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OLG Nürnberg: Zur Auslegung eines Sponsoring-Vertrags zwischen Sportartikelhersteller und Vermarkter eines international bekannten Sportlers bei Vertragsverstößen

OLG Nürnberg
Urteil vom 27.06.2019
3 U 2801/19


Das OLG Nürnberg hat sich in dieser Entscheidung mit der Auslegung eines Sponsoring-Vertrags zwischen einem Sportartikelhersteller und dem Vermarkter eines international bekannten Sportlers bei Vertragsverstößen befasst.

Leitsätze des Gerichts:

1. Zur Auslegung eines englisch-sprachigen Sponsoring-Vertrags zwischen einem Sportartikelhersteller und einem Unternehmen, das über Vermarktungsrechte eines international bekannten Sportlers verfügt (im Folgenden Vermarkter).

2. Ergibt die Auslegung des Sponsoring-Vertrags, dass der Vermarkter die Pflichten des Sportlers, die Produkte des Sportartikelherstellers zu bewerben, als eigene Pflichten übernommen hat, ist der Sportler bei Vertragsverstößen regelmäßig als Erfüllungsgehilfe des Vermarkters anzusehen.

3. Sind in dem Sponsoring-Vertrag konkrete, terminbezogene Veranstaltungen aufgeführt, zu denen der Sportler die Produkte des Sportartikelherstellers bewerben soll, tritt, wenn der Sportler diese Produkte während der in der Vergangenheit liegenden Veranstaltungen nicht trug, grundsätzlich Unmöglichkeit der Leistungspflicht des Vermarkters für den abgelaufenen Zeitabschnitt ein.

4. Sind die Leistungen des Vermarkters aufgrund der vorangegangenen Kündigung des Rechtevertrags durch den Sportler für den Sportartikelhersteller ohne Interesse und völlig unbrauchbar, besteht in der Regel kein Vergütungsanspruch des Vermarkters.

5. Auch wenn die Auslegung ergibt, dass der im Sponsoring-Vertrag geregelte Anspruch des Sportartikelherstellers auf Zahlung von pauschaliertem Schadensersatz in einem synallagmatischen Verhältnis zum Vergütungsanspruch des Vermarkters steht, führt die Geltendmachung des pauschalierten Schadensersatzes nicht stets dazu, dass der Vermarkter dem Schadensersatzanspruch ohne weiteres seine Vergütungsansprüche entgegensetzen kann.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG Nürnberg: Kosten für von Partei eingeholtes Privatgutachten in Markenrechtsstreit zur Ermittlung des Verkehrsverständnisses und der Verwechslungsgefahr regelmäßig nicht erstattungsfähig

OLG Nürnberg
Beschluss vom 25.03.2021
3 W 727/21


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass die Kosten für von einer Partei eingeholtes Privatgutachten in einem Markenrechtsstreit zur Ermittlung des Verkehrsverständnisses und der Verwechslungsgefahr regelmäßig nicht erstattungsfähig sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Rechtsmittel ist gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 2 Satz 2 ZPO als sofortige Beschwerde zulässig. In der Sache hat die sofortige Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Rahmen der Kostenfestsetzung die Auslagen für das Privatgutachten der GfK vom 01.07.2019 zu Recht nicht in Ansatz gebracht.

1. In rechtlicher Hinsicht ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

a) Die Kosten eines von einer Partei eingeholten Privatgutachtens sind nach einhelliger Meinung nur ausnahmsweise als notwendige Kosten des Rechtsstreits anzusehen (OLG München, Beschluss vom 13.08.2018 - 11 W 821/18, juris-Rn. 17 m.w.N.). In aller Regel sind die Kosten für ein im Laufe des Rechtsstreits auf Veranlassung einer Partei erstelltes Privatgutachten nicht erstattungsfähig (OLG München, Beschluss vom 15.10.2020 - 11 W 1457/20, juris-Rn. 11 m.w.N.).

Holt eine Partei ein privates Sachverständigengutachten unmittelbar prozessbezogen ein, wird die Frage, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die kostenauslösende Maßnahme als sachdienlich ansehen durfte, in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in den Fällen bejaht, in denen die Partei infolge fehlender Sachkenntnis ohne die Einholung des Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage war (BGH, Beschluss vom 12.09.2018 - VII ZB 56/15, juris-Rn. 23), insbesondere der Partei die nötige Sachkunde fehlt, um ihren Anspruch schlüssig zu begründen (OLG München, Beschluss vom 13.08.2018 - 11 W 821/18, juris-Rn. 21). Dazu gehören auch Fälle, in denen die Partei ohne Einholung eines Privatgutachtens ein ihr nachteiliges Gerichtssachverständigengutachten nicht zu erschüttern vermag (BGH, Beschluss vom 01.02.2017 - VII ZB 18/14, juris-Rn. 13). Verfügt die Partei über entsprechende Sachkunde, ist die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein prozessbegleitend eingeholtes, privates Sachverständigengutachten nicht deshalb gegeben, weil einem solchen privaten Gutachten im Rahmen des Rechtsstreits ein höheres Gewicht zukäme als sonstigem Parteivortrag; die Kosten für ein Privatgutachten sind daher nicht erstattungsfähig, wenn das Gutachten allein dazu dienen soll, dem eigenen Vortrag mehr Gewicht zu verleihen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.08.2019 - I-2 W 8/19, juris-Rn. 4).

Darüber hinaus ist der Rechtsgedanke des § 96 ZPO zu berücksichtigen: Ergibt ein Gerichtsgutachten ein für die Partei negatives Ergebnis und erzielt diese aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten einen Teilerfolg, so sind ihr gemäß § 96 ZPO die Kosten der Beweisaufnahme durch Einholung des Gerichtsgutachtens im Rahmen der zu treffenden Kostenentscheidung gesondert aufzuerlegen. Gleichermaßen widerspricht die prozessual nutzlose Einholung eines außergerichtlichen Gutachtens dem in § 96 ZPO zum Ausdruck gekommenen Gebot einer gerechten Kostenverteilung, Kosten eines Privatgutachtens, dessen Ergebnis im Prozess durch die Gerichtsentscheidung keine Bestätigung findet - und damit auch nicht der von der Partei abgeleitete Prozessvortrag - zulasten der Gegenpartei als erstattungsfähig zu behandeln (OLG Köln, Beschluss vom 30.12.2014 - 17 W 152/14, juris-Rn. 12).

Anerkannt ist, dass die Anforderungen, wann die Kosten für ein Privatgutachten im Rahmen eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als notwendig und zweckentsprechend im Kostenfestsetzungsverfahren festsetzbar sind, geringeren Anforderungen unterliegen. Der Grund liegt darin, dass im einstweiligen Verfügungsverfahren die Partei auf präsente Beweismittel angewiesen ist (OLG Köln, Beschluss vom 21.04.2008 - 17 W 68/08, juris-Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.02.2007 - 6 W 109/06, juris-Rn. 3). Daher sind im Verfügungsverfahren die Kosten eines im Verfahren erholten und verwendeten Privatgutachtens ausnahmsweise als notwendige Kosten anzusehen, wenn eine effektive Rechtsverfolgung oder -verteidigung ohne ein Sachverständigengutachten nicht möglich ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 12.04.2010 - 4 W 90/09, juris-Rn. 7).

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Ähnlichkeit der miteinander zu vergleichenden Marken eine Rechtsfrage, die grundsätzlich auch das Revisionsgericht beantworten kann (BGH, Urteil vom 31.01.2019 - I ZR 97/17, juris-Rn. 90 - Das Omen). Demgegenüber stuft der Europäische Gerichtshof die Beurteilung der Verwechslungsgefahr als Tatfrage ein, die sich der Kontrolle durch den Gerichtshof entzieht (EuGH, Urteil vom 16.06.2011 - C 317/10, juris-Rn. 45 - UNI). Diese unterschiedlichen Auffassungen wirken sich jedoch auf die vorliegende Frage nicht aus. Denn auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt Beurteilung der für die Verwechslungsgefahr maßgeblichen Kriterien im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet (BGH, Urteil vom 14.05.2009 - I ZR 231/06, juris-Rn. 62 - airdsl).

Die Ermittlung des Verkehrsverständnisses ist keine Tatsachenfeststellung, sondern Anwendung eines speziellen Erfahrungswissens (BGH, Urteil vom 29.03.2007 - I ZR 122/04, juris-Rn. 36 - Bundesdruckerei). Dabei geht der Richter, soweit er das Verständnis des Verkehrs ohne sachverständige Hilfe ermittelt, davon aus, dass er aufgrund eigenen Erfahrungswissens selbst über die dazu erforderliche Sachkunde verfügt (BGH, Urteil vom 29.06.2006 - I ZR 110/03, juris-Rn. 27 - Ichthyol II).

2. Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Maßstabs sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen, nach denen ausnahmsweise die Kosten für die repräsentative Umfrage der GfK vom 27.06.2019 als notwendige Kosten des Rechtsstreits anzusehen wären, nicht gegeben. Zwar handelt es sich vorliegend um ein Verfügungsverfahren, bei dem grundsätzlich geringere Anforderungen an die Festsetzbarkeit von Kosten für ein Privatgutachten zu stellen sind. Auch bestehen keine Zweifel an der unmittelbaren Prozessbezogenheit des privaten Sachverständigengutachtens. Die Verfügungsklagepartei durfte jedoch als verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die kostenauslösende Maßnahme nicht als sachdienlich ansehen.

a) In diesem Zusammenhang ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Verfügungsklägerin in beiden Instanzen auch ohne das Meinungsforschungsgutachten in der Lage war, ihrer Darlegungslast in Bezug auf die streitgegenständliche Markenverletzung zu genügen.

Die Verfügungsklägerin reichte das Privatgutachten erst mit Schriftsatz vom 04.07.2019, mithin einen Tag vor der mündlichen Verhandlung, beim Landgericht Nürnberg-Fürth, ein. Ein konkreter Anlass für diese Einreichung ergab sich weder aus einem gerichtlichen Hinweis in dem Verfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth noch aus dem Vorbringen der Verfügungsbeklagten. Insbesondere legt die Verfügungsklagepartei nicht dar, dass die repräsentative Umfrage notwendig war, um Angriffe der Verfügungsbeklagten gegen die Zeichenähnlichkeit sachkundig abzuwehren zu können. Vielmehr betonte die Verfügungsklägerin sowohl in erster wie in zweiter Instanz mehrfach, dass das Gericht die eindeutige Markenverletzung aus eigener Sachkunde beurteilen könne. Auch in der Berufungserwiderung verwies die Verfügungsklägerin lediglich unter Ziffer VII. als „Zusatzargument“ auf die repräsentative Meinungsumfrage.

Soweit die repräsentative Umfrage der GfK dazu dienen sollte, dem eigenen Vortrag mehr Gewicht zu verleihen, führt dieser Umstand nicht zu einer Erstattungsfähigkeit der Kosten für das Privatgutachten.

b) Zum anderen kann - auch vor dem Hintergrund des Rechtsgedankens des § 96 ZPO - nicht außer Acht gelassen werden, dass das Privatgutachten keinen Eingang in das die Beschlussverfügung bestätigende Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26.07.2019 und den Hinweis des Senats nach § 522 Abs. 2 ZPO (aufgrund dessen die Verfügungsbeklagte ihre Berufung zurücknahm) gefunden hat. Vielmehr wurde die Bejahung der Zeichenähnlichkeit auf andere Erwägungen gestützt.

In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass der Senat im Hinweisbeschluss ausführte, dass er die durchschnittliche Zeichenähnlichkeit zwischen der Klagemarke und dem Verletzungsmuster aus eigener Sachkunde feststellen könne. Dies war auch zutreffend, weil die Ermittlung des Verkehrsverständnisses die Anwendung eines speziellen Erfahrungswissens ist und der Senat zum einen in Markenrechtsfragen spezialisiert ist zum anderen dessen Mitglieder als Verbraucher zu den angesprochenen Verkehrskreisen der vorliegend streitgegenständlichen Produkte gehören. Zudem ist es kaum möglich, anhand demoskopischer Untersuchungen zu zuverlässigen Ergebnissen zu gelangen. Davon absehen sind empirische Erhebungen ohnehin nur geeignet, über die faktischen Komponenten der Markenähnlichkeit Aufschluss zu liefern. Das gewonnene Ergebnis könnte immer noch aufgrund normativer Erwägungen ins Gegenteil verkehrt werden.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Nürnberg: Kein Schadensersatz in Höhe von 78 Millionen EURO wegen behaupteter falscher Berichterstattung in Süddeutscher Zeitung in Sachen Solar Millenium AG im Artikel "Wetten auf den Absturz"

OLG Nürnberg
Beschluss vom 03.02.2021
3 U 2445/18


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass kein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 78 Millionen EURO wegen behaupteter falscher Berichterstattung in der Süddeutscher Zeitung in Sachen Solar Millenium AG in dem Artikel "Wetten auf den Absturz" besteht. Die Berichterstattung war nach den Grundsätzen zur Verdachtsberichtserstattung zulässig.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Millionenklage gegen Süddeutsche Zeitung: Berufung zurückgewiesen

Mit Beschluss vom 3. Februar 2021 hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg die Berufung des Klägers, welcher unter anderem von der Süddeutschen Zeitung sowie zwei Redakteuren wegen von ihm behaupteter falscher Berichterstattung einen Schadensersatzbetrag in Höhe von ca. 78 Millionen Euro verlangt, zurückgewiesen.

Der Kläger ist bzw. war Mitbegründer, Hauptaktionär und Mitglied des Aufsichtsrats der in Erlangen ansässigen Solar Millennium AG. Am 25. Juni 2013 war in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Wetten auf den Absturz“ ein Artikel veröffentlicht worden, in welchem unter anderem die Frage aufgeworfen wurde, ob der Kläger Insiderwissen zu seinen Gunsten genutzt hatte. Einen Tag später erschien in dem in der Schweiz verbreiteten „Tages-Anzeiger“ unter der Überschrift „Spur in deutschem Insiderfall führt zu Bank Vontobel“ ein Artikel, in welchem inhaltlich auf den Bericht in der Süddeutschen Zeitung Bezug genommen wurde.

Der Kläger behauptet, dass aufgrund dieser Berichte eine bereits weit fortgeschrittene Vereinbarung über die Realisierung eines Kraftwerkprojektes in Indien und weiterer Projekte in Indonesien geplatzt sei. Ihm und den beteiligten Gesellschaften, welche die Schadensersatzansprüche an ihn abgetreten hätten, sei deshalb ein Gewinn in Höhe von 78.242.500 Euro entgangen. Die Beklagten hätten ihn, da die Zeitungsartikel unzutreffende Behauptungen enthalten hätten, vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, weshalb ihm ein Schadensersatzanspruch zustehe. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte die Klage nach Vernehmung zweier Zeugen und Anhörung des Klägers abgewiesen und dabei im Wesentlichen ausgeführt, dass es Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Darstellung der beiden Zeugen und deren Glaubwürdigkeit habe. Zudem weiche der Artikel im Schweizer Tages-Anzeiger wesentlich von dem Artikel der Süddeutschen Zeitung ab, weshalb letzterer nicht ursächlich für das gescheiterte Geschäft gewesen sein könne.

Der 3. Zivilsenat ist der Auffassung, dass das Landgericht Nürnberg-Fürth die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen hat. Er hat daher zunächst mit Beschluss vom 4. März 2020 die Parteien darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung des Klägers mangels Erfolgsaussichten zurückzuweisen. Nach Eingang umfangreicher Stellungnahmen erfolgte die Berufungszurückweisung mit Beschluss vom 3. Februar 2021.

Für den Senat waren vier Gründe maßgeblich, die Berufung zurückzuweisen:

1. Der Senat wies darauf hin, dass die Berufungsinstanz keine vollwertige Tatsacheninstanz darstelle. Vielmehr sei das Berufungsgericht an die Feststellungen und Würdigung des Erstgerichts gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründeten und deshalb eine erneute Feststellung geböten. Derartige konkrete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichtes bestünden vorliegend nicht.

2. Voraussetzung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten wäre es, dass diese durch die Veröffentlichung des Artikels vom 25. Juni 2013 pflichtwidrig und rechtswidrig gehandelt hätten. Dies sei vorliegend zu verneinen. Die Darstellungen in dem Artikel seien im Wesentlichen zutreffend gewesen. Im Übrigen können sich die Beklagten nach Ansicht des Senats auf die Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung berufen.

3. Der Senat ist der Auffassung, dass der im Schweizer Tages-Anzeiger erschienene Artikel sich von den zulässigen Äußerungen des Artikels der Süddeutschen Zeitung inhaltlich so unterscheide, dass ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem ursprünglichen Artikel und einem Scheitern der Geschäfte des Klägers entfalle. Die Süddeutsche Zeitung habe in dem Artikel „Wetten auf den Absturz“ deutlich zu erkennen gegeben, dass es sich um eine – wenn auch starke – Vermutung handle, dass der Kläger Insiderwissen ausgenutzt habe. Zwar bestehe grundsätzlich eine Haftung auch für sogenannte Folgeschäden, das Verhalten der Redaktion des Tages-Anzeigers habe aber presserechtlichen Maßstäben in besonderer Weise widersprochen, so dass sich letztlich kein von den Beklagten geschaffenes Risiko verwirklicht habe.

4. Der Senat hält die Klage noch aus einem anderen Gesichtspunkt heraus für unbegründet. Der Senat konnte zwar nachvollziehen, dass aufgrund der damals gegen den Kläger im Raum stehenden Vorwürfe ein Geschäftspartner nachteilige Folgen für die Reputation des Geschäfts und negative Reaktionen einzubindender Dritter befürchtet und daher die Geschäftsbeziehung abbricht. Es lasse sich aber keine Überzeugung gewinnen, dass gerade die möglicherweise im Artikel missverständlich dargestellten Details zu den Optionsgeschäften für den Abbruch der Geschäftsbeziehung ausschlaggebend gewesen seien.

Der Senat beschäftigt sich in seinem mehr als 60-seitigen Beschluss dezidiert mit den einzelnen Problemen des Falles und geht auch noch auf weitere Gesichtspunkte ein.

Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25. Oktober 2018, Az. 11 O 9597/16
Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 04. März 2020, Az. 3 U 2445/18
Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 03. Februar 2021, Az. 3 U 2445/18



OLG Nürnberg: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen Vorgaben der Button-Lösung wenn mit Bestellbutton "Jetzt Kaufen" neben Kaufvertrag weiterer Vertrag abgeschlossen wird

OLG Nürnberg
Urteil vom 29.05.2020
3 U 3878/19


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die Vorgaben der Button-Lösung (§ 312j Abs. 3 BGB) vorliegt, wenn durch Betätigen des Bestellbuttons "Jetzt Kaufen" neben dem Kaufvertrag ein weiterer kostenpflichtiger Vertrag abgeschlossen wird

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klage ist auch begründet.

Das Erstgericht hat der Beklagten zu Recht nach §§ 3, 3a UWG in Verbindung mit § 312j Abs. 3 BGB untersagt, Verbrauchern im Internet den Kauf von Waren sowie den Abschluss einer kostenpflichtigen Mitgliedschaft anzubieten und am Ende des Bestellvorgangs lediglich einen einzigen Bestellbutton mit der Bezeichnung „Jetzt kaufen“ vorzuhalten, mit dessen Bestätigung der Verbraucher eine verbindliche Vertragserklärung sowohl in Bezug auf den Kaufvertrag als auch in Bezug auf die Begründung einer Mitgliedschaft abgeben soll, wie geschehen in Anlage K4.

Diese Gestaltung des Bestellvorgangs der Beklagten und das daraus resultierende Vertragsangebot widerspricht der gesetzlichen Vorgabe des § 312 j Abs. 3 Satz 1 BGB.

2.2.1 Die Vorschrift des § 312j Abs. 3 BGB ist nach ihrem Wortlaut auf jeden Verbrauchervertrag im elektronischen Rechtsverkehr anwendbar, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat. Insbesondere gilt sie bei dem Abschluss von Verträgen über Abonnements auch dann, wenn der Zeitraum einer Testphase gratis ist. In diesem Fall entfällt die Zahlungspflicht nur dann, wenn durch einen aktiven Schritt der Vertrag gekündigt wird (vgl. OLG Köln, Urteil vom 03.02.2016 - 6 U 39/15).

Der Unternehmer hat nach § 312j Abs. 3 S. 1 BGB die Bestellsituation so zu gestalten, dass der Verbraucher erstens seinen Rechtsbindungswillen und zweitens seine Kenntnis vom Vorliegen eines entgeltiichen Geschäfts ausdrücklich bestätigen muss (MüKoBGB/Wendehorst, 8. Aufl. 2019, BGB, § 312j Rn. 24). Darüber hinaus muss die Wortwahl auch dem Vertragsgegenstand angepasst sein (MüKoBGB/Wendehorst, 8. Aufl. 2019, BGB § 312 j Rn. 28, 29).

2.2.2 Nach diesen Maßstäben ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass hinsichtlich der gleichzeitig mit dem Kaufvertragsabschluss einzugehenden Mitgliedschaft, die jedenfalls nach einer Testphase mangels Kündigung ebenfalls kostenpflichtig ist, die nach § 312j Abs. 3 Satz 1 BGB erforderliche Bestätigung in der aus der Anlage K4 ersichtlichen Gestaltung des Bestellvorgangs fehlt. Dass der Verbraucher nach der vorliegenden Konstruktion mit der einmaligen Betätigung der Schaltfläche zwei typenverschiedene Verträge abschließt, steht außer Streit. Die Bestätigung durch den Klick auf die Schaltfläche „Jetzt kaufen“ bezieht sich jedoch nur auf den Kaufvertrag, was sich bereits aus der Benennung des Buttons „Jetzt kaufen“ ergibt.

Für den Abschluss der ebenfalls kostenpflichtigen Mitgliedschaft sieht die Gestaltung des Bestellvorgangs nach der Anlage K4 durch die Beklagte keine ausdrückliche Bestätigung vor. Durch das Anklicken des Bestellbuttons bestätigt der Verbraucher nicht auch die Begründung einer kostenpflichtigen Mitgliedschaft. Die Betätigung der Schaltfläche ist allein dahingehend zu verstehen, dass der Verbraucher lediglich diverse Produkte aus dem Sortiment der Beklagten kostenpflichtig, nicht aber gleichzeitig eine Mitgliedschaft „erwirbt“, zumal es sich bei letzterem schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht um einen Kauf, sondern um einen Beitritt zu einer Kundengemeinschaft, die dem Verbraucher bestimmte Vergünstigungen bei Käufen verschafft, handelt.

2.2.3 Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Argumentation der Beklagten, nach der es alleiniger Zweck der Vorschrift des § 312 j Abs. 3 BGB sei, dem Verbraucher vor Augen zu führen, dass sein „Klick“ auf den Bestellbutton ganz allgemein eine Zahlungspflicht für ihn auslöse.

Unionsrechtliche Grundlage des § 312 j Abs. 3 BGB ist Art. 8 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher. In Erwägungsgrund 39 der Verbraucherrechterichtlinie wird ausgeführt, es sei wichtig, sicherzustellen, dass Verbraucher bei Fernabsatzverträgen, die über Webseiten abgeschlossen werden, den Zeitpunkt erkennen, zu dem sie gegenüber dem Unternehmer eine Zahlungsverpflichtung eingehen.

Nach der Beschlussempfehlung zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung - BT-Drucksache 17/7745 - zielte der Gesetzesentwurf auf einen „besseren Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Abo- und Kostenfallen im Internet (ab), die sich trotz umfangreicher Schutzmechanismen des geltenden Rechts zu einem großen Problem für den elektronischen Rechtsverkehr entwickelt haben“.

Eine Beschränkung der Zielrichtung der gesetzlichen Regelung, wie von der Beklagten dargestellt, hat der Bundesgesetzgeber unter Berücksichtigung der Einleitung der Beschlussempfehlung nicht beabsichtigt. Nicht ersichtlich ist, dass sich die Zielrichtung des Gesetzesentwurfs darauf habe beschränken sollen, dem Verbraucher überhaupt nur eine Zahlungspflicht kenntlich zu machen. Der zitierte Einleitungssatz der Beschlussempfehlung zu dem Gesetzesentwurf spricht vielmehr dafür, dass der Verbraucher durch die Einführung des § 312j BGB insgesamt vor möglicherweise versteckten Kostenfallen geschützt werden soll und legt eine Auslegung dahingehend, dass sich die erforderliche Kenntlichmachung einer Zahlungspflichtigkeit auf jeden durch die Bestätigungshandlung abzuschließenden Vertrag zu beziehen hat, nahe. Auch die Verbraucherrechterichtlinie unter Berücksichtigung des Erwägungsgrundes 39 lässt nicht erkennen, dass die genannte Zielrichtung eng auszulegen sein soll und sich ihr Zweck in einer einmaligen „Warnung“ des Verbrauchers vor einer Zahlungspflicht zu erschöpfen habe, wenn - wie im vorliegenden Fall - mit einer Vertragserklärung mehrere Verträge gleichzeitig abgeschlossen werden sollen.

Auch wenn demnach dem Verbraucher bei dem Anklicken der Schaltfläche aufgrund der Formulierung Jetzt kaufen“ bewusst wird, dass er überhaupt, nämlich durch den Abschluss des Kaufvertrags, eine Zahlungspflicht eingeht, ist dem Schutzzweck des § 312j Abs. 3 Satz 1 BGB mit der vorliegenden Gestaltung nicht Genüge getan. § 312j BGB soll die Verbraucher vor Kostenfallen im Internet schützen. Der geforderte eindeutige Hinweis auf die Zahlungspflicht auf der Schaltfläche soll den Verbraucher davor schützen, eine Zahlungsverbindlichkeit einzugehen, ohne sich dieser Tatsache bewusst zu sein (OLG Köln, a.a.O.). Dies muss aber auch dann gelten, wenn der Verbraucher neben einer ihm schon bekannten Verbindlichkeit eine weitere Zahlungspflicht hinsichtlich eines anderen typerrverschiedenen Vertrags eingeht. Eine restriktive Auslegung der Vorschrift wäre mit der Zielrichtung eines effektiven Schutzes des Verbrauchers vor schwer erkennbaren Kostenfallen nicht vereinbar.

Letztlich führt auch der Vortrag der Beklagten, wonach es in einer Vielzahl von Fallgestaltungen üblich sei, dass ein Verbraucher mit einer Vertragserklärung mehrere, auch typenverschiedene Verträge abschließt, nicht zu einer anderen Beurteilung. Dass eine solche Praxis auch im elektronischen Geschäftsverkehr zulässig und möglich ist, steht hier nicht im Streit. Es lässt sich jedoch hieraus nicht ableiten, dass sich der Schutz des Verbrauchers darauf beschränke, dass er überhaupt eine Zahlungspflicht bei Abgabe der Vertragserklärung erkennt. Die Befürchtung der Beklagten, zahlreiche typische Geschäftsmodelle würden nach dieser Ansicht unzulässig sein, trifft schon deshalb nicht zu, da die Vorschrift des § 312j Abs. 3 Satz 1 BGB allein die Frage der Gestaltung des Bestellvorgangs, nicht aber die generelle Zulässigkeit besonderer Geschäftsmodellen regelt.

Dass die Gestaltung des Bestellvorgangs der Beklagten der gesetzlichen Regelung widerspricht, ist zuletzt auch deshalb zutreffend, da die Bezeichnung der Schaltfläche „Jetzt kaufen“ nicht auf den Abschluss eines Mitgliedschaftsvertrages abgestimmt ist und es dem Verbraucher auch nicht ausreichend kenntlich gemacht wird, dass er zugleich einen zusätzlichen kostenpflichtigen Vertrag in Form eines Dauerschuldverhältnisses abschließt. Der Begriff „kaufen“ bringt nicht zum Ausdruck, dass eine dauerhafte Rechtsbeziehung begründet werden soll (vgl. MüKoBGB/Wendehorst, 8. Aufl. 2019, BGB § 312j Rn. 29), womit nicht sichergestellt ist, dass der Verbraucher bei Betätigung der Schaltfläche mit dem entsprechenden Rechtsbindungswillen handelt. Die Gestaltung des Bestellvorgangs muss aber sowohl die vertragliche Bindung als auch die Zahlungspflicht vermitteln (MüKoBGB/Wendehorst, 8. Aufl. 2019, BGB § 312 j). Aus diesem Grund ergibt sich auch keine andere Beurteilung aufgrund des Verweises auf die Kommentarstelle in BeckOK BGB/Maume, 52. Edition, 01.11.2019, BGB § 312j Rn. 19b. Maßgeblich ist hier nicht lediglich der Inhalt der Vertragserklärung des Verbrauchers, sondern der konkrete Umfang der vertraglichen Bindung und die sich daraus ergebende Zahlungsverpflichtung.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG Nürnberg: Deckelung der Abmahnkosten nach § 97a Abs. 3 UrhG in Filesharing-Fällen ist mit Enforcement-Richtlinie zu vereinbaren - Zur Schadensschätzung bei Filesharing eines Computerspiels

OLG Nürnberg
Beschluss vom 28.10.2019
3 U 1387/19


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass die Deckelung der Abmahnkosten nach § 97a Abs. 3 UrhG in Filesharing-Fällen mit der Enforcement-Richtlinie zu vereinbaren ist. Bei der Schätzung des Lizenzschadens nach § 287 ZPO kann - so das Gericht - auch die Anzahl von möglichen Abrufen durch Tauschbörsennutzer mit einfließen. Zudem ist die Größe des Gesamtdatenvolumens zu berücksichtigen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Mit Beschluss vom 12.09.2019 wies der Senat die Klagepartei darauf hin, dass er beabsichtige, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 02.05.2019, Az. 3 O 7259/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Zur Begründung führte er Folgendes aus:

1. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den nach der Lizenzanalogie zu berechnenden Schadensersatzbetrag im Streitfall auf 900,00 Euro bemessen hat.

a) Bei der Berechnung der Höhe des zu leistenden Schadensersatzes im Wege der Lizenzanalogie ist zu fragen, was vernünftige Vertragspartner als Vergütung für die vom Verletzer vorgenommenen Benutzungshandlungen vereinbart hätten. Zu ermitteln ist der objektive Wert der Benutzungsberechtigung. Dabei ist unerheblich, ob und inwieweit der Verletzer selbst bereit gewesen wäre, für seine Nutzungshandlungen eine Vergütung zu zahlen. Im Rahmen der Ermittlung des objektiven Werts der Benutzungsberechtigung, der für die Bemessung der Lizenzgebühr maßgebend ist, müssen die gesamten relevanten Umstände des Einzelfalls in Betracht gezogen und umfassend gewürdigt werden (BGH, GRUR 2019, 292, Rn. 18 - Foto eines Sportwagens).

Gibt es keine branchenüblichen Vergütungssätze und Tarife, ist die Höhe der als Schadensersatz zu zahlenden Lizenzgebühr vom Tatrichter gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach seiner freien Überzeugung zu bemessen. Dabei sind an Art und Umfang der vom Geschädigten beizubringenden Schätzgrundlagen nur geringe Anforderungen zu stellen; dem Tatrichter kommt zudem in den Grenzen eines freien Ermessens ein großer Spielraum zu (BGH, a.a.O., Rn. 24 - Foto eines Sportwagens).

b) Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs hat die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 97 Abs. 2 S. 3 UrhG in Höhe von 900,00 Euro.

aa) Die vom Landgericht gewählten Bemessungskriterien für die Schätzung der angemessenen Lizenz nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO sind zutreffend.

So ist zu berücksichtigen, dass die Rechteverletzung über eine Internettauschbörse vorgenommen wurde, was grundsätzlich mit erheblichen Gefahren für den Schutzrechtsinhaber verbunden ist.
In die Ermessensentscheidung einzubeziehen sind auch die Häufigkeit (hier 14 Verstöße zwischen dem 27.09.2014 und dem 25.10.2014) sowie die Dauer der Rechtsverletzung von knapp einem Monat.
Zu beachten ist ebenfalls der Verkaufspreis des Spiels zum jeweiligen Verletzungszeitpunkt. Das Spiel erzielte bei Erstveröffentlichung einen Kaufpreis von ca. 50 Euro. Der Preis für die Downloadversion des Computerspiels im Oktober 2014 betrug 35,82 Euro.

Ins Gewicht fällt schließlich die Nähe der jeweiligen Verletzungshandlung zur Erstveröffentlichung des Computerspiels im August 2018. Vorliegend wurden bereits knapp zwei Monate nach der Erstveröffentlichung - somit im ersten Quartal - die streitgegenständlichen Verletzungshandlungen begangen. In diesen Zeitraum fällt einerseits die für ein Computerspiel noch wichtige Vermarktungsphase. Andererseits war der Downloadpreis bereits gegenüber dem Kaufpreis bei Erstveröffentlichung nicht unerheblich gesunken.

bb) Vor diesem Hintergrund entspricht der Betrag von 900,00 Euro unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls dem Lizenzsatz, den vernünftige Vertragspartner als Vergütung für die vom Beklagten vorgenommenen Benutzungshandlungen vereinbart hätten. Soweit die Klägerin moniert, dass dieser Betrag nicht mathematisch nachvollziehbar sei, ist darauf hinzuweisen, dass eine Einzelfallbetrachung unter Würdigung aller relevanten Kriterien gerade dem Wesen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO entspricht.

c) Eine höhere Schätzung der angemessenen Lizenz ist auch nicht aufgrund der sogenannten „Faktorrechtsprechung“ veranlasst.

aa) Ein Kriterium für die Berechnung der Schadensersatzhöhe bei Rechtsverletzungen durch Filesharing von Musikstücken kann der Ansatz einer bestimmten Anzahl von möglichen Abrufen durch unbekannte Tauschbörsenteilnehmer darstellen. Diese sogenannte „Faktorrechtsprechung“ basiert auf dem Einsatz der konkreten Tauschsoftware sowie dem Gefährdungspotenzial der zur Tatzeit online befindlichen Nutzer, die uneingeschränkt auf das urheberrechtlich geschützte Werk zugreifen können (BGH, GRUR 2016, 176, Rn. 59 ff. - Tauschbörse I). Die geschätzte Lizenzvergütung ist allerdings niedriger anzusetzen, sobald es sich bei den Verletzungsgegenständen um eine höhere Zahl von Musikdateien handelt (BGH, a.a.O., Rn. 65 - Tauschbörse I).
bb) Es ist streitig, ob diese im Bereich der Musikstücke entwickelte Berechnungsmethode auf Computerspiele angewandt werden kann. Teilweise wird dies aufgrund der wesensverschiedenen Downloadgeschwindigkeiten verneint (LG Frankenthal, Urteil vom 12.03.2019 - 6 O 313/18, BeckRS 2019, 17402, Rn. 38). Nach anderer Ansicht sind die Sachverhalte hinreichend vergleichbar. Dem Umstand, dass Musikstücke ein geringeres Datenvolumen aufweisen und daher schneller und häufiger heruntergeladen werden können, könne durch den Ansatz eines entsprechend geringeren Faktors Rechnung getragen werden (OLG Celle, MMR 2019, 450, Rn. 13).

Nach Auffassung des Senats bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, in geeigneten Fällen die sogenannte „Faktorrechtsprechung“ auf das Filesharing von Computerspielen anzuwenden. Denn maßgeblich ist, wie das Oberlandesgericht Celle zutreffend ausführt, der Einsatz der konkreten Tauschsoftware sowie das Gefährdungspotenzial der zur Tatzeit online befindlichen Nutzer, die uneingeschränkt auf das urheberrechtlich geschützte Werk zugreifen könnten. Diese Gefahr besteht unabhängig davon, ob es sich um Musikstücke, Filme oder Computerspiele handelt (vgl. OLG Celle, a.a.O., Rn. 13).
Dies darf jedoch nicht dazu führen, schematisch die angemessene Lizenz dadurch zu berechnen, dass der Online-Verkaufspreis für das Werk mit der Anzahl der während der Dauer der Verletzungshandlung hypothetischen oder möglichen Abrufe multipliziert wird. Denn die Höhe der als Schadensersatz zu zahlenden Lizenzgebühr ist vom Tatrichter gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach seiner freien Überzeugung zu bemessen. Auch in der Entscheidung „Tauschbörse I“ führt der Bundesgerichtshof lediglich aus, dass eine Schadensermittlung unter Berücksichtigung der möglichen Abrufe durch unbekannte Tauschbörsenteilnehmer beim Filesharing von Musikstücken im Rahmen des dem Tatrichter zustehenden weiten Ermessensspielraums nicht zu beanstanden ist, was eine Schadensschätzung im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls jedoch nicht ausschließt.

cc) Im vorliegenden Fall würde auch die Berücksichtigung der sogenannten „Faktorrechtsprechung“ als ein Kriterium für die Bemessung der angemessenen Lizenz nicht zu einer Erhöhung der Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO führen.
Auch bei Anwendung dieser Berechnungsmethode ist dem Umstand, dass Musikstücke ein deutlich geringeres Datenvolumen aufweisen und daher schneller und häufiger heruntergeladen werden können als Computerspiele, durch den Ansatz eines entsprechend erheblich geringeren Faktors Rechnung zu tragen (so auch OLG Celle, a.a.O., Rn. 13). Denn während die Downloadgeschwindigkeit eines Musiktitels auf Grund des relativ geringen Datenvolumens vergleichsweise schnell ist und bei Vorhandensein einer leistungsfähigen Hardware sowie eines schnellen Internetzuganges ein solcher Download in wenigen Augenblicken abgeschlossen sein kann, benötigt der Download eines modernen Computerspieletitels - mit regelmäßig mehreren Gigabyte an notwendigen Speichervolumen - auch bei leistungsstarker Hardware - einen vergleichsweise längeren Zeitraum von mehreren Stunden (vgl. LG Frankenthal, a.a.O., Rn. 38).

So wäre im vorliegenden Fall bei Berücksichtigung der Tatsache, dass ein Musikstück oftmals nur 6 Megabyte, ein Computerspiel hingegen regelmäßig 3 Gigabyte oder mehr Speicherplatz beansprucht, nur ein 1/500 Faktor anzusetzen. Dies würde bei Zugrundelegung des Preises für die Downloadversion des Computerspiels im Oktober 2014 von 35,82 Euro und der Tatsache, dass 723 weitere Nutzer der fraglichen Tauschbörse nach dem streitgegenständlichen Computerspiel suchten, einen Schadensersatzbetrag von ca. 52,00 Euro ergeben. In diesem Zusammenhang kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Computerspiel in insgesamt 14 Fällen tatsächlich zum Download bereitgestellt wurde, was bei einem Downloadpreis von 35,82 Euro zu einem Schadensersatzbetrag von 501,48 Euro führen würde.

2. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Tatsache, dass das Landgericht den für die erstattungsfähigen Abmahnkosten maßgeblichen Gegenstandswert für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch auf 1.000,00 Euro festgesetzt hat.
a) Nach § 97a Abs. 3 S. 1 UrhG können die erforderlichen Aufwendungen für die Abmahnung ersetzt verlangt werden. Der Gegenstandswert, der für die Höhe der Abmahnkosten maßgeblich ist, richtet sich grundsätzlich nach dem für ein Klageverfahren relevanten Streitwert.

Unter bestimmten Umständen ist die Höhe des Erstattungsanspruchs für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts nach § 97a Abs. 3 S. 2, 3 UrhG gedeckelt. Der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen beschränkt sich danach für die Geltendmachung des Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs auf die gesetzlichen Gebühren nach einem Gegenstandswert von 1.000,00 Euro, wenn der Abgemahnte eine natürliche Person ist, die nicht gewerblich oder im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit handelt, und nicht bereits wegen eines Anspruchs des Abmahnenden durch Vertrag, auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet worden ist. Ein Eingriff in Streitwert oder Gegenstandswert findet - wie die Klagepartei zutreffend ausführt - durch die Regelung in § 97a Abs. 3 S. 2 UrhG nicht statt, sondern nur eine Begrenzung der erstattbaren Kosten.
Die Deckelung des Erstattungsanspruchs kommt nach § 97a Abs. 3 S. 4 UrhG dann nicht in Betracht, wenn die Höhe des Anspruchs aus einem Gegenstandswert von 1.000,00 Euro nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Zu den in diesem Zusammenhang zu berücksichtigenden „besonderen Umständen des Einzelfalles“ kann auch eine im Einzelfall in relevantem Ausmaß vom üblichen Maß abweichende Anzahl oder Schwere der Rechtsverletzung gehören (vgl. Entwurf eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken, BT-Drs. 17/13057, S. 29). Wann das übliche Ausmaß einer Rechtsverletzung überschritten ist, bestimmt sich je nach Einzelfall und sollte auf absolute Ausnahmefälle beschränkt sein (vgl. Specht, in Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 97a Rn. 19b). Denn während § 97 Abs. 1 UrhG a.F. von der Ersatzfähigkeit ausging und in § 97 Abs. 2 UrhG a.F. die Deckelung in Ausnahmefällen vorsah, liegt § 97a Abs. 3 S. 1, 2 UrhG umgekehrt die Deckelung als Grundsatz zugrunde, welche im Ausnahmefall nach § 97a Abs. 3 S. 4 UrhG ausscheiden kann (Spindler, in Spindler/Schuster, Recht der Elektron. Medien, 4. Aufl. 2019, § 97a UrhG Rn. 18). Da die Deckelung die Regel darstellt, liegt die Darlegungs- und Beweislast für die Unbilligkeit beim Abmahnenden (Nordemann, in Fromm/Nordemann, UrhG, 12. Aufl. 2018, § 97a Rn. 50).
Mit Blick darauf, dass der Gesetzgeber mit der Deckelung gerade auch Filesharingfälle erfassen wollte, genügt es für die Erfüllung der Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands nicht, dass der private Nutzer ein urheberrechtlich geschütztes Werk über das Internet zugänglich macht, auch wenn der Senat nicht verkennt, dass bei der öffentlichen Zugänglichmachung von Werken im Rahmen anonymer Online-Tauschbörsen durch den Multiplikatoreffekt der viralen Weiterverbreitung ein erhebliches Gefährdungspotential besteht.

Dagegen kann ein qualifizierter Verstoß vorliegen, wenn die Privatperson ein geschütztes Werk vor oder unmittelbar im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erscheinen öffentlich zugänglich macht (OLG Celle, MMR 2019, 450, Rn. 21). Maßgeblich ist, ob die Weiterverbreitung ein aktuelles, hochpreisiges und sehr erfolgreiches Computerspiels im zeitlichen Zusammenhang mit der Erstveröffentlichung betrifft, weil dann ein erhebliches wirtschaftliches Interesse des Rechteinhabers an der Rechtsverfolgung besteht (vgl. AG München, Urteil vom 06.04.2018 - 158 C 13140/17, ZUM 2018, 742, Rn. 33). Als besonders umsatzstarke Erstverwertungsphase eines Computersiels kann regelmäßig der Zeitraum bis etwa zwei Monate nach Erscheinen angenommen werden (AG Düsseldorf, Urteil vom 07.08.2018 - 13 C 72/18, BeckRS 2018, 18535, Rn. 34). Nach anderer Auffassung kann die öffentliche Zugänglichmachung des Computerspiels im unmittelbar zeitlichen Zusammenhang mit der Veröffentlichung keine Ausnahme begründen, wenn das Werk schon veröffentlicht ist (vgl. AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 28.08.2017 - 213 C 99/17, BeckRS 2017, 127021, Rn. 14). Der Bundesgerichtshof wiederum stellt bei der vergleichbaren Problematik der Bestimmung des angemessenen Gegenstandswerts des Unterlassungsanspruchs u.a. darauf ab, ob das Werk „nicht allzu lange nach seinem Erscheinungstermin öffentlich zugänglich gemacht“ wurde (BGH, GRUR 2016, 1275, Rn. 59 - Tannöd).

b) Die Vorschrift des § 97a Abs. 3 UrhG ist mit den Vorgaben aus Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG vom 29.04.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Enforcement-RL) vereinbar.

Nach Art. 14 Enforcement-RL müssen die EU-Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei in der Regel, soweit sie zumutbar und angemessen sind, von der unterlegenen Partei getragen werden, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen.

Der Europäische Gerichtshof führte zur Auslegung von Art. 14 Enforcement-RL u.a. Folgendes aus (EuGH, GRUR Int. 2016, 963, Rn. 30 f. - United Video Properties):

„Daher muss eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die eine absolute Obergrenze für die Kosten im Zusammenhang mit dem Beistand eines Anwalts vorsieht, zum einen gewährleisten, dass diese Obergrenze die tatsächlich für Anwaltsleistungen im Bereich des geistigen Eigentums geltenden Tarife widerspiegelt, und zum anderen, dass wenigstens ein erheblicher und angemessener Teil der zumutbaren Kosten, die der obsiegenden Partei tatsächlich entstanden sind, von der unterlegenen Partei getragen wird. Eine solche Regelung kann nämlich, insbesondere falls die absolute Obergrenze zu niedrig ist, nicht ausschließen, dass die Höhe dieser Kosten die vorgesehene Obergrenze weit überschreitet, so dass die Erstattung, auf die die obsiegende Partei Anspruch hätte, unangemessen und gegebenenfalls sogar unerheblich wird, wodurch Art. 14 Enforcement-RL seine praktische Wirksamkeit genommen wird.

Die Schlussfolgerung in der vorangehenden Randnummer kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass Art. 14 Enforcement-RL von deren Anwendungsbereich Fälle ausschließt, in denen Billigkeitsgründe dem entgegenstehen, dass die Prozesskosten von der unterlegenen Partei getragen werden. Dieser Ausschluss betrifft nämlich nationale Vorschriften, die es dem Gericht ermöglichen, in einem Einzelfall, in dem die Anwendung der allgemeinen Prozesskostenregelung zu einem Ergebnis führen würde, das als ungerecht angesehen wird, ausnahmsweise von dieser Regelung abzuweichen. Hingegen können Billigkeitsgründe schon allein aufgrund ihres Wesens einen allgemeinen und bedingungslosen Ausschluss der Erstattung von Kosten, die eine bestimmte Obergrenze überschreiten, nicht rechtfertigen.“

Im vorliegenden Fall steht Art. 14 Enforcement-RL auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Regelung § 97a Abs. 3 S. 4 UrhG nicht entgegen. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist es dem nationalen Gesetzgeber nur untersagt, einen „bedingungslosen Ausschluss“ vorzunehmen (vgl. AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 28.08.2017 - 213 C 99/17, BeckRS 2017, 127021, Rn. 14). Dagegen handelt es sich bei § 97a Abs. 3 S. 2 UrhG um eine Einzelfallentscheidung, bei der das Gericht ausnahmsweise beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Deckelung des Gegenstandswerts für außergerichtliche Kosten annehmen darf. Diese Deckelung wird zudem für Fälle der Unbilligkeit eingeschränkt. Es handelt sich somit nicht um einen allgemeinen und bedingungslosen Ausschluss der Erstattung von Kosten jenseits einer bestimmten Obergrenze, weshalb die Deckelung des Gegenstandswerts - da der deutsche Gesetzgeber lediglich von der von Art. 14 Enforcement-RL eröffneten Möglichkeit, Billigkeitserwägungen bei der Regelung der Kostentragungspflicht einzustellen, Gebrauch gemacht hat - europarechtskonform ist (so auch OLG Celle, MMR 2019, 450, Rn. 22; AG Düsseldorf, Urteil vom 07.08.2018 - 13 C 72/18, BeckRS 2018, 18535, Rn. 31). Die bei § 97a Abs. 3 UrhG vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls folgt gerade aus Art. 3 und Art. 14 Enforcement-RL (Spindler, a.a.O., § 97a UrhG Rn. 18).

c) Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs ist die Deckelung des Gegenstandswerts für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch auf 1.000,00 Euro nicht zu beanstanden.

aa) Beim Beklagten handelt es sich um eine natürliche Person, welche die nach dem Urhebergesetz geschützten Werke nicht für eine gewerbliche oder selbstständige berufliche Tätigkeit verwendete und die nicht bereits wegen eines Anspruchs des Abmahnenden durch Vertrag, aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet war.

bb) Die Deckelung des Erstattungsanspruches ist auch nicht nach § 97a Abs. 3 S. 4 UrhG ausgeschlossen, da entgegen der Auffassung der Klägerin eine Begrenzung des Streitwertes auf 1.000,00 Euro nach den besonderen Umständen des Einzelfalles - unter Berücksichtigung der Tatsache, dass § 97a Abs. 3 S. 4 UrhG eine Ausnahmevorschrift darstellt, die bezweckt, dass die Deckelung der erstattbaren Abmahnkosten nicht unterlaufen wird - nicht unbillig ist.
Allein die Tatsache, dass das Zugänglichmachen über eine Online-Tauschbörse erfolgte, ist nicht geeignet, um die Unbilligkeit zu bejahen, da der Gesetzgeber bei Einführung des § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG gerade diese Sachverhalte privilegieren wollte.
Es liegen auch nicht die Voraussetzungen vor, unter denen ein qualifizierter Verstoß ausnahmsweise aufgrund der Nähe der Verletzungshandlung zur Erstveröffentlichung des Computerspiels angenommen werden kann. In diesem Zusammenhang ist einerseits zu berücksichtigen, dass das Computerspiel in dem Zeitpunkt, als es in der Internettauschbörse zum Download bereitgestellt wurde, bereits veröffentlicht war. Andererseits ist zu beachten, dass die streitgegenständlichen Verletzungshandlungen bereits knapp zwei Monate nach der Erstveröffentlichung - somit im ersten Quartal - begangen wurden. In diesen Zeitraum fällt die für ein Computerspiel noch wichtige Vermarktungsphase. Schließlich kann nicht außer Acht bleiben, dass im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verstöße der Downloadpreis bereits gegenüber dem Kaufpreis bei Erstveröffentlich nicht unerheblich gesunken war. Insgesamt kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass das Computerspiel nicht allzu lange nach seinem Erscheinungstermin öffentlich zugänglich gemacht wurde und die Weiterverbreitung ein aktuelles, hochpreisiges und sehr erfolgreiches Computerspiels im zeitlichen Zusammenhang mit der Erstveröffentlichung betrifft.
III.

Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 02.05.2019, Aktenzeichen 3 O 7259/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen und unter Ziffer II. dargestellten Hinweis des Senats Bezug genommen. Auch die Ausführungen in der Gegnerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.

1. Auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin im Schriftsatz vom 18.10.2019 schätzt der Senat gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller relevanten Umstände des vorliegenden Einzelfalles die angemessene und - da regelmäßig für den Vertrieb von Computerspielen über Internettauschbörsen eine Lizenzierung gerade nicht stattfindet - fiktive Lizenz auf 900,00 €.

Der Senat gesteht der Klagepartei zu, dass - wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt - ein Kriterium für die Berechnung der Schadensersatzhöhe der Ansatz einer bestimmten Anzahl von möglichen Abrufen durch unbekannte Tauschbörsenteilnehmer darstellen kann. Die Berücksichtigung dieser sogenannten „Faktorrechtsprechung“ als ein mögliches Kriterium der Schadensschätzung führt jedoch vor dem Hintergrund der - bereits im Hinweisbeschluss umfangreich dargelegten - sonstigen Bemessungskriterien für die Schätzung der angemessenen Lizenz im Wege einer Gesamtwürdigung nicht zu einem Erfolg der Berufung.

Die Ausführungen des Senats im letzten Absatz auf Seite 6 des Hinweisbeschlusses stellten - wie der Gesamtzusammenhang eindeutig zeigt - keine Hinwendung zu einer konkreten Schadensschätzung dar. Vielmehr sollte dadurch lediglich beispielhaft die Wichtigkeit des Datenvolumens des urheberrechtlich geschützten Werks beim Ansatz einer bestimmten Anzahl von möglichen Abrufen durch unbekannte Tauschbörsenteilnehmer verdeutlicht werden.

Zwar weist die Klagepartei zutreffend darauf hin, dass in Bit-Torrentnetzwerken die angebotenen Dateien in Teilstücke aufgeteilt werden und es beim Herunterladen eines derartigen Teilstücks in Bezug auf die Dauer keinen Unterschied macht, ob das Teilstück von einem Musikstück oder einem Computerspiel stammt. Im Rahmen der Berechnung der angemessenen Lizenz kann jedoch nicht auf ein derartiges Teilstück, sondern muss auf das Gesamtwerk abgestellt werden, weil nur dafür vernünftige Vertragspartner eine Vergütung als Gegenleistung für die Lizenzierung gezahlt hätten.

2. In Bezug auf den für die erstattungsfähigen Abmahnkosten maßgeblichen Gegenstandswert veranlasst die Gegenerklärung folgende ergänzende Anmerkungen:

Damit die Deckelung des § 97a Abs. 3 S. 2 UrhG greift, muss es sich bei dem Abgemahnten erstens um eine natürliche Person handeln, die nicht im Rahmen einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt hat, und der Abgemahnte darf zweitens nicht bereits durch Vertrag, aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet sein. Aus diesem Grund hat der Senat im Hinweisbeschluss - möglicherweise leicht missverständlich - ausgeführt, dass es sich bei dieser Vorschrift um eine Einzelfallentscheidung handele, bei der das Gericht (ausnahmsweise) beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Deckelung des Gegenstandswerts für außergerichtliche Kosten annehmen darf. Davon unberührt bleibt die Richtigkeit der vorangegangenen Aussage des Hinweisbeschlusses, wonach bei Vorliegen der Voraussetzungen die Deckelung den Regelfall darstelle und § 97a Abs. 3 S. 4 UrhG eine Ausnahme von der Deckelung für die Fälle vorsehe, in denen die Deckelung nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist.

Zur Vorgängerregelung des § 97a Abs. 2 UrhG a.F. führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass der Gesetzgeber bei der Bestimmung dessen, was als angemessene Verwertung eines Werkes anzusehen ist, einen verhältnismäßig weiten Gestaltungsraum habe. Dieser beziehe sich auch auf die gesetzliche Ausgestaltung der Maßgaben, nach denen Urheber ihren Anspruch auf Vergütung, auch gegenüber etwaigen Verletzern, verfolgen und dabei entstehende Kosten ersetzt verlangen können. Von der Verfassungsbeschwerde werde nicht geltend gemacht, dass schon das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel illegitim wäre, nämlich zu verhindern, dass Verletzer von Urheberrechten in Bagatellfällen überzogene Anwaltshonorare bezahlen müssen (BVerfG, GRUR 2010, 416, Rn. 22 - Fotoarchiv). Diese Erwägung gelten auch für die aktuelle Vorschrift des § 97a Abs. 3 UrhG.

3. Der Senat hält in Bezug auf die Abmahnkosten und die Deckelung des § 97a Abs. 3 S. 2 UrhG eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV zur Frage der Auslegung von Art. 14 der Enforcement-Richtlinie nicht für angezeigt.

a) Eine Vorlagepflicht besteht dann nicht, wenn die Frage nicht entscheidungserheblich ist, d.h., wenn die Antwort auf diese Frage, wie auch immer sie ausfällt, keinerlei Einfluss auf die Entscheidung des Rechtsstreits haben kann (EuGH, Urteil vom 06.10.1982 - C-283/81, Rn. 10 - Cilfit).

Darüber hinaus sind Gerichte dann nicht zur Vorlage einer vor ihnen aufgeworfenen Frage nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet, wenn das letztinstanzliche nationale Gericht in dem bei ihm schwebenden Verfahren feststellt, dass die betreffende entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Frage bereits Gegenstand der Auslegung durch den EuGH war oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts offenkundig ist, und damit für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH, Urteil vom 15.09.2005 - C-495/03 - Intermodal Transport).

b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

Nach Art. 14 der Enforcement-Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei in der Regel, soweit sie zumutbar und angemessen sind, von der unterlegenen Partei getragen werden, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dahingehend auszulegen, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass wenigstens ein erheblicher und angemessener Teil der zumutbaren Kosten, die der obsiegenden Partei entstanden sind, von der unterlegenen Partei getragen wird (EuGH, GRUR Int. 2016, 963, Rn. 30 - United Video Properties). Darunter fallen - als sonstige Kosten - auch vorgerichtliche Abmahnkosten, weil sie - insbesondere unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 93 ZPO - unerlässlich sind, um sinnvoll eine Klage zur Durchsetzung eines Rechts des geistigen Eigentums in einem konkreten Fall erheben zu können (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 39 f. - United Video Properties). Art. 14 der Enforcement-Richtlinie verbietet somit einen allgemeinen und bedingungslosen Ausschluss der Erstattung von Kosten, die eine bestimmte Obergrenze überschreiten (EuGH, a.a.O., Rn. 31 - United Video Properties).

Vor diesem Hintergrund ist § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG offenkundig mit Art. 14 der Enforcement-Richtlinie vereinbar. Denn es handelt sich bei dieser Vorschrift gerade nicht um einen allgemeinen und bedingungslosen Ausschluss der Erstattung von - eine bestimmte Obergrenze überschreitenden - Kosten im Sinne der EuGH-Entscheidung „United Video Properties“ (so auch Kiersch, ZUM 2018, 667).

In diesem Zusammenhang ist - über die bereits im Hinweisbeschluss dargestellten Argumente hinaus - zum einen zu berücksichtigen, dass nach Art. 3 Abs. 2 der Enforcement-Richtlinie die Mitgliedstaaten nur verhältnismäßige Maßnahmen und Verfahren vorsehen müssen und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben sein muss. Auch Art. 14 der Enforcement-Richtlinie verpflichtet nur zur Erstattung der zumutbaren und angemessenen Kosten. Die damit vorgegebene Interessenabwägung wird gerade durch die Regelung in § 97a Abs. 3 S. 2 UrhG konkretisiert. Denn nach dieser Vorschrift setzt die Deckelung des Gegenstandswerts voraus, dass es sich um eine natürliche Person handelt, welche die nach dem Urhebergesetz geschützten Werke nicht für eine gewerbliche oder selbstständige berufliche Tätigkeit verwendete und die nicht bereits wegen eines Anspruchs des Abmahnenden durch Vertrag, aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet war. Erfasst wird somit nur die Abmahnung des privaten Ersttäters. Diese Voraussetzungen stellen gerade typische Regelbeispiele für „minderschwere Fälle“, dar, bei denen aus Verhältnismäßigkeitsgründen eine Deckelung der Abmahnkosten in Betracht kommt.

Zum anderen enthält § 97a Abs. 3 S. 2 UrhG keinen allgemeinen und bedingungslosen Ausschluss der Kostenübernahme, da § 97a Abs. 3 S. 4 UrhG eine Rückausnahme für Fälle enthält, in denen die Kostendeckelung unbillig wäre. Fälle der Unbilligkeit im Sinne des § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG sind damit solche Fälle, in denen gerade keine Billigkeitsgründe nach Art. 14 der Enforcement-RL einer Unterliegenshaftung entgegenstehen (so auch Kiersch, ZUM 2018, 667). Dadurch wird dem Richter eine Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ermöglicht. Dabei ist unter Berücksichtigung der Ausführungen im Hinweisbeschluss nicht entscheidungerheblich, ob die Vorschrift des § 97a Abs. 3 UrhG richtlinienkonform dahingehend auszulegen ist, dass das Regel-Ausnahmeverhältnis umzukehren und lediglich in Fällen der Unbilligkeit eine Deckelung anzunehmen ist.

Nach Art. 3 Abs. 2 der Enforcement-Richtlinie müssen die Maßnahmen des nationalen Rechts schließlich auch wirksam und abschreckend sein. Auch diesen Vorgaben genügt die deutsche Regelung. Denn auch die Pflicht des Verletzers, aus dem Gegenstandswert von 1.000,00 € Kosten der Abmahnung zu tragen, führt zu einer hinreichenden Abschreckungswirkung. Denn die Deckelung des Gegenstandswertes betrifft nur Abmahnungen gegenüber Privatpersonen, so dass bei Annahme auch nur durchschnittlicher Einkommensverhältnisse die Abmahnkosten bereits eine spürbare Beeinträchtigung darstellen können.

c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin zitierten Gerichtsentscheidungen, weil es darin lediglich um die Frage der Unbilligkeit der Deckelung der Abmahnkosten gemäß § 97a Abs. 3 S. 4 UrhG und nicht um die Frage der generellen Unanwendbarkeit der Deckelung gemäß § 97a Abs. 3 S. 2 UrhG wegen Europarechtswidrigkeit ging.

4. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche - über den Streitfall hinausgehende - Bedeutung. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten. Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats als Berufungsgericht durch Urteil. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, welche die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Obergerichtliche Entscheidungen, die einer Zurückweisung der Berufung durch den Senat im Beschlusswege entgegenstehen, sind nicht bekannt."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Nürnberg: Sänger Xavier Naidoo darf nicht als "Antisemit" bezeichnet werden - besonders weitreichender und intensiver Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht

OLG Nürnberg
Urteil vom 22.10.2019
3 U 1523/18


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass der Sänger Xavier Naidoo nicht als "Antisemit" bezeichnet werden darf. Es liegt - so das Gericht - ein besonders weitreichender und intensiver Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Oberlandesgericht Nürnberg bestätigt Unterlassungsurteil zu Gunsten von Xavier Naidoo

Mit Urteil vom 22. Oktober 2019 hat das Oberlandesgericht Nürnberg die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts Regensburg zurückgewiesen, in welchem die Beklagte verurteilt worden war, künftig folgende Äußerung zu unterlassen: „Er (Anm.: gemeint ist Xavier Naidoo) ist Antisemit, das darf ich, glaube ich, aber gar nicht so offen sagen, (…). Aber das ist strukturell nachweisbar.“

Die Beklagte hatte sich so am 5. Juli 2017 in Straubing im Rahmen einer Diskussion geäußert, welche im Anschluss an einen von ihr als Fachreferentin der Amadeu-Antonio Stiftung zum Thema „Reichsbürger – Verschwörungsideologie mit deutscher Spezifik“ gehaltenen Vortrag stattfand. Xavier Naidoo erhob daraufhin Klage zum Landgericht Regensburg und verlangte u. a. die Unterlassung dieser Äußerung. Das Landgericht Regensburg hat der Klage stattgeben. Zwar sei die Äußerung der Beklagten als eine Meinungsäußerung und nicht als Schmähkritik zu qualifizieren und daher grundsätzlich vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst, sie verletze den Kläger aber in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Im Rahmen einer Abwägung komme diesem Vorrang zu.

Die Beklagte hat gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg Berufung zum Oberlandesgericht Nürnberg eingelegt und diese u. a. damit begründet, dass das Landgericht im Rahmen der Abwägung zu Unrecht verlangt habe, dass die Beklagte gewichtige Beweise für ihre Meinung vorlege. Man könne auch die Liedtexte des Klägers nicht isoliert von diesem betrachten: Die Kunstfreiheit stelle keine Schranke des Rechts dar, seine Meinung zu äußern.

Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom heutigen Tag zurückgewiesen. Es liegt nach Ansicht des Senats ein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers vor. Die Äußerung habe gerade vor dem historischen Hintergrund eine Prangerwirkung und setze das Ansehen des Klägers herab.

Dieser Eingriff sei auch rechtswidrig. Die Äußerung der Beklagten ist auch nach Auffassung des Oberlandesgerichts als eine Meinungsäußerung zu qualifizieren, da sie eine Wertung enthalte, die nicht dem Beweis zugänglich sei. Auch der Senat sieht die Aussage nicht als Schmähkritik an, da es der Beklagten im Rahmen der Diskussion ersichtlich nicht um eine reine Diffamierung des Klägers gegangen sei. Deshalb sei die Frage der Rechtswidrigkeit im Rahmen einer Abwägung zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht der freien Meinungsäußerung zu klären.

Für das Recht auf freie Meinungsäußerung spreche, dass ein offener Diskurs über verdeckte antisemitische Tendenzen in der heutigen Gesellschaft gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wichtig sei. Der Kläger wiederum bringe sowohl in seinen Liedtexten als auch bei sonstigen Auftritten und Aktionen seine politischen und gesellschaftlichen Anliegen sehr proaktiv ein und stelle seine damit verbundenen Ansichten öffentlich zur Diskussion. Die Bezeichnung als „Antisemit“ sei aber vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte als besonders weitreichender und intensiver Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers zu werten.

Die Meinungsäußerung der Beklagten enthalte wertende und tatsächliche Bestandteile, weshalb auch die Frage der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung, auf der die Wertung aufbaut, im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung eine Rolle spiele. Die Beklagte führe zur Begründung ihrer Auffassung u. a. an, dass der Kläger in zwei Liedern antisemitischen Code und antisemitische Chiffren verwende und mit darin enthaltenen Bildern antisemitische Klischees bediene. Der Kläger sei dem entgegen getreten und meine, dass seine Texte hier falsch interpretiert werden. Er sei nicht judenfeindlich. In diesem Zusammenhang sei - so der Senat - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger im Jahr 2005 in der Oper in Tel Aviv anlässlich des 40jährigen Jubiläums der deutsch-israelischen Beziehungen ein Konzert gab. Er unterstütze außerdem unstreitig Initiativen gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass, z.B. die Initiative „Brothers Keepers“ oder „Rock gegen Rechts“. In Interviews habe er sich mehrfach gegen Antisemitismus ausgesprochen.

Die Äußerung der Beklagten, dass der von ihr behauptete Antisemitismus des Klägers „strukturell nachweisbar sei“, lasse sich auch so deuten, dass es objektive Beweise gebe, worauf ihr Werturteil beruhe. Solche Beweise konnte die Beklagte jedoch nicht erbringen, sie habe lediglich die Liedtexte des Klägers und auch verschiedene Äußerungen seinerseits in einer bestimmten Weise gedeutet, von der sich der Kläger aber distanziert habe.

Aufgrund der Schwere des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Klägers überwiege dieses das Recht der Beklagten, ihre Meinung frei zu äußern, zumal die Beklagte aufgrund ihrer Äußerung den Eindruck erweckt habe, dass sie sich - wie tatsächlich nicht – auf objektive Beweise für die Tatsachen stützen könne, auf denen ihre Wertung beruhe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (sog. Stolpe-Doktrin) sei bei einer Unterlassungsklage diejenige Deutung zugrunde zu legen, welche das Persönlichkeitsrecht des Klägers am meisten beeinträchtigt.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.


OLG Nürnberg: Werbeanzeigen im Posteingang eines kostenlosen E-Mail-Postfachs ist keine unzumutbare Belästigung nach § 7 UWG

OLG Nürnberg
Urteil vom 15.01.2019
3 U 724/18


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass Werbeanzeigen im Posteingang eines kostenlosen E-Mail-Postfachs keine unzumutbare Belästigung nach § 7 UWG darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:

3. Es liegt auch keine unzumutbare Belästigung nach § 7 UWG vor.

a) Es handelt sich bei den streitgegenständlichen Anzeigen nicht um Werbung unter Verwendung elektronischer Post im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG.

aa) Folgender Rechtsrahmen ist für den Senat streitentscheidend.(1) Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG ist eine unzumutbare Belästigung bei Werbung unter Verwendung einer automatischen Anrufmaschine, eines Faxgerätes oder elektronischer Post, ohne dass eine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten vorliegt, anzunehmen.

Mit § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG wurde Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.07.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (im Folgenden: Datenschutzrichtlinie) umgesetzt. Aufgrund des Gebots richtlinienkonformer Auslegung sind daher die Bestimmungen der Datenschutzrichtlinie auch für § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG maßgeblich (BGH, Urteil vom 01. Februar 2018 - III ZR 196/17, Rn. 19 - mehrere Werbekanäle).

Nach Art. 13 Abs. 1 Datenschutzrichtlinie darf die Verwendung von automatischen Anrufsystemen ohne menschlichen Eingriff (automatische Anrufmaschinen), Faxgeräten oder elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung nur bei vorheriger Einwilligung der Teilnehmer gestattet werden. Dabei ist nach der Begriffsbestimmung in Art. 2 S. 2 lit. h Datenschutzrichtlinie elektronische Post „jede über ein öffentliches Kommunikationsnetz verschickte Text-, Sprach-, Ton- oder Bildnachricht, die im Netz oder im Endgerät des Empfängers gespeichert werden kann, bis sie von diesem abgerufen wird.“

Die Erwägungsgründe einer Richtlinie haben für die am Richtlinienzweck ausgerichtete Auslegung einer Richtlinienvorschrift eine gleich hohe Bedeutung wie die betreffende Vorschrift selbst (vgl. Jaeger, in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2018, Band 3, Rn. 201). Maßgeblich sind hier insbesondere Erwägungsgrund 27, der auszugsweise wie folgt lautet: „Bei der elektronischen Post ist die Übermittlung dann abgeschlossen, wenn der Adressat die Nachricht - üblicherweise vom Server seines Diensteanbieters - abruft.“ Darüber hinaus ist Erwägungsgrund 44 - der auszugsweise wie folgt lautet: „Bei einigen elektronischen Postsystemen können die Teilnehmer Absender und Betreffzeile einer elektronischen Post sehen und darüber hinaus diese Post löschen, ohne die gesamte Post oder deren Anlagen herunterladen zu müssen“ - für die Auslegung heranzuziehen.

(2) Nach der Kommentarliteratur umfasst der Begriff der Werbung unter Verwendung elektronischer Post folgende Dienste:

Von der Definition der elektronischen Post in Art. 2 S. 2 lit. h Datenschutzrichtlinie werden sowohl E-Mails (Electronic Mails) als auch Dienste wie SMS (Short Message Service) oder MMS (Mobile Message Service) erfasst. Bei der Kommunikation mittels E-Mail versendet der Absender einen elektronischen Datensatz von seinem elektronischen Briefkasten, der auf dem Server seines Diensteanbieters gespeichert ist, über diesen und meist noch verschiedene andere Server an den elektronischen Briefkasten des Empfängers. Der Empfänger kann die dann auf dem Server seines Diensteanbieters gespeicherten E-Mails verwalten, sie also z.B. löschen, abrufen oder auf seinem Rechner speichern (Leible, in MüKoUWG, 2. Aufl. 2014, § 7 UWG Rn. 157, 158). Voraussetzung für das Vorliegen von E-Mail-, Telefon- oder Faxwerbung ist, dass eine dem Empfänger dauerhaft zugeordnete individuelle Kontaktadresse mit Werbung beliefert wird (Leible, a.a.O., § 7 UWG Rn. 280).

Bekannter als der Begriff der elektronischen Post ist der gleichbedeutende Begriff der E-Mail (= Electronic Mail), der im Folgenden ebenfalls verwendet werden soll. Allerdings fällt auch die sog SMS (short message service) und die MMS (multimedia messaging service) unter den Begriff der elektronischen Post (Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 7 Rn. 196). Dabei findet der elektronische Datenaustausch über einen Diensteanbieter (Provider) statt. Die Teilnehmer benötigen einen mit individueller Adresse ausgestatteten elektronischen Briefkasten (Mailbox), der ihnen von einem Diensteanbieter zur Verfügung gestellt wird. Dieser Diensteanbieter unterhält einen ständig erreichbaren Mail-Server. Der Absender einer Botschaft übermittelt sie elektronisch an seinen Anbieter. Dieser leitet sie an den Anbieter des Adressaten weiter. Bei ihm wird die Botschaft gespeichert. Der Adressat kann die ihm zugeordnete Mailbox unter Verwendung eines Geheimcodes abfragen und die eingegangenen, zunächst nur mit Absender und Betreff gekennzeichneten Mitteilungen entweder löschen oder auf seinen Rechner übertragen (Köhler, a.a.O., § 7 Rn. 197).

Mit dem Begriff der Werbung unter Verwendung elektronischer Post ist jede Form der elektronischen Kommunikation gemeint, bei der die Nachricht in ein Postfach des Empfängers gelangt und dort von diesem - gegebenenfalls zeitversetzt - abgerufen werden kann. Damit fallen insbesondere auch Nachrichten in Online-Plattformen wie X… oder F… unter die Vorschrift. Nicht erfasst sind dagegen Echtzeitkommunikationen, etwa in Chats, bei denen die Nachricht nicht in einem Endgerät des Empfängers oder einem ihm zugeordneten Postfach gespeichert wird (Micklitz/Schirmbacher, in Spindler/Schuster, Elektron. Medien, 3. Aufl. 2015, § 7 UWG Rn. 94). Unter Verwendung elektronischer Post meint, dass die elektronische Post für die Kommunikation zum Einsatz kommen muss (Micklitz/Schirmbacher, a.a.O., § 7 UWG Rn. 96).

Neben E-Mails fallen unter den Begriff der elektronischen Post auch SMS (short message service) und MMS (multimedia messaging service) sowie elektronische Nachrichten innerhalb von sozialen Netzwerken. Da die elektronische Post den Empfänger direkt und individuell erreicht, ist ihr Werbepotential um einiges höher als eine allgemeine Publikumswerbung (Schöler, in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl. 2016, § 7 Rn. 288, 289).

Unter elektronischer Post ist die asynchrone Übermittlung von Nachrichten zu verstehen, bei der Nachrichten gespeichert werden, bis der Empfänger sie abruft. Neben E-Mails fallen hierunter auch Nachrichten über soziale Netzwerke, SMS und Instant Messaging (Lotze/Heinson, in Hasselblatt, MAH Gewerblicher Rechtsschutz, 5. Aufl. 2017, § 30 Rn. 110; Solmecke, in Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 46. EL Januar 2018, Teil 21.1 Rn. 54). In der Sache geht es um Werbung mit über das Internet versandter E-Mail (Electronic Mail) oder mit Hilfe eines (Mobil-)Telefons abrufbarer SMS-Nachricht (Short Message Service) bzw. der in technischen Entwicklung fortgeschrittenen MMS-Nachricht (Multimedia Messaging Service), die hier eine Bild- und Tonübermittlung erlaubt (Habermeier/Ludyga, in Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 4. Aufl. 2016, § 43 Rn. 29). Beispiele sind neben E-Mails, SMS und MMS sämtliche Nachrichten über Social Media-Dienste wie Xing, Facebook, LinkedIn oder WhatsApp (Ziegenaus, in Bräutigam/Rücker, E-Commerce, 1. Aufl. 2017, 2. Teil, Kapitel B. Rn. 5).

(3) Nach der Rechtsprechung fallen jedenfalls E-Mails unter § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 - I ZR 65/14, Rn. 29 - Freunde finden). Darüber hinaus umfasst elektronische Post die Kommunikationswege E-Mail, SMS und MMS (BGH, Urteil vom 01. Februar 2018 - III ZR 196/17, Rn. 19 - mehrere Werbekanäle).

bb) Der Senat geht von folgender - zwischen den Parteien in der Berufung nicht (mehr) im Streit stehender - Funktionsweise und Gestaltung der streitgegenständlichen Werbeanzeigen aus.

(1) Bei den von der Klägerin beanstandeten Werbeanzeigen handelt es sich um eine spezielle Werbefläche im Postfach des E-Mail-Dienstes der ... Deutschland GmbH, die als „...-Online.de Mail Ad“ bezeichnet wird. Werbekunden können die Schaltung von Werbung auf dieser Werbefläche in den kostenlosen E-Mail-Postfächern des E-Mail-Dienstes der ... buchen.

Statt der direkten Einbindung eines Werbebanners und dem direkten Link auf die Internetpräsenz des Werbenden, wird bei einem Adserver an der entsprechenden Stelle der Internetseite ein JavaScript-Code des Adservers - auch TAG genannt - eingebunden. Hierdurch wird durch das Öffnen einer Seite eine Anfrage (Adrequest) an den Adserver geschickt, ein Werbebanner aus dem Pool, ggf. mit entsprechendem Targeting (s. u.), einzublenden. Der Adserver schickt dann die entsprechenden Parameter an den Browser des Benutzers, wodurch ein Werbebanner eingeblendet wird, und protokolliert diese Einblendung. Klickt der Anwender auf das Banner, wird er zunächst an den Adserver weitergeleitet, der den Klick protokolliert und den Browser schließlich auf die Seite des Werbenden weiterleitet. Der Anwender merkt von diesem Vorgang in der Regel nichts (vgl. Wikipedia-Ausdruck in Anlage B 3).

Werbebanner sind mit herkömmlichen Werbeanzeigen in Printmedien vergleichbare Werbeflächen auf einer Website. Sie können bei mannigfaltiger graphischer Gestaltung selbst eine Werbeaussage enthalten und zudem mittels eines Hyperlinks mit einer anderen Website verknüpft sein, so dass sie den Benutzer nach dem Anklicken des Banners beispielsweise zu weiteren Werbeaussagen oder der Website des Werbenden führen (vgl. Hoeren/Sieber/Ho/znage, Multimedia-Recht Handbuch, Teil 11, Rn. 78).

(2) Die streitgegenständliche Werbeanzeige ist - anders als die „normalen“ E-Mails im Postfach - grau unterlegt und mit dem Hinweis „Anzeige“ versehen, die durch die daneben enthaltene Einblendung „x“ weggeklickt werden kann. Sie enthält keine Datumsanzeige, keinen Absender und keine Optionen zur Bearbeitung, wie z.B. die Archivierung, oder zur Beantwortung oder Weiterleitung. Auch wird sie nicht in die Anzahl der ungelesenen E-Mails des jeweiligen Kunden eingerechnet.

cc) Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen und technischen Rahmens sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für das Vorliegen von elektronischer Post i.S.v. § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG i.V.m. Art. 2 S. 2 lit. h Datenschutzrichtlinie nicht erfüllt.

(1) Dagegen spricht bereits der Wortlaut von Art. 2 S. 2 lit. h Datenschutzrichtlinie unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe.

(a) Aus der Gesamtschau der in der Definition von Art. 2 S. 2 lit. h Datenschutzrichtlinie verwendeten Begriffe „Post“, „Kommunikationsnetz“ und „Verschicken“ ergibt sich, dass elektronische Post nur bei der Versendung einer Nachricht von einem Nutzer an einen anderen Nutzer durch ein Dienstleistungsunternehmen (wie beispielsweise ein E-Mail-Provider), welches die elektronische Beförderung an die elektronische „Anschrift“ (wie beispielsweise eine E-Mail-Adresse) des zweiten Nutzers übernimmt, vorliegt. Diese Bedeutung wird bestätigt durch Erwägungsgrund 44, der von einem elektronischen Postsystem - welches begriffsnotwendig die Möglichkeit von Kommunikation voraussetzt - spricht. Auch aus den Erwägungsgründen 1, 12 und 40 sowie Art. 1 Abs. 1 Datenschutzrichtlinie ergibt sich, dass diese Regelungen dem Schutz der Privatsphäre der Nutzer im Bereich der elektronischen Kommunikation dienen sollen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 - VI ZR 225/17, Rn. 15 - Kundenzufriedenheitsbefragung).

Bei der streitgegenständlichen Einblendung von Werbung erfolgt ein Versenden der Nachricht in diesem Sinn nicht. Es erfolgt lediglich über einen Adserver die Darstellung der Werbung in einer bestimmten definierten Fläche einer Internetseite über in der Webseite eingebundene, vordefinierte „AdTags/AdSlots“, ohne dass eine Adressierung an bestimmte Kunden erfolgt.

(b) Nach Art. 2 S. 2 lit. h Datenschutzrichtlinie muss die Nachricht so lange gespeichert sein, bis sie vom Empfänger abgerufen wird. Dem entspricht Erwägungsgrund 27, wonach bei der elektronischen Post die Übermittlung dann abgeschlossen ist, wenn der Adressat die Nachricht - üblicherweise vom Server seines Diensteanbieters - abruft.

Ein derartiges Abrufen der Nachricht im Sinne dieser Vorschrift setzt ein bewusstes Verhalten des Adressaten voraus. Der Empfänger der Nachricht muss, nachdem er Kenntnis von der Mitteilung erhalten hat, durch eine Handlung - also einem auf einem Willensentschluss beruhenden Eingreifen in die Außenwelt - auf die Daten im Online-Betrieb zugreifen. Entscheidend ist, dass der Abrufende mit seinem Abrufverlangen einen programmtechnisch vorgegebenen Übermittlungsvorgang der Daten auslösen kann (vgl. von Lewinski, BeckOK DatenschutzR, 25. Ed. 01.05.2018, § 10 BDSG Rn. 6).

Im vorliegenden Fall ist ein Abruf der Nachricht in diesem Sinne nicht gegeben. Vielmehr muss der Benutzer des E-Mail-Dienstes lediglich auf der Webseite der ... den E-Mail-Service mit einem Webbrowser öffnen, damit der Werbebanner mittels eines Ad-Servers in Echtzeit angezeigt wird, ohne dass der Anwender von diesem Vorgang etwas merkt und sich durch einen Willensentschluss für oder gegen das Anzeigen entscheiden kann.

(2) Die systematische Auslegung von Art. 2 S. 2 lit. h Datenschutzrichtlinie spricht dagegen, die streitgegenständliche Einblendung von Werbung unter § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG fallen zu lassen.

(a) Nach der Rechtsprechung und der einhelligen Kommentarliteratur sind unter den Begriff der elektronischen Post lediglich die E-Mail, die SMS (Short Message Service) und die MMS (Mobile Message Service) zu subsumieren. Bei der streitgegenständlichen Einblendung von Werbung handelt es sich aber um keinen dieser Dienste. Insbesondere ist die streitgegenständliche Werbung nicht als E-Mail zu qualifizieren. Die streitgegenständliche Werbung ist auch mit einer E-Mail nicht vergleichbar.

Dies verdeutlicht bereits das Erscheinungsbild der Anzeige. Sie ist - anders als die „normalen“ E-Mails im Postfach - grau unterlegt und mit dem Hinweis „Anzeige“ versehen, die durch die daneben enthaltene Einblendung „x“ weggeklickt werden kann. Sie enthält keine Datumsanzeige und keinen Absender. Auch die Funktionen entsprechen nicht einer E-Mail. So enthält die Werbeanzeige keine Optionen zur Bearbeitung, wie z.B. die Archivierung, oder zur Beantwortung oder Weiterleitung. Auch wird sie nicht in die Anzahl der ungelesenen E-Mails des jeweiligen Kunden eingerechnet.

E-Mail (elektronische Post) basiert im Kern auf dem „Simple Mail Transfer Protocol“ (SMTP) und ermöglicht eine der traditionellen Briefpost vergleichbare Kommunikation der Teilnehmer im Internet (vgl. Sieber, in Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 45. EL Juli 2017, Teil 1, Technische Grundlagen Rn. 112). Die Teilnehmer benötigen einen mit individueller Adresse ausgestatteten elektronischen Briefkasten (Mailbox), der ihnen von einem Diensteanbieter zur Verfügung gestellt wird. Dieser Diensteanbieter unterhält einen Mail-Server. Der Absender einer Botschaft übermittelt sie elektronisch an seinen Anbieter. Dieser leitet sie an den Anbieter des Adressaten weiter. Bei diesem wird die Botschaft gespeichert. Der Adressat kann die ihm zugeordnete Mailbox unter Verwendung eines Geheimcodes abfragen und die eingegangenen, zunächst nur mit Absender und Betreff gekennzeichneten Mitteilungen entweder löschen oder auf seinen Rechner übertragen (Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 7 Rn. 197).

Die Funktionsweise ist bei den beanstandeten Werbeanzeigen anders. Die streitgegenständliche Werbung ist von der Beklagten nicht unter Verwendung einer individuellen E-Mail-Anschrift über einen E-Mail-Provider in den elektronischen Briefkasten des Klägers versandt worden. Ein elektronischer Datenaustausch über einen Mail-Server findet demgegenüber gerade nicht statt. Vielmehr ist die Werbung auf der Webseite von ...-Online geschaltet und nur in Echtzeit über einen Ad-Server im Postfach des Kunden von ...-Online sichtbar gemacht worden, wenn ein Kunde auf der Webseite der ... den E-Mail-Service mit einem Webbrowser öffnet. Die Anzeige des Werbebanners erfolgt dabei durch den Ad-Server in Echtzeit über in der Webseite eingebundene, vordefinierte „AdTags/AdSlots“, und zwar in Rotation nach dem Zufallsprinzip. Auf die Ausführungen unter B. II. 3. a) bb) (1) wird Bezug genommen.

(b) Die Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG erfasst als weitere Tatbestandsvarianten die Werbung unter Verwendung einer automatischen Anrufmaschine und eines Faxgerätes. In beiden Fällen wird die Werbung als Kommunikationsinhalt in Form eines Anrufs oder Telefaxes erfasst. Dies spricht nach der Systematik der Norm ebenfalls dafür, dass unter den Begriff der elektronischen Post nur die elektronische Übermittlung von Nachrichten zu subsumieren ist, die der Individualkommunikation - wie beispielsweise die E-Mail - dient.

Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass auch Werbe-E-Mails massenhaft versandt werden und dann keiner Individualkommunikation im eigentlichen Sinn dienen. Entscheidend ist, dass die Funktionsweise der Versendung „individuell“ - also an konkret adressierte Empfänger - erfolgt.

(c) § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG macht die dort genannten Werbeformen von einer vorherigen ausdrücklichen Einwilligung des Adressaten abhängig.

Die Einwilligung muss vom Anschlussinhaber bzw. Inhaber der E-Mail-Adresse erteilt worden sein, an den der Unternehmer die Werbung versendet. Zum Nachweis muss der Werbende die konkrete Einverständniserklärung jedes einzelnen Empfängers vollständig dokumentieren. Verfahren, bei denen unklar ist, ob eine Einverständniserklärung tatsächlich von dem adressierten Verbraucher stammt, sind für den erforderlichen Nachweis ungeeignet. Verwendet der Unternehmer für Werbe-E-Mails Adressdaten, für die ein Einverständnis der Verbraucher nicht oder nicht ausreichend dokumentiert ist, hat er die sich daraus ergebenden rechtlichen Folgen zu tragen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. März 2016 - I-15 U 64/15, Rn. 6 - Werbeanfragen im Reisebuchungssystem).

Das Erfordernis einer derartigen vorherigen ausdrücklichen Einwilligung setzt denknotwendig das Vorhandensein eines konkreten Adressaten voraus, der sich gegenüber dem Werbenden dazu äußern kann, ob er in die Werbung einwilligt. Die streitgegenständliche Werbeanzeige wird jedoch aufgrund eines Zufallsprinzips bei Kunden des kostenfreien E-Mail-Dienstes der ... Deutschland GmbH eingeblendet, ohne dass eine vorherige Kommunikation über das Einverständnis des Kunden möglich ist.

(d) § 7 Abs. 3 UWG enthält eine Ausnahme vom Erfordernis der Einwilligung des Adressaten in die Zusendung elektronischer Post. Danach ist eine Einwilligung für die Direktwerbung eines Unternehmers mit elektronischer Post dann nicht erforderlich, wenn er die elektronische Postadresse eines Kunden im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Ware oder Dienstleistung erhalten hat und bestimmte weitere Voraussetzungen vorliegen.
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Diese Ausnahmevorschrift, die nach ihrem Wortlaut auf alle Arten von elektronischer Post anwendbar ist, setzt das Vorhandensein einer elektronischen Postadresse voraus. Eine solche ist bei der streitgegenständlichen Werbeeinblendung jedoch nicht vorhanden.

(3) Schließlich spricht auch der Sinn und Zweck von § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG gegen eine Anwendung der Vorschrift auf die beanstandete Werbung.

(a) Die Regelung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG geht über das Verbot der Telefonwerbung hinaus und verlangt eine ausdrückliche Einwilligung nicht nur bei ihrer Verwendung gegenüber Verbrauchern, sondern ebenfalls gegenüber Unternehmern. Dies wird damit begründet, dass automatische Anrufmaschinen die Möglichkeit bieten, bestimmte Personen ohne größeren Aufwand automatisch immer wieder anrufen zu lassen, ohne dass diese mehr tun können, als immer wieder aufzulegen. Bei der Telefaxwerbung kommt die mit ihr verbundene Beeinträchtigung der ökonomischen Interessen des Werbeempfängers hinzu, da bei ihm über das „Übliche“ hinausgehende Kosten verursacht werden: Sein Gerät wird blockiert, sein Toner, Papier und Strom verbraucht usw. Ähnliches gilt für die Werbung mittels elektronischer Post. Deren Abruf kostet Onlinezeit bzw. belastet ein eventuell beschränktes Kontingent an Datenvolumen. Hinzu kommt der Arbeitsaufwand für die Trennung zwischen wichtigen elektronischen Nachrichten und elektronischem Werbemüll (Leible, in MüKoUWG, 2. Aufl. 2014, § 7 UWG Rn. 149).

Auch Erwägungsgrund 40 Datenschutzrichtlinie führt aus, dass Vorkehrungen getroffen werden sollten, um die Teilnehmer gegen die Verletzung ihrer Privatsphäre durch unerbetene Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung, insbesondere durch automatische Anrufsysteme, Faxgeräte und elektronische Post, einschließlich SMS, zu schützen. Diese Formen von unerbetenen Werbenachrichten können zum einen relativ leicht und preiswert zu versenden sein und zum anderen eine Belastung und/oder einen Kostenaufwand für den Empfänger bedeuten. Darüber hinaus kann in einigen Fällen ihr Umfang auch Schwierigkeiten für die elektronischen Kommunikationsnetze und die Endgeräte verursachen.

(b) Das streitgegenständliche Werbebanner führt - über die „normale“ belästigende Wirkung von Werbung hinaus - nicht zu Belastungen oder einem Kostenaufwand des Nutzers des ...-Online-E-Mail-Dienstes. Insbesondere wird sie nicht in die Anzahl der ungelesenen E-Mails des jeweiligen Kunden eingerechnet und nimmt auch keinen Speicherplatz des Postfacheingangs in Beschlag. Dem Werbebanner ist lediglich ein Hyperlink zu einer Zielseite hinterlegt, die sich in einem neuen Tap öffnet. Aufgrund der optischen Unterschiede zwischen E-Mails und der Werbeeinblendung besteht auch kein Arbeitsaufwand für die Trennung zwischen wichtigen elektronischen Nachrichten und elektronischem Werbemüll.

Auch die Funktionsweise der streitgegenständlichen Werbung entspricht generell der Platzierung von Werbebannern mittels Adservern. Wenn diese Werbungsformen § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG unterfallen würden, wären sie - wie beispielsweise auch Google Adwords - nur bei vorheriger Zustimmung des Adressaten zulässig. Da - wie oben ausgeführt - mangels vorheriger Kommunikation zwischen Werbenden und Adressaten eine vorherige Zustimmung nicht erteilt werden kann, wäre die Werbung mittels Adservern generell unzulässig. Dies kann jedoch mit der Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG nicht gemeint sein. Dabei kann es für die Beurteilung des Anwendungsbereichs von § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG keinen Unterschied machen, ob die Werbung innerhalb oder außerhalb des Eingangspostfachs platziert ist, zumal der Gesetzeswortlaut diese Unterscheidung nicht trifft.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass - im Unterschied zu E-Mail-, Telefon- oder Faxwerbung - bei der streitgegenständlichen Form der Werbung keine dem Empfänger dauerhaft zugeordnete individuelle Kontaktadresse mit Werbung beliefert wird, so dass Eigentums- oder Besitzstörungen ausgeschlossen sind (vgl. Leible, in MüKoUWG, 2. Aufl. 2014, § 7 UWG Rn. 280).
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b) Auch die Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 4 lit. a UWG ist nicht einschlägig. Denn es liegt keine „Werbung mit Nachrichten“ vor. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG ist eine „Nachricht” jede Information, die zwischen einer endlichen Zahl von Beteiligten über einen öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienst ausgetauscht oder weitergeleitet wird. Damit erstreckt sich der Anwendungsbereich der Vorschrift auf Sprachtelefone, Faxgeräte und elektronische Post, also E-Mail, SMS und MMS (Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 2 Rn. 112). Eine derartige Kommunikationsform ist vorliegend nicht streitgegenständlich, weshalb es auf die Frage, ob der Anwendungsbereich richtlinienkonform auf das Versenden elektronischer Post zu beschränken ist (vgl. (Köhler, a.a.O., § 2 Rn. 112), nicht ankommt.

c) Die Regelung des § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG ist nach richtlinienkonformer Auslegung auf die streitgegenständliche Werbung nicht anwendbar.

Da es in richtlinienkonformer Auslegung Zweck dieser Vorschrift ist, Verbraucher vor einer Gefährdung ihrer Entscheidungsfreiheit durch Belästigung zu schützen, kommen nur solche Fernkommunikationsmittel in Betracht, die für ein „Ansprechen“ im Sinne eines „Bedrängens“ eines Verbrauchers eingesetzt werden. Dies bestätigen die in Nr. 26 S. 1 Anhang I der Richtlinie 2005/29/EG vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt erwähnten Beispiele des Ansprechens über Telefon, Fax, E-Mail. Denn nur dann kann sich ein Durchschnittsverbraucher überhaupt angesprochen fühlen und Anlass haben, eine bestimmte Kaufentscheidung zu treffen. Daher scheiden von vornherein solche Fernkommunikationsmittel aus, die sich an die Allgemeinheit richten, wie beispielsweise Werbung im Fernsehen, im Hörfunk, im Internet und in Presseerzeugnissen (Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 7 Rn. 106).

Nach den obigen Ausführungen handelt es sich bei der streitgegenständlichen Werbung um ein an die Allgemeinheit gerichtetes Fernkommunikationsmittel, welches nicht unter § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG fällt.
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d) Die streitgegenständliche Werbung stellt schließlich auch keine unzumutbare Belästigung im Sinne der Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 UWG dar.

aa) Folgender Rechtsrahmen ist für den Senat streitentscheidend.

(1) Nach § 7 Abs. 1 S. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird, unzulässig.

Belästigend ist eine Werbung, die dem Empfänger aufgedrängt wird und die bereits wegen ihrer Art und Weise unabhängig von ihrem Inhalt als störend empfunden wird. Unzumutbar ist die Belästigung, wenn sie eine solche Intensität erreicht, dass sie von einem großen Teil der Verbraucher als unerträglich empfunden wird, wobei der Maßstab des durchschnittlich empfindlichen Adressaten zugrunde zu legen ist. Dabei kommt es nicht einseitig auf die Perspektive des Adressaten der geschäftlichen Handlung an. Die Unzumutbarkeit ist vielmehr zu ermitteln durch eine Abwägung der auch verfassungsrechtlich geschützten Interessen des Adressaten, von der Werbung verschont zu bleiben, und des werbenden Unternehmers, der seine gewerblichen Leistungen durch Werbung zur Geltung bringen will (BGH, Urteil vom 03. März 2011 - I ZR 167/09, Rn. 17 - Kreditkartenübersendung).

Im Rahmen der umfassenden Abwägung sind einerseits die Interessen des Handelnden (z.B. Förderung des Waren- oder Dienstleistungsabsatzes durch kostengünstige und effektive Werbemethoden) und andererseits der Adressaten der geschäftlichen Handlung (z.B. Schutz der Privatsphäre, Kostenvermeidung) zu berücksichtigen. Entscheidende Faktoren im Abwägungsprozess sind der Grad und die Intensität des Einwirkens auf den Werbeadressaten und - damit meist, aber nicht notwendig korrelierend - der Aufwand, den er betreiben muss, um der Werbung zu entgehen (Leible, in MüKoUWG, 2. Aufl. 2014, § 7 UWG Rn. 49 f.).

Bei der Interessenabwägung gelten folgende Grundsätze (vgl. Ohly, in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 7 Rn. 25):
- Je erheblicher die Störung, desto eher ist sie unzumutbar. Geringfügige Belästigungen hingegen sind vom Adressaten hinzunehmen.
- Eingriffe in die Privatsphäre haben größeres Gewicht als Störungen in der Öffentlichkeit oder die Störung betrieblicher Abläufe.
- Je größer die Bedeutung der betreffenden Werbemethode für den Werbenden und je geringer seine Ausweichmöglichkeiten auf andere, ähnlich effektive Werbemittel, desto eher ist die Werbung vom Adressaten hinzunehmen.
- Je höher der Aufwand für den Adressaten, der belästigenden Handlung zu entgehen, desto weniger ist sie hinnehmbar.
- Bei der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung muss der Summen- bzw. Nachahmungseffekt berücksichtigt werden. Gerade bei der Verwendung kostengünstiger Werbemethoden liegt die Vermutung nahe, dass sich andere Mitbewerber zur Nachahmung veranlasst sehen. Auch wenn eine einzelne Handlung als unerhebliche Belästigung anzusehen wäre, kann sich die Unlauterkeit in diesen Fällen daraus ergeben, dass für die Zukunft mit einer erheblichen Zahl gleichartiger Handlungen zu rechnen wäre, die in ihrer Summe eine wesentliche Belästigung darstellen würden.

(2) In der Literatur wird bei Internetwerbung bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Belästigung ein insgesamt großzügiger Maßstab angelegt.

Soweit die Werbung klar erkennbar ist - wie bei der Banner-Werbung - ist dies ebenso wenig zu beanstanden wie die Anzeigenwerbung in der Zeitung. Auch Werbung mittels Interstitials oder Pop-Up-Fenstern ist nicht zu beanstanden, wenn sich der Nutzer der Werbung in kurzer Zeit durch Wegklicken oder durch Verlassen der Seite entziehen kann oder wenn das Interstitial in kurzer Zeit von selbst verschwindet. Wer einen kostenlosen Push-Dienst, d.h. die Übermittlung bestimmter Informationen über das Internet, in Anspruch nimmt, erklärt damit konkludent seine Zustimmung zur Zusendung auch von Werbung. Denn er muss davon ausgehen, dass derartige Dienstleistungen - ähnlich wie beim Free-TV - durch Werbung finanziert werden (Köhler, in Köhler/Bornkamm, UWG, 37. Aufl 2019, § 7 Rn. 93).

Dass Werbemittel, die beim Surfen auf dem Bildschirm erscheinen, eine unzumutbare Belästigung darstellen, ist die Ausnahme. Grundsätzlich sind Werbemittel als Informationsquelle und Mittel zur Finanzierung der besuchten Website hinzunehmen. Insbesondere Pop-Ups, Layer-Ads, Video-Ads und Interstitials sind dem Nutzer zumutbar. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Werbemittel ohne Weiteres sofort oder nach einer kurzen Zeit, die der Dauer eines Werbespots im Fernsehen entsprechen kann, wegklicken lassen (Micklitz/Schirmbacher, in Spindler/Schuster, Elektron. Medien, 3. Aufl. 2015, § 7 UWG Rn. 19 f.).

Werbung im Internet bedient sich gerne so genannter Pop-Up-Fenster oder Pre- bzw. Interstitials. Bei Ersterem handelt es sich um Webseiten mit Werbeinhalt, die sich automatisch neben der eigentlich aufgerufenen Internetseite öffnen. Ein Prestitial ist der aufgerufenen Internetseite vorgeschaltete, zumeist ganzseitige Werbung, während unter Interstitials Werbung verstanden wird, die bei dem Wechsel zwischen zwei Seiten oder vor dem Start einer bestimmten Funktion (etwa eines Videos) eingeblendet wird. Gegen diese Formen der Werbung ist, zumindest sofern sie sich wieder schließen lassen oder dies von selbst tun, nichts einzuwenden, auch wenn es lästig sein mag, das zusätzlich geöffnete Fenster wieder zu schließen. Eine unzumutbare Belästigung liegt jedenfalls nicht vor, zumal der Nutzer selbst es war, der die entsprechende Seite aufgesucht hat. Außerdem ist heute jedermann bekannt, dass viele Internetseiten überhaupt nur werbefinanziert existieren können. Unzulässig sind Werbeunterbrechungen im Internet nur, wenn der Nutzer praktisch keine Möglichkeit hat, ihnen auszuweichen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn er gegen seinen ausdrücklich geäußerten Willen gezwungen wird, den Kontakt zur besuchten Seite aufrechtzuerhalten und die dortigen Angebote zur Kenntnis zu nehmen, weil sich etwa, obwohl bei einem Sicherheitshinweis „nein“ angeklickt wurde, mehrere Pop-Up-Fenster öffnen und der Versuch, eines zu schließen, zu einer schier endlosen Kette neuer Pop-Ups führt (Leible, in MüKoUWG, 2. Aufl. 2014, § 7 UWG Rn. 280).

Das Einstellen (meist rechteckig geformter) optisch getrennter Werbeflächen anderer Unternehmer in die vom Benutzer angesteuerte Internetseite wird als Bannerwerbung bezeichnet. Eine solche Werbung ist unter dem Gesichtspunkt einer „unzumutbaren Belästigung“ regelmäßig unbedenklich, wenn nicht die Werbung außergewöhnlich unerwartet lange Downloadzeiten für die Seite mit sich bringt und der Benutzer einer Internetseite hinreichend über den werblichen Charakter der Anzeige aufgeklärt wird (Habermeier/Ludyga, in Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 4. Aufl. 2016, § 43 Rn. 41).

(3) Die Rechtsprechung hat folgende Werbeformen im Internet als zulässig angesehen: Pop-Up-Fenster - also Werbeanzeigen, die unaufgefordert auf der vom Internetnutzer aufgerufenen Internetseite erscheinen - sind in der Regel nicht als unzumutbare Belästigung anzusehen. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der mit einer solchen Werbung verbundenen Belästigung ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der Internetnutzer, der eine mit derartiger Werbung finanzierte Internetseite aufsucht, von der Werbung insofern profitiert, als ihm aufgrund der daraus erzielten Einnahmen die Inhalte der Internetseite kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Die Schwelle zur Unzumutbarkeit der Werbung ist (jedenfalls dann) noch nicht überschritten, wenn eine störende Internet-Werbung der in Rede stehenden Art innerhalb kurzer Zeit weggeklickt werden kann oder alsbald von selbst verschwindet (KG Berlin, Urteil vom 18. Oktober 2013 - 5 U 138/12, Rn. 23 ff.)

Vorschaltwerbung (Pre-Roll-Werbung) stellt jedenfalls dann keine unzumutbare Belästigung dar, wenn die Werbung innerhalb kurzer Zeit weggeklickt werden kann oder alsbald von selbst verschwindet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Internetnutzer die Internetseite kostenlos nutzen kann, weil sie durch die von ihm als lästig empfundene Werbung finanziert wird (OLG Köln, Urteil vom 12. April 2013 - I-6 U 132/12, Rn. 33 ff. - SpielAffe).

Interstitial-Werbung - ein Werbeblock, der entweder für bestimmte Zeit eingeblendet wird oder per Mausklick beendet werden kann - stellt keine unzumutbare Belästigung dar, wenn er nach 10 Sekunden automatisch verschwindet oder nach 5 Sekunden weggeklickt werden kann. Im Interesse des Wettbewerbs ist zu berücksichtigen, dass mit jeder Werbung ein gewisses Maß an Beeinflussung und Belästigung verbunden ist. Ein Interstitial kann zwar als störend oder auch nervend angesehen werden. Es überschreitet jedoch nicht die Schwelle zur unzumutbaren Belästigung, denn der Nutzer kann sich der Werbung nach kurzer Zeit durch Wegklicken entziehen. Die Belästigungsintensität liegt damit weitgehend in seiner Hand. Außerdem stellt das Wegklicken ein relativ einfaches Mittel dar, um die Belästigung zu beheben (LG Berlin, Urteil vom 14. September 2010 - 103 O 43/10, Rn. 41).

bb) Im vorliegenden Fall ergibt die Abwägung der maßgeblichen Umstände, dass ein durchschnittlich empfindlicher Adressat durch die streitgegenständlichen Werbebanner zwar belästigt wird. Dies erfolgt aber nicht in unzumutbarer Weise.

(1) Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass Grad und Intensität des Einwirkens auf Werbeadressaten nicht unerträglich sind.

Die Werbung ist klar als solche erkennbar, da sie - anders als die „normalen“ E-Mails im Postfach - grau unterlegt und an der Stelle, an der bei E-Mails die Uhrzeit des Eingangs der Mail angezeigt ist, mit dem deutlichen Hinweis „Anzeige“ versehen ist. Sie enthält anstelle eines Absenders den - regelmäßig in Farbe gehaltenen (vgl. Bl. 291 d.A.) - Firmennamen des Werbenden. Den von der Klagepartei vorgelegten Anlagen mit der streitgegenständlichen Verletzungshandlung kann entnommen werden, dass sie immer an der gleichen Stelle des Postfachs erscheint, weshalb der Verbraucher beim mehrfachen Öffnen des Postfachs daran gewöhnt ist, an dieser Stelle eine Werbeanzeige zu sehen.

Durch die Einblendung der Werbeanzeigen werden keine sonstigen Inhalte - wie beispielsweise E-Mails - verdeckt. Der Kunde wird zu keinem Zeitpunkt daran gehindert, E-Mails zu lesen. Die streitgegenständliche Werbung führt damit nicht zu Beeinträchtigungen wie andere (zulässige) Werbeformen im Internet - wie beispielsweise Pop-Ups oder Prestitials - die sich über Teile des Bildschirms legen.

Durch Anklicken des „X“ kann die Werbung aus der inbox entfernt werden, sodass sich die allein durch die einzelne Werbeanzeige verursachte Zeitverschwendung beim Empfänger in Grenzen hält. Der Aufwand für den Adressaten, der belästigenden Handlung zu entgehen, ist als relativ gering einzustufen.

Nach dem Vortrag der Klägerin erschien die streitgegenständliche Werbeanzeige der Beklagten insgesamt nur drei Mal im E-Mail-Postfach des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, und zwar am 12.12.2016, 13.01.2017 und 15.01.2017. Bei dieser Anzahl ist von einer eher geringfügigen Belästigung auszugehen. Zwar ist bei der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung der Summen- bzw. Nachahmungseffekt im Rahmen der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Jedoch kann die Unzumutbarkeit der Belästigung nicht allein daraus abgeleitet werden, dass andere - von der Beklagten völlig unabhängige - Unternehmen an der beanstandeten Stelle im Posteingangsfach Werbung schalten lassen.

(2) Andererseits hat in die Abwägung einzufließen, dass durch das Erscheinen der Werbung innerhalb des Posteingangs - eingereiht in die neu eingegangenen E-Mails - diese für den flüchtigen Betrachter wie eine E-Mail wirken und damit stärker wahrgenommen werden kann als Werbebanner außerhalb des Eingangspostfachs. Damit ist der Belästigungsgrad höher einzustufen als die am Bildrand des Postfachs eingeblendete Werbung.

(3) Entscheidend ist jedoch, dass die streitgegenständlichen Werbeanzeigen auf einer kostenfreien Webseite erfolgen, über die ein kostenloser E-Mail-Dienst zugänglich gemacht wird. Es handelt sich dabei um ein klassisches Werbeumfeld, bei der Werbung vom Durchschnittsverbraucher erwartet wird, weil er die bewusste Entscheidung für einen kostenlosen und werbefinanzierten E-Mail-Dienst getroffen hat. Darüber hinaus wird der Kunde bei der Registrierung des kostenlosen E-Mail-Dienstes der ... ausdrücklich auf die Finanzierung durch Werbung hingewiesen.

Es besteht außerdem die Möglichkeit, durch die Bezahlung eines Entgelts den ...-Online-E-Mail-Dienst werbefrei zu nutzen. Auch darauf wird bei der Registrierung hingewiesen (vgl. Anlage StV 3). Schließlich trug die Beklagte unwidersprochen vor, dass bei Verwendung eines E-Mail-Clients (wie beispielsweise Microsoft Outlook) die Werbeanzeige nicht eingeblendet wird.

e) Eine Unzulässigkeit der streitgegenständlichen Werbung ergibt sich auch nicht aus § 7 UWG i.V.m. Art. 13 Abs. 3 Datenschutzrichtlinie.

Nach Art. 13 Abs. 3 Datenschutzrichtlinie sollen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass unerbetene Nachrichten zum Zwecke der Direktwerbung, die entweder ohne die Einwilligung der betreffenden Teilnehmer oder Nutzer erfolgen oder an Teilnehmer oder Nutzer gerichtet sind, die keine solchen Nachrichten erhalten möchten, nicht gestattet sind; welche dieser Optionen gewählt wird, wird im innerstaatlichen Recht geregelt, wobei berücksichtigt wird, dass beide Optionen für den Teilnehmer oder Nutzer gebührenfrei sein müssen.

Diese Vorschrift dient, wie aus der Bezeichnung der Richtlinie und ihrem Art. 1 Abs. 1 hervorgeht, dem Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen vor unerbetener Direktwerbung. Sie wird durch § 7 Abs. 2 Nr. 3, 4 und Abs. 3 UWG umgesetzt (vgl. Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, Drucksache 15/1487, S. 21). Denn Art. 13 Abs. 3 Datenschutzrichtlinie bezieht sich auf die Telefonwerbung, die einen nationalen Gestaltungsspielraum vorsieht, was sich aus Erwägungsgrund 42 dieser Richtlinie ergibt (vgl. Ohly, in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 7 Rn. 8). Die Umsetzung in § 7 Abs. 2 Nr. 3, 4 und Abs. 3 UWG erfolgte auch in unionsrechtskonformer Weise (Ohly, a.a.O., § 7 Rn. 9; vgl. auch BGH, GRUR 2011, 936, Rn. 23 - Double-opt-in-Verfahren; BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 - I ZR 65/14, Rn. 24 - Freunde finden). Daraus ergibt sich in Bezug auf die streitgegenständliche Werbung, dass Art. 13 Abs. 3 Datenschutzrichtlinie keinen über § 7 Abs. 2 Nr. 3, 4 und Abs. 3 UWG hinausgehenden Anwendungsbereich hat.

Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund von Art. 2 S. 2 lit. d Datenschutzrichtlinie veranlasst, wonach „Nachricht“ jede Information ist, die zwischen einer endlichen Zahl von Beteiligten über einen öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienst ausgetauscht oder weitergeleitet wird. Diese Definition entspricht wortwörtlich § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG. Der dabei verwendete Begriff des elektronischen Kommunikationsdienstes ist definiert in Art. 2 lit. c der Richtlinie 2002/21/EG 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste und bezieht sich auf gewöhnlich gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über elektronische Kommunikationsnetze bestehen. Darunter fallen Sprachtelefonie, Telefaxdienste, und elektronische Post, also E-Mails, SMS, MMS (vgl. Sosnitza, in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 2 Rn. 81), nicht aber die streitgegenständlichen Werbebanner. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass vom Nachrichtenbegriff nur Informationen für bestimmte identifizierbare Kommunikationsdiensteteilnehmer oder Nutzer erfasst werden, nicht aber Informationen, die der elektronische Kommunikationsdienst der Öffentlichkeit als einem unbestimmten Empfängerkreis zuleitet. Dies setzt das Bestehen individueller Kontakte zwischen Absender und Empfänger voraus (vgl. Sosnitza, a.a.O., § 2 Rn. 80)."

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OLG Nürnberg: Keine Dringlichkeit für einstweilige Verfügung bei Markenrechtsverletzung im Internet wenn Verletzer Verletzungshandlung auf Website eingestellt hat

OLG Nürnberg
Beschluss vom 12.10.2018
3 W 1932/18


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass keine Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung bei Markenrechtsverletzungen im Internet besteht, wenn der Verletzer die Verletzungshandlung auf der Website eingestellt hat. Nach Ansicht des OLG Nürnbegr ist die Dringlichkeitsvermutung in § 12 Abs. 2 UWG nicht analog auf Markenrechtsverletzungen anzuwenden.

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Eine Dringlichkeitsvermutung besteht für kennzeichenrechtliche Auseinandersetzungen nicht, die Vorschrift des § 12 Abs. 2 UWG ist bei Kennzeichenverletzungen nicht anwendbar.

a) Die analoge Anwendbarkeit des § 12 Abs. 2 UWG auf markenrechtliche Unterlassungsansprüche wird nicht einheitlich beurteilt. Teilweise wird auch in aktuelleren Entscheidungen eine analoge Anwendbarkeit bejaht (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 12. Oktober 2017 - 2 U 162/16, Rn. 48). Die überwiegende Meinung in der neueren Rechtsprechung (vgl. OLG München, Urteil vom 24. August 2006 - 6 U 4455/05, Rn. 4; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. Januar 2015 - 20 U 114/14, Rn. 21; OLG Frankfurt, Urteil vom 08. Juni 2017 - 6 U 249/16, Rn. 18 - ELVAPO/EVAPO) und in der Literatur (vgl. Singer, in Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 8. Aufl. 2017, Kapitel 45, Rn. 47; Feddersen, in Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 11. Aufl. 2016, 54. Kapitel, Rn. 19 ff.; Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl. 2018, § 12 Rn. 3.14) lehnt jedoch die analoge Anwendung ab.

b) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Sollte sich aus dem Urteil des OLG Nürnberg vom 27. 11. 2001 - 3 U 3017/01 - NIKE-Sportschuhe etwas anderes ergeben, hält der Senat daran nicht mehr fest.
10
Zum einen fehlt es an der für die Analogie notwendigen planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat die Dringlichkeitsvermutung anlässlich der Übernahme des § 16 UWG a. F. in das Markengesetz nicht auf das Markenrecht ausgedehnt, obwohl der Streit, in welchem Umfang eine Analogie zu § 25 UWG a. F. (jetzt § 12 Abs. 2 UWG) möglich ist, schon lange bestand.

Zum anderen fehlt es an der Vergleichbarkeit der Interessenlage. Denn bei Schutzrechtsverletzungen geht es - anders als bei UWG-Verstößen und den Fällen des UKlaG - sehr oft auch auf der Verletzerseite um beachtliche Schutzrechtspositionen, sodass eine schematische Dringlichkeitsvermutung hier weit weniger angebracht ist als bei UWG-Verstößen. Dies wird auch dadurch verdeutlicht, dass bei der Verjährungsfristregelung der Gesetzgeber allein die Fälle des UWG als so dringlich verfolgungsbedürftig angesehen hat, dass ihm die kurze Frist von sechs Monaten gerechtfertigt erscheint (vgl. Feddersen, a.a.O., 54. Kapitel, Rn. 20).

2. Daher bedarf der Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung auf Grund eines bloß summarischen Verfahrens einer besonderen Rechtfertigung (OLG Köln, Urteil vom 05. Dezember 2014 - I-6 U 100/14, Rn. 19 - Ich bin dann mal weg).

a) Ein Verfügungsgrund gemäß §§ 935, 940 ZPO besteht demnach in der objektiv begründeten Besorgnis, durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes werde die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert, so dass er aufgrund einer besonderen Dringlichkeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache einer einstweiligen Sicherung seines Anspruchs bedarf (OLG Köln, Urteil vom 08. März 2012 - I-15 U 193/11, Rn. 8). Dabei darf man die Wiederholungsgefahr als Voraussetzung des Verfügungsanspruchs nicht mit dem Verfügungsgrund, also der Dringlichkeit wegen drohender Nachteile, gleichsetzen (OLG Dresden, NJW 2005, 1871). Notwendig ist eine einzelfallorientierte Interessenabwägung (OLG Köln, Urteil vom 31. Oktober 2014 - I-6 U 55/14, Rn. 18 - Capri-Sonne). Dabei ist eine Folgenabschätzung vorzunehmen. Das Interesse des Verfügungsklägers muss die Nachteile eines Zuwartens bis zur Hauptsacheentscheidung so überwiegen, dass der Eingriff in die Sphäre des Verfügungsbeklagten auf Grund eines bloß summarischen Verfahrens gerechtfertigt ist. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist insbesondere zu fragen, welche Folgen beim Antragsteller aus der Rechtsverletzung bis zum Erlass einer Entscheidung in der Hauptsache erwachsen, ob diese Nachteile nachträglich angemessen kompensiert werden können und wann mit einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu rechnen ist (Voß, in Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 1. Aufl. 2015, § 940 ZPO Rn. 62; OLG Düsseldorf, Urteil vom 07. Juni 2011 - I-20 U 1/11, Rn. 20 - E-Sky).

Der Grund für eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Verfügung besteht bei Markenrechtsverletzungen darin, dass der Antragstellerpartei bei einem Zuwarten eine unter Umständen nachhaltige Schwächung der Originalität und Unterscheidungskraft ihrer Kennzeichnung droht (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. Januar 2015 - I-20 U 114/14, Rn. 30; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 21 - E-Sky). Daher kann sich bei der Verletzung von Rechten im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes die Dringlichkeit aus der Lage des Falls von selbst ergeben. Das ist beispielsweise anzunehmen, wenn eine Verletzung des Rechts fortdauert und daraus dem Rechtsinhaber ein Schaden erwächst, wie dies beim Vertrieb eines Produkts unter Verletzung von Schutzrechten der Fall ist (OLG Köln, Urteil vom 05. Dezember 2014 - I-6 U 100/14, Rn. 19 - Ich bin dann mal weg; Urteil vom 25. Juli 2014 - I-6 U 197/13, Rn. 8 - L-Thyrox; OLG München, Urteil vom 24. August 2006 - 6 U 4455/05, Rn. 6). Bei der vorzunehmenden Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Beteiligten überwiegt regelmäßig das Interesse des Schutzrechtsinhabers an der eiligen Durchsetzung seines markenrechtlichen Schutzes gegenüber dem Interesse des Verletzers, sein Produkt einstweilen weiterhin vertreiben zu dürfen (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 13. Februar 2014 - 3 U 113/13, Rn. 63 - Transdermale Pflaster). Solange die Verletzungshandlung andauert, ist von einem Verfügungsgrund auszugehen, denn der Zeicheninhaber ist in der Regel nicht gehalten, eine Markenverletzung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hinzunehmen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - I-20 W 136/10, Rn. 8 - Hapimag-Aktien).

b) Im vorliegenden Fall stellte die streitgegenständliche Verletzungshandlung keine gegenwärtige Verletzung des Unternehmenskennzeichenrechts der Antragstellerin dar, die geeignet wäre, eine Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu rechtfertigen.

Der Antragsgegner hat das markenrechtsverletzende Foto auf seiner Homepage nach Zugang der Abmahnung entfernt. Durch den derzeitigen Zustand der Internetseite des Antragsgegners erwächst der Antragstellerin somit kein Schaden mehr. Es hätte daher der Antragstellerin oblegen, Tatsachen dazu vorzutragen, inwieweit - trotz eingestellter Verletzungshandlung - die Angelegenheit so dringlich ist, dass ihr nicht zugemutet werden kann, den Weg des Hauptsacheverfahrens einzuschlagen und in diesem auf den Erlass eines Vollstreckungstitels zu warten. Ohne einen derartigen Vortrag ist ein Verfügungsgrund nicht ersichtlich, zumal sich bereits die ursprüngliche Verletzungshandlung an einer versteckten Stelle der Homepage des Antragsgegners befand und aufgrund der Größe und der Lichtverhältnisse nur schwer zu erkennen war."


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OLG Nürnberg: Vertragsstrafe von 5.100 EURO auch bei Verstoß gegen Heilmittelwerberecht regelmäßig noch ausreichend und geeignet Wiederholungsgefahr auszuräumen

OLG Nürnberg
Hinweisbeschluss vom 22.05.2018
3 U 1138/18


Das OLG Nürnberg hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass eine Vertragsstrafe von 5.100 EURO auch bei Verstößen gegen das Heilmittelwerberecht regelmäßig noch ausreichend und damit geeignet sind, die Wiederholungsgefahr auszuräumen. Es sind aber - so das Gericht - die konkreten Umstände des Einzelfalls zu beachten.

Aus den Entscheidungsgründen:

"2. Entgegen der Rechtsauffassung des Verfügungsklägers ist die für jeden Fall der Zuwiderhandlung angebotene Vertragsstrafe von 5.100,00 € nicht derart gering, dass Bedenken hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Unterlassungsversprechens bestehen.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind an den Wegfall der Wiederholungsgefahr strenge Anforderungen zu stellen. Eine durch ein angemessenes Vertragsstrafeversprechen abgesicherte Unterlassungserklärung muss, um die aufgrund einer konkreten Verletzungshandlung zu vermutende Wiederholungsgefahr auszuräumen, den ernstlichen Willen des Schuldners erkennen lassen, die fragliche Handlung nicht (mehr) zu begehen (BGH, Urteil vom 31. Mai 2001 - I ZR 82/99, Rn. 18 - Weit-Vor-Winter-Schluss-Verkauf). Bei der dafür erforderlichen Bemessung der angemessenen Vertragsstrafe kommt es auf die Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Zwecks der Vertragsstrafe an, in erster Linie künftige Wettbewerbsverstöße zu verhindern. Dabei können vor allem auch Art, Schwere und Ausmaß der Zuwiderhandlung, das Verschulden des Verletzers sowie die Gefährlichkeit des Verstoßes für den Gläubiger eine Rolle spielen (BGH, a.a.O., Rn. 25 - Weit-Vor-Winter-Schluss-Verkauf).

Die sich aus einem Wettbewerbsverstoß ergebende Wiederholungsgefahr entfällt durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung im Regelfall nur dann, wenn die Vertragsstrafe so bemessen ist, dass sie abschreckende Wirkung entfaltet und es nach der Lebenserfahrung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ausgeschlossen erscheint, dass der Verletzer den Wettbewerbsverstoß wiederholt. Die Praxis der Rechtsprechung geht dahin, in Geschäftsbereichen normaler wirtschaftlicher Bedeutung die Spanne einer ausreichenden Vertragsstrafe zwischen 2.500,00 € bis 10.000,00 € zu bemessen und Beträge bis 2.000,00 € nicht ausreichen zu lassen (OLG Oldenburg, Beschluss vom 12. August 2009 - 1 W 37/09, Rn. 9). Eine ausreichende abschreckende Wirkung durch eine versprochene Vertragsstrafe, die die Wiederholungsgefahr in hinreichender Weise beseitigt, kann unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten jedenfalls nur angenommen werden, wenn die vereinbarte Vertragsstrafe deutlich über die wirtschaftlichen Vorteile hinausgeht, die der Verletzer durch die mit dem wettbewerbswidrigen Handeln verbundenen Geschäfte erzielen könnte. Es liegt auf der Hand, dass der Verletzer keinen hinreichenden wirtschaftlichen Anreiz hat, sich an die Unterlassungsanordnung zu halten, wenn im Fall des „Erwischtwerdens“ nur eine Vertragsstrafe zu zahlen ist, die ohne weiteres aus dem vermutlichen Gewinn des wettbewerbswidrig angebotenen Geschäfts beglichen werden kann (OLG Oldenburg, a.a.O., Rn. 10; vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 05. Dezember 2013 - 13 W 77/13, Rn. 10).

Bei der Vereinbarung einer absoluten Vertragsstrafe ist bereits bei Vertragsschluss auf Grundlage des Verhaltens des Schuldners, das Anlass für die Vereinbarung der Vertragsstrafe gegeben hat, und der konkreten Umstände des Einzelfalls eine entsprechende Prognose über die für die notwendige Abschreckungswirkung erforderliche Höhe der Vertragsstrafe vorzunehmen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Unterlassungsschuldner - anders als bei Austauschverträgen - mangels synallagmatischer Pflichten kein originäres Eigeninteresse an der Einhaltung der von ihm versprochenen Unterlassungspflicht hat. Darüber hinaus ist in Rechnung zu stellen, dass der Unterlassungsgläubiger weitere Schutzrechtsverstöße oftmals nur sehr schwer und mit erheblichem Aufwand aufzudecken vermag (BGH, Urteil vom 13. November 2013 - I ZR 77/12, Rn. 17 - Vertragsstrafenklausel).

b) So ist eine Unterlassungsverpflichtungserklärung mit einem Vertragsstrafeversprechen von bis zu 1.000,00 € für Wettbewerbsverstöße durch ein Unternehmen mit sieben Geschäftslokalen nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Zwar könnte eine Vertragsstrafe in dieser Höhe bei einem Erstverstoß gerade noch angemessen sein, die Obergrenze der innerhalb eines festen Rahmens vom Gläubiger zu bestimmenden Vertragsstrafe muss diesen Betrag in der Regel aber mindestens um das Doppelte übersteigen, um die Einhaltung der Unterlassungsverpflichtung zu gewährleisten (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 22. Dezember 2014 - 3 W 123/14, Rn. 5).

Die von einer gesetzlichen Krankenkasse als Gewinnspielveranstalter angebotene Unterlassungserklärung ist nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen, wenn sie für den Fall einer zukünftigen schuldhaften Zuwiderhandlung nur eine Vertragsstrafe i.H.v. 1.000,00 € enthält. Denn diese Höhe ist bei einem Unternehmen mit einem Vermögen von 78 Mio. € und einem Jahresumsatz von 780.000,00 € nicht geeignet, von weiteren Verstößen abzuschrecken (LG Konstanz, Urteil vom 19. Februar 2016 - 9 O 37/15, Rn. 41).

Das Versprechen einer Vertragsstrafe in Höhe von bis zu 3.000,00 € wird dem Zweck zur Einhaltung einer versprochenen Unterlassungspflicht nicht gerecht, wenn es sich um ein Massenprodukt handelt (hier: Mobiltelefon), das bundesweit mit hohem Aufwand beworben und bereits in erheblichem Umfang abgesetzt wurde und somit die Interessen von Verbrauchern und Mitbewerbern durch die angegriffenen Werbeaussagen in erheblichem Umfang beeinträchtigt werden können (OLG München, Beschluss vom 16. Januar 2018 - 6 W 37/18, Rn. 32).

c) Vor diesem Hintergrund ist die Verpflichtung, für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe von 5.100,00 € zu zahlen, zwar im unteren Bereich der Angemessenheit anzusiedeln. Die angebotene Vertragsstrafe ist jedoch nicht so gering, dass die Ernsthaftigkeit der Unterlassungsverpflichtung in Wegfall gerät.

aa) In diesem Zusammenhang hat der Senat einerseits berücksichtigt, dass die Schwere und das Ausmaß der Zuwiderhandlung als eher gering einzustufen sind.

Das Landgericht hat in dem angegriffenen Urteil den Zusatz „dank seiner vierfach konzentrierten Wirkkraft*“ als nicht irreführend angesehen. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass eine eventuelle Irreführungsgefahr durch den Inhalt der Fußnote, auf die mit Sternchen hingewiesen sei, beseitigt werde. Aufgrund des Inhalts der Fußnote „*Eine 4-fache Konzentration ist nicht gleichzusetzen mit der 4-fachen Wirksamkeit. Die 4-fache Konzentration bezieht sich auf Ø 720 mg eingesetzte Pflanzenmischung in S.® extract (entspricht 160 mg Trockenextrakt) im Vergleich zu 156 mg Pflanzenmischung in S.® forte, bzw. auf die die sekretolytische bzw. antientzündliche Eigenschaft mitbestimmenden Bioflavonoide“ werde für das Fachpublikum deutlich, dass überhaupt keine Aussage zur Wirksamkeit getroffen werden sollte, sondern nur eine Aussage über den Wirkstoffgehalt des Arzneimittels im Vergleich zu einem anderen Produkt der Verfügungsbeklagten.

Es kann dahinstehen, ob diese Auslegung durch das Erstgericht zutreffend ist. Jedenfalls ist eine möglicherweise verbleibende Irreführung der Fachkreise wegen eines fälschlich erweckten Eindrucks einer gesteigerten Wirksamkeit des Arzneimittels als vergleichsweise gering anzusehen.

bb) Außerdem ist bei der Prüfung der Angemessenheit der Vertragsstrafenhöhe zu beachten, dass vorliegend ein Prospekt der Verfügungsbeklagten mit einer Vielzahl von Werbeaussagen zum Gegenstand der Unterlassungsanträge gemacht ist. Zwar handelt es sich bei jeder einzelnen angegriffenen Werbebehauptung um einen gesonderten Streitgegenstand, weshalb bei einer Zuwiderhandlung jeweils eine eigenständige Vertragsstrafe verwirkt ist. Dennoch ist zu sehen, dass die streitgegenständlichen - und auch zum Gegenstand der Unterlassungserklärung gemachten - Klauseln Teil eines Gesamttextes sind, weshalb bei einer nochmaligen Verwendung des Prospektes insgesamt eine erhebliche Vertragsstrafe zu zahlen wäre.

cc) Andererseits kann nicht außer Acht bleiben, dass die Verfügungsbeklagte laut unstreitigem Tatbestand des angegriffenen Urteils mit dem streitgegentständlichen Arzneimittel S.® ca. 32% ihres Umsatzes erzielte, weshalb die wirtschaftliche Bedeutung dieses Produktes für die Verfügungsbeklagte sehr groß ist.

dd) Schließlich hat in die Wertung einzufließen, dass eine ähnliche Werbeaussage der Verfügungsbeklagten bereits einmal Gegenstand einer Unterlassungserklärung von ihr war. Denn mit Erklärung vom 08.03.2017 verpflichtete sich die Verfügungsbeklagte bei Meidung einer Vertragsstrafe nach Hamburger Brauch, es zu unterlassen, für S. extract mit der Aussage „4-fach konzentriert - wirkt besonders effektiv!“ zu werben. Dabei stellte die Verfügungsbeklagte klar, dass u.a. die Aussage „4-fach konzentrierte Wirkkraft in 1 Tablette S.® extract“ mit dem oben dargestellten Sternchenzusatz nicht vom Verbot erfasst sei (Anlage AG 21). Diese Unterlassungserklärung nahm der Verfügungskläger an (Anlage AG 22)."


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OLG Nürnberg: Wettbewerbswidrige Werbung durch Discounter Netto mit "Du willst günstigere Preise als bei Globus ?" wenn Mitbewerber nach Preissenkung günstigere Preise hat

OLG Nürnberg
Urteil vom 16.10.2018
3 U 761/18


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Werbung durch den Discounter Netto mit "Du willst günstigere Preise als bei Globus ? Dann geh doch zu Netto" vorliegt, wenn im Angebotszeitraum der Mitbewerber Globus nach einer Preissenkung tatsächlich günstigere Preise hat.

OLG Nürnberg: DSGVO gilt nicht für personenbezogene Daten Verstorbener - Datenschutzgrundverordnung

OLG Nürnberg
Beschluss vom 09.10.2018
11 W 717/18

Das OLG Nürnberg hat bestätigt, dass die Normen der DSGVO nicht für personenbezogene Daten Verstorbener gelten.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Benutzungsbeschränkungen können sich nur aus dem PStG selbst oder aus anderen Gesetzen ergeben, die dem Schutz von Adoptierten (§ 1758 Abs. 1 BGB, § 63 Abs. 1 PStG), Transsexuellen (§ 5 Abs. 1 TSG, § 63 Abs. 2 PStG) oder sonst gefährdeten Personen dienen (§ 64 PStG). Derartige gesetzliche Vorschriften sind jedoch nicht ersichtlich. Die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 (Datenschutz-Grundverordnung) ist auf den Fall nicht anwendbar, da sie nach ihrem Erwägungsgrund 27 nicht die personenbezogenen Daten Verstorbener betrifft."

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Nürnberg: Weidemilch muss nicht von auf der Weide gemolkenen Kühen stammen - keine wettbewerbswidrige Irreführung

OLG Nürnberg
Urteil vom 07.02.2017
3 U 1537/16


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass als "Weidemilch" beworbene Milich nicht von auf der Weide gemolkenen Kühen stammen muss. Es liegt jedenfalls dann keine wettbewerbswidrige Irreführung vor, wenn die Kühe an mindestens 120 Tagen im Jahr wenigstens 6 Stunden auf der Weide waren.


Oberlandesgericht Nürnberg: "Weidemilch" muss nicht von auf der Weide gemolkenen Kühen stammen

Das Oberlandesgericht Nürnberg hat entschieden, dass die Bezeichnung "Weidemilch" nicht irreführend ist, wenn die Milch von Kühen stammt, welche an mindestens 120 Tagen im Jahr wenigstens 6 Stunden auf der Weide waren.


Die Beklagte verkauft bundesweit als Discounter Lebensmittel. Im Sortiment wird auch eine Vollmilch angeboten, welche von der Beklagten auf der Schauseite des Etiketts mit frische Weidemilch bezeichnet wird. Auf der Etikettrückseite ist folgender Hinweis abgedruckt: Bei diesem Produkt handelt es sich um 100 % Weidemilch. Unsere Weidemilch stammt von Kühen, die mindestens 120 Tage im Jahr und davon mindestens 6 Stunden am Tag auf der Weide stehen

Der Kläger, ein Wettbewerbsverband, ist der Ansicht, dass es sich bei der Milch lediglich um ein Saisonprodukt handelt, da an 240 Tagen im Jahr die Voraussetzungen für eine Weidemilch nicht gegeben seien. Die Verbraucher würden daher durch die Angabe Weidemilch irregeführt. Aus diesem Grund forderte der Kläger die Beklagte auf, künftig nicht mehr mit der Bezeichnung Weidemilch zu werben.

Nachdem die Beklagte die vom Kläger geforderte Unterlassungserklärung nicht abgegeben hatte, hat dieser Klage zum Landgericht Amberg erhoben. Dieses gab der Klage statt, da es die Ansicht des Klägers teilte, wonach die Verbraucher durch die Bezeichnung Weidemilch irregeführt würden. Um ein Produkt als Weidemilch bezeichnen zu können, müsse die Milch von Kühen stammen, die sich am Tag der Melkung mindestens 6 Stunden auf der Weide befanden.

Die Beklagte hat gegen das Urteil des Landgerichts Amberg Berufung eingelegt und hatte damit Erfolg. Das Oberlandesgericht Nürnberg entschied, dass dem Kläger kein Unterlassungsanspruch zusteht. Dieser scheiterte nach Auffassung des Senats bereits daran, dass die Beklagte als (nur) Händlerin für einen etwaigen Verstoß gegen das in Art. 7 LMIV normierte Irreführungsverbot nicht als Verantwortliche i.S.d. Art. 8 Abs. 3 LMIV anzusehen wäre.

Nach Art. 8 Abs. 3 LMIV dürfen Lebensmittelunternehmer, deren Tätigkeiten die Informationen über Lebensmittel nicht beeinflussen, keine Lebensmittel abgeben, von denen sie aufgrund der ihnen im Rahmen ihrer Berufstätigkeit vorliegenden Informationen wissen oder annehmen müssen, dass sie dem anwendbaren Lebensmittelinformationsrecht und den Anforderungen der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entsprechen.

Ergänzend führt der Senat zur Begründung aus, dass es keine rechtlichen Vorgaben dafür gibt, wann eine Milch als „Weidemilch“ bezeichnet werden darf. Aus einem vom niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz entwickelten Weidemilch-Label ergebe sich, dass es dem definierten Branchenstandard entspricht, dass die Kühe mindestens 120 Tage im Jahr 6 Stunden auf der Weide waren.

Der Senat ist der Ansicht, dass die von der Beklagten verwendete Produktbezeichnung nicht irreführend ist. Der normal informierte und kritische Verbraucher gehe davon aus, dass eine "Weidemilch" von Kühen stammt, die jedenfalls im Rahmen der üblichen Weidesaison und Weidezeiten auf der Wiese grasen. Das Oberlandesgericht verweist zudem darauf, dass auf der Rückseite der Verpackung ein Hinweis angebracht ist, an wie vielen Tagen die Kühe tatsächlich auf der Weide waren. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass davon auszugehen sei, dass Verbraucher, welche ihre Kaufentscheidung von der Zusammensetzung der Erzeugnisse abhängig machen, vorher auch das auf der Verpackung angebrachte Verzeichnis der Zutaten lesen. Der kritische, vernünftig aufmerksame und normal informierte Verbraucher müsse daher auch den Hinweis auf der Rückseite der Verpackung, wonach die Milch von Kühen stammt, die an mindestens 120 Tagen für jeweils mindestens 6 Stunden auf der Weide waren, wahrnehmen. Eine Irreführung verneinte der Senat daher. Das Urteil ist rechtskräftig.

OLG Nürnberg: Bezeichnung von Milch als Weidemilch oder Weide-Milch zulässig und kein Verstoß Lebensmittelinformationsverordnung - LMIV

OLG Nürnberg
Urteil vom 07.02.2017
3 U 1537/16


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass die Bezeichnung von Milch als Weidemilch oder Weide-Milch zulässig und keinen Verstoß Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) darstellt

Aus den Entscheidungsgründen:

"Dem Kläger stehen keine Unterlassungsansprüche aus §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 3, 5 Abs. 1 UWG oder § 3a UWG i. V. m. Art. 7 Abs. 1a der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) zu und zwar weder wegen der Produktaufmachung und beanstandeten Bezeichnung „frische Weide-Milch“ auf der Vorderseite der Flasche (Urteil Ziffer I. a)) noch wegen der Angabe „Bei diesem Produkt handelt es sich um 100% Weidemilch“ auf der rückseitigen Etikettierung (Urteil Ziffer I. b)).

1. Ein Anspruch nach § 3a UWG i. V. m. Art 7 Abs. 1a LMIV scheitert bereits daran, dass die Beklagte als (nur) Händlerin für einen etwaigen Verstoß gegen das in Art. 7 LMIV normierte Irreführungsverbot nicht als Verantwortliche i. S. d. Art. 8 Abs. 3 LMIV anzusehen wäre.

Nach Art. 8 Abs. 3 LMIV dürfen Lebensmittelunternehmer, deren Tätigkeiten die Informationen über Lebensmittel nicht beeinflussen, keine Lebensmittel abgeben, von denen sie aufgrund der ihnen im Rahmen ihrer Berufstätigkeit vorliegenden Informationen wissen oder annehmen müssen, dass sie dem anwendbaren Lebensmittelinformationsrecht und den Anforderungen der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entsprechen.

Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen. Wie die Beklagte zu Recht ausführt, existieren keine rechtlichen Vorgaben, wann eine Milch als „Weide-Milch“ bezeichnet werden darf. Nach dem von ihr als Anlage B 7 und B III vorgelegtem Positionspapier des Milchindustrieverbands zur Bezeichnung „Weide-Milch“ stammt diese von Kühen, die während der Weidesaison täglich Weidegang haben und auf der Weide grasen; die Kühe stehen auf der Weide, sofern es z. B. Witterung oder der Zustand des Bodens zulassen, mindestens jedoch 120 Tage im Jahr und 6 Stunden pro Tag. Dem so definierten Branchenstandard entspricht das streitgegenständliche Produkt. Dasselbe Verständnis liegt auch dem vom niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz entwickeltem Weidemilch-Label zugrunde (Anlage B IX). In diesem Zusammenhang weist die Beklagte weiter auf den branchenüblichen Gebrauch der Bezeichnung Weide-Milch auf in Deutschland erhältlichen Milchprodukten hin. Auch wenn, wie der Kläger zutreffend einwendet, ein etwaiges wettbewerbswidriges Verhalten anderer Händler die Beklagte grundsätzlich nicht entlasten könnte, musste sie angesichts der vorgelegen Verwendungen („Weidemilch von Arla, Hansano, Schwarzwaldmilch, Meierkamp, Anlagen B IV, VI - VIII) nicht annehmen, dass die beanstandete Aufmachung gegen das Irreführungsverbot des Art. 7 LMIV verstieße. Schließlich konnte sie auch aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf vom 21.11.2014, Az.: 38 O 18/14 (Anlage K 8) von einer rechtmäßigen Bezeichnung des streitgegenständlichen Produkts als „Weide-Milch“ ausgehen.

Nach diesen Gesichtspunkten spricht nichts dafür, dass der Beklagten hinsichtlich der streitgegenständlichen Bezeichnung ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot des Art. 7 LMIV bewusst war oder sie hiermit zumindest ernstlich gerechnet hat.

2. Auf das Irreführungsverbot gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG kann sich der Kläger nicht stützen, da die europarechtlichen Vorgaben der LMIV nicht unterlaufen werden dürfen. § 5 UW.G dient, so- weit Handlungen gegenüber Verbrauchern in Rede stehen, der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG (unlautere Geschäftspraktiken - RL). Nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie gehen ab- schließende Rechtsvorschriften der Gemeinschaft der Richtlinie und darauf beruhendem nationalen Recht vor (vgl. BGH Urteil vom 02.02.2012, Az.: IZR 45/13 - Himbeer-Vanille-Abenteuer II, Rn. 23 zu § 5a Abs. 3 Nr. 1 UWG; OLG Düsseldorf Urteil vom 26.01.2016, Az.: I-20 U 25/15, Rn. 24 jeweils juris). Für den Lebensmittelbereich enthält Art. 7 Abs. 1 der LMIV ein umfassendes Irreführungsverbot. Die Regelung ist abschließend und setzt nicht nur einen Mindeststandard, sondern erlaubt auch keine strengere, nationale Regelung (Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., § 5 UWG Rn. 0.57, 0.59). Das in Art. 7 LMIV normierte Verbot kann zwar neben §§ 5, 5a UWG grundsätzlich anwendbar sein. Im Hinblick auf die Zielrichtung dieses besonderen Irreführungsverbots ist aber § 5 UWG in dessen Anwendungsbereich ausschließlich nach dem Maßstab des besonderen Irreführungsverbotes auszulegen. Danach richtet sich die Frage, ob die Beklagte als Händlerin gegen Art. 7 Abs. 1a LMIV verstoßen hat und auch für unrichtige Informationen auf von Dritten hergestellten Lebensmitteln verantwortlich ist, allein nach Art. 8 LMIV, dessen Voraussetzungen hier nicht erfüllt sind.

3. Da die Beklagte für eine etwaige Verletzungshandlung nicht verantwortlich wäre, kann letztlich offen bleiben^ ob die Bezeichnung „frische Weide-Milch“, die angegriffene Produktaufmachung und die Angabe „Bei diesem Produkt handelt es steh um 100% Weidemilch“ auf der rückseitigen Etikettierung gegen § 7 Abs. 1a LMIV verstoßen.

Hiervon geht der Senat allerdings, anders als das Landgericht, nicht aus.

a) Nach Art. 7 Abs. 1a LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere im Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, u. a. in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung. ...

Voraussetzung einer Irreführung im Sinn der Vorschrift ist es, dass die Vorstellungen, die durch die Information über das Lebensmittel bei den angesprochenen Verkehrskreisen, also den Endverbrauchern (Art. 2 Abs. 2a LMIV) ausgelöst werden, mit dem tatsächlichen Zustand, insbesondere den Eigenschaften nicht übereinstimmen (OLG Celle Urteil vom 24.11.2016, Az.: 13 U 130/16, Rn. 24-juris m. w. N.).

b) Dies ist nach Auffassung des Senats vorliegend nicht der Fall.

aa) Dabei erscheint schon zweifelhaft, ob ein relevanter Teil des angesprochenen Verbraucherkreises tatsächlich unter der Bezeichnung „Weide-Milch“ eine Milch versteht, die nur von Kühen stammt, die sich am Tag der Melkung oder am Vortag mindestens 6 Stunden auf der Weide befanden und angesichts der globalisierten Welt die Erwartung hegen, dass die Milch aus Teilen der Welt kommt, in denen Kühe das ganze Jahr über im Freien weiden können. Der Senat, dessen Mitglieder ebenfalls zu den angesprochenen Verbraucherkreisen gehören, hält es für naheliegender, dass der normal informierte und vernünftig aufmerksame und kritische Verbraucher unter der Bezeichnung „Weide-Milch“ eine Milch versteht, die von Kühen stammt, welche, wenn auch nicht ganzjährig, aber jedenfalls im Rahmen der üblichen Weidesaison und Weidezeiten auf der Wiese grasen. Dieses Verständnis steht auch im Einklang mit den beklagtenseits (Anlagen B 5, B 6, B II) vorgelegten Stellungnahmen der Verbraucherverbände.

bb) Die Beurteilung der Verbrauchererwartung kann allerdings ebenfalls offenbleiben. Denn selbst bei Annahme des vom Landgericht zugrunde gelegten Verkehrsverständnisses, läge kein Verstoß gegen das Irreführungsverbot gemäß Art. 7 LMIV vor. Eine etwaige Fehlvorstellung des Verbrauchers wird nämlich jedenfalls durch den aufklärenden Hinweis auf der rückseitigen Etikettierung beseitigt. Das gilt sowohl für die angegriffene Ausstattung mit der Auslobung „frische Weidemilch“ auf der Schauseite als auch für die auf der Rückseite angebrachte Angabe „Bei diesem Produkt handelt es sich um 100% Weidemilch“.

(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (zuletzt Urteil v. 04.06.2015, Az. C-195/14, GRUR 2015, 701, Rn. 34, Verbraucherzentrale Bundesverband/Teekanne), der auch der BGH folgt (Urteil vom 02.02.2012, Az.: ZR 45/13 - Himbeer-Vanille-Abenteuer II a. a. O.) ist davon auszugehen, dass ein normal informierter und vernünftig aufmerksamer und kritischer Verbraucher, der sich in seiner Kaufentscheidung nach der Zusammensetzung des Erzeugnisses richtet, dabei zunächst das auf dessen Verpackung angebrachte Verzeichnis der Zutaten lesen wird. Danach wird der Verbraucher vorliegend die auf der rückseitigen Etikettierung enthaltenen Angaben „Frische Vollmilch pasteurisiert ... hocherhitzt“ und auch den direkt darunter enthaltenen, klarstellenden Hinweis zum Begriff „Weide-Milch“ und den Weidezeiten der milchgebenden Kühe zur Kenntnis nehmen. Dies gilt insbesondere deshalb, als es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um Frischmilch handelt, die nur begrenzt haltbar ist. Der Verbraucher wird sich daher die Verpackung, auch wenn es um einen, wie das Landgericht anführt, niederpreisigen Artikel geht, genauer betrachten, um das Haltbarkeitsdatum zu überprüfen. Der entsprechende Hinweis befindet sich auf der Flaschenrückseite direkt neben den Angaben zur Weidezeit, die ihm dann ebenfalls ins Auge fallen werden. Eine Irreführung ist daher zu verneinen.

Zwar schließt nach den zitierten Entscheidungen des EuGH und BGH der Umstand, dass ein Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung angebracht ist, für sich allein nicht aus, dass die Etikettierung eines Erzeugnisses und die Art und Weise, in der sie erfolgt, geeignet sein können, den Verbraucher irrezuführen, denn die Etikettierung umfasst alle Angaben, Kennzeichnungen, Hersteller und Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen, die sich auf ein Lebensmittel beziehen und auf dessen Verpackung angebracht sind. Wenn sich aufgrund dieser insgesamt ein falscher oder missverständlicher Eindruck des Verbrauchers bezüglich der .Eigenschaften eines Lebensmittels ergibt, mögen im Einzelfall, eine auch zutreffende Zutatenliste oder ein klarstellender Hinweis nicht ausreichen, um einer Irreführungsgefahr zu begegnen. Um einen solchen Fall handelt es sich aber vorliegend nicht.

Seine gegenteilige Auffassung kann der Kläger nicht auf die Entscheidung des BGH „Himbeer-Vanille-Abenteuer II“ (a. a. O.) stützen, die zum Irreführungstatbestand des Art. 7 Abs. 1d LMIV erging. Denn anders als in dem dieser zugrundeliegendem Sachverhalt, führen die hier streitgegenständlichen, im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigenden Gestaltungsmerkmale der Etikettierung nicht dazu, dass der Verbraucher die klarstellenden Angaben nicht erkennt. Außer der in den Vordergrund gerückten, in großer Schrift auf der Schauseite der Flasche angebrachten Bezeichnung „Weide-Milch“ und der Abbildung auf grüner Wiese bei Sonne grasender Kühe sowie der Angabe „100% Weidemilch“ auf dem rückseitigen Etikett, befinden sich keine weiteren Hinweise auf dem Produkt, die eine Verbrauchererwartung beeinflussen können. Auch sind die Zutatenfiste und der sich anschließende Hinweis für sich gesehen eindeutig. Es liegt daher kein vergleichbarer Ausnahmefall vor, der es rechtfertigen würde, trotz zutreffender Zutatenliste und klarstellendem Hinweis aufgrund der Gesamtaufmachung der Verpackung eine Irreführung des Verbrauchers anzunehmen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Nürnberg: Irreführende Werbung mit Sternen auf Hotel.de da Sterne-Klassifizierung nicht durch unabhängige Stelle nach objektive Kriterien erfolgt

OLG Nürnberg
Urteil vom 19.04.2016
3 U 1974/15


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass auf dem Hotelbuchungsportal Hotel.de auf irreführende Weise für Hotels mit Sternen geworben wird, da die Sterne-Klassifizierung nicht durch eine unabhängige Stelle nach objektive Kriterien erfolgt.

OLG Nürnberg: Kennzeichnung eines Sonderangebots in einem Werbeprospekt mit BWuOsWeSB weist nicht ausreichend auf lokale Beschränkung des Angebots hin

OLG Nürnberg
Beschluss vom 23.07.2014
3 U 1155/14


Das OLG Nürnberg hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses zu Recht die Ansicht vertreten, dass die Kennzeichnung eines Sonderangebots in einem Werbeprospekt mit "BWuOsWeSB" nicht geeignet ist, den Verbraucher darauf hinzuweisen, dass das beworbene Produkt nur lokal beschränkt zum Sonderpreis verfügbar ist. Die Werbung ist somit irreführend und wettbewerbswidrig. Die Wettbewerbszentrale hatte den Discounter Netto auf Unterlassung verklagt.