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OLG Düsseldorf: Auch juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich auf Vorschriften zum zivilrechtlichen Ehrenschutz berufen

OLG Düsseldorf
Urteil vom 09.03.2021
16 U 188/20


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts auf Vorschriften zum zivilrechtlichen Ehrenschutz berufen können. Sie können zivilrechtlich gegen Äußerungen vorgehen, durch die sie in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt werden.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Landgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass auch juristische Personen des öffentlichen Rechts - hier das klagende Land - zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen können, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt wird.

a. Juristische Personen des öffentlichen Rechts haben keine eigentliche „persönliche Ehre“, gleichwohl genießen sie, wie § 194 Abs. 3 StGB zeigt, im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben strafrechtlichen Ehrenschutz, der – vermittelt über die §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB, 185 ff. StGB – auch zivilrechtliche Unterlassungsansprüche begründen kann, sofern es um das Mindestmaß an öffentlicher Anerkennung geht, ohne das die Wahrnehmung ihrer Funktionen beeinträchtigt wäre (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008, Az.: VI ZR 219/06, AfP 2009, 55 - 56; Urteil vom 22. April 2008, Az.: VI ZR 83/07, AfP 2008, 381 - 383).

b. So liegen die Dinge hier. Durch die angegriffene Äußerung wird die öffentliche Anerkennung der Klägerin in einer Weise berührt, die ein Unterlassungsbegehren rechtfertigt. Maßgeblich ist, dass das klagende Land als Hoheitsträger zur Neutralität verpflichtet ist. Nach Art. 80 Satz 1 der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen sind die Beamten und sonstigen Verwaltungsangehörigen Diener des ganzen Volkes und nicht einer Partei oder sonstigen Gruppe; sie haben ihr Amt und ihre Aufgaben unparteiisch und ohne Rücksicht auf die Person nur nach sachlichen Gesichtspunkten wahrzunehmen. Die - unwahre - Behauptung, der Kläger zu 2) stehe dem Beklagten nahe, ist geeignet, Misstrauen in die Neutralitätspflicht zu begründen und damit das Vertrauen der Bürger in die Rechtsmäßigkeit der Verwaltungstätigkeit im Allgemeinen zu erschüttern. Durch die Darstellung, der Kläger zu 2) sei Unterstützer der P. und fordere zu deren Wahl auf, ist der Kläger zu 1) in seiner Eigenschaft als Dienstherr des Klägers zu 2) verächtlich gemacht und in der öffentlichen Meinung herabgewürdigt worden. Dies gilt schon deshalb, weil die Öffentlichkeit für den Fall, dass der Kläger zu 2) bei Ausübung seines Amtes als Polizeipräsident seine Neutralitätspflicht verletzt und als Unterstützer des Beklagten auftritt und zur Wahl der P. aufruft, erwarten würde, dass der Kläger zu 1) dagegen einschreitet und Maßnahmen ergreift, um ein entsprechendes parteipolitische Engagement zu unterbinden. Hinzu kommt, dass die P. von großen Teilen der Bevölkerung aufgrund ihrer politischen Positionen - zumindest was deren rechten Flügel betrifft - als nicht tolerierbar und verachtenswert angesehen wird. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der rechte Flügel der P., was als gerichtsbekannt unterstellt wird, vom Verfassungsschutz beobachtet wird, weil es sich bei diesem Zusammenschluss um eine erwiesen extremistische Bestrebung handelt, deren Gründer Rechtsextremisten sind. Angesichts dessen ist die vom Beklagten aufgestellte Behauptung, der in den Diensten des Klägers zu 1) stehende Kläger zu 2) stehe der P. nahe, ohne weiteres geeignet, den Ruf des klagenden Landes zu beschädigen. Der Tatbestand des § 186 StGB ist hier erfüllt, denn der Beklagte wusste um die Unwahrheit der Tatsachenbehauptung. Deren Ehrenrührigkeit hat der Beklagte jedenfalls im Interesse der Werbewirksamkeit des in Rede stehenden Wahlplakats billigend in Kauf genommen.

2.2. Der Kläger zu 2) ist durch die angegriffene Äußerung in seinem durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch das Recht am eigenen Wort und schützt den Einzelnen davor, dass ihm Äußerungen zugeschrieben werden, die er nicht getan hat und die seine Sozialsphäre oder den von ihm selbst definierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigen.

a. Der Senat sieht, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht kein Recht auf ein bestimmtes Verständnis von Äußerungen, die tatsächlich gefallen sind, verleiht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1990, Az.: 1 BvR 776/84, BVerfGE 82, 236 (269)). Der Betroffene kann verlangen, dass das, was er gesagt hat, richtig wiedergegeben wird, sich aber nicht dagegen wehren, dass es nicht in seinem Sinn gedeutet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2007, Az.: 1 BvR 150/06, AfP 2008, 55 58). Wie dargelegt worden ist, hat der Beklagte dem Zitat im Kontext des in Rede stehenden Wahlkampfflyers einen Inhalt beigemessen, den es nach seinem ursprünglichen Inhalt nicht hatte. Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist eröffnet; der grundrechtliche Schutz wirkt dabei nicht nur gegenüber Falschzitaten, sondern auch gegenüber unrichtigen, verfälschten oder entstellten Wiedergaben einer Äußerung (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2011, Az.: VI ZR 262/09, AfP 2011, 484 - 485 mit weiteren Nachweisen; Urteil vom 15. November 2005, Az.: VI ZR 274/04, AfP 2006, 60 - 62; BVerfG, Beschluss vom 14. September 2010, Az.: 1 BvR 1842/08; Beschluss vom 31. März 1993, Az.: 1 BvR 295/93, AfP 1993, 563 - 564).

b. Der Senat sieht auch, dass der Träger des Persönlichkeitsrechts keinen Anspruch darauf hat, nur so dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder gesehen werden will. Das Persönlichkeitsrecht ist jedoch berührt bei solchen Darstellungen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung sind. Dagegen gebietet es das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht, dem Betroffenen einen Abwehranspruch zuzubilligen, soweit es um Tatsachenbehauptungen geht, die sich nicht in nennenswerter Weise auf das Persönlichkeitsbild des Betroffenen auswirken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2007, Az.: 1 BvR 150/06, AfP 2008, 55 - 58 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dies war hier nicht der Fall. Die angegriffene Äußerung mit dem dargestellten Inhalt greift in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers zu 2) ein, denn sie beeinträchtigt ihn seinem sozialen Geltungsbereich in nicht unerheblicher Weise, da sie ihn in einem negativen Licht erscheinen lässt. Der vom Beklagten erweckte Eindruck, der Kläger zu 1) stehe der P. nahe, fügt seinem Ruf als Leiter einer Landesbehörde nicht ganz erheblichen Schaden zu. Die Nähe zur P. ist nach der Auffassung des überwiegenden Teils der Öffentlichkeit negativ besetzt und geeignet, das Ansehen einer Person in der Öffentlichkeit herabzusetzen (siehe BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012, Az.: 1 BvR 2979/10, zitiert nach juris Rn. 33 - zu den Attributen „rechtsradikal“ und „rechtsextrem“). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen, die auch hier Geltung beanspruchen. Der Leiter einer Landesbehörde, der als Unterstützer der P. auftritt und dazu auffordert, die P. zu wählen, muss deswegen damit rechnen, disziplinarisch belangt zu werden und möglicherweise sogar aus dem Dienst entfernt zu werden. Der Kläger zu 2) braucht es nicht hinzunehmen, dass er von dem Beklagten vereinnahmt wird und ihm politische Positionen zugeschrieben werden, die er nicht teilt.

3. Der Umstand, dass die vom Kläger zu 2) tatsächlich getätigte Aussage von dem Beklagten in einen sinnentstellenden Zusammenhang gestellt worden ist mit der Folge, dass es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung handelt, führt jedoch nicht ohne weiteres zu einem Verbot der angegriffenen Äußerung, sondern zu einer Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008, Az.: VI ZR 219/06, AfP 2009, 189 - 191). Einer solchen Abwägung bedarf es im Streitfall schon deshalb, weil die angegriffene Äußerung insgesamt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fällt. Vorliegend vermengen sich Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerung in der Weise, dass die angegriffene Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist. Eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte würde den Sinn der Äußerung aufheben oder verfälschen, so dass die angegriffene Äußerung dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung zu unterstellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. November 1992, Az.: 1 BvR 693/92, NJW 1993, 1845 - 1846; Beschluss vom 9. Oktober 1991, Az.: 1 BvR 1555/88, BVerfGE 85, 1 (15); BGH, Urteil vom 1. Dezember 2014, Az.: VI ZR 39/14, NJW 2015, 773 - 775; Urteil vom 22. September 2009, Az.: VI ZR 19/08, AfP 2009, 588 Rn. 11; Urteil vom 11. März 2008, Az.: VI ZR 189/06, AfP 2008, 193 Rn. 12, 18; Urteil vom 24. Januar 2006, Az.: XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 Rn. 70; Urteil vom 29. Januar 2002, Az.: VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 - 170). Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (BVerfG, Beschluss vom 11. November 1992, Az.: 1 BvR 693/92, NJW 1993, 1845 - 1846; Beschluss vom 9. Oktober 1991, Az.: 1 BvR 1555/88, BVerfGE 85, 1 (15)).

Die Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass den Klägern ein Anspruch auf Unterlassung der von ihnen angegriffenen unwahren Behauptung zusteht. Das Grundrecht des Beklagten auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK hat hinter dem durch §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 186 StGB geschützten Interesse des Klägers zu 2) sowie hinter dem durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Interesse des Klägers zu 1) an der Wahrung seines guten Rufes zurückzutreten.

3.1. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind verschiedene Kriterien entwickelt worden, die Leitlinien für den konkreten Abwägungsvorgang vorgeben. Danach fällt bei Äußerungen, in denen sich - wie im vorliegenden Fall - wertende und tatsächliche Elemente in der Weise vermengen, bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Wahrheitsgehalt der tatsächlichen Bestandteile ins Gewicht. Enthält die Meinungsäußerung einen erwiesen falschen oder bewusst unwahren Tatsachenkern, so tritt das Grundrecht der Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Schutzinteressen des von der Äußerung Betroffenen zurück. Denn an der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2007, Az.: VI ZR 144/07, VersR 2008, 1081 - 1083; Urteil vom 16. Juni 1998, Az.: VI ZR 205/97, BGHZ 139, 95 (101); BVerfG, Beschluss vom 13. April 1994, Az.: 1 BvR 23/94, BVerfGE 90, 241 (253); Beschluss vom 22. Juni 1982, Az.: 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61, 1 (8); Beschluss vom 3. Juni 1980, Az.: 1 BvR 797/78, BVerfGE 54, 208 (217)).

3.2. Eine abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage rechtfertigt sich auch nicht deshalb, weil der Beklagte von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht zum Zwecke der privaten Auseinandersetzung Gebrauch gemacht hat, sondern auch zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen wollte.

a. In einem solchen Fall sind die Auswirkungen der Äußerung auf den Rechtskreis Dritter zwar unvermeidliche Folge, aber nicht eigentliches Ziel der Äußerung. Der Schutz des betroffenen Rechtsguts kann und muss umso mehr zurücktreten, je weniger es sich um eine unmittelbar gegen dieses Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr und in Verfolgung eigennütziger Ziele handelt, sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten; hier spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1982, Az.: 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61, 1 - 13 mit Hinweis auf BVerfGE 7, 198 (212)), weil sonst die Meinungsfreiheit, die Voraussetzung eines freien und offenen politischen Prozesses ist, in ihrem Kern betroffen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012, Az.: 1 BvR 2979/10, AfP 2012, 549 - 550).

b. Die angegriffene Äußerung war zwar in einem Wahlkampf und damit in einer Situation gefallen, in welcher der politische Meinungskampf auf das höchste intensiviert ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Parteien nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, was namentlich durch die Beteiligung an Wahlen geschieht, die in der parlamentarischen Demokratie die wichtigste Form jener Willensbildung sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1982, Az.: 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61, 1 - 13 mit Hinweis auf BVerfGE 8, 51 (63)). Für den Streitfall ist aber zu betonen, dass es nicht um eine Auseinandersetzung zwischen politischen Parteien geht. Der Beklagte hat den Kläger zu 2), der nicht parteipolitisch aktiv, sondern - wie dargetan - zur Neutralität verpflichtet ist, für sich politisch vereinnahmt und instrumentalisiert. Auch wenn der Kläger zu 1) mit der angegriffenen Äußerung - formal richtig vom Beklagten zitiert - an dem von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen und sich damit aus eigenem Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen hatte, so hat er sich durch dieses Verhalten trotzdem nicht eines Teils seines schützenswerten allgemeinen Persönlichkeitsrechts begeben. Er kann sich deshalb mit Erfolg dagegen wehren, dass die Beklagte in der dargestellten Art und Weise den unabweislichen - unzutreffenden - Eindruck erweckt hat, er stehe der P. nahe.

3.3. Der Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) berufen. An der Veröffentlichung bewusst unwahrer Tatsachenbehauptungen besteht kein überwiegendes öffentliches Interesse.

4. Die erforderliche Wiederholungsgefahr in Bezug auf die zu unterlassende Äußerung liegt vor. Diese wird durch die rechtswidrige Erstbegehung indiziert. Der Beklagte hat keine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagte die Berechtigung seiner Äußerung verteidigt, sind auch sonst keine Umstände ersichtlich, die die Wiederholungsgefahr ausnahmsweise entfallen lassen könnten


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