BGH
Urteil vom 21.06.2022
VI ZR 395/19
BGB §§ 823, 1004 (analog); StGB §§ 185 ff.; ZPO 139
Der BGH hat sich dieser Entscheidung zur richterlichen Hinweispflicht im äußerungsrechtlichen Rechtsstreit geäußert.
Leitsätze des BGH:
a) Begehrt der Kläger in einem äußerungsrechtlichen Rechtsstreit nicht die Unterlassung einer von ihm wörtlich wiedergegebenen Äußerung des Beklagten, sondern die Unterlassung einer Aussage, die er der Äußerung des Beklagten nach eigener Interpretation entnehmen zu können meint, so kommt ein auf eine Wiederholungsgefahr nach erfolgter Erstbegehung gestützter Unterlassungsanspruch (sogenannter "Verletzungsunterlassungsanspruch") nur in Betracht, wenn sich die vom Kläger bekämpfte Aussage aus der betreffenden Äußerung des Beklagten tatsächlich ergibt.
b) Ergibt sich in einem äußerungsrechtlichen Rechtsstreit, dass der Kläger die von ihm begehrte Unterlassung einer bestimmten Aussage nicht verlangen kann und die Klage deshalb unbegründet ist, so bedarf es vor Abweisung der Klage keines richterlichen Hinweises dahingehend, dass sich aus dem maßgeblichen Sachverhalt (möglicherweise) ein auf eine andere Aussage gerichteter Unterlassungsanspruch ergibt.
BGH, Urteil vom 21. Juni 2022 -
VI ZR 395/19 - OLG Schleswig - LG Lübeck
Den Volltext der Entscheidung finden Sie
hier:
OLG Düsseldorf
Beschluss vom 06.03.2019
11 W 70/18
Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass ein zu weitereichender richterlicher Hinweis im einstweiligen Verfügungsverfahren wegen eines Wettbewerbsverstoßes zur Befangenheit des Richters führen kann.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Darunter sind Gründe zu verstehen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Nicht erforderlich ist, dass der Richter tatsächlich befangen ist; unerheblich ist, ob er sich für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 42 Rn. 9 m. w. N.).
Derartige Gründe liegen hier vor.
Ausweislich des Aktenvermerks des Vorsitzenden Richters am Landgericht A… vom 23.08.2018 (Bl. 10 der Akte) wies er am 23.08.2018 in dem mit Schriftsatz vom 23.08.2018 eingeleiteten einstweiligen Verfügungsverfahren den Vertreter der Antragstellerin darauf hin, dass Bedenken gegen die Begründetheit des Hauptantrags bestünden, da hinsichtlich der beiden im Antrag in Bezug genommenen konkreten Verletzungshandlungen jedenfalls jeweils ein Modell der beworbenen Schuhe zu dem angegebenen geringsten Preis erworben werden konnte. Darüber hinaus machte er die Antragstellerin darauf aufmerksam, dass dies bezüglich des in der Antragsschrift als weiteres Beispiel aufgeführten und in der Anlage AS6 näher dokumentierten Schuhs - soweit dem Richter erkennbar - nicht der Fall sei, dieser Schuhe aber nicht Gegenstand des Antrages sei.
Auf diese Hinweise des Vorsitzenden hin änderte die Antragstellerin ihren Verfügungsantrag im Schriftsatz vom 24.08.2018 entsprechend ab und nahm den ursprünglich in der Anlage AS6 enthaltenen Schuh in den Hauptantrag auf. Der Vorsitzende Richter am Landgericht A... erließ daraufhin die einstweilige Verfügung am selben Tag antragsgemäß.
Dieser Ablauf begründet aus Sicht der Antragsgegnerin genügend objektive Gründe, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters am Landgericht A... zu zweifeln. Denn aus Sicht der Antragsgegnerin kann das Verhalten des Richters als Verstoß gegen seine richterliche Neutralitätspflicht, den Grundsatz des fairen Verfahrens, den Grundsatz des rechtlichen Gehörs und den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit verstanden werden. Der nur der Antragstellerin erteilte Hinweis des Richters wies diese ganz konkret darauf hin, dass der ursprüngliche Antrag unschlüssig war, aber mit einem anderen Schuh, der in einer Anlage AS6 aufgeführt war, schlüssig gemacht werden könnte.
Gemäß §§ 938 Abs. 1, 139 Abs. 1 S. 2 ZPO ist ein Richter zwar gehalten, Hinweise zu geben und auf sachdienliche Anträge hinzuwirken. Bei einem solchen allgemeinen Hinweis zur Begründetheit des Hauptantrages hat es der Richter aber vorliegend nicht bewenden lassen. Vielmehr hat er aus den Anlagen der Antragstellerin ein konkretes Schuhmodell herausgesucht, für das der materielle Vortrag der Antragstellerin schlüssig war. Damit hat er auf eine konkrete Antragsänderung hingewirkt, mit der die einstweilige Verfügung dann auch später erlassen wurde. Dieses Verhalten kann aus der Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Veranlassung geben, an der Neutralität des Gerichts zu zweifeln.
Entgegen seiner Rechtsmeinung in der dienstlichen Stellungnahme vom 18.09.2018 hat der Richter damit nicht allein auf nicht beachtete Gesichtspunkte hingewiesen, die in dem bisherigen Sachvortrag wenigstens schon andeutungsweise enthalten waren. Er hat einen inhaltlich konkreten Hinweis darauf gegeben, wie der Antrag schlüssig formuliert werden kann, unter Veränderung des Streitgegenstandes, wozu das konkrete Schuhmodell bei der Prüfung einer irreführenden geschäftlichen Handlung nach § 5 UWG - auch im Rahmen eines Unterlassungsantrags nach § 8 UWG, der bei Wiederholungsgefahr auch abstrakt in die Zukunft wirkt - gehört. Streitgegenstand ist vorliegend nicht allein eine bestimmte abstrakt formulierbare Werbepraxis der Antragsgegnerin, auf die sich die Antragstellerin zur Glaubhaftmachung ihres Unterlassungsantrages auf zwei Schuhmodelle im Antrag allein beispielhaft bezogen hat, sondern eine konkrete Verletzungshandlung nach § 5 UWG, bezogen auf konkret beworbene Schuhe in Verbindung mit einer glaubhaft gemachten Wiederholungsgefahr.
Das Spannungsfeld zwischen sachdienlichem Hinweis an eine Seite und einer Besorgnis der Voreingenommenheit des Gerichts bei der anderen Seite ist in einem einstweiligen Verfügungsverfahren, in dem ein Titel wegen der besonderen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung angestrebt wird, jedenfalls dann zu Gunsten einer begründeten Besorgnis der Befangenheit des Richters überschritten, wenn der richterliche Hinweis den Sachantrag und den Streitgegenstand unmittelbar konkret inhaltlich verändert und eine zuvor vom Antragsgegner hinterlegte Schutzschrift gemäß § 945a Abs. 1 S. 2 ZPO existiert, in der ausdrücklich um richterlichen Hinweis für den Fall eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und um Entscheidung nicht ohne mündliche Verhandlung gebeten wird (vgl. allg. BVerfG, Beschl. v. 30.09.2018 - 1 BvR 1783/17, NJW 2018, 3631, 3633 (Rn. 24)).
Nach alledem war die Entscheidung des Landgerichts zu aufzuheben und dem Ablehnungsgesuch stattzugeben."
Den Volltext der Entscheidung finden Sie
hier: