LG Hamburg: Kostenlose Rechtsprechungsdatenbank openJur haftet nicht für vom Gericht unzureichend anonymisierte Gerichtsentscheidungen
LG Hamburg
Urteil vom 09.05.2025
324 O 278/23
Das LG Hamburg hat entschieden, dass die kostenlose Rechtsprechungsdatenbank openJur nicht für vom Gericht unzureichend anonymisierte Gerichtsentscheidungen haftet.
Aus den Entscheidungsgründen:
I. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu, und zwar weder aus Art. 17 DSGVO noch aus nationalem Recht.
1. Ein Unterlassungsanspruch aus Art. 17 DSGVO besteht nicht.
Die Tätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen in der von der Beklagten betriebenen Rechtsprechungsdatenbank unterfällt der Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO. Dies hat zur Folge, dass sich die Frage, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch zusteht, nicht nach den Regelungen der DSGVO, sondern nach dem einschlägigen nationalen Recht richtet.
a) Gemäß Art. 85 Abs. 2 DSGVO sehen die Mitgliedsstaaten für die Verarbeitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), Kapitel IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), Kapitel V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), Kapitel VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), Kapitel VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und Kapitel IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.
Der Begriff des journalistischen Zwecks ist unionsrechtsautonom auszulegen. Er ist weit zu verstehen. Dies ergibt sich aus Erwägungsgrund 153, S. 7 der DSGVO, der lautet: "Um der Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft Rechnung zu tragen, müssen Begriffe wie Journalismus, die sich auf diese Freiheit beziehen, weit ausgelegt werden."
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist vor allem das Ziel der Veröffentlichung maßgeblich. Es kommt darauf an, ob die Veröffentlichung zum Ziel hat, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Allerdings hält auch der EuGH fest, dass nicht jegliche im Internet veröffentlichte Information unter den Begriff der journalistischen Tätigkeit falle (EuGH GRUR 2019, 760 Rn. 59 – Buivids). Auf eine berufliche Ausübung der Tätigkeit (Berufsjournalist) kommt es allerdings ebenso wenig an wie auf eine Anbindung an eine Zeitungs- oder Rundfunkredaktion (BeckOK InfoMedienR/Cornils, 47. Ed. 1.2.2021, Art. 85 DSGVO Rn. 70, beck-online).
Die Einordnung von Intermediären, die keine eigenen Texte oder Inhalte veröffentlichen, sondern Inhalte Dritter verbreiten, wird differenziert beurteilt: Im Falle eines Ärztebewertungsportals hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Medienprivileg aus Art. 85 Abs. 2 DSGVO nicht eingreife, weil es an einer journalistisch-redaktionelle Bearbeitung der Bewertungen fehle (BGHZ 202, 242 Rn. 13 – Ärztebewertung II; BGHZ 217, 340 Rn. 10 – Ärztebewertung III). Dies begegnete Kritik, weil der Portalbetreiber im Fall Ärztebewertung III durchaus in die Präsentation der Arztprofile eingegriffen hatte (vgl. BGHZ 217, 340 Rn. 18) und damit gerade seine Stellung als neutraler Informationsmittler verlassen habe (BeckOK InfoMedienR/Cornils, 47. Ed. 1.2.2021, Art. 85 DSGVO Rn. 75.1, beck-online). Eine Privilegierung von Informationsintermediären wird dann für möglich gehalten, wenn diese ein Mindestmaß an Bearbeitung leisten (BeckOK DatenschutzR/Lauber-Rönsberg, 50. Ed. 1.11.2024, Art. 85 DSGVO Rn. 21, beck-online).
b) Die Voraussetzungen der Bereichsausnahme für journalistische Zwecke liegen nach diesem Maßstab hier vor, denn die Beklagte ist im Zusammenhang mit dem Betrieb der Rechtsprechungsdatenbank in einer Weise tätig, die eine Einordnung als redaktionelle Tätigkeit rechtfertigt.
So fordert die Beklagte zuvor unveröffentlichte Entscheidungen von Gerichten gezielt zur Veröffentlichung an. Dies gilt etwa für den in den Medien viel diskutierten Beschluss des Kammergerichts vom 06.12.2021, Az. 3 Ws 250/21 zur Einstellung des datenschutzrechtlichen Bußgeldverfahrens gegen das Unternehmen Deutsche Wohnen oder das historische Urteil im Frankfurter Auschwitz-Prozess. Im Jahr 2023 wurden auf diese Weise rund 300 Entscheidungen von Gerichten angefordert und erstveröffentlicht (vgl. Auswahl in Anlage B 8). Außerdem fordert die Beklagte auch Entscheidungen von Dritten an. Dies gilt etwa für das Urteil des Landgerichts München I im sogenannten Badewannen-Prozess, das die Beklagte von den Prozessbevollmächtigten des dortigen Verfahrens angefragt und erhalten hat, nachdem ihr Antrag auf Übersendung vom Präsidenten des Landgerichts abgelehnt wurde. Die Beklagte beschreitet auch den Rechtsweg, um Entscheidungen zu erhalten, etwa wenn Gerichte die Zusendung von Entscheidungen verweigern oder für die Zusendung Gebühren verlangen. Soweit Dritte Entscheidungen einsenden, wählt die Beklagte aus, welche dieser Entscheidung sie veröffentlicht. Die Beklagte verfasst eigene Orientierungssätze zu Entscheidungen und verschlagwortet Entscheidungen. Sie hebt Entscheidungen auf der Startseite und über die Social Media-Auftritte der Beklagten hervor und stellt auf ihrer Startseite unter der Überschrift "Aktuell" individuell ausgewählte, besonders relevante und neu veröffentliche Rechtsprechung vor.
Diese Tätigkeit unterscheidet sich maßgeblich von einem bloßen Datensammeln oder einem bloßen Verbreiten von Inhalten Dritter, wie es etwa auf Bewertungsportalen geschieht. Ein wesentlicher Unterschied liegt schon darin, dass die Beklagte Gerichtsentscheidungen auch gezielt anfordert, wodurch ihre Tätigkeit einen redaktionellen und auch meinungsbildenden Charakter erhält. Darüber hinaus leistet die Beklagte ein Mindestmaß an Bearbeitung auch dadurch, dass sie Entscheidungen für eine hervorgehobene Veröffentlichung auswählt und Entscheidungen mit einer Beschreibung versieht.
c) Die Tätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit der von ihrer betriebenen Rechtsprechungsdatenbank unterfällt auch insgesamt der Bereichsausnahme. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass es sich bei der streitgegenständlichen Urteilsveröffentlichung – wie bei vielen anderen Urteilsveröffentlichungen der Beklagten – um eine automatisiert und ohne Änderungen aus Rechtsprechungsdatenbanken übernommene Entscheidungen handelt.
Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass sich in der Entscheidungsdatenbank der Beklagten, die im Zentrum der Tätigkeit der Beklagten steht, Entscheidungen, die die Beklagte aktiv anfordert, Entscheidungen, die die Beklagte mit eigenen Orientierungssätzen versieht und auch Entscheidungen, die – wie die streitgegenständliche – von der Beklagten nicht bearbeitet wurden, vermengen. Da die Tätigkeit der Beklagten gerade darin besteht, die Datenbank als Ganzes bereitzuhalten, muss sich die anzuerkennende Bereichsausnahme auf die Veröffentlichung aller Inhalte beziehen und nicht nur auf solche Beiträge in der Datenbank, die bereits bei isolierter Betrachtung, etwa aufgrund einer Formulierung eines Orientierungssatzes oder einer aktiven Recherche nach der Entscheidung, als redaktionelle Tätigkeit einzustufen sind.
Daran ändert sich auch dann nichts, wenn - worauf der Kläger hinweist - die Mehrzahl der Entscheidungen, die die Beklagte in ihre Datenbank aufnimmt, in automatisierter Weise übernommen werden und die Entscheidungen, die die Beklagte individuell bearbeitet oder besonderen Rechercheaufwand für ihren Erhalt betreibt, demgegenüber nur in geringerer Anzahl vorhanden sind. Soweit der BGH davon spricht, dass die meinungsbildende Wirkung prägender Bestandteil des Angebots und nicht nur "schmückendes Beiwerk" sein dürfe (BGH, Urt. v. 23.06.2009 – VI ZR 196/08 –, BGHZ 181, 328-345, Rn. 21 – spickmich.de, noch zur Bereichsausnahme im BDSG), stellen die von der Beklagten vorgenommenen redaktionellen Bearbeitungen hier nicht nur "schmückendes Beiwerk" dar. Sie sind im Rahmen der einheitlich angebotenen Datenbank vielmehr untrennbar mit den übrigen, automatisiert vorgenommenen Abläufen verbunden. Es verhält sich daher nicht so, dass die Beklagte ihr Angebot lediglich mit einem "schmückenden Beiwerk" von solchen Zusatzinformationen, aktuellen Meldungen oder Meinungsäußerungen Dritter versieht, die gerade in der Online-Welt dank einfacher Programmiertechnik und Verlinkungsmöglichkeiten regelmäßig ohne größeren Aufwand möglich sind (vgl. Kühling/Buchner/Buchner/Tinnefeld, 4. Aufl. 2024, Art. 85 DSGVO Rn. 25, beck-online). Vielmehr ist der redaktionelle Aufwand der Beklagten prägender Bestandteil im Rahmen der Vervollständigungen der von ihr betriebenen Entscheidungsdatenbank, so dass es weder auf das konkrete Verhältnis zwischen automatisierter und "händischer" Tätigkeit ankommt, noch darauf, ob die einzelne, hier die konkret streitige Entscheidung automatisiert abgerufen oder inhaltlich bearbeitet wurde. Auch wenn es sich so verhalten sollte, dass der überwiegende Teil der in der Datenbank bereitgehaltenen Entscheidungen automatisiert abgerufen wurde, tritt die Bedeutung der redaktionellen Tätigkeit der Beklagten für die Bereithaltung der Rechtsprechungsdatenbank keineswegs völlig in den Hintergrund.
d) Ohne dass es hierauf noch ankäme, dürfte auch die Bereichsausnahme für eine Verarbeitung zu wissenschaftlichen Zwecken vorliegen. Der Begriff der wissenschaftlichen Forschung umfasst jede wissenschaftliche Tätigkeit und damit eine solche Tätigkeit, die nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist (Kühling/Buchner/Buchner/Tinnefeld, 4. Aufl. 2024, Art. 85 DSGVO Rn. 21, beck-online m.w.N.).
Im vorliegenden Fall spricht einiges dafür, dass die Beklagten wissenschaftliche Zwecke für sich in Anspruch nehmen kann. Dies gilt etwa im Hinblick darauf, dass rechtswissenschaftliche Veröffentlichungen häufig Gerichtsentscheidungen über die Datenbank der Beklagten zitieren (vgl. zu einer Literatursuche nach dem Stichwort "openjur" in der Datenbank Beck-Online Anlage B 12). Zudem ist die Beklagte auch Partnerin der Initiative "OpenRewi", eines Zusammenschlusses von Rechtswissenschaftlern, der sich der Nutzung frei zugänglicher Informationen für die rechtswissenschaftliche Forschung verschrieben hat.
2. Bleibt es danach für die Beurteilung des Unterlassungsbegehrens des Klägers bei der Anwendbarkeit des nationalen Rechts, das aufgrund der Bereichsausnahme anstelle der Regelungen der DSGVO Geltung beansprucht, steht dem Kläger auch insoweit kein Unterlassungsanspruch zu. Insbesondere besteht kein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
a) Zwar beeinträchtigt die Veröffentlichung der Entscheidung mit dem Klarnamen des Klägers als Ergebnis der Abwägung mit der Informations- und Medienfreiheit der Beklagten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, weil kein überwiegendes öffentliches Interesse an der beruflichen und finanziellen Situation des Klägers und daran, dass das Versorgungswerk der Rechtsanwälte gegen ihn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen betrieben hat, besteht. Das gilt auch, soweit man berücksichtigt, dass diese Umstände (nur) die Sozialsphäre des Klägers betreffen. Denn es handelt sich um Informationen, die geeignet sind, dem beruflichen Fortkommen des Klägers zu schaden. Es sind keine Gründe ersichtlich, die für ein überwiegendes öffentliches Interesse gerade an der Person des Klägers sprechen. Am Ergebnis dieser Abwägung ändert sich auch dann nichts, wenn, wie die Beklagte vorträgt, der Beschluss in dem den Kläger betreffenden verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren öffentlich verkündet worden sein sollte. Dies gilt bereits deswegen, weil die Gerichtsöffentlichkeit eine andere ist als die Internetöffentlichkeit.
b) Allerdings hat die Beklagte bei der Veröffentlichung des Beschlusses in Wahrnehmung berechtigter Interessen und damit gerechtfertigt gehandelt.
Die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Zusammenhang mit einer Äußerung stellt einen Rechtfertigungsgrund nach § 193 StGB dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB als eine Ausprägung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berücksichtigt und ist im Hinblick auf die Funktion der Presse im demokratischen Staat anerkannt (BGH, Urt. v. 22.12.1959 – VI ZR 175/58 –, BGHZ 31, 308-321, Rn. 9).
Einen Anwendungsfall der Wahrnehmung berechtigter Interessen stellen sog. privilegierte Quellen dar. Verlautbarung von privilegierten Quellen darf ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden (BGH NJW 2014, 2029 Rn. 30, beck-online). Neben dem Umstand, dass amtliche Stellen an die Grundrechte gebunden sind und damit schon ihrerseits vor einer Verlautbarung eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen habe, liegt die Sonderbehandlung privilegierter Quellen auch darin begründet, dass Medienanbieter im Interesse der Gewährleistung einer möglichst breiten Pluralität in die Lage versetzt werden sollen, auch über solche Themen zu berichten, die – gemessen an den zur Verfügung stehenden personellen und wirtschaftlichen Ressourcen – jenseits ihres eigenen "Rechercheradius" liegen (vgl. Korte PresseR, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 241).
Die von der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin veröffentlichten Entscheidungen stellen eine solche privilegierte Quelle dar. Solange für die Beklagte keine konkreten Zweifel daran bestanden, dass eine Veröffentlichung einer Entscheidung in ihrer Datenbank in der identischen Form, wie sie bereits in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin veröffentlicht wurde, Rechte Dritter verletzt, handelte die Beklagte gerechtfertigt und unterlag auch keiner Pflicht zur Nachrecherche (vgl. Korte aaO Rn. 244). Solche Zweifel mussten bei der Beklagten erst mit der Anfrage durch den Kläger entstehen. Hierauf ist die Beklagte unverzüglich tätig geworden und hat den Namen des Klägers aus der Entscheidung entfernt.
II. Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf die Verarbeitung der persönlichen Daten durch die Veröffentlichung des Namens des Klägers zu.
1. Ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO kommt nicht in Betracht. Insoweit ist Art. 82 DSGVO schon nicht anwendbar, weil die in Kapitel II der DSGVO geregelten Grundsätze der Datenverarbeitung und die in Kapitel III der DSGVO geregelten Rechte der betroffenen Person aufgrund der Bereichsausnahme des Art. 85 DSGVO für den vorliegenden Fall nicht anwendbar sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es "auf der Hand, dass ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht auf die Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen durch eine journalistische Tätigkeit gestützt werden kann, wenn die Bestimmungen für die Tätigkeit gar nicht gelten". Dabei spiele auch keine Rolle, dass die Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO die in Kapitel VIII der Verordnung enthaltene Vorschrift des Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht ausdrücklich erfasse (BGH GRUR 2022, 735 Rn. 18, beck-online).
2. Da sich die Veröffentlichung des Namens nach nationalem Recht aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen als gerechtfertigt darstellt, kommt auch ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.
III. Auch im Hinblick auf die vom Kläger als zu spät gerügte Auskunft steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch nicht zu.
1. Art. 82 DSGVO ist insoweit allerdings anwendbar. Denn wenn ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO grundsätzlich besteht, kann im Falle einer Verletzung dieses Auskunftsanspruchs auch ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO bestehen. Der Auskunftsanspruch beurteilt sich vorliegend auch in Ansehung der Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO nach Art. 15 DSGVO. Denn es ist nicht ersichtlich, dass nach nationalem Recht eine Regelung eingreift, die einen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO deswegen ausschließen könnte, weil dies, wie es Art. 85 Abs. 2 DSGVO verlangt, erforderlich wäre, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.
2. Dem Kläger stand ursprünglich ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO zu, denn die Beklagte hat durch die Veröffentlichung des Beschlusses mit dem darin enthaltenen Namen des Klägers und den ihn betreffenden Informationen personenbezogene Daten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO verarbeitet.
3. Im vorliegenden Fall dürfte die Auskunft auch verspätet erteilt worden sein. Gemäß Art. 12 Abs. 3 DSGVO stellt der Verantwortliche der betroffenen Person Informationen über die auf Antrag gemäß den Artikeln 15 bis 22 ergriffenen Maßnahmen unverzüglich, in jedem Fall aber innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zur Verfügung; diese Frist kann um weitere zwei Monate verlängert werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Komplexität und der Anzahl von Anträgen erforderlich ist. Hier hat der Kläger am 05.05.2023 Auskunft verlangt. Die Beklagte hat zwar noch am gleichen Tag geantwortet und die Auskunft auch teilweise erteilt – etwa im Hinblick auf die Herkunft der Daten mitgeteilt, dass die Entscheidung automatisiert aus der amtlichen Datenbank des Landes Berlin übernommen worden sei –, im Übrigen aber auf die allgemeinen Datenschutzinformationen verwiesen. Eine weitergehende und nach Ansicht der Beklagten vollständige Auskunft hat die Beklagte erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens mit der Klagerwiderung vom 20.10.2023 (dort Anlage B 4) erteilt, somit rund 5 Monate nach dem Auskunftsbegehren.
In rechtlicher Hinsicht umstritten ist, ob der Umstand, dass eine Auskunft verspätet erteilt wird, überhaupt einen Schadensersatzanspruch begründen kann. Teilweise wird dagegen eingewandt, dass von Art. 82 DSGVO nur solche Schäden erfasst seien, die "durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung" entstanden sind und dass damit Verstöße gegen Auskunftspflichten aus Art. 12 Abs. 3 bzw. Art. 15 DSGVO nicht als Grundlage für einen Ersatzanspruch dienen können (LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.11.2023 – 3 Sa 285/23 –, Rn. 31, juris; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2021 – 16 O 128/20; aA OLG Köln NJW-RR 2023, 564 Rn. 14, beck-online).
4. Ob die Auskunft verspätet war und eine solche Verspätung einen Schadensersatzanspruch begründen kann, kann hier aber offen bleiben. Denn es fehlt an der schlüssigen Darlegung eines (immateriellen) Schadens, den der Kläger gerade durch die verspätete Auskunft erlitten habe.
Der Begriff des immateriellen Schadens ist autonom unionsrechtlich zu definieren. Der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung reicht nach der Rechtsprechung des EuGH nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen (vgl. EuGH, Urt. v. 20.06.2024 – C-590/22 –, Rn. 24, juris). Allerdings muss ein Schaden nicht einen bestimmten Grad an Schwere oder Erheblichkeit erreichen (vgl. EuGH, Urt. v. 20.06.2024 – C-590/22 –, Rn. 26, juris). Schon der – selbst kurzzeitige – Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten kann einen immateriellen Schaden darstellen, ohne dass dieser Begriff des "immateriellen Schadens" den Nachweis zusätzlicher spürbarer negativer Folgen erfordert (EuGH, Urt. v. 04.10.2024 – C-200/23 –, Rn. 145, 156 i.V.m. 137, juris). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt der bloße Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO dar (BGH, Urt. v. 18.11.2024, VI ZR 10/24, Rn. 27-45).
Der Kläger hat vorgetragen, dass ihm durch die versagte Auskunft ein immaterieller Schaden entstanden sei, da er sich im Ungewissen darüber befinde, welche und wie konkret seine personenbezogenen Daten von der Beklagten verarbeitet wurden und werden. Der hiermit verbundene, sich noch weiter vertiefende Kontrollverlust des Klägers im Hinblick auf den Umgang mit seinen persönlichen Daten sowie die konkrete Gefahr einer Rufschädigung und der Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens sei für den Kläger unzumutbar, spürbar unangenehm und emotional stark belastend. Nachdem die Beklagte mit der Klageerwiderung weitergehende Auskunft erteilt hat, hat der Kläger vorgetragen, ihm sei durch die monatelang versagte Auskunft ein konkreter immaterieller Schaden entstanden, da er sich stets im Ungewissen darüber befunden habe, welche und wie konkret seine personenbezogenen Daten von der Beklagten verarbeitet wurden und werden. Der hiermit verbundene Kontrollverlust des Klägers im Hinblick auf den Umgang mit seinen persönlichen Daten sowie die konkrete Gefahr einer Rufschädigung und der Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens sei für den Kläger unzumutbar, enorm unangenehm und emotional stark belastend.
Dem Vortrag ist nicht zu entnehmen, inwiefern der Kläger allein durch den Umstand, dass die Auskunft verspätet erteilt worden sei, einen immateriellen Schaden erlitten habe. Dies gilt umso mehr, als ein ganz maßgeblicher Bestandteil der Auskunft – nämlich zur Herkunft der Daten – bereits am Tag des Auskunftsbegehrens beantwortet und dem Kläger mit E-Mail vom 05.05.2024 mitgeteilt wurde, dass die Entscheidung in dieser Form aus der amtlichen Entscheidungsdatenbank des Landes Berlin übernommen wurde. Auch war für den Kläger erkennbar, welche personenbezogene Daten die Beklagte veröffentlicht hatte und an wen sie sich mit dieser Veröffentlichung wandte, nämlich an die gesamte Internetöffentlichkeit. Insofern liegt in der bloß zeitlich verzögerten vollständigen Auskunftserteilung auch kein weitergehender Kontrollverlust als der, der bereits durch die nicht hinreichend anonymisierte Veröffentlichung der Entscheidung eingetreten war.
Der Fall liegt auch ganz maßgeblich anders als die vom Kläger angeführte Entscheidung des OLG Köln, worin eine Entschädigung in Höhe von 500 € wegen einer verspäteten Auskunftserteilung zugesprochen wurden. Im dortigen Fall hat die Klägerin von einem Rechtsanwalt die Herausgabe der Handakten zu ihrem Mandat verlangt. Die dortige Klägerin war für eine nicht unerhebliche Dauer vom Rechtsanwalt über das weitere Schicksal des Mandates im Unklaren gelassen worden und war über Monate nicht in der Lage, auf die Handakte zuzugreifen, Kenntnis über den Inhalt der dort gespeicherten Daten zu erlangen und das sie betreffende Verfahren mit dem neuen Prozessbevollmächtigten voran zu treiben (OLG Köln, Urt. v. 14.07.2022 – I-15 U 137/21 –, Rn. 26, juris).
IV. Es besteht auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsverfolgungskosten aus § 823 Abs. 1 BGB. Soweit der Kläger die Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigen mit Schreiben vom 05.05.2023 zur Unterlassung, zur Auskunft sowie zur Zahlung eines Schadensersatzes auffordern ließ, bestehen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nicht, so dass insoweit auch kein Anspruch auf Ersatz von Rechtsverfolgungskosten vorliegen kann. Hinsichtlich der Aufforderung zur Auskunft bestand zum Zeitpunkt des anwaltlichen Tätigwerdens mangels einer vorherigen Aufforderung kein Verzug der Beklagten mit der Auskunft, der für eine Erstattungsfähigkeit – auch in Ermangelung einer vertraglichen Verbindung zwischen den Parteien – aber erforderlich ist.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
Urteil vom 09.05.2025
324 O 278/23
Das LG Hamburg hat entschieden, dass die kostenlose Rechtsprechungsdatenbank openJur nicht für vom Gericht unzureichend anonymisierte Gerichtsentscheidungen haftet.
Aus den Entscheidungsgründen:
I. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu, und zwar weder aus Art. 17 DSGVO noch aus nationalem Recht.
1. Ein Unterlassungsanspruch aus Art. 17 DSGVO besteht nicht.
Die Tätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen in der von der Beklagten betriebenen Rechtsprechungsdatenbank unterfällt der Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO. Dies hat zur Folge, dass sich die Frage, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch zusteht, nicht nach den Regelungen der DSGVO, sondern nach dem einschlägigen nationalen Recht richtet.
a) Gemäß Art. 85 Abs. 2 DSGVO sehen die Mitgliedsstaaten für die Verarbeitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), Kapitel IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), Kapitel V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), Kapitel VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), Kapitel VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und Kapitel IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.
Der Begriff des journalistischen Zwecks ist unionsrechtsautonom auszulegen. Er ist weit zu verstehen. Dies ergibt sich aus Erwägungsgrund 153, S. 7 der DSGVO, der lautet: "Um der Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft Rechnung zu tragen, müssen Begriffe wie Journalismus, die sich auf diese Freiheit beziehen, weit ausgelegt werden."
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist vor allem das Ziel der Veröffentlichung maßgeblich. Es kommt darauf an, ob die Veröffentlichung zum Ziel hat, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Allerdings hält auch der EuGH fest, dass nicht jegliche im Internet veröffentlichte Information unter den Begriff der journalistischen Tätigkeit falle (EuGH GRUR 2019, 760 Rn. 59 – Buivids). Auf eine berufliche Ausübung der Tätigkeit (Berufsjournalist) kommt es allerdings ebenso wenig an wie auf eine Anbindung an eine Zeitungs- oder Rundfunkredaktion (BeckOK InfoMedienR/Cornils, 47. Ed. 1.2.2021, Art. 85 DSGVO Rn. 70, beck-online).
Die Einordnung von Intermediären, die keine eigenen Texte oder Inhalte veröffentlichen, sondern Inhalte Dritter verbreiten, wird differenziert beurteilt: Im Falle eines Ärztebewertungsportals hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Medienprivileg aus Art. 85 Abs. 2 DSGVO nicht eingreife, weil es an einer journalistisch-redaktionelle Bearbeitung der Bewertungen fehle (BGHZ 202, 242 Rn. 13 – Ärztebewertung II; BGHZ 217, 340 Rn. 10 – Ärztebewertung III). Dies begegnete Kritik, weil der Portalbetreiber im Fall Ärztebewertung III durchaus in die Präsentation der Arztprofile eingegriffen hatte (vgl. BGHZ 217, 340 Rn. 18) und damit gerade seine Stellung als neutraler Informationsmittler verlassen habe (BeckOK InfoMedienR/Cornils, 47. Ed. 1.2.2021, Art. 85 DSGVO Rn. 75.1, beck-online). Eine Privilegierung von Informationsintermediären wird dann für möglich gehalten, wenn diese ein Mindestmaß an Bearbeitung leisten (BeckOK DatenschutzR/Lauber-Rönsberg, 50. Ed. 1.11.2024, Art. 85 DSGVO Rn. 21, beck-online).
b) Die Voraussetzungen der Bereichsausnahme für journalistische Zwecke liegen nach diesem Maßstab hier vor, denn die Beklagte ist im Zusammenhang mit dem Betrieb der Rechtsprechungsdatenbank in einer Weise tätig, die eine Einordnung als redaktionelle Tätigkeit rechtfertigt.
So fordert die Beklagte zuvor unveröffentlichte Entscheidungen von Gerichten gezielt zur Veröffentlichung an. Dies gilt etwa für den in den Medien viel diskutierten Beschluss des Kammergerichts vom 06.12.2021, Az. 3 Ws 250/21 zur Einstellung des datenschutzrechtlichen Bußgeldverfahrens gegen das Unternehmen Deutsche Wohnen oder das historische Urteil im Frankfurter Auschwitz-Prozess. Im Jahr 2023 wurden auf diese Weise rund 300 Entscheidungen von Gerichten angefordert und erstveröffentlicht (vgl. Auswahl in Anlage B 8). Außerdem fordert die Beklagte auch Entscheidungen von Dritten an. Dies gilt etwa für das Urteil des Landgerichts München I im sogenannten Badewannen-Prozess, das die Beklagte von den Prozessbevollmächtigten des dortigen Verfahrens angefragt und erhalten hat, nachdem ihr Antrag auf Übersendung vom Präsidenten des Landgerichts abgelehnt wurde. Die Beklagte beschreitet auch den Rechtsweg, um Entscheidungen zu erhalten, etwa wenn Gerichte die Zusendung von Entscheidungen verweigern oder für die Zusendung Gebühren verlangen. Soweit Dritte Entscheidungen einsenden, wählt die Beklagte aus, welche dieser Entscheidung sie veröffentlicht. Die Beklagte verfasst eigene Orientierungssätze zu Entscheidungen und verschlagwortet Entscheidungen. Sie hebt Entscheidungen auf der Startseite und über die Social Media-Auftritte der Beklagten hervor und stellt auf ihrer Startseite unter der Überschrift "Aktuell" individuell ausgewählte, besonders relevante und neu veröffentliche Rechtsprechung vor.
Diese Tätigkeit unterscheidet sich maßgeblich von einem bloßen Datensammeln oder einem bloßen Verbreiten von Inhalten Dritter, wie es etwa auf Bewertungsportalen geschieht. Ein wesentlicher Unterschied liegt schon darin, dass die Beklagte Gerichtsentscheidungen auch gezielt anfordert, wodurch ihre Tätigkeit einen redaktionellen und auch meinungsbildenden Charakter erhält. Darüber hinaus leistet die Beklagte ein Mindestmaß an Bearbeitung auch dadurch, dass sie Entscheidungen für eine hervorgehobene Veröffentlichung auswählt und Entscheidungen mit einer Beschreibung versieht.
c) Die Tätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit der von ihrer betriebenen Rechtsprechungsdatenbank unterfällt auch insgesamt der Bereichsausnahme. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass es sich bei der streitgegenständlichen Urteilsveröffentlichung – wie bei vielen anderen Urteilsveröffentlichungen der Beklagten – um eine automatisiert und ohne Änderungen aus Rechtsprechungsdatenbanken übernommene Entscheidungen handelt.
Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass sich in der Entscheidungsdatenbank der Beklagten, die im Zentrum der Tätigkeit der Beklagten steht, Entscheidungen, die die Beklagte aktiv anfordert, Entscheidungen, die die Beklagte mit eigenen Orientierungssätzen versieht und auch Entscheidungen, die – wie die streitgegenständliche – von der Beklagten nicht bearbeitet wurden, vermengen. Da die Tätigkeit der Beklagten gerade darin besteht, die Datenbank als Ganzes bereitzuhalten, muss sich die anzuerkennende Bereichsausnahme auf die Veröffentlichung aller Inhalte beziehen und nicht nur auf solche Beiträge in der Datenbank, die bereits bei isolierter Betrachtung, etwa aufgrund einer Formulierung eines Orientierungssatzes oder einer aktiven Recherche nach der Entscheidung, als redaktionelle Tätigkeit einzustufen sind.
Daran ändert sich auch dann nichts, wenn - worauf der Kläger hinweist - die Mehrzahl der Entscheidungen, die die Beklagte in ihre Datenbank aufnimmt, in automatisierter Weise übernommen werden und die Entscheidungen, die die Beklagte individuell bearbeitet oder besonderen Rechercheaufwand für ihren Erhalt betreibt, demgegenüber nur in geringerer Anzahl vorhanden sind. Soweit der BGH davon spricht, dass die meinungsbildende Wirkung prägender Bestandteil des Angebots und nicht nur "schmückendes Beiwerk" sein dürfe (BGH, Urt. v. 23.06.2009 – VI ZR 196/08 –, BGHZ 181, 328-345, Rn. 21 – spickmich.de, noch zur Bereichsausnahme im BDSG), stellen die von der Beklagten vorgenommenen redaktionellen Bearbeitungen hier nicht nur "schmückendes Beiwerk" dar. Sie sind im Rahmen der einheitlich angebotenen Datenbank vielmehr untrennbar mit den übrigen, automatisiert vorgenommenen Abläufen verbunden. Es verhält sich daher nicht so, dass die Beklagte ihr Angebot lediglich mit einem "schmückenden Beiwerk" von solchen Zusatzinformationen, aktuellen Meldungen oder Meinungsäußerungen Dritter versieht, die gerade in der Online-Welt dank einfacher Programmiertechnik und Verlinkungsmöglichkeiten regelmäßig ohne größeren Aufwand möglich sind (vgl. Kühling/Buchner/Buchner/Tinnefeld, 4. Aufl. 2024, Art. 85 DSGVO Rn. 25, beck-online). Vielmehr ist der redaktionelle Aufwand der Beklagten prägender Bestandteil im Rahmen der Vervollständigungen der von ihr betriebenen Entscheidungsdatenbank, so dass es weder auf das konkrete Verhältnis zwischen automatisierter und "händischer" Tätigkeit ankommt, noch darauf, ob die einzelne, hier die konkret streitige Entscheidung automatisiert abgerufen oder inhaltlich bearbeitet wurde. Auch wenn es sich so verhalten sollte, dass der überwiegende Teil der in der Datenbank bereitgehaltenen Entscheidungen automatisiert abgerufen wurde, tritt die Bedeutung der redaktionellen Tätigkeit der Beklagten für die Bereithaltung der Rechtsprechungsdatenbank keineswegs völlig in den Hintergrund.
d) Ohne dass es hierauf noch ankäme, dürfte auch die Bereichsausnahme für eine Verarbeitung zu wissenschaftlichen Zwecken vorliegen. Der Begriff der wissenschaftlichen Forschung umfasst jede wissenschaftliche Tätigkeit und damit eine solche Tätigkeit, die nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist (Kühling/Buchner/Buchner/Tinnefeld, 4. Aufl. 2024, Art. 85 DSGVO Rn. 21, beck-online m.w.N.).
Im vorliegenden Fall spricht einiges dafür, dass die Beklagten wissenschaftliche Zwecke für sich in Anspruch nehmen kann. Dies gilt etwa im Hinblick darauf, dass rechtswissenschaftliche Veröffentlichungen häufig Gerichtsentscheidungen über die Datenbank der Beklagten zitieren (vgl. zu einer Literatursuche nach dem Stichwort "openjur" in der Datenbank Beck-Online Anlage B 12). Zudem ist die Beklagte auch Partnerin der Initiative "OpenRewi", eines Zusammenschlusses von Rechtswissenschaftlern, der sich der Nutzung frei zugänglicher Informationen für die rechtswissenschaftliche Forschung verschrieben hat.
2. Bleibt es danach für die Beurteilung des Unterlassungsbegehrens des Klägers bei der Anwendbarkeit des nationalen Rechts, das aufgrund der Bereichsausnahme anstelle der Regelungen der DSGVO Geltung beansprucht, steht dem Kläger auch insoweit kein Unterlassungsanspruch zu. Insbesondere besteht kein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
a) Zwar beeinträchtigt die Veröffentlichung der Entscheidung mit dem Klarnamen des Klägers als Ergebnis der Abwägung mit der Informations- und Medienfreiheit der Beklagten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, weil kein überwiegendes öffentliches Interesse an der beruflichen und finanziellen Situation des Klägers und daran, dass das Versorgungswerk der Rechtsanwälte gegen ihn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen betrieben hat, besteht. Das gilt auch, soweit man berücksichtigt, dass diese Umstände (nur) die Sozialsphäre des Klägers betreffen. Denn es handelt sich um Informationen, die geeignet sind, dem beruflichen Fortkommen des Klägers zu schaden. Es sind keine Gründe ersichtlich, die für ein überwiegendes öffentliches Interesse gerade an der Person des Klägers sprechen. Am Ergebnis dieser Abwägung ändert sich auch dann nichts, wenn, wie die Beklagte vorträgt, der Beschluss in dem den Kläger betreffenden verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren öffentlich verkündet worden sein sollte. Dies gilt bereits deswegen, weil die Gerichtsöffentlichkeit eine andere ist als die Internetöffentlichkeit.
b) Allerdings hat die Beklagte bei der Veröffentlichung des Beschlusses in Wahrnehmung berechtigter Interessen und damit gerechtfertigt gehandelt.
Die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Zusammenhang mit einer Äußerung stellt einen Rechtfertigungsgrund nach § 193 StGB dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB als eine Ausprägung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berücksichtigt und ist im Hinblick auf die Funktion der Presse im demokratischen Staat anerkannt (BGH, Urt. v. 22.12.1959 – VI ZR 175/58 –, BGHZ 31, 308-321, Rn. 9).
Einen Anwendungsfall der Wahrnehmung berechtigter Interessen stellen sog. privilegierte Quellen dar. Verlautbarung von privilegierten Quellen darf ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden (BGH NJW 2014, 2029 Rn. 30, beck-online). Neben dem Umstand, dass amtliche Stellen an die Grundrechte gebunden sind und damit schon ihrerseits vor einer Verlautbarung eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen habe, liegt die Sonderbehandlung privilegierter Quellen auch darin begründet, dass Medienanbieter im Interesse der Gewährleistung einer möglichst breiten Pluralität in die Lage versetzt werden sollen, auch über solche Themen zu berichten, die – gemessen an den zur Verfügung stehenden personellen und wirtschaftlichen Ressourcen – jenseits ihres eigenen "Rechercheradius" liegen (vgl. Korte PresseR, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 241).
Die von der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin veröffentlichten Entscheidungen stellen eine solche privilegierte Quelle dar. Solange für die Beklagte keine konkreten Zweifel daran bestanden, dass eine Veröffentlichung einer Entscheidung in ihrer Datenbank in der identischen Form, wie sie bereits in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin veröffentlicht wurde, Rechte Dritter verletzt, handelte die Beklagte gerechtfertigt und unterlag auch keiner Pflicht zur Nachrecherche (vgl. Korte aaO Rn. 244). Solche Zweifel mussten bei der Beklagten erst mit der Anfrage durch den Kläger entstehen. Hierauf ist die Beklagte unverzüglich tätig geworden und hat den Namen des Klägers aus der Entscheidung entfernt.
II. Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf die Verarbeitung der persönlichen Daten durch die Veröffentlichung des Namens des Klägers zu.
1. Ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO kommt nicht in Betracht. Insoweit ist Art. 82 DSGVO schon nicht anwendbar, weil die in Kapitel II der DSGVO geregelten Grundsätze der Datenverarbeitung und die in Kapitel III der DSGVO geregelten Rechte der betroffenen Person aufgrund der Bereichsausnahme des Art. 85 DSGVO für den vorliegenden Fall nicht anwendbar sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es "auf der Hand, dass ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht auf die Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen durch eine journalistische Tätigkeit gestützt werden kann, wenn die Bestimmungen für die Tätigkeit gar nicht gelten". Dabei spiele auch keine Rolle, dass die Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO die in Kapitel VIII der Verordnung enthaltene Vorschrift des Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht ausdrücklich erfasse (BGH GRUR 2022, 735 Rn. 18, beck-online).
2. Da sich die Veröffentlichung des Namens nach nationalem Recht aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen als gerechtfertigt darstellt, kommt auch ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.
III. Auch im Hinblick auf die vom Kläger als zu spät gerügte Auskunft steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch nicht zu.
1. Art. 82 DSGVO ist insoweit allerdings anwendbar. Denn wenn ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO grundsätzlich besteht, kann im Falle einer Verletzung dieses Auskunftsanspruchs auch ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO bestehen. Der Auskunftsanspruch beurteilt sich vorliegend auch in Ansehung der Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO nach Art. 15 DSGVO. Denn es ist nicht ersichtlich, dass nach nationalem Recht eine Regelung eingreift, die einen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO deswegen ausschließen könnte, weil dies, wie es Art. 85 Abs. 2 DSGVO verlangt, erforderlich wäre, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.
2. Dem Kläger stand ursprünglich ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO zu, denn die Beklagte hat durch die Veröffentlichung des Beschlusses mit dem darin enthaltenen Namen des Klägers und den ihn betreffenden Informationen personenbezogene Daten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO verarbeitet.
3. Im vorliegenden Fall dürfte die Auskunft auch verspätet erteilt worden sein. Gemäß Art. 12 Abs. 3 DSGVO stellt der Verantwortliche der betroffenen Person Informationen über die auf Antrag gemäß den Artikeln 15 bis 22 ergriffenen Maßnahmen unverzüglich, in jedem Fall aber innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zur Verfügung; diese Frist kann um weitere zwei Monate verlängert werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Komplexität und der Anzahl von Anträgen erforderlich ist. Hier hat der Kläger am 05.05.2023 Auskunft verlangt. Die Beklagte hat zwar noch am gleichen Tag geantwortet und die Auskunft auch teilweise erteilt – etwa im Hinblick auf die Herkunft der Daten mitgeteilt, dass die Entscheidung automatisiert aus der amtlichen Datenbank des Landes Berlin übernommen worden sei –, im Übrigen aber auf die allgemeinen Datenschutzinformationen verwiesen. Eine weitergehende und nach Ansicht der Beklagten vollständige Auskunft hat die Beklagte erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens mit der Klagerwiderung vom 20.10.2023 (dort Anlage B 4) erteilt, somit rund 5 Monate nach dem Auskunftsbegehren.
In rechtlicher Hinsicht umstritten ist, ob der Umstand, dass eine Auskunft verspätet erteilt wird, überhaupt einen Schadensersatzanspruch begründen kann. Teilweise wird dagegen eingewandt, dass von Art. 82 DSGVO nur solche Schäden erfasst seien, die "durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung" entstanden sind und dass damit Verstöße gegen Auskunftspflichten aus Art. 12 Abs. 3 bzw. Art. 15 DSGVO nicht als Grundlage für einen Ersatzanspruch dienen können (LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.11.2023 – 3 Sa 285/23 –, Rn. 31, juris; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2021 – 16 O 128/20; aA OLG Köln NJW-RR 2023, 564 Rn. 14, beck-online).
4. Ob die Auskunft verspätet war und eine solche Verspätung einen Schadensersatzanspruch begründen kann, kann hier aber offen bleiben. Denn es fehlt an der schlüssigen Darlegung eines (immateriellen) Schadens, den der Kläger gerade durch die verspätete Auskunft erlitten habe.
Der Begriff des immateriellen Schadens ist autonom unionsrechtlich zu definieren. Der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung reicht nach der Rechtsprechung des EuGH nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen (vgl. EuGH, Urt. v. 20.06.2024 – C-590/22 –, Rn. 24, juris). Allerdings muss ein Schaden nicht einen bestimmten Grad an Schwere oder Erheblichkeit erreichen (vgl. EuGH, Urt. v. 20.06.2024 – C-590/22 –, Rn. 26, juris). Schon der – selbst kurzzeitige – Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten kann einen immateriellen Schaden darstellen, ohne dass dieser Begriff des "immateriellen Schadens" den Nachweis zusätzlicher spürbarer negativer Folgen erfordert (EuGH, Urt. v. 04.10.2024 – C-200/23 –, Rn. 145, 156 i.V.m. 137, juris). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt der bloße Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO dar (BGH, Urt. v. 18.11.2024, VI ZR 10/24, Rn. 27-45).
Der Kläger hat vorgetragen, dass ihm durch die versagte Auskunft ein immaterieller Schaden entstanden sei, da er sich im Ungewissen darüber befinde, welche und wie konkret seine personenbezogenen Daten von der Beklagten verarbeitet wurden und werden. Der hiermit verbundene, sich noch weiter vertiefende Kontrollverlust des Klägers im Hinblick auf den Umgang mit seinen persönlichen Daten sowie die konkrete Gefahr einer Rufschädigung und der Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens sei für den Kläger unzumutbar, spürbar unangenehm und emotional stark belastend. Nachdem die Beklagte mit der Klageerwiderung weitergehende Auskunft erteilt hat, hat der Kläger vorgetragen, ihm sei durch die monatelang versagte Auskunft ein konkreter immaterieller Schaden entstanden, da er sich stets im Ungewissen darüber befunden habe, welche und wie konkret seine personenbezogenen Daten von der Beklagten verarbeitet wurden und werden. Der hiermit verbundene Kontrollverlust des Klägers im Hinblick auf den Umgang mit seinen persönlichen Daten sowie die konkrete Gefahr einer Rufschädigung und der Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens sei für den Kläger unzumutbar, enorm unangenehm und emotional stark belastend.
Dem Vortrag ist nicht zu entnehmen, inwiefern der Kläger allein durch den Umstand, dass die Auskunft verspätet erteilt worden sei, einen immateriellen Schaden erlitten habe. Dies gilt umso mehr, als ein ganz maßgeblicher Bestandteil der Auskunft – nämlich zur Herkunft der Daten – bereits am Tag des Auskunftsbegehrens beantwortet und dem Kläger mit E-Mail vom 05.05.2024 mitgeteilt wurde, dass die Entscheidung in dieser Form aus der amtlichen Entscheidungsdatenbank des Landes Berlin übernommen wurde. Auch war für den Kläger erkennbar, welche personenbezogene Daten die Beklagte veröffentlicht hatte und an wen sie sich mit dieser Veröffentlichung wandte, nämlich an die gesamte Internetöffentlichkeit. Insofern liegt in der bloß zeitlich verzögerten vollständigen Auskunftserteilung auch kein weitergehender Kontrollverlust als der, der bereits durch die nicht hinreichend anonymisierte Veröffentlichung der Entscheidung eingetreten war.
Der Fall liegt auch ganz maßgeblich anders als die vom Kläger angeführte Entscheidung des OLG Köln, worin eine Entschädigung in Höhe von 500 € wegen einer verspäteten Auskunftserteilung zugesprochen wurden. Im dortigen Fall hat die Klägerin von einem Rechtsanwalt die Herausgabe der Handakten zu ihrem Mandat verlangt. Die dortige Klägerin war für eine nicht unerhebliche Dauer vom Rechtsanwalt über das weitere Schicksal des Mandates im Unklaren gelassen worden und war über Monate nicht in der Lage, auf die Handakte zuzugreifen, Kenntnis über den Inhalt der dort gespeicherten Daten zu erlangen und das sie betreffende Verfahren mit dem neuen Prozessbevollmächtigten voran zu treiben (OLG Köln, Urt. v. 14.07.2022 – I-15 U 137/21 –, Rn. 26, juris).
IV. Es besteht auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsverfolgungskosten aus § 823 Abs. 1 BGB. Soweit der Kläger die Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigen mit Schreiben vom 05.05.2023 zur Unterlassung, zur Auskunft sowie zur Zahlung eines Schadensersatzes auffordern ließ, bestehen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nicht, so dass insoweit auch kein Anspruch auf Ersatz von Rechtsverfolgungskosten vorliegen kann. Hinsichtlich der Aufforderung zur Auskunft bestand zum Zeitpunkt des anwaltlichen Tätigwerdens mangels einer vorherigen Aufforderung kein Verzug der Beklagten mit der Auskunft, der für eine Erstattungsfähigkeit – auch in Ermangelung einer vertraglichen Verbindung zwischen den Parteien – aber erforderlich ist.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: