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LG Koblenz: Grundsätzlich kein Wettbewerbsverstoß durch Abwerben von Mitarbeitern durch einen Mitbewerber sofern keine zusätzlichen unlauteren Umstände vorliegen

LG Koblenz
Beschlus vom 17.09.2024
11 O 12/24


Das LG Koblenz hat entschieden, dass grundsätzlich kein Wettbewerbsverstoß durch Abwerben von Mitarbeitern durch einen Mitbewerber vorliegt, sofern keine zusätzlichen unlauteren Umstände hinzutreten.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zwar zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Der Antrag ist unbegründet, da weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund vorliegen. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Unterlassung gemäß § 8 Abs. 1 UWG i. V. m. §§ 4, 4a UWG gegen die Antragsgegnerin.

Die Antragsgegnerin hat keine nach §§ 4, 4a UWG unzulässige geschäftliche Handlung vorgenommen. Zwar liegt zwischen den Parteien ein konkretes Wettbewerbsverhältnis vor. Jedoch hat die Antragsgegnerin mangels gezielter Behinderung der Antragstellerin nicht unlauter gemäß § 4 Nr. 4 UWG gehandelt.

Die Freiheit des Wettbewerbs erstreckt sich auch auf die Nachfrage nach Arbeitnehmern. Unternehmer haben keinen Anspruch auf den Bestand ihrer Mitarbeiter. Die für ein Unternehmen Tätigen sind zudem in der Wahl ihres Arbeitsplatzes frei (Art. 12 GG). Das Abwerben von Mitarbeitern eines Unternehmers, gleichgültig, ob er auf dem Absatzmarkt Mitbewerber ist oder nicht, ist daher lauterkeitsrechtlich grundsätzlich erlaubt (BGH GRUR 1961, 482 – Spritzgussmaschine; BGH GRUR 1966, 263 – Bau-Chemie; BGH GRUR 1984, 129 (130) – shop-in-the-shop I; BGH GRUR 2006, 426 Rn. 18 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; OLG Karlsruhe GRUR 2002, 459; OLG Hamm GRUR-RR 2004, 27 (29); OLG Frankfurt WRP 2018, 983 Rn. 6). Dies gilt auch dann, wenn die Abwerbung bewusst und planmäßig erfolgt (BGH GRUR 1966, 263 – Bau-Chemie), insbesondere von einem Mitbewerber im Absatz oder einem von ihm beauftragten berufsmäßigen Abwerber (Headhunter, Personalberater) ausgeht. Grundsätzlich spielt es auch keine Rolle, welche (Schlüsselkräfte) oder wie viele Mitarbeiter abgeworben werden. Der Abwerbende braucht auch sein Vorhaben dem bisherigen Arbeitgeber nicht mitzuteilen, um ihm ein Bleibeangebot zu ermöglichen.

Da Mitarbeiterabwerbung grundsätzlich zulässig ist, müssen zur Begründung der Unlauterkeit besondere Umstände vorliegen. Solche besonderen Umstände sind gegeben, wenn der konkurrierende Unternehmer mit der Abwerbung einen verwerflichen Zweck verfolgt oder bei der Abwerbung selbst verwerfliche Mittel oder Methoden anwendet (BGH GRUR 1966, 263 (265) – Bau-Chemie; GRUR 2006, 482 – Direktansprache am Arbeitsplatz II). Bei der Bewertung, ob die besonderen Umstände wettbewerbswidrig sind, ist stets eine Gesamtabwägung der Interessen des ab- und des anwerbenden Unternehmens, des Mitarbeiters und der Allgemeinheit anzustellen. Für den Fall, dass ein Unternehmen einen abgeworbenen Mitarbeiter rückabwerben will, gelten dieselben Maßstäbe. Allerdings kann dies nur gelten, wenn die Abwerbung an sich schon wettbewerbskonform war. Bei einer wettbewerbswidrigen Abwerbung, sind bei der Rückabwerbung mildere Maßstäbe anzulegen (BGH GRUR 1967, 428 (429) – Anwaltsberatung).

Meist wird mit der Abwerbung eines Mitarbeiters versucht die eigene Leistungsfähigkeit zu steigern oder zu verbessern. Dies allein ist wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden. Ein verwerflicher Zweck wird aber verfolgt, wenn der Abwerber nicht sein eigenes unternehmerisches Fortkommen bezweckt, sondern primär die wirtschaftliche Entfaltung des Konkurrenten behindert werden soll (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Omsels UWG § 4 Rn. 328). Eine solche Behinderungsabsicht ist anzunehmen, sobald der Arbeitnehmer vom Abwerbenden nicht benötigt wird oder nur gezielt, von einem ganz bestimmten Unternehmen abgeworben wird, ohne die anderen Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu sondieren (KBF/Köhler UWG § 4 Rn. 4.105).

Es ist unlauter, einen Mitarbeiter abzuwerben, indem man ihn zum Vertragsbruch verleitet (BGH GRUR 1961, 482 (483) – Spritzgussmaschinen; GRUR 2007, 800 Rn. 14 – Außendienstmitarbeiter; Ohly/Sosnitza/Ohly UWG § 4 Rn. 4/28). Hierzu zählen Fälle der Verletzung einer wesentlichen Pflicht aus einem gültigen Vertragsverhältnis (Harte- Bavendamm/Henning-Bodewig/Omsels UWG § 4 Rn. 336). Dies ist beispielsweise zu bejahen im Fall der sofortigen Einstellung der Arbeit, bei einer provozierten Kündigung oder in der Verletzung von Ausschließlichkeitsvereinbarungen oder Wettbewerbsverboten (Ohly/Sosnitza/Ohly UWG § 4 Rn. 4/28). Wer als Abwerber bewusst und gezielt auf den Vertragsbruch eines Mitarbeiters eines Mitbewerbers hinwirkt, verleitet diesen. Das setzt voraus, dass der Abwerbende zumindest Kenntnis von dem geschlossenen Vertrag hat oder sich dieser bewusst verschlossen hat (Ohly/Sosnitza/Ohly UWG § 4 Rn. 4/28). Dagegen reicht fahrlässige Unkenntnis grundsätzlich nicht aus (BGH GRUR 1975, 555 (557) – Speiseeis).

Ferner zulässig ist es dem Arbeitnehmer bei einer rechtmäßigen Kündigung helfend zur Seite zu stehen (Kündigungshilfe) (zur Kündigungshilfe beim Kunden BGH GRUR 2005, 603 (604) – Kündigungshilfe). Ebenso darf das Kündigungsschreiben vom neuen Arbeitgeber übermittelt werden oder für eine rechtmäßige Kündigung eine Prämie ausgelobt werden (Ohly/Sosnitza/Ohly UWG § 4 Rn. 4/30).

Gemessen an den dargelegten Grundsätzen ist für die Kammer kein unlauteres Verhalten der Antragsgegnerin zu erkennen. Besondere Umstände, die bei der grundsätzlich zulässigen Mitarbeiterabwerbung Unlauterkeit begründen würden, liegen nicht vor.

Eine Behinderungsabsicht der Antragsgegnerin ist nicht ersichtlich. Die wechselwilligen Mitarbeiter waren zuvor bei ihr tätig, sodass sie ein erhebliches Eigeninteresse an der Weiterbeschäftigung dieser Mitarbeiter hat und diese benötigt.

Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, dass die Antragsgegnerin die wechselwilligen Mitarbeiter zur Verletzung zum Vertragsbruch verleite, ist dies von der Antragstellerin nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Die Kammer stellt vorab klar, dass die Kündigungen nach eigenem Vortrag der Antragstellerin nicht jeweils kurz vor Arbeitsbeginn erfolgt sind. Lediglich zwei der sechs erklärten Kündigungen erfolgten am 28.08.2024 bzw. am 30.08.2024 und damit kurz vor dem vereinbarten Arbeitsbeginn am 01.09.2024. Alle anderen Kündigungen wurden jeweils mindestens einen Monat vor dem anvisierten Eintrittsdatum erklärt. Allein aus dem Umstand, dass die Kündigungen in Wortlaut, Aufbau und Form identisch sind, folgt nicht, dass diese von der Antragsgegnerin herrühren. Ein dahingehendes konzertiertes und koordiniertes Vorgehen durch die Antragsgegnerin ist weder dargelegt noch bewiesen. Aus den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Frau M. S. (Anlage AS-28) sowie des Herrn Y. E. (Anlage AS-29) folgt weder, dass die Antragsgegnerin für die Kündigungen oder den Nichtantritt der Arbeitsstelle bei der Antragstellerin verantwortlich ist, noch, dass die wechselwilligen Mitarbeiter E., K., W., We., D., U. und Ko. nun wieder bei der Antragsgegnerin beschäftigt sind. Die Zeugin M. S. (Anlage AS-28) versicherte lediglich, dass bei einer Betriebsversammlung am 16.05.2024 angekündigt worden sei, dass jeder, der bis Ende des Jahres bei der Antragsgegnerin arbeite, eine Prämie von bis zu 1.000 € erhalte. Diese sei ihr gegenüber nach Ausscheiden nochmals in Höhe von 3.000 € angeboten worden. Auch der Zeuge E. versicherte lediglich, dass ihm eine Prämienzahlung von 2.000 € für den Wiedereintritt in das Arbeitsverhältnis mit der Antragsgegnerin versprochen worden sei. Die Ankündigung der Prämienzahlung im Rahmen der Betriebsversammlung sollte allen Mitarbeitern und nicht nur den wechselwilligen Mitarbeitern zu Gute kommen. Dass den anderen wechselwilligen Mitarbeitern eine erhöhte Prämienzahlung außerhalb der Betriebsversammlung angeboten worden ist, ist hingegen nicht ersichtlich. Auch soweit sich die Antragstellerin auf die vermeintliche telefonische Einwirkung des Herrn F. auf den wechselwilligen Mitarbeiter Herrn U. beruft, ist dieser Vortrag nicht belegt. Soweit die Zeugin S. und der Zeuge E. versichern, dass den wechselwilligen Mitarbeitern rechtliche Unterstützung, um trotz unterschriebenen Vertrag bei der Antragsgegnerin bleiben zu können, von der Antragsgegnerin zugesichert worden sei, stellt dies nicht schon - wie von der Antragstellerin angenommen - eine kostenfreie Rechtsberatung dar. Dass eine solche tatsächlich durchgeführt wurde, ist hingegen nicht dargetan.

Auch sofern die Lösung des Vertrags durch die wechselwilligen Mitarbeiter einen Vertragsbruch darstellen würde, ist dies allein die Entscheidung des Beschäftigten. Im Falle der Vertragsverletzung kann der Arbeitgeber gegen ihn vorgehen. Eine unlautere Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit der wechselwilligen Mitarbeiter durch eine - als wahr unterstellte - Hilfe bei der Fertigung der Kündigung oder die - vermeintliche - Auszahlung einer Prämie ist nicht gegeben. Unlauterkeit soll nur bei Druck, unangemessenem Einfluss oder Irreführung des Arbeitnehmers vorliegen (vgl. §§ 4a, 4 Nr. 1 und §§ 2, 5, 5a). Ebenso ist von der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin als Abwerbende Kenntnis von den konkret geschlossenen Verträgen der wechselwilligen Mitarbeiter mit der Antragstellerin hatte. Zwar gibt die Zeugin S. in ihrer eidesstattlichen Versicherung an, dass einige Verträge von der Antragsgegnerin gesehen worden seien und diese daraufhin erklärt habe, dass die Verträge einer Rückkehr zur Antragsgegnerin nicht im Weg stünden. Welche Verträge der Antragsgegnerin konkret vorgelegen haben sollen, wird jedoch nicht klar. Angesichts der unterschiedlichen Ausgestaltungen der der Kammer vorliegenden Verträge, kann anhand der Angaben in der eidesstattlichen Versicherung nicht beurteilt werden, von welchen Arbeitsverträgen die Antragsgegnerin Kenntnis gehabt haben soll.

Auch ein Verfügungsgrund liegt nicht vor. Die Vermutung der Dringlichkeit gemäß § 12 Abs. 1 UWG ist widerlegt. Die Antragstellerin hat durch ihr eigenes Verhalten, insbesondere das Zuwarten mit der Antragstellung bis zum 16.09.2024 die erforderliche Dringlichkeit selbst widerlegt (MüKoZPO/Drescher Rn. 19). Eine späte Antragstellung ist dann schädlich, wenn dem Gläubiger die Gefährdung seiner Rechtstellung bekannt war oder aus grober Fahrlässigkeit unbekannt blieb. Wie lange der Antragsteller nach dem so ermittelten Zeitpunkt noch zuwarten darf, bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles (OLG Koblenz NJW-RR 2011, 624). Regelmäßig werden ihm aber nicht mehr als ein bis zwei Monate zugebilligt (OLG Koblenz NJW-RR 2011, 624). Die ersten Kündigungen der wechselwilligen Mitarbeiter We., K. und W. erfolgten bereits am 13.06.2024 bzw. am 17.06.2024, mithin drei Monate vor Antragstellung. Die Kündigung des wechselwilligen Mitarbeiters E. erfolgte am 30.07.2024. Dass diese Mitarbeiter nach bereits erklärter Kündigung voraussichtlich nicht zur Arbeitsaufnahme am 01.09.2024 erscheinen würden, war für die Antragstellerin bereits in diesem Zeitpunkt voraussehbar. Spätestens am 01.09.2024, als endgültig klar wurde, dass diese Mitarbeiter ihre Arbeit nicht antreten, hatte die Antragstellerin vollumfänglich Kenntnis von der Gefährdung ihrer Rechtsstellung. Mit dem weiteren Zuwarten mit der Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bis zum 16.09.2024 hat die Antragsgegnerin die Dringlichkeit selbst widerlegt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: