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Neuer Versuch des BMJ zur Vorratsdatenspeicherung: Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten in der Strafprozessordnung

Das Bundesministeriums der Justiz (BMJ) versucht sich abermals an einer unionsrechtskonformen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung und hat den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten in der Strafprozessordnung vorgelegt.

Aus dem Entwurf:
A. Problem und Ziel
Mit Urteil vom 20. September 2022 – C-793/19 und C-794/19 – hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass die Vorschriften des deutschen Rechts zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Diese Entscheidung fügt sich in die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs seit dem Jahr 2014 ein, wonach eine generelle und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Nutzer auch zur Bekämpfung schwerer Kriminalität nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Schon zuvor liefen die im Jahr 2015 eingeführten Regelungen zur „Vorratsdatenspeicherung“ in den §§ 175 bis 181 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und in § 100g Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) weitgehend leer. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen im Juni 2017 im Eilverfahren die Speicherpflicht gegenüber den klagenden Telekommunikationsdienste-Anbietern einstweilig ausgesetzt hatte, verzichtete die Bundesnetzagentur nämlich bis zur endgültigen Klärung, ob diese Vorschriften europarechtskonform sind, auf jegliche Maßnahmen zur Durchsetzung der gesetzlich nach wie vor bestehenden Speicherpflicht.

Diese Klärung hat der EuGH nunmehr vorgenommen. Aus seinem Urteil folgt, dass der Versuch einer unionsrechtskonformen Ausgestaltung einer anlasslosen „Vorratsdatenspeicherung“ zu Strafverfolgungszwecken im nationalen Recht gescheitert ist; eine Neuauflage der allgemeinen und unterschiedslosen „Vorratsdatenspeicherung“ aller Verkehrsdaten ist aufgrund der höchstrichterlichen Vorgaben nicht möglich.

Zur effektiven Erlangung von digitalen Beweismitteln steht aber eine Alternative zur Verfügung. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 20. September 2022 ausdrücklich ausgeführt, dass mit einer anlassbezogenen Sicherung von Verkehrsdaten für einen festgelegten Zeitraum, die einer wirksamen richterlichen Kontrolle unterliegt, ein grundrechtsschonenderes und effektives Ermittlungsinstrument vorhanden ist, welches einer unionsrechtskonformen Regelung im Strafverfahrensrecht zugänglich ist. Diese Vorgaben des Gerichtshofs zu einer unionsrechtskonformen, anlassbezogenen Verkehrsdatenspeicherung sollen mit diesem Gesetz umgesetzt werden.

B. Lösung
Mit diesem Gesetz werden zum einen als zwingende Folge des Urteils des EuGH vom 20. September 2022 – C-793/19 und C-794/19 – die gegen das Unionsrecht verstoßenden Regelungen der „Vorratsdatenspeicherung“ in § 100g Absatz 2 StPO und in den §§ 175 bis 181 TKG aufgehoben.

Zugleich wird in einem neu gefassten § 100g Absatz 5 StPO das Ermittlungsinstrument einer Sicherungsanordnung bereits vorhandener und künftig anfallender Verkehrsdaten eingeführt. Deren Sicherung soll anlassbezogen zur Verfolgung von erheblichen Straftaten zulässig sein, soweit die Verkehrsdaten für die Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsorts eines Beschuldigten von Bedeutung sein können. Die Maßnahme soll im Grundsatz nur auf Anordnung eines Richters zulässig sein. Damit wird die Menge der zu speichernden Daten auf das notwendige Maß begrenzt, da nur die bei den Anbietern von Telekommunikationsdiensten aus geschäftlichen Gründen ohnehin bereits vorhandenen und künftig anfallenden Verkehrsdaten gesichert werden dürfen („Einfrieren“). Diese Daten stehen den Strafverfolgungsbehörden für eine begrenzte Zeit für eine spätere Erhebung und Auswertung zur Verfügung, die freilich einer erneuten richterlichen Anordnung bedarf („Auftauen“).

Die vorgeschlagene Regelung – auch „Quick-Freeze-Regelung“ genannt – steht im Einklang mit den Anforderungen, die der EuGH in seiner Rechtsprechung zur „Vorratsdatenspeicherung“ seit 2014 formuliert hat. Auch das von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete und ratifizierte Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität, die sogenannte Budapest-Konvention, enthält in Artikel 16 eine Verpflichtung der Vertragsstaaten, die zuständigen Behörden zu ermächtigen, die umgehende Sicherung von Verkehrsdaten anzuordnen.

Es handelt sich also um eine neue Ausgestaltung der verpflichtenden Verkehrsdatenspeicherung, die einerseits den Grundrechtsschutz der Nutzer von Telekommunikationsdiensten gewährleistet. Andererseits wird den Strafverfolgungsbehörden ein rechtssicheres und effektives Ermittlungsinstrument zur Bekämpfung schwerer Kriminalität im digitalen Raum an die Hand gegeben. Damit trägt der Entwurf zur Erreichung von Ziel 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bei. Die Folgeänderungen im TKG und in der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) dienen dazu, auch die dortigen Vorschriften zur „Vorratsdatenspeicherung“ aufzuheben und die aus der neuen Sicherungsanordnung folgenden Speicherungs-, Abfragungs- , Übermittlungs- und Löschungspflichten für die Telekommunikationsdienste-Anbieter zu regeln. Neben weiteren Folgeänderungen im Bundespolizeigesetz (BPolG), BSI-Gesetz, Bundeskriminalamtgesetz (BKAG), Zollfahndungsdienstgesetz (ZFdG) und im Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung (EGStPO) soll durch Änderungen im Justizvergütungsund -entschädigungsgesetz (JVEG) sichergestellt werden, dass die verpflichteten Unternehmen auch für ihren im Einzelfall im Rahmen der Sicherungsanordnung nach § 100g Absatz 5 StPO-E anfallenden Aufwand angemessen entschädigt werden.


Sie finden den Entwurf hier:

EuGH: Französische Regelung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Straftaten des Marktmissbrauchs und Insidergeschäften unionsrechtswidrig

EuGH
Urteil vom 21.09.2022
in den verbundenen Rechtssachen C-339/20 | VD und C-397/20 | SR


Der EuGH hat entschieden, dass die französische Regelung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Straftaten des Marktmissbrauchs und von Insidergeschäften unionsrechtswidrig ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Es ist nicht zulässig, dass die Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation die Verkehrsdaten ab dem Zeitpunkt der Speicherung zur Bekämpfung von Straftaten des Marktmissbrauchs, u. a. von Insidergeschäften, präventiv ein Jahr lang allgemein und unterschiedslos auf Vorrat speichern

Ein nationales Gericht kann die Feststellung, dass innerstaatliche Rechtsvorschriften, die eine solche Vorratsspeicherung der Verkehrsdaten vorsehen, ungültig sind, nicht in ihren zeitlichen Wirkungen beschränken.

Gegen VD und SR laufen in Frankreich Strafverfahren wegen Insiderhandels, Hehlerei im Zusammenhang mit Insiderhandel, Beihilfe, Bestechung und Geldwäsche. Ausgangspunkt der Ermittlungen waren im Rahmen der Bereitstellung von Diensten der elektronischen Kommunikation generierte personenbezogene Daten betreffend Telefongespräche von VD und SR, die dem Ermittlungsrichter von der Finanzaufsichtsbehörde (Autorité des marchés financiers, AMF) nach entsprechenden Ermittlungen zur Verfügung gestellt worden waren. VD und SR haben bei der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) gegen zwei Urteile der Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) Kassationsbeschwerden eingelegt. Sie wenden sich dagegen, dass sich die AMF bei der Erhebung der Daten auf innerstaatliche Rechtsvorschriften gestützt habe, die, soweit sie eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der Verbindungsdaten vorsähen, unionsrechtswidrig seien und in denen die Befugnis der Ermittler der AMF zur Anforderung gespeicherter Daten nicht begrenzt werde. Sie berufen sich insoweit auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs.

Die Vorlagefragen der Cour de cassation betreffen innerstaatliche Rechtsvorschriften, nach denen die Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation die Verkehrsdaten ab dem Zeitpunkt der Speicherung zur Bekämpfung von Straftaten des Marktmissbrauchs, u. a. von Insidergeschäften, präventiv ein Jahr lang allgemein und unterschiedslos auf Vorrat speichern. Es geht im Wesentlichen um das Zusammenspiel der einschlägigen Vorschriften der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation im Lichte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden Charta) und der einschlägigen Vorschriften der Marktmissbrauchsrichtlinie und der Marktmissbrauchsverordnung. Für den Fall, dass die betreffenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften unionsrechtswidrig sein sollten, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ihre Wirkungen vorläufig aufrechterhalten werden können, um Rechtsunsicherheit zu vermeiden und es zu ermöglichen, dass die auf ihrer Grundlage auf Vorrat gespeicherten Daten zur Aufdeckung und Verfolgung von Insidergeschäften verwendet werden.

Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof als Erstes fest, dass weder die Marktmissbrauchsrichtlinie noch die Marktmissbrauchsverordnung im Hinblick auf die Ausübung der den zuständigen Finanzaufsichtsbehörden durch sie übertragenen Befugnisse eine Rechtsgrundlage für eine allgemeine Verpflichtung zur Aufbewahrung der Datenverkehrsaufzeichnungen im Besitz der Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation bilden können.

Als Zweites weist der Gerichtshof darauf hin, dass es sich bei der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation um den Referenzrechtsakt im Bereich der Speicherung und allgemein der Verarbeitung personenbezogener Daten in der elektronischen Kommunikation handelt. Die Datenschutzrichtlinie ist daher auch für die Datenverkehrsaufzeichnungen im Besitz der Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation maßgeblich, die die zuständigen Finanzaufsichtsbehörden im Sinne der Marktmissbrauchsrichtlinie und der Marktmissbrauchsverordnung bei Letzteren anfordern können. Für die Beurteilung der Frage, ob die Verarbeitung der Aufzeichnungen im Besitz der Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation zulässig ist, sind mithin die Voraussetzungen gemäß der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation in der Auslegung durch den Gerichtshof maßgeblich.

Der Gerichtshof gelangt deshalb zu dem Schluss, dass es nach der Marktmissbrauchsrichtlinie und der Marktmissbrauchsverordnung in Verbindung mit der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation und im Lichte der Charta nicht zulässig ist, dass die Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation die Verkehrsdaten ab dem Zeitpunkt der Speicherung zur Bekämpfung von Straftaten des Marktmissbrauchs, u. a. von Insidergeschäften, ein Jahr lang allgemein und unterschiedslos auf Vorrat speichern.

Als Drittes hält der Gerichtshof an seiner Rechtsprechung fest, wonach das Unionsrecht dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht die nach nationalem Recht zu treffende Feststellung, dass innerstaatliche Rechtsvorschriften, mit denen die Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation zur allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung der Verkehrs- und Standortdaten verpflichtet werden, wegen ihrer Unvereinbarkeit mit der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation ungültig sind, in ihren zeitlichen Wirkungen beschränkt. Der Gerichtshof stellt jedoch klar, dass die Verwertbarkeit von Beweismitteln, die aufgrund einer solchen Vorratsspeicherung von Daten erlangt wurden, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten dem nationalen Recht unterliegt – vorbehaltlich der Beachtung u. a. der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität. Letzterer verpflichtet ein nationales Strafgericht dazu, Informationen und Beweise, die durch eine mit dem Unionsrecht unvereinbare allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung erlangt wurden, auszuschließen, sofern die betreffenden Personen nicht in der Lage sind, sachgerecht zu den Informationen und Beweisen Stellung zu nehmen, die einem Bereich entstammen, in dem das Gericht nicht über Sachkenntnis verfügt, und geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten unionsrechtswidrig - nur bei ernster Bedrohung für nationale Sicherheit zulässig

EuGH
Urteil vom 20.09.2022
in den verbundenen Rechtssachen
C-793/19 SpaceNet und C-794/19 Telekom Deutschland


Der EuGH hat wie erwartet entschieden, dass die allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten unionsrechtswidrig und nur bei ernster Bedrohung für nationale Sicherheit zulässig ist.

Tenor der Entscheidung:
Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen;

er nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die

– es zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufzugeben, Verkehrs- und Standortdaten allgemein und unterschiedslos auf Vorrat zu speichern, wenn sich der betreffende Mitgliedstaat einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit gegenübersieht, sofern diese Anordnung Gegenstand einer wirksamen, zur Prüfung des Vorliegens einer solchen Situation sowie der Beachtung der vorzusehenden Bedingungen und Garantien dienenden Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle sein kann, deren Entscheidung bindend ist, und sofern die Anordnung nur für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber im Fall des Fortbestands der Bedrohung verlängerbaren Zeitraum ergeht;

– zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien anhand von Kategorien betroffener Personen oder mittels eines geografischen Kriteriums für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber verlängerbaren Zeitraum eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen;

– zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP‑Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, vorsehen;

– zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung der Kriminalität und zum Schutz der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der die Identität der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel betreffenden Daten vorsehen;

– es zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und, a fortiori, zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste mittels einer Entscheidung der zuständigen Behörde, die einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt, aufzugeben, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern.

Diese Rechtsvorschriften müssen durch klare und präzise Regeln sicherstellen, dass bei der Speicherung der fraglichen Daten die für sie geltenden materiellen und prozeduralen Voraussetzungen eingehalten werden und dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Der Gerichtshof bestätigt, dass das Unionsrecht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten entgegensteht, es sei denn, es liegt eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit vor

Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität können die Mitgliedstaaten jedoch unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit insbesondere eine gezielte Vorratsspeicherung und/oder umgehende Sicherung solcher Daten sowie eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen vorsehen SpaceNet und Telekom Deutschland erbringen in Deutschland öffentlich zugängliche Internetzugangsdienste; Telekom Deutschland erbringt darüber hinaus öffentlich zugängliche Telefondienste. Beide fochten vor den deutschen Gerichten die ihnen durch das deutsche Telekommunikationsgesetz (TKG) auferlegte Pflicht an, ab dem 1. Juli 2017 Verkehrs- und Standortdaten betreffend die Telekommunikation ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern.

Abgesehen von bestimmten Ausnahmen verpflichtet das TKG die Betreiber öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste – insbesondere zur Verfolgung schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für die nationale Sicherheit – zu einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten der Endnutzer dieser Dienste für eine Dauer von mehreren Wochen. Das Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) möchte wissen, ob das Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof1 solchen nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht.

Seine Zweifel beruhen insbesondere darauf, dass die nach dem TKG vorgesehene Speicherpflicht weniger Daten und eine kürzere Speicherungsfrist (vier bzw. zehn Wochen) betrifft, als sie die nationalen Regelungen vorsahen, um die es in den Rechtssachen ging, in denen die vorangegangenen Urteile ergangen sind. Diese Besonderheiten verringern nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die Möglichkeit, dass aus den gespeicherten Daten sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert worden seien, gezogen würden. Außerdem gewährleiste das TKG, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten wirksam vor den Risiken eines Missbrauchs und eines unberechtigten Zugangs geschützt seien.
Mit seinem Urteil von heute bestätigt der Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung.

Er antwortet dem Bundesverwaltungsgericht, dass das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen.

Dagegen steht das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die

– es zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufzugeben, Verkehrs- und Standortdaten allgemein und unterschiedslos auf Vorrat zu speichern, wenn sich der betreffende Mitgliedstaat einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit gegenübersieht. Eine solche Anordnung kann durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle kontrolliert werden und darf nur für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber im Fall des Fortbestands der Bedrohung verlängerbaren Zeitraum
ergehen;
– zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien anhand von Kategorien betroffener Personen oder mittels eines geografischen Kriteriums für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber verlängerbaren Zeitraum eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen;
– für dieselben Zwecke einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP-Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, vorsehen;
– zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung der Kriminalität und zum Schutz der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der die Identität der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel betreffenden Daten vorsehen;
– es zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und, a fortiori, zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufzugeben, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern.

Solche nationalen Rechtsvorschriften müssen außerdem durch klare und präzise Regeln sicherstellen, dass bei der Speicherung der fraglichen Daten die für sie geltenden materiellen und prozeduralen Voraussetzungen eingehalten werden und dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen. In Bezug auf das TKG stellt der Gerichtshof fest, dass aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass die durch dieses Gesetz begründete Pflicht zur Vorratsspeicherung insbesondere die Daten betrifft, die erforderlich sind, um die Quelle und den Adressaten einer Nachricht, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung oder, im Fall der Übermittlung von Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachrichten, die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht sowie, im Fall der mobilen Nutzung, die Bezeichnung der Funkzellen, die vom Anrufer und vom Angerufenen bei Beginn der Verbindung genutzt wurden, zu identifizieren.

Im Rahmen der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten bezieht sich die Pflicht zur Vorratsspeicherung u. a. auf die dem Teilnehmer zugewiesene IP-Adresse, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen IP-Adresse und, im Fall der mobilen Nutzung, die Bezeichnung der bei Beginn der Internetverbindung genutzten Funkzelle. Die Daten, aus denen sich die geografische Lage und die Hauptstrahlrichtungen der die jeweilige Funkzelle versorgenden Funkantennen ergeben, werden ebenfalls gespeichert.

Zwar werden die Daten betreffend E-Mail-Dienste nicht von der in der im TKG vorgesehenen Pflicht zur Vorratsspeicherung erfasst, jedoch stellen sie auch nur einen Bruchteil der in Rede stehenden Daten dar. Außerdem werden u. a. Daten von Nutzern gespeichert, die dem Berufsgeheimnis unterliegen, wie beispielsweise Die im TKG vorgesehene Pflicht zur Vorratsspeicherung erstreckt sich somit auf einen umfangreichen Satz von Verkehrs- und Standortdaten, der im Wesentlichen den Datensätzen entspricht, die zu den vorgenannten früheren Urteilen geführt haben.

Ein solcher Satz von Verkehrs- und Standortdaten, die zehn bzw. vier Wochen lang gespeichert werden, kann aber sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten gespeichert wurden – etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen dieser Personen und das soziale Umfeld, in dem sie verkehren –, und insbesondere die Erstellung eines Profils dieser Personen ermöglichen.

In Bezug auf die im TKG vorgesehenen Garantien, die die gespeicherten Daten gegen Missbrauchsrisiken und vor jedem unberechtigten Zugang schützen sollen, weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Vorratsspeicherung dieser Daten und der Zugang zu ihnen unterschiedliche Eingriffe in Grundrechte der Betroffenen darstellen, die eine gesonderte Rechtfertigung erfordern. Daraus folgt, dass nationale Rechtsvorschriften, die die vollständige Einhaltung der Voraussetzungen gewährleisten, die sich im Bereich des Zugangs zu auf Vorrat gespeicherten Daten aus der Rechtsprechung ergeben, naturgemäß den schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der Betroffenen, der sich aus der allgemeinen Vorratsspeicherung dieser Daten ergeben würde, weder beschränken noch beseitigen können.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BVerfG: Eilantrag gegen Vorratsdatenspeicherung teilweise erfolgreich

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 11.03.2008 – 1 BvR 256/08 dem Eilantrag gegen die in § 113a und § 113b TKG geregelte Vorratsdatenspeicherung teilweise stattgegeben. Die Regelung zur Speicherung in § 113a TKG bleibt in Kraft. Allerdings wird die in § 113b Satz 1 Nr. 1 TKG geregelte Eingriffgrundlage für die Nutzung der bevorrateten Daten zu Zwecken der Strafverfolgung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde teilweise augesetzt. Die gespeicherten Daten dürfen nur zur Verfolgung von schweren Straftaaten im Sinne von § 100a Abs. 1 StPO verwendet werden. Nun bleibt abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde entscheiden wird.


Der Tenor der Entscheidung:

1. § 113b Satz 1 Nummer 1 des Telekommunikationsgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 3198) ist bis zur Entscheidung in der Hauptsache nur mit folgenden Maßgaben anzuwenden: Aufgrund eines Abrufersuchens einer Strafverfolgungsbehörde nach § 100g Absatz 1 der Strafprozessordnung, das sich auf allein nach § 113a des Telekommunikationsgesetzes gespeicherte Telekommunikations-Verkehrsdaten bezieht, hat der durch das Abrufersuchen verpflichtete Anbieter von Telekommunikationsdiensten die verlangten Daten zu erheben. Sie sind jedoch nur dann an die ersuchende Behörde zu übermitteln, wenn Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gemäß der Anordnung des Abrufs eine Katalogtat im Sinne des § 100a Absatz 2 der Strafprozessordnung ist und die Voraussetzungen des § 100a Absatz 1 der Strafprozessordnung vorliegen. In den übrigen Fällen des § 100g Absatz 1 der Strafprozessordnung ist von einer Übermittlung der Daten einstweilen abzusehen. Der Diensteanbieter hat die Daten zu speichern. Er darf die Daten nicht verwenden und hat sicherzustellen, dass Dritte nicht auf sie zugreifen können.

2. Die Bundesregierung hat dem Bundesverfassungsgericht zum 1. September 2008 nach Maßgabe der Gründe über die praktischen Auswirkungen der in § 113a des Telekommunikationsgesetzes vorgesehenen Datenspeicherungen und der vorliegenden einstweiligen Anordnung zu berichten. Die Länder und der Generalbundesanwalt haben der Bundesregierung die für den Bericht erforderlichen Informationen zu übermitteln.

3. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

4. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern ein Drittel der notwendigen Auslagen im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.






Die offizielle Pressmitteilung des Bundesverfassungsgerichts finden Sie hier:


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