Skip to content

OLG Dresden: Löschungsanspruch aus Art. 17 DSGVO schließt Anspruch auf Unterlassung der Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß §§ 823, 1004 BGB nicht aus

OLG Dresden
Urteil vom 14.12.2021
4 U 1278/21


Das OLG Dresden hat entschieden, dass der Löschungsanspruch aus Art. 17 DSGVO einen Anspruch auf Unterlassung der Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß §§ 823, 1004 BGB nicht ausschließt.

Aus den Entscheidungsgründen:
"Es handelt sich hierbei um personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO, mit denen der Kläger als natürliche Person identifiziert werden kann. Dem steht hier nicht entgegen, dass es neben dem Kläger mit dem tatsächlichen Schuldner eine Person gibt, die denselben Namen trägt. Zu Unrecht meinen die Beklagten, ein Löschungsanspruch sei bereits deswegen ausgeschlossen, weil der Name nicht dem Kläger allein „gehöre“, sondern mehrere Personen des gleichen Namens existierten. Der Name gehört unbeschadet dessen nach Art. 4 DSGVO zu den personenbezogenen Daten, sofern eine Person hierüber sicher identifiziert werden kann. Bei Namensgleichheit mehrerer Personen wird der Personenbezug ggf. über weitere Zusatzinformationen hergestellt, die eine konkrete Verbindung zu einer der von einer Namensgleichheit betroffenen Personen begründen (vgl. Karg in: Simitis/Hornung/Spiecker (Hrsg.), Datenschutzrecht, 2019, Art. 4 Nr.1, a.a.O. Rn 51). Eine solche Verbindung liegt vor, wenn die Person entweder direkt über die Information identifiziert wird oder durch Hinzuziehung weiterer Informationen oder Zwischenschritte jedenfalls identifizierbar ist (vgl. Karg in Simitis/Hornung/Spiecker (Hrsg.), Datenschutzrecht, 2019, Art. 4 Nr. 1, Rn. 46). So liegen die Dinge hier. Unstreitig ist bei beiden Beklagten nämlich nicht lediglich der Name des Klägers hinterlegt, sondern zusätzlich dessen Geburtsdatum und Wohnanschrift, mag auch letztere bei der Beklagten zu 2) mit einem Sperrvermerk versehen sein. Es kann dahinstehen, ob diese Daten in der IT der Beklagten konkret miteinander schon so verbunden sind, dass der Kläger hierüber eindeutig identifizierbar ist, weil eine solche Zusammenstellung jedenfalls im Bedarfsfall unschwer bewerkstelligt werden könnte. Dass hiergegen aufgrund der Ausgestaltung ihrer jeweiligen Datenbanksoftware Vorkehrungen getroffen worden wären, die eine solche Zuordnung und damit die konkrete Identifizierung des Klägers ausschließen, haben die Beklagten nicht behauptet und unter Beweis gestellt. Sind damit die über den Kläger gespeicherten Daten trotz der Namensidentität mit dem tatsächlichen Schuldner infolge dieser Verknüpfungsmöglichkeit personenbezogene Daten des Klägers, obliegt es den Beklagten entweder, diese Daten für sich genommen zu löschen oder durch Schutzvorkehrungen sicherzustellen, dass eine Verknüpfung, die eindeutig auf den Kläger hinweist, zukünftig ausgeschlossen ist. Dabei hat der Kläger nur einen Anspruch darauf, dass dies geschieht, nicht jedoch in welcher Weise die Beklagten hierbei vorgehen müssen. Ebenso wie im Bereich der negatorischen und quasinegatorischen Ansprüche aus § 1004 BGB, bei denen die Entscheidung, mit welchen Mitteln die Beeinträchtigung zu beseitigen ist, dem Störer überlassen bleibt und bei denen das Gericht regelmäßig davon absieht, bestimmte Maßnahmen anzuordnen (vgl. statt aller BGH, Urteil vom 14. Dezember 2017 – I ZR 184/15 –, juris; Ebbing in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 1004 BGB, Rn. 6), hat nämlich auch der Schuldner eines Löschungsanspruchs nach Art. 17 DSGVO die Wahl, wie er eine aus der Zusammenstellung von Einzelinformationen resultierende Verletzung der Schutzrechte des Betroffenen abstellt.

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten erfolgt die Verarbeitung der Daten des Klägers auch nicht rechtmäßig gemäß Art. 17 Abs. 1d i.V.m. Art. 6 DSGVO.

aa) Der Kläger hat seine Einwilligung zur Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten nicht erteilt, Art. 7, 6 Abs. 1a) DSGVO.

bb) Die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1b) DSGVO sind nicht erfüllt. Danach liegt Rechtmäßigkeit vor, wenn die Verarbeitung für die Erfüllung eines Vertrages, dessen 8 Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich ist, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgte. Der Kläger ist jedoch weder Vertragspartner der K...... Bank noch der Beklagten. Ob den Beklagten im Rahmen ihres Auftragsverhältnisses mit der K...... Bank oder untereinander die Daten zur Erfüllung der jeweiligen Verträge übermittelt wurden, ist unerheblich. Denn nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es auf die vertraglichen Beziehungen mit der betroffenen Person - dem Kläger - an.

cc) Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg auf Art. 6 1c) DSGVO i.V.m. § 147 AO berufen, denn die Löschung steht den Aufbewahrungspflichten nicht entgegen.

Nach dieser Regelung ist die Verarbeitung rechtmäßig, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche unterliegt. Dabei muss es sich um eine gesetzliche Pflicht handeln (vgl. Roßnagel in Simitis/Hornung/Spiecker [Herausgeber] in Datenschutzrecht, 2019, Art. 6 Abs. 1 Rn. 51). Die Datenverarbeitung kann erforderlich sein, um Dokumentationspflichten z. B. nach § 147 AO zu erfüllen (vgl. Roßnagel a.a.O., Rn 54). Die Erlaubnis zur Datenverarbeitung ist auf die Erfüllung der jeweiligen gesetzlichen Pflicht beschränkt (vgl. Roßnagel a.a.O.). Von der Aufbewahrungspflicht erfasst sind die gesamte, den betrieblichen Bereich des Kaufmanns betreffende Korrespondenz, soweit sie sich auf die Vorbereitung, Durchführung oder Rückgängigmachung eines Handelsgeschäftes bezieht, also z. B. Aufträge, Auftragsbestätigungen, Lieferscheine, Frachtbriefe oder Rechnungen (vgl. Mues in Gosch, Kommentar zur Abgabenordnung, Stand 01.04.2021, § 147 B Rn. 13 - juris). Auf die Form der Korrespondenz kommt es nicht an, so dass Briefe im Sinne der Vorschrift auch Telefaxe, Telegramme, E-Mails und auch andere durch Datenübertragung übersendete Nachrichten sind (vgl. Mues a.a.O.). Die gesetzlichen Aufbewahrungspflichten gemäß § 147 AO werden von der Löschungspflicht aber nicht berührt. Die Beklagten sind nicht verpflichtet die geschäftliche Korrespondenz zu löschen. Ihre Löschungspflicht beschränkt sich auf den Namen, die Anschrift und das Geburtsdatum des Klägers, und damit auf die Daten, mit denen er eindeutig identifiziert werden kann. Enthalten elektronisch gespeicherte Datenbestände nicht aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtige, personenbezogene oder dem Berufsgeheimnis unterliegende Daten, so obliegt es dem Steuerpflichtigen, die Datenbestände so zu organisieren, dass der Prüfer nur auf die aufzeichnungspflichtige - und aufbewahrungspflichtige Daten zugreifen kann. Dies kann z. B. durch geeignete Zugriffsbeschränkungen oder „digitales Schwärzen“ der zu schützenden Information erfolgen (vgl. Bundesministerium der Finanzen: Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff vom 28.11.2019, Rn 172 - juris). Auf der geschäftlichen Korrespondenz können die Daten, die eine Identifizierung seiner Person erlauben, geschwärzt werden.

dd) Die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung ergibt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 1f) DSGVO, denn im Rahmen der Abwägung überwiegen die Interessen des Klägers.

Nach dieser Regelung ist die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen. Der Begriff der berechtigten Interessen ist weit zu verstehen. Er umfasst sowohl rechtliche als auch wirtschaftliche und ideelle Interessen (vgl. Schantz in Simitis/Hornung/Spiecker [Herausgeber] in Datenschutzrecht, 2019, Art. 6 Abs. 1 Rn. 98). Zu den berechtigten Interessen der Beklagten zu 2) gehört das Interesse an einer möglichst hohen Effektivität der Inkassodienstleistung, also an einem möglichst effizienten Forderungsmanagement (vgl. AG Hamburg - St. Georg, Urteil vom 25.08.2020 - 912 C 145/20, Rn. 37 - juris). Die Forderungsausfälle der Gläubiger sollen so gering wie möglich gehalten werden, die notwendige Liquidität der Wirtschaftsunternehmen gewahrt und der erstattungspflichtige Schuldner so wenig wie möglich mit weiteren Kosten belastet werden (so AG Hamburg - St. Georg, a.a.O.). Im Hinblick darauf hat die Beklagte zu 2) ein Interesse daran, bei der Ermittlung des Wohnortes des Schuldners nicht erneut den Kläger zu ermitteln und diesen anzuschreiben, um erst nach Inanspruchnahme des Klägers erneut festzustellen, dass dieser nicht der richtige Schuldner ist. Dies entspricht auch dem Interesse der Beklagten zu 1), die von der Beklagten zu 2) mit einer Einwohnermeldeanfrage betraut worden ist. Auch bei ihr besteht die Gefahr, dass ihr mit den von der Auftraggeberin - der K...... Bank - mitgeteilten Kontaktdaten, die Adresse des Klägers ermittelt wird. Die Speicherung der Daten des Klägers verhindert seine erneute Inanspruchnahme. Zwingend für die Forderungseintreibung ist dies jedoch nicht. Auch ohne eine solche Speicherung bleibt die Forderungseintreibung möglich (ebenso AG Hamburg - St. Georg a.a.O.). Zwar wird der Kläger damit dem Risiko unterworfen, in der Zukunft erneut unberechtigterweise in Anspruch genommen zu werden. Diesem Risiko hat er sich aber selbst ausgesetzt, indem er die Löschung der Daten verlangt hat. Dies ist von ihm hinzunehmen (ebenso AG Hamburg - St. Georg a.a.O.).

Die Interessen des Klägers an seinem Recht zur informationellen Selbstbestimmung überwiegen im vorliegenden Fall. Bereits durch die Verarbeitung seiner Daten ohne seine Einwilligung werden seine Grundrechte aus Art. 7, 8 GRCh betroffen. Seine Daten werden bei einem Inkassounternehmen, wie der Beklagten zu 2), und einem Unternehmen, das sich mit Einwohnermeldeanfragen befasst, wie der Beklagten zu 1) gespeichert, ohne dass dies durch eine Forderungseintreibung veranlasst wäre. Die Speicherung der Daten des Klägers beruht auf der Namensidentität mit seinem Sohn und der damit verbundenen Verwechselung mit dem Schuldner. Zwar ist entgegen der Darlegung des Klägers ein Schufa-Eintrag nicht erfolgt, denn ausweislich des vorgelegten Schreibens der Schufa vom 17.04.2020 (Anlage K9) liegen dort nur positive Vertragsinformationen zu ihm vor. Gleichwohl ist es in Zukunft nicht auszuschließen, dass auf Anfrage bei den Beklagten die Daten des Klägers weiterverbreitet werden und den unzutreffenden Eindruck erwecken, ein Inkassounternehmen sei mit der Eintreibung einer Forderung gegen ihn oder mit der Ermittlung seiner Wohnanschrift beauftragt worden, was gegen seine Bonität spricht. Im Hinblick auf den hohen Wert, den die Charta der Grundrechte der Europäischen Union dem Schutz der personenbezogenen Daten in Art. 8 GRCh und damit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung beimisst, hat das Interesse der Beklagten an einer einfachen Beitreibung von Schulden ohne Fehlermittlungen von Anschriften zurückzustehen.

c) Der Anspruch auf Löschung entfällt auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 3 b) DSGVO. Wie bereits unter Ziffer cc) ausgeführt steht die rechtliche Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen nach § 147 AO dem Löschungsanspruch nicht entgegen.

2. Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagten auf Unterlassung der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten insoweit zu, als er als Schuldner der Forderung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichtes Hagen vom 21.12.2015 geführt wird, §§ 823, 1004 BGB.

Die Geltendmachung eines Anspruchs auf Unterlassung aus §§ 823 Abs. 1 i.V.m. 1004 BGB ist neben den Rechten aus der Datenschutzgrundverordnung möglich, da nur so ein lückenloser Schutz hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten von natürlichen Personen gewährleistet werden kann, die wiederum in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen gemäß Art. 1, 2 GG rechtswidrig eingreift, auch wenn ein solcher Anspruch in der Datenschutzgrundverordnung weder explizit geregelt ist noch etwa gemäß Art. 17 DSGVO über eine Auslegung ein solcher Unterlassungsanspruch anzunehmen sein könnte (Senat, Urteil vom 31.8.2021 - 4 U 324/21 - juris; Beschluss vom 19.04.2021 - 4 W 243/21 - juris; ebenso Landgericht Darmstadt, Urteil vom. 26.05.2020 - 13 O 244/19, Rn. 38 - juris; a.A. allerdings VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 06.08.2020 - Rn 9 K 19.1061 - juris; vgl. zum Streitstand Halder, jurisPR-ITR 4/2021 Anm. 5). Würde man einen solchen Unterlassungsanspruch verneinen, wäre kein ausreichender Individualrechtsschutz gegeben. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die Datenschutzgrundverordnung, weil sie keinen ausdrücklichen Unterlassungsanspruch enthält, eine Sperrwirkung entfaltet (so auch Landgericht Darmstadt, a.a.O.). Die Voraussetzungen für einen solchen Unterlassungsanspruch liegen vor. Wie bereits ausgeführt war die Verarbeitung der personenbezogenen Daten nicht rechtmäßig, auch eine Wiederholungsgefahr liegt vor. Ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen begründet eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Wiederholungsgefahr. Diese Vermutung kann entkräftet werden, wobei daran strenge Anforderungen zu stellen sind; im Grundsatz ist eine strafbewehrte Unterlassungserklärung erforderlich (vgl. Senat, Beschluss vom 18.10.2021 - 4 U 1407/21 - juris). Vorliegend haben die Beklagten die Vermutung für eine Wiederholungsgefahr nicht widerlegt. Sie bestehen vielmehr darauf, dass die Datenverarbeitung rechtmäßig war und ihnen auch zukünftig gestattet ist. Allerdings kann die Unterlassung der Verarbeitung der personenbezogenen Daten nur insoweit verlangt werden, als der Kläger als Schuldner der Forderung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichtes Hagen geführt wird. Denn es kann für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden, dass ein anderer Gläubiger Forderungen gegen den Kläger haben wird, mit deren Eintreibung die Beklagten beauftragt werden. In diesem Rahmen kann die Berechtigung zur Datenverarbeitung nicht verneint werden. Dies gilt auch insoweit, als die Beklagten berechtigt sind, die personenbezogenen Daten des Klägers im Zusammenhang mit der vorliegenden rechtlichen Auseinandersetzung zu speichern und zu verarbeiten.

3. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 82 Abs. 1 DSGVO gegen die Beklagten zu. Der Kläger hat den Eintritt eines kausal auf die Pflichtverletzung der Beklagten zurückzuführenden Schadens nicht schlüssig dargelegt. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch in Höhe von 10.000,00 € findet im Vortrag überhaupt keine Stütze. Zu seinem materiellen Schaden hat der Kläger ausgeführt, dass ihm durch die Beantragung von Meldebescheinigungen, Geburtsurkunden, Aufforderungsschreiben durch den Prozessbevollmächtigten ein Schaden von mehreren hundert Euro entstanden sei. Der Kläger hat seinen Schaden nicht beziffert, was ihm aber unschwer möglich gewesen wäre. Denn die Kosten für die Einholung von behördlichen Bestätigungen lassen sich beziffern. Soweit er vorgerichtliche Kosten seines Rechtsanwaltes behauptet, so ist dies bereits Gegenstand seines Klageantrages. Es fehlt jegliche konkrete Darlegung der Höhe des bei ihm eingetretenen Schadens.

Der Kläger hat auch einen immateriellen Schaden nicht dargelegt. Sein Vortrag ist insoweit schon widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Er behauptet, er sei ernsthaft in Misskredit gebracht worden, weil er unberechtigter Weise der Schufa gemeldet worden sei. Dies ist aber nicht zutreffend. Die Beklagten haben in Abrede gestellt, eine Schufa-Meldung erstattet zu haben. Aus der von vom Kläger vom 17.04.2020 (Anlage K9) vorgelegten Schufa-Auskunft ergibt sich ebenfalls keine Meldung über seine Person. Dort heißt es vielmehr ausdrücklich, dass bis zum 17.04.2020 dort ausschließlich positive Vertragsinformationen über den Kläger vorgelegen haben. Er hat in allen Bereichen die beste Ratingstufe: A und der Orientierungswert zur Bonität beträgt für ihn 113 bei einem Bereich von 100 (sehr gute Bonität) bis 600 (Insolvenzverfahren). Eine Beeinträchtigung seines Ansehens durch die Datenverarbeitung der Beklagten ist nicht ersichtlich und von ihm auch nicht nachvollziehbar dargelegt worden. Es kommt daher nicht auf die in der Rechtsprechung streitig diskutierte Frage an, ob auch wegen immaterieller Bagatellschäden ein Ausgleich erfolgen muss (vgl. Senat, Urteil vom 31.08.2021 - 4 U 324/21 - juris). Denn der Wortlaut von § 82 Abs. 1 DSGVO setzt den Eintritt eines Schadens voraus (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 16.07.2021 - 1 W 18/21 - juris). Die Frage, ob bei einem immateriellen Bagatellschaden - anders an in anderen Fällen der Persönlichkeitsrechtsverletzung - eine Entschädigung zu zahlen ist, stellt sich nicht. Erst wenn der Eintritt des Schadens feststeht, ist in einem zweiten Schritt zu entscheiden, ob ein erheblicher Schaden oder ein Bagatellschaden vorliegt. Auch aus den Ausführungen im Erwägungsgrund 75 lässt sich entnehmen, dass von dem Erfordernis des Eintritts eines Schadens nicht abgesehen wird. Dort heißt es: „Die Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen - mit unterschiedlicher Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere - können aus einer Verarbeitung personenbezogener Daten hervorgehen, die zu einer physischen, materiellen oder immateriellen Schaden führen könnte, insbesondere wenn ...“

4. Die Beklagten sind gemäß Art. 19 Satz 2 DSGVO verpflichtet, die Löschung der personenbezogen Daten des Klägers allen Empfängern, denen diese Daten offengelegt wurden, mitzuteilen und den Kläger davon zu unterrichten."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Celle: Unterlassungsanspruch aber keine Geldentschädigung bei Veröffentlichung eines Fotos welches Polizisten im Dienst ohne Anonymisierung zeigt

OLG Celle
Urteil vom 23.09.2021
13 U 55/20


Das OLG Celle hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch bei Veröffentlichung eines Fotos, welches einen Polizisten im Dienst ohne Anonymisierung zeigt, besteht. Eine Geldentschädigung lehnte das Gericht in diesem Fall ab, da durch die Veröffentlichung des Fotos keine Gefahrenlage für den betroffenen Polizisten geschaffen worden sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass dem Kläger ein Anspruch zusteht, die Verbreitung und/oder Veröffentlichung des im Wesentlichen streitgegenständlichen, unter anderem als Anlage K1 (Blatt 17) vorgelegten Lichtbildes zu unterlassen, sofern es nicht so verändert ist, dass der Kläger nicht mehr identifizierbar ist (dazu unter 1.). Der Unterlassungsanspruch beschränkt sich allerdings auf die Veröffentlichung dieses einen Bildes in dem Zusammenhang mit der in Bezug genommenen Berichterstattung und umfasst nicht sämtliche Bildnisse des Klägers von diesem Polizeieinsatz in jeglicher Form (dazu unter 2.), was der Kläger nunmehr durch die Beschränkung seines Antrags auf die konkrete Verletzungsform auch klargestellt hat.

1. Das Landgericht hat bezogen auf das unter anderem als Anlage K1 vorgelegte unverpixelte Lichtbild zu Recht einen Unterlassungsanspruch des Klägers aus § 1004 Abs. 1 Satz 1, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, §§ 22, 23 KUG wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in sein Persönlichkeitsrecht bejaht.

a) Die Zulässigkeit von Bildnisveröffentlichungen ist nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen, das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben als auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2013 - VI ZR 125/12, juris Rn. 10; Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 445/19, juris Rn. 15, jew. m. w. N.). Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Die Veröffentlichung des Bildes einer Person begründet grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14. September 2010 - 1 BvR 1842/08, 1 BvR 2538/08, 1 BvR 6/09, juris Rn. 52, m. w. N.). Die nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung seines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild dem Bereich der Zeitgeschichte oder einem der weiteren Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2015 - VI ZR 245/14, juris Rn. 14; Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 445/19, juris Rn. 21 ff., jew. m. w. N.).

Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Er darf nicht zu eng verstanden werden und umfasst im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Zeitgeschehen, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse. Der Begriff wird mithin vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört es, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht, und dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist, wobei unterhaltende Beiträge davon nicht ausgenommen sind (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2015, a. a. O., Rn. 17 m. w. N.). Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt. Bildaussagen nehmen am verfassungsrechtlichen Schutz des Berichts teil, dessen Bebilderung sie dienen (BGH, Urteil vom 9. April 2019 - VI ZR 533/16, juris Rn. 10; Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 445/19, juris Rn. 21, jew. m. w. N.)

Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Es bedarf mithin einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, wobei der Informationsgehalt der Bildberichterstattung unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung zu ermitteln ist.

Entscheidend ist insbesondere, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen oder ob sie - ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis - lediglich die Neugier der Leser befriedigen (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2019 - VI ZR 504/18, juris Rn. 13 m. w. N.). Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen desto schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2007, a. a. O.).

Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird (BGH, Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 445/19, juris Rn. 24 m. w. N.).

Bezogen auf die Abbildung einzelner im Einsatz befindlicher Polizeibeamten wird vertreten, dass diese nur dann zulässig ist, wenn bezogen auf eben diese Abbildung - und nicht nur auf das dem Einsatz zugrundeliegende Ereignis - § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG greift. Denn der einzelne Beamte sei nicht schon allein auf Grund seines Einsatzes eine Person der Zeitgeschichte, sondern erst dann, wenn er an besonderen Ereignissen oder Handlungen teilnimmt, insbesondere, wenn er sich pflichtwidrig verhält (vgl. Engels in: BeckOK UrhR, KUG § 23 Rn. 17; OLG Celle, Urteil vom 25. August 2010 - 31 Ss 30/10, juris Rn. 21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 2. Oktober 1979 - 4 Ss 200/79, juris). Alltägliche Einsätze zählten indes nicht zum Zeitgeschehen, über das unter Abbildung der beteiligten Polizisten berichtet werden dürfe (vgl. Fricke in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 5. Aufl., § 23 KUG Rn. 31 m. w. N.). Gezielte Aufnahmen von einzelnen Polizisten im Einsatz seien daher erst in dem Augenblick zulässig, in dem an ihnen ein besonderes öffentliches Informationsinteresse besteht (vgl. Soehring, in: Soehring/Hoehne, Presserecht, 5. Aufl., § 21 Rn. 13c), weshalb beispielsweise regelmäßig kein schützenswertes Informationsinteresse an einer Einzelabbildung der bei einer Personenkontrolle oder Demonstrationsüberwachung Mitwirkenden bestehe (Dreyer in: Dreyer/Kotthoff/ Meckel/Hentsch, Urheberrecht, 4. Aufl., § 23, Rn. 39).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen stellt sich die angegriffene Abbildung des Verfügungsklägers als rechtswidrig dar, weil seine Einwilligung unstreitig nicht vorlag und es sich - unter Abwägung der widerstreitenden Interessen - nicht um eine Berichterstattung über ein zeitgeschichtliches Ereignis handelt.

aa) Allerdings behandelt die Berichterstattung, deren Bebilderung das Bildnis des Klägers dient, durchaus eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse, so dass sie - und auch die Bebilderung - im Ausgangspunkt der Zeitgeschichte zugerechnet werden könnte. Ein entsprechendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist anzunehmen.

Indiziell spricht für ein solches Informationsinteresse bereits der Umstand, dass der Polizeieinsatz Gegenstand der Berichterstattung in verschiedenen Presseorganen war. Auch in der Sache bestand ein Informationsinteresse angesichts des erheblichen Aufwandes des Einsatzes - unter anderem auch im Hinblick auf Straßensperrungen sowie den Schusswaffeneinsatz. Selbst wenn die Berichterstattung insoweit auch einen unterhaltenden Charakter hatte und die Neugier der Öffentlichkeit befriedigte, stellte gerade die Diskussion dieser Umstände eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse dar. Der Presseartikel der Beklagten (vorgelegt als Anlage zur Berufungsbegründung vom 21. September 2020, Bl. 334) thematisierte die fragliche Verhältnismäßigkeit auch zumindest im Ansatz, insbesondere indem er herausstellte: „Es sah aus wie ein Anti-Terror-Einsatz - war aber nur eine Wildschwein-Jagd“. Er befriedigte damit ein Informationsbedürfnis, auch wenn eine eingehendere sachliche Auseinandersetzung unterblieb. Nicht zu verkennen ist allerdings im Rahmen der nachfolgend vorzunehmenden Abwägung, dass das öffentliche Interesse sowohl in regionaler Hinsicht als auch im Hinblick auf die gesellschaftspolitische Bedeutung nur eingeschränkt bestand und insbesondere etwa nicht mit dem Interesse an der Diskussion polizeilicher Einsätze beispielsweise bei Demonstrationen vergleichbar war.

Die Verwendung des infrage stehenden Bildnisses des Klägers zur Bebilderung dieses Presseartikels diente - unabhängig davon, dass ein konkretes Bedürfnis insoweit ohnehin nicht festgestellt werden müsste - ebenfalls dem öffentlichen Informationsinteresse. Sie war nicht nur geeignet, allgemein Interesse für diese Berichterstattung zu erwecken. Vielmehr unterstrich sie gerade auch aufgrund des entschlossenen und martialisch wirkenden Auftretens des Klägers und dessen Bewaffnung mit einer Maschinenpistole die Thematisierung der möglichen Unverhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes.

bb) Diesem Informationsinteresse stehen vorliegend aber überwiegende Interessen des Klägers gegenüber.

(1) Dabei spricht für die Zulässigkeit der Bebilderung zwar, dass das Lichtbild ohne Belästigung, Ausnutzung von Heimlichkeit oder beharrliche Nachstellung und nicht an Orten der Abgeschiedenheit aufgenommen wurde (zu diesen Gesichtspunkten: BGH, Urteil vom 9. April 2019 - VI ZR 533/16, juris Rn. 23).

Zudem zeigt die Abbildung den Kläger bei der in die Sozialsphäre fallenden Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit. Sie ist im unmittelbaren Kontext mit der zugehörigen Wortberichterstattung auch nicht geeignet, das soziale Ansehen des Klägers in erheblicher Weise nachteilig zu beeinflussen. Sie zeigt den Kläger bei der Ausübung seiner Dienstpflichten. Sie suggeriert in diesem Kontext kein Fehlverhalten des Klägers. Zwar lässt der Zusammenhang der Bebilderung mit der Wortberichterstattung es als möglich erscheinen, dass es der Kläger gewesen wäre, der die tödlichen Schüsse auf das Tier abgegeben hat, was tatsächlich nicht der Fall war. Dies stellt jedoch nur ein mögliches Verständnis dar, das durch die Berichterstattung nicht nahegelegt wird. Zudem stellt es zumindest objektiv keinen wesentlichen Unterschied dar, ob der Kläger nur an dem fraglichen Einsatz beteiligt war oder auch selbst - auf Anweisung - geschossen hat. Nicht zu verkennen ist dabei allerdings, dass absehbar war, dass sowohl der Einsatz als solcher als auch die Tötung des Tieres von einzelnen Dritten als kritikwürdig eingeschätzt werden würde.

In die Abwägung ist dabei auch einzustellen, dass der Kläger durch seine Abbildung gerade das „Gesicht“ des als unverhältnismäßig kritisierten Polizeieinsatzes wurde, ohne dass er diesen angeordnet oder sonst zu verantworten hätte, weshalb auch ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerade an der Identität des Klägers nicht bestand (zu diesem Gesichtspunkt: Senat, Urteil vom 20. April 2000 - 13 U 160/99, juris Rn. 9).

(2) Wesentlich gegen die Zulässigkeit der Abbildung des Klägers in der vorgenommenen Weise spricht zudem, dass es aufgrund ihrer Prägnanz nahelag, dass sie sich im Internet „verselbstständigte“ und als Symbol für unverhältnismäßige Polizeigewalt, möglicherweise auch für einen Polizeistaat, Verwendung finden würde. Die abgebildete Körperhaltung, Bewegung und Mimik des Klägers verleiht dem Bild eine martialische und militante Dynamik, die auch außerhalb des Kontextes zu der Wortberichterstattung eine plakative Wirkung entfaltete. Es lag daher nicht fern, dass sie gerade auch im Zusammenhang mit anderen kritischen oder gar feindlichen Meinungsäußerungen gegenüber der Polizei eingesetzt und den Kläger insoweit zur Zielscheibe verbaler, möglicherweise aber auch tätlicher Angriffe machen würde. Die Bebilderung hat insoweit durchaus einen mit einer Prangerwirkung vergleichbaren Effekt.

Bei der Gewichtung dieser Beeinträchtigung ist zwar zu berücksichtigen, dass der Kläger ausschließlich optisch und auch insoweit nur von einem vergleichsweise kleinen Kreis von Personen identifiziert werden kann und das Bild deshalb nicht geeignet ist, die Identität des Klägers einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen (dazu: BGH, Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 445/19, juris Rn. 32 f.). Bereits die nachteiligen Auswirkungen in seinem näheren Umfeld müssen dabei aber vom Kläger nicht hingenommen werden. Zudem ist auch seine Sorge nicht von der Hand zu weisen, im Zusammenhang mit der Wortberichterstattung identifizierbar zu sein, die seinen Einsatzbereich erkennen lässt.

Insoweit kann sich die Beklagte auch nicht darauf zurückziehen, dass die Berichterstattung nur an „lokale Leser“ gerichtet gewesen sei, weil der von ihr veröffentlichte Artikel und die dazugehörigen Fotos und Videos unstreitig weltweit im Internet abrufbar waren.

Nicht von wesentlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass eine tatsächliche, konkrete Gefährdung des Klägers auch unter Berücksichtigung der Aussage des als Zeugen vernommenen Vorgesetzten des Klägers, des Polizeibeamten B., nicht festzustellen ist.

Dass Abbildungen von Polizisten in großer Vielzahl im Internet abrufbar sind, steht der Schutzwürdigkeit der vorliegenden Interessen des Klägers ebenfalls nicht entgegen. Seine hier infrage stehende Abbildung hebt sich gerade durch ihre Prägnanz aus der Masse allgemeiner Abbildungen heraus.

43
Unerheblich ist auch, dass der Kläger gegen die Verwendung dieser oder vergleichbarer Abbildungen von ihm durch Dritte nicht vorgegangen sein mag. Die Beklagte kann sich auf eine mögliche Gleichheit im Unrecht nicht berufen. Zudem ist nicht zu verkennen, dass gerade die Verbreitung auf den Internetseiten der Beklagten eine besondere Breitenwirkung hat.

44
cc) In der Abwägung dieser widerstreitenden Interessen hat das Informationsinteresse der Öffentlichkeit insoweit zurückzutreten, dass eine unverpixelte und zur Identifizierung des Klägers geeignete Verwendung des fraglichen Bildes nicht zulässig war. Die schützenswerten Interessen des Klägers überwiegen die für eine Verwendung des unverpixelten Bildes streitenden Interessen.

Zwar ist das Bedürfnis, eine Berichterstattung zu bebildern, grundsätzlich nicht zu überprüfen. Es ist im Rahmen dieser Gesamtabwägung aber ergänzend zu berücksichtigen, dass die Verwendung des infrage stehenden Bildes nicht grundsätzlich, sondern nur insoweit unzulässig ist, als der Kläger darauf identifizierbar ist. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit betreffend „dramatische Jagdszenen“, insbesondere betreffend den Einsatz von Beamten mit Maschinenpistolen und Scharfschützengewehren, hätte unter Verwendung dies darstellender Bilder befriedigt werden dürfen. Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass der Aussagegehalt des infrage stehenden Bildes bei einer Verpixelung der Gesichtspartie insbesondere dadurch eingeschränkt wäre, dass die entschlossene Mimik des Klägers nicht mehr zum Ausdruck käme, wäre dies aufgrund der dargestellten Gesamtabwägung hinzunehmen.

c) Die Wiederholungsgefahr ist durch die Erstbegehung indiziert und von der Beklagten nicht widerlegt. Zwar hat sie - möglicherweise irrtümlich - in der Klageerwiderung (S. 43) behauptet, sich zur Unterlassung verpflichtet zu haben. Dieser Vortrag ist jedoch streitig. Die dort in Bezug genommene Anlage hat die Beklagte nicht vorgelegt. Hierauf hat der Kläger hingewiesen, ohne dass die Beklagte ihren Vortrag konkretisiert oder sonst unter Beweis gestellt hätte.

Auch der Zeitablauf als solcher ist nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr ohne eine entsprechende Unterlassungserklärung der Beklagten zu beseitigen.

d) Die Verwendung dieses unter anderem als Anlage K1 vorgelegten Bildes ist nicht in jeglichem Zusammenhang, sondern nur im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den fraglichen Polizeieinsatz zu untersagen (vgl. dazu allg. BGH, Urteil vom 13. November 2007 - VI ZR 265/06, juris Rn. 10). Entsprechend hat der Kläger seinen Klageantrag in der Berufungsinstanz durch die Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform auch klarstellend beschränkt.

2. Ein Unterlassungsanspruch besteht entgegen der Auffassung des Landgerichts demgegenüber nicht auch für die Verbreitung sonstiger Bildnisse des Klägers von dem fraglichen Polizeieinsatz. Dabei ist unerheblich, dass insoweit die maßgeblichen Interessen noch nicht konkret bewertet werden können. Vielmehr fehlt es insoweit bereits an einer Wiederholungsgefahr, weil die Beklagte solche anderen Abbildungen bislang nicht veröffentlicht hat. Auch hinreichende Anhaltspunkte einer Erstbegehungsgefahr fehlen insoweit. Auch insoweit hat der Kläger seinen Klageantrag nach Erörterung dieser Problematik im Termin zur mündlichen Verhandlung durch die Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform beschränkt.

Ob in dieser Beschränkung eine Teil-Rücknahme oder nur eine Klarstellung liegt, kann letztlich offenbleiben. Kostenrechtlich wäre auch eine Teil-Rücknahme nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unbeachtlich. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger konkret die Veröffentlichung anderer Bilder von ihm befürchtet hatte, so dass der formal ursprünglich weitergehende Klageantrag insoweit in der Sache nicht ins Gewicht fiel.

II. Im Hinblick auf die Verbreitung der unter anderem als Anlage K1 vorgelegten Abbildung des Klägers hat das Landgericht zutreffend eine Verpflichtung der Beklagten festgestellt, dem Kläger denjenigen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Verbreitung dieser Abbildung entstanden ist und/oder noch entstehen wird. Bei Verletzung eines absoluten Rechtsgutes besteht ein Feststellungsinteresse bereits dann, wenn künftige Schadensfolgen (wenn auch nur entfernt) möglich, ihre Art und der Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind; ein Feststellungsinteresse ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 - VI ZR 133/06, juris Rn. 5). Diese Voraussetzungen für die Feststellung einer Ersatzpflicht liegen vor.

III. Ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung besteht demgegenüber unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht.

1. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes begründet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann einen Anspruch auf eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab. Ob ein derart schwerer Eingriff anzunehmen und die dadurch verursachte nicht vermögensmäßige Einbuße auf andere Weise nicht hinreichend ausgleichbar ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist ein erwirkter Unterlassungstitel zu berücksichtigen, weil dieser und die damit zusammenhängenden Ordnungsmittelandrohungen den Entschädigungsanspruch beeinflussen und im Zweifel sogar ausschließen können. Die Gewährung einer Geldentschädigung hängt demnach nicht nur von der Schwere des Eingriffs ab; es kommt vielmehr auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an, nach denen zu beurteilen ist, ob ein anderweitiger befriedigender Ausgleich für die Persönlichkeitsrechtsverletzung fehlt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 21. April 2015 - VI ZR 245/14, juris Rn. 33 m. w. N.).

2. Vorliegend spricht gegen eine Geldentschädigung bereits, dass die Zulässigkeit der Verwendung des Bildes letztlich aufgrund einer Abwägung zu beurteilen war, die im Ergebnis nicht derart eindeutig sein mag, dass dies den Rückschluss auf einen erheblichen Verschuldensgrad zulässt. Selbst die 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover hat die Veröffentlichung eines vergleichbaren Fotos durch eine andere Verlagsgesellschaft nicht als rechtswidrig eingeordnet (Urteil vom 21. Dezember 2020 - 18 O 167/20, vorgelegt als Anlage zum Schriftsatz vom 17. August 2021, Bl. 390 ff. d. A.). Insbesondere wird die Beklagte zwar eine mögliche Unzulässigkeit der Verwendung des Bildnisses und insoweit auch eine mögliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers billigend in Kauf genommen haben. Dass sie die Unzulässigkeit dieser Veröffentlichung aber positiv erkannt hätte, ist nicht festzustellen. Erst recht ist nicht anzunehmen, dass sie Angriffe auf den Kläger infolge der Veröffentlichung des Bildes billigend in Kauf genommen hätte.

Trotz des erheblichen Verbreitungsgrades des Bildes, der nicht fernliegenden Sorge des Klägers vor tätlichen Angriffen, des Umstandes, dass von einer Sensibilität der Beklagten hinsichtlich der Persönlichkeitsrechtsverletzung auszugehen ist, diese eine solche Persönlichkeitsrechtsverletzung jedenfalls billigend in Kauf genommen hat und angesichts der prominenten Veröffentlichung des infrage stehenden Bildes unter anderem auch als Titelbild unter der Rubrik „Top-Videos“ (vgl. Anlage K3, Bl. 19 d. A.) besteht im Hinblick auf den Grad des die Beklagte treffenden Verschuldens und den Umstand, dass sie sowohl im Wege der einstweiligen Verfügung als auch nunmehr im Hauptsacheverfahren unter Ordnungsmittelandrohung zu Unterlassung der Bildveröffentlichung verurteilt wurde, kein Bedürfnis zur Zahlung einer Geldentschädigung, um die Persönlichkeitsrechtsverletzung aufzufangen.

3. Es kommt hinzu, dass aufgrund der Prägnanz des Bildnisses und des Verbreitungsgrades seiner Veröffentlichung zwar nahelag, dass es sich - wie oben näher dargestellt - im Internet verselbstständigte und der Kläger insoweit zur Zielscheibe verbaler und möglicherweise auch tätlicher Angriffe werden konnte. Eine konkrete, auf die Veröffentlichung dieses Fotos durch die Beklagte zurückzuführende Gefährdung des Klägers, die einen Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung begründete, kann aber nicht festgestellt werden.

Der als Zeuge vernommene Vorgesetzte des Klägers, der Polizeibeamte B., hat glaubhaft und auch glaubwürdig ausgesagt, dass nach der Beurteilung des Landeskriminalamts eine besondere Gefährdungslage für den Kläger nicht gegeben gewesen sei. Er, der Zeuge, habe zwar als Vorgesetzter des Klägers einen entsprechenden Antrag beim Landeskriminalamt gestellt, weil nach seiner eigenen Einschätzung eine besondere Gefährdungslage für den Kläger zwar nicht schon aufgrund des in Rede stehenden Fotos aber aufgrund der von einer Salafisten-Gruppe verbreiteten Bildmontage Anlage K 10 mit dem Foto bestanden habe. Der Antrag sei aber vom Landeskriminalamt abschlägig entschieden worden. Es sei zwar bestätigt worden, dass eine besondere Gefährdungslage für alle Polizeibeamten bestehe, nicht aber für den Kläger im Zusammenhang mit der Bildmontage. Dies deckt sich damit, dass das Landeskriminalamt Niedersachsen den Kläger nach der Aussage des Zeugen nicht im Hinblick auf eine etwaige Gefährdungslage über die Bildmontage in Kenntnis gesetzt hatte, sondern nur deshalb, weil dort ein möglicher Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz erkannt wurde.

IV. 1. Dem Kläger steht zunächst ein Anspruch auf Ersatz der in Vorbereitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens angefallenen Geschäftsgebühr nach einem Wert von 10.000 € zu. Hierauf ist die hälftige Verfahrensgebühr des einstweiligen Verfügungsverfahrens nach § 15a Abs. 1, 3 i. V. m. VV Vorb. 3 Abs. 4 RVG anzurechnen. Der Senat hat den Kläger insoweit darauf hingewiesen, dass er davon ausgeht, dass wegen der Verfahrensgebühr des einstweiligen Verfügungsverfahrens ein Kostenfestsetzungsbeschluss ergangen ist; dem ist der Kläger nicht entgegengetreten.

Die hiernach erstattungsfähige Geschäftsgebühr beläuft sich unter Ansatz einer 0,65-fachen Gebühr nebst Portopauschale und Mehrwertsteuer auf 455,41 €.

2. Dem Kläger steht darüber hinaus ein Anspruch auf Ersatz der Geschäftsgebühr für die Fertigung des Abschlussschreibens in Vorbereitung des Hauptsacheverfahrens zu. Das Abschlussschreiben gehört gebührenrechtlich zum Hauptsacheverfahren (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.73; Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., § 15 Rn. 30). Einen isoliert auf die Fertigung des Abschlussschreibens gerichteten Auftrag, der nicht zugleich mit einem Auftrag zur Führung des Hauptsacheverfahrens verbunden war, hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen. Die erforderlichen und erstattungsfähigen Kosten einer Abschlusserklärung bemessen sich nach dem Streitwert der Hauptsacheklage, welche vermieden werden soll, und nicht nach dem Streitwert des einstweiligen Verfügungsverfahrens (OLG Hamm, Urteil vom 02. Juli 2009 - 4 U 39/09, juris Rn. 7; Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, 4. Aufl., § 12 UWG (Stand: 09.04.2018), Rn. 184), hier mithin nach einem Streitwert von 25.000 €, der im Hinblick auf den Unterlassungsantrag anzusetzen ist.

Eine weitergehende Geschäftsgebühr zur Vorbereitung des Hauptsacheverfahrens ist bereits deshalb nicht angefallen, weil der Kläger eine weitergehende außergerichtliche Tätigkeit seines Anwalts insoweit nicht hinreichend dargelegt hat.

Ersatzfähig ist damit eine 1,3-fache Gebühr gemäß Nr. 2300 VV-RVG nach einem Streitwert von 25.000 € nebst Portopauschale und Mehrwertsteuer, insgesamt mithin 957,72 €


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Beschwerdewert eines Anspruchs auf Unterlassung einer Äußerung richtet sich nicht nur nach Breitenwirkung sondern auch nach Wirkung auf den Betroffenen selbst

BGH
Beschluss vom 16.11.2021
VI ZB 58/20
ZPO § 2, § 3, § 511 Abs. 2 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass sich der Beschwerdewert eines Anspruchs auf Unterlassung einer Äußerung nicht nur nach der Breitenwirkung sondern auch nach der Wirkung auf den Betroffenen selbst richtet.

Leitsatz des BGH:
Für die Bemessung des Beschwerdewerts eines Berufungsantrags auf Unterlassung einer Äußerung kommt es nicht nur auf deren Breitenwirkung, sondern auch auf die Wirkung der Äußerungen auf den Kläger selbst an.

BGH, Beschluss vom 16. November 2021 - VI ZB 58/20 - LG Hamburg - AG Hamburg-Wandsbek

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Dresden: Automatisierte Löschung eines Facebook-Beitrags durch Algorithmus allein begründet keine Wiederholungsgefahr

OLG Dresden
Beschluss vom 04.10.2021
4 W 625/21


Das OLG Dresden hat entschieden, dass die automatisierte Löschung eines Facebook-Beitrags durch einen Algorithmus allein keine Wiederholungsgefahr für einen Anspruch auf zukünftiges Unterlassen begründet. Erst wenn der Betreiber des sozialen Netzwerks die Löschung im weiteren Verlauf verteidigt, begründet dies die für einen Unterlassungsanspruch notwendige Wiederholungsgefahr.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Der Antragsteller wendet sich gegen die am 27.7.2021 erfolgte Löschung eines Beitrags auf dem sozialen Netzwerk "XXX" der Antragsgegnerin und gegen seine zeitweise Versetzung in den sog. read-only Modus. Die Sperre des Antragsstellers hat die Antragsgegnerin zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgehoben, der Post wurde wieder eingestellt. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Es wird insofern auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen. Mit der sofortigen Beschwerde erstrebt der Antragsteller den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 569 ZPO eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.

1. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung ist zulässig. Die internationale und örtliche Zuständigkeit hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, bejaht.

2. Ebenfalls zutreffend ist die Annahme des Landgerichts, das auf den streitgegenständlichen Vertrag deutsches Recht Anwendung findet (vgl. hierzu im Übrigen auch BGH, Urteil vom 29.7.2021 – III R 192/20, juris) und dass die von der Antragsgegnerin am 27.7.2021 vorgenommene Löschung des streitgegenständlichen Beitrags ebenso wie die Sperrung des Antragsgegners in Form der Versetzung seines Kontos in den sog. read-only Modus für einen Zeitraum von 30 Tagen rechtswidrig waren. Ob der Beitrag selbst gegen die Nutzungsbedingungen verstößt, kann im Anschluss an die o.a. aufgeführte Entscheidung des BGH dahingestellt bleiben, weil der in Ziff. 3.2 der Nutzungsbedingungen enthaltene Sperrungs- und Löschungsvorbehalt gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist, eine vertragliche Grundlage für die von der Antragsgegnerin ergriffenen Maßnahmen mithin nicht bestand (so ausdrücklich für den Parallelfall BGH, aaO. Rn 41ff.). Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin, der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens rechtliches Gehör gewährt wurde, auch nicht.

3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts scheitert vorliegend ein Verfügungsanspruch aber nicht am Fehlen der Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr. Wie der BGH in der o.a. Entscheidung ebenfalls ausgeführt hat, setzt ein vertraglicher Unterlassungsanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB - ebenso wie ein gesetzlicher Unterlassungsanspruch entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB - eine Erstbegehungs- beziehungsweise Wiederholungsgefahr voraus (vgl. Bodewig, Jura 2005, 505, 512; Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 2000, S. 106; Köhler, AcP 1990, 496, 508; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Aufl., Rn. 207; MüKo/Bachmann, BGB, 8. Aufl., § 241 Rn. 70). Dabei begründet ein einmal erfolgter Vertragsverstoß die tatsächliche Vermutung für seine Wiederholung. Die Verletzung einer Vertragspflicht begründet insofern die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für identische Verletzungsformen, sondern auch für andere Vertragspflichtverletzungen, soweit die Verletzungshandlungen im Kern gleichartig sind (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 192/20 –, Rn. 115 - 116, juris; Urteil vom 20. Juni 2013 - I ZR 55/12, NJW 2014, 775 Rn. 18; Beschluss vom 3. April 2014 - I ZB 42/11, NJW 2014, 2870 Rn. 12; jew. mwN). An die Entkräftung dieser Vermutung sind strenge Anforderungen zu stellen sind. Sie ist ausnahmsweise dann als widerlegt anzusehen, wenn der Eingriff durch eine einmalige Sondersituation veranlasst war (BGH, Urteil vom 27. April 2021 – VI ZR 166/19 –, Rn. 23, juris). Eine solche Sondersituation hat der BGH bezogen auf den vertraglichen Unterlassungsanspruch eines xxx-Nutzes gegen die Antragsgegnerin in der Entscheidung vom 29. Juli 2021 deshalb angenommen, weil von einer aus drei Sätzen bestehenden Äußerungen nur die beiden Sätze in die Rechtsmittelinstanz gelangt waren, die im Verhältnis zum dritten Satz wesentlich weniger scharf formuliert waren und daher für sich genommen keine Veranlassung geboten hätten, zu prüfen ob sie auch für sich genommen gegen die Nutzungsbedingungen der Antragsgegnerin verstoßen. Die vollständige Löschung des Beitrags sei nicht kerngleich zu einer denkbaren Teillöschung nur dieser Sätze und indiziere daher die Wiederholungsgefahr nicht. Dies gilt aber erst recht in den Fällen, in denen die Antragsgegnerin auf die Beanstandung eines Nutzes hin die gesamte, zunächst gelöschte Äußerung umgehend wiederherstellt und eine gegen den Nutzer verhängte Sperre aufhebt. Es ist zum einen gerichtsbekannt, dass die Löschung von Beiträgen regelmäßig zunächst durch eine algorithmusgesteuerte Künstliche Intelligenz (KI) erfolgt, die selbstständig in den sozialen Netzen der Antragsgegnerin Hassrede, sexuell provozierende Inhalte, Drogenangebote, Gewalt und Terrorpropaganda ausfiltert. Menschen greifen nur in Zweifelsfällen ein (vgl. etwa https://www.yyy.de/xxx, abgerufen am 30.8.2021). Diese Praxis ist, wie der BGH in der Entscheidung vom 29.7.2021 ebenfalls ausgeführt hat auch nicht zu beanstanden. Es ist gerade nicht zwingend geboten, den Nutzer bereits vor der Löschung eines posts anzuhören. Ausreichend ist vielmehr, wenn Netzwerkbetreiber in ihren Geschäftsbedingungen den Nutzern ein Recht auf unverzügliche nachträgliche Benachrichtigung, Begründung und Gegendarstellung mit anschließender Neubescheidung einräumen. Insoweit ist zum einen das Interesse der Netzwerkbetreiber zu berücksichtigen, einen vermeintlich rechtswidrigen Inhalt aus Haftungsgründen zügig nach Kenntniserlangung zu entfernen. Zum anderen steigt mit jedem Tag, an dem ein Beitrag auf der Kommunikationsplattform eingestellt bleibt, die Gefahr seiner Verbreitung und damit im Fall seiner Rechtswidrigkeit der Perpetuierung der Rechtsverletzung. Schließlich ist, wenn mit dem fraglichen Inhalt eine mögliche Rechtsverletzung Dritter einhergeht, auch deren Interesse an einer zügigen Entfernung zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 192/20 –, Rn. 99, juris).

Wird ein solches Verfahren eingesetzt, lässt eine automatisierte Löschung für sich genommen noch keinen Rückschluss auf ein zukünftiges Verhalten der Antragsgegnerin zu. Auch wenn subjektive Tatbestandsmerkmale wie ein Verschulden für die Wiederholungsgefahr grundsätzlich unerheblich sind, so knüpft diese Vermutung an ein Verhalten des Störers in der Vergangenheit an, das auf die objektive Besorgnis schließen lässt, dass es in der Zukunft zu weiteren gleichartigen Störungen kommen wird. Hiervon kann jedoch in einer Situation, in der die erstmalige Überprüfung der durch einen Algorithmus eingeleiteten Löschung unmittelbar zu einer Wiederherstellung eines Posts führt, nicht ausgegangen werden, weil die Antragsgegnerin hierdurch zu erkennen gibt, dass die Löschung auf einem technischen Versehen beruht und an die Wiederherstellung die tatsächliche Vermutung anknüpft, dass der Beitrag zukünftig von Löschalgorithmen nicht mehr erfasst wird. Sähe man dies anders, wäre die Antragsgegnerin gezwungen, eine – in der Regel kostenpflichtige – strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, obwohl sie ein von der Rechtsordnung gebilligtes Verfahren einsetzt und einen Fehler der von ihr eingesetzten KI unmittelbar bemerkt und ausgeräumt hat. Dies würde nicht zuletzt einer unerwünschten Abmahnindustrie Vorschub leisten.

Anders ist dies aber, wenn die Antragsgegnerin im Verlauf des Verfahrens die Löschung verteidigt oder durch ihr Verhalten zu erkennen gibt, sie inhaltlich nach wie vor für berechtigt zu halten. Da es auch für die Wiederholungsgefahr auf die Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung oder mündlichen Verhandlung ankommt, kann an ein solches nachgelagertes Verhalten eine eigenständige Vermutung anknüpfen, die sich mit der Löschung durch eine KI noch nicht verbindet. So liegen die Dinge hier. Wie der Antragsteller dargelegt und glaubhaft gemacht hat, hat er sich nämlich unmittelbar nach der Löschung an die Antragsgegnerin gewandt und von deren "Support" daraufhin die – in der Antragsschrift eingescannte - Nachricht erhalten, sein Beitrag sei "noch einmal geprüft" worden, entspreche jedoch nicht den Gemeinschaftsstandards. Erst zu einem späteren Zeitpunkt sei er ohne Angabe von Gründen wiedereingestellt worden. Aufgrund welcher hier zu beachtender besonderer Umstände des Einzelfalls dies erfolgt ist, lässt sich aus dieser kommentarlosen Wiedereinstellung nicht entnehmen. Die Annahme des Landgerichts, die Antragsgegnerin habe hiermit der Entscheidung des BGH vom 29.7.2021 Rechnung tragen wollen, ist spekulativ und lässt unberücksichtigt, dass die Entscheidungsgründe im dortigen Verfahren im Zeitpunkt der Wiedereinstellung des hiesigen Beitrags Anfang August 2021 noch gar nicht verkündet waren und die Antragsgegnerin daher den Umfang ihrer zukünftigen Verpflichtungen allenfalls grob absehen konnte. Überdies ist dem Senat aus zahlreichen vergleichbaren Verfahren bekannt, dass Betreiber weltweit verfügbarer sozialer Netzwerke mit mehreren Milliarden Nutzern Gerichtsentscheidungen mitunter nur zögerlich befolgen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 29. Juni 2021 – 4 W 396/21 –, juris). Zwar hat die Antragsgegnerin unter Vorlage der Anlage JS 2 im mit Schriftsatz vom 21.9.2021 behauptet, die Sperre sei noch am 30.7.2021 und damit vor dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wieder aufgehoben worden; diese Behauptung hat sie indes nicht durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht. Der weitgehend geschwärzten Anlage JS 2, bei der es sich um einen Screenshot aus dem internen System der Antragsgegnerin handeln soll, lässt sich überdies lediglich entnehmen, dass unter dem Datum "2021/07/30 2:31 pm" die "action:"lActionUnlimited Feature" und die "action: "lActionRestore" an einem Konto mit der owner_id: 100002031410019" vorgenommen worden sein soll, bei dem es sich um das Konto des Antragsstellers handeln soll. Weshalb gleichwohl der Antragsteller die Mitteilung erhalten hat, sein Antrag auf Aufhebung der Sperre sei nach "erneuter Prüfung" abgelehnt worden, bleibt offen. Eine Mitteilung, dass die Antragsgegnerin an ihrer Auffassung nicht mehr festhält, der Beitrag verstoße gegen ihre Nutzungsbedingungen, hat sie dem Antragsteller jedenfalls unstreitig zu keinem Zeitpunkt zukommen lassen. Im Schriftsatz vom 21.9.2021 hat sie überdies die Auffassung vertreten, der Beitrag habe aus der Sicht eines objektiven, unvoreingenommenen Lesers "jedenfalls zunächst" vertretbar als Angriff auf eine Gruppe von Menschen gedeutet werden können und könne ggf. in einem "anderen Kontext" als unzulässig angesehen werden. Ein eindeutiges Abrücken von der Sperr- und Löschungsentscheidung, das unter den hier gegebenen Bedingungen die Vermutung der Wiederholungsgefahr entfallen ließe, kann der Senat hierin nicht erkennen.

4. Entgegen der Auffassung des Landgerichts fehlt es hier auch nicht an einem Verfügungsgrund. Regelmäßig besteht dieser in der (objektiv begründeten) Besorgnis, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (vgl. Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 935 Rz. 10). Bei Unterlassungsansprüchen ergibt sich die „Dringlichkeit“ als Voraussetzung des Verfügungsgrundes zwar nicht schon aus der materiell-rechtlichen Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr (vgl. Zöller, a.a.O.), jedoch wird in Fällen des Presse- und Äußerungsrechts ein Verfügungsgrund, wenn - wie hier - keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, insbesondere durch Zuwarten, gegeben ist, regelmäßig bejaht (vgl. auch KG, Beschluss vom 22. März 2019, Az.: 10 B 172/18 - juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 23. Januar 2019, Az.: 4 U 214/18 - juris). Gleiches gilt bei Unterlassungsansprüchen gegen Betreiber sozialer Netzwerke wegen der Löschung eines Beitrags oder der Sperrung des Nutzers (Senat, Urteil vom 20. April 2021 – 4 W 118/21 –, Rn. 41, juris). Eine Leistungsverfügung, von der das Landgericht ausgegangen ist und die grundsätzlich nur bei Not- und Zwangslagen in Betracht kommt, wenn der Gläubiger darlegen und glaubhaft machen kann, auf die Erfüllung dringend angewiesen zu sein (vgl. nur Zöller-Vollkommer, ZPO, 33. Aufl. § 940 Rn 6; Senat, Beschluss vom 15. Februar 2021 – 4 U 2196/20 –, Rn. 5, juris), liegt hier schon deshalb nicht vor, weil es nicht darum geht, dem Antragsteller im Verfügungsverfahren eine zusätzliche Leistungsposition zu verschaffen, sondern die Antragsgegnerin lediglich vorläufig daran gehindert werden soll, ihn an der Ausübung seiner bereits durch den Nutzungsvertrag eingeräumten Rechte durch Sperrung und Löschung zu hindern. Unabhängig hiervon hat der Antragsteller auch glaubhaft gemacht, als Kandidat zum Deutschen Bundestag im Vorfeld der Bundestagswahl und darüber hinaus auf die von ihm betriebene Seite auf dem sozialen Netzwerk der Antragsgegnerin angewiesen zu sein.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Bei der Streitwertfestsetzung war zu berücksichtigen, dass ein Klageantrag, der sich gegen eine 30-tägige Sperre eines Facebook-Nutzerkontos richtet, mit 2500,- €, der Antrag auf Unterlassung einer künftigen Beitragslöschung und Kontensperrung neben einem andere Zeiträume betreffenden Antrag auf Unterlassung für zurückliegende Zeiträume lediglich mit 1500,- € zu bemessen ist (BGH, Beschluss vom 27.5.2021 – III ZR 351/20). Da hier allein Ansprüche auf Unterlassung einer künftigen Löschung und Sperrung verfolgt werden und bei dem Antragssteller zudem die Bedeutung des Rechtsstreits für seine Kandidatur zum Deutschen Bundestag zu berücksichtigen ist, da es andererseits aber allein um ein Verfügungsverfahren geht, hat der Senat in der Gesamtwürdigung den Streitwert mit 3000,- € angesetzt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Leitende Mitarbeiter können nach § 831 Abs. 1 BGB persönlich auf Unterlassung wegen verunglimpfender Schreiben durch Mitarbeiter in Anspruch genommen werden

OLG Frankfurt
Beschluss vom 15.07.2021
6 W 40/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass leitende Mitarbeiter nach § 831 Abs. 1 BGB persönlich auf Unterlassung wegen wettbewerbswidriger verunglimpfender Schreiben durch Mitarbeiter in Anspruch genommen werden können.

Aus den Entscheidungsgründen:

A. Hinsichtlich des Antrags zu II. c) steht der Antragstellerin nach den zutreffenden Erwägungen des Landgerichts zu den - in der Beschwerde nicht mehr relevanten - Anträgen zu II a) und d) ebenfalls ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8 Abs. 1 und 3, 3, 4 Nr. 1 UWG zu.

1. Ob eine Herabsetzung oder Verunglimpfung im Sinne von § 4 Nr. 1 UWG vorliegt, beurteilt sich nach dem Eindruck der angesprochenen Verkehrskreise. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung, bei der die Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Inhalt und die Form der Äußerung, ihr Anlass und der Zusammenhang, in den sie gestellt ist, sowie die Verständnismöglichkeiten des angesprochenen Verkehrs zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 1.3.2018 - I ZR 264/16 - Verkürzter Versorgungsweg II, juris Rn 15 = GRUR 2018, 622; Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG, 39. Aufl., § 4 RN 1.13 m.w.N.).

Nach diesem Maßstab kann die mit dem Antrag zu II. c) angegriffene Äußerung der Antragsgegner „Wurde Ihnen eine Erbschaft, ein Gewinn oder Ähnliches in Aussicht gestellt?“ im Gesamtzusammenhang des Schreibens vom 29.1.2021 von dem Adressaten nur so verstanden werden, als vermuteten die Antragsteller, dass dieser die streitbefangene Zahlung nur deshalb veranlasst habe, weil ihm - in betrügerischer Absicht - ein entsprechender Vorteil versprochen wurde. Die Frage danach, ob dem Adressaten eine Erbschaft oder ein Gewinn in Aussicht gestellt wurde, rekurriert augenscheinlich auf entsprechende, in der Öffentlichkeit aktuell breit diskutierte Betrugsmaschen. Eine solche Verbindung aber setzt die Dienstleistungen der Antragsgegnerin grundlos im Sinne von § 4 Nr. 1 UWG pauschal herab. Es kommt hinzu, dass die Äußerung zur Erreichung des Ziels der Antragsgegner, den Adressaten im Rahmen ihrer Verpflichtung nach § 675o Abs. 1 BGB über den Grund zu unterrichten, weshalb sein Zahlungsauftrag nicht ausgeführt wurde, gar nicht erforderlich ist.

2. Die Antragsgegner zu 2) und 3) können von der Antragstellerin wegen des Wettbewerbsverstoßes gemäß § 831 Abs. 1 BGB auf Unterlassung persönlich in Anspruch genommen werden (- zur Anwendbarkeit von § 831 BGB im Lauterkeitsrecht vgl. BGH WRP 2012, 1517 - DAS GROSSE RÄTSELHEFT). Die Antragsgegner zu 2) und 3) sind als leitende Mitarbeiter der Antragsgegnerin zu 1) für die Wettbewerbsverstöße verantwortlich, die die ihnen nachgeordneten Mitarbeiter begehen, soweit sie sich nicht gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 exkulpieren können. Insoweit spielt es keine Rolle, dass es sich bei den Unterschriften der Antragsgegner zu 2) und 3) unter dem streitbefangenen Schreiben um Faksimile gehandelt hat und sie an der Erstellung des Schreibens nicht unmittelbar beteiligt waren. Eine Entlastung nach § 831 Abs. 2 BGB würde voraussetzten, dass den Antragsgegnern zu 2) und 3) bei der Auswahl und Überwachung der Mitarbeiter, die das streitgegenständliche Schreiben erstellt haben, keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden könnte (Palandt/Sprau BGB; 80. Auflage, § 831 Rn 10 ff. - m.w.N.). Trotz eines entsprechenden Hinweises des Senats haben die insoweit darlegungspflichtigen Antragsgegner jedoch keine Umstände vorgetragen, aus denen sich dies ablesen ließe. Der Umstand, dass die nachgeordneten Mitarbeiter nach den Vorgaben aus einem Organisationshandbuch gehandelt haben, gibt keinen Aufschluss darüber, wie es zu den inhaltlichen Formulierungen in dem streitgegenständlichen Schreiben gekommen ist, und auf welche Weise von den Antragsgegnern zu 2) und 3) überhaupt überwacht wird, welche Formulierungen genutzt werden.

B. Die weiteren Anträge hat das Landgericht allerdings zu Recht zurückgewiesen. Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegner insoweit keinen Anspruch auf Unterlassung nach §§ 8 Abs. 1 und 3, 3, 4 Nr. 1 bzw. 4 Nr. 4 UWG oder auf der Grundlage eines deliktischen Schadenersatzanspruches. Im Einzelnen:

1. Der Unterlassungsantrag zu I., der darauf gerichtet ist, den Antragsgegnern zu verbieten, Zahlungen an die Antragstellerin zu behindern oder Überweisungen, Lastschriften und Einzugsermächtigungen zugunsten der Antragstellerin nicht durchzuführen oder deren Bearbeitung zu verweigern, ist viel zu weit gefasst. Er kann schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben, egal auf welche der vorgenannten Anspruchsgrundlage man in stützen wollte.

Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss zu Recht festgestellt, dass die von der Antragstellerin gewählte Negativformulierung (auch) eine unzulässige Verpflichtung der Antragsgegner zur Ausführung von Zahlungsaufträgen enthält, die die Antragsgegnerin zu 1) gar nicht ausführen darf, weil die Ausführung gegen von § 675o Abs. 2 BGB gemeinten Rechtsvorschriften verstoßen würde. Es sind zudem andere Konstellationen denkbar, in denen die Antragstellerin zu 1) in rechtmäßiger Weise gehindert ist, einen entsprechenden Auftrag eines ihrer Kunden zugunsten der Antragstellerin auszuführen (z.B. mangelnde Kontodeckung, Widerruf des Auftrags, unzutreffende Kontonummer, erkennbarer Irrtum etc.). Die Antragstellerin hätte deshalb ihr Unterlassungsbegehren inhaltlich konkretisieren, also die zu beseitigende Störung so genau wir möglich beschreiben müssen. Dies hat sie jedoch auch in der Beschwerde nicht getan.

Soweit die Antragstellerin einwendet, das Landgericht hätte auf den - zu weit gefassten - Antrag nach § 308 Abs. 1 ZPO jedenfalls das darin versteckte Weniger zusprechen müssen, macht sie es sich zu leicht. Das Gericht darf im Rahmen von § 308 Abs. 1 ZPO zwar weniger zusprechen als beantragt. Im Falle von Unterlassungsanträgen kommt eine vom Gericht definierte Einschränkung aber dann nicht in Betracht, wenn - wie hier - die Einschränkung des Unterlassungsgebots daran scheitert, dass die Anzahl der Fälle rechtmäßigen alternativen Verhaltens unüberschaubar ist und damit die Gefahr besteht, dass das Gericht das beantragte Verbot inhaltlich verändert oder erweitert oder auf einen vom Kläger nicht geltend gemachten Antragsgrund stützt (vgl. Zöller/Feskorn ZPO, 33. Aufl., § 308 Rn 4a; BGH, Urteil vom 26.9.2000 - VI ZR 279/99, juris Rn 9 ff.).

2. Auch die Anträge zu II. b) sowie III. können keinen Erfolg haben.

a) Die Antragstellerin hat gegenüber den Antragsgegnern insoweit keinen Anspruch auf Unterlassung nach §§ 8 Abs.1 und 3, 3 Abs. 1 i.V.m. § 4 Nr. 1 UWG. In den an den Adressaten des Schreibens vom 29.1.2021 gerichteten Fragen „Sie möchten, dass X das Geld tatsächlich bekommt?“ sowie der Aufforderung „Schicken Sie uns hierzu alle Unterlagen, die Ihnen vorliegen.“ liegt nach den Gesamtumständen keine Herabsetzung oder Verunglimpfung im oben genannten Sinne.

Auch die Antragstellerin stellt nicht in Abrede, dass die Antragsgegnerin zu 1) als Kreditinstitut und Zahlungsdienstleisterin die RTS-Verordnung [(EU) 2018/389] zu beachten hat und danach einen Transaktionsüberwachungsmechanismus unterhalten muss, der ihr für den Zweck der Umsetzung der in der VO genannten Sicherheitsmaßnahmen die Erkennung nicht autorisierter oder betrügerischer Zahlungsvorgänge ermöglicht. Lehnt sie in der Folge einen Zahlungsauftrag ab, ist sie nach § 675o Abs. 1 BGB verpflichtet, den Zahlungsdienstnutzer hierüber unverzüglich zu unterrichten und soweit möglich, die Gründe für die Ablehnung sowie die Möglichkeiten anzugeben, wie die Fehler, die zur Ablehnung geführt haben, berichtigt werden können.

Die Antragsteller waren also nicht nur verpflichtet, dem Kunden Y mitzuteilen, dass sie den Zahlungsauftrag abgelehnt haben, sondern auch, was dieser zu tun hatte, damit der Auftrag dennoch ausgeführt würde. In diese - durch § 675o Abs. 1 BGB veranlasste - Begründung fügt sich die Äußerung: „Sie möchten, dass X das Geld tatsächlich bekommt?“, und weiter: „Veranlassen Sie bitte die Überweisung erneut“ als notwendiges Element ein, ohne das damit irgendeine Bewertung der Antragstellerin oder ihrer Geschäftstätigkeit verbunden wäre, die über die zum Zeitpunkt des Schreibens vom 29.1.2021 bereits erfolgte Ablehnung des Zahlungsauftrages hinausging. Soweit der Adressat Y die Äußerungen der Antragsteller im Hinblick auf die zuvor erfolgte Ablehnung seines Auftrages gleichwohl auf die Geschäftstätigkeit der Antragstellerin bezog, war dies jedenfalls im Rahmen der genannten Verpflichtungen der Antragsgegner unvermeidlich.

Die Wendung „Schicken Sie uns hierzu alle Unterlagen, die Ihnen vorliegen.“ geht zwar über das Handlungspostulat des § 675o Abs. 1 BGB hinaus. Da sie aber außer der Aufforderung keinerlei Aussageinhalt hat, lässt sich die Wendung weder als Herabsetzung noch als Verunglimpfung der Antragstellerin auffassen.

b) Die genannten Äußerungen stellen sich auch nicht als gezielte Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 4 UWG dar, die einen Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 und 3, 3 Abs. 1 UWG begründen könnte.

Eine gezielte Behinderung ist anzunehmen, wenn bei objektiver Würdigung eine Maßnahme in erster Linie nicht auf die Förderung der eigenen wettbewerblichen Entfaltung, sondern auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung des Mitbewerbers abzielt, also gezielt der Zweck verfolgt wird, Mitbewerber an ihrer Entfaltung zu hindern und sie dadurch zu verdrängen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 19.4.2018 - I ZR 154/16 - Werbeblocker II, juris Rn 23 - m.w.N.).

Aus den dargestellten Gründen haben die Antragsgegner das streitbefangene Schreiben nicht mit dem Zweck versandt, die Geschäftstätigkeit der Antragstellerin zielgerichtet zu behindern, sondern ihren Verpflichtungen aus § 675o BGB nachzukommen.

c) Der von der Antragstellerin für sich reklamierte Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 und 3, 3 Abs. 2 UWG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Vorschrift nicht dem Schutz der Antragstellerin als Mitbewerberin, sondern nur dem Schutz der Verbraucher dient (Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG, 39. Aufl., § 3 Rn 2). Es ist indes weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das beanstandete Handeln der Antragsgegner die Interessen der Verbraucher beeinträchtigen könnte.

d) Ein Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts oder des Rechts der Antragstellerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach §§ 823, 1004 analog BGB scheitert daran, dass aus den vorgenannten Gründen in den angegriffenen Äußerungen keine rechtswidrige Verletzungshandlung gesehen werden kann.

Weiterhin können die Äußerungen auch nicht als Tatsachen angesehen werden, die einen Anspruch wegen Kreditgefährdung nach § 824 BGB für die Antragstellerin auslösen.

Und schließlich stellen sich die Äußerungen auch nicht als Beleidigungen der Antragstellerin dar, die Unterlassungsansprüche nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 185 ff. StGB i.V.m. § 1004 BGB analog begründen könnten.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




OLG Köln: Veröffentlichung von Videoaufnahmen eines alltäglichen Polizeieinsatzes ohne Verpixelung der Polizisten nach § 33 KUG strafbar

OLG Köln
Beschluss vom 08.10.2021
1 RVs 175/21


Das OLG Köln hat entschieden, dass die Veröffentlichung von Videoaufnahmen eines alltäglichen Polizeieinsatzes ohne Verpixelung der Polizisten nach § 33 KUG strafbar ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Amtsgericht Bonn hat den Angeklagten bezüglich zweier angeklagter Verstöße gegen das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KunstUrhG) mit Urteil vom 10. Februar 2021 freigesprochen und ihn wegen anderer Taten verurteilt.

Auf die hiergegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das Verfahren hinsichtlich der hier maßgeblichen Verstöße gegen das KunstUrhG abgetrennt und gegen den Angeklagten mit Urteil vom 8. Juni 2021 wegen „zweier Straftaten nach § 33 KUG“ eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 40,- Euro verhängt.

Gegen dieses, dem Angeklagten am 10. Juli 2021 zugestellte Urteil, hat er mit anwaltlichem Schriftsatz vom 9. Juni 2021, eingegangen beim Landgericht am selben Tag, Revision eingelegt und diese mit weiterem Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 9. August 2021, eingegangen beim Landgericht am selben Tag, mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.

II. Das Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsmittel bleibt in der Sache ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsbegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Senat sieht sich lediglich zu folgenden Anmerkungen veranlasst:

1.
a. Die Frage, ob sich der Angeklagte (auch) auf die Pressefreiheit bzw. die - hinsichtlich der Schranken gleichermaßen ausgestaltete - Rundfunkfreiheit berufen kann, bedarf vorliegend keiner abschließenden Beurteilung. Auch kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob hier die Schutzwirkung dieser Grundrechte gegenüber der vom Landgericht herangezogenen allgemeinen Meinungsfreiheit überhaupt weitergehend ist, soweit letztere - abgekoppelt von dem Vorbehalt eines öffentlichen Interesses - die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen verbürgt. Denn jedenfalls vermag der Senat auszuschließen, dass die zur Beurteilung des Vorliegens eines zeitgeschichtlichen Ereignisses nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen im Falle der Einstellung (auch) des Rechts auf Presse- bzw. Rundfunkfreiheit anders ausgefallen wäre, namentlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Polizeibeamten hätte zurücktreten müssen. Die vom Landgericht rechtsfehlerfrei herausgearbeiteten Grundsätze beanspruchen auch insoweit Geltung. Danach genießen Polizisten im Amt als Repräsentanten des Staates zwar nicht denselben Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts wie als Privatperson (vgl. dazu auch jüngst Kirchhoff, NVwZ 2021, 1177 (1179) m.w.N.), jedoch führt dies nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung (jedenfalls) bei Routineeinsätzen nicht zur Annahme eines zeitgeschichtlichen Ereignisses (vgl. dazu auch jüngst VG Aachen, ZUM-RD 2021, 395). Soweit das Landgericht den Polizeieinsatz im Fall 1 als Routineeinsatz eingeordnet und dem grundrechtlichen Schutz von PK A insoweit Vorrang eingeräumt hat, begegnet dies auch im Lichte der Presse- und Rundfunkfreiheit von vornherein kein Bedenken. Auch im Fall 2 ist diese Einordnung naheliegend. Zwar weisen die Urteilsgründe hier einen Bezug zu einem von der Polizei angehaltenen Hochzeitskorso - und insoweit einer in der öffentlichen Diskussion durchaus anzutreffenden Thematik - auf; dieser wird indes nach den getroffenen Feststellungen nicht durch das die Polizeibeamten darstellende Video hergestellt. Denn nach dem im Einzelnen mitgeteilten Inhalt der Aufnahme belegt diese nicht etwa Näheres zu dem Korso und den dazu unmittelbar eingeleiteten polizeilichen Maßnahmen, sondern letztlich nur Vorkommnisse, wie sie lokal - in einer mittelgroßen Stadt wie Bonn - wiederkehrend anzutreffend sind; so etwa das Vorfahren eines Polizeiwagens mit Blaulicht, die Präsenz einer größeren Anzahl an Polizeibeamten sowie eine erhebliche Staubildung. Davon losgelöst ist ein überwiegendes Interesse an der bildlichen Darstellung der einzelnen Polizeibeamten im Fall 2 aber jedenfalls deshalb auszuschließen, weil im Falle der Verpixelung der Beamten eine Beschränkung des Informations- und Aussagewertes der Aufnahme - auch im Sinne eines Beitrages zur öffentlichen Meinungsbildung, welcher hier ohnehin primär auf der Grundlage des gesondert anklickbaren Textbeitrages in Betracht kommt - nicht zu befürchten war. Eine anonymisierte Abbildung der Beamten hätte insoweit für die Grundrechtsausübung des Angeklagten eine nur geringfügige Beschränkung bedeutet und zugleich dem Recht der abgebildeten Personen am eigenen Bild Rechnung getragen.

b. Die sprachliche Bezeichnung des danach rechtsfehlerfrei ergangenen Schuldspruchs war anzupassen. Fehlen - wie hier - für die Bezeichnung des Schuldspruchs nach § 260 Abs. 4 StPO gesetzliche Überschriften, soll die Tat mit einer anschaulichen und verständlichen Wortbezeichnung so genau wie möglich bezeichnet werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 63. Auflage, § 260 StPO Rn. 23). Für die Bezeichnung der Taten als „widerrechtliche Schaustellung eines Bildnisses“ hat der Senat die vom Gesetzgeber in § 48 Abs. 1 KunstUrhG gewählte Formulierung herangezogen.

2. Soweit sich den Ausführungen des Landgerichts zum Rechtsfolgenausspruch die Prüfung des Vorliegens eines vermeidbaren Verbotsirrtums und insoweit einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 17 S. 2, 49 StGB nicht entnehmen lässt, bedeutet dies keinen Rechtsfehler. Eine ausdrückliche Erörterung war hier im Lichte der vorangestellten Ausführungen entbehrlich. Zwar hat sich das Landgericht im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung explizit allein mit der Frage eines unvermeidbaren Verbotsirrtums befasst (UA Bl. 16f.), den Urteilsausführungen in ihrer Gesamtheit, namentlich der (alleinigen) Feststellung, der Angeklagte habe die Belehrung von Staatsanwalt B „zur Kenntnis“ genommen (UA Bl. 6), sowie der vorgenommenen rechtlichen Würdigung, der Angeklagte habe „uneingeschränkt vorsätzlich“ gehandelt (UA Bl. 17), lässt sich indes hinreichend deutlich entnehmen, dass es einen Irrtum des Angeklagten bereits dem Grunde nach nicht anzunehmen vermochte. Die Kammer hat dies auch rechtsfehlerfrei begründet, soweit sie als tragende Erwägung die durch Staatsanwalt B erfolgte Belehrung herangezogen und im Übrigen ausgeführt hat, der seitens des Angeklagten nicht näher substantiierte Vortrag einer durchgeführten Internetrecherche könne ihn insoweit nicht entlasten.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Wuppertal: Deliktunfähige Person haftet nicht als Handlungsstörer auf Unterlassung rechtswidriger Äußerungen

LG Wuppertal
Urteil vom 28.09.2021
1 O 91/81


Das LG Wuppertal hat entschieden, dass eine deliktunfähige Person nicht als Handlungsstörer auf Unterlassung rechtswidriger Äußerungen haftet.

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Ein Unterlassungsanspruch gerichtet auf die durch die Beklagte getätigten Aussagen für die Zukunft stand den Klägern bereits bei Klageerhebung nicht zu. Es kann dabei insgesamt dahinstehen, ob die Beklagte tatsächlich die Aussagen (genau) so getätigt hat, wie sie im ursprünglichen Klageantrag genannt sind. Denn der Anspruch scheitert bereits aus rechtlichen Gründen.

Die Kläger stützen den Antrag auf Unterlassung auf den durch die Rechtsprechung aus einer Gesamtanalogie der §§ 12, 823, 1004 BGB als ein „Gebot der Gerechtigkeit“ entwickelten quasinegatorischen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch. Demnach obliegt der quasinegatorische Schutz gegen sämtliche drohenden Beeinträchtigungen allen deliktisch geschützten und absoluten Rechte und Interessen (Spohnheimer/BeckOGK, 01.08.2021, § 1004 BGB Rn. 13). Darunter fallen auch das hier geltend gemachte Allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

Die Beklagte kann jedoch nicht in Anspruch genommen werden. Der geistige Zustand der Beklagten steht dem entgegen. Die Beklagte befindet sich in einem Zustand krankhafter seelischer Störung ihrer Geistestätigkeit, der nicht nur vorübergehender Natur ist. Die diesbezügliche Überzeugung der Kammer beruht auf dem psychiatrischen Gutachten der Sachverständigen, Dr. med. XXX, welches im Rahmen des amtsgerichtlichen Verfahrens (Az. 35 C 24/17) vom 30.05.2018, ergänzt am 07.11.2018, gemäß § 411a ZPO im hiesigen Verfahren verwertet worden ist.

Die Sachverständige diagnostizierte bei der Beklagten eine anhaltende wahnhafte Störung mit sensitiv-paranoidem Erleben (ICD-10 F22.0). Sie sei demnach krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihre Wahrnehmung mit der Realität abzugleichen. Dies beziehe sich grundsätzlich im Wesentlichen auf ihren Hof und die damit verbundenen Aspekte, wie die Grenzen zu Nachbarhöfen oder das Verhältnis zu im N lebenden Menschen. Dies stelle für die Beklagte einen sehr spezifischen Punkt dar, sodass sie insbesondere in diesem Bereich wahnhafte Vorstellungen entwickele. Dieser wahnhafte Zustand übertrage sich darüber hinaus ebenfalls auf die damit verbundenen Prozessrechtsverhältnisse.

Im Ergänzungsgutachten führt die Sachverständige aus, dass gerade der Umstand der wahnhaften Verbreitung von Tatsachen und diesbezüglichem Verschließen gegenüber rationalen Argumenten dem Wesen der Krankheit entspräche. Sie sei vielmehr der Meinung, dass ihre wahnhaft wahrgenommenen und verbreiteten Behauptungen Tatsachen darstellten, und wirklich so abgelaufen wären.

Die durch die Sachverständige dargelegten Umstände betrafen im amtsgerichtlichen Verfahren die Prozessunfähigkeit. Nach Ansicht der Kammer begründen sie darüber hinaus eine (jedenfalls partielle) Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB sowie ihre Deliktsunfähigkeit im Sinne des § 827 S. 1 BGB jedenfalls in Bezug auf Tatsachen, welche den eigenen Hof und damit im Zusammenhang stehende Umstände betreffen.

Streitentscheidend war damit die Frage, ob und inwieweit die fehlende Deliktsfähigkeit der Beklagten den Unterlassungsanspruch betreffen. Die Kammer ist dabei der Ansicht, dass der Entfall der Deliktsfähigkeit auch gleichzeitig die Störereigenschaft beseitigt.

Handlungsstörer im Sinne des § 1004 BGB ist nur derjenige, der die Eigentumsbeeinträchtigung durch sein Verhalten, das heißt durch positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen, adäquat verursacht (BGH, Urt. v. 17. 12. 2010 − V ZR 44/10 = NJW 2011, 753; BGHZ 49, 340 = NJW 1968, 1281). Grundsätzlich kann auch eine delikts- oder geschäftsunfähige Person Handlungsstörer sein. Denn da es sich bei dem Anspruch aus § 1004 BGB um keinen Schadensersatzanspruch handelt, ist dementsprechend auch kein Verschulden des Störers erforderlich (Spohnheimer/BeckOGK, 1.8.2021, BGB § 1004 Rn. 139). Daher wird in der Literatur überwiegend dafür plädiert, einen Anspruch auf Unterlassen auch gegen delikts- und geschäftsunfähige Personen zuzusprechen. Dies würde jedoch dazu führen, dass etwa auch geistig schwerbehinderte Menschen oder Kleinkinder, welche ihre Lautstärke nicht kontrollieren können, auf Unterlassung in Anspruch genommen werden könnten. In der Literatur wird dieser Umstand gelöst, indem darauf gerichteten Klagen das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen wird, da der Titel an einem Vollstreckungshindernis leidet (§ 890 ZPO). Denn eine Durchsetzung bzw. Sanktionierung der Verletzung des Unterlassungsgebotes durch Vollstreckung von Ordnungsmitteln setzt voraus, dass es zu einer Zuwiderhandlung gegen das gerichtliche Unterlassungsgebot durch ein zusätzliches schuldhaftes Handeln oder Unterlassen kommt. Diese Verletzung ermöglicht erst eine strafrechtsähnliche Sanktion (Spohnheimer/BeckOGK, 1.8.2021, BGB § 1004 Rn. 139f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11-10-1995 - 9 U 51/95 = NJW-RR 1996, 211).

Diese Ansicht erachtet die Kammer jedoch nicht für überzeugend. Zuzustimmen ist, dass die Störereigenschaft des § 1004 BGB ein Verschulden dem Grundsatz nach nicht voraussetzt. Allerdings lässt diese Betrachtung außer Acht, dass der delikts- oder geschäftsunfähige gar nicht in der Lage ist, sein Verhalten adäquat zu steuern. Ein Urteil, durch welches diese Person zu einem Unterlassen eines bestimmten Verhaltens verurteilt wird, kann damit gar nicht den erhofften verhaltenssteuernden Effekt entfalten, welcher der Verurteilung als Sinn und Zweck zugrunde liegt. Denn der Verurteilte ist aufgrund des Geisteszustands nicht in der Lage, dem Urteil entsprechend sein Verhalten für die Zukunft zu ändern. Der vorbeugende Rechtsschutz dient jedoch gerade der Motivation künftigen veränderten Verhaltens und beinhaltet insoweit eine Warnfunktion (Neuner, JuS 2005, 487 [489]). Wenn aber dieses Ziel durch das Urteil gar nicht erreicht werden kann, muss der allgemeine Grundsatz gelten, dass von niemandem etwas verlangt werden kann, was dieser unmöglich erfüllen kann. Es kann dementsprechend auch von niemandem eine Unterlassung verlangt werden, deren Einhaltung dieser nicht garantieren kann, da er sein Verhalten nicht entsprechend anpassen kann. Dieser Grundsatz findet sich ebenfalls in § 275 Abs. 1 BGB.

Dafür spricht außerdem die Behandlung des weisungsgebundenen Arbeitnehmers, welcher ohne eigenen Entschließungsspielraum mit entsprechendem Verantwortungsbereich und damit ohne jedwede eigene Entscheidung aufgrund einer Anweisung des Arbeitgebers handelt (BGH NZM 2019, 893). In diesen Fällen ist nicht der Arbeitnehmer als direkt Handelnder, sondern der dahinter stehende Betriebsinhaber der unmittelbare Handlungsstörer. Daraus folgt, dass ein eigenständiger Willensentschluss sowie eine eigene Entscheidungsmöglichkeit unverzichtbare Voraussetzung einer Verurteilung zur Unterlassung sind. Eine solche Möglichkeit der freien Willensbetätigung hat die Beklagte nach den Feststellungen der Sachverständigen aufgrund der wahnhaften Erkrankung jedoch nicht.

Aus den gleichen Gründen scheitert auch ein etwaiger Anspruch auf Unterlassung gemäß §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 164 StGB. Hier kann insbesondere der Grundsatz des „ultra posse nemo obligatur“ angeführt werden, welcher im strafrechtlichen Bereich umso mehr gegen eine Verurteilung von in der freien Willensbetätigung eingeschränkten Personen spricht.

Darüber hinaus wäre aber auch, wenn man der zuerst geschilderten Ansicht folgen würde, die Klage erfolglos. Denn dann würde es am Rechtsschutzbedürfnis fehlen (s.o.), wodurch die Klage als unzulässig abzuweisen gewesen wäre. Die besseren Argumente sprechen jedoch für eine Klageabweisung als unbegründet.

2. Auch ein Anspruch auf Widerruf der gegenüber dem Veterinäramt geäußerten Behauptungen besteht nicht. Auch der Widerrufsanspruch erfordert grundsätzlich kein Verschulden des Anspruchsgegners. Doch auch bezüglich dieser Äußerungen fehlt es an der Fähigkeit der Beklagten, entsprechend einer Verurteilung zur Unterlassung zukünftig zu handeln. Auch diesbezüglich kann die Beklagte zu nichts verurteilt werden, was von ihr nicht verlangt werden kann.

3. Es bestehen auch keine Schadensersatzansprüche der Kläger gegen die Beklagten. Denn ein Schadensersatzanspruch bedarf in jedem Fall eines Verschuldens des Schädigers. Ein solches Verschulden kann der Beklagten allerdings aufgrund des Zustands krankhafter seelischer Störung ihrer Geistestätigkeit, der nicht nur vorübergehender Natur ist, nicht unterstellt werden. Sie ist vielmehr deliktsunfähig im Sinne des § 827 S. 1 BGB.

4. Die Klage ist aus diesen Erwägungen heraus insgesamt unbegründet. Eine Erledigung ist dennoch nicht eingetreten, da die Klage bereits bei Klageerhebung unbegründet war. Entgegen der Ansicht der Kläger führt die Feststellung der Kammer hinsichtlich der Geschäfts- und Deliktsunfähigkeit nicht dazu, dass die Begründetheit der Klage erst mit Wirkung für die Zukunft entfällt. Die Sachverständige XXX hat vielmehr festgestellt, dass der Zustand der Beklagten nicht nur vorübergehender Natur ist. Damit muss davon ausgegangen werden, dass der Zustand auch schon bei Klageerhebung vorlag, was im Übrigen zwischen den Parteien auch unstreitig ist. Die Kläger stützen ihren Vortrag lediglich darauf, dass ihnen der geistige Zustand der Beklagten erst während des Prozesses bekannt geworden ist. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Klage auch erst zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens unbegründet wurde. Es ist vielmehr das Risiko der klägerischen Partei, dass während des Prozesses Umstände bekannt werden, welche den Anspruch entfallen lassen. Dabei kann es jedoch keinen Unterschied machen, ob die Kläger sich zu Beginn des Prozesses in einem Rechtsirrtum oder einem Irrtum über Tatsachen befunden haben. Denn die Erledigung tritt unabhängig von der Vorstellung der Kläger nur dann ein, wenn nach Rechtshängigkeit Tatsachen eintreten, welche die Zulässigkeit oder Begründetheit der Klage entfallen lassen. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn die maßgeblichen Umstände erst nach Rechtshängigkeit bekannt werden, diese aber zuvor schon vorlagen.

Der Vergleich der Kläger mit dem Grundsatz, dass die Prozessfähigkeit als gegeben unterstellt wird, bis die Prozessunfähigkeit festgestellt wird, führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Denn bei dem Zustand der Beklagten handelt es sich um einen Umstand, welcher die Begründetheit des Anspruchs entfallen lässt und bereits bei Klageerhebung vorlag."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Osnabrück: Das bloße Filmen eines Polizeieinsatzes mit dem Mobiltelefon im öffentlichen Raum nicht strafbar

LG Osnabrück
Beschluss vom 24.09.2021
10 Qs 49/21


Das LG Osnabrück hat entschieden, dass das bloße Filmen eines Polizeieinsatzes mit dem Mobiltelefon im öffentlichen Raum nicht strafbar ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Videoaufnahmen mit Mobiltelefonen bei Polizeieinsätzen

Im Rahmen von Polizeieinsätzen kommt es mitunter zu heftigeren Auseinandersetzungen. Dürfen solche Auseinandersetzungen durch eine Handyaufnahme in Bild und Ton festgehalten werden? Und ist die Polizei berechtigt, in einem solchen Fall das Handy zu beschlagnahmen, mit dem derartige Aufnahmen gemacht worden sind? Mit diesen Fragen hatte sich die 10. Große Strafkammer des Landgerichts in einer Beschwerdeentscheidung zu befassen (Beschl. v. 24.09.2021, Az. 10 Qs 49/21).

Am 13.06.2021 kam es in der Osnabrücker Innenstadt zu einem Polizeieinsatz einer Funkstreifenbesatzung, bei der es u.a. zur Fixierung einer sich widersetzenden Person auf dem Boden kam. Während dieser Maßnahmen wurden die Einsatzkräfte wiederholt durch umstehende Personen – u.a. auch durch den Beschwerdeführer - gestört. Die Beamten versuchten, die Situation zu beruhigen und sprachen hierzu Platzverweise aus. Der Beschwerdeführer fertigte währenddessen mit seinem Handy Video- und Tonaufzeichnungen der Situation an. Die Polizeibeamten forderten den Beschwerdeführer auf, die Aufzeichnungen zu unterlassen, weil derartige Tonaufnahmen strafbar seien. Im weiteren Verlauf wurde das Mobiltelefon des Beschwerdeführers wegen des Verdachts einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gegen dessen Willen sichergestellt.

Das Amtsgericht Osnabrück bestätigte mit Beschluss vom 14.07.2021 die Beschlagnahme. Gegen diesen Beschluss wandte sich der Beschwerdeführer.

Das Landgericht hob die amtsgerichtliche Entscheidung auf und gab dem Beschwerdeführer recht. Es liege kein Anfangsverdacht für eine strafbare Handlung vor, so dass das Handy nicht hätte beschlagnahmt werden dürfen.

Die von den Polizeibeamten vorgenommenen Diensthandlungen seien im öffentlichen Verkehrsraum vorgenommen worden. Die insoweit gesprochenen Worte seien in faktischer Öffentlichkeit gesprochen, weil der Ort frei zugänglich gewesen sei. Die Strafvorschrift des § 201 StGB, die die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes unter Strafe stelle, erfasse solche Äußerungen nicht. Die Vorschrift schütze die Unbefangenheit der mündlichen Äußerung. Diese Unbefangenheit sei bei dienstlichem Handeln, das rechtlich gebunden sei und der rechtlichen Überprüfung unterliege, nicht tangiert. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass gem. § 201 a StGB das Anfertigen von Bildaufnahmen im öffentlichen Raum – von wenigen Ausnahmenfällen abgesehen – straffrei sei. Es sei kein Grund ersichtlich, warum das Aufnehmen von Tonaufnahmen im öffentlichen Raum strenger geahndet werden sollte als die Fertigung von Bildaufnahmen in demselben Umfeld.




BVerfG: Erhöhung des Runfunkbeitrags auf 18,36 EURO - Ablehnung der Erhöhung durch Sachsen-Anhalt verstieß gegen Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG

BVerfG
Beschluss vom 20.07.2021
1 BvR 2756/20, 1 BvR 2777/20, 1 BvR 2775/20


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Land Sachsen-Anhalt die Erhöhung des Runfunkbeitrags auf 18,36 EURO nicht ablehnen durfte. Es liegt insofern ein Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vor.

Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts:

1. Aufgrund der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG besteht eine staatliche Handlungspflicht in Bezug auf die Gewährleistung der funktionsgerechten Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, mit der ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch korrespondiert. Ein Unterlassen der Erfüllung dieser Pflicht kann von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Verfahren der Verfassungsbeschwerde gerügt werden.

2. Die staatliche Finanzgewährleistungspflicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG obliegt den Ländern als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land Mitverantwortungsträger ist. Die Mitverantwortung beruht darauf, dass die Länder die Gesetzgebungskompetenz für die Rundfunkfinanzierung besitzen, derzeit aber nur eine länderübergreifende Regelung der funktionsgerechten Finanzierung des Rundfunks den Grundrechtsschutz verwirklichen kann.

3. Im gegenwärtigen System der Rundfunkfinanzierung genügt es nicht, wenn ein einzelnes Land eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags – überdies ohne tragfähige Begründung – ablehnt.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgericht:

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass das Land Sachsen-Anhalt durch das Unterlassen seiner Zustimmung zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag die Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat. Die Bestimmungen des Artikel 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags – mit der darin vorgesehenen Anpassung des Rundfunkbeitrags –gelten vorläufig mit Wirkung vom 20. Juli 2021 bis zum Inkrafttreten einer staatsvertraglichen Neuregelung über die funktionsgerechte Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio.

Sachverhalt:

Der Rundfunkbeitrag wird in einem dreistufigen Verfahren festgesetzt. Auf der ersten Stufe melden die Rundfunkanstalten auf der Grundlage ihrer Programmentscheidungen ihren Finanzbedarf an (Bedarfsanmeldung). Auf der zweiten Stufe prüft die Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), ob sich die Programmentscheidungen im Rahmen des Rundfunkauftrages halten und ob der daraus abgeleitete Finanzbedarf im Einklang mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ermittelt worden ist. Auf der dritten Stufe setzen die Länder den Beitrag fest (Beitragsfestsetzung). Der Beitragsvorschlag der KEF ist Grundlage für eine Entscheidung der Landesregierungen und der Landesparlamente.

Für die Beitragsperiode 2021 bis 2024 hat die KEF eine Beitragserhöhung vorgeschlagen, wonach der Rundfunkbeitrag zum 1. Januar 2021 um 86 Cent von 17,50 Euro auf 18,36 Euro zu erhöhen war. Empfohlen hat die KEF zugleich eine Änderung der Aufteilung der Rundfunkbeiträge zwischen der ARD, dem ZDF und dem Deutschlandradio sowie die Erhöhung der Finanzausgleichsmasse für Radio Bremen und den Saarländischen Rundfunk im Rahmen des ARD-internen Finanzausgleichs. Dieser Vorschlag der KEF ist im Ersten Medienänderungsstaatsvertrag aufgenommen worden, der im Juni 2020 von allen Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder – mit einer Protokollnotiz des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt – unterzeichnet worden ist. Der Staatsvertrag hat ein Inkrafttreten der Änderungen zum 1. Januar 2021 vorgesehen. In 15 Ländern ist zur Umsetzung des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags in das Landesrecht im Jahre 2020 die Zustimmung durch die gesetzgebenden Körperschaften beschlossen worden. Lediglich das Land Sachsen-Anhalt hat dem Ersten Medienänderungsstaatsvertrag bis zum 31. Dezember 2020 nicht zugestimmt, infolge dessen der Staatsvertrag nicht in Kraft treten konnte.

Die Beschwerdeführer rügen Verletzungen ihrer Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, weil durch das Unterlassen der Zustimmung ihr grundrechtlicher Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung nicht erfüllt werde.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die Verfassungsbeschwerden haben Erfolg.

A. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.

Ein Unterlassen der öffentlichen Gewalt kann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein. Voraussetzung ist, dass sich eine entsprechende Handlungspflicht aus dem Grundgesetz herleiten lässt. Eine solche Handlungspflicht ergibt sich hier aus der Rundfunkfreiheit im gegenwärtigen System auch für jedes einzelne Land. Für die funktionsgerechte Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besteht eine staatliche Gewährleistungspflicht, mit der ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten korrespondiert. Die staatliche Finanzgewährleistungspflicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG obliegt den Ländern als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land Mitverantwortungsträger ist. Die föderale Verantwortungsgemeinschaft beruht auf der Besonderheit, dass die Länder die Gesetzgebungskompetenz für die Rundfunkfinanzierung besitzen, aber in dem gegenwärtigen System der Organisation und Finanzierung des Rundfunks nur eine länderübergreifende Regelung den Grundrechtsschutz aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verwirklichen kann. Für das Inkrafttreten der Regelungen des (Rundfunkfinanzierungs)Staatsvertrags über Beitragsanpassungen bedarf es derzeit mangels anderer Vereinbarung immer wieder erneut der Zustimmung aller Länder. In der föderalen Verantwortungsgemeinschaft zur kooperativen Sicherstellung der Rundfunkfinanzierung besteht damit eine konkrete verfassungsrechtliche Handlungspflicht jedes einzelnen Landes.

B. Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Das Unterlassen des Landes Sachsen-Anhalt, dem Ersten Medienänderungsstaatsvertrag zuzustimmen, verletzt die Rundfunkfreiheit der Beschwerdeführer aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in der Ausprägung der funktionsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

I. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten steht ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch zu. Die Erfüllung dieses Anspruchs obliegt der Ländergesamtheit als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land Mitverantwortungsträger ist.

1. Die Rundfunkfreiheit dient der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Auftrag zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit zielt auf eine Ordnung, die sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in größtmöglicher Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet. Dabei wächst die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden. Dies gilt gerade in Zeiten vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits.

2. Der Gesetzgeber muss vorsorgen, dass die zur Erfüllung des klassischen Funktionsauftrags erforderlichen technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Vorbedingungen bestehen. Die Festsetzung des Rundfunkbeitrags muss frei von medienpolitischen Zwecksetzungen erfolgen. Der Gesetzgeber hat durch materielle, prozedurale und organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass die Beitragsfestsetzung die Rundfunkfreiheit nicht gefährdet und dazu beiträgt, dass die Rundfunkanstalten durch eine bedarfsgerechte Finanzierung ihren Funktionsauftrag erfüllen können. Der Grundsatz der Trennung zwischen der allgemeinen Rundfunkgesetzgebung und der Festsetzung des Rundfunkbeitrags soll Risiken einer mittelbaren Einflussnahme auf die Wahrnehmung des Programmauftrags ausschließen und damit die Programmfreiheit der Rundfunkanstalten sichern.

3. Das Gebot der Trennung der medienpolitischen Konkretisierung des Rundfunkauftrags einerseits und der Beitragsfestsetzung andererseits bedarf insbesondere der prozeduralen Absicherung.

a) Dem wird ein gestuftes und kooperatives Verfahren der Bedarfsfeststellung am ehesten gerecht. Die erste Stufe eines solchen Verfahrens bildet die Bedarfsanmeldung der Rundfunkanstalten selbst. Auf einer zweiten Verfahrensstufe ist eine externe Kontrolle der Bedarfsanmeldungen erforderlich. Diese Kontrolle darf sich allerdings nicht auf die Vernünftigkeit oder Zweckmäßigkeit der jeweiligen Programmentscheidungen der Rundfunkanstalten beziehen, sondern allein darauf, ob die Programmentscheidungen sich im Rahmen des rechtlich umgrenzten Rundfunkauftrags halten und ob der aus den Programmentscheidungen abgeleitete Finanzbedarf zutreffend und im Einklang mit den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ermittelt worden ist. Die abschließende Beitragsentscheidung als dritte Stufe des Verfahrens ist auf der Grundlage der überprüften und gegebenenfalls korrigierten Bedarfsanmeldungen der Rundfunkanstalten zu treffen.

b) Das gestufte und kooperative Verfahren schließt Abweichungen von der Bedarfsfeststellung der KEF nicht aus. Programmliche und medienpolitische Zwecke scheiden in diesem Zusammenhang jedoch aus. Als Abweichungsgrund kommt gegenwärtig etwa noch die angemessene Belastung der Rundfunkteilnehmer in Betracht. Die daraus folgende Begrenzung lässt sich jedoch nur dann wirksam sichern, wenn für solche Abweichungen nachprüfbare Gründe angegeben werden.

4. Der Anspruch der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf funktionsgerechte Finanzierung sowie die Einhaltung der dazu notwendigen prozeduralen Sicherungen obliegt den Ländern als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land Mitverantwortungsträger ist. Erfüllt ein Land seine Mitgewährleistungspflicht nicht und wird dadurch die Erfüllung des grundrechtlichen Finanzierungsanspruchs unmöglich, liegt bereits darin eine Verletzung der Rundfunkfreiheit. Denn ohne die Zustimmung aller Länder kann die länderübergreifende Finanzierung des Rundfunks derzeit nicht gewährleistet werden. Auch für eine verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung einer Nichterfüllung des grundrechtlichen Anspruchs ist danach auf alle Länder abzustellen. Jedenfalls genügt es im gegenwärtigen von den Ländern vereinbarten System nicht, wenn ein einzelnes Land eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags – überdies ohne tragfähige Begründung –ablehnt.

II. Das angegriffene Unterlassen des Landes Sachsen-Anhalt, dem Ersten Medienänderungsstaatsvertrag zuzustimmen, ist mit der Rundfunkfreiheit der Beschwerdeführer aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar.

1. Während die anderen 15 Länder dem Ersten Medienänderungsstaatsvertrag zugestimmt haben, hat das Land Sachsen-Anhalt durch das Unterlassen seiner Zustimmung das Inkrafttreten des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags verhindert.

2. Eine verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung für das Unterlassen der Zustimmung des Landes zum Staatsvertrag und damit die ausgebliebene entsprechende Finanzierung des Rundfunks besteht hier nicht.

a) Im gegenwärtigen System der Rundfunkfinanzierung ist eine Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF nur durch alle Länder einvernehmlich möglich. Hält ein Land eine Abweichung für erforderlich, ist es Sache dieses Landes, das Einvernehmen aller Länder über die Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF herbeizuführen. Das ist nicht gelungen.

b) Es fehlt zudem an einer nachprüfbaren und verfassungsrechtlich tragfähigen Begründung, um von der Feststellung der KEF abweichen zu können. Dies kann im gegenwärtigen von den Ländern vereinbarten System nur eine verfassungsrechtlich zulässige Begründung aller Länder sein. Der Vortrag des Landes Sachsen-Anhalt, dass es sich seit Jahren unter den Ländern vergeblich um eine Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bemüht habe, rechtfertigt die Abweichung von der Feststellung des Finanzbedarfs nicht. Eine Strukturreform der Rundfunkanstalten oder eine Reduzierung der anzubietenden Programme war mit der Verabschiedung des Medienstaatsvertrags nicht verbunden und durfte mit dieser Beitragsfestsetzung verfassungsrechtlich nicht zulässig verfolgt werden. Soweit das Land Sachsen-Anhalt auf weitere möglicherweise beitragsrelevante Rahmenbedingungen in der Folge der Pandemie abstellen wollte, hat es Tatsachenannahmen, die eine Abweichung rechtfertigen könnten, weder hinreichend benannt noch seine daran anknüpfende Bewertung offengelegt.

III. Die Bestimmungen des Art. 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags gelten vorläufig mit Wirkung vom 20. Juli 2021 bis zum Inkrafttreten einer staatsvertraglichen Neuregelung.

1. Bis zu einer staatsvertraglichen Neuregelung durch die Länder besteht ein Bedürfnis nach einer Zwischenregelung durch das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage des § 35 BVerfGG, um weitere erhebliche Beeinträchtigungen der Rundfunkfreiheit zu vermeiden. Es liegt nahe, hierfür übergangsweise eine dem Art. 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags entsprechende Anpassung des Rundfunkbeitrags vorzusehen.

2. Von einer Anordnung der rückwirkenden Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar 2021 wird abgesehen. Die Beurteilung der Auswirkungen der unterbliebenen Beitragsanpassung auf die Rundfunkanstalten kann in dem staatsvertraglich vereinbarten Verfahren erfolgen. Sie erfordert im gegenwärtigen System allerdings eine Stellungnahme der KEF sowie einen neuen Änderungsstaatsvertrag mit Zustimmung aller Länder. Dabei sind Kompensationserfordernisse wegen unterbliebener Beitragsanpassung zu berücksichtigen. Den Beschwerdeführern steht dem Grunde nach eine solche kompensierende Mehrausstattung zu. Bei der nächsten Festsetzung des Rundfunkbeitrags ist die Notwendigkeit der Kompensation vom Beitragsgesetzgeber zu berücksichtigen. Hierbei werden der Mehrbedarf der Rundfunkanstalten, der durch eine Verschiebung von Investitionen und die Verwendung notwendig vorzuhaltender Reserven entstanden ist, wie auch etwaige Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf den Finanzbedarf der Rundfunkanstalten und die Zumutbarkeit von Beitragserhöhungen für die Bürgerinnen und Bürger in den Blick zu nehmen sein.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




BGH: Hyundai-Grauimport - Keine markenrechtliche Erschöpfung bei Übergabe an Frachtführer im EWR wenn Ware an Tochtergesellschaft des Käufers außerhalb des EWR geliefert werden soll

BGH
Urteil vom 27.05.2021
I ZR 55/20
Hyundai-Grauimport
Verordnung (EG) Nr. 207/2009 Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a, Art. 13, Art. 101 Abs. 2, Art. 145; Verordnung (EU) Nr. 207/2009 in der Fassung der Verordnung (EU) 2015/2424 Art. 9 Abs. 2 Buchst. a, Art. 13, Art. 101 Abs. 2, Art. 151; RomII-VO Art. 8 Abs. 2; CMR Art. 1 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; MarkenG § 14 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 6, § 19 Abs. 1 und 3, § 24 Abs. 1, § 125b Nr. 2


Der BGH hat entschieden, dass keine markenrechtliche Erschöpfung innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums bei Übergabe an einen Frachtführer im EWR vorliegt, wenn die Ware an die Tochtergesellschaft des Käufers außerhalb des EWR geliefert werden soll.

Leitsatz des BGH:

Durch die Übergabe der Ware an einen von der Tochtergesellschaft des Markeninhabers beauftragten Frachtführer im Europäischen Wirtschaftsraum tritt eine Erschöpfung des Markenrechts nicht ein, wenn die Ware nach dem Inhalt des mit einem in der Europäischen Union ansässigen Käufer geschlossenen Kaufvertrags an eine außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums ansässige Tochtergesellschaft des Käufers geliefert werden soll (Fortführung von BGH, Urteil vom 27. April 2006 - I ZR 162/03, GRUR 2006, 863 = WRP 2006, 1233 - ex works).

BGH, Urteil vom 27. Mai 2021 - I ZR 55/20 - OLG Düsseldorf - LG Düsseldorf

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



EuGH: Keine öffentliche Wiedergabe durch Sharehoster oder Videoplattformen bei von Nutzern hochgeladenen Videos ohne hinzutreten weiterer Umstände vor Inkrafttreten der Richtlinie 2019/790

EuGH
Urteil vom 22.06.2021
in den verbundenen Rechtssachen
C-682/18 Youtube und C-683/18 Cyando


Der EuGH hat entschieden, dass keine öffentliche Wiedergabe durch Sharehoster oder Videoplattformen bei von Nutzern hochgeladenen Videos ohne hinzutreten weiterer Umstände vorliegt, soweit es die Zeit vor Inkrafttreten der Richtlinie 2019/790 betrifft.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts erfolgt seitens der Betreiber von Internetplattformen grundsätzlich keine öffentliche Wiedergabe der urheberrechtlich geschützten Inhalte, die von Nutzern rechtswidrig hochgeladen werden

Allerdings geben die Betreiber diese Inhalte unter Verletzung des Urheberrechts öffentlich wieder, wenn sie über diebloße Bereitstellung der Plattformen hinaus dazu beitragen, der Öffentlichkeit Zugang zu den Inhalten zu verschaffen.

In dem Rechtsstreit, der der ersten Rechtssache (C-682/18) zugrunde liegt, geht Frank Peterson, ein Musikproduzent, vor deutschen Gerichten gegen YouTube und deren gesetzliche Vertreterin Google vor, weil im Jahr 2008 mehrere Tonträger auf YouTube hochgeladen wurden, an denen er nach seinem Vorbringen verschiedene Rechte innehat. Dieses Hochladen erfolgte ohne seine Erlaubnis durch Nutzer dieser Plattform. Es handelt sich um Titel aus dem Album „A Winter Symphony“ der Künstlerin Sarah Brightman sowie um private Tonmitschnitte, die bei Konzerten ihrer Tournee „Symphony Tour“ angefertigt wurden.

In dem Rechtsstreit, der der zweiten Rechtssache (C-683/18) zugrunde liegt, geht der Verlag Elsevier vor deutschen Gerichten gegen Cyando vor, weil im Jahr 2013 verschiedene Werke, an denen Elsevier die ausschließlichen Rechte innehat, auf die von Cyando betriebene SharehostingPlattform „Uploaded“ hochgeladen wurden. Dieses Hochladen erfolgte ohne die Erlaubnis von Elsevier durch Nutzer dieser Plattform. Es handelt sich um die Werke „Gray’s Anatomy for Students“, „Atlas of Human Anatomy“ und „Campbell-Walsh Urology“, die über die Linksammlungen rehabgate.com, avaxhome.ws und bookarchive.ws auf „Uploaded“ abgerufen werden konnten.

Der Bundesgerichtshof (Deutschland), der mit diesen beiden Rechtsstreitigkeiten befasst ist, hat dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, um u. a. klären zu lassen, inwieweit die Betreiber von Internetplattformen haften, wenn urheberrechtlich geschützte Werke von Nutzern unbefugt auf diese Plattformen hochgeladen werden.

Der Gerichtshof hat diese Haftung anhand der zur maßgeblichen Zeit bestehenden Rechtslage geprüft, die sich aus der Richtlinie 2001/29 über das Urheberrecht, der Richtlinie 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr und der Richtlinie 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ergibt. Die Vorlagefragen betreffen nicht die später anwendbar gewordene Regelung, die durch die Richtlinie 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt eingeführt wurde.

In seinem Urteil hat der Gerichtshof (Große Kammer) insbesondere festgestellt, dass beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts seitens der Betreiber von Internetplattformen grundsätzlich keine öffentliche Wiedergabe der von Nutzern rechtswidrig hochgeladenen, urheberrechtlich geschützten Inhalte erfolgt, es sei denn, die Betreiber tragen über die bloße Bereitstellung der Plattformen hinaus dazu bei, der Öffentlichkeit unter Verletzung von Urheberrechten Zugang zu solchen Inhalten zu verschaffen. Des Weiteren hat der Gerichtshof entschieden, dass die Betreiber von Internetplattformen die Haftungsbefreiung im Sinne der Richtlinie 2000/31 geltend machen können, vorausgesetzt, sie spielen keine aktive Rolle, die ihnen Kenntnis von den auf ihre Plattformen hochgeladenen Inhalten oder Kontrolle über sie verschafft.

Würdigung durch den Gerichtshof
Als Erstes hat der Gerichtshof geprüft, ob der Betreiber einer Video-Sharing- oder Sharehosting-Plattform, auf der Nutzer geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich machen können, unter Umständen, wie sie in den vorliegenden Verfahren in Rede stehen, selbst eine „öffentliche Wiedergabe“ dieser Inhalte im Sinne der Richtlinie 2001/295 vornimmt. Der Gerichtshof hat zunächst auf die Ziele und die Definition des Begriffs „öffentliche Wiedergabe“ sowie auf die weiteren Kriterien hingewiesen, die bei der in Bezug auf diesen Begriff erforderlichen individuellen Beurteilung zu berücksichtigen sind.

So hat der Gerichtshof unter diesen Kriterien die zentrale Rolle des Betreibers der Plattform und die Vorsätzlichkeit seines Handelns hervorgehoben. Der Betreiber nimmt nämlich eine „Handlung der Wiedergabe“ vor, wenn er in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig wird, um seinen Kunden Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen, und zwar insbesondere dann, wenn ohne dieses Tätigwerden die Kunden das verbreitete Werk grundsätzlich nicht abrufen könnten.

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass seitens des Betreibers einer Video-Sharing- oder Sharehosting-Plattform, auf der Nutzer geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich machen können, keine „öffentliche Wiedergabe“ dieser Inhalte im Sinne der Richtlinie 2001/29 erfolgt, es sei denn, er trägt über die bloße Bereitstellung der Plattform hinaus dazu bei, der Öffentlichkeit unter Verletzung von Urheberrechten Zugang zu solchen Inhalten zu verschaffen.

Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der Betreiber von der rechtsverletzenden Zugänglichmachung eines geschützten Inhalts auf seiner Plattform konkret Kenntnis hat und diesen Inhalt nicht unverzüglich löscht oder den Zugang zu ihm sperrt, oder wenn er, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass über seine Plattform im Allgemeinen durch Nutzer derselben geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, nicht die geeigneten technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen, oder auch, wenn er an der Auswahl geschützter Inhalte, die rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, beteiligt ist, auf seiner Plattform Hilfsmittel anbietet, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt sind, oder ein solches Teilen wissentlich fördert, wofür der Umstand sprechen kann, dass der Betreiber ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu verleitet, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen.

Als Zweites hat sich der Gerichtshof mit der Frage befasst, ob ein Betreiber von Internetplattformen nach der Richtlinie 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr von seiner Verantwortung für die geschützten Inhalte befreit werden kann, die Nutzer rechtswidrig über seine Plattform öffentlich wiedergeben. In diesem Zusammenhang ist dem Gerichtshof zufolge zu prüfen, ob die Rolle dieses Betreibers neutral ist, d. h., ob sein Verhalten rein technisch, automatisch und passiv ist, was bedeutet, dass keine Kenntnis oder Kontrolle über die von ihm gespeicherten Inhalte besteht, oder ob der Betreiber im Gegenteil eine aktive Rolle spielt, die ihm eine Kenntnis dieser Inhalte oder eine Kontrolle über sie zu verschaffen vermag. Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass der betreffende Betreiber die Haftungsbefreiung geltend machen kann, sofern er keine aktive Rolle spielt, die ihm Kenntnis von den auf seine Plattform hochgeladenen Inhalten oder Kontrolle über sie verschafft. Er ist nur dann von der
Haftungsbefreiung gemäß der Richtlinie ausgeschlossen, wenn er Kenntnis von den konkreten rechtswidrigen Handlungen seiner Nutzer hat, die damit zusammenhängen, dass geschützte Inhalte auf seine Plattform hochgeladen wurden.

Als Drittes hat der Gerichtshof klargestellt, unter welchen Voraussetzungen Rechtsinhaber nach der Richtlinie 2001/297 gerichtliche Anordnungen gegen Betreiber von Internetplattformen erwirken können. So hat er entschieden, dass diese Richtlinie dem nicht entgegensteht, dass der Inhaber eines Urheberrechts oder eines verwandten Schutzrechts nach nationalem Recht eine gerichtliche Anordnung gegen den Betreiber, dessen Dienst von einem Dritten zur Verletzung seines Rechts genutzt wurde, ohne dass der Betreiber hiervon Kenntnis im Sinne der Richtlinie 2000/318 gehabt hätte, erst erlangen kann, wenn diese Rechtsverletzung vor der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens zunächst dem Betreiber gemeldet wurde und wenn dieser nicht unverzüglich tätig geworden ist, um den fraglichen Inhalt zu entfernen oder den Zugang zu diesem zu sperren und dafür zu sorgen, dass sich derartige Rechtsverletzungen nicht wiederholen.

Es obliegt jedoch den nationalen Gerichten, sich bei der Anwendung einer solchen Voraussetzung zu vergewissern, dass diese nicht dazu führt, dass die tatsächliche Beendigung der Rechtsverletzung derart verzögert wird, dass dem Rechtsinhaber unverhältnismäßige Schäden entstehen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Frankfurt: 2.000 EURO Geldentschädigung für unbefugte Filmaufnahme von einer Polizeibeamtin im Dienst und Verwendung der Aufnahmen in einem Musikvideo zu Werbezwecken

OLG Frankfurt
Urteil vom 19.05.2021
13 U 318/19


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass für die unbefugte Filmaufnahme einer Polizeibeamtin im Dienst und Verwendung der Aufnahmen in einem Musikvideo zu Werbezwecken der gefilmten Polizistin eine Geldentschädigung in Höhe von 2.000 EURO zustehen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Geldentschädigung wegen nicht anlassbedingter Bilddarstellung einer Polizistin im Dienst

Die zu reinen werbe- bzw. kommerziellen Zwecken nicht anlassbedingte, kurze ungerechtfertigte Bildaufnahme einer Polizeibeamtin im Dienst verletzt ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute veröffentlichter Entscheidung insbesondere unter Berücksichtigung der Reichweite der Verbreitung des Musikvideos einerseits und der Kürze der Darstellung andererseits eine Geldentschädigung in Höhe von 2.000,00 € zugesprochen.

Die Klägerin ist Polizeibeamtin. In Ausübung ihres Dienstes im Zusammenhang mit einer angekündigten Demonstration gegen einen Auftritt der Beklagten in der ÖVB-Arena in Bremen wurde sie ohne ihr Wissen und ohne ihre Einwilligung gefilmt. Diese Filmaufnahmen wurden später in einem Musikvideo zu Werbezwecken verwendet, dass auf YouTube veröffentlicht und über 150.000-mal aufgerufen wurde. Die Klägerin war dort – in Zeitlupe - für einen Zeitraum von ca. 2 Sekunden zu sehen. Nach klägerischer Abmahnung ist sie in dem Musikvideo nur noch verpixelt zu sehen.

Die Klägerin begehrt Erstattung ihrer für die Abmahnung entstandenen Rechtsanwaltskosten sowie eine Geldentschädigung in Höhe von 5.000,00 €. Das Landgericht hatte der Klage umfassend stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte lediglich hinsichtlich der Höhe der Geldentschädigung Erfolg.

Das OLG bestätigte, dass die Klägerin wegen einer schwerwiegenden Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf eine Geldentschädigung habe. Die Verbreitung bzw. Zurschaustellung der Bilder der Klägerin sei rechtswidrig erfolgt. Insbesondere sei die Klägerin durch ihren Einsatz als Polizeibeamtin nicht Teil eines zeitgeschichtlichen Ereignisses geworden, hinsichtlich dessen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ihr Schutzinteresse überwiegen würde. Es sei vielmehr „vorliegend kein Gesichtspunkt erkennbar, der im Rahmen einer öffentlichen Meinungsbildung im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Polizeieinsatz auch nur ansatzweise die persönliche Identifizierbarkeit der Klägerin erforderlich machen könnte“. Eine Meinungsbildung über den Polizeieinsatz im Bereich der ÖVB-Arena sei vielmehr völlig unabhängig von der Teilnahme der Klägerin hieran möglich. Die durch die Zeitlupeneinstellung besonders hervorgehobene Darstellung der Klägerin habe damit nicht der Information der Öffentlichkeit im Rahmen der Kontrolle des staatlichen Machtmonopols gedient, sondern sei allein „von dem kommerziellen Verwertungsinteresse der Beklagten bei Erstellung und Verbreitung des streitgegenständlichen Musikvideos getragen“ gewesen. „Derartige wirtschaftliche- bzw. Werbeinteressen treten regelmäßig hinter das Interesse des Abgebildeten“, betont das OLG.

Darüber hinaus würden für die Verbreitung von Bildern von Polizeibeamten im Einsatz im Prinzip die gleichen Regeln wie für Privatpersonen gelten: „Sie dürfen einzeln nur dann aufgenommen werden, wenn ihr Verhalten Anlass dazu gibt“. Eine solche anlassbedingte Situation habe hier nicht vorgelegen.

Die Höhe der Geldentschädigung sei auf Basis der Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalls festzusetzen. Angemessen, aber auch ausreichend seien hier 2.000,00 €. Zu berücksichtigen sei einerseits, dass das Musikvideo auf der Plattform YouTube mehr als 150.000-mal aufgerufen worden sei. Der Beweggrund zur Veröffentlichung sei zudem ausschließlich kommerziell begründet gewesen. Zu beachten sei andererseits, dass die Bildsequenz, in der die Klägerin zu sehen sei, nur gut 2 Sekunden andauerte und mit ihrer Bilddarstellung keine ehrenrührige oder gar verächtlichmachende Darstellung verbunden gewesen sei.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 19.5.2021, Az. 13 U 318/19

(vorausgehend Landgericht Darmstadt, Urteil vom 4.9.2019, Az. 23 O 159/18)




OVG Münster: Bundesnetzagentur darf von Bußgeldverfahren betroffenes Unternehmen in Pressemitteilung nicht namentlich benennen - keine Ermächtigungsgrundlage

OVG Münster
Beschluss vom 17.05.2021
13 B 331/21


Das OVG Münster hat entschieden, dass die Bundesnetzagentur ein von einem Bußgeldverfahren betroffenes Unternehmen in einer Pressemitteilung nicht namentlich benennen darf. Es fehlt an einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage.

Leitsätze des Gerichts:

1. Öffentliche Stellen sind grundsätzlich ohne besondere Ermächtigung dazu berechtigt, im Zusammenhang mit der ihnen jeweils zugewiesenen Sachaufgabe Presse-, Öffentlichkeits- und Informationsarbeit zu betreiben. Amtliche Äußerungen, die einen unmittelbaren Grundrechtseingriff darstellen oder einem solchen Grundrechtseingriff als funktionales Äquivalent gleichkommen, bedürfen jedoch regelmäßig der Rechtfertigung durch eine gesetzliche oder verfassungsunmittelbare Ermächtigungsgrundlage.

2. Die amtliche Information der Öffentlichkeit kann in ihrer Zielsetzung und in ihren mittelbar-faktischen Wirkungen einem Eingriff als funktionales Äquivalent jedenfalls dann gleichkommen, wenn sie direkt auf die Marktbedingungen konkret individualisierter Unternehmen zielt, indem sie die Grundlagen der Entscheidungen am Markt zweckgerichtet beeinflusst und so die Markt- und Wettbewerbssituation zum wirtschaftlichen Nachteil der betroffenen Unternehmen verändert.

3. Eine einfachgesetzliche oder verfassungsunmittelbare Ermächtigung zur Auskunftserteilung gegenüber der Presse rechtfertigt keine in die Grundrechte Einzelner eingreifende Weitergabe von Informationen an Dritte über den Kreis der anspruchsberechtigten Pressevertreter hinaus, denen eine besondere Verantwortung im Umgang mit den so erhaltenen Informationen obliegt.

4. § 45n Abs. 8 Satz 1 TKG ermächtigt die Bundesnetzagentur zur Veröffentlichung von Informationen in ihrem Amtsblatt oder auf ihrer Internetseite, wenn und soweit diese Informationen sicherstellen, dass die Endnutzer bei der Wahl eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes oder öffentlich zugänglichen Kommunikationsdienstes über eine volle Sachkenntnis verfügen. Es spricht Überwiegendes dafür, dass diese Regelung keine Ermächtigungsgrundlage für die öffentliche Bekanntmachung bußgeldbewehrter Rechtsverstöße darstellt.

5. § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG setzt eine konkrete Gefahr der Verletzung gesetzlicher Vorschriften oder der von der Bundesnetzagentur erteilten Bedingungen über die Zuteilung von Nummern voraus. Hierbei hat die Bundesnetzagentur eine Prognoseentscheidung zu treffen, ob hinreichende Verdachtsmomente für eine drohende Verletzung bestehen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Düsseldorf: Kein Lizenzenschaden bei Nutzung des Öko-Test-Siegels ohne Lizenz da die Lizenz kostenlos erteilt wird

OLG Düsseldorf
Urteil vom
20 U 152/16


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass der Markeninhaber bei Nutzung des Öko-Test-Siegels ohne Lizenz keinen Lizenzschaden vom Verwender verlangen kann, da die Lizenz kostenlos erteilt wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Erfolg hat die Berufung soweit sie sich gegen die Feststellung der Schadensersatzpflicht wendet. Ein Schadensersatzanspruch nach Art. 102 Abs. 1 Satz 2 GMV in Verbindung mit § 125b Nr. 2 und § 14 Abs. 2 und 6 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung steht der Klägerin nicht zu, weil es an einem materiellen Schaden der Klägerin fehlt.

Ungeachtet der unterschiedlichen Berechnungsmöglichkeiten (konkreter Schaden, Lizenzanalogie, Herausgabe des Verletzergewinns) setzt ein Schadensersatzanspruch immer eine Vermögenseinbuße beim Verletzten voraus. Diese lässt sich nicht feststellen.

Die Klägerin hat vorliegend für alle denkbaren Nutzungen eine unentgeltliche Lizensierung angeboten und damit in der Sache auf eine monetäre Verwertung ihres Ausschließlichkeitsrechts vollständig verzichtet. Unter diesen Umständen ist ihr unabhängig von der Berechnungsmethode kein Schaden entstanden (vgl. OLG Hamm, NJOZ 2018, 546 Rn. 65 – GPL-Lizenz).

In einem solchen Fall kann sich denknotwendig aus keiner der Berechnungsmethoden ein Schadensersatzanspruch ergeben, denn bei diesen handelt es sich lediglich um unterschiedliche Methoden zur Berechnung des gleichen Schadens, also zur Bezifferung der Vermögenseinbuße des Verletzten.

Für einen konkreten Schaden ist nichts ersichtlich.

Aber auch die Lizenzanalogie vermag eine solche Vermögenseinbuße nicht zu begründen. Diese beruht gerade auf dem Grundgedanken, dass redliche Parteien für die Nutzung eine Lizenzgebühr vereinbart hätten, so dass das Vermögen des Verletzten um die entgangenen Lizenzgebühren gemindert ist. Bei der Art der Berechnung der Höhe des zu leistenden Schadensersatzes nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie ist zu fragen, was vernünftige Vertragspartner als Vergütung für die vom Verletzer vorgenommenen Benutzungshandlungen in Kenntnis der tatsächlichen Entwicklung während des Verletzungszeitraumes vereinbart hätten. Zu ermitteln ist der objektive Wert der Benutzungsberechtigung (OLG Köln, GRUR 2015, 167, 173 – Creative-Commons-Lizenz, m.w.N.). Die Höhe der als Schadensersatz zu zahlenden Lizenzgebühr ist dabei gem. § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach der freien Überzeugung des Gerichts zu bemessen. Dabei sind der Umfang der Nutzung sowie der Wert des verletzten Ausschließlichkeitsrechtes zu berücksichtigen. Zu den Umständen, die den objektiven Wert der angemaßten Benutzungshandlungen beeinflussen, gehören insbesondere ein etwa festzustellender verkehrsmäßig üblicher Wert der Benutzungsberechtigung in Anlehnung an tatsächlich vereinbarte Lizenzen (OLG Köln, a.a.O., vgl. auch BGH GRUR 2020, 990 Rn. 12 ff – Nachlizenzierung).

Verzichtet – wie hier – der Verletzte auf jegliche kommerzielle Nutzung seines Ausschließlichkeitsrechts, kann der objektive Wert der Nutzung nur mit Null angesetzt werden (OLG Hamm, a.a.O. Rn. 65). Eine Lizenz liefe darauf hinaus, dass sich der Lizenznehmer von den – letztlich ausschließlich eine lauterkeitsrechtlich einwandfreie Nutzung des Zeichens absichernden – Lizenzbedingungen befreien wollte. Der objektive Wert einer solchen Befreiung ist aber für den Lizenznehmer regelmäßig ebenfalls Null, weil er zum Beispiel im vorliegenden Fall schon lauterkeitsrechtlich verpflichtet ist, die Werbung unter Hinweis auf das überholte Testergebnis zu unterlassen mit der Folge, dass ihm die vertragliche Befreiung nicht nützt.

Auch eine Berechnung unter dem Gesichtspunkt der Herausgabe des Verletzergewinns kommt nicht in Betracht. Zwar dürfte sich – wie in der mündlichen Verhandlung erörtert – ein Gewinn ermitteln lassen, den die Beklagte gerade durch die Zeichennutzung erzielt hat. Die Berechnungsmethode beruht aber auf dem Gedanken, dass dann, wenn es nicht zur Verletzung gekommen wäre, der Verletzte diesen Gewinn realisiert hätte. Davon kann aber bei einem Rechteinhaber, der wie die Klägerin auf die kommerzielle Verwertung verzichtet hat, eben nicht ausgegangen werden.

III. Nur teilweise Erfolg hat die Berufung hinsichtlich des Auskunftsanspruches. Dieser steht der Klägerin aus Art. 102 Abs. 1 Satz 2 GMV in Verbindung mit § 125b Nr. 2 und § 19 Abs. 1 und 3 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung zu. Allerdings nicht bezüglich der Auskünfte, die allein zur Schadensberechnung dienen, nämlich Umsatz und Gewinn, denn die wären unverhältnismäßig, § 19 Abs. 4 MarkenG, weil der Klägerin – wie ausgeführt – kein Schadensersatzanspruch zusteht."

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Dresden: Unbefugte Veröffentlichung einer fremden Handynummer auf einem Online-Portal ist Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und Verstoß gegen Art. 6 DSGVO

OLG Dresden
Beschluss vom 06.01.2021
4 U 1928/20


Das OLG Dresden hat entschieden, dass die unbefugte Veröffentlichung einer fremden Handynummer auf einem Online-Portal eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und einen Verstoß gegen Art. 6 DSGVO darstellt. Der Betroffene hat u.a. einen abmahnfähigen Unterlassungsanspruch gegen den Täter.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Allerdings hätte es vor Erlass dieses Beschlusses den Bekl. – ggf. telefonisch – anhören müssen. Als Ausfluss des Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist, ist es grundsätzlich geboten, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich ist eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Voraussetzung der Verweisung auf eine nachträgliche Anhörung ist, dass sonst der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt würde (BVerfG, einstweilige Anordnung vom 03. Juni 2020 – 1 BvR 1246/20 –, Rn. 16, juris Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 14 bis 16 juris). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht erkennbar. Dies wirkt sich jedoch im Berufungsverfahren nicht mehr aus. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist jedenfalls geheilt, wenn das rechtliche Gehör im Rechtsmittelzuge gewährt wird (statt aller Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 81. Lieferung 09.2020, Art. 103 GG, Rn. 416). So liegt der Fall hier. Vor Erlass des im Berufungsverfahren allein streitgegenständlichen Verfügungsurteils vom 21.8.2020 ist dem Beklagten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hinreichend Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden, von der er auch umfassend Gebrauch gemacht hat. Im Termin vom 11.8.2020 ist ihm zudem eine weitere Stellungnahmefrist eingeräumt worden, die Ausführungen im Schriftsatz vom 11.8.2020 hat das Landgericht bei der Entscheidung berücksichtigt.

2. Das Landgericht hat auch zutreffend einen Verfügungsanspruch der Klägerin aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog bejaht. Das durch § 823 BGB unter anderem geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht beinhaltet auch das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung. Dies bedeutet, dass der Betroffene die unbefugte Benutzung seiner persönlichen Daten nicht dulden muss (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl., § 823 Rz. 115 m.w.N.). Die unrechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten der Klägerin im Sinne des Art. 6 DSGVO stellt überdies die Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB dar, die ebenfalls mit einem Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB geltend gemacht werden kann (vgl. Palandt/Sprau, aaO., § 823 Rn 85 m.w.N.). Die Verwendung der Telefonnummer der Klägerin oder ihrer sonstigen Kontaktdaten in einer „gefakten“ xxx-Kleinanzeige stellt eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 12 DSGVO dar, bezüglich derer grundsätzlich Unterlassung verlangt werden kann. Die private Handynummer der Klägerin ist ein personenbezogenes Datum im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO, auch wenn in der Anzeige ihr Name nicht aufgeführt ist. Hierunter sind alle Informationen zu verstehen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (Betroffener) beziehen. Eine natürliche Person ist identifizierbar im Sinne dieser Norm, wenn sie direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann (Schreiber in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Artikel 4 DSGVO, Rn. 7). Unter der Geltung des BDSG war umstritten, unter welchen Voraussetzungen von einer solchen Identifizierbarkeit, auszugehen ist. Teilweise wurde insoweit auf einen subjektiven Maßstab abgestellt; entscheidend sollte hiernach sein, dass der verarbeitende Diensteanbieter in der Lage ist, mit den ihm normalerweise zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln unter vernünftigem Aufwand die Daten einem bestimmten Individuum zuordnen zu können. Kann er diese Zuordnung unter den genannten Bedingungen nicht selbst vornehmen, soll ein Personenbezug mangels Bestimmbarkeit zu verneinen sein (MMR 2000, 721 (722); Meyerdierks, MMR 2009, 8 (12); Nink/Pohle, MMR 2015, 563 (564 f.); Voigt/Alich, NJW 2011, 3541 (3542 m.w.N.). Nach anderer Auffassung kommt es demgegenüber auf ein objektives Verständnis an; entscheidend für die Frage, ob ein Datum personenbezogen ist oder nicht, sei allein, ob dieses durch einen beliebigen Dritten einem Individuum zugeordnet werden könnte (Däubler/Klebe/Wedde/Weichert/Weichert, § 3 BDSG Rz. 13). Personenbezogen ist ein Datum nach dieser Auffassung immer dann, wenn es durch irgendjemanden einer bestimmten Person zugeordnet werden kann. Ob auch derjenige, der die Daten verarbeitet, die Möglichkeit hat, die Zuordnung zum jeweiligen Individuum nachvollziehen zu können, ist irrelevant (zum Streitstand vgl. Hullen/Roggenkamp in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, § 12 TMG, Rn. 7ff). Vorliegend bedarf diese Frage keiner Entscheidung. Die Identifizierbarkeit der Klägerin über ihre Telefonnummer wird hier nämlich jedenfalls im Kontext der als Anlage AS 3 vorgelegten Kleinanzeige dadurch mit hinreichender Sicherheit gewährleistet, dass dort zusätzlich der auf sie hindeutende Nutzername "xxxxxxxxxxx" sowie ein Hinweis auf den Standort des Wagens an ihrem Wohnort in Leipzig enthalten ist. Unstreitig ist überdies, dass der Ehemann der Klägerin in der Vergangenheit über ein gleichartiges Fahrzeug verfügt hat. Infolge dieser Angaben ist es für einen größeren Personenkreis möglich, die Klägerin zu identifizieren. Die Weitergabe dieser Telefonnummer an einen unbestimmten Personenkreis im Rahmen einer ohne dessen Einwilligung für den Betroffenen eingestellten "xxx-Kleinanzeige" stellt eine rechtswidrige Verwendung dieser Daten dar, schon weil sie die Gefahr begründet, dass der Betroffenen gegen seinen Willen von fremden Personen unter dieser Nummer kontaktiert wird, wie es auch vorliegend geschehen ist. Die missbräuchliche Verwendung ihrer Telefonnummer, durch die Dritte veranlasst wurden, mit der Klägerin Kontakt aufzunehmen, stellt überdies eine tatbestandsmäßige Nachstellung im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB dar, der wiederum ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist. Ob ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht darüber hinaus durch die Kontaktaufnahme unter Verwendung der Pseudonyme "T... R..." und "P... W..." verletzt ist (zum Recht auf anonyme Kommunikation vgl. BVerfGE 95, 28; BGH NJW 2009, 2888, 2892f; Klass in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, Anhang zu § 12 – Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, Rn. 245), kann angesichts dessen dahinstehen.

3. Die Klägerin hat darüber hinaus hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Beklagte Urheber dieser Tathandlungen gewesen ist (vgl. §§ 936, 920 Abs. 2 i.V.m. § 294 ZPO). Zur Glaubhaftmachung kann der Beweisbelastete sich aller Beweismittel bedienen, die auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden. Beweismaß ist bei der Glaubhaftmachung nicht der Vollbeweis, sondern eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung (BGHZ 156, 139, 142; Zöller-Geimer/Greger, ZPO, aaO., § 294 Rz. 1 m.w.N.; Rz. 6 m.w.N.). Dabei bedeutet „überwiegende Wahrscheinlichkeit“, dass nicht nur ein „Quäntchen“ mehr für die Richtigkeit der Behauptung spricht. Zu fordern ist vielmehr ein den konkreten Umständen angepasstes Maß an Glaubhaftigkeit (Zöller, a.a.O.). Zur Widerlegung durch den Gegner ist die gleiche Glaubhaftmachung mit der gleichen Wahrscheinlichkeitsfeststellung möglich (Zöller-Geimer/Greger, § 294 Rz. 2 m.w.N.).

Wie das Landgericht geht auch der Senat davon aus, dass die Klägerin durch die Ausdrucke der X...-Registrierungsbedingungen glaubhaft gemacht hat, dass bei der Einrichtung von E-Mail-Accounts unter X...mail und der im Geschäftsverkehr verwendeten E-Mail-Adressen die Mobilfunknummer des Beklagten angegeben wurde. Auch die zur Generierung der Accounts notwendigen IP-Nummern stammen vom Telefonanbieter des Beklagten (Vodafone). Durch Vorlage eines X...-Ausdrucks in der mündlichen Verhandlung vom 11.08.2020 (Anlage zum Protokoll, Bl. 115 d. A.) hat die Klägerin weiterhin glaubhaft gemacht, dass X... bereits seit dem Jahre 2012 bei der Einrichtung eines e-mail-accounts zwingend die Angabe der Handynummer verlangt hat und die Registrierung erst nach Aufruf einer Bestätigungs-SMS an diese Handynummer abgeschlossen ist. Dem stehen die vom Beklagten vorgelegten Unterlagen (Anlage AST10, Bl. 128 f. d. A.) nicht entgegen, weil mit den im Verfügungsverfahren zur Verfügung stehenden Beweismitteln jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass sich dies nur auf das isolierte Anmelden eines X...-Kontos ohne gleichzeitige Erstellung einer X...-E-Mail-Adresse beziehen, was auch die Klägerin für sich in Anspruch nimmt (Bl. 137 d. A., Anlage AS7, Bl. 139 d. A.). Die beigezogene Ermittlungsakte lässt überdies den Rückschluss zu, dass tatsächlich bei der Einrichtung der streitgegenständlichen Konten die Mobilfunk-Nummer des Beklagten angegeben und diesem im Nachgang auch mitgeteilt wurde (für „p...w...mail@gmail.com“ - Bl. 32 Ermittlungsakte; für „t...r...mail@gmail.com“ - Bl. 33 der Ermittlungsakte; für l...-u...@gmail.com“ - Bl. 19 Ermittlungsakte). Wieso gleichwohl ein unbekannter Dritter die Telefonnummer des Beklagten hätte verwenden sollen, um unter Einsatz erheblicher krimineller Energie der Klägerin nachzustellen und dies zugleich dem Beklagten in die Schuhe zu schieben, hat der Beklagte nicht plausibel machen können. Die erstmals im Berufungsverfahren erhobene Behauptung, er habe sein iPad mit den darauf enthaltenen Daten verschiedenen Mitarbeitern der K... GmbH zur Verfügung gestellt, erscheint zum einen nachgeschoben und unglaubhaft und kann eine solche Handlungsweise zum anderen nicht erklären. Hierfür ergibt sich auch nichts aus den mit der Berufungsbegründung vorgelegten und mit eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemachten Sachverhalten, die die Erstellung der Accounts und Versendung der entsprechenden E-Mails durch den Beklagten gerade nicht ausschließen. Dass der Kläger, wie er behauptet, vom Urlaub in I... aus, im Rahmen einer Besprechung, bei der typischerweise Handy und/oder Laptop aufgeklappt auf dem Tisch stehen, während einer Geschäftsreise in seiner Eigenschaft als Fotograf oder während einer "Autofahrt" nach I... (die zumindest durch eine Fähraufenthalt unterbrochen worden sein muss) zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt haben soll, von seinem sicherlich mit einem Internetzugang ausgestatteten Mobiltelefon E-Mails einzurichten oder zu verschicken, ist bereits nach der Lebenserfahrung und vor dem Hintergrund des geschilderten Fähigkeiten des Beklagten (u.a. Aufbau der Homepage der K... GmbH, digitale Fotografie) nicht plausibel. Da ein Unterlassungsanspruch unabhängig von der Frage besteht (s.o.), ob der Beklagte sich hinter den E-Mail Pseudonymen "T... R..." und "P... W..." verbirgt, kommt es bereits nicht darauf an, ob sich der Beklagte am 3.8.2019 in S... befand, wohingegen die dem Pseudonym "T... R..." an diesem Tage zugeordnete IP-Adresse bei der "... ... ... GmbH" lokalisiert wurde.

4. Das Landgericht hat schließlich auch einen Verfügungsgrund zu Recht bejaht. Bei der Frage, ob der Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder der Verhinderung drohender Gewalt erforderlich ist, sind die schutzwürdigen Interessen beider Seiten im Rahmen des gerichtlichen Beurteilungsspielraums gegeneinander abzuwägen. Es muss eine Dringlichkeit gegeben sein, die bei zu langem Zuwarten des Erlassantrages widerlegt werden kann (Zöller-Vollkommer, aaO., § 940 Rz. 4 jeweils m.w.N.). In persönlichkeitsrechtlichen Streitigkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Verfügungsgrund für eine auf Unterlassung gerichtet einstweilige Verfügung regelmäßig zu bejahen, wenn keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, insbesondere durch Zuwarten, gegeben ist (zuletzt Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018 - 4 U 1675/17 -, juris). Dies ist eine Frage des Einzelfalles, für die sich gleichwohl in der Rechtsprechung Regelfristen herausgebildet haben, bei deren Überschreitung von einer Selbstwiderlegung auszugehen ist. Diese reichen von vier Wochen bzw. einem Monat (OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.1.2015 - 6 U 156/14 - juris; vgl. im Übrigen die Verweise auf nicht veröffentlichte Rechtsprechung der OLGe Koblenz und Köln sowie des KG bei Wenzel-Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. Kap 12 Rn 145) über fünf Wochen (OLG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2014 - 7 W 141/14 - juris) bis zu 8 Wochen bzw. zwei Monaten ab Kenntniserlangung von der Rechtsverletzung (OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Februar 2017 - 4 U 166/16 -, Rn. 35 - 36, juris Senat, Urteil vom 27. November 2018 – 4 U 1282/18 –, Rn. 11, juris). Vorliegend greifen diese Grundsätze indes schon deshalb nicht ein, weil sie voraussetzen, dass der Berechtigte trotz Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis von der Durchsetzung seiner Unterlassungsansprüche absieht. Eine solche Kenntnis ist hier jedoch nicht anzunehmen. Die Klägerin hatte zwar schon im August 2019 Strafanzeige erstattet und es mag im Rahmen eines nachfolgenden Telefonats mit dem ermittelnden Polizeibeamten auch der Name des Beklagten gefallen sein. Ohne irgend welchen konkreten Ermittlungsergebnisse war es ihr aber zu diesem Zeitpunkt nicht zumutbar, einen Verfügungsantrag zu stellen, weil sie keine Mittel zur Glaubhaftmachung in der Hand hatte. Diese Möglichkeit ergab sich erstmals nach Einsicht in die Ermittlungsakte, diese wurde am 15.4.2020 gewährt, keine zwei Wochen später, nämlich am 27.4.2020 wurde der Antrag gestellt. Auch verfängt die Auffassung des Beklagten nicht, eine Dringlichkeit sei nicht gegeben weil schon eine Wiederholungsgefahr nicht vorliege - schließlich sei die Klägerin nach eigenen Angaben ab November 2019 nicht mehr belästigt worden. Dies kann sich zwanglos daraus erklären, dass die Belästigungen ohnehin unregelmäßig erfolgten und dass die Klägerin bereits im August 2019 Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet hatte und der Beklagte jedenfalls ab Dezember 2019 bereits „offiziell“ nämlich durch die Ladung zu seiner Beschuldigtenvernehmung Kenntnis von einem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren hatte. Bei der Nachteilsabwägung ist schließlich zu berücksichtigen, dass dem Beklagten durch den Erlass der Verfügung über die hiermit verbundene Kostenbelastung hinaus keinerlei Nachteile entstehen und er die Möglichkeit hat, einen Antrag auf Anordnung der Klageerhebung zur Hauptsache nach § 926 ZPO zu stellen, während umgekehrt die Klägerin in ihrer geschäftlichen Sphäre insofern durchaus Nachteile befürchten muss, als sie durch die Neugründung einer Veranstaltungsagentur sich ihren Kunden und Geschäftspartnerkreis erst aufbauen muss. Dass auch die Vorgänge in ihrer Privatsphäre sie vor dem Hintergrund ihrer Schwangerschaft/Entbindung auch psychisch nicht unerheblich belasten, hat sie durch eine Versicherung an Eides statt glaubhaft gemacht.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: