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LG Flensburg: Anrufung der Datenschutzbehörde hemmt Verjährung nicht da es sich nicht um eine Streitbeilegungsstelle i.S.v. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB handelt

LG Flensburg
Urteil vom 19.11.2021
3 O 227/19


Das LG Flensburg hat entschieden, dass Anrufung der Datenschutzbehörde die Verjährung etwaiger Ansprüche gegen die verarbeitende Stelle nicht hemmt, da es sich dabei nicht um eine Streitbeilegungsstelle i.S.v. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB handelt.

Aus den Entscheidungsgründen:

bb) Ein etwaiger, hieraus folgender Schadensersatzanspruch des Klägers wäre nämlich verjährt und deshalb nicht durchsetzbar (§ 214 Abs. 1 BGB).

(1) Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers unterläge der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB).

(2) Diese Verjährungsfrist hätte mit dem Schluss des Jahres 2015 begonnen und mit Ablauf des Jahres 2018 geendet. Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Dies wäre hier der Schluss des Jahres 2015 gewesen:

Der Anspruch wäre im Jahr 2015 entstanden, weil die als gerügten Zugriffe auf die Patientendaten des Klägers im Mai 2015 stattfanden. Der Kläger hätte durch das Gespräch mit dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten der Beklagten, dem Zeugen O. F., und der nachfolgenden Übersendung der Stellungnahmen der vier Mitarbeiter der Beklagten, jeweils im Jahr 2015, auch Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt.

Anlässlich der Vernehmung des Zeugen F. hat der Kläger persönlich in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass das Gespräch mit dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten, in welchem die fraglichen Zugriffe identifiziert worden seien, bereits im Jahr 2015 stattgefunden habe. Der Kläger hat ebenfalls bestätigt, die in dem E-Mails vom 14.12.2015 und 15.12.2015 erwähnte Post mit den Stellungnahmen der Beschäftigten erhalten zu haben. Hiermit hatte der Kläger bereits 2015 die hinreichende Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen. Der Kläger wusste von den erfolgten Zugriffen auf seine Patientendaten, hat die Berechtigung für die vier streitgegenständlichen Zugriffe als zweifelhaft erkannt und er kannte die Stellungnahmen der vier Beschäftigten und damit deren Begründungen für die Zugriffe. Dies genügt, um die Verjährungsfrist beginnen zu lassen.

Entgegen der Auffassung des Klägers begann die Verjährung nicht erst dann zu laufen, als die internen Ermittlungen der Beklagten zu den Berechtigungen der Zugriffe abgeschlossen waren oder als das ULD Feststellungen hierzu getroffen hat. Die erforderliche Kenntnis von den Anspruchsvoraussetzungen und der Person des Ersatzpflichtigen liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es grundsätzlich nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände (statt vieler BGH, Urteil vom 27.05.2008 – XI ZR 132/07, juris Rn. 32 mwN). Hier hatte der Kläger bereits im Jahr 2015 Kenntnis aller tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage zumindest – wenn auch nicht risikolos – eine Feststellungsklage hätte erhoben werden können. Die Kenntnis von den gerügten Zugriffen auf seine Patientendaten, von bestehenden Zweifeln an der Berechtigung hierzu und von den Stellungnahmen der Beschäftigten, aufgrund derer er die Berechtigung der Beschäftigten hätte beurteilen können, genügte hierfür. Dies wird durch den vorliegenden Rechtsstreit bestätigt: Der Kläger gründet seine Klage letztlich auf die Umstände und Zweifel, die seinem Informationsstand im Jahr 2015 entsprechen. Der Umstand, dass das ULD mit Schreiben vom 10.08.2018 festgestellt hat, dass die Zugriffe einen Verstoß gegen Vorschriften der DSGVO darstellten, ändert hieran nichts; insoweit handelt es sich um die rechtliche Bewertung der bereits bekannten Umstände durch einen Dritten, auf die es für die Bestimmung des Verjährungsbeginns nicht ankommt.

(3) Die Verjährung wäre auch nicht gehemmt worden (§ 209 BGB).

(11) Die Verjährung wäre zunächst nicht durch Verhandlungen der Parteien gehemmt worden (§ 203 BGB).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der Begriff der „Verhandlungen“ im Sinne des § 203 Satz 1 BGB weit auszulegen. Der Gläubiger muss dafür lediglich klarstellen, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn stützen will. Anschließend genügt jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, sofern der Schuldner dies nicht sofort und erkennbar ablehnt. Verhandlungen schweben schon dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen Partei die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruches oder dessen Umfang ein. Nicht erforderlich ist, dass dabei Vergleichsbereitschaft oder Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert wird oder dass Erfolgsaussicht besteht (statt vieler BGH, Urteil vom 14.07.2009 – XI ZR 18/08, juris Rn. 16 mwN).

An diesem Maßstab gemessen haben Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB zwischen den Parteien in unverjährter Zeit nicht stattgefunden. Anders als der Kläger bewertet die Kammer die Kommunikation zwischen ihm und der Beklagten in der Zeit von 2015 bis 2018 nicht als Verhandlungen iSd. § 203 BGB. Die Parteien mögen dabei über Umstände gesprochen haben, die dem streitgegenständlichen Anspruch zugrunde liegen, etwa die gerügten Zugriffe auf die Patientendaten des Klägers, deren Berechtigungen etc. Erkennbar ist das Ziel des Klägers, Aufklärung zu erlangen und Vorsorge gegen zukünftige vermeintliche Datenschutzverstöße zu treffen. Auch forderte der Kläger die Beklagte immer wieder zu Stellungnahmen zu den gerügten und vermeintlichen weiteren Datenschutzverstößen auf. Weder aus dem Vortrag der Parteien noch aus der gesamten zur Akte gereichten Korrespondenz bis einschließlich 2018 ergibt sich aber, weder ausdrücklich noch konkludent, dass der Kläger gegenüber der Beklagten einen Schadensersatzanspruch geltend machen will. Dies aber ist Mindestvoraussetzung für ein „Verhandeln“ iSd. § 203 BGB, auch wenn dann anschließend jeder Meinungsaustausch hierüber, d.h. auch über die tatsächlichen Grundlagen, genügt. Soweit ersichtlich, begehrt der Kläger erstmals mit anwaltlichem Schreiben vom 15.01.2019 (Anlage K6, Blatt 18 der Akte) Schadensersatz in Form der Erstattung seiner Rechtsanwaltskosten und behält sich „etwaige Schadensersatzansprüche gemäß Art. 82 DSGVO“ vor. Dies geschah allerdings bereits in verjährter Zeit und vermochte eine Hemmung nicht mehr herbeizuführen.

(22) Die Anrufung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein durch den Kläger mit Schreiben vom 16.03.2018 führte ebenfalls nicht zu einer Hemmung der Verjährung. Der Landesbeauftragte ist nicht als staatliche oder staatlich anerkannte Streitbeilegungsstelle iSd. § 204 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a BGB oder als andere Streitbeilegungsstelle iSd. § 204 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b BGB tätig geworden. Trotz der fehlenden zeitlichen Anwendbarkeit der DSGVO (dazu oben) ist das ULD, dokumentiert etwa im Schreiben des ULD vom 16.07.2018 (Sonderband), aufgrund der Beschwerde des Klägers nach Art. 77 DSGVO im Rahmen eines aufsichtsbehördlichen Verfahrens gemäß § 74 LVwG tätig geworden, in dessen Ergebnis gemäß Art. 58 Abs. 2 DSGVO Abhilfebefugnisse wie etwa eine Verwarnung, Beschränkungen oder Geldbußen hätten ausgesprochen bzw. verhängt werden können, wovon das ULD letztlich aber absah. Dieses Verwaltungsverfahren ist auf die Überprüfung etwaiger Datenschutzverstöße, deren Sanktionierung und zukünftige Verhinderung gerichtet, nicht aber auf die Beilegung eines Streits zwischen Parteien über einen erhobenen, individuellen Anspruch. Im Übrigen muss für einen wirksam hemmenden Streitbeilegungsantrag - wie bei allen in § 204 Abs. 1 BGB genannten Rechtsverfolgungshandlungen und Verfahren - ein bestimmter Anspruch bezeichnet werden. Nur im Umfang des geltend gemachten Anspruchs erfolgt eine Hemmung. Antragsgegner, Streitbeilegungsstelle und einem ggf. später befassten Gericht muss es möglich sein, Art, Umfang und Tatsachenbasis einer Forderung zu identifizieren (zum Ganzen BeckOGK-BGB/Meller-Hannich, Stand 01.09.2021, § 204 BGB Rn. 176 mwN). Einen solchen individualisierten (Schadensersatz-) Anspruch hat der Kläger bei Anrufung des ULD weder geltend gemacht noch ist ein solcher Gegenstand des Verwaltungsverfahrens vor dem ULD. Auch dies zeigt, dass dieses Verwaltungsverfahren nicht auf Beilegung eines Streits zwischen Parteien über einen erhobenen Anspruch ausgerichtet und deshalb kein Streitbeilegungsverfahren ist, das ULD ist keine Streitbeilegungsstelle.

(33) Die Klage ist am 03.07.2019 und damit in verjährter Zeit bei Gericht eingegangen, so dass die Erhebung der Klage die Verjährung ebenfalls nicht mehr zu hemmen vermochte (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: