OLG Celle: Mündliche Auskunft durch Reisebüro geht Angaben in elektronischem oder gedrucktem Reiseprospekt vor
OLG Celle
Urteil vom 06.08.2020
11 U 113/19
Das OLG Celle hat entschieden, dass ein mündliche Auskunft durch eine Reisebüro Angaben in elektronischem oder gedrucktem Reiseprospekt vorgeht.
Aus den Entscheidungsgründen:
e) Die im Mittelpunkt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils stehende Tatsachenfrage, ob der Kläger den Reiseprospekt der Beklagten mitsamt der darin enthaltenen – inhaltlich ausreichenden und zutreffenden – Einreisebestimmungen (im Kapitel „Länderinformationen“, vgl. Bl. 24 d. A.) erhielt (oder eine inhaltlich entsprechende Digitaldatei per „Dropbox“), kann dahinstehen. Der Senat kann zugunsten der Beklagten unterstellen, dass diese Behauptung zutrifft. Die Beklagte würde dadurch nach der Auffassung des Senats nicht entlastet.
aa) Soweit es um die Festlegung des genauen Vertragsinhalts geht, ist anerkannt, dass der Reiseveranstalter für mündliche Äußerungen des mit ihm durch einen Handelsvertretervertrag verbundenen Reisebüros nach §§ 84 ff. HGB grundsätzlich einzustehen hat (vgl. nochmals BGH, Urteil vom 19. November 1981, a.a.O. Rn. 11 ff.; vgl. auch Staudinger/Ansgar Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2011, § 651c Rn. 19 m.w.N.):
„Sind demnach auch mündliche Erläuterungen des Reisewilligen für den Inhalt seines Vertragsangebots an den Reiseveranstalter maßgeblich, so trägt […] der Reiseveranstalter das Risiko einer fehlerhaften Weiterleitung des Angebots durch das vermittelnde Reisebüro. Diese Risikoverteilung ist sach- und interessengerecht.“
Die Instanzrechtsprechung hat diesen Grundsatz allerdings durchbrochen, wenn die mündliche Zusicherung des Reisebüros in erkennbarem Widerspruch zum Katalog des Reiseveranstalters steht (vgl. etwa OLG Frankfurt, Urteil vom 6. April 1995 – 16 U 47/94, juris Rn. 13). Zur Begründung wird ausgeführt, insoweit sei eine Vertrauenslage des Reisenden nicht gegeben, da er nicht davon ausgehen könne, dass die Prospektbeschreibung ohne weiteres durch eine mündliche Äußerung des Reisebüros außer Kraft gesetzt werden könne. Das soll auch gelten, wenn das Reisebüro zusichert, der Reiseveranstalter werde sich um die Besorgung der für die Reise erforderlichen Visa kümmern, und sich sowohl aus dem Reiseprospekt als auch einem ausdrücklichen nochmaligen Hinweis in der Reisebestätigung ergibt, dass dies die Aufgabe des Reisenden ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Dezember 2004 – 12 U 30/04, juris Rn. 10; vgl. auch Führich, Reiserecht, 7. Aufl. § 28 Rn. 34).
Ob das richtig ist, muss im Streitfall nicht abschließend erörtert werden. Die zitierte obergerichtliche Rechtsprechung dürfte in denjenigen Fällen nachvollziehbar sein, in denen der Kataloginhalt tatsächlich Gegenstand des Beratungsgesprächs ist und der Kunde daher von sich aus bemerken kann und muss, dass der Reiseveranstalter nur einen bestimmten Vertragsinhalt anbieten möchte. Wenn das Reisebüro dann – insbesondere ohne vorherige Rücksprache mit dem Reiseveranstalter – einen deutlich abweichenden Vertragsinhalt anbietet, lässt sich gut vertretbar argumentieren, dass der Reisende erkennen muss, dass das Reisebüro seine Erklärungsbefugnis als Handelsvertreter offenkundig überschreitet und folglich in diesem Umfang nicht mehr für den Reiseveranstalter handelt kann. So mag es in dem vom OLG Frankfurt (a.a.O.) entschiedenen Fall gewesen sein. Ob es sich in dem „Visum-Fall“ des OLG Düsseldorf (a.a.O.) ebenso verhielt, lässt sich anhand der veröffentlichten Gründe jener Entscheidung nicht eindeutig klären. Allerdings wies der Reiseveranstalter den Kunden in dem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall jedenfalls in der Reisebestätigung noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass er selbst die Visa nicht beschaffen werde, sondern sich der Kunde darum rechtzeitig kümmern müsse (a.a.O., Rn. 7). Angesichts dieses Hinweises war für den dortigen Kunden klar erkennbar, dass etwaige gegenteilige Äußerungen des Reisebüros nicht dem Willen des Reiseveranstalters entsprachen.
bb) Im Streitfall geht es indes nicht darum, dass die Zeugin K. als Mitarbeiterin des Reisebüros mit dem Kläger einen Vertragsinhalt vereinbarte, der ausweislich des Reiseprospekts erkennbar nicht dem Willen der Beklagten entsprach. Hier gab die Zeugin K. eine Erklärung ab, die mit den im Reiseprospekt abgedruckten Einreisebestimmungen nicht (vollständig) im Einklang stand. Die Beklagte hat auch weder behauptet noch die Zeugin K. bekundet, dass die im Prospekt der Beklagten enthaltenen „Länderinformationen“ Gegenstand der mündlichen Beratung im Reisebüro gewesen seien. Die Beklagte hat überdies nicht in der als Anlage K 3 vorgelegten Reisebestätigung vom 3. Januar 2018 ausdrücklich auf das Erfordernis hingewiesen, dass alle Reisenden einen Reisepass benötigten. Es heißt dort nur: „Sie haben eine Pauschalreise mit einem Linienflug gebucht – es gelten gesonderte Bedingungen gem. AGB Ziffer 8 – bitte beachten: – Überprüfen Sie bitte die korrekte Eingabe der Namen aller Mitreisenden und das Geburtsdaten analog des maschinenlesbaren Teils im Pass. […]“. Allein aus der Verwendung des Begriffs „Pass“ ergibt sich für einen durchschnittlichen Kunden nicht, dass eine Einreise mit einem Personalausweis nicht möglich ist, weil beide Begriffe umgangssprachlich nicht selten synonym benutzt werden.
(1) Bei einer solchen Fallgestaltung lässt sich nach Auffassung des erkennenden Senats nicht so argumentieren, wie es die Instanzrechtsprechung bei Abweichungen hinsichtlich des eigentlichen Vertragsinhalts, also der wechselseitigen Leistungspflichten der Parteien eines Pauschalreisevertrags mitunter tut. Dagegen spricht schon, dass die einschlägigen Informationen in den Reiseprospekten (wie im Streitfall die „Länderinformationen“ der Beklagten) aus der Sicht eines reisewilligen Kunden eher in die Rubrik „Kleingedrucktes“ gehören und deshalb im Regelfall nicht Gegenstand der Erörterung im Reisebüro sein werden. Deshalb ist die Abweichung für den Kunden nur erkennbar, wenn er sich diesen Informationen zuwendet, obwohl er zu dem Thema bereits zuvor mündlich eine Auskunft des Reisebüros erhalten hatte.
(2) Dazu ist der Kunde nach der Auffassung des Senats nicht verpflichtet, jedenfalls nicht ohne ausdrückliche Aufforderung von Seiten des Reisebüros. Vielmehr haben die vom Reisebüro mündlich erteilte Informationen grundsätzlich Vorrang gegenüber schriftlichen Hinweisen im Reiseprospekt, wenn diese nicht ausdrücklich Gegenstand der mündlichen Beratung waren.
Eine Obliegenheit des Reisekunden zur Nachprüfung von mündlich erteilten Informationen lässt sich nicht begründen. Der Bundesgerichtshof hat für den Bereich anderweitiger Beratungsleistungen, nämlich insbesondere für die Kapitalanlageberatung, ausdrücklich entschieden, dass eine solche Verpflichtung nicht besteht (vgl. etwa das Urteil vom 8. Juli 2010 – III ZR 249/09, juris Rn. 33) und dass allgemein der Umstand, dass ein Prospekt Chancen und Risiken einer Anlage hinreichend verdeutlicht, kein Freibrief für den Berater oder Vermittler ist, Risiken abweichend hiervon darzustellen und ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise und Erläuterungen im Prospekt entwertet oder für die Entscheidungsbildung des Anlegers mindert. Der Anleger, der bei seiner Entscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder -vermittlers in Anspruch nehme, messe den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Beraters oder Vermittlers, die dieser ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreitet, besonderes Gewicht bei. Die notwendig allgemein gehaltenen und mit zahlreichen Fachbegriffen versehenen Prospektangaben träten demgegenüber regelmäßig in den Hintergrund(vgl. auch BGH, Urteil vom 14. April 2011 – III ZR 27/10, juris Rn. 7 m.w.N.).
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
Urteil vom 06.08.2020
11 U 113/19
Das OLG Celle hat entschieden, dass ein mündliche Auskunft durch eine Reisebüro Angaben in elektronischem oder gedrucktem Reiseprospekt vorgeht.
Aus den Entscheidungsgründen:
e) Die im Mittelpunkt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils stehende Tatsachenfrage, ob der Kläger den Reiseprospekt der Beklagten mitsamt der darin enthaltenen – inhaltlich ausreichenden und zutreffenden – Einreisebestimmungen (im Kapitel „Länderinformationen“, vgl. Bl. 24 d. A.) erhielt (oder eine inhaltlich entsprechende Digitaldatei per „Dropbox“), kann dahinstehen. Der Senat kann zugunsten der Beklagten unterstellen, dass diese Behauptung zutrifft. Die Beklagte würde dadurch nach der Auffassung des Senats nicht entlastet.
aa) Soweit es um die Festlegung des genauen Vertragsinhalts geht, ist anerkannt, dass der Reiseveranstalter für mündliche Äußerungen des mit ihm durch einen Handelsvertretervertrag verbundenen Reisebüros nach §§ 84 ff. HGB grundsätzlich einzustehen hat (vgl. nochmals BGH, Urteil vom 19. November 1981, a.a.O. Rn. 11 ff.; vgl. auch Staudinger/Ansgar Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2011, § 651c Rn. 19 m.w.N.):
„Sind demnach auch mündliche Erläuterungen des Reisewilligen für den Inhalt seines Vertragsangebots an den Reiseveranstalter maßgeblich, so trägt […] der Reiseveranstalter das Risiko einer fehlerhaften Weiterleitung des Angebots durch das vermittelnde Reisebüro. Diese Risikoverteilung ist sach- und interessengerecht.“
Die Instanzrechtsprechung hat diesen Grundsatz allerdings durchbrochen, wenn die mündliche Zusicherung des Reisebüros in erkennbarem Widerspruch zum Katalog des Reiseveranstalters steht (vgl. etwa OLG Frankfurt, Urteil vom 6. April 1995 – 16 U 47/94, juris Rn. 13). Zur Begründung wird ausgeführt, insoweit sei eine Vertrauenslage des Reisenden nicht gegeben, da er nicht davon ausgehen könne, dass die Prospektbeschreibung ohne weiteres durch eine mündliche Äußerung des Reisebüros außer Kraft gesetzt werden könne. Das soll auch gelten, wenn das Reisebüro zusichert, der Reiseveranstalter werde sich um die Besorgung der für die Reise erforderlichen Visa kümmern, und sich sowohl aus dem Reiseprospekt als auch einem ausdrücklichen nochmaligen Hinweis in der Reisebestätigung ergibt, dass dies die Aufgabe des Reisenden ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Dezember 2004 – 12 U 30/04, juris Rn. 10; vgl. auch Führich, Reiserecht, 7. Aufl. § 28 Rn. 34).
Ob das richtig ist, muss im Streitfall nicht abschließend erörtert werden. Die zitierte obergerichtliche Rechtsprechung dürfte in denjenigen Fällen nachvollziehbar sein, in denen der Kataloginhalt tatsächlich Gegenstand des Beratungsgesprächs ist und der Kunde daher von sich aus bemerken kann und muss, dass der Reiseveranstalter nur einen bestimmten Vertragsinhalt anbieten möchte. Wenn das Reisebüro dann – insbesondere ohne vorherige Rücksprache mit dem Reiseveranstalter – einen deutlich abweichenden Vertragsinhalt anbietet, lässt sich gut vertretbar argumentieren, dass der Reisende erkennen muss, dass das Reisebüro seine Erklärungsbefugnis als Handelsvertreter offenkundig überschreitet und folglich in diesem Umfang nicht mehr für den Reiseveranstalter handelt kann. So mag es in dem vom OLG Frankfurt (a.a.O.) entschiedenen Fall gewesen sein. Ob es sich in dem „Visum-Fall“ des OLG Düsseldorf (a.a.O.) ebenso verhielt, lässt sich anhand der veröffentlichten Gründe jener Entscheidung nicht eindeutig klären. Allerdings wies der Reiseveranstalter den Kunden in dem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall jedenfalls in der Reisebestätigung noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass er selbst die Visa nicht beschaffen werde, sondern sich der Kunde darum rechtzeitig kümmern müsse (a.a.O., Rn. 7). Angesichts dieses Hinweises war für den dortigen Kunden klar erkennbar, dass etwaige gegenteilige Äußerungen des Reisebüros nicht dem Willen des Reiseveranstalters entsprachen.
bb) Im Streitfall geht es indes nicht darum, dass die Zeugin K. als Mitarbeiterin des Reisebüros mit dem Kläger einen Vertragsinhalt vereinbarte, der ausweislich des Reiseprospekts erkennbar nicht dem Willen der Beklagten entsprach. Hier gab die Zeugin K. eine Erklärung ab, die mit den im Reiseprospekt abgedruckten Einreisebestimmungen nicht (vollständig) im Einklang stand. Die Beklagte hat auch weder behauptet noch die Zeugin K. bekundet, dass die im Prospekt der Beklagten enthaltenen „Länderinformationen“ Gegenstand der mündlichen Beratung im Reisebüro gewesen seien. Die Beklagte hat überdies nicht in der als Anlage K 3 vorgelegten Reisebestätigung vom 3. Januar 2018 ausdrücklich auf das Erfordernis hingewiesen, dass alle Reisenden einen Reisepass benötigten. Es heißt dort nur: „Sie haben eine Pauschalreise mit einem Linienflug gebucht – es gelten gesonderte Bedingungen gem. AGB Ziffer 8 – bitte beachten: – Überprüfen Sie bitte die korrekte Eingabe der Namen aller Mitreisenden und das Geburtsdaten analog des maschinenlesbaren Teils im Pass. […]“. Allein aus der Verwendung des Begriffs „Pass“ ergibt sich für einen durchschnittlichen Kunden nicht, dass eine Einreise mit einem Personalausweis nicht möglich ist, weil beide Begriffe umgangssprachlich nicht selten synonym benutzt werden.
(1) Bei einer solchen Fallgestaltung lässt sich nach Auffassung des erkennenden Senats nicht so argumentieren, wie es die Instanzrechtsprechung bei Abweichungen hinsichtlich des eigentlichen Vertragsinhalts, also der wechselseitigen Leistungspflichten der Parteien eines Pauschalreisevertrags mitunter tut. Dagegen spricht schon, dass die einschlägigen Informationen in den Reiseprospekten (wie im Streitfall die „Länderinformationen“ der Beklagten) aus der Sicht eines reisewilligen Kunden eher in die Rubrik „Kleingedrucktes“ gehören und deshalb im Regelfall nicht Gegenstand der Erörterung im Reisebüro sein werden. Deshalb ist die Abweichung für den Kunden nur erkennbar, wenn er sich diesen Informationen zuwendet, obwohl er zu dem Thema bereits zuvor mündlich eine Auskunft des Reisebüros erhalten hatte.
(2) Dazu ist der Kunde nach der Auffassung des Senats nicht verpflichtet, jedenfalls nicht ohne ausdrückliche Aufforderung von Seiten des Reisebüros. Vielmehr haben die vom Reisebüro mündlich erteilte Informationen grundsätzlich Vorrang gegenüber schriftlichen Hinweisen im Reiseprospekt, wenn diese nicht ausdrücklich Gegenstand der mündlichen Beratung waren.
Eine Obliegenheit des Reisekunden zur Nachprüfung von mündlich erteilten Informationen lässt sich nicht begründen. Der Bundesgerichtshof hat für den Bereich anderweitiger Beratungsleistungen, nämlich insbesondere für die Kapitalanlageberatung, ausdrücklich entschieden, dass eine solche Verpflichtung nicht besteht (vgl. etwa das Urteil vom 8. Juli 2010 – III ZR 249/09, juris Rn. 33) und dass allgemein der Umstand, dass ein Prospekt Chancen und Risiken einer Anlage hinreichend verdeutlicht, kein Freibrief für den Berater oder Vermittler ist, Risiken abweichend hiervon darzustellen und ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise und Erläuterungen im Prospekt entwertet oder für die Entscheidungsbildung des Anlegers mindert. Der Anleger, der bei seiner Entscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder -vermittlers in Anspruch nehme, messe den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Beraters oder Vermittlers, die dieser ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreitet, besonderes Gewicht bei. Die notwendig allgemein gehaltenen und mit zahlreichen Fachbegriffen versehenen Prospektangaben träten demgegenüber regelmäßig in den Hintergrund(vgl. auch BGH, Urteil vom 14. April 2011 – III ZR 27/10, juris Rn. 7 m.w.N.).
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: