Skip to content

OLG Frankfurt: Schadensersatzanspruch gegen Bank oder Sparkasse wegen unrichtiger Geldwäscheverdachtsmeldung nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit

OLG Frankfurt
Hinweisbeschluss vom 15.4.2024 i.V.m. Zurückweisungsbeschluss vom 29.5.2024
3 U 192/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch gegen eine Bank oder Sparkasse wegen einer unrichtigen Geldwäscheverdachtsmeldung nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit besteht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Haftung - Kein Schadensersatz wegen unrichtiger Geldwäscheverdachtsmeldung

Eine Bank haftet nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger unwahrer Erstattung einer Geldwäscheverdachtsmeldung.

Sowohl die Meldepflicht als auch die Haftungsfreistellung sind dabei nach dem GwG grundsätzlich weit auszulegen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit heute veröffentlichter Entscheidung Schadensersatzansprüche wegen einer unrichtigen Geldwäscheverdachtsmeldung (hier: Verdacht des Insiderhandels im Zusammenhang mit Wirecard-Aktien) zurückgewiesen.

Der Kläger war bis 2008 Aufsichtsratsvorsitzender der Wirecard AG. Die beklagte deutsche Großbank hatte dem Kläger im Juni 2020 telefonisch geraten, Aktien der Wirecard AG aus dem Depot seiner Ehefrau zu verkaufen, da sie die Aktien neu bewertet habe. Der Kläger platzierte daraufhin - in Vollmacht seiner Frau - eine Verkaufsorder für eine im unteren sechsstelligen Bereich liegende Anzahl an Aktien der Wirecard AG. Zwei Tage später veröffentlichte die Wirecard AG eine ad-hoc-Meldung über die Stellung eines Insolvenzantrags. Nachfolgend brach der Aktienkurs nochmals signifikant ein. Die Beklagte erstattete einen Monat später eine Geldwäscheverdachtsmeldung gegen den Kläger und seine Frau. Ein gegen das Ehepaar eingeleitetes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, nachdem die BaFin keine überwiegenden Anhaltspunkte für die Verwertung von Insiderinformationen bei der gemeldeten Transaktion festgestellt hatte.

Der Kläger nimmt die Beklagte nunmehr auf Schadensersatz wegen einer unrichtigen Verdachtsmeldung in Anspruch. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Zur Begründung wies der zuständige 3. Zivilsenat darauf hin, es könne offenbleiben, ob die Beklagte durch die Erstattung der Geldwäscheverdachtsmeldung und insbesondere die unterlassene Erwähnung der zuvor von ihr erfolgten Verkaufsempfehlung ihre vertraglichen Pflichten verletzt habe. Jedenfalls komme ihr der gesetzliche Haftungsausschluss nach § 48 Abs. 1 GwG zu gute. Gem. § 48 Abs. 1 GwG darf derjenige, der einen Sachverhalt meldet, deshalb nicht nach zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Vorschriften verantwortlich gemacht oder disziplinarrechtlich verfolgt werden, es sei denn, die Meldung oder Strafanzeige ist vorsätzlich oder grob fahrlässig unwahr erstattet worden.

Hier sei die Beklagte zur Abgabe der Meldung berechtigt gewesen. Die Meldung habe insbesondere an Tatsachen angeknüpft, die eine Meldepflicht auslösen. Der meldepflichtige Verdacht habe sich auf die Straftat des Insiderhandels und damit eine taugliche Vortat der Geldwäsche bezogen. Ausreichend sei dabei ein niedriger Verdachtsgrad. „Die Meldepflicht nach § 43 GwG und die Haftungsfreistellung nach § 48 Abs. 1 GwG sind grundsätzlich weit auszulegen, da die Beurteilung, wann Umstände so ungewöhnlich oder auffällig sind, nicht klar zu bestimmen sind“, führte das OLG vertiefend aus. Der geringe Verdachtsgrad sei hier objektiv erreicht gewesen. Der Verkauf einer großen Stückzahl von Aktien sei mit dem öffentlichen Bekanntwerden der dortigen Unregelmäßigkeiten und letztlich der Insolvenzantragstellung zeitlich eng zusammengetroffen, auch wenn dies dem Kläger nicht anzulasten sei. Vor dem Hintergrund der Verbindungen des Klägers zu dem Unternehmen habe damit eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Verwertung von Insiderkenntnissen gesprochen.

Die Meldung sei auch nicht unwahr gewesen, da die ihr zu Grunde liegenden Tatsachen der Wirklichkeit entsprachen. Dass die Beklagte ihre eigene Empfehlung zum Verkauf nicht in der Meldung erwähnt habe, mache diese nicht unwahr oder entstelle sie in einer maßgeblichen Weise. Im Übrigen hätte diese Mitteilung die weiteren den Verdacht stützenden Tatsachen nicht ausgeräumt.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 15.4.2024 i.V.m. Zurückweisungsbeschluss vom 29.5.2024, Az. 3 U 192/23
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 11.10.2023, Az.: 2-12 O 181/23)

Erläuterungen:
§ 48 GwG Freistellung von der Verantwortlichkeit
(1) Wer Sachverhalte nach § 43 meldet oder eine Strafanzeige nach § 158 der Strafprozessordnung erstattet, darf deshalb nicht nach zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Vorschriften verantwortlich gemacht oder disziplinarrechtlich verfolgt werden, es sei denn, die Meldung oder Strafanzeige ist vorsätzlich oder grob fahrlässig unwahr erstattet worden.

(2) ....

§ 43 GwG Meldepflicht von Verpflichteten, Verordnungsermächtigung
(1) 1Liegen Tatsachen vor, die darauf hindeuten, dass ein Vermögensgegenstand, der mit einer Geschäftsbeziehung, einem Maklergeschäft oder einer Transaktion im Zusammenhang steht, aus einer strafbaren Handlung stammt, die eine Vortat der Geldwäsche darstellen könnte, ein Geschäftsvorfall, eine Transaktion oder ein Vermögensgegenstand im Zusammenhang mit Terrorismusfinanzierung steht oder der Vertragspartner seine Pflicht nach § 11 Absatz 6 Satz 3, gegenüber dem Verpflichteten offenzulegen, ob er die Geschäftsbeziehung oder die Transaktion für einen wirtschaftlich Berechtigten begründen, fortsetzen oder durchführen will, nicht erfüllt hat, so hat der Verpflichtete diesen Sachverhalt unabhängig vom Wert des betroffenen Vermögensgegenstandes oder der Transaktionshöhe unverzüglich der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen zu melden. 2Gibt der Verpflichtete zusätzlich zu der Meldung eines nach Satz 1 meldepflichtigen Sachverhalts auch eine Strafanzeige oder einen Strafantrag ab, so teilt er dies der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen mit Abgabe der Meldung mit.


ArbG Duisburg: Arbeitsgerichte sind für Ansprüche eines Bewerbers auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO und Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO sachlich zuständig

ArbG Duisburg
Beschluss vom 18.08.2023
5 Ca 877/23

Das ArbG Duisburg hat entschieden, dass für Ansprüche eines ehemaligen Bewerbers auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO und Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO die Arbeitsgerichte sachlich zuständig sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 17 a III S. 2 GVG war nach der Rüge des Rechtsweges vorab über die sachliche Zuständigkeit zu entscheiden.

Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit ergibt sich aus § 2 I Nr. 3 c ArbGG.

Danach sind die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger begehrt die Zahlung eines Schadensersatzes nach der DSGVO. Das nach Behauptung des Klägers verletzte Auskunftsbegehren liegt dabei inhaltlich in einer Bewerbung des Klägers aus dem Jahre 2017 begründet.

Die Bewerbung des Klägers stellt eine „Verhandlung über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses“ im Sinne des § 2 I Nr. 3 c ArbGG dar.

Zwar ist das Recht aus Art 15 DSGVO nicht an das Vorliegen einer arbeitsrechtlichen Beziehung geknüpft. Liegt eine solche jedoch vor, ist ein arbeitsrechtlicher Bezug gegeben, welcher die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründet. Der ordentliche Rechtsweg kommt bezüglich Ansprüchen aus der DSGVO hingehen in Betracht, wenn der geltend gemachte Anspruch nach dem anspruchsbegründenden Sachverhalt auf einem anderen, nicht mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehenden Rechtsverhältnis beruht (BAG, Beschl. v. 03.02.2014, 10 AZB 77/13, beck-online). Dies ist hier nicht der Fall.

Dem arbeitsrechtlichem Bezug steht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entgegen, dass die Bewerbung des Klägers sieben Jahre zurückliegt. Dies ändert nichts am inhaltlichen Sachzusammenhang.

Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist mithin gegeben.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Köln: Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO kann auch eine fiktive Lizenzgebühr umfassen - Verwendung des Namens des Betroffenen in einem Werbeprospekt

OLG Köln
Urteil vom 04.05.2023
15 U 3/23

Das OLG Köln hat entschieden, dass der Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO auch eine fiktive Lizenzgebühr umfassen kann. Vorliegend ging es um die Verwendung des Namens des Betroffenen in einem Werbeprospekt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz in Form einer fiktiven Lizenzgebühr.

a. Ein solcher Anspruch folgt jedoch entgegen den Ausführungen des Landgerichts wohl nicht aus § 812 Abs. 1 S. 1 2. Fall BGB, weil nicht festgestellt werden kann, dass die Beklagte den Namen und das Zitat des Klägers ohne seine Zustimmung und damit rechtsgrundlos genutzt hat. Der Kläger hat zwar behauptet, dass er einer Verwendung seines Namens und des Zitats speziell im Versandkatalog der Beklagten so gerade nicht zugestimmt habe. Er hat aber den Beweis für einen fehlenden Rechtsgrund, der ihm im Rahmen eines Anspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Fall BGB obliegt, nicht führen können. Denn die Beklagte hat im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast als Rechtsgrund die vom Kläger in einem Telefonat erteilte konkrete Zustimmung vorgetragen und nach Anhörung beider Parteien durch das Landgericht ist – was der Kläger auch nicht substantiell angreift – insoweit von einem non liquet auszugehen, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Abweichend von den Ausführungen des Landgerichts geht dies allerdings zu Lasten des beweisbelasteten Klägers.

b. Der Anspruch des Klägers ergibt sich jedoch dem Grunde nach aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO, der im Zeitpunkt der ersten unstreitigen Verwendung des Namens im Jahre 2019 bereits in Kraft war (Art. 99 DSGVO) und auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch mangels eines für die Beklagte eingreifenden Medienprivilegs – der Versandkatalog ist keine journalistische Tätigkeit gemäß Art. 85 DSGVO im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, Urt. v. 14.2.2019 – C-345/17, juris; BGH, Urt. v. 12.10.2021 – VI ZR 489/19, BGHZ 231, 263) – auch sachlich Anwendung findet.

aa. Die Verwendung des Namens des Klägers – und damit eines personenbezogenen Datums – in einem Werbeprospekt ist eine Datenverarbeitung im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DSGVO durch die Beklagte. Diese bedarf zu ihrer Rechtmäßigkeit nach Art. 6 Abs. 1 lit. a) DSGVO der Einwilligung des Klägers, weil offensichtlich kein Fall des Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO vorliegt. Unabhängig von der streitigen Frage, ob der Kläger nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO darlegungs- und beweispflichtig für einen Verstoß gegen die Verordnung ist (vgl. Kühling/Buchner/Bergt, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 46), ist aber zumindest die Beklagte ihrerseits nach Art. 7 Abs. 1 DSGVO beweispflichtig für das Vorliegen einer unbefristeten und nicht nur auf eine bestimmte Nutzung beschränkten Einwilligung des Klägers, wenn sie – wie vorliegend – die Rechtmäßigkeit ihrer Datenverarbeitung auf eine solche stützt. Insofern liegt, anders als beim Anspruch aus § 812 Abs. 1 BGB, die Beweislast bei der Beklagten, womit das nach Anhörung der Parteien bestehende non liquet zu deren Lasten ausgeht.

bb. Der Senat ist weiter der Auffassung, dass jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, also bei einem Eingriff in die vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen durch Verwendung derselben in einem kommerziellen Kontext, der Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO auch die fiktive Lizenzgebühr umfassen kann (Lizenzanalogie). In Erwägungsgrund 146 Satz 6 ist die Zielsetzung enthalten, der betroffenen Person einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden zukommen zu lassen (vgl. EuGH, Urt. v. 17.12.2015 – C-407/14, EuZW 2016, 183; dazu auch HK-DS-GVO (Kreße), Art. 82 Rn. 6; NK-DatenschutzR (Boehm), Art. 82 Rn. 27; Strittmatter/Treiterer/Harnos CR 2019, 789; Kühling/Buchner/Bergt, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 20), wozu u.a. auch der entgangene Gewinn zählen kann. Insofern erscheint es vorzugswürdig, dass der autonom auszulegende Schadensbegriff des Art. 82 Abs. 1 DSGVO insoweit für eine Ausgestaltung offen ist und mangels konkreter Regeln im Unionsrecht auch mitgliedstaatliche Rechtsgrundsätze – und damit hier die Grundsätze der sog. dreifachen Schadensberechnung – zur Berechnung des ersatzfähigen materiellen Schadens herangezogen werden können, wobei allerdings die Vorgaben des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes hinsichtlich Haftungshöchstbetrag und etwaigem Strafschadensersatz zu beachten sind (vgl. Hellgardt, ZEuP 2022, 7; Herberger, NZFam 2021, 1088; Paal, MMR 2020, 14; Thüsing (Thüsing/Pötters), Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 3. Aufl. 2021, § 21 Rn. 18 und 40; Ehmann/Selmayr (Nemitz), DSGVO, 2. Aufl. 2018, Art 82 Rn. 17; Paal, MMR 2020, 14, 16; dazu auch Senat, Beschl. v. 26.4.2023 – 15 U 24/23, zur Veröffentlichung bestimmt).

2. Der damit grundsätzlich gegebene Anspruch des Klägers besteht jedoch nicht in der von ihm geltend gemachten Höhe.

a. Im Fall einer nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO als Schadensersatz zu zahlenden fiktiven Lizenzgebühr ist deren Höhe vom Tatgericht gemäß der prozessrechtlichen nationalen Regelung des § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen. Zu fragen ist, was vernünftige Vertragspartner als Vergütung für die vom Verletzer vorgenommenen Benutzungshandlungen vereinbart hätten. Im Rahmen der Ermittlung des objektiven Werts der Benutzungsberechtigung, der für die Bemessung der Lizenzgebühr maßgebend ist, müssen die gesamten relevanten Umstände des Einzelfalls in Betracht gezogen und umfassend gewürdigt werden (vgl. BGH, Urt. v. 21.1.2021 – I ZR 120/19, NJW 2021, 1303 m.w.N.). Im Rahmen der Ermittlung des objektiven Werts der in Anspruch genommenen Benutzungsberechtigung müssen dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls in Betracht gezogen und umfassend gewürdigt werden. Wesentliche Faktoren der Bemessung sind dabei die Bekanntheit und der Sympathie-/Imagewert des Betroffenen, der Aufmerksamkeitswert, die Wirkung, der Verbreitungsgrad der Werbung und die Rolle, die dem Betroffenen in der Werbung zugeschrieben wird (vgl. BGH, Urt. v. 21.1.2021 - I ZR 207/19, GRUR-RS 2021, 548; BGH, Urt. v. 21.1.2021 – I ZR 120/19, GRUR 2021, 636; BVerfG, Beschl. v. 5.3.2009 - 1 BvR 127/09, GRUR-RR 2009, 375; Wanckel, in: Paschke u.a., Hamburger Kommentar Gesamtes MedienR, 4. Aufl. 2021, 42. Abschn. Rn. 51; Ettig, Bereicherungsausgleich und Lizenzanalogie bei Persönlichkeitsverletzungen, 2015, S.181 ff. m.w.N.).

b. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der Kläger von der Beklagten lediglich einen Betrag von 1.500 Euro verlangen.

aa. Dabei will der Senat – entgegen der Rüge des Klägers im Schriftsatz vom 1.3.2023 (Bl. 96 SH) – nicht in Abrede stellen, dass der konkreten Darstellung von Name und Zitat im Versandkatalog der Beklagten durchaus ein Werbewert zukommt. Die Qualifizierung dieser konkreten Darstellung als Werbung hängt insbesondere nicht, wie es die Beklagte einwendet, davon ab, ob sich das dort verwendete Zitat des Klägers bzw. die Nennung seines Namens auf ein konkretes (einzelnes) Produkt beziehen, sondern ist auch dann zu bejahen, wenn lediglich Aussagen zur allgemeinen und von der Beklagten vertriebenen Produktgruppe (Kaviar) vorgenommen werden (vgl. in Abgrenzung dazu OLG Hamburg, Urt. v. 26.2.2008 – 7 U 61/07, AfP 2008, 210 zum dort fehlenden Akt der werblichen Vereinnahmung). Zwar ist vorliegend eine sog. Testimonialwerbung zu verneinen, weil aus Sicht der Empfänger der Versandkataloge nicht davon ausgegangen werden kann, der Kläger stehe mit seinem „guten Namen“ für ein Produkt der Beklagten ein. Vielmehr wird der Durchschnittsleser aus der Nennung von Namen und Zitat des Klägers allein eine allgemeine Anpreisung der betreffenden Produktgruppe (Kaviar) entnehmen. Insofern ist aber mit der streitgegenständlichen Gestaltung der Katalogseite dennoch jedenfalls ein gewisser Imagetransfer des Klägers – als ehemaligem 3-Sterne-Koch und Fachmann auf dem Gebiet hochpreisiger Lebensmittel – nicht nur allgemein auf Kaviar, sondern auch auf die von der Beklagten vermarktete Produktgruppe verbunden (vgl. dazu BGH, Urt. v. 28.7.2022 – I ZR 171/21, NJW 2022, 3783). Allein das Vorliegen eines solchen Werbewerts der Namensverwendung trifft jedoch noch keine Aussage über die Höhe der konkret geschuldeten fiktiven Lizenzgebühr. Diese ist vielmehr davon abhängig, inwelcher Art und welchem Umfang der Kläger sonst seinen Namen und seine berufliche Position werblich ausnutzt und welche Vergütung er in vergleichbaren Fällen erhält.

bb. Der Vertrag des Klägers mit der P., der eine deutlich höhere Vergütung als die tenorierte ausweist, ist vorliegend als Grundlage einer Schätzung nach § 287 ZPO nicht geeignet. In diesem Vertrag hat sich der Kläger verpflichtet, seinem Vertragspartner an zehn Tagen im Jahr für Fotoshootings bzw. PR-Maßnahmen zur Verfügung zu stehen. Dagegen hat die Beklagte weder ein Bild des Klägers im Katalog verwendet noch ist irgendein sonstiger (persönlicher) Einsatz des Klägers zur Unterstützung der Produkte der Beklagten mit entsprechenden Aufwendungen seinerseits erfolgt. Gleiches gilt für die sonstigen vom Kläger im Verfahren angeführten Tätigkeiten mit höherer Vergütung, die stets darauf basieren, dass er einen persönlichen Einsatz als Koch, Berater oder Produktvermarkter erbringen muss, was sich dann auch in der Höhe der jeweiligen Vergütung widerspiegelt. Insofern ist zu beachten, dass bei Heranziehung von (Vergleichs-) Verträgen zur Bemessung der Lizenzanalogie stets primär auch die Vergleichbarkeit der vereinbarten Leistungen mit der Verletzungshandlung zu prüfen ist (Ettig, Bereicherungsausgleich und Lizenzanalogie bei Persönlichkeitsverletzungen, 2015, S.185 m.w.N.; siehe auch BGH, Urt. v. 18.6.2020 – I ZR 93/19, GRUR 2020, 990).

cc. Als Kriterien für eine Schätzung der fiktiven Vergütung können hier daher zunächst die Bekanntheit des Klägers sowie sein Renommee als (ehemaliger) 3-Sterne-Koch herangezogen werden, die in den Augen der angesprochenen Rezipienten – Leser einen Prospektes für hochpreisige Feinkost – durchaus einen nicht unerheblichen Stellenwert einnehmen werden. Zu berücksichtigen ist auf der anderen Seite aber auch, dass es sich beim Versandkatalog der Beklagten nicht um einen ubiquitär abrufbaren Internetauftritt, sondern lediglich um ein Printprodukt handelt, das in einer verhältnismäßig geringen Auflage von 10.000 Stück aufgelegt wird, von denen auch nicht alle Exemplare verteilt wurden. Weiter enthält das mit seinem Namen in Verbindung stehende Zitat des Klägers keine werbende Aussage unmittelbar zu einem bestimmten Produkt, sondern nur eine allgemeine Aussage zu den Mengen an Kaviar, die ein entsprechend finanzstarker Feinschmecker seiner Meinung nach zu sich nehmen sollte. Ist damit zwar nicht – wie oben ausgeführt – der Werbewert als solcher in Abrede zu stellen, da jedenfalls der Name des Klägers und sein berufliches Renommee das Publikum zum Kauf größerer Mengen Kaviars animieren sollen, muss aber bei der Höhe der zu schätzenden Vergütung berücksichtigt werden, dass die Stellung des Klägers als Spitzenkoch nicht auf ein bestimmtes Produkt bezogen wird und konkret auf dieses abfärben soll (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 5.3.2009 – 1 BvR 127/09, AfP 2009, 249 – Werbung für eine Dosensuppe mit dem Bild der Beschwerdeführerin). Für eine Aussage, die eher nur allgemein den Umsatz der Beklagten verbessern soll, ist bei der Vergütung ein geringerer Betrag anzusetzen als beispielsweise für die mit Bild des Klägers versehene Anpreisung eines konkreten Produktes. Wenn man insofern berücksichtigt, dass der Kläger für ein Video mit seiner Person und werbenden Aussagen zu einem konkreten Produkt (dem Mineralwasser von H.) einen Betrag von 4.000 Euro netto für drei Jahre – also rund 1.333 Euro pro Jahr – erhalten hat, dann muss der von der Beklagten geschuldete Betrag im vorliegenden Fall, in dem in einem rund 130 Seiten starken Printkatalog lediglich auf einer einzigen Doppelseite der Name des Klägers mit einem allgemein zum Kauf von Kaviar motivierenden Zitat verwendet wird, ohne dass damit konkrete Produktanpreisungen verbunden werden oder ein bildlicher/persönlicher Einsatz des Klägers gegeben ist, deutlich geringer angesetzt werden. Der Senat hält insofern eine Jahresvergütung von 500 Euro für ausreichend und angemessen, woraus sich bei einer hier vom Landgericht unangegriffen festgestellten dreijährigen Veröffentlichung des Versandkatalogs der tenorierte Betrag von 1.500 Euro ergibt.

An diesen Erwägungen im Rahmen der Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO ändert auch das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 17.3.2023 nichts. Die Teilnahme des Klägers an einer bundesweit ausgestrahlten und entsprechend bekannten Kochshow dürfte zwar durchaus zu einer weiterhin hohen Bekanntheit seiner Person in der Öffentlichkeit führen. Der Kläger macht jedoch selbst nicht geltend, dass und in welcher Höhe er für seine Teilnahme an der Sendung „E.“ eine Vergütung erhalten hat, so dass auch insofern nicht festgestellt werden kann, welcher vermeintlich höhere Werbewert insoweit seiner Person zugemessen wurde. Soweit die betreffende Fernsehsendung – dies wird zugunsten des Klägers als wahr unterstellt – seine Bekanntheit in der Öffentlichkeit gesteigert hat, kann dies bei der Bemessung der von der Beklagten zu zahlenden Lizenzgebühr zudem schon deshalb keine Rolle spielen, weil die Fernsehsendung erst lange nach der Verteilung der streitgegenständlichen Werbekataloge stattgefunden hat.

Schließlich ist eine Erhöhung der dem Kläger vorliegend zugebilligten fiktiven Lizenzgebühr auch im hier eröffneten Rahmen des Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht etwa im Hinblick auf den Gedanken eines sog. Straf- bzw. Verletzerzuschlags gerechtfertigt (vgl. dazu Hellgard, ZEuP 2022, 7, 30 für Fall nicht kommerzieller Nutzung; siehe auch Dietrich, CR 2020, 497 für den Bereich des Urheberrechts). Der Senat hat dies für den Bereich der Schadensersatzhaftung im Bereich der vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verneint (Senat, Beschl. v. 8.11.2022 – 15 U 141/22 und 15 U 142/22, zur Veröffentlichung bestimmt; siehe auch OLG München, Urt. v. 17.1.2003 – 21 U 2664/01, juris; siehe ferner BGH, Urt. v. 18.6.2020 – I ZR 93/19, GRUR 2020, 990 Rn. 26 und vertiefend Ettig, Bereicherungsausgleich und Lizenzanalogie bei Persönlichkeitsverletzungen, 2015, S.187 ff m.w.N.); hier gilt nichts anderes: Denn zum einen hat der Kläger selbst im vorliegenden Verfahren lediglich die aus seiner Sicht angemessene Vergütung in Form der einfachen (fiktiven) Lizenz geltend gemacht und dazu vorgetragen, den Klagebetrag – und nicht etwa einen geringeren Betrag, der dann im Hinblick auf einen Verletzter-/Strafzuschlag zu erhöhen gewesen wäre – bei einer fiktiven Lizenzierung hätte verlangen zu können. Zum anderen liegt der Sinn und Zweck des Anspruchs auf Ersatz jedenfalls des materiellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO – um den es hier allein geht - ausweislich des Erwägungsgrunds 146 in einem schlichten Ausgleich der an den vermögenswerten Rechtspositionen des Betroffenen eingetretenen Beeinträchtigungen und nicht etwa in einer über diese reine Kompensation noch hinausgehenden „Bestrafung“ des Verletzers, wozu auf Seiten der Beklagten, die sich im Hinblick auf die verworrene tatsächliche Situation rund um die Einwilligung zur Veröffentlichung von Name und Zitat letztlich subjektiv als berechtigt angesehen hat, den Versandkatalog mit den personenbezogenen Daten des Klägers zu versehen, im Übrigen auch kein Anlass besteht. Dass der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 25.1.2017 (C-367/15, NJW 2017, 1373) eine Regelung im nationalen (polnischen) Recht, die wahlweise eine Verdopplung bzw. Verdreifachung der angemessenen Vergütung bei Urheberrechtsverletzungen vorsah, europarechtlich nicht beanstandet hat, hat auf die hier vorzunehmende Schätzung des Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO, der eine entsprechende Bestimmung selbst gerade nicht vorsieht und bei dem insofern hier auch nicht auf entsprechendes nationales Recht zurückgegriffen werden kann, keine Auswirkungen. Es sind auch keine einheitlichen europäischen Rechtstraditionen ersichtlich, die etwa durchweg das Zusprechen von pauschalen Verletzerzuschlägen eröffnen würden. Selbst wenn man Art. 82 Abs. 1 DSGVO selbst eine gewisse Strafschadensfunktion zusprechen wollte (dazu kritisch aber der Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 6.10.2022 – C-300/21, BeckRS 2022, 26562 Rn. 35 ff.), rechtfertigt dies allein keine mehr oder weniger pauschalen „Verletzerzuschläge“ ohne eine klare gesetzliche Grundlage. Das zeigt u.a. auch der Vergleich mit den noch deutlich klareren Immaterialgütern im Bereich der Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG (Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. Nr. L 157 vom 30.4.2004, S. 45), die den Bereich der vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zwar nicht harmonisiert (dazu Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, 2017, S. 371 f., 508), aber wertungsmäßig zum Vergleich hier durchaus auch herangezogen werden kann. Auch dort wird man Verletzerzuschläge – wie schon vor der Harmonisierung (BGH, Urt. v. 6.3.1980 - X ZR 49/78, GRUR 1980, 841 - Tolbutamid) – ohne klare gesetzliche Regelung im nationalen Recht, die Art. 13 Abs. 2 lit b) der Richtlinie („mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte“) zwar theoretisch zulassen würde, der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie jedoch ganz ausdrücklich nicht hat regeln wollen (BT-Drs. 16/5048, 62 zu Vorschlägen des Bundesrats), jedenfalls im Regelfall daher nicht zusprechen (st. Rspr., vgl. etwa nur BGH, Urt. v. 22.9.2021 – I ZR 20/21, GRUR 2022, 82 Rn. 14 – Layher; BGH, Urt. v. 18.6.2020 – I ZR 93/19, GRUR 2020, 990 Rn. 26 – Nachlizenzierung; siehe auch Raue, Die dreifache Schadensberechnung, 2017, S. 323 f. m.w.N.). Nichts anderes gilt aber hier, zumal gerade die kontroverse Gesetzgebungsgeschichte dieser Richtlinie zeigt, dass es selbst im klassischen „grünen Bereich“ klar abgrenzbarer Immaterialrechtsgüter keine einheitlichen Rechtstraditionen dazu in Europa gibt. Etwaige denkbare Ausnahmefälle, in denen etwa ein Verletzer sonst gegenüber einem redlichen vertraglichen Lizenznehmer ungerechtfertigte Vorteile hätte, weil etwa Schutzfähigkeitsrisiken im Raum stehen (dazu etwa Mes, PatG, 5. Aufl. 2020, § 139 Rn. 143, 147) und/oder Verwässerungsschäden lizenzerhöhend zu berücksichtigen wären (dazu BeckOK MarkenR/Goldmann, Ed. 32, § 14 Rn. 806), sind im konkreten Fall weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dass aber Art. 82 Abs. 1 DSGVO jedenfalls beim materiellen Schadensersatz – um den es hier allein geht – nicht der sog. „Überkompensation“ dienen kann, steht außer Frage und wird – weswegen hier auch von einem sog. acte-clair (dazu EuGH, Urt. v. 06.10.1982 - 283/81, NJW 1983, 1257 - C. I. L. F. I. T., Slg. 1982, 3415 Rdnr. 16 = NJW 1983, 1257) auszugehen ist – auch in Rechtsprechung und Literatur nicht vertreten.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Göttingen: Schadensersatzanspruch aus § 58 Abs. 1,3 TKG in Höhe von 2.810 EURO gegen Mobilfunkbetreiber wegen Ausfalls des Mobilfunkanschlusses - 10 EURO pro Tag

LG Göttingen
Urteil vom 01.09.2023
4 O 78/23


Das LG Göttingen hat einem Verbraucher einen Schadensersatzanspruch aus § 58 Abs. 1,3 TKG in Höhe von 2.810,00 EURO ( 10 EURO pro Tag) gegen einen Mobilfunkanbieter wegen des Ausfalls seines Mobilfunkanschlusses zugesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Landgericht Göttingen ist gem. § 29 Abs. 1 ZPO zuständig. Nach dieser Vorschrift ist für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist.

Der "Vertragsgerichtsstand" des § 29 Abs. 1 erfasst alle Klagen, denen ein auf ein Vertragsverhältnis gestützter Anspruch zugrunde liegt. Um welchen Anspruch es sich handelt, spielt dabei keine Rolle; in Betracht kommen daher außer dem Anspruch auf Erfüllung der Vertragspflichten und Schadensersatzansprüchen wegen der Nicht- oder Schlechterfüllung vertraglicher Haupt- oder Nebenpflichten einschließlich aller Hilfs- und Nebenansprüche auch ein Anspruch auf eine (unselbstständige) Vertragsstrafe wegen der Nicht- oder Schlechterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung (BeckOK ZPO/Toussaint, 49. Ed. 1.7.2023, ZPO § 29 Rn. 18, 19). Dies gilt auch, wenn - wie hier - ein gesetzlicher Anspruch das Bestehen eines Vertrages voraussetzt (BGH NJW 2011, 2056 [BGH 18.01.2011 - X ZR 71/10] Rn. 26, beck-online).

Die "streitige Verpflichtung" i. S. v. § 29 Abs. 1 meint sodann nicht nur die jeweilige streitgegenständliche Pflicht, wie hier, die Zahlung der Entschädigung, sondern Vertragspflicht, sondern die (primäre) Vertragspflicht, deren Verletzung dem Anspruch zugrunde liegt (BGHZ 188, 85 (92); BGHZ 195, 243; BeckOK ZPO/Toussaint, 49. Ed. 1.7.2023, ZPO § 29 Rn. 28.1). In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich bei Mobilfunkverträgen der Erfüllungsort für Pflichten eines Mobilfunkdiensteanbieters im Sinne von § 269 BGB an jedem Ort im Bereich seines Funknetzes befindet (vgl. KG, Beschluss v. 17.09.2007 - Az.: 2 AR 37/07, MMR 2008, 478 [KG Berlin 17.09.2007 - 2 AR 37/07]). Gemessen hieran kommt es schon nicht darauf an, dass - wie die Beklagte meint - ein gemeinsamer Erfüllungsort betreffend die synallagmatischen Vertragspflichten der Parteien anzunehmen ist oder nicht. Denn die Folge aus der von der Beklagten vertretenen Auffassung ist gerade nicht, dass damit gar kein Erfüllungsort besteht, sondern nur, dass mehr als ein Erfüllungsort in Betracht kommen kann. Ein solcher wiederum ist vorliegend am Wohnort des Klägers anzunehmen, weil dort die streitgegenständliche vertragliche Pflicht, deren Verletzung § 58 Abs. 3 TKG voraussetzt, zu erbringen ist.

II.
1. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von 2.810,00 € ergibt sich aus § 58 Abs. 1, 3 TKG. Nach § 58 Abs. 1, 3 TKG kann der Verbraucher von einem Anbieter eines öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdienstes verlangen, dass dieser eine Störung unverzüglich und unentgeltlich beseitigt, es sei denn, der Verbraucher hat die Störung selbst zu vertreten. Wird die Störung nicht innerhalb von zwei Kalendertagen nach Eingang der Störungsmeldung beseitigt, kann der Verbraucher ab dem Folgetag für jeden Tag des vollständigen Ausfalls des Dienstes eine Entschädigung verlangen, es sei denn, der Verbraucher hat die Störung oder ihr Fortdauern zu vertreten, oder die vollständige Unterbrechung des Dienstes beruht auf gesetzlich festgelegten Maßnahmen nach diesem Gesetz, der Verordnung (EU) 2015/2120, sicherheitsbehördlichen Anordnungen oder höherer Gewalt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

a) Der Kläger ist Verbraucher im Sinne der Vorschrift und die Beklagte Anbieterin eines öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdienstes, da sie dem Kläger vertraglich die Nutzung verschiedener Telekommunikationsdienste im Netz der O schuldet.

b) Es liegt auch eine Störung im Sinne der Vorschrift vor.

Der Begriff Störung ist umfassend zu verstehen und meint jede vom Telekommunikationsanbieter nicht gewollte Veränderung der von ihm genutzten technischen Einrichtungen (BGH NJW 2011, 1509 [BGH 13.01.2011 - III ZR 146/10] (1511)). Eine Störung liegt auch dann vor, wenn die eingesetzte Technik die ihr zugedachten Funktionen nicht mehr richtig oder vollständig erfüllen kann (BGH ZD 2014, 461 (462); BeckOK InfoMedienR/Kiparski, 40. Ed. 1.2.2022, TKG2021 § 58 Rn. 10). Dies ist hier anzunehmen. Zwar hat die Beklagte den vom Kläger behaupteten Ausfall des Sendemastes an dessen Wohnort bestritten, gleichwohl aber dargelegt, dass aufgrund wechselnder Störungen anderer Stationen im näheren Umkreis die den Kläger "versorgende" Basisstation zeitweilig ausgelastet gewesen sei, was vom Kunden als vermeintlich anhaltende Störung empfunden worden sein könne. Letztlich macht dies aber für die Annahme einer Störung keinen Unterschied, da Anspruchsvoraussetzung gerade nicht ein Ausfall eines (bestimmten) Sendemastes ist, sondern nur die technisch bedingte, vom Anbieter nicht gewollte Veränderung im Sinne einer nicht mehr richtigen oder vollständigen Funktion. Dies ist auch dann anzunehmen, wenn eine Station aufgrund wechselnder Störungen anderer Station ausgelastet ist, da die Basisstation ihrer originären Aufgabe dann nicht mehr hinreichend nachkommen kann. Da die insoweit mindestens sekundär darlegungspflichtige Beklagte keine weiteren Angaben dazu gemacht, aus welchem Grund und in welchem Zeitraum die Störungen der anderen Station im näheren Umkreis bestanden haben, ist davon auszugehen, dass diese Störung über den gesamten Zeitraum bestanden hat, zumal die Beklagte gerade nicht bestritten hat, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht habe telefonieren können.

c) Der Kläger hat die Störung auch nicht selbst zu vertreten.

d) Die Störung führte vorliegend zu einem vollständigen Dienstausfall im Sinne der Vorschrift.

Dienst ist der vertraglich mit dem Verbraucher vereinbarte Telekommunikationsdienst. Vollständiger Dienstausfall meint gänzliche Nichtverfügbarkeit des Dienstes. Telekommunikationsanbietern steht es frei, zur Vermeidung eines langandauernden Dienstausfalls und der sich daraus ergebenden Haftungsfolgen, dem Verbraucher eine sinnvolle Ersatzlösung zur Verfügung zu stellen, um die Nutzung der Dienste ganz oder zumindest teilweise zu ermöglichen (BT-Drs. 19/26108, 291; BeckOK InfoMedienR/Kiparski, 40. Ed. 1.2.2022, TKG2021 § 58 Rn. 33, 34).

Der Telekommunikationsdienst muss vollständig ausgefallen sein (BT-Drs. 19/26108, 291). Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um einen Ausfall bei einem einzelnen Verbraucher oder um einen großflächigen Ausfall handelt (BT-Drs. 19/26108, 290). Ferner kann der Telekommunikationsdienst zwar aus einem Bündel von Leistungen bestehen, wie bspw. dem Anschluss, Telefonie, Datenübertragung und bei Mobilfunk noch SMS (BeckOK InfoMedienR/Kiparski, 40. Ed. 1.2.2022, TKG2021 § 58 Rn. 33, 34). Dies bedeutet aber nicht, dass der vollständige Ausfall im Sinne der Vorschrift nur dann anzunehmen wäre, wenn alle in einem Vertrag geschuldeten Leistungen nicht mehr möglich wären. Nach § 3 Nr. 61 TKG sind Telekommunikationsdienste in der Regel gegen Entgelt über Telekommunikationsnetze erbrachte Dienste, die - mit der Ausnahme von Diensten, die Inhalte über Telekommunikationsnetze und -dienste anbieten oder eine redaktionelle Kontrolle über sie ausüben - Internetzugangsdienste, interpersonelle Telekommunikationsdienste und Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen bestehen, wie Übertragungsdienste, die für Maschine-Maschine-Kommunikation und für den Rundfunk genutzt werden, umfassen. Gemessen an dieser Definition ist mit "Telekommunikationsdienst" nicht die Gesamtheit der vertraglich geschuldeten Leistungen gemeint, sondern die jeweilige einzelne Leistung, die vertraglich vereinbart ist, im Falle eines klassischen Mobilfunkvertrages also die Möglichkeit, im Mobilfunknetz Telefonate zu tätigen. Allein die Möglichkeit, dass im Rahmen des Abschlusses von Mobilfunkverträgen die Möglichkeit besteht, Datenoptionen und Telefonie separat zu buchen zeigt, dass es sich dabei um verschiedene Dienste handelt, die ihrerseits zwar in einem Vertrag vereinbart werden können, deshalb aber nicht zu einem einzigen Dienst im Sinne der Norm werden. Ein Ausfall des Dienstes "Telefonie über Mobilfunk" im Sinne der Vorschrift ist hier gegeben. Denn der Kläger konnte unstreitig im streitgegenständlichen Zeitraum in seiner Wohnung mit den genannten Telefonnummern aufgrund der o. g. Störung nicht telefonieren.

Der vollständige Dienstausfall wird hier auch nicht dadurch kompensiert, dass der Kläger und seine Familienangehörigen außerhalb der klägerischen Wohnung telefonieren konnten. Das Wesen der Mobiltelefonie ist die Möglichkeit, zu jeder Zeit und an jedem Ort telefonieren zu können, ohne dafür den Ort wechseln zu müssen. Gerade wenn ein Mobiltelefon, was heutzutage keinesfalls mehr unüblich ist, als Ersatz für ein Festnetztelefon genutzt wird, ist die Nutzbarkeit innerhalb der eigenen Wohnung - beispielsweise auch im Falle eines Notfalles - ein wesentlicher Umstand und führt gerade nicht dazu, dass der Dienst damit nicht vollständig ausgefallen wäre. Es ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich, dass der Dienst in einem bestimmten "Mindestradius" vollständig ausgefallen ist, denn aufgrund des von der Beklagten geschilderten Umstandes, dass Mobilfunkzellen sich überlappen und damit auch bei Ausfall einer Station Randbereiche des Versorgungsgebietes der Station noch versorgt werden könnten, verbliebe dann kein nennenswerter Anwendungsbereich der Norm mehr. Ein vollständiger Dienstausfall ist daher anzunehmen, wenn dem Mobilfunknutzer der Dienst Telefonie innerhalb seiner Wohnung für einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum insgesamt nicht mehr möglich ist.

Soweit sich die Beklagte zur Begründung ihrer Auffassung auf das Gesetzgebungsverfahren bezieht, so dringt sie hiermit nicht durch. Die in diesem Zusammenhang zitierten Stellungnahmen haben im Kern die zeitliche Komponente im Blick und setzen sich damit auseinander, dass eben nicht nur ein "vorübergehender" Dienstausfall umfasst sein soll. Dies ist hier aber gar nicht streitig; dass der Kläger den Mobiltelefoniedienst im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls Zuhause nicht nutzen konnte, ist unbestritten geblieben. Damit ist im hiesigen Fall nur die örtliche Komponente eines Dienstausfalles problematisch, welche - wie dargelegt - jedoch vorliegend erfüllt ist.

Dass der Kläger und seine Familienangehörigen im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich telefoniert und teilweise mehr Daten verbraucht haben, als im Vorjahreszeitraum, ist unerheblich. Denn es ist, wie dargelegt, gerade das Wesen des Mobilfunks, dass dieser überall genutzt werden kann. Die bloße Nutzung des Mobilfunks vermag daher, solange nicht dargelegt ist, wo diese erfolgt ist, nichts an dem klägerischen Anspruch zu ändern. Denn dass der Kläger außerhalb seiner Wohnung und des näheren Umkreises telefonieren konnte, ist sogar unstreitig und führt nicht zu einem Entfall des Anspruches aufgrund der Nichtverfügbarkeit des Mobiltelefoniedienstes im Bereich der Wohnung des Klägers.

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, eine Telefonie sei über WLAN möglich gewesen, so stellt die Telefonie über das Internet einen eigenen Dienst dar, der aber keinen Entfall des Anspruches auf eine Entschädigung nach sich zieht. Denn wie oben bereits ausgeführt, soll die Entschädigung den Anbieter dazu anhalten, die dem Ausfall zu Grunde liegende Störung kurzfristig zu beseitigen. Ein Entfall dieser Entschädigung ist daher nur denkbar, wenn der Nutzer vom Anbieter eine im Wesentlichen gleichwertige Ersatzmöglichkeit für die Nutzung des ausgefallenen Dienstes bereitstellt. Es ist insoweit gerichtsbekannt, dass die Versorgung einer Wohnung oder eines Haues mit WLAN nicht immer gleichmäßig und in zufriedenstellendem Maße erfolgt und daher eine Telefonie über WLAN, die zudem von der verfügbaren Bandbreite abhängt, keine im Wesentlichen gleichwertige Alternative zur Mobilfunktelefonie darstellt. Zudem sind Notrufe beim Telefonieren über WLAN nicht bei allen Internetanbietern gleichermaßen technisch überhaupt möglich, sodass auch insoweit eine wesentliche Einschränkung gegenüber der Mobilfunktelefonie verbleibt.

e) er Kläger kann aber lediglich eine Entschädigung für die von seiner Tochter genutzte Mobilfunknummer 123 beanspruchen.

Hinsichtlich der Nummern 456 sowie 789 erfolgte unstreitig eine Beauftragung erst am 13.03.2022 bzw. 24.04.2022 und damit fast einen Monat bzw. mehr als zwei Monate nach dem Auftreten der Störung. Es ist nach Auffassung des Gerichts nicht mit dem Sinn und Zweck der Entschädigungsregelung vereinbar, dass ein Mobilfunkkunde in dem positiven Wissen um das Bestehen einer längerfristigen Störung einen Mobilfunkvertrag abschließt und im Anschluss eine entsprechende Entschädigung begehrt, womit sich der Kläger treuwidrig i. S. v. § 242 BGB verhalten hat. Wie bereits dargelegt, soll die Entschädigung einen Anreiz für den jeweiligen Anbieter schaffen, eine Störung schnellstmöglich zu beheben. Ein Nutzer soll sich hieran nicht bereichern können. Der Kläger hat indes am 13.03.2023 und damit fast einen Monat nach Auftreten der Störung einen neuen Vertrag geschlossen. Selbst wenn es für ihn "schlicht nicht vorstellbar" gewesen sein soll, dass es in Deutschland im Jahre 2022 nicht möglich sein würde, die technische Störung an einem Mobilfunksendemast in Göttingen innerhalb weniger Tage wiederherzustellen, vermag dies nichts an dem Umstand zu ändern, dass zu diesem Zeitpunkt die Störung bereits bei knapp 3 1/2 Wochen gedauert hat. Daher kommt es auch nicht mehr darauf an, dass eine Rufnummernübernahme und damit Inanspruchnahme vertraglicher Leistungen überhaupt erst ab dem 30.05.2022 möglich gewesen sein soll (wobei der Kläger damit schon dem Grunde nach keinen Anspruch auf Entschädigung für die davorliegende Zeit beanspruchen kann). Dass der dritte Vertrag sogar erst zum 24.04.2022 beauftragt wurde und damit sogar mehr als zwei Monate nach erstem Auftreten der Störung, widerspricht zudem dem Vortrag des Klägers, er sei davon ausgegangen, die Störung würde innerhalb weniger Tage behoben sein.

f) Der Höhe nach kann der Kläger nach § 58 Abs. 3 S. 2 TKG für den dritten und vierten Tag nach Eingang der Störungsmeldung 5 Euro oder 10 Prozent und ab dem fünften Tag 10 Euro oder 20 Prozent der vertraglich vereinbarten Monatsentgelte bei Verträgen mit gleichbleibendem monatlichem Entgelt verlangen, je nachdem, welcher Betrag höher ist. Vorliegend belaufen sich die vertraglich vereinbarten Monatsentgelte auf 5,99 € bzw. 6,99 €, sodass vorliegend die Tagespauschale die höhere Entschädigung darstellt. Die Störungsmeldung betreffend die Rufnummer 123 erfolgte am 22.03.2022, sodass ein Anspruch ab dem 25.03.2022 besteht.

Gemessen hieran steht ihm bezogen auf die Rufnummer 123 eine Entschädigung in Höhe von 2.810,00 €, die sich wie folgt zusammensetzt:

25. - 31. März 2022: 2 Tage à 5,00 Euro, 5 Tage à 10,00 Euro 60,00 Euro
April 2022: 30 Tage à 10,00 Euro 300,00 Euro
Mai 2022: 31 Tage à 10,00 Euro 310,00 Euro
Juni 2022: 30 Tage à 10,00 Euro 300,00 Euro
Juli 2022: 31 Tage à 10,00 Euro 310,00 Euro
August 2022: 31 Tage à 10,00 Euro 310,00 Euro
September 2022: 30 Tage à 10,00 Euro 300,00 Euro
Oktober 2022: 31 Tage à 10,00 Euro 310,00 Euro
November 2022: 30 Tage à 10,00 Euro 300,00 Euro
Dezember 2022: 31 Tage à 10,00 Euro 310,00 Euro
Summe: 2.810,00 Euro

2. Ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.260,00 € seit dem 16.08.2022 ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 BGB aufgrund des Anwaltsschreibens vom 29.07.2022, in welchem eine Frist für die Zahlung zum 15.08.2022 gesetzt wurde, weshalb sich die Beklagte nach § 187 Abs. 1 BGB analog seit dem 16.08.2022 in Verzug befindet.

Hinsichtlich weiterer 1.550,00 € ergibt sich ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB seit Rechtshängigkeit, gem. § 187 Abs. 1 BGB analog also ab dem 17.03.2023.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Köln: 3.100 Euro Lizenzschadensersatz aus §§ 97 Abs. 2, 69a UrhG UrhG für Verwendung von verschiedenen Rechnern zur Umrechnung von Einheiten auf Website

OLG Köln
Urteil vom 29.04.2022
6 U 243/18


Das OLG Köln hat entschieden, dass dem Urheber, 3.100 Euro Lizenzschadensersatz aus §§ 97 Abs. 2, 69a UrhG UrhG für die Verwendung von verschiedenen Rechnern zur Umrechnung von Einheiten auf einer Website zusteht. Diese sind als Computerprogramme nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 69a UrhG urheberrechtlich geschützt.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 3.100,00 € Lizenzschadensersatz aus § 97 Abs. 2 UrhG. Danach kann derjenige, der das Urheberrecht widerrechtlich und schuldhaft verletzt, von dem Verletzten auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden.

a. Bei den 120 E-Rechnern handelt es sich um Computerprogramme, die gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 69a UrhG Urheberrechtsschutz genießen können. Die Rechner bestehen jeweils aus einem in der Programmiersprache E geschriebenen Text, der eine Folge von Steuerbefehlen beinhaltet, und einer über HTML erstellten Benutzeroberfläche. Jedenfalls die E-Texte sind Computerprogramme i.S.d. § 69a Abs. 1 UrhG. Bei allen Rechnern erfolgt über die Skripte die Eingabe von Daten, deren Bearbeitung und die entsprechende Ausgabe von Daten. Sie erfüllen damit die Voraussetzungen an ein Computerprogramm (in Abgrenzung zur sonstigen Software, vgl. Grützmacher in Wandtke/Bullinger, UrhR, 5. Aufl., § 69a Rn. 3). Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die über HTML erstellten Benutzeroberflächen als solche ebenfalls Computerprogramme i.S.d. §§ 69a ff. UrhG sind, kann dahinstehen. Sie ist nicht entscheidungserheblich.

b. Die Ausführungen des Landgerichts zur Aktivlegitimation sind berufungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der jetzige Kläger, Rechtsnachfolger der ursprünglichen Klägerin, der zwischenzeitlich erloschenen Internetservice A & B GbR, hat ausgehend auch vom Vortrag des Beklagten bereits im Juni 2004 zahlreiche der streitbefangenen Rechner programmiert und zur Lizensierung angeboten. Die Rechner sind nach den Ausführungen in der Stellungnahme F / G, die der Beklagte sich als Sachvortrag zu Eigen gemacht hat, nach immer demselben allgemeingültigen Baukastenprinzip aufgebaut (wobei der Senat abweichend vom Landgericht nicht davon ausgeht, dass der Kläger – was er auch selbst nicht behauptet – für die 120 verschiedenen Rechner ein mit minimalen Änderungen anpassbares „Urskript“ geschaffen hat) und weisen mithin erkennbar eine eigene Handschrift auf. Insoweit spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Kläger alle streitbefangenen Rechner programmiert hat. Diese Vermutung ist nicht widerlegt. Dass vor Juni 2004 identische Computerprogramme Verwendung gefunden haben, hat der Beklagte nicht schlüssig dargetan. Er hat auch nichts Nachvollziehbares dazu vorgetragen, dass nach Juni 2004 identische Rechner verwendet worden sind, bei denen es sich nicht um Kopien der Rechner des Klägers handelt. Der Kläger bzw. die frühere Klägerin sind nach ihrem unbestrittenen Vortrag gegen die ihr im vorliegenden Verfahren zur Kenntnis gebrachten Rechner-Nutzungen erfolgreich vorgegangen. Der Beklagte hat keine Webseite eines Dritten angeführt, auf der einer der streitgegenständlichen Rechner noch zu finden sein soll. Eines konkreten Vortrags des Klägers dazu, wann er welchen Rechner programmiert hat, bedarf es nicht.

Dass der Kläger die Nutzungs- und Verwertungsrechte ursprünglich auf die GbR übertragen hatte, ergibt sich aus seiner Beteiligung im vorliegenden Verfahren von Anfang an.

c. Für 31 der insgesamt 120 streitbefangenen Rechnern kann auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens festgestellt werden, dass eine nach dem Urheberrecht schutzfähige Programmierleistung vorliegt, weil eine Verfahrensweise verwendet wird, die über eine routinemäßige Lösung der jeweiligen Aufgabe hinausgehen. Für die übrigen Rechner hätte es zur Feststellung der Schutzfähigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurft. Der Kläger ist insoweit beweisfällig geblieben.

Gemäß § 69a Abs. 3 UrhG werden Computerprogramme geschützt, wenn sie individuelle Werke in dem Sinne darstellen, dass sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind. Zur Bestimmung ihrer Schutzfähigkeit sind keine anderen Kriterien, insbesondere nicht qualitative oder ästhetische, anzuwenden. § 69a UrhG gewährt damit Schutz nach den Grundsätzen der sog. kleinen Münze; eine besondere Schöpfungs- bzw. Gestaltungshöhe ist - wie sich aus dem Verbot qualitativer Kriterien ergibt - gerade nicht erforderlich (abweichend von der früheren Rechtsprechung des BGH [z.B. GRUR 1985, 1041 - Inkasso-Programm]).

Darlegungs- und beweisbelastet für die erforderliche Schöpfungshöhe ist der Kläger, auch wenn an die Werkqualität nur geringe Anforderung zu stellen sind und der Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen die Regel ist. Eine gesetzliche Vermutung greift dennoch nicht, s. BT-Dr. 12/4022, Seite 9, zu § 69a Abs. 3 UrhG:

„Absatz 3 Satz 1 und 2 entspricht Artikel 1 Abs. 3 der Richtlinie i. V. m. dem 8. Erwägungsgrund.

Artikel 1 Abs. 3 der Richtlinie beinhaltet eine EG-weite Harmonisierung der Anforderungen an die Schöpfungshöhe von Computerprogrammen auf einem einheitlichen Niveau. Es soll verhindert werden, daß ein Programm in einem Mitgliedstaat urheberrechtlichen Schutz genießt, in einem anderen hingegen wegen höherer Anforderungen an die Schöpfungshöhe nicht. Die Bestimmungen der EG-Richtlinie führen dazu, daß Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen die Regel und fehlende Schöpfungshöhe die Ausnahme ist. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in der „Inkassoprogramm"- und der „Betriebssystem" -Entscheidung steht nicht in Einklang mit der Richtlinie. Diese erfordert auch den Schutz der einfachen persönlichen Schöpfung, der sog. „kleinen Münze".

Dieser Entwurf sieht keine gesetzliche Vermutung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Computerprogrammen vor. Entsprechende Forderungen zur Verminderung der Darlegungs- und Beweislast der eine Urheberrechtsverletzung geltend machenden Prozeßpartei sind zwar im Zuge der Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens erhoben worden.

Eine solche Vermutung wäre aber der Systematik des Schutzes des geistigen Eigentums fremd. Das Urheberrecht entsteht mit der Schöpfung des Werkes. Es ist nicht an die Erfüllung irgendwelcher Förmlichkeiten oder an behördliche Akte gebunden, wie z. B. die Patenterteilung (§ 1 PatG), Anmeldung und Eintragung von Warenzeichen (§§ 1 ff. WZG) und Geschmacksmustern (§§ 7 ff. Geschmacksmustergesetz). An solche behördlichen Akte können Vermutungswirkungen für den Rechtsverkehr geknüpft werden. Diese Systematik würde verlassen, wenn schon an den internen Akt der Schöpfung des Werkes gesetzliche Vermutungswirkungen angeknüpft würden.

Die unbestrittene Notwendigkeit, Computerprogrammen effektiven Rechtsschutz zu gewähren, erfordert nicht, diese grundsätzlichen systematischen Bedenken zurückzustellen. Der bisher gewährte Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen hat sich wegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Schöpfungshöhe als ineffektiv erwiesen. Für diese Rechtsprechung ist, wie ausgeführt, unter der Geltung des § 69a Abs. 3 kein Raum mehr. Es ist zu erwarten, daß sich die unterschiedlichen nationalen Anforderungen an die Schöpfungshöhe vereinheitlichen werden und so das spezifisch deutsche Problem der Darlegung und des Nachweises von Werkqualität gelöst wird.

Es ist Aufgabe der Rechtsprechung, in praxisgerechter Weise dem Umstand, daß Urheberrechtsschutz für Computerprogramme nunmehr die Regel ist, bei der Beurteilung der Frage Rechnung zu tragen, welche Anforderungen an die Darlegungslast zur Schöpfungshöhe zu stellen sind. Der Kläger wird darzulegen haben, daß sein Programm nicht lediglich das Werk eines anderen nachahmt, daß es eine eigene geistige Schöpfung ist. Nur wenn ernsthafte Anhaltspunkte bestehen, daß ein Programm sehr einfach strukturiert ist, sollte eine nähere Darlegung des Inhaltes des Programms verlangt werden. Nötig sind Erleichterungen der Darlegungslast, die eine globale, pauschale Beschreibung des Umstandes ermöglichen, daß ein Programm nicht völlig banal und zumindest als „kleine Münze" geschützt ist. Die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung oder die Grenzbeschlagnahme (§ 111 a UrhG) darf nicht durch zu hohe Anforderungen an die Darlegung der Werkqualität eines Computerprogramms erschwert werden, mit der Folge, daß diese Verfahrensweisen praktisch kaum handhabbar wären.“

Die Ausführungen des Klägers zu den einzelnen - ersichtlich einfachen - Rechnern genügen der relativen geringen Darlegungslast. Der Kläger hat hinreichende Anknüpfungstatsachen für die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Werkqualität dargetan. Für jeden Rechner hätte bezüglich der vorgetragenen Besonderheiten die Individualität der dahinterstehenden Programmierleitung geprüft werden können. Einfluss auf die Beweislast hat das Vorbringen des Klägers nicht. Darauf, dass bei Programmen von nicht unerheblichem Umfang der Beweis des ersten Anscheins für die Schutzfähigkeit sprechen mag (s. Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 69a Rn. 29), kann sich der Kläger nicht berufen. Die Voraussetzungen für eine solche tatsächliche Vermutung liegen hier nicht vor. Dass die Rechner tatsächlich auf umfangreichen Programmen beruhen, ist weder vom Kläger nachvollziehbar dargetan noch sonst ersichtlich. Nach der Aktenlage handelt es sich vielmehr um kurze Codes.

Ob die jeweiligen Programme nicht nur völlig banal, sondern zumindest als „kleine Münze" geschützt sind, richtet sich nach der jeweiligen technischen Umsetzung der durch die jeweilige Idee vorgegebenen Aufgabe. Durch das Urheberrecht nicht geschützt ist, was sich aus der Natur der Aufgabe und aus rein funktionalen Erwägungen ergibt (Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 69a Rn. 27; Grützmacher in Wandtke/Bullinger, UrhR, 5. Aufl., § 69a Rn. 35 ff.).

Ohne fachkundige Hilfe kann eine eigene geistige Schöpfung des Klägers bzw. eine individuelle Programmierungsleistung nur bezüglich der Programmierung eines „funktionslosen“ Eingabeknopfs festgestellt werden. Darüber hinaus bleibt für den Senat unklar, ob die Konzeption der Computerprogramme Eigentümlichkeiten aufweisen, die nicht nur trivial oder völlig banal und von der Sachlogik her vorgegeben sind. Dies gilt auch für die vom Kläger angeführte „Fehlererkennung nicht gerundeter Daten“. Bei einem Taschenrechner, der lediglich das Ergebnis in besonderer Weise ausgibt, oder bei Rechnern, die schlichte Umrechnungen vornehmen, sprechen die äußeren Umstände dafür, dass bei der Programmierung auf banale, allgemein bekannte Routinen zurückgegriffen worden ist. Die Idee der Ausgabe des Rechenergebnisses z.B. als Zahlwort ist ebenso wenig urheberrechtsschutzfähig, wie z.B. die Wahl und Zusammensetzung der verschiedenen Variablen/Werte für die Umrechnungs-Rechner oder die Auswahlentscheidung betreffend den Inhalt der Rechner auf dem Gebiet der Wirtschaftsmathematik.

Als individuelle Programmierleistung kann dagegen die Berechnen-Knopf-Attrappe bewertet werden, die nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers in insgesamt 31 Rechnern (Nrn. 14, 16-30, 32-39, 41-44, 126, 130, 133) vorkommt. Der Knopf ist ohne Funktion. Er hat den Sinn, dass durch Klick auf ihn das Feld, in dem vorher die Eingabe erfolgte, verlassen und das assoziierte onchange-Ereignis ausgelöst wird. Das onchange wird je nach geändertem Feld unterschiedlich ausgelöst und merkt sich, welcher Wert als Berechnungsgrundlage heranzuziehen ist, wohingegen die Knopf-Attrappe dem Benutzer ermöglicht, den Rechner intuitiv zu verwenden. Die Berechnung würde auch durch einen Klick auf eine beliebige Stelle außerhalb des entsprechenden Eingabefeldes ausgelöst. Die Programmierung einer für die Lösung der jeweiligen Berechnungs-Aufgabe nicht erforderlichen Ergänzung, allein zur Verbesserung der intuitiven Bedienung der Rechner, geht über die rein sachbedingten Vorgaben hinaus. Dass der Eingabeknopf tatsächlich funktionslos ist, war in erster Instanz unstreitig. Hiervon ist auch im Berufungsverfahren weiter auszugehen. Der Beklagte hat den Vortrag des Klägers zwar nunmehr mit Nichtwissen bestritten, da er die Rechner des Klägers jedoch kopiert und selbst verwendet hat, ist sein Bestreiten unzulässig. Er hätte sich zur Funktion des Eingabeknopfes konkret erklären können.

d. Die Passivlegitimation folgt bereits daraus, dass nach den bindenden Feststellungen im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung der Beklagte die streitgegenständlichen Rechner von der Webseite der Internetservice A & B GbR kopiert und insoweit in das Vervielfältigungsrecht, § 69c Nr. 1 UrhG, eingegriffen hat (zum Erstellen von Kopien als Verletzungshandlung s. Dreier in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 69a Rn. 7). Eine weitere Verletzungshandlung liegt darin, dass er die Rechner - wenn auch in veränderter Form - auf seine Webseite eingestellt und damit öffentlich zugänglich gemacht hat, § 69a Nr. 4 UrhG. Dass es sich bei den Rechnern um freie Bearbeitungen (s. § 24 UrhG a.F., § 23 UrhG) handelt, ist weder vom Beklagten schlüssig dargetan noch sonst ersichtlich. Gegen die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts wendet sich der Beklagte mit der Berufung nicht.

e. Die Verwendung der Rechner erfolgte ohne Zustimmung der Klägerin und mithin rechtswidrig. Der Beklagte hat auch schuldhaft, nämlich zumindest fahrlässig gehandelt.

f. Die Höhe des Lizenzschadens kann gemäß § 97 Abs. 2 Satz 3 UrhG auf der Grundlage des Betrages errechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte. Fehlt es - wie hier - an einer konkreten Bezugsgröße, ist eine Schätzung nach § 287 ZPO zulässig. Die Klägerseite vermarktet die Rechner nicht durch Lizensierung, sondern durch die Anbindung von Werbung. Das Vorbringen ist auch bezüglich der Entstehung eines Lizenzschadens nicht in sich widersprüchlich.

Der vom Landgericht in Ansatz gebrachte Lizenzbetrag von 100,00 € pro Rechner ist nicht zu beanstanden. Es steht zu vermuten, dass die Parteien einen entsprechenden Betrag vereinbart hätten. Der Beklagte hat die Rechner rd. drei Jahre lang verwendet. Er hat sie als eigene Programmierung ausgegeben (©-Vermerk) und durch Weitergabe an Dritte vermarktet oder jedenfalls zu vermarkten versucht. So hat es die Rechner nach dem unwidersprochenen Tatsachenvortrag der Klägerseite auf seiner Webseite mit der Aussage „Besteht Interesse an einem oder mehreren E Rechnern oder Spiele für ihre Webseite?“ angeboten und beworben. Dies belegt, dass die Rechner auch aus Sicht des Beklagten einen nicht ganz unerheblichen wirtschaftlichen Wert hatten. In jedem Fall vermindert sich der Werbewert der Rechner der Klägerseite durch ein identisches Zweitangebot.

Der Betrag von 100,00 € pro Rechner für eine mehrjährige online-Nutzung steht wertungsmäßig auch in Einklang mit dem Lizenzangebot des Klägers aus dem Jahr 2004 (500,00 € für 29 Rechner in einer auf eine Firma begrenzten Offline-Version).

Für die 31 urheberrechtsschutzfähigen Rechner errechnet sich mithin ein Schadensersatzbetrag in Höhe von 3.100,00 €.

Ein „Mengenrabatt“ kommt aufgrund der moderaten Summe von 100,00 € pro Rechner nicht in Betracht, unabhängig davon, ob die Programmierung einzelne Rechner im Hinblick auf die mögliche Verwendung bereits vorhandener Skripte einen geringeren Zeitaufwand erfordert hat.

3. Der Anspruch auf Freistellung von Abmahnkosten folgt aus § 97a Abs. 3 Satz 1 UrhG. Er ist in Höhe eines Betrages von 791,84 € begründet.

In der Abmahnung vom 28.04.2016 hat der Kläger Unterlassungsansprüche für 123 Rechner im Wert von insgesamt 245.000 € (123 Rechner x 2.000,00 € / Rechner) geltend gemacht sowie einen Lizenzschaden von 91.600,00 €. Ausgehend von einem Gesamtstreitwert von 337.600,00 € sowie einer 1,3 Geschäftsgebühr hat der Kläger Kosten in Höhe von 3.396,90 € errechnet und zuzüglich der 20,00 € Kostenpauschale sowie 19 % Umsatzsteuer einen Rechnungsbetrag von 4.066,11 € in Ansatz gebracht. Dass ein Gegenstandswert für den Unterlassungsanspruch von 2.000 € je Rechner angemessen ist, wird mit der Berufung nicht in Abrede gestellt.

Berechtigt war die Abmahnung für Unterlassungsansprüche im Wert von (31 x 2.000,00 €) 62.000,00 € und einen Lizenzschadensersatz von 3.100,00 €, insgesamt mithin 65.100,00 €, d.h. 19 % bezogen auf den Gesamtstreitwert der Abmahnung von 337.600,00 €. Der Beklagte hat folglich 19 % der vom Kläger geltend gemachten Kosten von 3.396,90 € zu tragen, d.h. 645,41 €, so dass sich zuzüglich der Pauschale von 20,00 € und 19 % Umsatzsteuer ein Betrag von 791,84 € errechnet, von dem der Beklagte den Kläger freistellen muss.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Schleswig-Holstein: Instagram muss dem Geschädigten bei Persönlichkeitsrechtsverletzung Auskunft über E-Mail und Telefonnummer des Nutzers geben

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 23.03.2022
9 Wx 23/21


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass Instagram dem Geschädigten bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Auskunft über E-Mail-Adresse und Telefonnummer des Nutzers geben muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Auskunftsanspruch gegen Betreiberin einer Social-Media-Plattform bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts

Die Betreiberin der Plattform www.instagram.com ist verpflichtet, über den Namen, die E-Mail-Adresse und die Telefonnummer eines Nutzers Auskunft zu erteilen, wenn durch den Inhalt des Nutzer-Accounts eine strafrechtlich relevante Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgt. Dem Auskunftsantrag einer verletzten Person hat der 9. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in dieser Woche stattgegeben.

Zum Sachverhalt: Eine der Antragstellerin unbekannte Person eröffnete zu einem unbekannten Zeitpunkt einen Account auf der Social-Media-Plattform „Instagram“ mit einem Nutzernamen, der den Vornamen der Antragstellerin und die Angabe „wurde gehackt“ enthielt. In den Account wurden Bilder eingestellt, die eine lediglich mit Unterwäsche bekleidete junge Frau zeigten, deren Gesicht jeweils durch ein Smartphone verdeckt war. Auf den Fotos waren Äußerungen zu lesen, die den Eindruck erweckten, die abgebildete Person sei an einer Vielzahl von sexuellen Kontakten interessiert. Nachdem die Antragstellerin von anderen Personen erkannt und auf den Inhalt des Accounts angesprochen worden war, meldete sie das Konto bei der Plattformbetreiberin und es wurde gesperrt. Das Landgericht hat ihren Antrag, Auskunft über die Nutzungsdaten zu erteilen, abgelehnt. Die gegen diese Ablehnung gerichtete Beschwerde vor dem 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hatte im Hinblick auf den Namen, die E-Mail-Adresse und die Telefonnummer des Nutzers Erfolg.

Aus den Gründen: Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Auskunftserteilung über Bestandsdaten gegenüber der Betreiberin der Social-Media-Plattform „Instagram“ nach § 21 Abs. 2, Abs. 3 Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz (TTDSG). Ein solcher Auskunftsanspruch besteht, soweit die Auskunft zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte erforderlich ist. Vorliegend erfüllen die Schaffung des Fake-Accounts und das Einstellen der Fotos mit Kommentaren im Zusammenhang gesehen den Tatbestand der Beleidigung im Sinne des § 185 StGB. Durch das Erstellen des Fake-Accounts und Hochladen der Fotos nebst Kommentaren wird suggeriert, die Antragstellerin wolle sich auf diese Weise zur Schau stellen und den Besuchern der Seite ihr sexuelles Interesse mitteilen. Dadurch, dass ihr diese unsittliche Verhaltensweise zugeordnet wird, wird der soziale Geltungswert der Antragstellerin gemindert. Dies stellt eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB dar. Um ihre Rechte gegenüber dem unbekannten Ersteller des Fake-Accounts zivilrechtlich geltend machen zu können, ist die Antragstellerin auf die Auskunft der Betreiberin der Plattform angewiesen. Eine andere Möglichkeit, den Ersteller des Nutzerkontos zu ermitteln, hat sie nicht.

(Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23.03.2022, Az. 9 Wx 23/21).


AG Frankfurt: Telefonische Kartensperre 30 Minuten nach Bemerken des Verlusts kann zu spät sein - dann kein Anspruch gegen Bank auf Erstattung von unbefugten Verfügungen

AG Frankfurt
Urteil vom 31.08.2021
32 C 6169/20 (88)


Das AG Frankfurt hat entschieden, dass eine telefonische Kartensperre 30 Minuten nach Bemerken des Verlusts zu spät sein kann und dann kein Anspruch gegen die Bank auf Erstattung von unbefugten Verfügungen besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:

[...]Um 10:42 Uhr jenes Tages teilte die Klägerin der Beklagten telefonisch den Verlust ihrer Debitkarte mit und ließ die Karte sperren. In ihrer gegenüber der Beklagten am 19.11.2019 erklärten schriftlichen Verlustmeldung gab die Klägerin an, dass sie den Verlust um ca. 10:10 Uhr bemerkt hatte. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die mit Anlage B3 vorgelegte Verlustmeldung (Bl. 119 f. der Akte) Bezug genommen.[...].

Die Klägerin kann weder aus § 675u S. 2 BGB, noch aus § 280 Abs. 1 BGB, jeweils in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Zahlungsdiensterahmenvertrag, Erstattung oder Wiedergutschrift der streitgegenständlichen Barauszahlungen von der Beklagten verlangen.

Es gilt gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden, dass die streitgegenständlichen Abhebungen mittels der der Klägerin ausgehändigten Originalkarte erfolgt sind. Die in den als solchen inhaltlich unwidersprochenen Transaktionsprotokollen (Anlage B2) aufgeführte Kartennummer stimmt überein mit der von der Klägerin selbst mit der Klageschrift vorgetragenen Kartennummer. Die prozessualen Voraussetzungen eines zulässigen Bestreitens der Verwendung der Originalkarte mit Nichtwissen seitens der Klägerin gemäß § 138 Abs. 4 ZPO liegen daher nicht vor.

Wie die Beklagte zutreffend geltend macht, spricht auf dieser Tatsachengrundlage ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Klägerin pflichtwidrig entgegen Ziffer 6.3 der zwischen den Parteien vereinbarten AGB und § 675l Abs. 1 S. 1 BGB die PIN auf der Karte notiert oder gemeinsam mit dieser verwahrt hat (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.2011, Az. XI ZR 73/10 = MDR 2012, 239). Tragfähige Anhaltspunkte für einen ernsthaft in Betracht kommenden atypischen Geschehensablauf trägt die Klägerin nicht vor.

Nach der zugrundezulegenden Verwendung der Originalkarte bestehen auch keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass das Sicherheitssystem der Beklagten unzureichend konfiguriert war. Sowohl die (geringe) räumliche Entfernung des Geldautomaten von etwa 50 km vom Wohnort der Klägerin, als auch die im Zuge der streitgegenständlichen Abhebung einmalig erfolgte Falschangabe der PIN stellen weder für sich genommen, noch zusammen hinreichend auffällige Merkmale dar, wie dies etwa bei betragsmäßig, zeitlich und örtlich vom bisherigen Kontonutzungsverhalten ungewöhnlich abweichenden Auslandsverfügungen oder mehrfacher Falscheingabe der PIN der Fall wäre.

Darüber hinaus ist das Gericht auch davon überzeugt, dass der Klägerin ein weiterer Sorgfaltspflichtverstoß dadurch zur Last fällt, dass sie den Verlust der Karte der Beklagten nicht unverzüglich angezeigt hat. Ein erst zeitlich nach den Abhebungen erfolgtes Bemerken des Verlustes hat die Klägerin in Ansehung ihrer eigenen Angaben in der vorgerichtlichen Verlustanzeige (Anlage B3) bereits nicht nachvollziehbar vorgetragen, so dass ein Bemerken des Verlustes 5 Minuten vor der 1. Abhebung wie in der Verlustanzeige angegeben zu Grunde zu legen ist. Ausweislich der polizeilichen Bestätigung über die Erstattung einer Strafanzeige (Anlage B4, Bl. 121 der Akte) verfügt die Klägerin über ein Mobiltelefon. Tragfähige Gründe, warum es ihr nicht möglich war, dieses unmittelbar für eine Verlustmeldung zu nutzen, trägt die Klägerin nicht vor.

Insbesondere kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass sie lediglich zu Hause ihre IBAN zur Hand gehabt habe, welche die Beklagte im Rahmen des letztlich erst von dort aus geführten Telefonates verlangt habe. In Ziffer 6.4 Abs. 1 S. 3 der AGB ist insoweit die Angabe der IBAN nur für eine über den Zentralen Sperrannahmedienst erstattete Verlustmeldung als Erfordernis formuliert. Nach S. 1 der Klausel soll die Sperranzeige jedoch möglichst gegenüber der kontoführenden Stelle erfolgen, wofür die Angabe der IBAN nicht in der Klausel vorausgesetzt wird. Hätte sich auch die kontoführende Stelle der Beklagten auf eine sofortige telefonische Verlustmeldung hin nicht in der Lage gesehen, die IBAN aus ihren Systemen zu recherchieren oder auch ohne diese eine Sperrung der Karte zu veranlassen, hätte die Klägerin jedenfalls ihren vertraglichen Sorgfaltspflichten genügt und wäre in einem solch hypothetischen Fall gegebenenfalls dann eine mangelnde eigene Sorgfalt der Beklagten im Rahmen der Reaktion auf eine dann als unverzüglich feststehende Verlustanzeige festzustellen gewesen; als hypothetische Reserveursache vermag eine solche jedoch nicht die Klägerin von den gemäß Ziffer 6.4 Abs. 1 der AGB und § 675l Abs. 1 S. 2 BGB primär ihr obliegenden Sorgfaltspflichten zur unverzüglichen Verlustanzeige zu entbinden.

Nach alledem liegt hinsichtlich der streitgegenständlichen Abhebungen kein Verschulden der Beklagten, jedoch ein zweifacher grober Sorgfaltspflichtverstoß der Klägerin vor mit der Folge, dass die in Ziffer 14.1 Abs. 1 der AGB vereinbarte Haftungsbegrenzung der Klägerin auf 50 € gemäß Abs. 4 der Klausel sowie § 675v Abs. 3 Nr. 2 BGB nicht greift und die Klägerin den ihr durch die Abhebungen entstandenen Schaden in vollem Umfang selbst zu tragen hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Düsseldorf: Kosten für zweiten Testkauf bei Schutzrechtsverletzung regelmäßig nicht erstattungsfähig da erster Testkauf zur Feststellung der Schutzrechtsverletzung ausreichend

OLG Düsseldorf
Urteil vom 08.04.2021
2 U 46/20


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass die Kosten für einen zweiten Testkauf bei einer Schutzrechtsverletzung regelmäßig nicht erstattungsfähig sind, da ein erster Testkauf zur Feststellung der Schutzrechtsverletzung ausreichend ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

Grundsätzlich zutreffend ist das Landgericht auch davon ausgegangen, dass der Kläger dem Grunde nach Testkaufkosten ersetzt verlangen kann und insoweit einen Zahlungsanspruch besitzt, der als Schadenersatzanspruch auf § 24 Abs. 2 GebrMG beruht.

Allerdings war hier nur ein Testkauf geboten, so dass nur die Kosten des ersten, günstigeren Testkaufs in Höhe von netto EUR 63,68 (Anlage LR11) von den Beklagten zu ersetzen waren und die Klage im Übrigen abzuweisen war. Grundsätzlich ist stets nur ein Testkauf als zweckmäßig anzusehen (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. B. Rn. 445). Die vom Landgericht akzeptierte Argumentation des Klägers, zwei Testkäufe seien erforderlich gewesen, um das Ausmaß der Verletzungshandlungen abzuschätzen, verfängt nicht. Der Sinn eines Testkaufs ist die Feststellung der Gestaltung der angegriffenen Ausführungsform, nicht die Abschätzung des Ausmaßes der Verletzungshandlungen – um diese festzustellen, stehen dem Schutzrechtsinhaber bereits bei Feststellung einer Verletzungshandlung Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung über alle Verletzungshandlungen des jeweiligen Verletzers zu. Weitere Testkäufe sind hierfür nicht erforderlich. Ohnehin lässt sich das Ausmaß der Verletzungshandlungen kaum durch einen zusätzlichen Testkauf abschätzen, da der Kläger hierüber allenfalls Erkenntnisse zu einer weiteren Verkaufsstelle gewinnen kann. Im Übrigen konnte der Kläger bereits aus dem Angebot von „D“ ersehen, dass die angegriffene Ausführungsform auch dort online vertrieben wird – der tatsächliche Kauf war für diese Erkenntnis nicht nötig.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Schadensersatz in LKW-Kartell-Fällen - Hemmung der Verjährung beginnt schon mit Ermittlungsmaßnahmen wegen Kartellrechtsverstoßes

BGH
Urteil vom 23.11.2020
KZR 35/19
LKW-Kartell
GWB 2005 § 33 Abs. 3, Abs. 5

Der BGH hat im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen in den LKW-Kartell-Fällen entschieden, dass die Hemmung der Verjährung schon mit Einleitung von Ermittlungsmaßnahmen wegen Kartellrechtsverstößen der beteiligten Unternehmen und nicht erst mit förmlicher Einleitung eines Verfahrens durch die Europäische Kommission beginnt.

Leitsätze des BGH:

a) Sind von einem Kartell mit hoher Marktabdeckung über einen längeren Zeitraum Preislisten und Listenpreiserhöhungen abgestimmt worden, ist bei der Prüfung, ob einem Unternehmen durch den Erwerb eines Produkts eines Kartellbeteiligten ein Schaden entstanden ist, der Erfahrungssatz, dass die im Rahmen eines Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, auch dann zu berücksichtigen, wenn eine Koordinierung der Transaktionspreise nicht stattgefunden hat.

b) In die dem Tatrichter obliegende Gesamtwürdigung, ob die Kartellabsprache einen Schaden verursacht hat, ist dieser Erfahrungssatz mit dem Gewicht einzustellen, das ihm im konkreten Fall nach Inhalt, Umfang und Dauer der Verhaltenskoordinierung sowie aller weiterer erheblicher Umstände zukommt, die für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells sprechen. Dabei sind bindende Feststellungen der Kommission oder der Kartellbehörde umfassend und erschöpfend zu berücksichtigen; der Tatrichter ist nicht gehindert, aus diesen Feststellungen Schlussfolgerungen zu ziehen, die als solche von der Bindungswirkung nicht umfasst sind.

c) Die Hemmung der Verjährung eines Schadensersatzanspruchs beginnt nicht erst mit der förmlichen Einleitung eines Verfahrens durch die Europäische Kommission, sondern bereits mit einer Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, gegen das betreffende Unternehmen wegen einer verbotenen Beschränkung des Wettbewerbs zu ermitteln.

BGH, Urteil vom 23. September 2020 - KZR 35/19 - OLG Stuttgart LG Stuttgart

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Hannover legt EuGH vor: Werden Müllfahrzeuge und andere Sonder- und Spezialfahrzeuge von Entscheidung zum LKW-Kartell umfasst

LG Hannover
Beschluss vom 19.10.2020
13 O 24/19

Das LG Hannover hat dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob Müllfahrzeuge und andere Sonder- und Spezialfahrzeuge von der Entscheidung zum LKW-Kartell umfasst werden.

Tenor der Entscheidung:
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV folgende Frage zur Auslegung der Handlungen der Organe der Union vorgelegt:

Ist der in dem Verfahren nach Artikel 101 AEUV und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.39824 – Lastkraftwagen) ergangene Beschluss der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Juli 2016 - C(2016) 4673 final - dahingehend auszulegen, dass auch Sonder- / Spezialfahrzeuge, insbesondere Müllfahrzeuge, von den Feststellungen dieser Kommissionsentscheidung erfasst sind.

2. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorlagefrage zu 1. ausgesetzt.

3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


Aus den Entscheidungsgründen:

"b. Der Wortlaut der auf den Fall anwendbaren nationalen Vorschrift (aa.) und die einschlägige nationale Rechtsprechung (bb.) werden wie folgt mitgeteilt (Art. 94 lit. b) EuGHVerfO):

aa. Die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgebende Bestimmung des deutschen Rechts in der hier anwendbaren Fassung lautet:

„§ 33 GWB - Unterlassungsanspruch, Schadensersatzpflicht


(4) 1Wird wegen eines Verstoßes gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes oder Artikel 81 oder 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Schadensersatz begehrt, ist das Gericht insoweit an die Feststellung des Verstoßes gebunden, wie sie in einer bestandskräftigen Entscheidung der Kartellbehörde, der Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder der Wettbewerbsbehörde oder des als solche handelnden Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft getroffen wurde. 2Das Gleiche gilt für entsprechende Feststellungen in rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen, die infolge der Anfechtung von Entscheidungen nach Satz 1 ergangen sind. 3Entsprechend Artikel 16 Abs. 1 Satz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 gilt diese Verpflichtung unbeschadet der Rechte und Pflichten nach Artikel 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.“

33 Abs. 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung vom 15. Juli 2005, gültig vom 13. Juli 2005 bis 29. Juni 2013, Fundstelle: BGBl I 2005, S. 2114, 2122)

Dabei geht das vorlegende Gericht davon aus, dass gemäß den allgemeinen Regeln des intertemporären Rechts Schuldverhältnisse grundsätzlich nach demjenigen Recht zu beurteilen sind, welches zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses galt. Für den - hier streitgegenständlichen - gesetzlichen Schadensersatzanspruch, der aufgrund eines Kartellverstoßes entsteht, gilt insofern nichts Abweichendes. Angesichts der vom Kläger behaupteten Kartellverstöße der Beklagten im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Fahrzeugen, denen die Aufträge des Klägers vom 19. Juni 2006 und 16. Oktober 2007 zugrunde liegen, ist daher die zu diesen Zeitpunkten geltende Fassung des § 33 Abs. 4 GWB anzuwenden.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass diese nationale Vorschrift eine deklaratorische Wiedergabe des ohnehin unionsrechtlich geltenden Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 darstellt, zumindest soweit diese unionsrechtliche Regelung reicht (vgl. zur heute aktuellen Nachfolgeregelung des § 33b GWB: Franck in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2020, § 33b GWB Rn. 4).

bb. In der hier bekannten einschlägigen nationalen Rechtsprechung wird die Vorlage-Frage bislang nur selten thematisiert.

Das vorlegende Gericht ist - in anderer Besetzung - in einem früheren Urteil vom 17. Juni 2019 – 13 O 9/19 –, juris Rn. 49, ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dass Sonderfahrzeuge nicht Gegenstand der Feststellungen im Beschluss der Kommission vom 19.07.2016 seien.

Das Oberlandesgericht Stuttgart geht in seinem Urteil vom 04. April 2019 – 2 U 101/18 –, juris Rn. 139, 141, davon aus, dass der Beschluss der Kommission zwar Lastkraftwagen für den militärischen Gebrauch, den Aftersales-Bereich, andere Dienstleistungen und Garantien für Lastkraftwagen, den Verkauf von gebrauchten Lastkraftwagen und sämtlichen anderen, von den Adressatinnen dieses Beschlusses verkauften Waren oder Dienstleistungen nicht erfasse, indes eine weitere Einschränkung für andere Sonderfahrzeuge nicht enthalte. Denn entscheidend für die Frage, welche Lastkraftwagen Gegenstand der Entscheidung der Kommission waren, sei der Kommissionsbeschluss selbst, nicht aber ein Auskunftsersuchen im Vorfeld dieser Entscheidung.

Das Landgericht Stuttgart geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass, soweit die Kommission im Laufe ihres Ermittlungsverfahrens in einem Schreiben geäußert hat, „Sonder-Spezialfahrzeuge (z.B. Militärfahrzeuge, Feuerwehrfahrzeuge)“ seien vom Begriff „Lkw“ nicht betroffen, dies keinen Eingang in die Kommissionsentscheidung vom 19. Juli 2016 gefunden habe. Dort seien nur der Aftersales-Bereich, andere Dienstleistungen und Garantien für Lkw, der Verkauf von gebrauchten Lkw und sämtliche anderen, von den Adressatinnen der Entscheidung verkauften Waren oder Dienstleistungen sowie in einer Fußnote „Lkw für den militärischen Gebrauch" ausgenommen. Feuerwehrfahrzeuge oder sonstige nicht militärische Sonderfahrzeuge seien hingegen nicht ausgenommen worden (vgl. LG Stuttgart, Urteil vom 23. Dezember 2019 – 30 O 132/18 –, juris Rn. 35 m.w.N).

c. Aus den nachstehenden Gründen hat das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung des Beschlusses der Kommission vom 19. Juli 2016 im Sinne der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage (aa.) und es ergibt sich insofern ein entscheidungsrelevanter Zusammenhang zwischen dem Beschluss der Kommission und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht (bb.) (Art. 94 lit. c) EuGHVerfO):

aa. Zweifel an der Auslegung des Beschlusses der Kommission ergeben sich zunächst aus dem Umstand, dass die wörtliche Formulierung des Beschlusses der Kommission vom 19. Juli 2016

„Von der Zuwiderhandlung betroffen sind Lastkraftwagen zwischen 6 und 16 Tonnen („mittelschwere Lastkraftwagen“) sowie Lastkraftwagen über 16 Tonnen („schwere Lastkraftwagen“), wobei es sich sowohl um Solofahrzeuge als auch um Sattelzugmaschinen handelt (im Folgenden werden mittelschwere und schwere Lastkraftwagen gemeinsam als „Lastkraftwagen“ bezeichnet) (1 Ausgenommen Lastkraftwagen für militärische Zwecke). Nicht betroffen sind der Kundendienst, andere Dienstleistungen und Garantien für Lastkraftwagen, der Verkauf von gebrauchten Lastkraftwagen und jegliche anderen Waren oder Dienstleistungen.“

(vgl. deutsche Zusammenfassung des Beschlusses im Amtsblatt der Europäischen Union 2017/C 108/5, 108/7 – DE – vom 06.04.2017)

allgemein nur von Lastkraftwagen spricht und dabei ausschließlich Lastkraftwagen für militärische Zwecke ausdrücklich ausnimmt, so dass in der Folge verschiedene Interpretationsmöglichkeiten bezüglich anderer Spezialfahrzeuge denkbar sind. Einerseits könnte diese Formulierung so verstanden werden, dass grundsätzlich nur „normale“ Lastkraftwagen - ohne solche für militärische Zwecke - erfasst sein sollen und damit Sonderfahrzeuge mangels ausdrücklicher Erwähnung dem Begriff „andere Waren“ unterfallen und von dem Begriff der „Lastkraftwagen“ ausgenommen sein sollen. Andererseits könnte diese Formulierung auch so verstanden werden, dass mit dem Begriff der „Lastkraftwagen“ jedwede Art von Lastkraftwagen, also auch alle Arten von Sonderfahrzeuge - außer Militärfahrzeuge - gemeint sein sollen.

Weiterhin ergeben sich Zweifel an der Auslegung des Beschlusses der Kommission aus dem von der Beklagten angeführten Umstand, dass die Kommission im Vorfeld des Beschlusses vom 19. Juli 2016 in einem an die Beklagte gerichteten Auskunftsersuchen vom 30. Juni 2015 den Umfang der Untersuchungen präzisiert und dabei mitgeteilt hat, dass der Begriff des Lastkraftwagens „Sonder-/Spezialfahrzeuge (z.B. Militärfahrzeuge, Feuerwehrfahrzeuge)“ nicht erfasse.

Sollte ein Beschluss der Kommission denselben Auslegungsmethoden zugänglich sein wie ein Gesetz, könnte ein Auslegungsergebnis unter Heranziehung der Entstehungsgeschichte des Beschlusses erzielt werden; dann wären unter Umständen Äußerungen der Kommission im Vorfeld der Beschlussfassung im Rahmen der Auslegung des Wortlautes des Beschlusses zur Bestimmung der Reichweite seiner Wirkung heranzuziehen.

Unklar ist insofern, ob im Rahmen des Auskunftsersuchens vom 30. Juni 2015 seitens der Kommission möglicherweise schon im Vorfeld der späteren Beschlussfassung klargestellt worden ist, dass Sonder-/Spezialfahrzeuge generell nicht dem Begriff der Lastkraftwagen unterfallen sollen, und der in diesem Auskunftsersuchen enthaltene Klammerzusatz mit dem Hinweis „z.B. Militärfahrzeuge, Feuerwehrfahrzeuge“ nur eine beispielhafte, nicht jedoch abschließende Aufzählung enthält.

Mangels einer entsprechenden expliziten Formulierung in dem Beschluss der Kommission vom 19. Juli 2016 ist weiterhin unklar, ob nicht nach dem Auskunftsersuchen vom 30. Juni 2015 im Rahmen der endgültigen Willensbildung zur Fassung des Beschlusses möglicherweise eine vor der Beschlussfassung zunächst noch erwogenen Außerachtlassung von Sonderfahrzeugen wieder fallen gelassen worden ist und bei endgültiger Beschlussfassung eine Einbeziehung von Sonderfahrzeugen (außer Militärfahrzeugen) gewollt und gemeint war.

Nimmt man des Weiteren in den Blick, dass der Beschluss der Kommission im sogenannten Settlement-Verfahren zustande gekommen ist, steht zudem im Raum, dass hier die letztlich von der Kommission gewählten sprachliche Formulierungen „weicher“ ausgefallen sein könnten, um überhaupt eine Settlement-Entscheidung zu erreichen. Unklar ist auch vor diesem Hintergrund, welche Folge eine solche möglicherweise „weichere“ Formulierung für die Reichweite der rechtlichen Wirkungen des Beschlusses vom 19. Juli 2016 in Bezug auf Sonderfahrzeuge haben sollte.

bb. Der entscheidungsrelevante Zusammenhang zwischen dem Beschluss der Kommission und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht ergibt sich daraus, dass nach dem deutschen Recht gemäß der vorstehend bereits zitierten Vorschrift § 33 Abs. 4 GWB a.F. eine Bindungswirkung der deutschen Gerichte an die von der Kommission getroffenen Feststellungen des Kartellrechtsverstoßes besteht.

Das exakte - im Wege der Auslegung zu präzisierende - Verständnis des Wortlauts des Beschlusses der Kommission vom 19. Juli 2016 hat damit Bedeutung für die Reichweite der nach nationalem Recht vorgesehenen Bindungswirkung. Insofern muss das vorlegende nationale Gericht in dem hier anhängigen Verfahren des Kartellschadensrecht klar bestimmen können, in welchem Umfang der Beschluss der Kommission vom 19. Juli 2020 Bindungswirkung hat. Dies ist derzeit nicht möglich.

In dem konkret vorgelegten Verfahren hängt daher der Erfolg oder Misserfolg der Klage von der Beantwortung der aufgeworfenen Frage zur Auslegung des Beschlusses der Kommission vom 19. Juli 2016 ab. Ergäbe die Auslegung, dass Sonderfahrzeuge, wie hier die streitgegenständlichen Müllfahrzeuge, nicht von der Wirkung des Beschlusses der Kommission erfasst sein sollen, könnte der Kläger sich nicht auf eine entsprechende unmittelbare Bindungswirkung des Kommissionsbeschlusses berufen und hinsichtlich der dann lediglich noch denkbaren mittelbaren Auswirkungen des Kartells ergäben sich andere, weitergehende prozessuale Anforderungen an die Darlegungslast der Parteien.

Dabei hält das vorlegenden Gericht es für prozessökonomisch, die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage bereits jetzt zu klären, weil insbesondere eine im weiteren Klageverfahren ggf. erforderliche werdende wirtschaftliche Bewertung möglicher Kartellschäden, nur mit einem erheblichen prozessualen und kostenmäßigen Aufwand - ggf. unter Einholung ökonomischen Sachverstands - möglich sein wird.

Die Beantwortung der Frage hat auch erhebliche Bedeutung über das vorgelegten Verfahren hinaus. Insofern weist das vorlegenden Gericht bereits heute darauf hin, dass bei ihr noch weitere Verfahren mit ähnlich gelagerten Sachverhalten, indes mit zum Teil wesentlich mehr Erwerbsvorgängen (teilweise mehrere hundert Lastkraftwagen), anhängig sind, in denen es ebenfalls - auch - um die Streitfrage geht, ob Müllfahrzeuge oder weitere Arten von Sonder- / Spezialfahrzeugen wie etwa Feuerwehrfahrzeuge, Econic-Fahrzeuge (= Niederflurfahrzeuge), Beton-Fahrmischer, Kehrmaschinen, Winterdienstfahrzeuge, Tank- bzw. Gefahrgutfahrzeuge, Low-Liner, Fahrzeuge ohne Frontunterfahrschutz oder weitere individuelle Spezialanfertigungen von der Bindungswirkung des Beschlusses der Kommission vom 19. Juli 2016 umfasst sind. Aus diesem Grund besteht auch ein grundsätzliches Interesse an der Klärung der vorgelegten Frage.

Das vorlegende Gericht merkt schließlich noch an, dass es sich, unabhängig von seinem Recht, zunächst in einem Verfahren nach Art. 15 Abs. 1 VO 1/2003 die Kommission direkt um eine Stellungnahme zu der vorgelegten Auslegungsfrage zu ersuchen (vgl. Ritter in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Auflage 2012, Rn. 18), dafür entschieden hat, sogleich den Gerichtshof nach Art. 267 AEUV im Wege der Vorabentscheidung um die Beantwortung der vorgelegten Frage zu ersuchen, weil nach hiesiger Einschätzung in einem Verfahren nach Art. 15 VO 1/2003 eine von beiden Parteien des zugrundeliegenden Verfahrens abschließend akzeptierte Antwort nicht wird erreicht werden können, während im Verfahren nach Art. 267 AEUV eine verbindliche gerichtliche Klärung erfolgen kann (vgl. Karpenstein in Das Recht der Europäischen Union, 70. EL Mai 2020 Rn. 102 m.w.N.)."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




Volltext BGH: Schadensersatz wegen Vertragsverletzung wenn Vertragspartner unter Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung vor US-Gericht verklagt wird

BGH
Urteil vom 17.10.2019
III ZR 42/19
Schadensersatz, Gerichtsstandsvereinbarung
BGB § 280 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beirag BGH: Schadensersatz wegen Vertragsverletzung wenn Vertragspartner unter Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung vor US-Gericht verklagt wird über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Die Vereinbarung eines inländischen Gerichtsstands kann eine Verpflichtung begründen, Klagen nur an diesem Gerichtsstand zu erheben.

b) Verletzt eine Vertragspartei schuldhaft diese Verpflichtung durch die Klage vor einem US-amerikanischen Gericht, das die Klage wegen fehlender Zuständigkeit abweist und entsprechend US-amerikanischem Prozessrecht ("American rule of costs") eine Kostenerstattung nicht anordnet, ist sie gemäß § 280 Abs. 1 BGB verpflichtet, der anderen Partei die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung zu ersetzen.

BGH, Urteil vom 17. Oktober 2019 - III ZR 42/19 - OLG Köln - LG Bonn

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Schadensersatz wegen Vertragsverletzung wenn Vertragspartner unter Verletzung einer Gerichtsstandvereinbarung vor US-Gericht verklagt wird

BGH
Urteil vom 17.10.2019
III ZR 42/19


Der BGH hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch wegen Vertragsverletzung bestehen kann, wenn der Vertragspartner unter Verletzung einer wirksam vereinbarten Gerichtsstandvereinbarung, wonach der ausschließliche Gerichtsstand in Deutschland ist, vor einem US-Gericht verklagt wird.

Die Pressemitteilung des BGH:

Schadensersatzanspruch bei Verletzung einer Gerichtsstandvereinbarung durch Klage vor einem
US-amerikanischen Gericht

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass einem Vertragspartner ein Anspruch auf Ersatz der Kosten zustehen kann, die ihm entstanden sind, weil er entgegen der Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands in Deutschland vor einem US-amerikanischen Gericht verklagt worden ist.

Sachverhalt:

Die Parteien sind Telekommunikationsunternehmen. Die Beklagte hat ihren Sitz in Bonn, die Klägerin ist in Washington D.C. ansässig. Sie sind durch ein "Internet Peering Agreement" verbunden, nach dem sie wechselseitig verpflichtet sind, den Datenverkehr der jeweils anderen Partei an sogenannten Peering-Punkten aufzunehmen, in ihrem Netzwerk an die darüber angeschlossenen Kunden weiter zu transportieren und dabei für die erforderliche Übertragungskapazität an den Peering-Punkten innerhalb ihrer Netzwerke zu sorgen. Der Vertrag enthält die Vereinbarung, dass deutsches Recht anwendbar und Gerichtsstand Bonn ist.

Nachdem Bestrebungen der Klägerin, die (kostenlose) Aufstockung von Übertragungskapazitäten zu erreichen, erfolglos geblieben waren, erhob sie im Jahr 2016 Klage vor einem Bundesgericht (District Court) in den USA, mit der sie die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten begehrte. Dieses Gericht wies die Klage aufgrund der Gerichtsstandvereinbarung wegen fehlender Zuständigkeit ab. Eine Kostenerstattung findet in den USA nach der "American Rule of Costs" grundsätzlich nicht statt. Der District Court ordnete eine solche auch nicht an.

Die Klägerin erhob nunmehr eine inhaltlich entsprechende Klage vor dem Landgericht Bonn. Mit der Widerklage verlangt die Beklagte Ersatz der ihr durch die Verteidigung gegen die Klage vor dem District Court entstandenen Kosten, die sie auf 196.118,03 USD beziffert.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Die Klägerin hat beschränkt auf die Widerklage Berufung eingelegt. Auf diese hat das Oberlandesgericht die Widerklage abgewiesen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision der Beklagten das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurückverwiesen.

Die Vereinbarung des Gerichtsstands in Bonn und der Geltung deutschen Rechts ist dahin auszulegen, dass die Parteien verpflichtet sind, Klagen aus dem Vertrag nur in diesem Gerichtsstand zu erheben und widrigenfalls - jedenfalls soweit das angerufene Gericht, wie der District Court, seine Unzuständigkeit erkannt hat der anderen Partei die dadurch entstandenen Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung zu erstatten.

Mit einer solchen Vereinbarung haben die Parteien ihr Interesse zum Ausdruck gebracht, Rechtsstreitigkeiten sowohl in materiell-rechtlicher als auch in prozessualer Hinsicht planbar zu machen. Mit ihr wollen gerade die im internationalen Rechtsverkehr tätigen Vertragsparteien Rechtssicherheit schaffen und (auch wirtschaftliche) Prozessrisiken berechenbar machen. Sie bezwecken mit der Festlegung auf einen konkreten Gerichtsort die Auswahl eines bestimmten Gerichtsstands und wollen insbesondere ein nachträgliches "forum shopping" durch eine Vertragspartei verhindern. Dieser Zweck, Streitigkeiten über die Zuständigkeit und damit auch unnötige Kosten für die Anrufung eines unzuständigen Gerichts zu vermeiden, kann, wenn er durch die Anrufung eines Gerichts unter Verstoß gegen die Vereinbarung konterkariert wird, nur dadurch verwirklicht werden, dass der dadurch belasteten Partei ein Anspruch auf Kostenerstattung zugestanden wird. Mit der Vereinbarung deutschen Rechts insgesamt haben die Parteien zudem sowohl den aus § 280 Abs. 1 BGB folgenden allgemeinen Grundsatz anerkannt, dass eine Nichtbeachtung vertraglicher Pflichten, namentlich auch die pflichtwidrige Anrufung eines Gerichts, einen Ersatzanspruch begründen kann, als auch das Prinzip, dass eine in einem Zivilrechtsstreit unterliegende Partei der anderen zur Erstattung der zur Rechtsverteidigung erforderlichen Kosten verpflichtet ist. Dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allein in der Inanspruchnahme eines staatlichen, gesetzlich geregelten Rechtspflegeverfahrens zur Durchsetzung vermeintlicher Rechte grundsätzlich keine zum Schadensersatz verpflichtende Vertragsverletzung gesehen werden kann, steht dem nicht entgegen. Dieser Grundsatz schützt den verfassungsrechtlich gewährleisteten freien Zugang zu staatlichen Gerichten. Dieser Zugang wird durch das Risiko der Pflicht zur Kostenerstattung, das jeder Klageerhebung innewohnt, nicht in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise eingeschränkt.

Mit ihrer Klage vor dem Bundesgericht in den USA hat die Klägerin diese Verpflichtungen schuldhaft verletzt und sich daher schadensersatzpflichtig gemacht. Da zur Erforderlichkeit der Kosten, die der Beklagten durch die vorsorgliche Einlassung vor dem District Court auch zur Sache entstanden sind, noch Feststellungen erforderlich sind, konnte der Bundesgerichtshof in der Sache nicht abschließend entscheiden und hat die Sache daher an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Vorinstanzen:

LG Bonn – Urteil vom 08.11.2017 - 16 O 41/16

OLG Köln – Urteil vom 26.02.2019 - 3 U 159/17

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

§ 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.


AG Nürnberg: Sportwetten-Tipper hat keinen Schadensersatzanspruch gegen Deutsche Fußball Liga GmbH wegen verlorener Wette aufgrund vermeintlich falscher Schiedsrichterentscheidung

AG Nürnberg
Urteil vom 19.09.2019
22 C 2823/19


Das AG Nürnberg hat entschieden, dass ein Sportwetten-Tipper keinen Schadensersatzanspruch gegen die Deutsche Fußball Liga GmbH wegen einer verlorenen Wette aufgrund einer vermeintlich falscher Schiedsrichterentscheidung hat.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Kein Schadensersatz wegen verlorener Wette aufgrund vermeintlich falscher Schiedsrichterentscheidung

Das Amtsgericht Nürnberg hat eine gegen die Deutsche Fußball Liga GmbH gerichtete Klage auf Schadensersatz wegen entgangenen Wettgewinns nach einer angeblich falschen Schiedsrichterentscheidung abgewiesen. Nach Auffassung des Amtsgerichts besteht kein vertraglicher Anspruch zwischen dem Kläger und der Fußball Liga. Es ergäben sich aber auch keine Ansprüche aus dem Deliktsrecht.

Der Kläger hat gegen die Deutsche Fußball Liga Klage auf Ersatz eines Schadensersatzbetrages in Höhe von 190,97 Euro erhoben. Er ist der Auffassung, dass während des Bundesligaspiels des 1. FC Nürnberg gegen Schalke 04 der Schiedsrichter in der ersten Halbzeit eine Fehlentscheidung getroffen habe. Dieser habe ein Tor von Hanno Behrens zu Gunsten des 1. FC Nürnberg nicht gewertet, welches regulär gewesen sei. Der Schiedsrichter habe zu Unrecht vorher ein Stürmerfoul gepfiffen. Hätte der Schiedsrichter richtig entschieden, wäre der Wett-Tipp des Klägers, wonach in der ersten Halbzeit mindestens ein Tor erzielt werde, zutreffend gewesen und er hätte einen Gewinnbetrag in Höhe von 190,97 Euro bekommen.

Das Amtsgericht Nürnberg ist der Auffassung, dass es keine Anspruchsgrundlage gibt, wonach der Kläger seinen Schaden verlangen kann. Zunächst habe der Kläger keine vertraglichen Beziehungen zur Deutschen Fußball Liga. Er habe sich lediglich an einem Wettspiel eines Sponsoringpartners der Beklagten beteiligt.

Das Amtsgericht Nürnberg sieht aber auch keinen so genannten deliktischen Anspruch aus unerlaubter Handlung. Ein Anspruch könne sich allenfalls daraus ergeben, dass ein Schutzgesetz - wie etwa das des Betruges - verletzt worden sei. Vorliegend könne von einem solchen Fall jedoch nicht ausgegangen werden, da keine Anhaltspunkte dafür vorlägen und vom Kläger im Übrigen auch nicht vorgetragen worden seien, dass der Schiedsrichter bewusst und damit vorsätzlich eine Fehlentscheidung getroffen habe. Selbst wenn eine schiedsrichterliche Fehlentscheidung vorliege, könne es sich bei lebensnaher Betrachtung und Einsatz des gesunden Menschenverstandes allenfalls um eine fahrlässige Fehlentscheidung gehandelt haben. Es existiere aber kein Schutzgesetz, welches vor fahrlässigen Fehlentscheidungen schützt, die das Vermögen beeinträchtigen.

Ergänzend stellt das Amtsgericht Nürnberg fest, dass ein nach den Vorgaben des Schiedsrichterausschusses qualifizierter Schiedsrichter auch kein Erfüllungsgehilfe des Wettanbieters sei und dass dessen Verhalten im Ergebnis auch deshalb der Deutschen Fußballiga nicht zugerechnet werden könne. Der Schiedsrichter sei nicht lediglich pro forma an das Berufsbild des Richters angelehnt, weshalb er grundsätzlich wie ein „echter“ Richter in seinen Entscheidungen unabhängig sein müsse. Deshalb könne er nur dann in Haftung genommen werden, wenn er eine Straftat begehe. Ein Schiedsrichter treffe nach den DFB-Fußballregeln Tatsachenentscheidungen, welche er nach bestem Wissen und Gewissen im Sinne der Spielregen und im Geiste des Fußballes treffen müsse. Ein reibungsloser Spielbetrieb setze die Unabhängigkeit des Schiedsrichters und die Unanfechtbarkeit seiner Entscheidun-gen voraus. Auch Fehlentscheidungen seien bereits in der Art und Weise des Spiels und der schiedsrichterlichen Beobachtung angelegt. Daran könne auch der vor kurzem eingeführte Videobeweis nichts ändern, da dieser lediglich im Falle wichtigster Spielsituationen und Entscheidungen den Schiedsrichter unterstützen solle.

Die Teilnahme an einer Sportwette werde vor dem Hintergrund der Ungewissheit des Spielverlaufs und des Spielausgangs, aber auch der Möglichkeit von schiedsrichterlichen Fehlentscheidungen wie auch Fehlhandlungen von Spielern, gerade erst spannend, sprichwörtlich unkalkulierbar und damit für den Abschluss einer Wette attraktiv. Jeder Wettteilnehmer müsse das Risiko seines Wettgeschäfts eigenver-antwortlich abwägen und bleibe für seine Entscheidung zur Wettteilnahme selbst verantwortlich.

Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 19. September 2019, Az. 22 C 2823/19

OLG Stuttgart: Betroffene LKW-Käufer haben dem Grunde nach Anspruch auf Schadensersatz gegen am LKW-Kartell beteiligte Verkäufer

OLG Stuttgart
Urteil vom 04.04.2019
2 U 101/18


Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass betroffene LKW-Käufer haben dem Grunde nach Anspruch auf Schadensersatz gegen am LKW-Kartell beteiligte Verkäufer.

Pressemitteilung des Gerichts:

Oberlandesgericht Stuttgart zu Ansprüchen eines Käufers auf Schadensersatz gegen einen am LKW-Kartell beteiligten Verkäufer

Kurzbeschreibung:

Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Christoph Stefani hat mit einem heute verkündeten Berufungsurteil in einem Zivilrechtsstreit zwischen dem Käufer mehrerer LKW und der Daimler AG als Verkäuferin entschieden, dass dem Käufer Schadensersatzansprüche dem Grunde nach zustehen.

Die Beklagte war Mitglied eines von 1997 bis 2011 bestehenden Kartells von LKW-Herstellern, die untereinander Bruttopreislisten und Informationen über Bruttopreise austauschten. Ein von der Europäischen Kommission gegen die LKW-Hersteller geführtes Kartellverfahren endete im Juli 2016 mit einem Vergleich und der Verhängung von Bußgeldern.

Mit der Begründung, dass aufgrund des Kartells die von ihren Tochterfirmen bezahlten Kaufpreise für die im Zeitraum 1997 bis 2011 gekauften LKW kartellbedingt überhöht gewesen seien, verlangt die Klägerin Schadensersatz. Das Landgericht Stuttgart hat in einem sogenannten Grundurteil die Schadensersatzansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Frage, in welcher Höhe ein Schaden entstanden ist, der Klärung im anschließenden Betragsverfahren überlassen.

Der 2. Zivilsenat hat dieses Urteil im Wesentlichen bestätigt. Der Kartellrechtsverstoß sei zwischen den Parteien unstreitig und auch durch den Beschluss der Kommission vom 19.07.2016 bindend festgestellt. Die LKW-Käufe, die Gegenstand der Klage seien, seien mit Ausnahme des zeitlich ersten Kaufs im Jahr 1997 von dem Kartellverstoß betroffen, weil nach den Feststellungen der Europäischen Kommission die ausgetauschten Bruttopreislisten die Preise aller mittelschweren und schweren LKW-Modelle sowie sämtlicher vom jeweiligen Hersteller ab Werk angebotenen Sonderausstattungen enthalten hätten. Es sei auch wahrscheinlich, dass ein Schaden entstanden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diene die Gründung eines Kartells grundsätzlich der Steigerung des Gewinns der am Kartell beteiligten Unternehmen, weshalb eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass das Kartell gebildet und erhalten werde, weil es höhere als am Markt erzielbare Preise erbringe. Damit sei zugleich wahrscheinlich, dass bei den Abnehmern der am Kartell beteiligten Firmen hierdurch ein Schaden verursacht werde. Die gegen diesen wirtschaftlichen Erfahrungssatz des Bundesgerichtshofs von der Beklagten vorgebrachten Einwendungen hat der Senat nicht für durchgreifend erachtet, weil diese im Widerspruch zu den bindenden Feststellungen der Europäischen Kommission stünden. Verjährung sei nicht eingetreten, weil die Verjährungsfrist ab den ersten Ermittlungsmaßnahmen der Europäischen Kommission bis zum Abschluss des Verfahrens gehemmt gewesen sei.

Die Revision wurde zugelassen.

Aktenzeichen:

2 U 101/18 - Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 4. April 2019
45 O 1/17 - Landgericht Stuttgart - Urteil vom 30. April 2018

Relevante Normen:

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

§ 33 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch
(1) Wer gegen eine Vorschrift dieses Teils oder gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verstößt (Rechtsverletzer) oder wer gegen eine Verfügung der Kartellbehörde verstößt, ist gegenüber dem Betroffenen zur Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet.

§ 33a Schadensersatzpflicht
(1) Wer einen Verstoß nach § 33 Absatz 1 vorsätzlich oder fahrlässig begeht, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)

Artikel 101
(1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere
a) Die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen;




BGH: Schadensersatz der Geschädigten gegen die Kartellteilnehmer bei kartellrechtswidrigen Preisabsprachen - ORWI

BGH
Urteil vom 28.06.2011
KZR 75/10
ORWI
AEUV Art. 101 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 2 Bf, C, I

Leitsätze des BGH:

a) Einem indirekten Abnehmer der Kartellteilnehmer steht ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 101 AEUV zu, wenn er durch das kartellrechtswidrige Verhalten einen Schaden erlitten hat. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt der indirekte Abnehmer.

b) Der Vorteil, der dem Geschädigten aus einer Abwälzung des kartellbedingten Preisaufschlags auf seine Abnehmer erwächst, kann unter dem Aspekt der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen sein. Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung liegt beim Schädiger.

c) Die Bejahung einer sekundären Darlegungslast des Kartellgeschädigten setzt eine umfassende Prüfung ihrer Erforderlichkeit und Zumutbarkeit voraus, bei der sorgfältig abzuwägen ist, inwieweit dem Geschädigten insbesondere eine Darlegung zu wettbewerblich relevanten Umständen abverlangt werden kann, an deren Geheimhaltung er ein schützenswertes Interesse hat; außerdem darf die Annahme einer sekundären Darlegungslast nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führen.

d) Für die durch ein Kartell verursachten Schäden haften alle Kartellteilnehmer nach §§ 830, 840 BGB als Gesamtschuldner.

BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 - KZR 75/10 - OLG Karlsruhe - LG Mannheim

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: