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LG Frankfurt: Störerhaftung des Host-Providers für rechtswidrige Äußerungen in gehosteten Inhalte - Anhörung per E-Mail kann Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit genügen

LG Frankfurt
Beschluss vom 23.12.2020
2-03 O 418/20


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass ein Host-Provider als Störer für rechtswidrige Äußerungen in gehosteten Inhalten haften kann, wenn er trotz Inkenntnissetzung untätig bleibt. Das Gericht hat ferner entschieden, dass eine Anhörung per E-Mail dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren genügen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:

"a. Auf die vorliegende Veröffentlichung ist deutsches Recht anwendbar (vgl. BGH NJW 2013, 2348; BGH NJW 2012, 2197 Rn. 31; BGH GRUR 2020, 435 Rn. 17 ff. – Yelp).

b. Die angegriffene Äußerung greift unzulässig in das Persönlichkeitsrecht des Antragtellers ein.

Die Antragsgegnerin verbreitet vorliegend ein Gerücht. Die Quelle dieses Gerüchts, die A, hat eingeräumt, dass es keine tatsächliche Grundlage für das Gerücht gibt und hat – wie der Antragsgegnerin im Rahmen der Anhörung mitgeteilt worden ist – eine entsprechende Unterlassungserklärung abgegeben. Dass der Antragsteller angeblich etwas mit den in der Berichterstattung genannten Clans zu tun hat, stellt für die vorliegende Verbreitung des Gerüchts (vgl. dazu OLG Köln, Urt. v. 28.06.2018 – 15 U 150/17, BeckRS 2018, 16334 Rn. 21; Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl. 2019, § 16 Rn. 60 f. m.w.N.; BeckOGK/Specht-Riemenschneider, Stand 01.08.2020, § 823 Rn. 1487), der Antragsteller habe den Anlass für die abgebildeten Schlägereien gegeben, keine hinreichende Grundlage dar.

c. Die Antragsgegnerin haftet insoweit als Störerin.

Mittelbarer Störer ist zunächst einmal derjenige, der in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat. Dabei genügt als Mitwirkung in diesem Sinn auch die Unterstützung oder die Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte (BGH NJW 2016, 56 Rn. 34).

Mittelbarer Störer kann auch der Betreiber eines Internetportals oder ein Host-Provider sein, wenn er später positive Kenntnis von einer Rechtsgutsverletzung durch einen von einem Dritten eingestellten Inhalt erlangt (BGH NJW 2007, 2558). Zwar trifft den Betreiber keine Verpflichtung, die bei ihm eingestellten Inhalte auf eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten Betroffener zu überprüfen (BGH NJW 2012, 2345 – RSS-Feeds; BGH NJW 2012, 148). Wird ihm die Rechtsverletzung jedoch bekannt, so ist er ex nunc zur Unterlassung verpflichtet. In dem Unterlassen, einen als unzulässig erkannten Beitrag zu entfernen, liegt nämlich eine Perpetuierung der Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Der Betreiber eines Internetforums ist „Herr des Angebots“ und verfügt deshalb vorrangig über den rechtlichen und tatsächlichen Zugriff. Auch wenn von ihm keine Prüfpflichten verletzt werden, so ist er doch nach allgemeinem Zivilrecht zur Beseitigung und damit zur Unterlassung künftiger Rechtsverletzungen verpflichtet (BGH NJW 2007, 2558 Rn. 9; BGH NJW 2016, 2106 Rn. 23 – Ärztebewertungsportal III).

Wird eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten behauptet, wird sich eine Rechtsverletzung durch den Betreiber allerdings nicht stets ohne weiteres feststellen lassen. Denn sie erfordert eine Abwägung zwischen dem Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und dem durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK geschützten Recht jedenfalls des Providers auf Meinungs- und Medienfreiheit. Ist der Provider jedoch mit der Beanstandung eines Betroffenen konfrontiert, die so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer bejaht werden kann, kann eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sachverhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den beanstandeten Beitrag Verantwortlichen erforderlich sein (OLG Frankfurt a.M. NJW 2018, 795 Rn. 36; LG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.9.2018 – 2/03 O 123/17, BeckRS 2018, 37426 Rn. 50; LG Hamburg MMR 2018, 407). Dies gilt auch dann, wenn die Zulässigkeit einer Meinungsäußerung im Streit steht (BGH NJW 2018, 2324 Rn. 32 (Suchmaschine); LG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.09.2018 – 2-03 O 123/17, BeckRS 2018, 37426 Rn. 50; vgl. auch BGH GRUR 2016, 855, Rn. 23 f. m.w.N - jameda.de II; OLG Frankfurt a.M. NJW 2018, 795 Rn. 33 f. in Bezug auf Schmähkritik).

Welcher Überprüfungsaufwand vom Host-Provider im Einzelfall zu verlangen ist, ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung, bei der die betroffenen Grundrechte der Beteiligten zu berücksichtigen sind, zu ermitteln (BGH NJW 2016, 2106 Rn. 38 – Ärztebewertungsportal III; LG Hamburg MMR 2018, 407 Rn. 46 m.w.N.). Mindestens ist in der Regel jedenfalls eine Stellungnahme des einstellenden Dritten zu der Rüge des Betroffenen einzuholen. Eine Verpflichtung zur Löschung des beanstandeten Eintrags entsteht, wenn auf der Grundlage der Stellungnahme des für den Beitrag Verantwortlichen und einer etwaigen Replik des Betroffenen unter Berücksichtigung etwa zu verlangender Nachweise von einer rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts auszugehen ist (BGH NJW 2012, 148 Rn. 27). Ein Anspruch auf Unterlassung/Löschung besteht aber auch dann, wenn keine Stellungnahme des Dritten eingeholt wird, der Host-Provider also seinen Prüfpflichten nicht nachkommt (OLG Frankfurt a.M. NJW 2018, 795 Rn. 36; LG Frankfurt a.M., Urt. v. 13.09.2018 – 2-03 O 123/17, BeckRS 2018, 37426 Rn. 50).

In Anwendung dieser Grundsätze hat die Antragsgegnerin auf die Abmahnung des Antragstellers hin ihren Pflichten nicht genügt. Der Hinweis des Antragstellers war insoweit hinreichend konkret, um Pflichten der Antragsgegnerin auszulösen. Der Antragsteller hat in seiner Abmahnung unter Angabe der konkreten URL und der konkreten in dem Video enthaltenen Äußerung erläutert, dass die Äußerung unwahr ist und auch im Übrigen unzulässig in sein Persönlichkeitsrecht eingreife. Damit konnte und musste die Antragsgegnerin auf Grundlage des Vortrags des Antragstellers prüfen, ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt. Dem ist die Antragsgegnerin offensichtlich nicht in hinreichendem Umfang nachgekommen. Sie hat nämlich trotz Hinweises und Abmahnung lediglich erwidert, dass keine „Beleidigung“ vorliege. Die Antragsgegnerin hat dadurch zu erkennen gegeben, dass sie das Vorbringen des Antragstellers nicht bzw. nicht in hinreichendem Umfang zur Kenntnis genommen geprüft hat. Der Antragsteller hat nämlich nicht das Vorliegen einer Beleidigung gerügt, sondern vielmehr die Behauptung unwahrer Tatsachen bzw. eines unwahren Gerüchts sowie den Verstoß gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung. Auf dieser Grundlage konnte sich die Antragsgegnerin nicht darauf beschränken, eine „Beleidigung“ zu prüfen, selbst wenn man den englischen Begriff der „defamation“ weiter ziehen würde.

d. Darauf, dass die Antragsgegnerin das Video auf die gerichtliche Anhörung hin für den Zugang über das deutsche Angebot gesperrt hat, kam es hiernach nicht mehr an, da die Antragsgegnerin bereits ab der Abmahnung und ihrer nicht hinreichenden Reaktion als Störerin auf Unterlassung haftete. Insoweit kann offenbleiben, ob die Antragsgegnerin durch die von ihr vorgenommene Maßnahme ihren Pflichten genügt hätte, wobei letztlich auch unklar bleibt, was mit dem von der Antragsgegnerin angeführten Vortrag, sie habe das Video auf die gerichtliche Anhörung hin „für das auf Deutschland ausgerichtete Länderangebot ihres Dienstes ... vorsorglich gesperrt“ konkret ausgedrückt werden soll. So bleibt unklar, ob das Video aus Deutschland überhaupt nicht mehr abgerufen werden konnte oder nicht (vgl. insoweit auch EuGH GRUR 2019, 1317 – Google/CNIL).

e. Die Kammer hat erwogen, den Tenor nach § 938 ZPO auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu beschränken. Angesicht der neueren Rechtsprechung des EuGH zur Reichweite nationaler Anordnungen auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen (vgl. EuGH GRUR 2019, 1317 – Google/CNIL; EuGH NJW 2019, 3287 – Glawischnig-Piesczek/Facebook) erachtet die Kammer eine solche Beschränkung derzeit nicht als geboten. Insoweit ist die angegriffene Persönlichkeitsrechtsverletzung (unzutreffender Vorwurf der zumindest mittelbaren Verwicklung in Clan-Kriminalität und schwerste Körperverletzungen) auch als hinreichend schwerwiegend anzusehen.

f. Soweit die Antragsgegnerin rügt, dass das Herkunftslandprinzip nach § 3 Abs. 2 TMG einer Inanspruchnahme der Antragsgegnerin entgegenstehe, folgt die Kammer dem jedenfalls für das vorliegende Eilverfahren nicht. Der Kammer ist aus anderen Verfahren vor der Kammer bekannt, dass nach dem hier maßgeblichen irischen Recht das entscheidende Merkmal bei der Prüfung der Frage, ob eine „Diffamierung“ vorliegt, der Wahrheitsgehalt der entsprechenden Behauptung ist. Im Common Law wird der diffamierende Charakter einer Veröffentlichung daran gemessen, ob die Aussage den Ruf des von der Äußerung Betroffenen beeinträchtigt hat, wobei als Maßstab die Ansicht der „vernünftigen“ Mitglieder der Gesellschaft zugrunde zu legen ist (vgl. OLG München, Urt. v. 13.11.2018 – 18 U 1282/16, BeckRS 2018, 29212 Rn. 75 ff.).

Im Rahmen dieser im Eilverfahren hier nach § 293 ZPO zu Grunde zu legenden Grundsätze (vgl. zuletzt OLG Frankfurt a.M. GRUR 2020, 493 Rn. 38 ff. – MBST-Sytem, wonach im Rahmen des Eilverfahrens im Rahmen einer Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist, wenn das ausländische Recht nicht in einer mit dem Eilverfahren zu vereinbarende Weise ermittelt werden kann) liegt ein Verstoß gegen das Herkunftslandprinzip nach § 3 Abs. 2 TMG nicht vor, da die angegriffene Äußerung auch nach irischem Recht unzulässig in das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers eingreift. Insoweit hat der Antragsteller auch hinreichend nach dem Maßstab der §§ 294, 286 ZPO glaubhaft gemacht, dass die angegriffene Äußerung unwahr ist. Die Kammer hat diesbezüglich insbesondere berücksichtigt, dass die A eine Unterlassungserklärung abgegeben und damit eingeräumt hat, dass es für die Äußerung keine tatsächliche Grundlage gibt.

g. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist gegeben.

h. Die Entscheidung über die Androhung eines Ordnungsmittels beruht auf § 890 ZPO.

2. Auch der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nötige Verfügungsgrund liegt vor.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.

4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 3 ZPO, 53 Abs. 1 GKG.

5. Die Kammer hat die Antragsgegnerin angehört, da Deckungsgleichheit zwischen Antragsschrift und Abmahnung nicht vorlag. Hierbei hat sie der Antragsgegnerin zunächst per E-Mail (vgl. zur Form der Anhörung BVerfG NJW 2018, 3634) aufgegeben, eine Adresse zu benennen, an die die Antragsschrift z.B. per Fax oder per beA übermittelt werden kann und sodann die Antragsgegnerin zur Stellungnahme aufgefordert.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerfG: Verfassungsbeschwerde wegen eines Verstoßes gegen die prozessuale Waffengleichheit - besonderes Interesse an nachträglicher Feststellung muss substantiiert dargelegt werden

BVerfG
Beschluss vom
1 BvR 1617/20


Das BVerfG hat in einer weiteren Entscheidung ausgeführt, dass eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen eines Verstoßes gegen die prozessuale Waffengleichheit voraussetzt, dass ein besonderes Interesse an einer nachträglichen Feststellung vorliegt und dies substantiiert dargelegt wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist und jedenfalls Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht gegeben sind. Ein besonderes Interesse an einer nachträglichen Feststellung eines Verstoßes gegen die prozessuale Waffengleichheit ist nicht ausreichend dargelegt oder ersichtlich.

1. a) Ausweislich der für das Verfahren maßstäblichen Entscheidung der Kammer vom 30. September 2018 (1 BvR 1783/17, Rn. 11) setzt eine nachträgliche Feststellung eines Verstoßes gegen die prozessuale Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren grundsätzlich ein besonderes Feststellungsinteresse voraus (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juli 2020 - 1 BvR 1379/20 -, Rn. 9 f.). Die bloße Geltendmachung eines – auch gravierenden – error in procedendo reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerfGE 138, 64 <87 Rn. 71> m.w.N. – zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Anzunehmen ist ein Feststellungsinteresse insbesondere dann, wenn eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu befürchten ist (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>), also eine hinreichend konkrete Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten rechtlichen und tatsächlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergehen würde. Dafür bedarf es nach der Klärung der Rechtslage durch den stattgebenden Kammerbeschluss vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 - näherer Darlegungen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 8. Oktober 2019 - 1 BvR 1078/19 u.a. -, Rn. 3). Ein auf eine Wiederholungsgefahr gestütztes Feststellungsinteresse setzt insoweit voraus, dass die Zivilgerichte die aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit folgenden Anforderungen grundsätzlich verkennen und ihre Praxis hieran unter Missachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe erkennbar nicht ausrichten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juli 2020 - 1 BvR 1379/20 -, Rn. 10).

b) Die Darlegung eines solchen besonderen Feststellungsinteresses kann nur ausnahmsweise entbehrlich sein, solange eine offenkundig prozessrechtswidrig erlassene einstweilige Verfügung noch fortwirkt, das darauf bezogene fachgerichtliche Widerspruchsverfahren zügig beschritten wurde und noch andauert sowie schwere, grundrechtlich erhebliche Nachteile des Beschwerdeführers im Sinne von § 32 Abs. 1, § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG geltend gemacht werden, die ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts noch während des laufenden fachgerichtlichen Verfahrens gebieten (vgl. zu solchen Konstellationen BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 12 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 9-12).

2. Nach diesen Maßstäben mangelt es der Verfassungsbeschwerde an einem ausreichenden Feststellungsinteresse beziehungsweise an Annahmegründen im Sinne des § 93a Abs. 1 BVerfGG.

a) Bereits aus dem Beschluss der Kammer vom 16. Juli 2020 ergibt sich, dass die besonderen Voraussetzungen für ein verfassungsgerichtliches Einschreiten im Wege des § 32 Abs. 1 BVerfGG vorliegend nicht gegeben sind. Auch der nachgereichte Schriftsatz legt lediglich eine gewöhnliche Beschwer der Beschwerdeführerin durch den formellen Unterlassungstitel und die Kostenlast dar, nicht aber einen schwerwiegenden Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG. Auch zur Erfüllung der übrigen prozessualen Anforderungen, die in besonderen Fällen ein Einschreiten nach § 32 Abs. 1 BVerfGG in Fällen einer Verletzung der Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren rechtfertigen können, ist nichts vorgetragen.

b) Ein besonderes Interesse an einer nachträglichen Feststellung einer Verletzung der prozessualen Waffengleichheit ist nicht hinreichend dargelegt.

aa) Die Beschwerdeführerin beruft sich in erster Linie auf die beiden zitierten Entscheidungen der Kammer aus den Verfahren 1 BvR 1246/20 und 1 BvR 1380/20, in denen eine solche Darlegung im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gefordert wurde. Diese Bezugnahme geht allerdings fehl, weil ein Verzicht auf diese Anforderung der dortigen Verfahrenskonstellation geschuldet war. Dort bestanden jeweils die Wirkungen der Verletzung der prozessualen Waffengleichheit fort, war ein Widerspruch eingelegt und begründet worden und konnte außerdem ein schwerwiegender Nachteil im Sinne des § 32 BVerfGG geltend gemacht werden. All dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Verzicht auf das Erfordernis der Darlegung eines besonderen Feststellungsinteresses war gerade dieser Verfahrenskonstellation und der spezifischen verfassungsgerichtlichen Rechtschutzform (§ 32 BVerfGG) geschuldet. Denn die substantiierte Darlegung und verfassungsgerichtliche Prüfung eines solchen besonderen Feststellungsinteresses dürfte in aller Regel im Eilverfahren nicht mit Aussicht auf Erfolg möglich sein. Handelt es sich hingegen nicht mehr um eine besonders dringliche Sache, sondern geht es darum, abschließend zu prüfen, ob in dem Verfahren die prozessuale Waffengleichheit verletzt wurde, sind besondere Anforderungen an das Interesse an einer nachträglichen Feststellung zu stellen, die auch sonst in Fällen einer nachträglichen Feststellung von Verfahrensverstößen gefordert werden. Denn dem Verfassungsgericht obliegt nicht die Aufgabe eines rückblickenden Nachvollzugs des ordnungsgemäßen Ablaufs des fachgerichtlichen Verfahrens um seiner selbst willen.

bb) Diesen somit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren anzulegenden Darlegungsanforderungen genügt der Beschwerdevortrag offensichtlich nicht. Die Beschwerdeführerin behauptet lediglich pauschal und ohne nähere Erläuterungen, dass das Landgericht Hamburg die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die im Verfahren 1 BvR 1783/17 formuliert wurden, grundsätzlich verkenne und nicht gewillt sei, diese umzusetzen. Zur Plausibilisierung verweist sie allein auf den vorliegenden Fall und die dort nach ihrer Ansicht gegebene schwere Missachtung ihrer prozessualen Waffengleichheit. Dies genügt nicht, um ein besonderes Feststellungsinteresse zu begründen.

Zwar beruft sich die Beschwerdeführerin hinsichtlich einer Wiederholungsgefahr auf die Möglichkeit, in Zukunft in anderen presserechtlichen Auseinandersetzungen erneut mit einstweiligen Verfügungen des Landgerichts Hamburg rechnen zu müssen. Ihr Vortrag ist insofern jedoch gänzlich allgemein gehalten, sodass sich eine konkrete Wiederholungsgefahr daraus nicht ergibt. Insbesondere enthält die Verfassungsbeschwerde keinen Vortrag, der plausibilisieren könnte, dass der Beschwerdeführerin im Fall zukünftiger einstweiliger Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Hamburg erneut entsprechende Verletzungen ihrer prozessualen Waffengleichheit drohen würden. Für eine grundlegende und systematische Missachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen durch das Landgericht werden somit keine Anhaltspunkte genannt.


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BGH: Grundsatz der prozessualer Waffengleichheit gehört zum verfahrensrechtlichen ordre public - für Schiedsverfahren auch in § 1042 Abs. 1 Satz 1 ZPO geregelt

BGH
Beschluss vom 23.07.2020
I ZB 88/19
ZPO § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b, § 1042 Abs. 1 Satz 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3


Der BGH hat entschieden, dass der Grundsatz der prozessualer Waffengleichheit zum verfahrensrechtlichen ordre public-gehört und für Schiedsverfahren einfachrechtlich auch in § 1042 Abs. 1 Satz 1 ZPO geregelt ist.

Leitsatz des BGH:

Der verfassungsrechtliche Grundsatz prozessualer Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, der für das Schiedsverfahren einfachrechtlich in § 1042 Abs. 1 Satz 1 ZPO geregelt ist, gehört zum verfahrensrechtlichen ordre public.

BGH, Beschluss vom 23. Juli 2020 - I ZB 88/19 - Kammergericht

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BVerfG: Einstweilige Anordnung wegen Verstoßes gegen Gebot der prozessualen Waffengleichheit nur wenn schwerer Nachteil im Sinne von § 32 BVerfGG substantiiert dargelegt wird

BVerfG
Beschluss vom 01.09.2020
2 BvQ 61/20

Das BVerfG hat entschieden, dass eine einstweilige Anordnung wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der prozessualen Waffengleichheit voraussetzt, dass ein schwerer Nachteil im Sinne von § 32 BVerfGG substantiiert dargelegt wird. Der Hinweis auf den einseitig erstrittenen Unterlassungstitel reicht - so das BVerfG - hierzu nicht aus.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.

a) Soweit die Antragstellerin ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf die gerügte Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG stützt, ist die - noch zu erhebende - Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig und damit auch der beantragte Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit gegenstandslos.

Die gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs lässt sich nach Durchführung der mündlichen Verhandlung, die auf den Widerspruch der Antragstellerin gemäß § 924 Abs. 2 Satz 2 ZPO zwingend zu erfolgen hat, heilen. Die Funktionenteilung zwischen der Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit betraut zunächst die Fachgerichte mit der Korrektur bereits verwirklichter Grundrechtseingriffe (vgl. BVerfGE 96, 27 <40>; 104, 220 <232 f.>). Im Besonderen - so auch hier - gilt das für die grundsätzlich mögliche Heilung von Gehörsverstößen durch nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BVerfGE 5, 9 <10>; 58, 208 <222>; 62, 392 <397>; 107, 395 <410 ff.>; stRspr). Insoweit ist die Antragstellerin nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG von vornherein auf den Rechtsweg zu verweisen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2017 - 1 BvQ 16/17 u.a. -, Rn. 7; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2017 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 7).

b) Soweit die Antragstellerin ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf die Verletzung von Verfahrensrechten, namentlich der prozessualen Waffengleichheit stützt, ist die Verfassungsbeschwerde unter Zugrundelegung des Vortrags der Antragstellerin zwar weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet und ein Rechtsweg vor den Fachgerichten nicht eröffnet (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2017 - 1 BvQ 16/17 u.a. -, Rn. 10 f.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2017 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 8; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 12). Der Antrag ist jedoch mangels substantiierter Darlegung eines schweren Nachteils im Sinne des § 32 BVerfGG unzulässig.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Zu den Zulässigkeitsanforderungen an einen Antrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gehört die substantiierte Darlegung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. November 2006 - 1 BvQ 33/06 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. November 2015 - 2 BvQ 43/15 -, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2017 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 9). Selbst im Fall offenkundiger Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde kommt ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG nur in Betracht, wenn ein schwerer Nachteil im Sinne des § 32 BVerfGG dargelegt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1378/20 -, juris, Rn. 4; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. Juli 2020 - 1 BvR 1617/20 -, Rn. 5).

Die Antragstellerin hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass ihr für den Fall, dass eine einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, ein schwerer Nachteil droht. Allein die fortgesetzte Belastung durch einen einseitig erstrittenen Unterlassungstitel reicht hierzu nicht aus. Vielmehr müsste die Antragstellerin auch in der Sache durch die Unterlassungsverpflichtung belastet sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. Juli 2020 - 1 BvR 1617/20 -, Rn. 5). Die Antragstellerin hat nicht hinreichend dargelegt, an welchem konkreten Verhalten sie vor der Entscheidung über ihren Widerspruch gehindert wird. Dadurch lässt sich nicht beurteilen, ob in der Unterlassungsverpflichtung ein schwerer Nachteil liegt. Die vage Behauptung der Antragstellerin, es lägen "gravierende Pflichtverletzungen" durch den Stiftungsratsvorsitzenden vor, weshalb sie erheblichen Schaden bezogen auf die Stiftung fürchte, genügt insoweit nicht. Ebenso wenig genügt der Vortrag der Antragstellerin, der Stiftungsratsvorsitzende verteile die einstweilige Verfügung zielgerichtet an einen erheblichen Empfängerkreis.


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