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OLG Frankfurt: Bei in Einzelteilen zur Selbstmontage gelieferten Verbraucherprodukten müssen Hersteller und Anschrift nach § 6 ProdSG unmittelbar auf dem Produkt angebracht sein

OLG Frankfurt
Beschluss vom 13.02.2024
6 W 5/24


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass bei in Einzelteilen zur Selbstmontage gelieferten Verbraucherprodukten der Hersteller und die Kontaktanschrift nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 ProdSG unmittelbar auf dem Produkt angebracht sein müssen. Es reicht nicht, wenn sich die Informationen nur auf der Umverpackung befinden.

Aus den Entscheidungsgründen:
(3) Entgegen der angefochtenen Entscheidung hat die Antragsgegnerin ihren Namen und ihre Kontaktanschrift nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 ProdSG unmittelbar auf dem Verbraucherprodukt anbringen müssen. Die mehrfach auf Etiketten auf der Verpackung bzw. dem Karton vorhandenen Angaben waren unzureichend.

(a) Der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 2 ProdSG ist nach zutreffender Ansicht der Antragstellerin eindeutig. Die Angaben nach Satz 1 Nr. 2 und 3 ProdSG sind danach auf dem Verbraucherprodukt oder, wenn dies nicht möglich ist, auf dessen Verpackung anzubringen. Insoweit ist (zu Recht) unstreitig, dass die Angaben ohne Weiteres auf einem der Einzelteile des von der Antragstellerin beanstandeten Gamingstuhls hätten angebracht werden können, etwa auf der Rückenlehne oder der Unterseite der Sitzfläche. Daneben hinaus sind Ausnahmen nach § 6 Abs. 1 Satz 3 ProdSG nur zulässig, wenn es vertretbar ist, diese Angaben wegzulassen, insbesondere, weil sie der Verbraucherin oder dem Verbraucher bereits bekannt sind, oder weil es mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre, sie anzubringen. Ein solcher Sonderfall ist hier nicht substantiiert dargetan und auch nicht ersichtlich.

(b) Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 4 Buchst. a RL 2001/95/EG (im Wesentlichen) lautet (Hervorh. durch das Gericht):

„[…] die Angabe des Herstellers und seiner Adresse auf dem Produkt oder auf dessen Verpackung sowie die Kennzeichnung des Produkts oder gegebenenfalls des Produktpostens, zu dem es gehört, es sei denn, die Weglassung dieser Angabe ist gerechtfertigt“.

Zwar mag aus den Erwägungsgründen der Produktsicherheitsrichtlinie nicht hervorgehen, dass diese nur eine Mindestharmonisierung bezweckt. Allerdings gibt Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 3 RL 2001/95/EG lediglich verbindlich vor, dass die Hersteller im Rahmen ihrer jeweiligen Geschäftstätigkeit Maßnahmen zu treffen haben, die den Eigenschaften der von ihnen gelieferten Produkte angemessen sind, damit sie imstande sind,

a) die etwaigen von diesen Produkten ausgehenden Gefahren zu erkennen,

b) zu deren Vermeidung zweckmäßige Vorkehrungen treffen zu können, erforderlichenfalls einschließlich der Rücknahme vom Markt, der angemessenen und wirksamen Warnung der Verbraucher und des Rückrufs beim Verbraucher.

Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 4 Buchst. RL 2001/95/EG sieht insoweit vor, dass die in Unterabsatz 3 genannten Maßnahmen „beispielsweise“ umfassen - es schließt sich die oben wiedergegebene Regelung in Unterabsatz 4 Buchst. a) an. Der europäische Gesetzgeber hat die vom Hersteller zu treffenden Maßnahmen damit nicht im Einzelnen und abschließend geregelt, sondern Umsetzungsspielraum gelassen. Da die Pflicht zur Herstellerkennzeichnung (i.w.S.) unter anderem dazu dient, bei Bedarf einen Rückruf oder eine Verbraucherwarnung effektiv durchführen zu können, erscheint es sachgerecht, vorrangig eine Anbringung der Herstellerkennzeichnung auf dem Produkt als solchem vorzusehen und nur in Fällen eine alternative Kennzeichnung zu gestatten, in denen eine solche Anbringung im Einzelfall nicht möglich ist. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass der Verbraucher jederzeit auf die vorgeschriebenen Informationen zum Hersteller des Produkts zurückgreifen kann. Dagegen wird eine Umverpackung regelmäßig entsorgt und nicht griffbereit aufbewahrt, so dass der Besitzer bei Bedarf nicht auf die Herstellerinformation zurückgreifen kann. Zweifel an einer unionsrechtskonformen, dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragenden Umsetzung der Produktsicherheitsrichtlinie bestehen insoweit nicht.

(c) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin geben die Leitlinien zum Produktsicherheitsgesetz des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik in Anlage AG15 ebenfalls keinen Anlass zu einer anderen Auslegung. Soweit dort auf Seite 21 die Möglichkeit angesprochen wird, Herstellerangaben in der Gebrauchs- bzw. Betriebsanleitung, auf dem Preisetikett, auf einem gesonderten Anhängeetikett oder der Rechnung anzugeben, kann dies mit Blick auf den Hinweis, dass dies der Angabe auf der Verpackung gleichstehe, nur Konstellationen betreffen, in denen die Angabe der Herstellerdaten auf dem Produkt nicht möglich ist.

b) Im tenorierten Umfang besteht aufgrund der begangenen Rechtsverletzung die tatsächliche Vermutung einer Wiederholungsgefahr. Dagegen geht das von der Antragstellerin begehrte Verbot teilweise über den ihr zustehenden Unterlassungsanspruch hinaus, da es auch rechtmäßige Handlungen erfasst.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Ansprüche auf Unterlassung über die konkrete Verletzungshandlung hinaus gegeben sein, soweit in der erweiterten Form das Charakteristische der Verletzungshandlung noch zum Ausdruck kommt. Dies hat seinen Grund darin, dass eine Verletzungshandlung die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für die identische Verletzungsform, sondern für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen begründet (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 23.01.2024 - I ZR 147/22, juris Rn. 50 mwN - Eindrehpapier).

bb) Nach diesen Maßstäben geht der Eilantrag der Antragstellerin teilweise über den ihr zustehenden Unterlassungsanspruch hinaus.

(1) Der Antrag ist weder im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 ProdSG auf ein Handeln der Antragstellerin als Hersteller noch auf die Bereitstellung eines Verbraucherprodukts auf dem Markt beschränkt. Ein Verstoß gegen § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 ProdSG läge beispielsweise dann nicht (notwendig) vor, wenn die Antragsgegnerin als bloße Händlerin ein nicht ordnungsgemäß gekennzeichnetes Sitzmöbel vertriebe. Auch sind nicht bereits das Bewerben und Anbieten eines nicht ordnungsgemäß gekennzeichneten Produkts rechtswidrig, sondern unter den dargestellten Voraussetzungen erst dessen Bereitstellung auf dem Markt.

Daher hat der Senat den Tenor gemäß § 938 Abs. 1 ZPO auf dasjenige beschränkt, was im Rahmen des gestellten Antrags (§ 308 Abs. 1 ZPO) noch zum Kernbereich der begangenen Rechtsverletzung gehört. Besteht insoweit eine Wiederholungsgefahr, kommt es nicht darauf an, ob ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Antragsgegnerin in naher Zukunft derart verhalten wird (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 23.01.2024 - I ZR 147/22, juris Rn. 52 mwN - Eindrehpapier).

(2) Eine weitergehende Einschränkung auf Büro- und Gamingstühle ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht geboten. Die Reichweite der Wiederholungsgefahr ist nicht auf Waren beschränkt, hinsichtlich derer zwischen den Parteien ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht. Zwar setzt die Aktivlegitimation und damit zugleich die Klagebefugnis eines Wettbewerbers nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG voraus, dass dieser Mitbewerber ist, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt. Ist diese Voraussetzung erfüllt, besteht bei einem Wettbewerbsverstoß aber grundsätzlich im Umfang der Wiederholungsgefahr ein Unterlassungsanspruch. Dies trägt auch dem Umstand Rechnung, dass das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 UWG nicht nur dem Schutz der Mitbewerber, sondern auch der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen dient und zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb schützt.

b) Es besteht auch ein Verfügungsgrund.

Das Eilbedürfnis wird im Anwendungsbereich des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb nach § 12 Abs. 1 UWG vermutet.

Diese Vermutung ist nicht widerlegt bzw. entkräftet. Insbesondere hat der Umstand, dass die Antragsgegnerin den Vertrieb des von der Antragstellerin beanstandeten Gamingstuhls eingestellt hat, aus den oben bereits dargelegten Gründen die Wiederholungsgefahr nicht umfassend beseitigt. Im Umfang der Wiederholungsgefahr besteht auch ein Eilbedürfnis.

Dieses steht einer vorhergehenden mündlichen Verhandlung entgegen (vgl. insofern zum Lauterkeitsrecht BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18.09.2023 - 1 BvR 1728/23, GRUR 2023, 1644 Rn. 14 ff.). Im Streitfall geht es allein um Rechtsfragen. Die Tatsachengrundlage und die beiderseitigen Rechtsansichten sind geklärt. Aufgrund des umfassenden schriftsätzlichen Vortrags (auch) der Antragsgegnerin ist deren Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt. Schließlich ist im Beschwerdeverfahren die mündliche Verhandlung nur fakultativ (§ 572 ZPO i.V.m. § 128 Abs. 4 ZPO) während sie im Eilverfahren in erster Instanz durch das Gesetz als Regelfall vorgesehen ist und nur im Ausnahmefall entfallen darf (§ 937 Abs. 2 ZPO).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG Schleswig-Holstein: Kein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB bei individuell angefertigtem Wintergarten zur Selbstmontage wenn nicht für andere Gebäude verwendbar

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 25.03.2021
6 U 48/20


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB kein Widerrufsrecht bei einem Vertrag über einen individuell angefertigten Wintergarten zur Selbstmontage besteht, wenn der Vertragsgegenstand nicht für andere Gebäude verwendbar ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. Die Beklagte kann sich im Rahmen der vorgelegten Verträge auf die Bereichsausnahme des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB berufen. Die von ihr verwendeten Vertragsformulare und Allgemeinen Geschäftsbedingungen führen somit nicht zu einem Verstoß gegen ihre Informationspflichten aus § 312j BGB oder zu irreführenden geschäftlichen Handlungen gem. § 5, § 5a UWG. Dem Kläger stehen somit Unterlassungsansprüche gem. § 8 UWG nicht zu. Nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB besteht das Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen oder im Fernabsatz geschlossenen Verträgen nicht, wenn es sich um Verträge zur Lieferung von Waren handelt, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist, oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei den vorliegenden Verträgen nicht um Werkverträge, für die die Anwendung der Bereichsausnahme nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 30. August 2018, VII ZR 243/17, Rn. 19ff, - juris -). Die Beklagte unterteilt die von selbstständigen Handelsvertretern vermittelten Verträge in Verträge auf Lieferung von „Bauteile[n] zur Montage eines kompletten Glasanbaus/Wintergartens“ (vgl. Anlage K10, Bl. 116) und einen Montageauftrag mit einem nicht mit ihr verbundenen Handwerksbetrieb (vgl. Anlage K11, Bl. 122). Sie hat hierzu bisher unwiderlegt angegeben, der Besteller könne auch den Wintergarten selbst aufstellen oder einen anderen Handwerksbetrieb mit der Montage beauftragen. Damit liegt der Schwerpunkt der von der Beklagten angebotenen Leistung in der Lieferung von Waren i. S. d. § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB und nicht in der Herbeiführung eines Werkerfolges.

b) Auch die weiteren Voraussetzungen der Bereichsausnahme liegen vor. Die Ausnahme für Waren, die nach Kundenspezifikation hergestellt sind, entspricht im Wesentlichen Art. 2 Nr. 4 VerbrRRL, die zur Begriffsbestimmung in Erwägungsgrund 49 als Beispiel nach Maß gefertigte Vorhänge angibt (Staudinger-Thüsing (2019), BGB, § 312g Rn. 21). Weitere Beispiele sind Maßanzüge, mit persönlicher Gravur versehene Schmuckstücke oder Grabsteine (Staudinger, a. a. O., Rn. 22). Nach der auch in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB genannten Alternative greift die Ausnahme zudem bei Waren, die eindeutig auf die persönlichen Verhältnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Dies wäre getreu dem Wortsinn auch bei Möbeln der Fall, die aus einer Angebotspalette des Herstellers individuell zusammengestellt werden, oder bei Kraftfahrzeugen, die vom Verbraucher gewünschte Extras enthalten (MüKo-BGB/Wendehorst, § 312g Rn. 16; Staudinger, a. a. O. Rn. 22, jeweils m. w. N.). Daher ist die Vorschrift eng auszulegen.

aa) Der Zweck der Bereichsausnahme liegt darin, dass eine Rückabwicklung des Vertrages für den Unternehmer unzumutbar ist, wenn hierdurch für ihn erhebliche wirtschaftliche Nachteile entstehen. Dieses Risiko muss über das allgemeine Risiko eines Fernabsatzgeschäftes hinausgehen, das für den Unternehmer bereits durch die Vorteile dieses Vertriebsmodells ausgeglichen wird. Für das Vorliegen der Ausnahme sind daher zwei Voraussetzungen erforderlich (vgl. BGH, MDR 2003, 732, Rn. 15ff., juris):

(1) Zum einen darf der Unternehmer die vom Kunden veranlasste Anfertigung der Ware nicht ohne weiteres rückgängig machen können. Hierzu ist erforderlich, dass es einen unvertretbaren wirtschaftlichen Aufwand erfordert, die Bestandteile wieder in einen Zustand zu versetzen, in dem sie sich vor der Zusammensetzung befunden haben. Der BGH hat in der zitierten Entscheidung fünf Prozent des Warenwertes noch nicht als unvertretbaren Aufwand angesehen (BGH a. a. O., Rn. 19, juris).

(2) Zum anderen müssen die Angaben des Verbrauchers die Sache so sehr individualisiert haben, dass der Unternehmer sie wegen ihrer besonderen Gestalt nicht mehr oder nur noch mit erheblichen wirtschaftlichen Verlusten weiterveräußern kann (BGH a. a. O., Rn. 20ff; Palandt-Grüneberg, § 312g Rn. 4). Unerheblich ist, ob der Unternehmer die Spezifikation selbst vorgenommen hat oder die Ware auf Kundenwunsch hin hat anfertigen lassen.

bb) Die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 21) hat die Voraussetzung der Ausnahme hinreichend belegt.

(1) Soweit sie dargelegt hat, die Wintergärten seien auf die zu bebauende Fläche, die Traufenhöhe, die Lastabfangung der Wand, Besonderheiten wie das Einschließen einer Hausecke oder Umgehung eines Abganges zugeschnitten, betrifft dies zunächst nur die Frage der Individualisierung im weiten Sinne, also die Frage, ob überhaupt ein Zuschnitt auf die Kundenwünsche, wie z. B. bei Farbe und Ausstattung eines PKW erfolgt. Auch Einzelwünsche wie das für das Dach verwendete Material, zu öffnende Fenster etc. begründen den erforderlichen wirtschaftlichen Nachteil durch die Individualisierung ohne hinzukommende Umstände nicht.

(2) Solche weiteren Umstände sind in der Herstellungsweise der Wintergartenteile, deren Ablauf die Beklagte detailliert unter Vorlage verschiedener Bestellungen und Planungsunterlagen vorgetragen hat, begründet. Der Kläger ist diesem Vortrag lediglich pauschal und damit unbeachtlich entgegengetreten.

Nach dem insoweit zugrunde zu legenden Ablauf werden die Dächer der Wintergärten aus Profilbauteilen zusammengesetzt und dann die Dichtungen und Abdeckleisten auf die jeweilige Länge zugeschnitten. Bereits diese Bereiche und Einzelteile wären zwar theoretisch wiederverwendbar, allerdings lediglich an kürzeren oder kleineren Bauteilen. Außerdem liegt nahe, dass bei weitgehend automatisierter Fertigung die erneute Verwendung bereits auf Länge zugeschnittener Teile einen unwirtschaftlichen Aufwand darstellt.

Offensichtlich ist auch, dass die hergestellten Seiten- und Frontteile nicht ohne Substanzverlust demontiert werden können. Bei der Fertigung von Kunststofffenstern werden die Profile in den Eckbereichen verschweißt und sind somit nicht ohne Zerstörung trennbar. Dieser Vortrag wäre nur dann unerheblich, wenn hier nicht nach individuellen Maßen gefertigt würde, sondern die Kunden nur die Auswahl zwischen verschiedenen Standardgrößen haben, die dann bereits in Serie vorgefertigt und nur zusammengestellt werden. Mit ihren Plänen und Bestellunterlagen hat die Beklagte aber nachvollziehbar dargelegt, zwar mit einem hohen Standardisierungs- und Automatisierungsgrad zu bestellen und fertigen zu lassen. Dies ändert aber nichts daran, dass im Grundsatz belegt wird, dass individuelle Gegebenheiten wie die Einbindung von Treppenbereichen oder sonstigen Besonderheiten erfolgt und die Bestellungen auf jeden Einzelfall angepasst sind. Durch den Umstand, dass die Fensterelemente nur durch ihre faktische Zerstörung zerlegt werden können, ist offensichtlich, dass sie sich nur mit einem deutlich höheren Aufwand als fünf Prozent des Warenwertes wieder trennen lassen.

(3) Schließlich ist auch die weitere Voraussetzung der Bereichsausnahme gegeben, da die vorgefertigten Wintergärten wegen ihres hohen Grades der Individualisierung nur noch mit erheblichen wirtschaftlichen Verlusten weiterveräußert werden können. Zwar könnte theoretisch ein Wintergarten, der nach häufiger vorkommenden Maßen gefertigt wurde und bei dem keine oder nur wenige Besonderheiten in den Wand- oder Bodenanschlüssen vorliegen, auch an einem anderen Haus aufgebaut werden. Ein solcher Handel mit vorgefertigten Wintergärten liegt jedoch außerhalb des Geschäftsmodells der Beklagten. Auch wenn der Kläger mit dem vorgelegten Vertrag einen Fall geschildert hat, in dem der verkaufte Wintergarten durch ein als Standard erscheinendes Maß gekennzeichnet ist, hat er hierdurch nicht widerlegt, dass der Vertrieb der Beklagten darauf gerichtet ist, gerade die individuellen Besonderheiten der Aufstellorte zu berücksichtigen und sich damit vom Verkauf vorgefertigter Standardbauten, wie sie z. B. in Baumärkten angeboten werden, abzusetzen. Zudem mag es wie im vorliegenden Einzelfall dazu kommen, dass ein Wintergarten mit 4006 mm x 3006 mm anderweitig verwendbar und zu verkaufen wäre. Der Kläger hat aber nicht belegt, dass dies in anderen oder häufigeren Fällen so ist. Vielmehr hat die Beklagte durch die Vorlage zahlreicher abweichender Maße dargelegt, dass es sich hierbei um Einzelfälle handelt. Hierzu bedurfte es nicht der weiteren, ungeordnet eingereichten zahlreichen Fotos und Skizzen, die mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 02.03.2021 vorgelegt wurden. Die bereits zuvor eingereichten Unterlagen belegten dies ausreichend. Auch das Vertriebsmodell der Beratung durch selbstständige Handelsvertreter eignet sich weniger, einen ggf. bestehenden wechselnden Lagerbestand an Wintergärten mit wechselnden Abmessungen zu vertreiben.

c) Der Senat konnte ohne weitere Beweisaufnahme entscheiden. Der Substanzverlust, der bei Trennung der aus Kunststoff hergestellten Fensterelemente zu berücksichtigen ist, ist offenkundig. Dass auf ein Standard-Profilsystem bei der Herstellung zurückgegriffen wird, reicht hierfür nicht, dies ist im Fensterbau üblich. Entscheidend ist, dass es auf Maß angefertigt wird. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem mit Schriftsatz vom 01.07.2020 vorgelegten Vertrag. Es mag sein, dass bei den dortigen Bestellern bis auf die Festlegung der Grundfläche wenig Daten zu erheben waren. Die Fertigung aus Fertigteilen oder die einfache Möglichkeit, den Wintergarten auch an anderer Stelle aufzustellen, ergibt sich hieraus nicht (s. o.). Weitere Verträge, aus denen sich Indizien für eine Vorfertigung nach Standardmaßen ergäben, liegen nicht vor.

d) Die Bereichsausnahme für das Widerrufsrecht ist auch nicht für einen begrenzten Zeitraum bis zum Beginn der Fertigung ausgeschlossen (vgl. hierzu Staudinger, a. a. O., Rn. 26; AG München VuR 2017, 191). Denn der EuGH hat mit Urteil vom 21.10.2020 (Rechtssache C-529/19) entschieden, dass die der Regelung des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB zugrundeliegende Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Ausnahme vom Widerrufsrecht einem Verbraucher unabhängig davon entgegengehalten werden kann, ob der Unternehmer mit deren Herstellung begonnen hat oder nicht (Rn. 30 nach juris).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: