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LG Bielefeld: Kein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen Kopierens des Personalausweises durch Arztpraxis da keine spürbare Beeinträchtigung vorliegt

LG Bielefeld
Urteil vom 07.07.2023
4 O 275/22


Das LG Bielefeld hat entschieden, dass dem Betroffene kein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen des Kopierens des Personalausweises durch eine Arztpraxis zusteht, da keine spürbare Beeinträchtigung vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Zudem hat die Klägerin gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO oder einer anderen denkbaren Anspruchsgrundlage wegen des Kopierens ihres Personalausweises in der Praxis der Beklagten. Denn jedenfalls fehlt es am Eintritt eines immateriellen Schadens.

Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. Dabei ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen ein ersatzfähiger immaterieller Schadensersatz entsteht und sodann gewährt werden kann (eine Zusammenfassung in Korch NJW 2021, 978).

Das Merkmal des immateriellen Schadens ist autonom auszulegen (für alle: Kühling/Buchner/Bergt, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 82 Rn. 17 ff.). Der Erwägungsgrund 146 (und in diesem S. 3) zur DSGVO sieht vor, dass der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden soll, die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht. Erwägungsgrund 75 zur DSGVO nennt etwa Identitätsdiebstahl, finanzielle Verluste, Rufschädigung oder den Verlust der Kontrolle personenbezogener Daten. Ein deutsches Verständnis zum Begriff des Schadens – etwa eine enge Auslegung – ist mithin nicht angezeigt (vgl. dazu BVerfG 14.1.2021, 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005, 1007). Eine Erheblichkeitsschwelle für das Vorliegen eines solchen Schadens ergibt sich gerade nicht aus der DSGVO. Bagatellschäden sind nicht auszuschließen. Zu verlangen ist aber jedenfalls, dass ein konkreter immaterieller Schaden auch tatsächlich eingetreten („entstanden“) ist (OLG Frankfurt a.M. 2.3.2022, 13 U 206/20, GRUR-RS 2022, 4491 Rn. 61 ff.; LG Essen 10.11.2022, 6 O 111/22, GRUR-RS 2022, 34818 Rn. 75; LG Gießen 3.11.2022, 5 O 195/22, GRUR-RS 2022, 30480 Rn. 18). Diesen muss die Klägerin darlegen und ggf. beweisen (s. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 2.3.2022, 13 U 206/20, GRUR-RS 2022, 4491 Rn. 57, 65; Kühling/Buchner/Bergt, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 82 Rn. 20 mwN). Auch und gerade unter Berücksichtigung eines weiten Verständnisses des immateriellen Schadens, das ausdrücklich auch Bagatellschäden einschließt, vermochte die Kammer jedoch nicht zu erkennen, dass die Klägerin einen solchen Schaden tatsächlich erlitten hat.

Die in den Schriftsätzen formelhaft beschriebenen Ängste und Sorgen, das Unwohlsein sowie die Verunsicherung der Klägerin haben sich in der persönlichen Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht bestätigt. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung ausgeführt, dass sie im Wesentlichen die Unsicherheit, was mit ihren Eizellen passiert sei und/oder passieren könne, umtreibe. Hinzu komme die Problematik mit dem Datenschutz, man höre und lese immer wieder, dass medizinische Daten nicht sicher verwahrt und Krankenunterlagen beispielsweise – ohne sie zu vernichten – im Müll entsorgt werden würden. Die Klägerin wolle auf keinen Fall, dass ihr Name im Zusammenhang mit der Entnahme von Eizellen bekannt werde. Der Hauptpunkt, der sie umtreiben würde und sie gelegentlich am Einschlafen hindere, sei aber die Unsicherheit, was mit ihren Eizellen sei. Sie habe als Nebenpunkt dann von ihrem Anwalt erfahren, dass in der Praxis der Beklagten keine Kopie ihres Personalausweises hätte gemacht werden dürfen. Aus den Ausführungen der Klägerin ist somit zu entnehmen, dass die Sorgen und Ängste der Klägerin, die die Klägerin in ihrer Klageschrift vorgetragen und behauptet hat, nicht durch das Kopieren ihres Personalausweises ausgelöst worden sind, sondern vielmehr durch die Auslagerung und den Transport ihrer Eizellen, da sie insoweit eine Unsicherheit hinsichtlich des Zustandes und des Verbleibs ihrer Eizellen verspürt. Dies folgt insbesondere auch aus den Angaben der Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung, wonach sie erstmals von ihrem Anwalt erfahren habe, dass eine Kopie ihres Personalausweises in der Praxis nicht habe gemacht werden dürfen. Somit war Anlass der Klägerin für das Aufsuchen ihres Prozessbevollmächtigten nicht das Kopieren des Personalausweises in der Praxis der Beklagten, sondern vielmehr die Auslagerung der Eizellen. Die Sorgen im Hinblick auf das Kopieren des Personalausweises sind allenfalls erst bei der anwaltlichen Beratung aufgekommen und nicht schon bei oder nach Kenntnis davon, dass eine Kopie ihres Personalausweises angefertigt wurde.

Nach alledem liegt eine auf das Kopieren des Personalausweises zurückzuführende spürbare Beeinträchtigung der Klägerin nicht vor.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

VG Köln: Keine Doppelüberprüfungspflicht für Mobilfunkanbieter - Pflichten zur Identitätsüberprüfung bei Prepaid-SIM-Karten teilweise rechtswidrig

VG Köln
Urteile vom 13.11.2020
9 K 573/18 - 9 K 574/18, 9 K 1378/18


Das VG Köln hat entschieden, dass die Pflichten zur Identitätsüberprüfung beim Verkauf von Prepaid-SIM-Karten teilweise rechtswidrig sind. Insbesondere besteht keine Doppelüberprüfungspflicht für Mobilfunkanbieter bzw. deren Vertriebspartner.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Regelung zur Identitätsüberprüfung bei Prepaid-SIM-Karten teilweise rechtswidrig, u.a. keine Doppelüberprüfungspflicht für Mobilfunkanbieter

Telekom und Vodafone haben vor dem Verwaltungsgericht Köln teilweise Erfolg. Denn eine Regelung der Bundesnetzagentur, wonach u. a. beim Verkauf von Prepaid-Karten durch einen Vertriebspartner der Mobilfunkanbieter sich eine Personalausweiskopie zusenden lassen und die Nutzerdaten selbst nochmals überprüfen muss, ist rechtswidrig. Dies hat das Verwaltungsgericht Köln in einer mündlichen Verhandlung am 13.11.2020 – erstmals unter Zuschaltung der Beteiligten per Videokonferenz – und mit gestern zugestellten Urteilen entschieden.

Seit einer im Juni 2016 zur Terrorismusbekämpfung geänderten Gesetzesregelung sind Mobilfunkanbieter nicht nur verpflichtet, vor der Freischaltung einer Prepaid-SIM-Karte bestimmte Daten des Erwerbers, wie z.B. Name, Anschrift und Geburtsdatum, für Auskunftsersuchen der Sicherheitsbehörden zu erheben, sondern diese Daten auch anhand eines geeigneten Ausweisdokumentes auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Außerdem sieht das Gesetz vor, dass die Bundesnetzagentur „andere geeignete Verfahren“ zur Identifizierung festlegt.

Daraufhin erließ die Bundesnetzagentur eine an alle Mobilfunkanbieter gerichtete Allgemeinverfügung, in der sie u.a. regelte, wie die Identität vor Ort überprüft werden kann, wenn ein Handynutzer von einem Dritten, also Vertriebspartnern des jeweiligen Dienstanbieters, eine Prepaid-SIM-Karte erwerben möchte, z.B. im „Handy-Shop“. Ferner regelt die Verfügung verschiedene Verfahren der Identitätsprüfung unter Abwesenden, wie das Post-Ident-Verfahren oder die Identitätsüberprüfung per Video-Chat, für den Fall, dass diese wegen des gewählten Vertriebsweges nicht vor Ort durchgeführt werden kann, z. B. bei einem Erwerb im Internet. In allen Verfahren ist vorgesehen, dass eine Kopie des Personalausweises bzw. eines anderen Ausweises von dem Dritten an den Dienstanbieter übermittelt werden muss und dieser im Sinne eines Vier-Augen-Prinzips dann (nochmals) prüfen muss, ob die Daten auf dem Ausweis mit den bei Erwerb der SIM-Karte erhobenen Daten übereinstimmen, bevor er sie in der Kundendatei speichert.

Gegen diese Regelungen der Bundesnetzagentur hatten drei Mobilfunkanbieter geklagt, weil sie diese für unverhältnismäßig hielten. Insbesondere sahen sie das Geschäftsmodell mit Prepaid-SIM-Karten gefährdet, weil wesentliches Kaufargument die sofortige Nutzbarkeit sei, die durch die doppelte Prüfpflicht jedoch verzögert würde.

Das Gericht ist dem Vorbringen der Klägerinnen überwiegend gefolgt. Es hat die Allgemeinverfügung hinsichtlich des Verfahrens der Überprüfung durch Dritte vor Ort aufgehoben, weil diese nicht von der Ermächtigung zur Regelung „anderer geeigneter Verfahren“ in dem zugrundeliegenden Telekommunikationsgesetz umfasst sei. Vielmehr regele das Gesetz selbst schon die Identitätsüberprüfung unter Anwesenden und habe die Bundesnetzagentur darüber hinaus – nur – ermächtigt, Überprüfungsmöglichkeiten für die Fälle zu regeln, in denen mangels Anwesenheit des SIM-Karten-Erwerbers eine physische Vorlage des Ausweises nicht möglich sei.

Hinsichtlich der Regelung der Überprüfungsmöglichkeiten unter Abwesenden, wie z.B. mittels Post-Ident und Video-Chat, hat die zuständige Kammer die Regelungen aufgehoben, die die Anfertigung und Übersendung von Ausweiskopien betreffen. Denn die von der Bundesnetzagentur vorgesehene Übermittlung einer Ausweiskopie an den Dienstanbieter verstoße gegen Bestimmungen des Personalausweisgesetzes und des Passgesetzes. Zudem überspanne die Doppelüberprüfungspflicht die Anforderungen des Gesetzes, das keine höchstpersönliche Überprüfungspflicht der Mobilfunkanbieter fordere. Um eine zuverlässige Kundendatenbank sicherzustellen sei eine Verifizierung der persönlichen Daten durch Dritte ausreichend.

Die (verbliebenen) Regelungen im Hinblick auf Einzelheiten zur Datenerhebung, etwa die Vorgaben dazu, dass die mit der Identitätsprüfung beauftragte Person sorgfältig ausgewählt und geschult wird und die Überprüfung dokumentieren muss, hat das Gericht demgegenüber nicht beanstandet, weil diese die Verifizierung der Nutzerdaten sicherstellen würden.

Gegen die Urteile können die Beteiligten einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen, über den das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden würde.

Az.: 9 K 573/18, 9 K 574/18, 9 K 1378/18



EuGH-Generalanwalt: Keine wirksame Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO wenn Kunde in standardisiertem Vertrag handschriftlich Anfertigung / Speicherung von Ausweiskopien verweigern muss

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 04.03.2020
C‑61/19
Orange România SA gegen Autoritatea Naţională de Supraveghere a Prelucrării Datelor cu Caracter Personal (ANSPDCP)


Der EuGH-Generalanwalt hat sich mit den Anforderungen an die Wirksamkeit einer Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO befasst. Nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts liegt keine wirksame Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO vor, wenn ein Mobilfunkkunde in einem standardisierten Vertrag handschriftlich die Anfertigung und Speicherung von Ausweiskopien verweigern muss.

Vorschlag des EuGH-Generalanwalts:

Eine betroffene Person, die ein Vertragsverhältnis über die Erbringung von Mobiltelekommunikationsdiensten mit einem Unternehmen einzugehen beabsichtigt, erteilt dem Unternehmen keine „Einwilligung“, d. h. bekundet nicht „ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage“ ihren Willen, im Sinne von Art. 2 Buchst. h der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr und von Art. 4 Nr. 11 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), wenn sie auf einem ansonsten standardisierten Vertrag handschriftlich erklären muss, dass sie die Einwilligung in die Anfertigung und Aufbewahrung von Fotokopien ihrer Ausweispapiere verweigert.

Den Volltext finden Sie hier:


VG Hannover: Einscannen und Speichern des Personalausweises unzulässig - Unterlassungsverfügung des Landesbeauftragten für den Datenschutz Niedersachsen bestätigt

VG Hannover
Urteil vom 28.11.2013
10 A 5342/11


Das VG Hannover hat entschieden, dass das Einscannen und Speichern des Personalausweises unzulässig. Das Gericht bestätigte eine Unterlassungsverfügung des Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen und wies die Klage eines Automobillogistikunternehmens, welches die Personalausweisdaten ihrer Kunden speicherte, zurück.

Die Pressemitteilung des VG Hannover:

"Durch Urteil vom 28.11.2013 hat die 10. Kammer die Klage eines Automobillogistikunternehmens gegen den Landesbeauftragten für den Datenschutz Niedersachsen abgewiesen.

Die Klägerin - eine Logistikdienstleisterin aus Rehden, die insbesondere in der Automobillogistik tätig ist - lagert auf ihrem Betriebsgelände ständig mehrere tausend Kraftfahrzeuge. Täglich wird eine Vielzahl von Fahrzeugen abgeholt, die den Abholern - insbesondere Fahrern von Speditionen - übergeben werden. Um den Speditionsvorgang zu überwachen, werden die Personalausweise der Abholer eingescannt und auf einem eigenen Rechner gespeichert. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen hatte der Klägerin aufgegeben, das Einscannen von Personalausweisen zu unterlassen und die rechtswidrig gespeicherten Daten zu löschen.

Das Gericht hat mit dem heutigen Urteil die Klage gegen die Untersagung des Speicherns und die Anordnung des Löschens abgewiesen, weil diese rechtmäßig seien. Nach den hier anzuwendenden Vorschriften des Personalausweisgesetzes sei der Personalausweis ein Identifizierungsmittel, das der Inhaber vorlege und vorzeige, um sich auszuweisen. Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers sei aber das unbeschränkte Erfassen der Daten - und damit auch das Einscannen und Speichern durch ein Unternehmen - untersagt. Dadurch solle die Datensicherheit geschützt werden, weil einmal erfasste und gespeicherte Daten leicht missbräuchlich verwendet werden könnten. Die Kammer hat nicht den Vorwurf gegen die Klägerin erhoben, sie verwende die Daten missbräuchlich. Um den Zweck des Gesetzes zu erfüllten, dürften aber so wenig Daten wie möglich in Umlauf gebracht werden, so dass auch die Praxis der Klägerin zu untersagen sei.
Die Berufung gegen das Urteil wurde nicht zugelassen. Die Klägerin kann beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen."