EuGH: TC-Strings der IAB Europe sind personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO - Zur Zulässigkeit von Werbung per Real Time Bidding
EuGH
Urteil vom 07.03.2024
C-604/22
IAB Europe gegen Gegevensbeschermingsautoriteit
Der EuGH hat entschieden, dass die TC-Strings der IAB Europe personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO sind.
Tenor der Entscheidung:
1. Art. 4 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass eine aus einer Kombination von Buchstaben und Zeichen bestehende Zeichenfolge wie der TC‑String (Transparency and Consent String), die die Präferenzen eines Internetnutzers oder Nutzers einer Anwendung in Bezug auf dessen Einwilligung in die Verarbeitung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten durch Anbieter von Websites oder Anwendungen sowie durch Datenbroker und Werbeplattformen enthält, ein personenbezogenes Datum im Sinne dieser Bestimmung darstellt, soweit sie, wenn sie mit vertretbarem Aufwand einer Kennung wie insbesondere der IP‑Adresse des Geräts dieses Nutzers zugeordnet werden kann, es erlaubt, die betreffende Person zu identifizieren. Unter diesen Umständen schließt der Umstand, dass eine Branchenorganisation, die im Besitz dieser Zeichenfolge ist, ohne einen Beitrag von außen weder Zugang zu den Daten hat, die von ihren Mitgliedern im Rahmen der von ihr aufgestellten Regeln verarbeitet werden, noch diese Zeichenfolge mit anderen Elementen kombinieren kann, nicht aus, dass diese Zeichenfolge ein personenbezogenes Datum im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
2. Art. 4 Nr. 7 und Art. 26 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 sind dahin auszulegen, dass
– zum einen eine Branchenorganisation, soweit sie ihren Mitgliedern einen von ihr aufgestellten Regelungsrahmen in Bezug auf die Einwilligung im Bereich der Verarbeitung personenbezogener Daten anbietet, der nicht nur verbindliche technische Vorschriften enthält, sondern auch Vorschriften, die detailliert festlegen, wie personenbezogene Daten, die diese Einwilligung betreffen, gespeichert und verbreitet werden müssen, als „gemeinsam Verantwortlicher“ im Sinne dieser Bestimmungen einzustufen ist, wenn sie unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles aus Eigeninteresse auf die betreffende Verarbeitung personenbezogener Daten Einfluss nimmt und damit gemeinsam mit ihren Mitgliedern die Zwecke der und die Mittel zur betreffenden Verarbeitung festlegt. Der Umstand, dass eine solche Branchenorganisation selbst keinen unmittelbaren Zugang zu den von ihren Mitgliedern innerhalb dieses Regelungsrahmens verarbeiteten personenbezogenen Daten hat, schließt nicht aus, dass sie ein gemeinsam Verantwortlicher im Sinne dieser Bestimmungen sein kann;
– zum anderen sich die gemeinsame Verantwortlichkeit dieser Branchenorganisation nicht automatisch auf die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten durch Dritte, wie beispielsweise Anbieter von Websites oder Anwendungen, erstreckt, was die Nutzerpräferenzen für gezielte Online-Werbung betrifft.
Die Pressemitteilung des EuGH:
Versteigerung von personenbezogenen Daten für Werbezwecke: der Gerichtshof stellt die Regeln auf der Grundlage der DSGVO klar
Wenn ein Nutzer eine Website oder eine Anwendung mit einem Werbeplatz aufruft, können Werbeunternehmen, Datenbroker und Werbeplattformen, die Tausende von Werbetreibenden vertreten, anonym in Echtzeit Gebote abgeben, um diesen Werbeplatz zu erhalten und dort auf das Profil des Nutzers abgestimmte Werbung anzuzeigen (Real Time Bidding).
Bevor jedoch eine solche gezielte Werbung angezeigt wird, muss die vorherige Einwilligung des Nutzers zur Erhebung und Verarbeitung seiner Daten (insbesondere seinen Standort, sein Alter, den Verlauf seiner Suchanfragen und seine zuletzt getätigten Einkäufe betreffend) für bestimmte Zwecke, wie u. a. Marketing oder Werbung, oder zum Austausch dieser Daten mit bestimmten Anbietern eingeholt werden. Der Nutzer kann dem auch widersprechen.
IAB Europe ist ein Verband ohne Gewinnerzielungsabsicht mit Sitz in Belgien, der Unternehmen der digitalen Werbe- und Marketingindustrie auf europäischer Ebene vertritt. IAB Europe hat eine Lösung entwickelt, die dieses Versteigerungssystem mit der DSGVO in Einklang bringen können soll. Die Nutzerpräferenzen werden in einem aus einer Kombination von Buchstaben und Zeichen bestehenden String kodiert und gespeichert, der als „Transparency and Consent String“ (TC-String) bezeichnet wird und der mit Brokern für personenbezogene Daten und Werbeplattformen geteilt wird, damit diese wissen, worin der Nutzer eingewilligt oder wogegen er Widerspruch eingelegt hat. Auf dem Gerät des Nutzers wird auch ein Cookie gespeichert. Miteinander kombiniert, können der TC-String und das Cookie der IP-Adresse dieses Nutzers zugeordnet werden.
Im Jahr 2022 stellte die belgische Datenschutzbehörde fest, dass der TC-String ein personenbezogenes Datum im Sinne der DSGVO darstelle und dass IAB Europe als Verantwortlicher aufgetreten sei, ohne die Vorschriften der DSGVO vollständig einzuhalten. Die Behörde verhängte gegen IAB Europe mehrere Abhilfemaßnahmen sowie eine Geldbuße. IAB Europe focht diese Entscheidung an und wandte sich an den Appellationshof Brüssel, der dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.
Mit seinem Urteil bestätigt der Gerichtshof, dass der TC-String Informationen über einen identifizierbaren Nutzer enthält und somit ein personenbezogenes Datum im Sinne der DSGVO darstellt. Anhand der in einem TC-String enthaltenen Informationen kann nämlich, wenn sie einer Kennung wie insbesondere der IP-Adresse des Geräts des Nutzers zugeordnet werden, ein Profil dieses Nutzers erstellt und die betreffende Person identifiziert werden.
Darüber hinaus ist IAB Europe als „gemeinsam Verantwortlicher“ im Sinne der DSGVO anzusehen. Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen scheint diese Organisation nämlich bei der Speicherung der Einwilligungspräferenzen der Nutzer in einem TC-String auf die Verarbeitungen personenbezogener Daten Einfluss zu nehmen und gemeinsam mit ihren Mitgliedern sowohl die Zwecke dieser Verarbeitungen als auch die ihnen zugrunde liegenden Mittel festzulegen. Allerdings kann, unbeschadet einer etwaigen im nationalen Recht vorgesehenen zivilrechtlichen Haftung, IAB Europe für Datenverarbeitungen, die nach der Speicherung der Einwilligungspräferenzen der Nutzer in einem TC-String erfolgen, nur dann als im Sinne der DSGVO verantwortlich angesehen werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass dieser Verband Einfluss auf die Festlegung der Zwecke und Modalitäten dieser Weiterverarbeitungen ausgeübt hat.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
Urteil vom 07.03.2024
C-604/22
IAB Europe gegen Gegevensbeschermingsautoriteit
Der EuGH hat entschieden, dass die TC-Strings der IAB Europe personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO sind.
Tenor der Entscheidung:
1. Art. 4 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass eine aus einer Kombination von Buchstaben und Zeichen bestehende Zeichenfolge wie der TC‑String (Transparency and Consent String), die die Präferenzen eines Internetnutzers oder Nutzers einer Anwendung in Bezug auf dessen Einwilligung in die Verarbeitung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten durch Anbieter von Websites oder Anwendungen sowie durch Datenbroker und Werbeplattformen enthält, ein personenbezogenes Datum im Sinne dieser Bestimmung darstellt, soweit sie, wenn sie mit vertretbarem Aufwand einer Kennung wie insbesondere der IP‑Adresse des Geräts dieses Nutzers zugeordnet werden kann, es erlaubt, die betreffende Person zu identifizieren. Unter diesen Umständen schließt der Umstand, dass eine Branchenorganisation, die im Besitz dieser Zeichenfolge ist, ohne einen Beitrag von außen weder Zugang zu den Daten hat, die von ihren Mitgliedern im Rahmen der von ihr aufgestellten Regeln verarbeitet werden, noch diese Zeichenfolge mit anderen Elementen kombinieren kann, nicht aus, dass diese Zeichenfolge ein personenbezogenes Datum im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
2. Art. 4 Nr. 7 und Art. 26 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 sind dahin auszulegen, dass
– zum einen eine Branchenorganisation, soweit sie ihren Mitgliedern einen von ihr aufgestellten Regelungsrahmen in Bezug auf die Einwilligung im Bereich der Verarbeitung personenbezogener Daten anbietet, der nicht nur verbindliche technische Vorschriften enthält, sondern auch Vorschriften, die detailliert festlegen, wie personenbezogene Daten, die diese Einwilligung betreffen, gespeichert und verbreitet werden müssen, als „gemeinsam Verantwortlicher“ im Sinne dieser Bestimmungen einzustufen ist, wenn sie unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles aus Eigeninteresse auf die betreffende Verarbeitung personenbezogener Daten Einfluss nimmt und damit gemeinsam mit ihren Mitgliedern die Zwecke der und die Mittel zur betreffenden Verarbeitung festlegt. Der Umstand, dass eine solche Branchenorganisation selbst keinen unmittelbaren Zugang zu den von ihren Mitgliedern innerhalb dieses Regelungsrahmens verarbeiteten personenbezogenen Daten hat, schließt nicht aus, dass sie ein gemeinsam Verantwortlicher im Sinne dieser Bestimmungen sein kann;
– zum anderen sich die gemeinsame Verantwortlichkeit dieser Branchenorganisation nicht automatisch auf die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten durch Dritte, wie beispielsweise Anbieter von Websites oder Anwendungen, erstreckt, was die Nutzerpräferenzen für gezielte Online-Werbung betrifft.
Die Pressemitteilung des EuGH:
Versteigerung von personenbezogenen Daten für Werbezwecke: der Gerichtshof stellt die Regeln auf der Grundlage der DSGVO klar
Wenn ein Nutzer eine Website oder eine Anwendung mit einem Werbeplatz aufruft, können Werbeunternehmen, Datenbroker und Werbeplattformen, die Tausende von Werbetreibenden vertreten, anonym in Echtzeit Gebote abgeben, um diesen Werbeplatz zu erhalten und dort auf das Profil des Nutzers abgestimmte Werbung anzuzeigen (Real Time Bidding).
Bevor jedoch eine solche gezielte Werbung angezeigt wird, muss die vorherige Einwilligung des Nutzers zur Erhebung und Verarbeitung seiner Daten (insbesondere seinen Standort, sein Alter, den Verlauf seiner Suchanfragen und seine zuletzt getätigten Einkäufe betreffend) für bestimmte Zwecke, wie u. a. Marketing oder Werbung, oder zum Austausch dieser Daten mit bestimmten Anbietern eingeholt werden. Der Nutzer kann dem auch widersprechen.
IAB Europe ist ein Verband ohne Gewinnerzielungsabsicht mit Sitz in Belgien, der Unternehmen der digitalen Werbe- und Marketingindustrie auf europäischer Ebene vertritt. IAB Europe hat eine Lösung entwickelt, die dieses Versteigerungssystem mit der DSGVO in Einklang bringen können soll. Die Nutzerpräferenzen werden in einem aus einer Kombination von Buchstaben und Zeichen bestehenden String kodiert und gespeichert, der als „Transparency and Consent String“ (TC-String) bezeichnet wird und der mit Brokern für personenbezogene Daten und Werbeplattformen geteilt wird, damit diese wissen, worin der Nutzer eingewilligt oder wogegen er Widerspruch eingelegt hat. Auf dem Gerät des Nutzers wird auch ein Cookie gespeichert. Miteinander kombiniert, können der TC-String und das Cookie der IP-Adresse dieses Nutzers zugeordnet werden.
Im Jahr 2022 stellte die belgische Datenschutzbehörde fest, dass der TC-String ein personenbezogenes Datum im Sinne der DSGVO darstelle und dass IAB Europe als Verantwortlicher aufgetreten sei, ohne die Vorschriften der DSGVO vollständig einzuhalten. Die Behörde verhängte gegen IAB Europe mehrere Abhilfemaßnahmen sowie eine Geldbuße. IAB Europe focht diese Entscheidung an und wandte sich an den Appellationshof Brüssel, der dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.
Mit seinem Urteil bestätigt der Gerichtshof, dass der TC-String Informationen über einen identifizierbaren Nutzer enthält und somit ein personenbezogenes Datum im Sinne der DSGVO darstellt. Anhand der in einem TC-String enthaltenen Informationen kann nämlich, wenn sie einer Kennung wie insbesondere der IP-Adresse des Geräts des Nutzers zugeordnet werden, ein Profil dieses Nutzers erstellt und die betreffende Person identifiziert werden.
Darüber hinaus ist IAB Europe als „gemeinsam Verantwortlicher“ im Sinne der DSGVO anzusehen. Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen scheint diese Organisation nämlich bei der Speicherung der Einwilligungspräferenzen der Nutzer in einem TC-String auf die Verarbeitungen personenbezogener Daten Einfluss zu nehmen und gemeinsam mit ihren Mitgliedern sowohl die Zwecke dieser Verarbeitungen als auch die ihnen zugrunde liegenden Mittel festzulegen. Allerdings kann, unbeschadet einer etwaigen im nationalen Recht vorgesehenen zivilrechtlichen Haftung, IAB Europe für Datenverarbeitungen, die nach der Speicherung der Einwilligungspräferenzen der Nutzer in einem TC-String erfolgen, nur dann als im Sinne der DSGVO verantwortlich angesehen werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass dieser Verband Einfluss auf die Festlegung der Zwecke und Modalitäten dieser Weiterverarbeitungen ausgeübt hat.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: