feststellung von Tatsachen oder Rechtsverhältnissen (Bsp.: Die Gebührenerhebung war unzulässig; das Fehlen einer bestimmten Eigenschaft stellt einen Mangel dar; das Unternehmen trifft ein Verschulden; der zu ersetzende Schaden ist
anhand der Kriterien XY zu berechnen). Ein Vergleich kann Feststellungen und/oder Leistungen an die angemeldeten Verbraucher zum Gegenstand haben.
· Durchsetzung: Kommt es nicht bereits zu einer freiwilligen Leistung des Unternehmens, können die angemeldeten Verbraucher ihre individuellen Ansprüche auf Grundlage der Urteilsfeststellungen durchsetzen. Ggfs. müssen sie ergänzend individuelle
Anspruchsvoraussetzungen nachweisen (Bsp.: wirksamer Vertragsschluss, Kaufpreiszahlung). Dabei können die Verbraucher alle Mechanismen der gerichtlichen und außergerichtlichen individuellen sowie kollektiven Rechtsdurchsetzung nutzen, wie
z.B. o außergerichtliche Schlichtungsstelle
o Mahnverfahren / Urkundsklage (einfache und kostengünstige Erlangung eines Zahlungstitels, Nachweis allein anhand schriftlicher Vertragsunterlagen)
o Leistungsklage
o Einziehungsklage durch einen Verband / Abtretung der Ansprüche an Dritte"