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BGH: Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig nach § 826 BGB in Gesamtschau des Verhaltens bis zum Eintritt des Schadens beim konkret Geschädigten zu ermitteln

BGH
Urteil vom 08.12.2020
VI ZR 244/20
BGB § 826

Leitsatz des BGH:


Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat (hier: Erstreckung der Verhaltensänderung des VW-Konzerns in dem sog. "Dieselskandal" ab dem 22. September 2015 auf andere Konzernmarken; Fortführung Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 30 ff.).

BGH, Urteil vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 244/20 - OLG Oldenburg - LG Aurich

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Kein Schadensersatz im Dieselskandal gegen Volkswagen bei Kauf eines Gebrauchtwagens einer anderen Konzernmarke nach Aufdeckung des Dieselskandals

BGH
Urteil vom 08.12.2020
VI ZR 244/20


Der BGH hat entschieden, dass kein Anspruch auf Schadensersatz gegen Volkswagen bei Kauf eines Gebrauchtwagens mit unzulässiger Abschalteinrichtung einer anderen Konzernmarke nach Aufdeckung des Dieselskandals besteht.

Die Pressemitteilung des BGH:

Schadensersatzklage in einem sog. "Dieselfall" gegen die VW AG bei Kauf eines Gebrauchtwagens
einer anderen Konzernmarke nach Aufdeckung des "Dieselskandals" erfolglos

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat hat einen Fall entschieden, in dem der Käufer einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Gebrauchtwagen der Marke Audi erst nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals gekauft hat. Der Senat hat in diesem Fall Schadensersatzansprüche verneint.

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb im Mai 2016 von einem Autohändler einen gebrauchten Audi Q5 2.0 TDI zu einem Kaufpreis von 32.600 €, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet ist. Die Beklagte ist Herstellerin des Motors. Die im Zusammenhang mit diesem Motor verwendete Software führte zu einer Optimierung der Stickstoff-Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren. Die Software bewirkte, dass eine Prüfungssituation, in der der Abgasausstoß gemessen wird, erkannt und die Abgasaufbereitung für deren Dauer optimiert wurde. Im normalen Betrieb außerhalb des Prüfstands war diese Abgasaufbereitung abgeschaltet.

Vor dem Erwerb des Fahrzeugs, am 22. September 2015, hatte die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189, die auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden sei, informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt in Kontakt stehe. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wertete die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete die Beklagte, die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge durch geeignete Maßnahmen wiederherzustellen. Das daraufhin von der Beklagten entwickelte Software-Update wurde im Januar 2017 bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage im Wesentlichen stattgegeben.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt.

Wie der Senat bereits mit Urteil vom 30. Juli 2020 (VI ZR 5/20, Rn. 30 ff.) entschieden hat, ist für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat. Durch die vom Berufungsgericht festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten wurden wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten (vgl. hierzu Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, Rn. 16 ff.), derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt ist.

Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass der Kläger im Streitfall ein Fahrzeug der Marke Audi und nicht der Marke Volkswagen erworben hat. Die Beklagte hat ihre Verhaltensänderung nicht auf ihre Kernmarke Volkswagen beschränkt, sondern im Gegenteil bereits in ihrer Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 darauf hingewiesen, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden und dass der Motor vom Typ EA189 auffällig sei, ohne diesbezüglich eine Einschränkung auf eine bestimmte Marke des Konzerns vorzunehmen. Mit diesem Schritt an die Öffentlichkeit und der damit verbundenen Mitteilung, mit den zuständigen Behörden und dem KBA bereits in Kontakt zu stehen, hat die Beklagte ihre strategische unternehmerische Entscheidung, das KBA und letztlich die Fahrzeugkäufer zu täuschen, auch bezüglich der weiteren Konzernmarken ersetzt durch die Strategie, Unregelmäßigkeiten einzuräumen und in Zusammenarbeit mit dem KBA Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustands zu erarbeiten. Damit war das Verhalten der Beklagten generell, d.h. hinsichtlich aller Konzernmarken, nicht mehr darauf angelegt, das KBA und arglose Erwerber zu täuschen.

Dass der Kläger im Rahmen des Verkaufsgesprächs eine im Hinblick auf die Verwendung des VW-Motors EA189 und die zugehörige Abgasproblematik unzutreffende Auskunft ("Wir sind Audi und nicht VW") erhalten haben mag, könnte unter Umständen eine eigenständige Haftung des Autohauses begründen, ist aber nicht der Beklagten zuzurechnen.

Vorinstanzen:

Oberlandesgericht Oldenburg - Urteil vom 13. Februar 2020 - 14 U 244/19

Landgericht Aurich - Urteil vom 26. Juli 2019 - 5 O 762/18

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.




LG Augsburg: Schadensersatzklagen im Dieselskandal des Legal-Tech-Anbieters myRight abgewiesen - Abtretungen wegen Verstoßes gegen Rechtsdienstleistungsgesetz nichtig

LG Augsburg
Urteil vom 27.10.2020
011 O 3715/18


Auch das LG Augsburg hat entschieden, dass Schadensersatzklagen im Dieselskandal des Legal-Tech-Anbieters myRight mangels Aktivlegitimation abzuweisen sind. Die Abtretungen sind wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz nichtig.

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Die Klage ist zulässig; insbesondere kann dahinstehen, ob die vom Gericht mit Verfügung vom 08.07.2019 angesprochenen Bedenken an seiner Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO hinsichtlich der Klageanträge 1, 3, 5-10, 15, 17-18, 20, 23, 25-26 und 28-30 (Bl. 436/437 d.A.) sich als durchgreifend erweisen, da die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Augsburg nach entsprechendem Rügeverzicht der Beklagten (Bl. 451 d.A.) jedenfalls nach § 39 ZPO begründet ist.

2. Die Klage erweist sich jedoch als unbegründet. Der Klägerin fehlt es an der erforderlichen Aktivlegitimation für die gegen die Beklagte geltend gemachten vertraglichen und deliktischen Schadensersatzansprüche.

Dabei kann dahinstehen, ob die o.g. 30 Fahrzeugerwerber tatsächlich ihre entsprechenden Ansprüche an die Klägerin abgetreten und insbesondere die von ihr vorgelegten Abtretungserklärungen unterschrieben haben oder nicht, da diese Abtretungen sich jedenfalls gemäß § 134 BGB in Verbindung mit den §§ 3,4 RDG als nichtig erweisen.

Die diesbezügliche Tätigkeit der Klägerin als registrierter Inkassodienstleisterin hält sich nämlich nicht mehr im Rahmen der ihr nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG erteilten Inkassodienstleistungsbefugnis. Zwar darf dieser Begriff nach dem LexFox-Urteil des Bundesgerichtshofes unter Berücksichtigung der Inkasso-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu eng ausgelegt werden, sondern innerhalb des mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz verfolgten Zwecks des Schutzes der Rechtssuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen ist eine eher großzügige Betrachtung geboten (BGH VIII ZR 285/18, Urteil vom 27.11.2019, Rn. 141). Daraus folgt jedoch nicht automatisch die Zulässigkeit des seitens der Klägerin vorliegend praktizierten Geschäftsmodells. Vielmehr hält der Bundesgerichtshof eine am Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes orientierte Würdigung der Umstände des Einzelfalles einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen stets für erforderlich, wobei die Wertentscheidungen des Grundgesetzes in Gestalt der Grundrechte der Beteiligten sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen sind und den Veränderungen der Lebenswirklichkeit Rechnung zu tragen ist (BGH, a.a.O., Rn. 110). Im Zuge einer solchen Abwägung ist das Gericht vorliegend indes zu der Überzeugung gelangt, dass eine Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis der Klägerin vorliegt.

Nach § 2 Abs. 2 S. 1 RDG ist eine Inkassodienstleistung die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird. Ist eine Person - wie vorliegend die Klägerin - gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG bei der zuständigen Behörde für den Bereich der Inkassodienstleistungen registriert, darf sie aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in diesem Bereich erbringen, so dass ihre Inkassotätigkeit keine bloße Nebenleistung im Sinne des § 5 RDG darstellt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 107). Den somit allein durch die §§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 RDG bestimmten Rahmen hat die Klägerin indes vorliegend überschritten.

Als registrierter Inkassodienstleisterin ist der Klägerin nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im Anschluss an die Inkasso-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Zuge der Einziehung der an sie abgetretenen Forderungen zwar auch eine umfassende rechtliche Forderungsprüfung und substantielle Beratung ihrer Kunden über den Bestand der Forderung gestattet (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 116 ff.). Dementsprechend sieht der Bundesgerichtshof auch keine Überschreitung der Befugnis nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG darin, dass ein Inkassodienstleister bei Erfolglosigkeit seiner außergerichtlichen Bemühungen um die Durchsetzung der treuhänderisch an ihn abgetretenen Forderungen im Zuge des Interesses seiner Kunden an einer möglichst einfachen und raschen Durchsetzung ihrer Ansprüche die Möglichkeit hat, diese unter Beauftragung eines Rechtsanwalts in einem streitigen gerichtlichen Verfahren als eigene Rechte einzuklagen (BGH, a.a.O., Rn. 225 f.).

Vor diesem Hintergrund erscheint das unter Ziffer 1.3 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Abgasskandal erläuterte Vorgehen der Klägerin, die Durchsetzung der Entschädigungsansprüche, soweit zweckdienlich, im außergerichtlichen Verfahren zu betreiben und im Fall des Nichtausreichens der außergerichtlichen Bemühungen in Zusammenarbeit mit der … oder anderen Rechtsanwälten deren gerichtliche Durchsetzung zu versuchen, auf den ersten Blick vielleicht als unproblematisch. Tatsächlich ist es aber nicht mehr durch § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG gedeckt, da die Tätigkeit der Klägerin entgegen der in Ziffer 1.3 gewählten Formulierung von vorneherein auf eine gerichtliche Rechtsdurchsetzung in Form einer Sammelklage abzielte. So bot sie den Betroffenen des Abgasskandals auf der Intemetseite … ausdrücklich an, mit einer Sammelklage dafür zu sorgen, dass ihr Fall rechtzeitig vor Gericht kommt (Anlage B1). Auch in ihrer Pressemitteilung vom 15.06.2018 pries die Klägerin die „Sammelklage, die … anbietet,“ als die „für Menschen ohne Rechtsschutzversicherung optimale Lösung, um VW-Schadensersatz einzuklagen“, an (Anlage B39). Die in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen erwähnten außergerichtlichen Bemühungen hat die Klägerin indes vorliegend niemals entfaltet; vielmehr verneinte ihr Prozessbevollmächtigter auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2020 selbst die Existenz außergerichtlicher Mahnschreiben (Bl. 677 d.A.).

Damit unterfällt die ausschließlich auf ein gerichtliches Vorgehen gerichtete Tätigkeit der Klägerin bereits vom Wortlaut her nicht dem Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen, das laut § 1 Abs. 1 S. 1 RDG die Befugnis regelt, in der Bundesrepublik Deutschland außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Auch die Erweiterung der Inkassotätigkeit durch § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO auf gerichtliche Maßnahmen in Bezug auf das Mahnverfahren und die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen erweist sich nicht als einschlägig. Vielmehr zeigt die letztgenannte Regelung, dass der Gesetzgeber das gerichtliche Handeln von Inkassodienstleistern als Ausnahme gesehen hat, wenngleich er mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz die Entwicklung neuer Berufsbilder erlauben wollte (BT-Drucks. 16/3655 S. 30). Dabei hatte er vor allem die Bereiche, in denen die anwaltliche Versorgung die Nachfrage der Rechtssuchenden nicht decken kann, insbesondere weil die Tätigkeit nicht ausschließlich juristischer Natur ist, im Blick (BT-Drucks. 16/3655 S. 40). Der Gesetzgeber beabsichtigte aus Gründen des Verbraucherschutzes jedoch gerade keinen allgemeinen Rechtsleistungsberuf unterhalb der Rechtsanwaltschaft einführen, da es ansonsten zu einem Nebeneinander zweier auf die gleiche Tätigkeit ausgerichteten Rechtsberatungsberufe mit völlig unterschiedlicher Qualifikation kommen würde (BT-Drucks. 16/3655 S. 31).

Genau darauf liefe die Anerkennung des Geschäftsmodells der Klägerin indes hinaus, die sich nicht auf die unproblematisch zulässige rechtliche Prüfung der Forderung und substantielle Beratung ihrer Kunden über deren Bestand beschränkte, sondern vielmehr die strategische Entscheidung darüber traf, welche der Ansprüche aus abgetretenem Recht gegen die Beklagte sie in Einzelverfahren, in Verfahren mit Anspruchsbündelung in geringerem Umfang - wie hier - und in Verfahren mit mehreren 1.000 gebündelten Ansprüchen geltend macht (Bl. 609/610 d.A.). Diese auch in ihrem Internetauftritt besonders hervorgehobene Tätigkeit der Klägerin stellt sich angesichts der Vielzahl der Fallgestaltungen im Abgasskandal und der Komplexität der damit verbundenen durchaus streitigen Rechtsfragen indes als über den Bereich der einzelnen Forderungseinziehung weit hinausgehende Rechtsberatung dar. Gerade bei den Sammelklagen, in denen sich die überwiegende Mehrzahl der 45.000 Kunden der Klägerin befindet (Bl. 677 d.A.), stellt sich der Aufgabenbereich der Klägerin vielmehr als vollkommen identisch mit dem eines Rechtsanwaltes dar.

Vor diesem Hintergrund erscheint es indes nicht gerechtfertigt, sich hier mit der geringeren Sachkunde der Klägerin als Inkassodienstleisterin zufrieden zu geben. Vielmehr hat der Gesetzgeber den Grund für die deutlich geringeren Anforderungen an die Sachkunde des registrierten Inkassodienstleisters darin gesehen, dass dessen Tätigkeit allein auf die außergerichtliche Forderungseinziehung beschränkt ist, bei der die Gefahr einer rechtlichen Fehlberatung in deutlich geringerem Maße als bei einer über den Bereich der bloßen Forderungseinziehung hinausgehenden Rechtsberatung besteht (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 219), die hier in der strategischen Auswahl und Bündelung der 30 streitgegenständlichen Forderungen zur ausschließlich gerichtlichen Geltendmachung in Form der vorliegenden Sammelklage zu sehen ist.

Die darin liegende Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis der Klägerin kann auch durch die Hinzuziehung der Klägervertreter nicht beseitigt werden. So kam es bereits für den Erlaubnisvorbehalt nach dem Rechtsberatungsgesetz nicht darauf an, ob der Vertragspartner des Rechtssuchenden sich zur Erfüllung seiner Beratungspflichten eines zugelassenen Rechtsberaters als Erfüllungsgehilfen bedient (BGH III ZR 260/07, Urteil vom 03.07.2008). Nichts anderes kann jedoch unter Berücksichtigung des in § 1 Abs. 1 S. 2 RDG normierten Schutzzweckes des Rechtsdienstleistungsgesetzes, die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, gelten. Vielmehr bekommt der einzelne Kunde von der Klägerin infolge der geringeren Anforderungen an ihre Sachkunde, die im Bereich der Inkassodienstleistungen nach § 4 Abs. 1 RDV in einem Lehrgang mit 120 Zeitstunden vermittelt wird, eine weniger qualifizierte Rechtsdienstleistung als von einem Rechtsanwalt mit Jurastudium und Referendariat von jeweils mehreren Jahren, während die eingeschalteten Prozessbevollmächtigten auch nicht ihm selbst, sondern allein dem Interesse ihrer Mandantin verpflichtet sind. Aus dieser Konstellation ergibt sich somit eine Gefährdung der von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG erfassten schuldrechtlichen Forderungen der rechtssuchenden Kunden, die auch unter Berücksichtigung des Grundrechtes der Klägerin als Inkassodienstleisterin auf Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigt ist.

Anders als im LexFox-Fall, wo die außergerichtlichen Schreiben mit der Rüge nach § 556 g Abs. 2 BGB erst zur Entstehung des Anspruchs auf Rückzahlung zu viel gezahlter Miete führten, hat die Klägerin nämlich vorliegend überhaupt keine vorgerichtlichen Bemühungen zur Forderungseinziehung entfaltet und sich damit gar nicht erst im Bereich der Inkassodienstleistung bewegt. Der diesbezüglich seitens der Klägerin erhobene Einwand, die Begriffe „außergerichtlich“ und „vorgerichtlich“ könnten nicht gleichgesetzt werden, erweist sich insofern als unzutreffend. Zum einen hat der Bundesgerichtshof im LexFox-Urteil eindeutig diese Gleichsetzung vorgenommen, indem er formulierte, dass eine Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis nicht darin zu sehen ist, dass - wenn außergerichtliche Bemühungen nicht zum Erfolg führen - die Möglichkeit besteht, treuhänderisch abgetretene Ansprüche unter Beauftragung eines Rechtsanwalts in streitigen gerichtlichen Verfahren als eigene Rechte einzuklagen (BGH VIII ZR 285/18, Urteil vom 27.11.2019, Rn. 225). Zum anderen hat auch die Klägerin selbst den Begriff „außergerichtlich“ in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Abgasskandal unter Ziffer 1.3 im Sinne von „vorgerichtlich“ verwandt, indem sie formulierte: „Sollten die außergerichtlichen Bemühungen nicht ausreichen (…), werden wir versuchen, die Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.“

Hier hat die Klägerin sich indes von vorneherein ausschließlich auf die gerichtliche Geltendmachung der 30 streitgegenständlichen Forderungen in Form der vorliegenden Sammelklage beschränkt, bei deren strategischer Auswahl und Bündelung sie eine über den Bereich der einzelnen Forderungseinziehung weit hinausgehende Rechtsberatung vornahm, die eigentlich für das Berufsbild des Rechtsanwaltes prägend ist. Da ein Rechtsanwalt insoweit aber im identischen Aufgabenbereich den Berufspflichten nach den §§ 43 ff. BRAO unterliegt, würde es einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG darstellen, wenn die Klägerin trotz geringerer Sachkunde im identischen Aufgabenbereich die gleiche Tätigkeit ausüben könnte, ohne beispielsweise an die Verbote der Erfolgsprovision und der Prozessfinanzierung gebunden zu sein.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof im LexFox-Urteil eine Überschreitung der Inkassobefugnis weder in der Vereinbarung eines Erfolgshonorars noch in der Prozesskostenübernahme durch den Inkassodienstleister gesehen hat (BGH, a.a.O., Rn. 170 ff.). Eine Interessenkollision im Sinne des § 4 RDG schloss er nämlich unter Hinweis darauf aus, dass die Vereinbarung des Erfolgshonorars bei der von ihm zu beurteilenden Forderungseinziehung ein beträchtliches eigenes Interesse der Klägerin an einer möglichst erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche bewirkte (BGH, a.a.O., Rn. 196). Diese Erwägung kann indes aufgrund zweier erheblicher Unterschiede im Sachverhalt nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden: Zum einen handelt es sich hier nicht um eine Einzel-, sondern um eine Sammelklage, und zum anderen ist keine Zustimmung der Zedenten zu einem abzuschließenden Vergleich erforderlich, sondern nur dessen Widerruf möglich. So hat die Klägerin nach Ziffer 6.1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Abgasskandal die Möglichkeit, einen Vergleich mit einer Widerrufsfrist von zwei Wochen abzuschließen, „wenn die Vergleichssumme nach gewissenhafter Beurteilung eines sorgfältig handelnden Kaufmanns als ausreichend erscheint.“; nach unverzüglicher Benachrichtigung davon kann der Kunde den Vergleichsabschluss dann zwar widerrufen, doch schuldet er der zur Kündigung des Vertrages berechtigten Klägerin in dem Fall die bei Bestand des Vergleiches angefallene Vergütung.

Vor dem Hintergrund dieser Regelung ergibt sich vorliegend eine strukturelle Kollision der Interessen der Klägerin mit denen ihrer Kunden, die eine ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung derart gefährdet, dass eine auch vom Bundesgerichtshof für möglich gehaltene analoge Anwendung des § 4 RDG (BGH, a.a.O., Rn. 213) geboten erscheint (LG Ingolstadt 41 O 1745/18, Urteil vom 07.08.2020, S. 253 ff.). So steht dem Interesse des einzelnen Kunden an der optimalen Durchsetzung seiner Rechte das Eigeninteresse der Klägerin an einem für sie möglichst guten Kosten-Nutzen-Verhältnis des Verfahrens entgegen, das sie am besten durch einen schnellen Vergleichsschluss erreichen kann. Wegen der Erforderlichkeit zur detaillierten Auseinandersetzung des Gerichts mit jedem einzelnen der 30 streitgegenständlichen Ansprüche müsste die Klägerin ansonsten nämlich mit einer überdurchschnittlich langen Verhandlungsdauer mit einer Vielzahl von Sitzungstagen rechnen, die ihre Tätigkeit angesichts der mit ihren Prozessbevollmächtigten vereinbarten Vergütung auf der Basis von Stundensätzen zunehmend als immer weniger lukrativ erscheinen lässt. Dies gilt umso mehr, als sich mit fortschreitender Verfahrensdauer die letztlich maximal zu erreichende Vergütung aufgrund der im Rahmen des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigenden Nutzungsentschädigung immer weiter verringert.

Demgegenüber hat die Klägerin hier ohnehin schon von daher kein eigenes Interesse an einer möglichst erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche, als sie - anders als LexFox-Fall - ihre Erfolgsprovision nicht nur im Fall des Zustandekommens des Vergleichs, sondern selbst im Fall dessen Widerrufs durch den Kunden in voller Höhe erhält. Insoweit stellt auch die nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschuldete Bindung an die „gewissenhafte Beurteilung eines sorgfältig handelnden Kaufmanns“ letztlich kein Korrektiv dar, da zum Zeitpunkt der Abtretung noch vollkommen unklar ist, ob man für jeden einzelnen Kunden einen Vergleichsbetrag auswirft oder eine Pauschalsumme, die dann aufgeteilt wird (Bl. 677 d.A.), obwohl die Beurteilungsüberlegungen sich in beiden Fällen als vollkommen unterschiedlich darstellen und daher für die Zedenten weder vorhersehbar noch nachprüfbar sein dürften. Vielmehr kann der jeweilige Kunde der Klägerin hier anders als im LexFox-Fall nicht einfach frei über die Erteilung seiner Zustimmung zum Vergleich entscheiden, sondern ist dadurch einem erheblichen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt, dass er im Fall dessen Widerrufs die geschuldete Vergütung in Höhe von 35 % der Vergleichssumme zahlen muss, ohne hierfür letztlich einen Gegenwert zu erhalten. Gerade für die nicht rechtsschutzversicherten Zedenten, die laut Internetausdruck und Pressemitteilung gezielt für die Sammelklage angeworben wurden (Anlagen B1 und B39), besteht damit kein kostenneutraler Ausweg, sondern sie sind faktisch gezwungen, sich einer von der Klägerin im Eigeninteresse geringer Verfahrenskosten getroffenen Vergleichsentscheidung zu beugen, was dem mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz verfolgten Zweck des Schutzes der Rechtssuchenden klar widerspricht.

An dieser Bewertung ändert auch die zwischenzeitliche Beteuerung der Klägerin nichts, sich angesichts der Unwirksamkeit von Ziffer 6.1 Satz 4 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 7 BGB gegenüber den Zedenten nicht auf diese Regelung berufen zu wollen (Bl. 614 d.A.). Zum einen mutet es schon seltsam an, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin im Abgasskandal, insbesondere auch die Regelungen über den Vergleichsschluss, auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2020 immer noch im wesentlichen gleich geblieben sind (Bl. 677 d.A.), obwohl die identische Problematik bereits am 29.05.2020 vor dem Landgericht Ingolstadt thematisiert wurde (LG Ingolstadt 41 O 1745/18, Urteil vom 07.08.2020, S. 10 u. 236). Zum anderen ist davon auszugehen, dass gerade der Kunde, der sich des vermeintlich kostenlosen Angebotes der Klägerin als Inkassodienstleisterin bedient, keinerlei Kenntnis von der Unwirksamkeit dieser Bestimmung haben und deswegen durch die für ihn negative Kostenfolge vom Widerruf des Vergleichs abgeschreckt werden dürfte, zumal völlig unklar bleibt, was in diesem Fall mit dem anhängigen Prozessverhältnis passieren würde (LG Ingolstadt, a.a.O., S. 256).

Angesichts dieser Unklarheit erscheint auch eine geltungserhaltende Reduktion in Form eines Entfalls der Vergütungspflicht bei Widerruf des Vergleichs weder möglich noch geboten (vgl. hierzu ausführlich LG Ingolstadt, a.a.O., S. 260 ff.). Vielmehr hätte es der Klägerin freigestanden, im Rahmen ihrer Berufsausübung den gesetzlichen Vorschriften entsprechende wirksame vertragliche Regelungen zur fiduziarischen Abtretung und Geltendmachung fremder Forderungen im eigenen Namen zu treffen (LG Ingolstadt, a.a.O., S. 259). So aber hat sie den durch die §§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 RDG bestimmten Rahmen nicht nur eindeutig überschritten, sondern angesichts der in Ziffer 6.1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen vollen Vergütungsverpflichtung im Fall des Vergleichswiderrufs auch erheblich, so dass die streitgegenständlichen Abtretungen sich jedenfalls gemäß § 134 BGB in Verbindung mit den §§ 3, 4 RDG als nichtig erweisen.

Schließlich erscheint die Zulassung einer entsprechenden Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis der Klägerin im vorliegenden Fall auch aus Gründen des Verbraucherschutzes nicht erforderlich. Dem Vertrauen der Zedenten auf deren Registrierung als Inkassodienstleisterin wird nämlich bereits durch die für sie bestehende Möglichkeit Rechnung getragen, bei der Klägerin Regress zu nehmen, die nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 RDG über eine Berufshaftpflichtversicherung mit einer Mindestversicherungssumme von 250.000 € für jeden Versicherungsfall verfügen muss (BGH, a.a.O., Rn. 93). Davon abgesehen hat der Gesetzgeber bereits die kostenfreie Möglichkeit der Musterfeststellungsklage geschaffen, so dass hier keinerlei Veranlassung für das Gericht besteht, die vorliegende Sammelklagetätigkeit der Klägerin über den Wortlaut und Regelungsgehalt des Rechtsdienstleistungsgesetzes hinaus unter Missachtung des Gleichheitssatzes zuzulassen. In diesem Bereich wäre vielmehr der Gesetzgeber gefordert, der sich ausweislich der Drucksache 19/22807 des Deutschen Bundestages vom 24.09.2020 bereits mit der entsprechenden Thematik beschäftigt.

Mangels Aktivlegitimation der Klägerin war ihre Klage daher voll umfänglich abzuweisen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Erneut unzulässige Berufung in Schummeldieselverfahren zu Lasten des Geschädigten durch unzureichende Berufungsbegründung bestehend aus Textbausteinen

BGH
Beschluss vom 29.09.2020
VI ZB 92/19
ZPO § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3


Der BGH hat erneut in einem Schummeldiesel-Verfahren zu Lasten eines Geschädigten entschieden, dass eine Berufung unzulässig ist, wenn die Berufungsbegründung nur aus Textbausteinen ohne hinreichenden inhaltlichen Bezug zu den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils besteht (siehe auch zum Thema BGH: Unzulässige Berufung wenn Berufungsbegründung nur aus Textbausteinen ohne hinreichenden inhaltlichen Bezug zu den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils besteht).

Leitsatz des BGH:

Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung (hier: Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung).

BGH, Beschluss vom 29. September 2020 - VI ZB 92/19 - OLG Frankfurt a.M. - LG Kassel

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 5. September 2019 entspreche inhaltlich nicht den Anforderungen an eine Berufungsbegründung, ist nicht zu beanstanden.

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten
Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 11. Februar 2020 - VI ZB 54/19, MDR 2020, 626 Rn. 5; vom 21. Juli 2020 - VI ZB 59/19, juris Rn. 4, VI ZB 68/19, juris Rn. 10, VI ZB 7/20, juris Rn. 7; vom 25. August 2020 - VI ZB 67/19, juris Rn. 7, VI ZB 5/20, juris Rn. 7 jeweils mwN).

2. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers mit der pauschalen Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Vortrag und dem unspezifischen Hinweis auf eine abweichende Rechtsprechung "anderer Kammern" des erstinstanzlichen Gerichts ersichtlich nicht gerecht.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des einen Sekretariatsfehler klarstellenden Schreibens des Prozessbevollmächtigen des Klägers vom 21. Oktober 2019. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde lässt sich der danach gemeinten Formulierung "welche nicht die Rollen der Parteien in ihr Gegenteil verkehren" nicht aus sich heraus verständlich entnehmen, dass sich der Berufungsangriff des Klägers im Wesentlichen gegen die vom Landgericht gewählte Beweislastverteilung gerichtet habe und darauf abgezielt worden sei, dass es eigentlich an der Beklagten sei, darzulegen und zu beweisen, dass der als unstreitig festgestellte Unterschied bei den Abgaswerten im Labor und im tatsächlichen Straßenverkehr unbeachtlich sei bzw. der erhöhte Verbrauch nach erfolgtem Softwareupdate keinen Schaden des Klägers darstelle. Hierbei handelt es sich vielmehr um eine eigenständige Interpretationsleistung der Rechtsbeschwerde.

Diese verfängt im Übrigen auch in der Sache schon deshalb nicht, weil auch sie die fehlende Zuordnung der vermeintlichen Beweislastfrage zu den im erstinstanzlichen Urteil abgehandelten möglichen Anspruchsgrundlagen nicht ersetzen kann, zumal das Erstgericht den maßgeblichen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB ersichtlich nicht aus Beweislasterwägungen, sondern im Gegenteil ausdrücklich "bereits aufgrund des Vortrags des Klägers" verneint hat."



OLG Hamm: Audi AG und Volkswagen AG müssen Käufer eines gebrauchten vom Dieselskandal betroffenen Audi A1 Schadensersatz zahlen

OLG Hamm
Urteil vom 14.08.2020
45 U 22/19


Das OLG Hamm hat entschieden, dass Audi AG und Volkswagen AG dem Käufer eines gebrauchten vom Dieselskandal betroffenen Audi A1 Schadensersatz zahlen müssen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Oberlandesgericht Hamm: Abgasskandal: Auch Audi muss Schadensersatz an Kunden zahlen

Die Audi AG und die Volkswagen AG müssen dem Käufer eines gebrauchten Audi A 1 wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung als Schadensersatz den Kaufpreis unter Abzug einer Nutzungsentschädigung gegen Rückgabe des Fahrzeugs zahlen. Dies hat der 45. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14.08.2020 entschieden.

Der klagende Kunde aus Gütersloh kaufte im Februar 2014 bei einem Autohaus in Gütersloh einen erstmals im Februar 2013 zugelassenen Audi A1, 1.6 TDI zu einem Kaufpreis von 16.385 Euro. In dem Fahrzeug eingebaut ist ein vom sog. Abgasskandal betroffener Dieselmotor mit der herstellerinternen Typenbezeichnung EA 189. Im März 2017 ließ der Kläger ein angebotenes Software-Update ausführen, welches dafür sorgen sollte, im Normalbetrieb die öffentlich-rechtlichen Grenzwerte einzuhalten.

Der klagende Kunde macht u. a. geltend, er hätte den Audi A1 nicht gekauft, wenn er von der Manipulation der Abgaswerte gewusst hätte. Ihm stünde sowohl gegenüber der Volkswagen AG als auch der Audi AG ein Schadensersatzanspruch zu, weil er von ihnen vorsätzlich sittenwidrig im Hinblick auf die Schadstoffemissionen getäuscht worden sei.

Die Volkswagen AG hat insbesondere behauptet, dass die Entscheidung zum Einsatz der Motorsteuerungssoftware unterhalb ihrer Vorstandsebene getroffen worden sei. Die Audi AG hat sich darauf berufen, sie habe den Motor nicht entwickelt, weshalb sie von den Vorgängen keine Kenntnisse gehabt habe; ein etwaiges Wissen der Volkswagen AG könne ihr nicht zugerechnet werden.

Das Landgericht Bielefeld hat die Volkswagen AG und die Audi AG – gesamtschuldnerisch – mit Urteil vom 22.07.2019 (Az. 19 O 314/18) insbesondere zur Rückzahlung des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung verurteilt. Es hat die Auffassung vertreten, der klagende Kunde sei durch das Inverkehrbringen des Motors – mit Blick auf die Volkswagen AG – und des Fahrzeugs – in Bezug auf die Audi AG – geschädigt worden.

Zu Recht! Die Audi AG und die Volkswagen AG hätten – so der Senat – jede für sich zum Nachteil des Käufers des Audi A 1 eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begangen. Mehr als fernliegend sei, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung der Vorstände oder sonstiger Repräsentanten der Unternehmen erfolgt sei und lediglich einem untergeordneten Konstrukteur zugeschrieben werden könne, der sich eigenmächtig verhalten habe. Der Gesichtspunkt, dass die beteiligten Unternehmen in einem Konzern verbunden seien, genüge für sich genommen zwar nicht, um eine Wissenszurechnung zu begründen. Eine Mithaftung der Audi AG folge aber daraus, dass nicht vorstellbar sei, dass kein Vorstandsmitglied der Audi AG von dem Einsatz der illegalen Software gewusst habe. Diese Kenntnis dränge sich geradezu angesichts eines bei der Audi AG vorhandenen Compliance-Systems auf, nach dem für jedes Detail eines zu produzierenden Pkw das Einverständnis zumindest eines Vorstandsmitglieds eingeholt werden müsse. Beiden Herstellern sei es nicht gelungen, Umstände darzulegen, wonach eine Kenntnis ihrer Vorstände oder sonstigen Repräsentanten ausscheiden würde.

Rechtskräftiges Urteil des 45. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 14.08.2020 (Az. 45 U 22/19, OLG Hamm)


LG Stuttgart: Schummeldiesel-Käufer haben keine Amtshaftungsansprüche gegen Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit VW-Diesel-Skandal

LG Stuttgart
Urteile vom 27.08.2020
7 O 425/19 - 7 O 66/20 - 7 O 67/20


Das LG Stuttgart hat entschieden, dass Schummeldiesel-Käufer keine Amtshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem VW-Diesel-Skandal haben.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Kein Anspruch der Kläger gegen die BRD wegen "VW-Diesel-Abgasskandals"

Kurzbeschreibung: Urteile der 7. Zivilkammer: Kein Anspruch der Kläger auf Schadenersatz gegen die BRD im Zusammenhang mit dem Erwerb eines vom sogenannten „VW-Diesel-Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugs

Feststellungsklagen unzulässig und unbegründet

Die 7. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart hat heute unter Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Landgericht Schabel drei Urteile in den mittlerweile mehr als 20 anhängigen gleichgelagerten Schadenersatzklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen behaupteter Amtspflichtverletzung verkündet. Die Kläger sind bzw. waren jeweils Inhaber eines mit dem Motor EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs des VW-Konzerns und begehren jeweils die Feststellung, dass ihnen die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem sog. VW-Diesel-Abgasskandal zum Schadenersatz verpflichtet ist. Die Kammer hat die Feststellungsklagen jeweils abgewiesen.

Erwägungen der Kammer
Die Kammer hält die Feststellungsklagen bereits für unzulässig und jedenfalls für unbegründet. Den Klägern fehle es bereits aus mehreren Gründen am erforderlichen Feststellungsinteresse. So hat sich ein Kläger bereits mit der VW AG auf einen Vergleich verständigt und hat infolgedessen das Fahrzeug nicht mehr im Besitz. Zudem sei der von den Klägern jeweils geltend gemachte europarechtliche Staatshaftungsanspruch nicht gegeben. So fehle es bereits an einer europarechtlichen Norm, die dem Schutz individueller Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer diene und bezwecke, diesen insoweit Rechte zu verleihen. Das Ziel der von den Klägern bemühten Richtlinie 2007/46/EG sei in erster Linie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes; darüber hinaus solle sie die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisieren und spezifizieren, wobei diese Rechtsakte vor allem auf hohe Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung abzielten. Individualinteressen, vor allem das Vermögensinteresse von Kraftfahrzeugerwerbern, finde darin nach Ansicht der Kammer keine Erwähnung. Zudem sei für die Kammer nicht ersichtlich, dass die Bundesrepublik Deutschland Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG unzureichend in nationales Recht umgesetzt habe. Nach dieser Vorschrift haben die Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen die Richtlinie, insbesondere beim Anbieten, Verkaufen und Inbetriebnehmen von nicht genehmigten Teilen und Ausrüstungen nach Art. 31 der Richtlinie, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festzulegen. Auch einen die Haftung begründenden erforderlichen hinreichend qualifizierten Verstoß des Kraftfahrtbundesamts bei der Erteilung der Typengenehmigung für die streitgegenständlichen Fahrzeuge – in Gestalt der von den Klägern behaupteten fehlerhaften Überwachung der Automobilindustrie – könne die Kammer nicht feststellen. Etwaigen Ansprüchen der Kläger nach der deutschen Amtshaftungsnorm § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG stünde entgegen, dass nach dem vorgetragenen Sachverhalt eine Haftung der Herstellerin VW AG gemäß § 826 BGB in Betracht komme und ein etwaiger Amtshaftungsanspruch daher kraft Gesetzes zurücktrete.

Urteile nicht rechtskräftig – Berufung zum OLG möglich

Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Den Kläger steht das Rechtsmittel der Berufung zum Oberlandesgericht offen.

Urteile Landgericht Stuttgart vom 27.08.2020 Aktenzeichen 7 O 425/19, 7 O 66/20, 7 O 67/20



Volltext BGH liegt vor: Geschädigte Käufer eines VW-Schummeldiesels haben keinen Anspruch auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises ab Kaufpreiszahlung - Deliktszinsen

BGH
Urteil vom 30. Juli 2020
VI ZR 397/19
BGB § 249, § 826, § 849; ZPO § 256


Wir hatten berets in dem Beitrag BGH: Geschädigte Käufer eines VW-Schummeldiesels haben keinen Anspruch auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises ab Kaufpreiszahlung - Deliktzinsen über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Deliktszinsen nach § 849 BGB können nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält. In diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes.

b) Zu den Voraussetzungen einer auf den Ersatz künftiger Schäden gerichteten Feststellung bei einem Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB (hier: VW-Diesel-Fälle).

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Volltext BGH liegt vor: Späteres Software-Update bei Schummeldiesel beseitigt sittenwidrige Schädigung bei Vertragsschluss nicht

BGH
Urteil vom 30.07.2020
VI ZR 367/19
BGB § 826


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Späteres Software-Update bei Schummeldiesel beseitigt sittenwidrige Schädigung bei Vertragsschluss nicht über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Zur sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei dem beklagten Fahrzeughersteller getroffen hatte und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

b) Auf den Schutzzweck der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB nicht an.

BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 367/19 - OLG Braunschweig - LG Braunschweig

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


Volltext BGH liegt vor: Keine Deliktszinsen Käufer von VW-Schummeldiesel - Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch komplett aufzehren

BGH
Urteil vom 30.07.2020
VI ZR 354/19
BGB § 249, § 849


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Keine Deliktszinsen ab Zahlung des Kaufpreises für geschädigte Käufer von VW-Schummeldiesel - Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch komplett aufzehren über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Der Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung versehenen Fahrzeugs kann durch die im Wege des Vorteilsausgleichs erfolgende Anrechnung gezogener Nutzungen vollständig aufgezehrt werden (Fortführung Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 64-77).

b) Deliktszinsen nach § 849 BGB können nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält. In diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes.

BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19 - OLG Braunschweig - LG Braunschweig

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Späteres Software-Update bei Schummeldiesel beseitigt sittenwidrige Schädigung bei Vertragsschluss nicht

BGH
Urteil vom 30.07.2020
VI ZR 367/19


Der BGH hat entschieden, dass ein späteres Software-Update bei einem Schummeldiesel die sittenwidrige Schädigung bei Vertragsschluss nicht beseitigt. Der BGH hat dieses Verfahren an das OLG zurückverwiesen.

Die Pressemitteilung des BGH:

Erfolgreiche Revision gegen Abweisung einer Schadensersatzklage in einem "Dieselfall" gegen die VW
AG. Zurückverweisung an Oberlandesgericht.

Sachverhalt

Der Kläger erwarb am 4. April 2013 von einem Autohaus einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten PKW VW Tiguan 2.0 TDI zu einem Preis von 21.500 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189, Schadstoffnorm Euro 5, ausgestattet. Die das Abgasrückführungsventil steuernde Software des Motorsteuerungsgeräts erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und schaltete in diesem Falle in einen Stickoxid-optimierten Modus. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete Mitte Oktober 2015 einen Rückruf an, der auch das Fahrzeug des Klägers betraf. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ansah. Der Kläger ließ das Software-Update im Februar 2017 durchführen.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht Braunschweig hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers zum Oberlandesgericht Braunschweig hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen dem Kläger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte nicht zu. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, § 826 BGB schieden aus, weil der Kläger nicht schlüssig dargelegt habe, welche konkrete Person aus dem in Betracht kommenden Täterkreis (Vorstand, leitende Angestellte) den Betrugstatbestand verwirklicht bzw. den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Abgesehen davon fehle es an einem Schaden des Klägers.

Entscheidung des Senats:

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat hat das angefochtene Urteil unter Anwendung der Grundsätze seines Urteils vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht vom Kläger näheren Vortrag dazu verlangt, welche konkrete bei der Beklagten tätige Person für den Einsatz der illegalen Abschalteinrichtung verantwortlich ist. Die Entscheidung über den Einsatz der Abschalteinrichtung betrifft die grundlegende strategische Frage, mit Hilfe welcher technischen Lösung die Beklagte die Einhaltung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm sicherstellen wollte. Vor diesem Hintergrund genügte die Behauptung des Klägers, die Entscheidung sei auf Vorstandsebene oder jedenfalls durch einen verfassungsmäßig berufenen Vertreter getroffen oder zumindest gebilligt worden.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der für einen Anspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden des Klägers nicht dadurch entfallen, dass dieser das von der Beklagten entwickelte Software-Update durchgeführt hat. Liegt der Schaden - wie das Berufungsgericht unterstellt hat - in einem unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführten ungewollten Vertragsschluss, so entfällt dieser Schaden nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstandes nachträglich verändern. Ein solcher Schaden fällt auch unter den Schutzzweck des § 826 BGB.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 31 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.

Vorinstanzen:

Landgericht Braunschweig - Urteil vom 06.07.2018, Az. 11 O 2675/17

Oberlandesgericht Braunschweig - Urteil vom 13.08.2019, Az. 7 U 352/18



BGH: Kein Schadensersatz gegen Volkswagen AG bei Kauf eines gebrauchten Schummeldiesels nach Aufdeckung des Dieselskandals

BGH
Urteil vom 30.07.2020
VI ZR 5/20


Der BGH hat entschieden, dass kein Schadensersatz gegen die Volkswagen AG bei Kauf eines gebrauchten Schummeldiesels nach Aufdeckung des Dieselskandals besteht.

Die Pressemitteilung des BGH:

Schadensersatzklage im sogenannten "Dieselfall" gegen die VW AG bei Gebrauchtwagenkauf nach Aufdeckung des "Dieselskandals" erfolglos

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat hat heute über einen Fall entschieden, in dem der Käufer einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Gebrauchtwagen erst nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals gekauft hat. Der Senat hat in diesem Fall Schadensersatzansprüche verneint.

Sachverhalt

Der Kläger erwarb im August 2016 von einem Autohändler einen gebrauchten VW Touran Match zu einem Kaufpreis von 13.600 €, der mit einem 2,0-Liter Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die Beklagte ist Herstellerin des Wagens. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten.

Vor dem Erwerb des Fahrzeugs, am 22. September 2015, hatte die Beklagte in einer Pressemitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt in Kontakt stehe. Das Kraftfahrt-Bundesamt hatte im Oktober 2015 nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung erlassen und der Beklagten aufgegeben, die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten. In der Folge hat die Beklagte bei Fahrzeugen mit dem betroffenen Motortyp ein Software-Update bereitgestellt, das nach August 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde. Das Thema war Gegenstand einer umfangreichen und wiederholten Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Entscheidung des Senats:

Die Revision des Klägers, mit der er sein Klageziel weiterverfolgt hat, blieb ohne Erfolg.

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht Ansprüche aus § 826 BGB deshalb verneint hat, weil das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht als sittenwidrig anzusehen ist. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat.

War das Verhalten der Beklagten gegenüber Käufern, die ein mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug vor dem 22. September 2015 erwarben, sittenwidrig (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 16 ff.), so wurden durch die vom Berufungsgericht festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt ist. So war bereits die Mitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 objektiv geeignet, das Vertrauen potenzieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit war damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein. Käufern, die sich, wie der Kläger, erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihr Verhalten geändert hatte, wurde deshalb - unabhängig von ihren Kenntnissen vom "Dieselskandal" im Allgemeinen und ihren Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen - nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt.

Auch Ansprüche aus sonstigen Vorschriften hat der Senat verneint.

Vorinstanzen:

Landgericht Trier - Urteil vom 03. Mai 2019 - 5 O 686/18

Oberlandesgericht Koblenz - Urteil vom 2. Dezember 2019 - 12 U 804/19

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.



BGH: Geschädigte Käufer eines VW-Schummeldiesels haben keinen Anspruch auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises ab Kaufpreiszahlung - Deliktzinsen

BGH
Urteil vom 30. Juli 2020
VI ZR 397/19


Der BGH hat in einem weiteren Verfahren entschieden, dass geschädigte Käufer eines VW-Schummeldiesels keinen Anspruch auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises ab Kaufpreiszahlung - Deliktzinsen

Die Pressemitteilung des BGH:

Keine "Deliktzinsen" für geschädigte VW-Käufer

In einem weiteren VW-Verfahren hat der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden, dass geschädigten Käufern eines vom sogenannten "Dieselskandal" betroffenen Fahrzeugs unter dem Gesichtspunkt sogenannter "Deliktszinsen" kein Anspruch auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises bereits ab Kaufpreiszahlung zusteht.

Sachverhalt:

Die Klägerin erwarb im August 2014 von einem Autohändler einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw Golf VI 1,6 TDI mit einer Laufleistung von rund 23.000 km zu einem Preis von 15.888 €. Das Fahrzeug war mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet, der mit einer Steuerungssoftware versehen war, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus schaltet. Nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet und die Beklagte verpflichtet hatte, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, ließ die Klägerin das von der Beklagten entwickelte Software-Update im Jahr 2017 aufspielen. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen ab Kaufpreiszahlung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht Oldenburg hat die Beklagte im Wesentlichen zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat dieses Urteil auf die Berufung der Klägerin dahingehend abgeändert, dass es ihr Zinsen bereits ab Kaufpreiszahlung zugesprochen hat. Die weitergehende Berufung der Klägerin sowie die Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) zu, auf den sie sich im Wege des Vorteilsausgleichs die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen müsse. Dabei sei von einer Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs von 200.000 km auszugehen. Ab dem Zeitpunkt der Zahlung könne die Klägerin von der Beklagten gemäß § 849 BGB zudem sogenannte "Deliktszinsen" verlangen. Beide Parteien haben gegen dieses Urteil Revision eingelegt.

Entscheidung des Senats:

Beide Revisionen hatten nur zum Teil Erfolg.

Im Wesentlichen unter Verweis auf sein erstes Urteil zum sogenannten "Dieselskandal" vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) hat der VI. Zivilsenat auch hier einen Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB auf Erstattung des von ihr aufgewendeten Kaufpreises abzüglich der ihr durch den Gebrauch des Fahrzeugs zugeflossenen Nutzungsvorteile Zug um Zug gegen "Rückgabe" des Fahrzeugs für gegeben erachtet. Einen Anspruch der Klägerin auf sogenannte "Deliktszinsen" nach § 849 BGB hat er hingegen - anders als das Berufungsgericht - verneint. Zwar erfasst diese Vorschrift grundsätzlich jeden Sachverlust durch Delikt, auch den Verlust von Geld in jeder Form. Dies gilt auch dann, wenn dieser Verlust - wie hier - mit Willen des Geschädigten durch Weggabe erfolgt. Vorliegend stand einer Anwendung des § 849 BGB aber jedenfalls der Umstand entgegen, dass die Klägerin als Gegenleistung für die Hingabe des Kaufpreises ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten hat; die tatsächliche Möglichkeit, das Fahrzeug zu nutzen, kompensierte den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes. Eine Verzinsung gemäß § 849 BGB entspricht in einem solchen Fall nicht dem Zweck der Vorschrift, mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache auszugleichen.

Vorinstanzen:

Landgericht Oldenburg - Urteil vom 11. Januar 2019 -3 O 1275/18

Oberlandesgericht Oldenburg - Urteil vom 2. Oktober 2019 - 5 U 47/19

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 849 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Ist wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen, so kann der Verletzte Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird.



BGH: Keine Deliktszinsen ab Zahlung des Kaufpreises für geschädigte Käufer von VW-Schummeldiesel - Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch komplett aufzehren

BGH
Urteil vom 30.07.2020
VI ZR 354/19


Der BGH hat entschieden, dass geschädigten Käufer eines VW-Schummeldiesel keine Deliktszinsen ab Zahlung des Kaufpreises erhalten. Zudem hat der BGH entschieden, dass die vom Käufer gezogenen Nutzungsvorteile den Schadensersatzanspruch komplett aufzehren können.

Die Pressemitteilung des BGH:

"VW-Dieselverfahren": Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren und keine "Deliktszinsen" für geschädigte VW-Käufer

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb im Mai 2014 von einem Dritten einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten VW Passat 2,0 I TDI zum Preis von 23.750 €. In dem Fahrzeug, das bei Erwerb durch den Kläger eine Laufleistung von rund 57.000 km aufwies, ist ein Motor der Baureihe EA189, Schadstoffnorm Euro 5 verbaut. Der Motor ist mit einer Steuerungssoftware versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus schaltet. Das Kraftfahrt-Bundesamt erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete einen Rückruf an. Ein von der Beklagten daraufhin entwickeltes Software-Update ließ der Kläger nicht durchführen, fuhr das Fahrzeug aber trotzdem weiter. Das Fahrzeug hat inzwischen eine Laufleistung von rund 255.000 km. Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht Braunschweig hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht Braunschweig die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen ausgeführt, Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte bestünden schon deshalb nicht, weil der im Hinblick auf die vom Kläger mit dem Fahrzeug gefahrenen Kilometer vorzunehmende Vorteilsausgleich dazu führe, dass der vom Kläger aufgewendete Kaufpreis vollständig aufgezehrt sei. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt.

Entscheidung des Senats:

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat hat die Revision zurückgewiesen. Die Annahme des Oberlandesgerichts, die vorzunehmende Anrechnung der vom Kläger durch den Gebrauch des Fahrzeugs gezogenen Nutzungsvorteile (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19) zehre den Kaufpreiserstattungsanspruch vollumfänglich auf, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die vom Oberlandesgericht dabei zur Berechnung des Wertes der Nutzungsvorteile herangezogene Formel (Bruttokaufpreis mal gefahrene Strecke seit Erwerb geteilt durch erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt) war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; die Annahme des Oberlandesgerichts, das Fahrzeug habe im Erwerbszeitpunkt eine Gesamtlaufleistungserwartung von 250.000 Kilometern gehabt, hatte der Kläger mit seiner Revision nicht angegriffen.

Einen Anspruch des Klägers auf sogenannte "Deliktszinsen" nach § 849 BGB ab Zahlung des Kaufpreises hat der VI. Zivilsenat ebenfalls verneint. Zwar erfasst diese Vorschrift grundsätzlich jeden Sachverlust durch Delikt, auch den Verlust von Geld in jeder Form. Dies gilt auch dann, wenn dieser Verlust - wie hier - mit Willen des Geschädigten durch Weggabe erfolgt. Vorliegend stand einer Anwendung des § 849 BGB aber jedenfalls der Umstand entgegen, dass der Kläger als Gegenleistung für die Hingabe des Kaufpreises ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten hat; die tatsächliche Möglichkeit, das Fahrzeug zu nutzen, kompensierte den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes. Eine Verzinsung gemäß § 849 BGB entspricht in einem solchen Fall nicht dem Zweck der Vorschrift, mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache auszugleichen.

Vorinstanzen:

Landgericht Braunschweig - Urteil vom 27. November 2017 -11 O 603/17

Oberlandesgericht Braunschweig - Urteil vom 20. August 2019 - 7 U 5/18

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 249 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.



[…].

§ 849 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Ist wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen, so kann der Verletzte Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird.


LG Ingolstadt: Schadensersatzklage des Legal-Tech-Anbieters Financialright Gmbh - myRight gegen VW und Audi wegen Verstoßes gegen Rechtsdienstleistungsgesetz abgewiesen

LG Ingolstadt
Urteil von 07.08.2020
41 O 1745/18


LG Ingolstadt hat die Schadensersatzklage des Legal-Tech-Anbieters Financialright Gmbh - myRight gegen VW bzw. Audi wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz abgewiesen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

In Sachen Financialright GmbH gegen Audi AG/Volkswagen AG

Die Klägerin hatte als Inkassodienstleisterin aus abgetretenem Recht Ansprüche von über 2.800 Fahrzeugkäufern gegenüber der Audi AG und der Volkswagen AG in Höhe von insgesamt über 77 Millionen Euro geltend gemacht. Es handelt sich um eines der umfangreichsten Verfahren im Rahmen der sogenannten Dieselklagewelle.

Mit Urteil vom 07.08.2020 hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Ingolstadt die Klage nun abgewiesen.
Im Wesentlichen ging die Kammer davon aus, dass zwar im Lichte der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der sog. "Lexfox-Entscheidung" vom 27.11.2019 – VIII ZR 285/18 – die klageweise Geltendmachung von abgetretenen Ansprüchen durch Rechtsdienstleister wie der Klägerin grundsätzlich zulässig sei. Abweichend zu dieser Entscheidung seien aber im vorliegenden Fall bereits die einzelnen Abtretungsvereinbarungen nichtig, da sie aufgrund einer die Käufer benachteiligenden Regelung nicht mehr von der Inkassodienstleistungsbefugnis der Klägerin nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz gedeckt seien. Dies beruhe vor allem auf der vertraglichen Regelung der Klägerin, nach der im Falle eines Vergleichswiderrufs eines Käufers dessen gesamte Rechtsverfolgung für diesen nicht mehr kostenfrei sei. Hieraus resultiere sowohl ein unzulässiger wirtschaftlicher Druck für den jeweiligen Käufer als auch ein Interessenskonflikt zwischen dem Käufer und der Klägerin. Hierin liege eine unzumutbare Benachteiligung des Käufers, die zur Nichtigkeit der Abtretungsvereinbarung führe. Ohne wirksame Abtretung könne die Klägerin aber die Ansprüche der Käufer nicht selbst geltend machen, so dass die Klage abzuweisen gewesen sei.


Volltext des BGH-Urteils zum Dieselskandal liegt vor - Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Volkswagen AG im Dieselskandal

BGH
Urteil vom 25. Mai 2020
VI ZR 252/19
BGB § 826


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Volkswagen AG im Dieselskandal - Schadensersatz für Käufer eines Schummeldiesels unter Anrechnung des Nutzungsvorteils über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Es steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn ein Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt.

b) Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines vormaligen Mitglieds des Vorstands von der getroffenen strategischen Entscheidung, trägt der beklagte Hersteller die sekundäre Darlegungslast für die Behauptung, eine solche Kenntnis habe nicht vorgelegen. Darauf, ob die vormaligen Mitglieder des Vorstands von dem Kläger als Zeugen benannt werden könnten, kommt es nicht an.

c) Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht.

d) Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB.

BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 - OLG Koblenz - LG Bad Kreuznach

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: