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KG Berlin: Weitere aber nicht alle gerügten Hasspostings gegen Politikerin Renate Künast bei Facebook unzulässig

KG Berlin
Beschluss vom 11.03.2020
10 W 13/20


Das KG Berlin hat entschieden, dass weitere aber nicht alle gerügten Hasspostings gegen die Politikerin Renate Künast bei Facebook unzulässig waren und einen Auskunftsanspruch gegen Facebook nach § 14 Abs. 3 und 4 TMG bejaht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Kammergericht: Beschwerde einer Politikerin wegen ihres Antrags gegen eine Social-Media-Plattform auf Gestattung der Herausgabe von Nutzerdaten teilweise erfolgreich

Auf die Beschwerde einer Politikerin (Antragstellerin des Verfahrens) hat das Kammergericht mit Beschluss vom 11. März 2020 die Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 9. September 2019 in der Fassung des Abhilfebeschlusses vom 21. Januar 2020 zum Antrag gegen eine Social-Media-Plattform auf Gestattung der Herausgabe von Nutzerdaten nochmals teilweise zu Gunsten der Politikerin korrigiert und weitere sechs der insgesamt 22 streitgegenständlichen Nutzerkommentare im Lichte der höchstrichterlichen und verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit als Beleidigungen im Sinne von § 185 StGB eingestuft. Die Social-Media-Plattform dürfe daher – zusätzlich zu den schon vom Landgericht gestatteten sechs Fällen – auch in diesen weiteren sechs Fällen über Name des Nutzers, E-Mail-Adresse des Nutzers und IP-Adresse, die von dem Nutzer für das Hochladen verwendet worden sei, sowie über den Uploadzeitpunkt Auskunft erteilen. Im Übrigen hat das Kammergericht jedoch die Entscheidung des Landgerichts Berlin bestätigt und deshalb die weitergehende Beschwerde der Politikerin insoweit zurückgewiesen.

Wegen der Hintergründe des Verfahrens wird auf die Pressemitteilung des Kammergerichts Nr. 4/2020 vom 21. Januar 2020 verwiesen.

Die Richter des 10. Zivilsenates des Kammergerichts haben in ihrer jetzigen Entscheidung u.a. betont, dass der im hiesigen Verfahren geltend gemachte Anspruch nach § 14 Abs. 4 des Telemediengesetzes (TMG) auf Gestattung der Herausgabe von Nutzerdaten nur ein vorbereitender Anspruch sei, der in verfahrensrechtlicher und inhaltlicher Hinsicht deutliche Unterschiede zu den weitergehenden Ansprüchen auf Unterlassung von Äußerungen und auf andere Leistungen (z.B. Geldentschädigung) aufweise, über die im hiesigen Verfahren noch gar nicht zu entscheiden gewesen sei. Demgemäß sei auch nur die Social-Media-Plattform als der jeweilige Diensteanbieter im hiesigen Verfahren beteiligt gewesen, nicht aber die jeweiligen Verfasser der 22 Kommentare.

Sechs von sechzehn der jetzt noch mit der Beschwerde zu prüfenden Kommentare erfüllten nach Ansicht der Richter des 10. Zivilsenates ungeachtet der strengen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an Eingriffe in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung stelle, den strafrechtlichen Beleidigungstatbestand des § 185 StGB. Diese sechs Äußerungen wiesen einen so massiven diffamierenden Gehalt auf, dass sie sich als Schmähkritik bzw. die dem gleichgestellte Formalbeleidigung einordnen ließen. Auch unter Berücksichtigung des thematischen Kontextes, in welchem die Nutzer ihre Posts verfasst hätten, könnten diese verbalen Entgleisungen nur als außerhalb einer Sachdebatte stehende Schmähungen der Person der Antragstellerin eingeordnet werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik fehle insoweit. Vielmehr werde der Antragstellerin als vermeintlicher Befürworterin einer Entkriminalisierung von „einvernehmlichem bzw. gewaltlosem” Sex mit Kindern, wie sie die Ausgangsmitteilung andeute, jede Würde abgesprochen. Die Antragstellerin werde im Schutze der Anonymität des Internets zum Objekt frauenverachtender und entwürdigender obszöner Anwürfe gemacht. Hierdurch und durch zügellose Beschimpfungen mittels besonders drastischer Begriffe aus dem Bereich der Fäkalsprache werde die Antragstellerin in einer so maßlos überzogenen Art und Weise attackiert, dass nur noch die persönliche Schmähung im Vordergrund steht und eine sachbezogene Auseinandersetzung völlig aus dem Blickfeld geraten sei. Bei solchen Diffamierungen werde ungeachtet des Anlasses der Entgleisungen die weit gezogene Grenze zulässiger Meinungsäußerungen deutlich überschritten und der Ausnahmetatbestand einer nicht mehr legitimierbaren Schmähkritik oder einer dieser gleichgestellten Formalbeleidigung erreicht.

Dagegen müsse der Beschwerde der Antragstellerin nach der Auffassung der Richter des 10. Zivilsenats des Kammergerichts im Hinblick auf die verbleibenden zehn verfahrensgegenständlichen Kommentare der Erfolg versagt bleiben. Die Richter des 10. Zivilsenats würden dabei keineswegs verkennen, dass es sich insoweit gleichfalls um erheblich ehrenrührige Bezeichnungen und Herabsetzungen der Antragstellerin handele. Unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben sei allerdings festzustellen, dass die Schwelle zum Straftatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB jeweils nicht überschritten werde. Denn es liege insoweit kein Fall der abwägungsfreien Diffamierung (Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung bzw. Schmähkritik) vor und die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Antragstellerin erreiche auch nicht ein solches Gewicht, dass die Äußerungen unter Einbeziehung des konkret zu berücksichtigenden Kontextes – anders als bei den vorgenannten sechs Kommentaren – lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung der Antragstellerin erscheinen würden.

Sie würden – so die Richter des 10. Zivilsenats – auch keinesfalls verkennen, dass es zu einem Sprachverfall und insbesondere unter Ausnutzung der Anonymität im Internet zu einer Verrohung bis hin zu einer Radikalisierung des gesellschaftlichen Diskurses gekommen sei. Dies vermöge aber eine andere rechtliche Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Der von der Antragstellerin aufgeworfenen Frage, ob die Besonderheit, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen für Personen des politischen Lebens härtere Maßstäbe zu gelten hätten, noch zeitgemäß sei und ob die Rechtsordnung und die Justiz sich nicht stärker schützend vor politische Entscheidungsträger stellen müssten, möge die Berechtigung nicht abgesprochen werden. Die geltende Rechtsordnung und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts böten jedoch auf dem hier zu beurteilenden Gebiet derzeit aber keinen Raum für eine Aufwertung des Persönlichkeitsschutzes.

Diese Entscheidung ist rechtskräftig; der 10. Zivilsenat des Kammergerichts hat eine Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung habe, noch zur Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordere.

Landgericht Berlin: ursprünglicher Beschluss – 27 AR 17/19 – vom 09. September 2019
Landgericht Berlin: Abhilfebeschluss– 27 AR 17/19 – vom 21. Januar 2020
Kammergericht: Beschluss – 10 W 13/20 – vom 11. März 2020



OLG Frankfurt: Zwischen Unternehmen und Blogger der Unternehmen kritisiert besteht kein Wettbewerbsverhältnis im Sinne von § 2 Nr. 3 UWG

OLG Frankfurt
Beschluss vom 09.01.2020
6 W 117/19

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass zwischen einem Unternehmen und einem Blogger, der das Unternehmen kritisiert, kein Wettbewerbsverhältnis im Sinne von § 2 Nr. 3 UWG besteht. Sie sind keine Mitbewerber im Sinne dieser Vorschrift.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. Das Landgericht hat auch die mit der Beschwerde modifizierten Eilanträge zu 1. b), 1. d) und 1. e) zu Recht zurückgewiesen.

a) Die Anträge lassen sich nicht auf wettbewerbsrechtliche Anspruchsgrundlagen (§ 8 I, III Nr. 1 UWG i.V.m. §§ 4 Nr. 1, Nr. 2, 5 Abs. 2 UWG) stützen. Es fehlt an einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien (§ 2 Nr. 3 UWG). Insoweit kann vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in dem angegriffenen Beschluss sowie in dem Nichtabhilfebeschluss Bezug genommen werden.

aa) Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis setzt nicht notwendigerweise den Absatz gleichartiger Leistungen voraus. Vielmehr reicht es aus, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt. Es genügt, wenn zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann (BGH GRUR 2014, 1114, Rn. 32 - nickelfrei).

bb) Zwischen dem Nachteil der Antragstellerin in Gestalt des möglichen Verlusts von Studenten oder Interessenten für ihre Bildungsdienstleistungen und dem Vorteil des Antragsgegners in Gestalt der Förderung des Absatzes seiner Beratungsleistungen besteht keine Wechselbeziehung in diesem Sinn. Vielmehr besteht zwischen einem Unternehmen, das bestimmte Dienstleistungen anbietet, und einem (Rechts-)Berater, der sich auf seiner Internetseite kritisch über das Unternehmen äußert, um auf diese Weise dessen Kunden für seine Beratungstätigkeit zu gewinnen, kein konkretes Wettbewerbsverhältnis. Es fehlt an dem notwendigen Konkurrenzmoment bzw. dem wettbewerblichen Bezug (Senat, WRP 2017, 338; ebenso BGH GRUR 2017, 918 - Wettbewerbsbezug).

b) Die Antragstellerin kann ihre Ansprüche auch nicht mit Erfolg auf § 826 BGB stützen. Bei den fraglichen Angaben nach den Anträgen zu 1. b), 1. d) handelt es sich nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern um Meinungsäußerungen.

aa) Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen ist oft nicht möglich, weil beide Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtschutzes weit zu verstehen; sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt (vgl. BVerfG in NJW 1993, 1845).

bb) Die angegriffenen Äußerungen sind durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt. Dies gilt sowohl für die Angabe, die Antragstellerin sei in einen „Skandal“ verwickelt, als auch für die Angabe, der Dekan der Antragstellerin sei ein „Diktator, dessen Worte nicht mit seinen Handlungen übereinstimmen“ würden. Ob ein bestimmter Sachverhalt einen „Skandal“ darstellt, liegt letztlich in der subjektiven Wertung des Betrachters und lässt sich nicht objektivieren. Auch im Kontext der Angaben auf dem im Antrag zu 1. b) eingeblendeten Foto (185.000 $ - 5 Jahre Partnerschaft - größter Skandal - nicht abschlussorientierte Führungskräfte-Ausbildung - in 2019 nominiert) stellt sich die Angabe „Skandal“ aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise nicht als unzutreffende Tatsachenbehauptung dar. Die dort aufgeführten Umstände lassen nicht auf ein konkretes skandalöses Verhalten schließen. Die vagen Angaben, bei dem Skandal könne es um eine größere Geldsumme und eine Partnerschaft mit einem chinesischen Unternehmen gehen, reichen hierfür nicht aus. Entsprechendes gilt für die mit dem Antrag zu 1. d) angegriffene Äußerung. Ob sich ganz allgemein das Verhalten einer Person mit seinen Äußerungen in Einklang bringen lässt und ob das Verhalten der Führungskraft eines Unternehmens als diktatorisch zu bezeichnen ist, ist eine Frage des Meinens und Dafürhaltens.

cc) Dass es sich bei den genannten Äußerungen um eine unzulässige Schmähkritik handelt, ist weder dem Vortrag der Antragstellerin zu entnehmen noch sonst ersichtlich.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




LG Berlin korrigiert teilweise Beschluss im Rechtsstreit Künast gegen Facebook um Herausgabe von Bestandsdaten von Nutzern nach § 14 Abs.3 TMG wegen beleidigender Nutzerkommentare

LG Berlin
Abhilfebeschluss nach Beschwerde vom 21.01.2020
27 AR 17/19


Das LG Berlin hat den nicht haltbaren Beschluss im Rechtsstreit Künast gegen Facebook um Herausgabe von Bestandsdaten von Nutzern nach § 14 Abs.3 TMG wegen beleidigender Nutzerkommentare im Beschwerdeverfahren teilweise selbst korrigiert (Zum Ausgangsbeschluss siehe LG Berlin: Politikerin Renate Künast muss bei Facebook übelste Beschimpfungen hinnehmen - kein Auskunftsanspruch gegen Facebook hinsichtlich Bestandsdaten der Nutzer nach § 14 Abs. 3 TMG.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Landgericht Berlin: Beschwerde einer Politikerin wegen ihres Antrags gegen eine Social Media Plattform auf Gestattung der Herausgabe von Nutzerdaten teilweise erfolgreich

Auf die Beschwerde einer Politikerin (Antragstellerin des Verfahrens) und aufgrund des von ihr im Beschwerdeverfahren ergänzten Sachvortrags einerseits sowie aufgrund zwischenzeitlich zusätzlich gewonnener gerichtlicher Erkenntnisse andererseits hat die Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin ihren ursprünglichen Beschluss vom 09. September 2019 – 27 AR 17/19 – zum Antrag gegen eine Social Media Plattform auf Gestattung der Herausgabe von Nutzerdaten mit ihrer neuen Entscheidung vom 21. Januar 2020 teilweise abgeändert.

Durch den im Beschwerdeverfahren erstmals vollständig vorgelegten Ausgangspost habe die Zivilkammer 27 die 22 betroffenen Nutzerkommentare im Lichte der höchstrichterlichen und verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit nochmals geprüft und der Antragstellerin im Ergebnis in sechs Fällen Recht gegeben. So sei wegen des nunmehr dargelegten Kontextes des Ausgangsposts und der inzwischen zusätzlich erlangten gerichtlichen Erkenntnisse zu dessen Urheber nicht mehr davon auszugehen, dass die Verfasser der 22 streitgegenständlichen Kommentare annehmen durften, dass die im Ausgangspost wiedergegebene Äußerung so wie zitiert vollständig von der Antragstellerin stamme. Vielmehr handele es sich teilweise um ein Falschzitat, sodass sich angesichts der für die 22 Nutzer auch erkennbaren Hintergründe des Posts für sie Zweifel in Bezug auf die Authentizität des Zitats aufdrängen mussten, was bei der Bewertung der einzelnen Kommentare zu berücksichtigen sei.

Vor diesem Hintergrund enthielten nach Auffassung der Richter der Zivilkammer 27 die Kommentare von sechs Nutzern jeweils einen rechtswidrigen Inhalt im Sinne einer Beleidigung gemäß § 185 des Strafgesetzbuches (StGB), für den auch im Hinblick auf die Meinungsfreiheit ein Rechtfertigungsgrund nicht ersichtlich sei. Diese Kommentare hätten vielmehr einen ehrherabsetzenden Inhalt, der aus der Sicht des unbefangenen Durchschnittslesers als gezielter Angriff auf die Ehre der Antragstellerin erscheine und sich auch in der persönlichen Herabsetzung der Antragstellerin erschöpfe. Die Social Media Plattform dürfe daher in diesen sechs Fällen über Name des Nutzers, E-Mail-Adresse des Nutzers und IP-Adresse, die von dem Nutzer für das Hochladen verwendet worden sei, sowie über den Uploadzeitpunkt Auskunft erteilen.

Die übrigen sechzehn Kommentare verwirklichten dagegen nach Auffassung der Richter der Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin auch unter Berücksichtigung des weiteren Sachvortrags der Antragstellerin und der sonstigen gerichtlichen Erkenntnisse im Beschwerdeverfahren keinen der in § 1 Abs. 3 Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) aufgeführten Straftatbestände, weil diese Kommentare – wie bereits in dem ursprünglichen Beschluss vom 09. September 2019 ausgeführt – einen Sachbezug zu einer Äußerung der Politikerin im Berliner Abgeordnetenhaus im Jahre 1986 im Zusammenhang mit dem Thema Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern hätten. Es handele sich deshalb bei diesen 16 Kommentaren um Äußerungen, die das Verhalten der Antragstellerin oder den Aussagegehalt des von ihr im Jahre 1986 getätigten Einwurfs im Berliner Abgeordnetenhaus kritisierten und sich nicht in der persönlichen Herabsetzung der Antragstellerin erschöpften, sodass sie nach Auffassung der Zivilkammer 27 im Ergebnis noch keine Straftaten der Beleidigung darstellten.

Soweit die Antragstellerin auf einen Verstoß gegen die Richtlinien der Social Media Plattform abstelle, komme es darauf ebenso wenig wie auf einen – nach anderen rechtlichen Vorschriften zu bewertenden – zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gemäß den §§ 823, 1004 analog des Bürgerlichen Gesetzbuches in Verbindung mit Art. 1 und Art. 2 des Grundgesetzes an. Der von der Antragstellerin im hiesigen Verfahren geltend gemachte Auskunftsanspruch sei vom Gesetzgeber abschließend in § 14 des Telemediengesetzes (TMG) geregelt und auf die Fälle beschränkt worden, in denen die in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten Straftatbestände verwirklicht seien.

Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Soweit die Kammer der Beschwerde der Antragstellerin mit dem Beschluss vom 21. Januar 2020 nicht abgeholfen hat, hat sie die Sache dem Kammergericht vorgelegt, das nun in zweiter Instanz den Fall prüfen und entscheiden muss.

Landgericht Berlin:
ursprünglicher Beschluss – 27 AR 17/19 – vom 09. September 2019
Landgericht Berlin:
Abhilfebeschluss nach Beschwerde – 27 AR 17/19 – vom 21. Januar 2020



LG Berlin: Politikerin Renate Künast muss bei Facebook übelste Beschimpfungen hinnehmen - kein Auskunftsanspruch gegen Facebook hinsichtlich Bestandsdaten der Nutzer nach § 14 Abs. 3 TMG

LG Berlin
Beschluss vom 09.09.2019
27 AR 17/19


Das LG Berlin hat in einer kaum haltbaren und zu Recht von vielen Seiten kritisierten Entscheidung entschieden, dass die Politkierin Renate Künast bei Facebook übelste Beschimpfungen hinnehmen muss und kein Auskunftsanspruch gegen Facebook hinsichtlich der Bestandsdaten der Nutzer nach § 14 Abs. 3 TMG besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:

Gemäß § 14 Abs. 3 TMG darf der Diensteanbieter Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtwidriger Inhalte, die von § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst werden, erforderlich ist. Nach § 1 Abs. 3 NetzDG sind rechtswidrige Inhalte solche, die den Tatbestand der §§ 86, 86 a, 89 a, 91, 100 a, 111, 126, 129 bis 129 b, 130, 131, 140, 166, 184 b in Verbindung mit 184 d, 185 bis 187, 201 a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuches erfüllen und nicht gerechtfertigt sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die von der Antragstellerin angeführten Äußerungen auf ... stellen sich sämtlich als Meinungsäußerungen dar. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist. Auch eine Äußerung, die auf Werturteilen beruht, kann sich als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird. Wo Tatsachenbehauptungen und Wertungen zusammenwirken, wird grundsätzlich der Text in seiner Gesamtheit von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst. Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengen, in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Werturteil und Meinungsäußerung in vollem Umfang vom genannten Grundrecht geschützt. Im Fall einer derart engen Verknüpfung der Mitteilung von Tatsachen und ihrer Bewertung darf der Grundrechtsschutz der Meinungsfreiheit nicht dadurch verkürzt werden, dass ein tatsächliches Element aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet wird (BGH NJW 1998, 1131, 1133 m.w.Nachw.).

Der Einfluss des Grundrechts der Meinungsfreiheit wird verkannt, wenn der Verurteilung eine Äußerung zugrundegelegt wird, die so nicht gefallen ist, wenn ihr ein Sinn gegeben wird, den sie nach dem festgestellten Wortlaut objektiv nicht hat oder wenn ihr unter mehreren objektiv möglichen Deutungen eine Auslegung gegeben wird, ohne die anderen unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind ferner verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft ist mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfG NJW 1992, 1439, 1440 m.w.Nachw.). Von einer Schmähung kann nicht ausgegangen werden, wenn die Äußerung in dem Kontext einer Sachauseinandersetzung steht. Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht erfordern damit regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung (vgl. BVerfGE 93, 266 <303>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2005 - 1 BvR 1917/04 -, juris, Rn. 22). Hiervon kann allenfalls ausnahmsweise abgesehen werden, wenn es sich um eine Äußerung handelt, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von ihrem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache - der Fall sein kann (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 5. Dezember 2008 - 1 BvR 1318/07 -, juris, Rn. 16). Bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage liegt Schmähkritik nur ausnahmsweise vor; sie bleibt grundsätzlich auf die Privatfehde beschränkt (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 93, 266 <294>; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19. Februar 2019 - 1 BvR 1954/17 -, Rn. 11, juris). Der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen endet erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist unrichtige Information kein schützenswertes Gut. Die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung wird nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst (BVerfG a.a.O.).

Nach diesen Grundsätzen gilt hier folgendes:

Die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen sind sämtlichst Reaktionen auf den Post, den ein Dritter auf der von der Antragsgegnerin betriebenen Social-Media-Plattform eingestellt hat. Dieser Post zitiert einen von der Antragstellerin getätigten Einwurf und würdigt diesen so, wie er von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Auch wenn die Antragstellerin ihren Einwurf anders verstanden wissen will, wird der knappe, die Zwischenfrage des CDU-Abgeordneten korrigierende Einwurf, wie dies der Online-Artikel der Welt vom 24.05.2015 zeigt, von der Öffentlichkeit als Zustimmung zu dem Gesetzesentwurf der Landtagsfraktion der Grünen in NRW wahrgenommen. Soll aber die Ausübung von Sex mit Kindern nur noch dann unter Strafe gestellt werden, wenn Gewalt im Spiel ist, heißt dies zum einen, dass es gewaltfreien Sex mit Kindern gibt und, dass er ohne Ausübung von körperlicher und psychischer Gewalt toleriert wird. Nichts anderes drückt der zweite Halbsatz in dem Post "ist der Sex mit Kindern doch ganz ok" aus. Die Antragstellerin muss sich daher die gesamte Äußerung des ersten Satzes des Post zurechnen lassen.

Bei den Reaktionen hierauf handelt es sich sämtlichst um zulässige Meinungsäußerungen. Sie sind zwar teilweise sehr polemisch und überspitzt und zudem sexistisch. Die Antragstellerin selbst hat sich aber mit ihrem Zwischenruf, den sie bislang nicht öffentlich revidiert oder klargestellt hat, zu einer die Öffentlichkeit in ganz erheblichem Maße berührenden Frage geäußert und damit Widerstand aus der Bevölkerung provoziert. Zudem muss sie als Politikerin in stärkerem Maße Kritik hinnehmen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 09. Dezember 2014 - I-15 U 148/14 -, Rn. 33, juris).

Da alle Kommentare einen Sachbezug haben, stellen sie keine Diffamierungen der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen nach § 185 StGB dar.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

(1) Die in ein Bild von Starwars eingefügte Äußerung "Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!" ist eine sicherlich geschmacklose Kritik, die mit dem Stimittel der Polemitik sachliche Kritik übt. Es geht dem Äußernden erkennbar nicht darum, die Antragstellerin als Person zu diffamieren, sondern an der von ihr getätigten Äußerung Kritik zu üben. Es liegt daher keine Beledigung nach § 185 StGB vor. Die Antragstellerin wird nicht, wie sie dies meint, zum Gegenstand sexueller Fantasien gemacht.

(2) Die Äußerung "Wurde diese "Dame" vielleicht als Kind ein wenig viel gef... und hat dabei etwas von ihren Verstand eingebüßt. ..." stellt wiederum eine polemische und überspitze, aber nicht unzulässige Kritik dar. Denn wie sich aus dem nachfolgenden Satz ergibt, geht es um eine auf die Äußerung der Antragstellerin bezogene Kritik. Dass die Äußerung sexualisiert ist, ist das Spiegelbild der Sexualisiertheit des Themas. Eine Diffamierung und damit eine Beleidigung nach § 185 StGB der Antragstellerin lässt sich hieraus nicht ableiten.

(3) Soweit die Antragstellerin geltend macht, es liege mit "Stück Scheisse" und "Geisteskranke" eine Formalbeleidigung vor, steht dem entgegen, dass wie sich aus dem zweiten Satz ergibt eine Auseinandersetzung in der Sache erfolgte, so dass eine Formalbeleidigung ausscheidet (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 11. Mai 2017 - 324 O 217/17 -, Rn. 17, juris).

(4) In der Bezeichnung "Pädophilen-Trulla" kann eine Beleidigung nach § 185 StGB nicht erblickt werden.

(5) Die Äußerung "Die alte hat doch einen Dachschaden die ist hol wie Schnittlauch man kann da nur noch" steht ebenfalls im Kontext der im Post wiedergegebenen Äußerung. Sie stellt eine Kritik an der Äußerung der Antragstellerin dar und nicht losgelöst von der Äußerung an der Person der Antragstellerin selbst. Daher stellt sich auch diese Äußerung nicht als eine Diffamierung der Antragstellerin und damit als Beleidigung der Antragstellerin gemäß § 185 StGB dar.

(6) In der auf den Post und damit auf die dort wiedergegebene Äußerung der Antragstellerin bezogene Äußerung "Mensch ... was bis Du Krank im Kopf!!!" kann eine Beleidgung nach § 185 StGB nicht erblickt werden.

(7) Auch der Kommentar "Pfui du altes grünes Dreckschwein ..." steht in unmittelbaren Zusammenhang zu dem Post und nimmt Bezug auf ein Zwischenruf der Antragstellerin. In diesem Zusammenhang stellt die Bezeichnung "Dreckschwein" keine Beleidigung dar.

(8) Der geschmacklose, polemische und überspitzte Kommentar "Der würde in den Kopf geschi ... War genug Platz da kein Hirn vorhanden war/ist" bezieht sich erkennbar auf die von der Antragstellerin getätigte Äußerung. Auch er stellt sich daher als sachbezogene Kritik und nicht als Diffamierung und Beleidigung nach § 185 StGB dar.

(9) Die auf den Post erfolgte Äußerung "Die ist Geisteskrank" ist eine auf die Äußerung bezogene Kritik und keine Diffamierung der Antragstellerin. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt nicht vor.

(10) Wie aus den Worten "bei solchen Aussagen" deutlich wird, handelt es sich bei der Aussage "Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren" um eine auf die im Post bezogene Äußerung bezogene und damit sachgebzogene Kritik. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt damit nicht vor.

(11) Die Bezeichnung der Antragstellerin als krank stellt keine Beleidigung, sondern eine zulässige Meinungsäußerung dar. Der Sachbezug des Kommentars wird durch die Worte "sie weiß nicht mehr was sie redet" ohne weiteres verdeutlicht.

(12) Die Äußerung, die sind alle so krank im Kopf, stellt sich ebenfalls als Kritik an ihrer im Post wiedergegebenen Äußerung wieder, auf die dieser Kommentar erfolgte. Eine Beleidigung der Antragstellerin nach § 185 StGB kann hierin nicht erblickt werden.

(13) Auch in dem Kommentar "Schlampe" kann eine von der Äußerung im kommentierten Post losgelöste primär auf eine Diffamierung der Person der Antragstellerin und nicht auf eine Auseinandersetzung in der Sache abzielende Äußerung nicht gesehen werden. Vielmehr ist auch dieser Kommentar ein Beitrag in einer Sachauseinandersetzung.

(14) Gleiches gilt für den Kommentar "Gehirn Amputiert". Auch dieser stellt sich als Beitrag im Rahmen einer Sachauseinandersetzung dar und zielt nicht primär auf die Diffamierung der Antragstellerin. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt nicht vor.

(15) Für den Kommentar "Kranke Frau" gilt das zuvor unter (13) und (14) gesagte.

(16) Der Kommentar "Drecks Fotze" bewegt sich haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch hinnehmbaren. Weil das Thema, mit dem sie vor vielen Jahren durch ihren Zwischenruf an die Öffentlichkeit gegangen ist sich ebenfalls im sexuellen Bereich befindet und die damals von ihr durch den Zwischenruf aus der Sicht der Öffentlichkeit zumindest nicht kritisierte Forderung der Entpönalisierung des gewaltfreien Geschlechtsverkehrs mit Kindern erhebliches Empörungspotential in der Gesellschaft hat, ist die Kammer jedoch der Ansicht, dass die Antragstellerin als Politikerin sich auch sehr weit überzogene Kritik gefallen lassen muss. Dass mit der Aussage allein eine Diffamierung der Antragstellerin beabsichtigt ist, ohne Sachbezug zu der im kommentierten Post wiedergegebenen Äußerung ist nicht feststellbar.

Das Bild verdeutlicht die Aussage, ich muss mich gleich übergeben, was der Ausdruck von Ablehnung ist, und sich klar auf die Äußerung bezieht. Eine Beleidigung liegt hier nicht vor.

(17) Die Äußerung "Die will auch nochmal Kind sein weil sonst keiner an die Eule ran geht!" ist eine mit dem Stilmittel der Ironie ausgedrückte Kritik an der im kommentierten Post wiedergegebenen Äußerung der Antragstellerin. Die Antragstellerin wird entgegen ihrer Meinung in dem Kommentar nicht wirklich zum Objekt sexueller Vorstellungen gemacht. Sicherlich macht sich der Kommentar ein wenig über die Antragstellerin lustig, eine Beleidigung liegt aber nicht vor.

(18) Die Bezeichnung der Antragstellerin als hohle Nuß, die entsorgt gehört und als Sondermüll, stellt sich als überspitzte Kritik dar. Da sich der Kommentar erkennbar auf die im Post wiedergegebene Äußerung bezieht und damit Sachbezug hat, stellt er sich nicht als diffamierend dar. Eine Beleidigung nach § 185 StGB ist nicht gegeben.

(19) Der Kommentar "Schlamper" stellt keine Beleidigung dar. Auf die Ausführungen unter (13) und (14) wird verwiesen.

(20) Der Kommentar "Ferck du Drecksau" steht in unmittelbaren Zusammenhang zu dem Post und nimmt Bezug auf den dort wiedergegebenen Zwischenruf der Antragstellerin. In diesem Zusammenhang stellt die Äußerung "Ferck du Drecksau" keine Beleidigung dar, wobei der unbefangene Durchschnittsleser nicht erkennen kann, was der Verfasser mit "Farck" hat schreiben wollen. Es kann "verrecke" sein, wie dies die Antragstellerin meint, zwingend ist dies aber nicht, es kann ebenso gut auch "Ferckel" sein.

(21) Der Kommentar "Sie alte perverse Drecksau!!!!! Schon bei dem Gedanken an sex mit Kindern muss das Hirn weglaufen !!!!! Ich glaube, das ist bei den Grünen auch so !!!!!" nimmt Bezug auf die im kommentierten Post wiedergegebene Äußerung der Antragstellerin, an der er Kritik übt. Daher stellt sich die Äußerung Drecksau als ausfallende Kritik dar, jedoch nicht als diffamierend und beleidigend i.S.d. § 185 StGB.

(22) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin versteht der unbefangene Durchschnittsleser den Kommentar "Sie wollte auch Mal die hellste Kerze sein, Pädodreck." nicht dahingehend, dass mit "Pädodreck" die Antragstellerin bezeichnet wird. Vielmehr bezeichnet dies ihre Äußerung. Die Antragstellerin war diejenige, die sich mit dem Zwischenruft hervortun wollte, eben auch einmal die hellste Kerze sein wollte. Heraus kam "Pädodreck". Die Bezeichnung "Pädodreck" stellt sich hiermit als Kritik zu der im Post wiedergegebenen Äußerung dar. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt nicht vor.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Nichtzulassungsbeschwerde im Rechtsstreit Erdogan gegen Böhmermann gegen Urteil des OLG Hamburg zurückgewiesen - Schmähgedicht

BGH
Beschluss vom 30. Juli 2019
VI ZR 231/18


Der BGH hat die Nichtzulassungsbeschwerde im Rechtsstreit Erdogan gegen Böhmermann gegen das Urteil des OLG Hamburg (siehe dazu: Volltext des Urteils des OLG Hamburg im Rechtsstreit Erdogan gegen Böhmermann wegen des Schmähgedichts liegt vor ) zurückgewiesen.

Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist zunächst erforderlich, damit Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt werden kann.

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof weist Nichtzulassungsbeschwerde im Fall Böhmermann zurück

Der unter anderem für den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat hat die gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg vom 15. Mai 2018 (7 U 34/17, veröffentlicht in AfP 2018, 335 ff.) von dem Beklagten eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.

Der klagende Präsident der Türkei nimmt den beklagten Moderator, Kabarettisten und Autor auf Unterlassung von in der Sendung "Neo Magazin Royale" vom 31. März 2016 in Form eines Gedichts ("Schmähkritik") vorgetragener Äußerungen in Anspruch. Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben der Unterlassungsklage überwiegend stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Beklagte Böhmermann mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung hat der Senat - wie üblich - gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Vorinstanzen:

LG Hamburg – Urteil vom 10. Februar 2017 – 324 O 402/16

OLG Hamburg – Urteil vom 15. Mai 2018 – 7 U 34/17



BVerfG: Falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verletzt die Meinungsfreiheit

BVerfG
Beschluss vom 14.06.2019
1 BvR 2433/17


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik die Meinungsfreiheit verletzt.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Verletzung der Meinungsfreiheit durch fälschliche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik

Grundsätzlich ist über die Frage, ob eine Äußerung als Beleidigung zu bestrafen ist oder von der Meinungsfreiheit geschützt ist, im Wege einer Abwägung zu entscheiden. Bei Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik tritt demgegenüber die Meinungsfreiheit von vornherein zurück; es bedarf hier ausnahmsweise keiner Abwägung im Einzelfall. Deshalb sind hinsichtlich des Vorliegens von Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden. Maßgeblich ist hierfür nicht einfach eine wertende Gesamtbetrachtung, sondern die Frage, ob die Äußerung einen Sachbezug hat. Nur wenn eine Äußerung der Sache nach allein auf die Diffamierung einer Person als solche, etwa im Rahmen einer Privatfehde zielt, kommt eine Beurteilung als Schmähung in Betracht; insoweit sind Anlass und Kontext der Äußerung zu ermitteln. Wenn die Äußerung hingegen – wie in der Regel – im Kontext einer Sachauseinandersetzung steht, bedarf es einer Abwägung, die die Bedeutung der Äußerung unter den konkreten Umständen des Einzelfalls gewichtet.

Vor diesem Hintergrund hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss der Verfassungsbeschwerde eines wegen Beleidigung Verurteilten stattgegeben, der die Verhandlungsführung einer Amtsrichterin mit nationalsozialistischen Sondergerichten und Hexenprozessen verglichen hatte. Dies war von den Fachgerichten unzutreffend als Schmähkritik eingeordnet worden, obwohl es sich nicht um eine reine Herabsetzung der Betroffenen handelte, sondern ein sachlicher Bezug zu dem vom Beschwerdeführer geführten Zivilprozess bestand.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war Kläger eines amtsgerichtlichen Zivilprozesses. In der Begründung eines Ablehnungsgesuchs schilderte er ausführlich seinen Eindruck, die Richterin habe einen vom Beklagten benannten Zeugen einseitig zu seinen Lasten vernommen und diesem die von ihr erwünschten Antworten gleichsam in den Mund gelegt. Er führte weiter aus, „die Art und Weise der Beeinflussung der Zeugen und der Verhandlungsführung durch die Richterin sowie der Versuch, den Kläger von der Verhandlung auszuschließen“ erinnerten stark an „einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten“. Die gesamte Verhandlungsführung der Richterin habe „eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als an ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren“ erinnert. Wegen dieser Äußerungen verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen. Berufung, Revision und Anhörungsrüge des Beschwerdeführers blieben erfolglos.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Entscheidungen der Gerichte verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

1. Die Äußerungen fallen in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit, da die polemische oder verletzende Formulierung einer Aussage diese grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts entzieht.

2. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gilt nicht vorbehaltlos, sondern findet nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, namentlich in dem der hier angegriffenen Verurteilung zugrunde liegenden § 185 StGB. Steht ein Äußerungsdelikt in Frage, so verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und der persönlichen Ehre des von der Äußerung Betroffenen andererseits droht. Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist. Sie erlaubt es insbesondere nicht, den Beschwerdeführer auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen.

Einen Sonderfall bei der Auslegung und Anwendung der §§ 185 ff. StGB bilden herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten wird. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge und eigenständige Maßstäbe anzuwenden. Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehre richten sich nach dem Kriterium des sachlichen Bezugs. Solange ein Bezug zu einer Sachauseinandersetzung besteht und sich die Äußerungen damit nicht – wie etwa im Fall der Privatfehde – auf eine bloße persönliche Diffamierung oder Herabsetzung der von der Äußerung Betroffenen beschränken, sind sie nicht als Schmähung einzustufen, sondern können sie nur nach Maßgabe einer umfassenden und einzelfallbezogenen Abwägung mit der Meinungsfreiheit als Beleidigung bestraft werden. Ob ein solcher sachlicher Bezug gegeben ist, ist unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung zu ermitteln.

3. Diesen Maßstäben genügen die Entscheidungen nicht. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind schon dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind. So liegt der Fall hier; die inkriminierten Äußerungen stellen keine Schmähkritik dar. Mit seinen Vergleichen richtete sich der Beschwerdeführer gegen die Verhandlungsführung der Richterin in dem von ihm betriebenen Zivilverfahren. Dieses bildete den Anlass der Äußerungen, die im Kontext der umfangreichen Begründung eines Befangenheitsgesuchs getätigt wurden. Die Äußerungen entbehren daher insofern nicht eines sachlichen Bezugs. Sie lassen sich wegen der auf die Verhandlungsführung und nicht auf die Richterin als Person gerichteten Formulierungen nicht sinnerhaltend aus diesem Kontext lösen und erscheinen daher nicht als bloße Herabsetzung der Betroffenen. Historische Vergleiche mit dem Nationalsozialismus oder Vorwürfe einer „mittelalterlichen“ Gesinnung können besonderes Gewicht im Rahmen der Abwägung haben, begründen aber nicht schon für sich besehen die Annahme des Vorliegens von Schmähkritik.

Die Ausführungen, mit denen das Landgericht eine Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB verneint, nehmen die unzutreffende Einordnung der Äußerung als Schmähung nicht zurück, sondern bauen auf ihr auf. Zwar hebt das Landgericht insoweit zutreffend das besondere Interesse des Beschwerdeführers an der Verteidigung seiner Rechtsansichten im „Kampf ums Recht“ hervor und berücksichtigt zu seinen Gunsten, dass die Äußerungen Dritten gegenüber nicht bekannt wurden. Indem es demgegenüber dann aber geltend macht, dass die gewählten Formulierungen für die Verteidigung der Rechtsansichten nicht erforderlich gewesen seien, knüpft es an seinem unzutreffenden Verständnis des Begriffs der „Schmähung“ als Ehrbeeinträchtigung, die durch die Sache nicht mehr geboten ist, an und verkennt, dass der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung seiner Meinungsfreiheit nicht auf das zur Begründung seiner Rechtsansicht Erforderliche beschränkt werden darf.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Volltext des Urteils des OLG Hamburg im Rechtsstreit Erdogan gegen Böhmermann wegen des Schmähgedichts liegt vor

OLG Hamburg
Urteil vom 15.05.2018
7 U 34/17


Wir hatten bereits in dem Beitrag OLG Hamburg: Erdogan gegen Böhmermann - Verbreitung von Teilen des Schmähgedichts bleiben auch nach Urteil im Berufungsverfahren untersagt über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des OLG Hamburg:

Auch bei einem einheitlichen, aus mehreren Äußerungen zusammengesetzten Werk kann eine Verletzung von Rechten anderer sich aus nur einzelnen dieser Äußerungen ergeben. Da ein Verbot an die konkrete Verletzungsform anknüpft, mag eine Untersagung des gesamten Werkes in Betracht kommen, wenn die beanstandeten Textteile für die Gesamtkonzeption des Werks oder für das Verständnis des mit ihm verfolgten Anliegens von Bedeutung sind; zwingend ausgesprochen werden muss so ein Gesamtverbot aber nicht, zumal die Beschränkung des Verbots auf einzelne Teile der Gesamtäußerung den Verbreiter weniger belastet als ein Gesamtverbot.

Satire kann, muss aber nicht Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG sein Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG ist eine satirische Äußerung nur dann, wenn sie die weiteren Voraussetzungen des verfassungsrechtlich maßgeblichen Kunstbegriffs erfüllt, also ein Werk ist, das ein Produkt freier schöpferischer Gestaltung ist, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden, indem Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammenwirken.

Die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG garantierte Meinungsfreiheit im allgemeinen und die Freiheit der Äußerung satirischer Beiträge im besonderen schützt die Äußerung von Kritik in einer pointierten, polemischen und überspitzten Weise. Dieser Schutz setzt aber voraus, dass mit der Äußerung auch wirklich eine Kritik vorgebracht wird, sie Elemente enthält, die einen Bezug zu dem Gegenstand der Kritik aufweisen. Je weiter sich der Gehalt einer Äußerung von dem Gegenstand der Kritik entfernt und sich ohne Bezug auf diesen auf die bloße Herabsetzung der Person des Kritisierten fokussiert, desto geringer wird das für den Äußernden streitende Gewicht der Meinungsfreiheit gegenüber dem Gewicht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der von der Äußerung betroffenen Person.

Das Aussprechen von Beleidigungen mit dem erkennbaren Zweck, die von ihnen betroffene Person verächtlich zu machen, ist auch dann rechtswidrig, wenn ihr die Ankündigung vorausgeht, jetzt werde lediglich ein Beispiel für solche Arten von Äußerungen gegeben, die rechtlich nicht zulässig seien.

Die Weiterverbreitung rechtswidriger Äußerungen durch dritte massenmediale Verbreiter führt nicht dazu, dass der von ihnen betroffenen Person kein Unterlassungsanspruch mehr gegen den Erstverbreiter zustünde. Es wäre mit dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht vereinbar, wenn das rechtswidrige Aussprechen der Beleidigung eines anderen deswegen rechtmäßig werden sollte, weil in den Medien über die Folgen dieser Beleidigung unter Wiedergabe ihres Wortlauts berichtet wird.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG Hamburg: Erdogan gegen Böhmermann - Verbreitung von Teilen des Schmähgedichts bleiben auch nach Urteil im Berufungsverfahren untersagt

OLG Hamburg
Urteil vom 15.05.2018
7 U 34/17


Das OLG Hamburg hat im Berufungsverfahren im Rechtsstreit zwischen Erdogan gegen Böhmermann die Entscheidung des LG Hamburg bestätigt. Danach ist Jan Böhmermann die weitere Verbreitung von Teilen seines Schmähgedichts aus der Sendung Neo Magazin Royale weiterhin untersagt. Ein vollständiges Verbot des Gedichts, wie es von Seiten Erdogans gefordert wurde, lehnte das OLG Hamburg jedoch ab.

Die Pressemitteilung des OLG Hamburg:

"Entscheidung des Landgerichts im Fall Erdoğan gegen Böhmermann bestätigt

Im Verfahren über die Unterlassungsklage des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gegen den TV-Moderator Jan Böhmermann hat das Hanseatische Oberlandesgericht heute das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 10. Februar 2017 bestätigt. Danach bleibt es Böhmermann untersagt, sich über den Kläger wie in Teilen des Satire-Gedichts „Schmähkritik“ aus der Sendung „Neo Magazin Royale“ vom 31. März 2016 geschehen zu äußern. Die fraglichen Passagen beinhalten schwere Herabsetzungen mit Bezügen zum Intimen und Sexuellen, für die es in der Person oder dem Verhalten des Klägers keinerlei tatsächliche Anknüpfungspunkte gibt. Anders als die übrigen Verse, die tatsächliches Verhalten Erdoğans in satirischer Weise kritisieren und daher hinzunehmen sind, dienen die untersagten Äußerungen allein dem Angriff auf die personale Würde und sind deshalb rechtswidrig. Mit dieser Entscheidung hat der 7. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts sowohl die Berufung Böhmermanns gegen das landgerichtliche Urteil (siehe dazu die Pressemitteilung vom 10. Februar 2017) als auch das Rechtsmittel Erdoğans zurückgewiesen, der das Ziel verfolgt, Böhmermann sämtliche in dem Gedicht enthaltenen Äußerungen in Bezug auf seine Person untersagen zu lassen.

Die Berufungsentscheidung beruht auf einer Abwägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit, die der Beklagte für seine Kritik am Kläger und der von ihm geführten Regierung in Anspruch nehmen kann. Der Kläger hat seinerseits das Recht, nicht mit herabsetzenden Werturteilen bedacht zu werden, die mit der Achtung seiner Persönlichkeit - oder gar mit seiner Menschenwürde - nicht mehr vereinbar sind. Unabhängig von der Frage, ob der Beklagte sich auf die Kunstfreiheit berufen kann, ist das Gedicht als Satire im Rahmen der Meinungsfreiheit an Maßstäben zu messen, die dem Effekt der Verfremdung und Übertreibung Rechnung tragen. Die Äußerung von Kritik in einer pointierten, polemischen und überspitzten Weise ist umso stärker geschützt, je deutlicher die satirische Einkleidung einen Bezug zum Gegenstand der Kritik aufweist oder die kritisierte Person selbst Veranlassung für die Einkleidung gegeben hat. Umgekehrt gewinnt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen umso mehr an Gewicht, je weiter die satirische Einkleidung von dem Gegenstand der Kritik entfernt ist und sich auf die bloße Herabsetzung der Person des Kritisierten fokussiert.

Das Gedicht ist im Gesamtkontext der Sendung zu sehen, die sich mit dem Unterschied zwischen zulässiger und unzulässiger Meinungsäußerung befasst und dem Kläger vorwirft, auf die zuvor in der Sendung „extra 3“ geübte Kritik an seiner Herrschaft durch Einbestellung des deutschen Botschafters als Betroffener einer zulässigen Meinungsäußerung überzogen reagiert zu haben. Es handelt sich eben nicht um eine vorlesungs- oder seminarähnliche Demonstration möglicher Arten von Meinungsäußerungen. Vielmehr soll konkrete Kritik am Kläger geübt und gerade am Beispiel seiner Person demonstriert werden, welche Art von unzulässigen Meinungsäußerungen es gebe. Hierzu werden Beschimpfungen aneinander gereiht, die vorher und in Einschüben während des Vortrags als unerlaubt charakterisiert werden und jeweils für sich einen herabsetzenden Inhalt haben. Jede dieser Meinungsäußerungen kann isoliert mit einem Verbot belegt werden, wenn sie im jeweiligen Gesamtkontext unzulässig ist. Weder die Sendung insgesamt noch das Gedicht bildet ein einheitliches, untrennbares Werk, dessen Zulässigkeit nur insgesamt beurteilt werden könnte.

Für die einzelnen Verse des Gedichts ist danach ausschlaggebend, ob ein sachlicher Gehalt mit Bezug zu der Kritik am Kläger erkennbar ist und dieser sachliche Gehalt ausreicht, den in der jeweiligen Einkleidung liegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers aufzuwiegen. Das ist bei der Verwendung herabsetzender Bilder aus dem Intim- und Sexualbereich, für die es in der Person des Klägers und seinem Verhalten weder Anknüpfung noch Veranlassung gibt, nicht der Fall. Die Äußerungen stellen ungeachtet des vom Beklagten vorangestellten Vorbehalts, nicht beleidigen zu wollen, tatsächlich schwere Persönlichkeitsrechtsverletzungen dar. Der übergeordnete Aussagegehalt des „Schmähgedichts“ und die vorangestellte Erklärung, mit diesem nur zeigen zu wollen, welche Arten rechtlich unzulässiger Äußerungen es gebe, rechtfertigen derart schwere Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht.

Das Berufungsurteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts ist nicht rechtskräftig. Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht kann Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt werden."


BVerfG: Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik ohne Abwägung verletzt Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. Satz 1 GG

BVerfG
Beschluss vom 08.02.2017
1 BvR 2973/14


Das Bundesverfassungsgericht hat nochmals klargestellt, dass die Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik ohne Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Äußernden und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eine Verletzung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. Satz 1 GG darstellt.

Dieser Beschluss veranschaulicht, weshalb das geplante Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) verfassungsrechtlich unzulässig und zum Scheitern verurteilt ist.

Die Pressemitteilung des BVerfG:

Die falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verkürzt den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit

Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden und damit einer Verfassungsbeschwerde gegen die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung stattgegeben.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war Versammlungsleiter einer ordnungsgemäß angemeldeten Demonstration aus dem rechten Spektrum in Köln. Die Demonstration stieß auf zahlreiche Gegendemonstranten. Unter diesen war auch ein Bundestagsabgeordneter der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor Ort, um die Durchführung des Aufzuges aktiv zu verhindern. Er bezeichnete die Teilnehmer der Demonstration mehrfach wörtlich und sinngemäß als „braune Truppe“ und „rechtsextreme Idioten“. Der Beschwerdeführer äußerte sich über den Bundestagsabgeordneten wörtlich wie folgt:

„Ich sehe hier einen aufgeregten grünen Bundestagsabgeordneten, der Kommandos gibt, der sich hier als Obergauleiter der SA-Horden, die er hier auffordert. Das sind die Kinder von Adolf Hitler. Das ist dieselbe Ideologie, die haben genauso angefangen.“

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung in Form einer Schmähkritik zu einer Geldstrafe. Auf die Berufung des Beschwerdeführers verwarnte das Landgericht den Beschwerdeführer und behielt sich die Verurteilung zu einer Geldstrafe vor. Die Revision zum Oberlandesgericht blieb erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die gerichtlichen Entscheidungen und rügt im Wesentlichen die Verletzung seiner Meinungsfreiheit.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

1. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr darf Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen. Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind.

2. Die Gerichte ordnen die Äußerung des Beschwerdeführers in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Weise als Schmähkritik ein und unterlassen die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von der Äußerung Betroffenen. Die angegriffenen Entscheidungen verkennen, dass der Beschwerdeführer mit seiner Äußerung auch das Handeln des Geschädigten kommentierte, der sich maßgeblich an der Blockade der vom Beschwerdeführer als Versammlungsleiter angemeldeten Versammlung beteiligte und die Teilnehmenden auch seinerseits als „braune Truppe“ und „rechtsextreme Idioten“ beschimpft hatte. Es ging dem Beschwerdeführer nicht ausschließlich um die persönliche Herabsetzung des Geschädigten. Bereits die unzutreffende Einordnung verkennt Bedeutung und Tragweite der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit.

3. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf diesem Fehler. Wie diese Abwägung ausgeht, ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Bei erneuter Befassung wird auf der einen Seite das Vorverhalten des Geschädigten, der aktiv eine Demonstration verhindern wollte, wie auf der anderen Seite das schwere Gewicht einer Ehrverletzung zu berücksichtigen sein, das in einem individuell adressierten Vergleich mit Funktionsträgern des nationalsozialistischen Unrechtsregimes liegt.

LG Hamburg: Erdogan gegen Böhmermann - Verbreitung von Teilen des Schmähgedichts bleiben auch nach Urteil im Hauptsachverfahren untersagt

LG Hamburg
Urteil vom 10.02.2017
324 O 402/16


Das LG Hamburg hat im Hauptsacheverfahren im Rechtsstreit zwischen Erdogan gegen Böhmermann seine im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Entscheidung bestätigt. Danach ist Jan Böhmermann die weitere Verbreitung von Teilen seines Schmähgedichts aus der Sendung Neo Magazin Royale weiterhin untersagt.

Die Entscheidung ist angesichts der Entscheidungspraxis des LG Hamburg nicht überraschend. Es bleibt aber abzuwarten, ob die Entscheidung den weiteren Weg durch die Instanzen übersteht.

Siehe zum einstweiligen Verfügungsverfahren Volltext LG Hamburg in dem Rechtsstreit zwischen Erdogan und Böhmermann liegt vor - Schmähgedicht nach Ansicht des Gerichts in weiten Teilen unzulässige Schmähkritik

Die Pressemitteilung des LG Hamburg:

Im Verfahren über die Unterlassungsklage des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gegen den TV-Moderator Jan Böhmermann wird mitgeteilt:

LG Hamburg bestätigt im Hauptsacheverfahren Erdoğan ./. Böhmermann die Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren

Der Beklagte, der Fernsehmoderator Jan Böhmermann, hat in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ ein als „Schmähkritik“ bezeichnetes Gedicht verlesen, in dem er sich mit dem Kläger, dem Präsidenten der türkischen Republik, befasst. Auslöser des Gedichtes war die Einbestellung des deutschen Botschafters aufgrund eines im ZDF ausgestrahlten Beitrages, der ebenfalls den Kläger zum Gegenstand hat. Die Verlesung des Gedichtes unterbrach der Beklagte mehrfach durch Gespräche mit seinem sogenannten Sidekick Kabelka. Das Gedicht wurde durch Untertitel in die türkische Sprache übersetzt.

Der Kläger ist der Ansicht, dass er schwer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden sei. Das Gedicht sei schlicht rassistisch. Mit einem Großteil der Beschimpfungen würden Türken seit Jahrzehnten beleidigt. Durch die Erklärung des Beklagten in der Sendung „Das kann bestraft werden“ würden übelste Beschimpfungen nicht zu einer zulässigen Satire. Auch der Rechtsbruch zur Illustration sei ein Rechtsbruch.

Der Beklagte hat geltend gemacht, dass er sich auf die Meinungs- und Kunstfreiheit berufen könne. Das Gedicht sei im Gesamtkontext zu beurteilen. Es trage zur öffentlichen Meinungsbildung über die Grenzen von Satire bei. Es sei zudem der Umgang des Klägers mit seinen Kritikern zu berücksichtigen; der Kläger habe die Unterdrückung kritischer Stimmen auf die Spitze getrieben.

Das Gericht hat in seinem heute verkündeten Urteil dieselben Passagen wie im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren untersagt, der Klage – der Kläger wollte das Gedicht insgesamt untersagen lassen – wurde daher nur teilweise stattgegeben. Es hat festgestellt, dass für den Beklagten die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG streitet und dass der Fernsehbeitrag Satire ist. Ob der Beklagte sich außerdem auf die – anders als die Meinungsfreiheit – vorbehaltlos gewährte Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG berufen kann, hat die Kammer offen gelassen, da dies zu keiner anderen Entscheidung geführt hätte. Zugunsten des Beklagten hat die Kammer bei der vorzunehmenden Abwägung angenommen, dass jener sich auf die Kunstfreiheit berufen kann. Dennoch falle die Abwägung hinsichtlich der untersagten Passagen zu seinen Lasten aus. Zu Gunsten des Klägers hat das Gericht hinsichtlich der nicht untersagten Passagen angenommen, dass die Kunstfreiheit nicht für den Beklagten streitet. Dennoch falle insoweit die Abwägung zu Lasten des Klägers aus.

Die Kunstfreiheit – so das Gericht – sei nach dem Bundesverfassungsgericht zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos. Wenn sie mit anderen Werten wie dem verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht kollidiere, auf das sich auch der Kläger als Ausländer berufen könne, so bedürfe es einer Abwägung. Hierbei sei zu beachten, dass Satire einen großen Freiraum beanspruchen dürfe. Auch eine durch die Kunstfreiheit geschützte Satire könne jedoch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen so in seinem Kernbereich berühren, dass sie zu untersagen sei.
Bei der vorzunehmenden Abwägung hat das Gericht den Gesamtkontext berücksichtigt, in den das Gedicht eingebettet ist, d.h. u.a. den Diskurs des Beklagten mit seinem Sidekick über die Meinungsfreiheit, den Hintergrund mit dem Porträt des Klägers und der türkischen Flagge sowie die Vorgeschichte mit der Einbestellung des deutschen Botschafters. Bei der Abwägung spielte auch der Umgang des Klägers mit Kritikern eine zentrale Rolle.
Das Gericht betont weiterhin, dass gerade der Kläger als Staatsoberhaupt sich auch besonders heftige Kritik gefallen lassen müsse, da die Meinungsfreiheit aus dem besonderen Bedürfnis der Machtkritik erwachsen sei.

Unter Berücksichtigung des vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstabes müsse der Kläger die untersagten Passagen nicht mehr hinnehmen. Zwar erkenne der Zuschauer, dass beispielsweise die in das Absurde gewendeten Beschreibungen des Sexuallebens des Klägers keinen realen Bezug hätten, aber Beleidigungen oder Beschimpfungen müsse der Betroffene nicht bereits deswegen hinnehmen, weil sie ersichtlich nicht ernst gemeint seien. Im Vordergrund stehe nicht nur die sexuelle Komponente, der Kläger werde als sexbesessene Person dargestellt, sondern es würden zudem als inakzeptabel geltende sexuelle Verhaltensweisen auf den Kläger bezogen, wie „Kinderpornos schauen“. Der Kläger werde auf eine Stufe mit den beiden im Gedicht genannten österreichischen Sexualstraftätern gestellt. Es würden darüber hinaus nicht nur gegenüber Türken bestehende Vorurteile aufgegriffen, sondern der Kläger werde noch unterhalb eines Schweins bzw. „Schweinefurzes“ stehend beschrieben. Es sei allgemein bekannt, dass für einen Moslem die Verbindung zu einem Schwein besonders verletzend sei. Es werde auch davon ausgegangen, der Beklagte habe gewusst, dass seine Antwort „Dies mache doch keiner“ auf den Einwurf seines Sidekicks, das Gedicht werde doch nicht im Internet verbreitet werden, gerade nicht zutreffe. Das in Rede stehende Setting sei daher mit einer ansonsten üblichen juristischen Diskussion über die Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit nicht vergleichbar.

Das Gericht führt in seinem Urteil aus, dass die Entscheidungen im strafrechtlichen Verfahren nicht gegen die Untersagung sprächen, da die Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft die Frage der Zulässigkeit der Darbietung gerade offen gelassen und eine Einstellung damit begründet hätten, dass kein Vorsatz anzunehmen sei. Die Frage eines Vorsatzes sei für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch jedoch ohne Bedeutung. Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die zum Gegenstand hatte, ob ein Verteidiger eine Staatsanwältin gegenüber einem Journalisten u.a. als „durchgeknallt“ bezeichnen dürfe, führe nicht zu einem anderem Ergebnis, da die Kammer, wie bereits im Beschluss zum einstweiligen Verfügungsverfahren ausgeführt, eine Auseinandersetzung in der Sache und damit keine Schmähkritik festgestellt habe. In dem fraglichen Beschluss mache das Bundesverfassungsgericht außerdem deutlich, dass allein die Tatsache, dass keine Schmähkritik vorliege, nicht die Zulässigkeit der Äußerung bedeute.

Die nicht untersagten Passagen erreichen nach Ansicht des Gerichtes nicht die notwendige Schwere, um sie zu untersagen. Zu Lasten des Klägers wirke sich hierbei insbesondere seine Politik in Hinblick auf Kritiker und seine Stellung als Politiker aus.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bestehe nur ein Anspruch auf Untersagung, soweit eine Rechtsverletzung vorliege und nicht darüber hinaus. Die Klage, die auch rechtmäßige Passagen zum Gegenstand habe, werde daher zum Teil abgewiesen. Die Rechtsprechung habe lediglich in Ausnahmefällen nicht nur die einzelnen rechtswidrigen Passagen untersagt, sondern das gesamte Werk, wenn durch eine Untersagung nur der rechtswidrigen Aussagen in die künstlerische Gesamtkonzeption unverhältnismäßig eingegriffen worden wäre. Letzteres sei hier nicht der Fall. Das Gedicht bleibe auch ohne die untersagten Passagen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die konkrete Einbettung fortbestehe, verständlich und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kläger. Wenn eine Aufteilung nicht für möglich erachtet werden würde, hätte dies zudem nicht zur Folge, dass der Unterlassungsanspruch trotz der festgestellten Rechtswidrigkeit insgesamt abzuweisen wäre, sondern es wäre ihm insgesamt stattzugeben.



Auch Generalstaatsanwaltschaft Koblenz stützt Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Jan Böhmermann in Sachen Erdogan

Auch die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz bejaht zutreffend die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen Jan Böhmermann in Sachen Erdogan.

Die Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz:

Generalstaatsanwaltschaft Koblenz weist Beschwerde des türkischen Staatspräsidenten gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Jan Böhmermann zurück
Mit Bescheid vom 04.10.2016 stellte die Staatsanwaltschaft Mainz das Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten ein. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des türkischen Staatspräsidenten hat die Generalstaatsanwaltschaft mit Entscheidung vom 13.10.2016 als unbegründet zurückgewiesen.

Der zu beurteilende Sachverhalt wirft komplexe verfassungsrechtliche und strafrechtliche Fragestellungen auf, die die Staatsanwaltschaft Mainz im Ergebnis zutreffend und im Einklang mit der Rechtsprechung beantwortet hat. Ihre Wertung, die in der Pressemitteilung der Behörde vom 04.10.2016 eingehend begründet wurde, ein strafbares Verhalten sei letztlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen, ist auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung nicht zu beanstanden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hält deshalb für den Fall einer Anklageerhebung eine Verurteilung des Beschuldigten nicht für wahrscheinlicher als seinen Freispruch. Bei dieser Einschätzung der Erfolgsaussichten einer Anklage konnte die Beschwerde keinen Erfolg haben.

Eine eingehende Darstellung der Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft finden Sie unter:

Anlage Presseerklärung

Gegen die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft steht dem türkischen Staatspräsidenten das Klageerzwingungsverfahren offen. Sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung an das Oberlandesgericht Koblenz müsste binnen eines Monats gestellt werden.


Die Rechtliche Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft finden Sie hier:

Staatsanwaltschaft Mainz: Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann wegen angeblicher Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten Erdogan eingestellt

Die Staatsanwaltschaft Mainz hat das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann wegen der angeblichen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten Erdogan durch das Schmähgedicht in der Sendung Neo Magazin Royale völlig zu Recht eingestellt.

Die Pressemitteilung des Staatsanwaltschaft Mainz:

Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts eingestellt

Die Staatsanwaltschaft Mainz hat das Ermittlungsverfahren gegen den Moderator Jan Böhmermann wegen des Vorwurfs der Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen waren strafbare Handlungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen. Die Ermittlungen haben auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für strafbare Handlungen anderer an der Entstehung oder Ausstrahlung des Beitrages beteiligte Personen ergeben.
Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war ein am 31. März 2016 auf dem Kanal „ZDFneo“ des Zweiten Deutschen Fernsehens ausgestrahlter Beitrag in der Sendung "Neo Magazin Royale". In diesem befasste sich der Beschuldigte unter anderem mit der Reaktion des türkischen Staatspräsidenten auf einen in dem Magazin „extra3“ des Norddeutschen Rundfunks am 17. März 2016 ausgestrahlten Beitrag, wobei er auch ein so genanntes „Schmähgedicht“ vorgetragen hat.

Der Staatspräsident der Republik Türkei hat wegen dieses Sachverhalts am 8. April 2016 Strafantrag wegen Beleidigung nach § 185 des Strafgesetzbuches gestellt. Ferner hat die Bundesregierung am 13. April 2016 die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten nach § 103 des Strafgesetzbuches erteilt; mit Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 7. April 2016 hatte die türkischen Regierung das entsprechende Strafverlangen erklärt.

Das Zweite Deutsche Fernsehen als betroffene Sendeanstalt hat am 14. April 2016 eine Stellungnahme zur Sach- und Rechtslage abgegeben und der Beschuldigte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 1. September 2016 zu dem Tatvorwurf Stellung genommen.

Die Einstellung des Verfahrens beruht im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen:

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen wird sich der Tatnachweis eines Beleidigungsdeliktes nach §§ 103, 185 Strafgesetzbuch - insbesondere hinsichtlich der inneren Tatseite, also des erforderlichen Vorsatzes - nicht mit dem für eine strafgerichtliche Verurteilung erforderlichen Maß an Gewissheit führen lassen.

Es ist bereits fraglich, ob der objektive Tatbestand eines Beleidigungsdeliktes nach §§ 103, 185 Strafgesetzbuch in rechtswidriger Weise erfüllt ist. Dies erfordert die Äußerung eines herabwürdigenden persönlichen Werturteils über einen Dritten oder eine entsprechende Tatsachenbehauptung. Insoweit müsste es um ein eigenes Unwerturteil oder ein solches handeln, das sich der Äußernde zu Eigen macht; gleiches würde für Tatsachenbehauptungen gelten.

Dagegen könnte bereits sprechen, dass der Beitrag vom 31. März 2016 als Beispiel für eine Überschreitung der Meinungsfreiheit dienen sollte und daher weder ausdrücklich eine Ansicht des Beschuldigten im Hinblick auf persönliche Eigenschaften des türkischen Staatspräsidenten wiedergeben noch - wenn auch überzogene satirische - Zuweisungen enthalten sollte.

Zudem fehlt es es bei Karikatur oder Satire am Merkmal der Beleidigung, wenn die Überzeichnung menschlicher Schwächen eine ernsthafte Herabwürdigung der Person nicht enthält.

Im Rahmen der Prüfung, ob ein Beleidigungsdelikt objektiv in strafbarer Weise verwirklicht ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen, ob und inwieweit die Grundrechte aus Artikel 5 Abs. 1 und 3 Grundgesetz, also Meinungs- und Kunstfreiheit eine die Strafbarkeit begrenzende Wirkung entfalten.

Unter den Schutz der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt, es findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch §§ 103, 185 Strafgesetzbuch gehören. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Strafvorschriften muss indes das eingeschränkte Grundrecht wiederum interpretationsleitend berücksichtigt werden, damit dessen wertsetzender Gehalt auch bei der Rechtsanwendung gewahrt bleibt. Dies verlangt grundsätzlich eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits. Dabei ist zu beachten, dass Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf. Insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist. Dies gilt insbesondere in allen Angelegenheiten von öffentlichem Interesse und im politischen Meinungskampf.

Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrschutz zurücktreten wird. Diese die Meinungsfreiheit beschneidende Folge gebietet es indes von verfassungswegen hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzulegen. Auch überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung zur Meinungsfreiheit gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben.

Überdies dürfte der Schutzbereich der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz eröffnet sein. Als das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die „freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“, anzusehen. Ob die Darbietung auch Äußerungen enthält, die bei isolierter Betrachtung Meinungsäußerungen darstellen, ist hierbei nicht maßgeblich. Dass mit einem Kunstwerk eine bestimmte Meinung zum Ausdruck gebracht wird, nimmt ihm nicht die Eigenschaft als Kunstwerk.

Der in Rede stehende Beitrag dürfte als satirische Darbietung diesen Anforderungen genügen. Dabei ist es der Kunstgattung der Satire und Karikatur wesenseigen, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten; daher erfordert ihre rechtliche Beurteilung die Entkleidung des in “Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes”, um ihren eigentlichen Inhalt zu ermitteln. Dieser Aussagekern und seine Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Missachtung gegenüber der karikierten Person enthalten. Dabei muss beachtet werden, dass die Maßstäbe für die Beurteilung der Einkleidung anders und im Regelfall weniger streng sind, als die für die Bewertung des Aussagekerns; denn ihr ist die Verfremdung wesenseigen.

Entstehungsgeschichte, aktuelle zeitgeschichtliche Einbindung und die konkrete über das bloße Vortragen des so genannten „Schmähgedichts“ hinausgehende Gestaltung des Beitrages ziehen in Anwendung dieser verfassungsrechtlichen Prinzipien die Verwirklichung des objektiven Straftatbestandes in Zweifel.

Letztlich kann dies jedoch offen bleiben, da dem Beschuldigten jedenfalls ein vorsätzlich beleidigendes Handeln nicht nachzuweisen ist. Der Vorsatz muss das Bewusstsein umfassen, dass eine Äußerung nach ihrem objektiven Sinn eine Missachtung einer Person darstellt. Dass es einem Täter um Kritik an tatsächlichen oder auch nur angeblichen Missständen geht, schließt - bedingten - Vorsatz nicht aus. Andererseits genügt nicht, dass ein Täter weiß oder damit rechnet, dass der Adressat oder Dritte eine Äußerung als ehrverletzend empfindet. Ein Täter muss vielmehr den (objektiv) beleidigenden Charakter der Äußerung als solchen wollen oder in Kauf nehmen.

Der Beschuldigte hat sich dahingehend eingelassen, es sei ihm an einer derart übertriebenen und von der konkreten Person abgelösten Darstellung gelegen gewesen, dass die fehlende Ernstlichkeit und das Fehlen eines ernst gemeinten Bezuges zur persönlichen Ehre der Person jedem Hörer unmittelbar erkennbar sein sollten und sofort klar werde, dass es sich um einen Witz oder Unsinn handele.

Diese Einlassung wird durch die objektiv feststellbaren Umstände, nämlich den Inhalt des Stückes, seine Entstehung und die Art der Darbietung gestützt. Maßgebend insoweit ist, wie ein verständiger Dritter unter Beachtung der Begleitumstände und des Gesamtzusammenhangs die Äußerungen versteht. Insoweit ist bereits zu berücksichtigen, dass der Beitrag Bestandteil einer bekanntermaßen satirischen Fernsehsendung war und ein durchschnittlich informiertes verständiges Publikum mithin davon ausgehen dürfte, dass dort getätigte Äußerungen vielfach mit Übersteigerungen und Überspitzungen einhergehen und ihnen die Ernstlichkeit häufig fehlt. Von einem solchen Empfängerhorizont dürfte auch der Beschuldigte ausgegangen sein; zumal er den Charakter der Sendung im Rahmen des Beitrages durch die wiederholte Bezeichnung des Formats als „Quatsch-Sendung“ hervorhob.

Bereits dies lässt eine ernst gemeinte Herabwürdigung als nicht naheliegend erscheinen. Ferner findet sich in dem Text des so genannten „Schmähgedichts“ selbst eine geradezu absurde Anhäufung vollkommen übertriebener, abwegig anmutender Zuschreibungen negativ bewerteter Eigenschaften und Verhaltensweisen, denen jeder Bezug zu tatsächlichen Gegebenheiten - offensichtlich beabsichtigt - fehlt. Mit Blick auf die somit bewusst vorgenommenen, in der Tat „unsinnig“ und absurd wirkenden Übertreibungen wird mangels entgegenstehender Erkenntnisquellen nicht zu belegen sein, dass der Beschuldigte einen ernstlichen Angriff auf den personalen oder sozialen Achtungs- und Geltungsanspruch des türkischen Staatspräsidenten billigend in Kauf nahm.

Vor diesem Hintergrund scheiden auch strafbare Handlungen sonstiger an der Schaffung und Sendung des Beitrages beteiligter Personen aus.

Das Ermittlungsverfahren war daher gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung einzustellen.

VG Berlin: Im Fall Böhmermann bleibt interne juristische Einschätzung der Bundesregierung unter Verschluss - kein Anspruch der Presse auf Mitteilung weiterer Einzelheiten

VG Berlin
27 L 324.16


Das VG Berlin hat entschieden, dass die interne juristische Einschätzung der Bundesregierung im Fall Böhmermann unter Verschluss bleibt. Die Presse hat - so das Gericht - keinen Anspruch auf Mitteilung von Einzelheiten. Das Gericht wies einen entsprechenden Eilantrag des Tagesspiegels zurück.

OLG Köln: Kein Unterlassungsanspruch des türkischen Staatspräsidenten Recep Erdogan gegen Mathias Döpfner wegen Solidarisierung mit Jan Böhmermann - Schmähgedicht

OLG Köln
Beschluss vom 21.06.2016
15 W 32/16


Das OLG Köln hat entschieden, dass der türkische Staatspräsident Recep Erdogan gegen den Vorstandsvorsitzenden des Axel Springer Verlags Mathias Döpfner keinen Unterlassungsanspruch hat. Dieser hatte sich auf der Internetseite der WELT mit Jan Böhmermann solidarisiert und sich den Inhalten des Schmähgedichts angeschlossen. Dies ist - so das Gericht - von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt.

Die Pressemitteilung des OLG Köln:

Beschwerde von Präsident Erdogan erfolglos

Das Oberlandesgericht Köln hat die sofortige Beschwerde des türkischen Staatspräsidenten Recep Erdogan gegen einen Beschluss des Landgerichts Köln zurückgewiesen. Erdogan hatte vor dem Landgericht erfolglos den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Vorstandsvorsitzenden des Springer Verlags, Mathias Döpfner, beantragt. Döpfner hatte auf der Internetseite der Zeitung "Die Welt" seine Solidarität mit Jan Böhmermanns "Schmähgedicht" bekundet und in einem "PS" erklärt, er wolle sich "vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen."

In seiner Entscheidung vom heutigen Tag hat der 15. Zivilsenat die erstinstanzliche Abweisung des Antrags bestätigt. Wie das Landgericht bewertet auch das Oberlandesgericht den "offenen Brief" des Antragsgegners als eine von Artikel 5 des Grundgesetzes geschützte zulässige Meinungsäußerung. Es handele sich bei dem Brief zuvorderst um eine Stellungnahme zur rechtlichen Zulässigkeit des Beitrags von Jan Böhmermann in dessen Sendung "Neo Magazin Royale". Dass der Antragsgegner den Beitrag von Jan Böhmermann gutheiße, sei vom Grundgesetz als zulässige Meinungsäußerung geschützt.

Auch das "PS" des Briefes führe nicht zu einem Unterlassungsanspruch. Im Presserecht kann das "Zu-Eigen-Machen" einer fremden Äußerung zwar zu einer erhöhten Verantwortlichkeit führen. Ein solcher Fall sei hier aber nicht gegeben. Denn auch das Post Scriptum sei Teil der Auseinandersetzung um die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Meinungs- und Kunstfreiheit sowie um die Diskussion hierüber im Anschluss an das "Gedicht" von Herrn Böhmermann. Gegen ein "Zu-Eigen-Machen" im presserechtlichen Sinne spreche schon, dass der Antragsgegner das Gedicht in seiner satirischen Einkleidung nicht wiederholt habe. Vielmehr gehe es dem Antragsgegner erkennbar darum kundzutun, dass er das Gedicht in der von Herrn Böhmermann vorgetragenen Form für Satire und damit für zulässig halte. Dass der Antragsgegner das Gedicht ohne satirische Einkleidung für zulässig halte, sei dagegen weder behauptet noch ersichtlich.

Eine andere rechtliche Bewertung folgt auch nicht daraus, dass der offene Brief das Wort "Ziegenficker" enthält. Denn mit dem Begriff habe der Antragsgegner lediglich eine Passage des Gedichts in Bezug genommen und nicht den Antragsteller bezeichnet.

Der Senat hat in der Entscheidung keine Aussage dazu getroffen, wie die Äußerungen von Jan Böhmermann selbst rechtlich zu bewerten sind. Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben. Es kann aber - wie bei jeder letztinstanzlichen Entscheidung - Verfassungsbeschwerde eingelegt werden.

Landgericht Köln: Beschluss vom 10.05.2016 Az. 28 O 126/16

Oberlandesgericht Köln: Beschluss vom 21.06.2016, Az. 15 W 32/16

Volltext LG Hamburg in dem Rechtsstreit zwischen Erdogan und Böhmermann liegt vor - Schmähgedicht nach Ansicht des Gerichts in weiten Teilen unzulässige Schmähkritik

LG Hamburg
Beschluss vom 17.05.2016
324 O 255/16


Wir hatten bereits in dem Beitrag "LG Hamburg: Erdogan vs Böhmermann - Einstweilige Verfügung untersagt Wiederholung des Schmähgedichts in weiten Teilen - nicht rechtskräftig" über die Entscheidung berichtet. Die Bedenken gegen diese Entscheidung bleiben. Der weitere Weg durch die Instanzen im Hauptsacheverfahren bleibt abzuwarten.


Der Volltext der Entscheidung:

In der Sache ... beschließt das Landgericht Hamburg - Zivilkammer 24 - durch die Vorsitzende Richterin am
Landgericht …, die Richterin am Landgericht … und den Richter am Landgericht … am 17.05.2016:

I. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,--, und für den Fall, dass dies nicht beigetrieben
werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,--; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) untersagt, in Bezug auf den Antragsteller zu äußern und/oder äußern zu lassen:

„Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner,
selbst ein Schweinefurz riecht schöner.
[...]
Am liebsten mag er Ziegen ficken,
[...]
und dabei Kinderpornos schauen.
Und selbst abends heisst's statt schlafen,
Fellatio mit hundert Schafen.
Ja, Erdoğan ist voll und ganz,
ein Präsident mit kleinem Schwanz.
[...]
Jeden Türken hört man flöten,
die dumme Sau hat Schrumpelklöten.
Von Ankara bis Istanbul,
weiß jeder, dieser Mann ist schwul,
pervers, verlaust und zoophil
Recep Fritzl Priklopil.
Sein Kopf so leer, wie seine Eier,
der Star auf jeder Gang-Bang-Feier.
Bis der Schwanz beim Pinkeln brennt,
das ist Recep Erdoğan, der türkische Präsident.“

wie geschehen in der Sendung „Neo Magazin Royale“ am 31.03.2016.

II. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Verfahrens haben der Antragsteller ein Fünftel und der Antragsgegner vier Fünftel zu tragen.

IV. Der Streitwert wird auf € 100.000,-- festgesetzt.

Gründe:
Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch im aus dem Tenor ersichtlichen Umfange gemäß §§ 823, 1004 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK zu. Im Übrigen ist der Antrag zurückzuweisen.

a) Der Antragsteller ist Präsident der Türkei. Der Antragsgegner ist Hörfunk- und Fernsehmoderator. In der von ihm moderierten Late Night Show „Neo Magazin Royale“ vom 31.03.2016 trug er ein Gedicht mit dem Titel „Schmähkritik“ über den Antragsteller
vor. Bevor der Antragsgegner dieses Gedicht vorlas, wies er darauf hin, dass aufgrund eines Beitrages in der Satiresendung „extra 3“ der deutsche Botschafter in der Türkei einbestellt worden sei. Prozessual ist davon auszugehen, dass die Einbestellung des Botschafters jedenfalls im Einverständnis mit dem Antragsteller erfolgte. Der Antragsgegner trug das Gedicht auf Deutsch vor. Seinen Vortrag unterbrach er mehrfach durch Gespräche mit seinem Sidekick ... Das Gedicht wurde durch eingeblendete Untertitel auf Türkisch übersetzt, das Gespräch des Antragsgegners mit … indes nicht.

b) Das angegriffene Gedicht ist zweifelsohne eine Satire; sie vermittelt ein Zerrbild von der Wirklichkeit, mit der sich der Antragsgegner mittels des Gedichts auseinandersetzt. Satire kann Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG sein, muss es aber nicht sein. Nach dem vom Bundesverfassungsgericht formulierten Kunstbegriff liegt das Wesen künstlerischen Schaffens in der freien schöpferischen Gestaltung, in welcher Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers in bestimmter Form zur Anschauung gebracht werden (vgl. BVerfGE 30, 173). Eine Niveaukontrolle der Kunst, zum Beispiel eine Unterscheidung zwischen höherer und niederer Kunst oder guter und schlechter Kunst, ist hierbei unzulässig. Hier spricht für die Annahme von Kunst die Auseinandersetzung des Antragsgegners mit dem Antragsteller, wovon das Gedicht einen Teil darstellt. Dies wäre allerdings bei einer Meinungsäußerung ebenfalls der Fall. Gegen Kunst könnte sprechen, dass der Antragsgegner, worauf sein gerichtsbekanntes Interview in der Zeitschrift „ZEIT“ vom 04.05.2016 hinweist, ein möglicherweise bereits im Internet vollumfänglich verbreitetes Gedicht verlesen hat, so dass die geforderte künstlerische Auseinandersetzung fraglich sein könnte. Da dies aber nicht feststeht, zudem ein sehr großzügiger Maßstab für die Bejahung von Kunst gilt und der Antragsgegner das Gedicht nicht nur verlesen, sondern mit einem bestimmten Kontext, wie die musikalische Untermalung, das Präsentieren der türkischen Flagge, die Gespräche mit seinem Sidekick, umrahmt hat, geht die Kammer von Kunst aus.

Es ist folglich eine Abwägung zwischen der schrankenlos geschützten Kunstfreiheit von Art. 5 Abs. 3 GG sowie der durch Art. 5 Abs. 1 GG bzw. Art. 10 EMRK geschützten Meinungsfreiheit, auf die sich der Antragsgegner berufen kann, und dem durch Art. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Antragstellers vorzunehmen.

Bei dieser Abwägung ist nicht isoliert das Gedicht zu betrachten, sondern die konkrete Präsentation ist zu berücksichtigen. Desweiteren ist der Zusammenhang, in den das Gedicht gestellt wurde, maßgeblich, d.h. die Vorgeschichte mit der Sendung von „extra 3“ und der Einbestellung des deutschen Botschafters, da diese Anlass für den Beitrag des Antragsgegners war.

Die in Form einer Satire geäußerte Meinung und Kritik am Verhalten Dritter findet ihre Grenze, wo es sich um reine Schmähung oder Formalbeleidigung handelt bzw. die Menschenwürde angetastet wird.

Die Satire, der Übertreibungen und Verzerrungen wesenseigen sind, erfordert hierbei eine spezifische Betrachtung. Nach ständiger Rechtsprechung ist für die rechtliche Beurteilung zwischen dem Aussagegehalt und dem vom Verfasser gewählten satirischen Gewand, der Einkleidung, zu trennen; hierbei gilt für die Einkleidung regelmäßig ein weniger strenger Maßstab (vgl. BVerfG, NJW 1987, 2661).

Es ist somit zwischen dem Aussagegehalt und der Einkleidung zu unterscheiden:

Der Aussagegehalt ist für den Antragsteller nicht so verletzend, dass aufgrund dessen der Unterlassungsanspruch begründet wäre. Es ist fernliegend, dass der Rezipient annimmt, das Gedicht weise (insgesamt) einen Wahrheitsgehalt auf. Dies ist so
offensichtlich, dass es keiner weiteren Erörterung bedarf. Der Antragsgegner setzt sich in der Sendung satirisch damit auseinander, dass mit Einverständnis des Antragstellers ein Beitrag wie der von „extra 3“ zum Anlass genommen wird, den deutschen Botschafter einzubestellen. Mit dem Gedicht macht der Antragsgegner sich hierüber in satirischer Form lustig und kritisiert den Umgang des Antragstellers mit der Meinungsfreiheit in der Türkei.

Es kommt hinzu, dass der Antragsteller sich als Staatsoberhaupt aufgrund seines öffentlichen Wirkens stärkere Kritik gefallen lassen muss. Denn die Meinungsfreiheit ist gerade aus dem besonderen Bedürfnis der Machtkritik erwachsen (vgl. BVerfG, AfP
1996, 50). Dieser Grundsatz ist auch für den Antragsteller als ausländisches Staatsoberhaupt zugrunde zu legen (s. auch EGMR, AfP 2016, 137). Hiergegen spricht im Übrigen nicht die Strafrechtsnorm des § 103 StGB, da diese im Gegensatz zu §§ 185 ff StGB nur eine höhere Strafandrohung bei einem ausländisches Staatsoberhaupt vorsieht (vgl. Schönke/Schröder, StGB-Kommentar, 29. Auflage, § 103, Rn 6; Nomos, Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 103, Rn 1).

Die Einkleidung führt allerdings zur (teilweisen) Bejahung des Unterlassungsanspruches. Zwar gilt hier, wie oben ausgeführt, ein weniger strenger Maßstab, aber dies berechtigt nicht zur völligen Mißachtung der Rechte des Antragstellers. Die Äußerungen im Gedicht sind zweifelsohne schmähend und ehrverletzend. Es dreht sich vorliegend nicht um eine für die rechtliche Beurteilung unbedeutende Geschmacksfrage. Sondern die fraglichen Zeilen greifen gerade gegenüber Türken oftmals bestehende Vorurteile auf, die gewöhnlich als rassistisch betrachtet werden. Erschwerend kommt hinzu, dass in Kenntnis dessen, dass das Schwein im Islam als „unreines“ Tier gilt - von einer solchen Kenntnis des Antragsgegners kann ausgegangen werden -, der „Schweinefurz“ erwähnt wird. Des weiteren haben nahezu sämtliche Zeilen einen sexuellen Bezug. Auch unter Beachtung des vom Bundesverfassungsgericht für die Beurteilung der Einkleidung aufgestellten strengen Maßstabes und der konkreten Präsentation überschreiten die fraglichen Zeilen das vom Antragsteller hinzunehmende Maß.

c) Aus den obigen Ausführungen folgt, dass der weitergehende Anspruch jedoch zurückzuweisen ist. Mit den nicht untersagten Teilen des Gedichts wird in zulässiger Form harsche Kritik an der Politik des Antragstellers geäußert. Es geht nicht um eine
vom Antragsteller nicht mehr hinzunehmende Herabwürdigung, sondern in überspitzter Form werden Vorgänge aufgegriffen, von deren Realität prozessual auszugehen ist. Diese werden im wesentlichen im Beitrag von „extra 3“, auf den der Antragsgegner mit dem Gedicht Bezug nimmt, gezeigt, nämlich unter anderem das Schlagen von demonstrierenden Frauen am „Weltfrauentag“ durch Helm und Schutzkleidung tragende Polizisten, das gewalttätige Vorgehen gegen andere Demonstranten, die mit der Politik des Antragstellers nicht einverstanden sind, sowie gegen Minderheiten wie Kurden. Es ist weiterhin gerichtsbekannt, dass es Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems in der Türkei gibt und in diesem Zusammenhang die Rolle des Staates bzw. der Regierung diskutiert wird.

Als Oberhaupt des Staates trägt der Antragsteller für diese Vorgänge die politische Verantwortung. Gerade aufgrund seiner herausragenden politischen Stellung muss er sich, wie oben ausgeführt, stärkere Kritik gefallen lassen. Mit den nicht untersagten Zeilen des Gedichts macht sich der Antragsgegner zulässig in satirischer Form über den Umgang des Antragstellers mit der Meinungsfreiheit lustig.

d) Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

e) Da das Gedicht nicht als unauflösliche Einheit zu betrachten ist, ist - wie auch ansonsten bei anderen Kunstwerken wie beispielsweise Büchern oder Filmen - nicht die Verbreitung des gesamten Gedichts zu untersagen, sondern nur die aus dem Tenor ersichtlichen, vom Antragsgegner rechtswidrig verbreiteten Passagen.

Die demnach vorzunehmenden Auslassungen sind durch „[...]“ gekennzeichnet. Dies gilt auch für die Unterbrechung des Verlesens durch die Gespräche des Antragsgegner mit … . Die Kammer hat insoweit von § 938 ZPO Gebrauch gemacht.