Skip to content

KG Berlin: Amtspflichtverletzung durch Äußerungen eines Staatsanwalts auf einer Pressekonferenz zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren - Anspruch auf Geldentschädigung

KG Berlin
Urteil vom 20.12.2022
9 U 21/21


Das KG Berlin hat in diesem Fall entschieden, dass die Äußerungen eines Staatsanwalts auf einer Pressekonferenz zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eine Amtspflichtverletzung darstellen und somit wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Anspruch auf Geldentschädigung besteht.

Aus den Entscheidungsgründen;:
Die Kläger zu 1) und 2) haben gegen den Beklagten jeweils einen Anspruch auf Leistung von Geldentschädigung für immaterielle Schäden, die ihnen aus schuldhaften Amtspflichtverletzungen des Beklagten erwachsen sind. Diese Ansprüche sind begründet aus der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 839 Absatz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG.

Denn die für den Beklagten handelnden Beamten haben die ihnen den Klägern zu 1) und 2) gegenüber obliegenden Amtspflichten (a) rechtswidrig und schuldhaft (b) und dadurch auch das Persönlichkeitsrecht der Kläger zu 1) und 2) verletzt, wodurch ihnen kausal ein immaterieller Schaden erwachsen ist (c, d), für den der Beklagte an sie eine Geldentschädigung zu leisten hat (e, f).

a) Die von den Klägern beanstandeten Äußerungen des für den Beklagten handelnden Leitenden Oberstaatsanwalt ... auf der Pressekonferenz vom ... waren amtspflichtwidrig.

aa) Bei Presseäußerungen hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Bereich die erforderliche Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Geheimhaltungsinteresse) des jeweils Betroffenen (Artikel 5 Absatz 1 GG einerseits, Artikel 1 Absätze 1, 2 Absatz 1 GG andererseits; BVerfG, Urteil vom 5. Juni 1973 – 1 BvR 536/72 –, juris, Rn. 45; BGH, Urteil vom 15. April 1980 – VI ZR 76/79 –, Rn. 9, juris; BGH Urteil vom 13. November 1990 – VI ZR 104/90 –, Rn. 12, juris; BGH, Urteil vom 12. Oktober 1993 – VI ZR 23/93 –, Rn. 19, juris; BGH, Urteil vom 17. März 1994 – III ZR 15/93 –, Rn. 21, juris) vorzunehmen. Entscheidend ist nicht der reine Wortlaut der Auskunft, sondern der Eindruck, den eine solche zur Veröffentlichung in der Presse bestimmte Auskunft bei den Kreisen hervorrufen muss, an die die Presse sich wendet. Ganz besondere Vorsicht ist aber am Platze, wenn es sich wie hier um eine Auskunft im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens handelt: Ein solches Verfahren wird bereits auf Verdacht hin eröffnet; wird die Auskunft gar noch - wie hier - in einem Stadium erteilt, in dem die Ermittlungen zwar begonnen, aber bei weitem noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis geführt haben, so ist sorgfältig darauf zu achten, dass die Öffentlichkeit durch die Auskunft kein falsches Bild von der Belastung des Betroffenen erhält, zumal der juristisch nicht vorgebildete Laie allzu leicht geneigt ist, die Eröffnung eines solchen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens beinahe mit dem Nachweis der zur Last gelegten Tat gleichzusetzen. Das unkritische Vertrauen, dass die Bevölkerung dem gedruckten Wort entgegenbringt, zwingt die Staatsanwaltschaft, wenn sie Auskünfte an die Presse gibt, im Interesse des Ehrenschutzes des Beschuldigten gerade im Anfangsstadium der Ermittlungen alle Formulierungen zu vermeiden, die geeignet sein können, in der Öffentlichkeit den Gegenstand der Ermittlungen belastender erscheinen zu lassen, als es dem wirklichen Gehalt der dem Beschuldigten gemachten Vorwürfe entspricht (BGH, Urteil vom 29. Mai 1958 – III ZR 38/57 –, juris, Rn. 10; BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99 –, juris, Rn. 19).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe, die auch in die Presserichtlinien für die Berliner Justiz in der hier maßgeblichen Fassung vom ... (JustV IA 2) wie auch Nr. 23 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) vom 1. Januar 1977 eingearbeitet waren, werden die Äußerungen des ehemaligen Leitenden Oberstaatsanwaltes ... den Anforderungen an eine amtspflichtgemäße Information der Öffentlichkeit nicht gerecht. Denn sie waren zum Teil nicht zutreffend (bb), zum Teil unpräzise (cc), im Gesamteindruck vorverurteilend (dd) und in unzulässiger Weise reißerisch formuliert (ee).

bb) Die Informationen der Öffentlichkeit, welche öffentlich verlautbart wurden, waren zum Teil nicht zutreffend, und zwar auch nicht auf der Grundlage der zum damaligen Zeitpunkt nur vorläufigen Ermittlungsergebnisse. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer staatsanwaltschaftlichen Presseinformation ist zunächst überhaupt das Vorliegen eines Mindestbestandes an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2019 – VI-Kart 7/18 (V) –, Rn. 145, juris) und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen. Dies setzt voraus, dass der Verfasser der Presseinformation eine hinreichend sorgfältige Recherche über den Wahrheitsgehalt angestellt hat, wobei die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht umso höher anzusetzen sind, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99 –, juris, Rn. 20; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12 –, Rn. 28; OLG Hamm, Urteil vom 14. November 2014 – I-11 U 129/13 –, Rn. 38, juris). Daran fehlte es hier. Angesichts der Schwere der erhobenen Vorwürfe, welche das Strafgesetzbuch zum Teil sogar im Bereich der Gewaltverbrechen ansiedelt, war dabei ein besonders hoher Sorgfaltsmaßstab anzulegen:

(1) Wenn der Leitende Oberstaatsanwalt ... informierte „alles das, was wir in dem Bereich schwerpunktmäßig neben anderen gewalttätigen Straftaten hier ermittelt haben, ...“, so ist diese Aussage sachlich unzutreffend. Denn es lagen der Staatsanwaltschaft des beklagten Landes keine validen, einer gerichtlichen Überprüfung im Sinne eines hinreichenden Tatverdachtes standhaltenden Ermittlungsergebnisse zu Gewalttaten vor. Dementsprechend wurden schon die Haftbefehle gegen die Kläger zu 1) und 2) vom ... in keiner Weise auf Gewalttaten gestützt, diese Ermittlungen vielmehr fallen gelassen, was den Eindruck erweckt, dass schon die Staatsanwaltschaft selbst keine (vor dem Maßstab des Gesetzes ausreichenden) Anhaltspunkte hatte. Er vertieft die Unrichtigkeit, wenn er äußert „... das System der Prostitution in gewalttätigen... Umfeld bestätigen und unterstützen...“ Sachlich falsch ist auch die Behauptung „... sind Prostituierte ausgebeutet worden, ist Gewalt ausgeübt worden...“ Unzutreffend ist auch die Behauptung, dass es nach den „Ermittlungen, die wir bisher geführt haben, ganz direkte Bezüge zu den hier in ... ansässigen ..., die dort auch ihr Geschäft weitergemacht haben...“ [gebe]. Diesen Verdacht mag die Staatsanwaltschaft (insgeheim) gehegt haben, er mag von der vor der Razzia am ... vernommenen Zeugin ... sehr vage geäußert worden sein, die von einem „sehr, sehr gut[en]“ Verhältnis der Kläger zu 1) und 2) zu den ... sprach, von Absprachen nichts wusste, eine Geschäftsbeziehung verneinte, von Menschenhandel oder Zwang zur Prostitution nichts wusste, lediglich meinte, sie würde sich auch nicht wundern. Die Zeugin verneinte, dass Prostituierte für die Kläger zu 1) und 2) arbeiteten und hatte selbst keinen Arbeitsvertrag unterschrieben. Bestätigen ließ sich der Verdacht aber nicht und war schon gar nicht im Zeitpunkt der Pressekonferenz ausreichend erhärtet. Beruht eine mit einer so erheblichen Ehrenkränkung verbundene Behauptung auf einer derart dürftigen Tatsachen- und Ermittlungsgrundlage, wie dies vorliegend der Fall ist, gebietet eine an den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern ausgerichtete Abwägung der Interessen, die betroffene Person, hier die Kläger, nicht "an den Pranger zu stellen" (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12 –, Rn. 33 anders als hier unter voller Namensnennung).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


Volltext LG Hamburg liegt vor: Einstweilige Verfügung in Sachen Rammstein gegen Spiegel - Verdachtsberichterstattung teilweise rechtswidrig

LG Hamburg
Beschluss vom 14.07.2023
324 O 228/23

Das LG Hamburg hat entschieden, dass die Verdachtsberichterstattung des Spiegels über die Band Rammstein in Teilen rechtswidrig war.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Antragsteller steht der aus dem Tenor ersichtliche Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 analog, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu. Die angegriffene Berichterstattung verletzt den Antragsteller in dem tenorierten Umfang in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

1. Der Antrag zu Ziffer 2. zweiter Spiegelstrich hat Erfolg. Die Äußerung „W. berichtet, dass intern dieser Gang von der After-Show-Party zur After-Aftershow-Party die „Schlampenparade“ genannt werde. Die Frauen, die nicht ausgewählt wurden, blieben danach auf der regulären Party und könnten von Mitarbeitern der Crew angemacht werden, „Resteficken“ heiße das intern.“ verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers. Es handelt sich um eine rechtswidrig verbreitete Verdachtsäußerung der Antragsgegnerin. Die Kammer teilt insoweit nicht die Ansicht des Antragstellers, dass diese Äußerung von der Antragsgegnerin als feststehend verbreitet wird. Der unvoreingenommene und verständige Durchschnittsleser geht nicht davon aus, dass es feststehe, dass die als von S. W. stammend in der Berichterstattung geschilderten Vorwürfe zutreffend seien. Vielmehr ergibt sich aus dem Gesamtkontext, dass dieser in der Berichterstattung geschilderte Sachverhalt von der Antragsgegnerin nur als möglich dargestellt wird. Dies folgt insbesondere aus der unmittelbar den Schilderungen der S. W. vorangestellten Äußerung „Es scheint ein ausgefeiltes System hinter alldem zu stecken. So zumindest stellt es S. W. dar.“ Sodann werden die Schilderungen von Frau W. in der indirekten Rede wiedergegeben und am Ende des Artikels stellt die Antragsgegnerin fest „Es gibt bislang nur Indizien, dass die Geschichten stimmen könnten, es gibt immer mehr Aussagen. Das war bei H. W. am Anfang allerdings auch so.“ Aus dieser konkreten Einbettung folgt, dass die Antragsgegnerin nicht behaupten will, dass die von ihr in dem Artikel dargestellten Vorwürfe zutreffend seien, sondern dass sie dies lediglich für möglich erachtet. Dies gilt auch für die von S. W. wiedergegeben und hier angegriffenen Begebenheiten, welche die Antragsgegnerin als von S. W. berichtet darstellt.

Die Äußerung ist dennoch rechtswidrig verbreitet, da prozessual nicht von dem Vorliegen eines für die Veröffentlichung ausreichenden Mindestbestands an Beweistatsachen ausgegangen werden kann. Es kann prozessual nicht davon ausgegangen werden, dass die Verwendung der von dem Antragsteller angegriffenen Begriffe bei der Crew der Band R. ständige Praxis war. Der Antragsteller hat mit Nichtwissen bestritten, dass der Gang von der Aftershow-Party zur After-Aftershow-Party intern, also unter der Konzert-Crew, als „Schlampenparade“ bezeichnet werde. Gleiches gelte für die Behauptung, Frauen, die nicht ausgewählt werden würden, blieben auf der regulären Aftershow-Party und könnten von Mitarbeitern der Crew angemacht werden sowie für die Bezeichnung dieses Vorgehens als „Resteficken.“ Er hat ausgeführt, dass ihm derartige Bezeichnungen nicht bekannt seien und dass er noch nie davon gehört habe, dass die Konzert-Crew derartige Bezeichnungen im Zusammenhang mit den dargestellten Vorwürfen verwende. Der Antragsteller hat mithin dargelegt, dass er keine eigene Wahrnehmung zu den von der Antragsgegnerin behaupteten Vorwürfen hat. Das Bestreiten mit Nichtwissen stellt sich als zulässig im Sinne von § 138 Abs. 4 ZPO dar. Der Antragsteller hatte auch keine weiteren Erkundigungen einzuholen, da die diesbezüglichen Angaben der Antragsgegnerin, die sich auf die eidesstattliche Versicherung von Frau W. beruft, vollkommen offenlassen, zu welchen Zeitpunkten und in welchem Kontext die Äußerungen gefallen sein sollen.

Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Antragsgegnerin eine eidesstattliche Versicherung der Zeugin W. vorlegt (Anlage AG3), welche schildert, dass sie mehrfach die Begriffe „Resteficken“ und „Schlampenparade“ in dem in der Berichterstattung dargestellten Zusammenhang von den Crewmitgliedern gehört habe, vermag die Kammer nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass die in der Berichterstattung enthaltenen Vorwürfe als glaubhaft gemacht zu behandeln sind. Denn die eidesstattliche Versicherung der Zeugin W., Anlage AG3, ist insoweit nicht geeignet, den in der Berichterstattung transportierten Verdacht, der Gang von der Aftershow-Party zur After-Aftershow-Party werde intern als „Schlampenparade“ bezeichnet, der Umstand, dass sich Crewmitarbeiter an die auf der Aftershow-Party verbleibenden Mädchen heranmachen würden als „Resteficken“, als glaubhaft gemacht anzusehen. Die Antragsgegnerin transportiert in der Berichterstattung den Verdacht, die von dem Antragsteller angegriffenen Bezeichnungen seien gängige Praxis gewesen. Dies geht allerdings über das hinaus, was die Zeugin W. in ihrer eidesstattlichen Versicherung angegeben hat. Denn insoweit führt sie ohne weitere Angaben von Ort und Zeit und ohne Angabe, wer sich ihr gegenüber entsprechend geäußert habe, lediglich aus, dass sie diese Begriffe mehrfach von Crewmitgliedern gehört habe. Dass es sich bei diesen Bezeichnungen um ständige Übung handelt, so das sich aus der Berichterstattung ergebende Verständnis, folgt aus der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin W. nicht. Vielmehr lässt sich dieser lediglich entnehmen, dass die Zeugin W. diese Begriffe mehrfach gehört habe, ohne dass Angaben zu der Häufigkeit der Verwendung gemacht wurden.

Kann prozessual nicht davon ausgegangen werden, dass die angegriffenen Vorwürfe zutreffend sind, liegt auch der für eine Verdachtsberichterstattung erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen nicht vor. Die Kammer geht davon aus, dass die eidesstattlich versicherten Angaben der Zeugin W., welche der Antragsgegnerin im Berichterstattungszeitpunkt vorlagen, auch nicht geeignet sind, den für eine Verdachtsberichterstattung erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen darzustellen. Denn wie dargelegt transportiert die Antragsgegnerin den Verdacht, dass die Benutzung der Bergriffe üblich gewesen sei, es sich mithin um ständige Übung gehandelt habe. Dies aber lässt sich der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin W. nicht entnehmen.

Der rechtswidrig verbreitete Verdacht ist für den Antragsteller auch von persönlichkeitsrechtlicher Relevanz. Zwar handelt es sich nicht um Vorwürfe, welche dem Antragsteller persönlich gemacht werden. Indes sollen sie sich rund um die Konzerte der Band R. zugetragen haben, deren Frontmann der Antragsteller ist, sodass er auch selbst betroffen ist. Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass die Vorwürfe den Antragsteller auch deshalb nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen, da er die Ausführungen der Antragsgegnerin betreffend das Vorhalten einer „Suck Box“ bei seinen Konzerten, in welcher er sich regelmäßig einen „Blowjob“ habe verpassen lassen, nicht in Abrede genommen hat. Die angegriffenen Vorwürfe sind ehrenrührig, da sie transportieren, dass die Frauen auf den Konzerten der Band R. despektierlich und abwertend behandelt werden. Auch wenn weiteres unstreitiges Handeln des Antragstellers und der Band bzw. ihres Umfelds von manchen Lesern ebenfalls als abwertend und despektierlich gegenüber Frauen bewertet werden kann, so muss es der Antragsteller nicht hinnehmen, dass ein entsprechender konkreter Vorwurf verbreitet wird, der keine ausreichende tatsächliche Stütze findet.

2. Soweit sich der Antragsteller mit dem Antrag zu 2. dritter Spiegelstrich gegen die Äußerung „Einmal, nach einem Konzert in München 2019, erinnert sich W., sei es auf der After-Aftershow-Party zu einem lautstarken Streit zwischen L. und K. gekommen. Sie hätten sich dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht und sich angeschrien, die ungefähr 20-jährige Frau habe verstört gewirkt.“ wendet, handelt es sich um eine rechtswidrige Verdachtsberichterstattung. Die Kammer teilt insoweit wiederum nicht die Ansicht des Antragstellers, dass der geschilderte Streit von der Antragsgegnerin als so tatsächlich geschehen behauptet wird. Der unvoreingenommene und verständige Durchschnittsleser geht nach Auffassung der Kammer nicht davon aus, dass es feststehe, dass die als von S. W. in der Berichterstattung geschilderten Vorwürfe zutreffend seien. Vielmehr ergibt sich aus den soeben dargestellten Gründen unter Berücksichtigung des Gesamtkontexts der Berichterstattung, dass dieser in der Berichterstattung geschilderte Sachverhalt von der Antragsgegnerin nur als möglich erachtet wird.

Der so von der Antragsgegnerin verbreitete Verdacht, es sei auf einer After-Aftershow-Party zu einem lautstarken Streit zwischen L. und K. gekommen. Sie hätten sich dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht und sich angeschrien, die ungefähr 20-jährige Frau habe verstört gewirkt, ist indes rechtswidrig verbreitet, da die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung nicht vorliegen. Insoweit fehlt es hinsichtlich des konkreten Vorwurfs an dem erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen, welcher der Berichterstattung Öffentlichkeitswert verleiht.

Prozessual kann nicht davon ausgegangen werden, dass der in der Berichterstattung geschilderte Vorfall mit dem transportierten Hintergrund tatsächlich stattgefunden hat. Der Antragsteller hat bestritten, dass es zwischen R. K. und ihm zu einem lautstarken Streit um ein Mädchen gekommen sei, das sich beide zum Sex ausgesucht hatten. Die Antragsgegnerin beruft sich zur Begründung des im Berichterstattungszeitpunkt vorliegenden Mindestbestands an Beweistatsachen für den von ihr verbreiteten Verdacht auf die Zeugin S. W., welche die von ihr gegenüber der Antragsgegnerin geschilderten Angaben an Eides statt versichert hat. Indes hat die Zeugin den Sachverhalt gegenüber der Antragsgegnerin im Berichterstattungszeitpunkt nicht wie in der Berichterstattung niedergelegt geschildert.

Insoweit hat die Zeugin W., wie aus der Anlage AG3 ersichtlich, der Antragsgegnerin gegenüber angegeben: „In München gab es während der Tour 2019 einen Vorfall, bei dem T. L. und R. K. sich lautstark im Backstage stritten. Beide hatten sich auf der After-Aftershow-Party offenbar dasselbe Mädchen „ausgesucht“, um Sex mit ihr zu haben. (…)“ Hieraus wird deutlich, dass die Zeugin den Streit zwischen dem Antragsteller und Herrn L. aus eigener Wahrnehmung schildert, hinsichtlich des Grund des Streits aber Mutmaßungen anstellt. Insoweit unterscheidet sich die eidesstattliche Versicherung, welche ja die gegenüber der Antragsgegnerin geschilderte Einlassung der Zeugin „abdecken“ soll, von der Berichterstattung, in welcher es konkret heißt:

„Einmal, nach einem Konzert in München 2019, erinnert sich W., sei es auf der After-Aftershow-Party zu einem lautstarken Streit zwischen L. und K. gekommen. Sie hätten sich dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht und sich angeschrien, die ungefähr 20-jährige Frau habe verstört gewirkt.“ (Anlage Ast6) bzw. „Einmal, nach einem Konzert in München 2019, erinnert sich W., sei es auf der After-Aftershow-Party zu einem lautstarken Streit zwischen L. und Gitarrist R. K. gekommen. Sie hätten sich dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht und sich angeschrien, die ungefähr 20-jährige Frau habe verstört gewirkt. (Anlage Ast7).

Randnummer15
Das Verständnis, das ein unvoreingenommener und verständiger Durchschnittsleser der Berichterstattung entnimmt, ist, dass die Zeugin W. sowohl den Streit selbst als auch dessen Grund selbst wahrgenommen hat. Dafür fand sich bereits im Berichterstattungszeitpunkt in der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung keine ausreichende Grundlage, da die Zeugin W. in dieser offenlegt, dass der Grund des Streits nicht auf einer sicheren Kenntnis beruht („offenbar“). Schon aus diesem Grund durfte die Antragsgegnerin nicht wie geschehen berichten, da für den in der Berichterstattung transportierten Verdachtsmoment keine ausreichende Tatsachengrundlage vorlag.

Es liegt auch trotz der mit Schriftsatz vom 10.07.2023 (dort auf Seite 12) abgegebenen Unterlassungsverpflichtungserklärung die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr vor. Denn auch wenn die Antragsgegnerin sich verpflichtet hat, die Passage nur noch wie folgt zu verbreiten: „„Einmal, nach einem Konzert in München 2019, erinnert sich W., sei es auf der After-Aftershow-Party zu einem lautstarken Streit zwischen L. und K. gekommen. Sie hätten sich offenbar dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht und sich angeschrien, die ungefähr 20-jährige Frau habe verstört gewirkt.“ ist die Verdachtsberichterstattung weiterhin als rechtswidrig verbreitet anzusehen. Die Unterlassungsverpflichtungserklärung ist inhaltlich nicht ausreichend, um die Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Denn die angegriffene Passage wird weiterhin rechtswidrig verbreitet.

Die Kammer geht davon aus, dass aufgrund des Umstands, dass die Zeugin W. den Grund des Streits auch nach eigenen Angaben nicht persönlich mitbekommen hat, er insoweit also nicht auf ihrer eigenen Wahrnehmung beruht, sondern nur auf einer entsprechenden Mitteilung ihres damaligen Partners, der für die Verbreitung des Verdachts erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen nicht vorliegt. Es handelt sich um einen für den Antragsteller stark ehrenrührigen Vorwurf, dessen Stattfinden er in Abrede nimmt.

Der Vorfall kann nicht als prozessual unstreitig behandelt werden. Zwar hat der Antragsteller das Stattfinden des Vorfalls nur einfach bestritten und keine entsprechende eidesstattliche Versicherung vorgelegt, während die Antragsgegnerin sich zur Glaubhaftmachung des Vortrags auf die eidesstattliche Versicherung der Zeugin S. W. berufen hat. Indes hat diese – wie bereits ausgeführt – den Grund des von ihr geschilderten Streits nicht selbst wahrgenommen, sondern selbst insoweit eine Unsicherheit aufgewiesen, als dass dies „offenbar“ der Grund des von ihr erlebten Streits gewesen sei. In einer späteren eidesstattlichen Versicherung hat sie präzisiert, nur Zeugin vom Hörensagen gewesen zu sein. Auch wenn dem Umstand, dass die Zeugin ihre Angaben an Eides statt versichert hat, ein erhebliches Gewicht zukommt, während der Antragsteller den Vorfall nur einfach bestritten hat, vermag die Kammer nicht zu der Überzeugung gelangen, dass es tatsächlich bei einer After-Aftershow-Party anlässlich eines R.-Konzerts in München 2019 zu einem Streit zwischen dem Antragsteller und R. K. gekommen ist, da sich beide dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht hatten. Dies insbesondere, da die Zeugin selbst keine eigene Wahrnehmung jedenfalls den Grund des Streits betreffend hat.

Aus diesem Grund ist allein die eidesstattliche Versicherung der Zeugin W. auch nicht geeignet, den für die vorliegende Verdachtsberichterstattung erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen darzustellen. Auch wenn der Leser nun erkennen kann, dass die Zeugin keine sichere Kenntnis hat, was der Grund des von ihr geschilderten Streits gewesen sei, so entnimmt er dennoch der Darstellung die Möglichkeit, R. K. und der Antragsteller hätten sich dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht, weswegen es zum Streit zwischen ihnen gekommen sei. Insoweit bleibt auch bei dieser Darstellung ein gewichtiger Verdacht gegenüber dem Antragsteller bestehen, für welchen der erforderliche Mindestbestand nicht vorliegt.

3. Auch der Antrag zu 3. hat Erfolg. Es handelt sich um eine rechtswidrige Verdachtsberichterstattung, welche den Antragsteller in seinem geschützten Persönlichkeitsrecht verletzt. Die Kammer geht davon aus, dass der von dem Antragsteller mit dem Antrag zu 3. angegriffene Verdacht, der Antragsteller habe Frauen bei Konzerten der Gruppe „R.“ mithilfe von K.O.Tropfen und/oder Drogen und/oder Alkohol betäubt oder betäuben lassen, um ihm zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an den Frauen vornehmen zu können, aus der Sicht des maßgeblichen unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittslesers tatsächlich erweckt wird. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Schilderung der gegenüber dem Antragsteller existierenden Vorwürfe wie folgt eingeleitet wird: „Es gibt Vorwürfe von Frauen, dass T. L., 60, der Sänger der B. Band R. und wahrscheinlich der einzige wirklich weltberühmte deutsche Rocker, rund um Konzerte Frauen belästigt haben soll. Einige Frauen vermuten, ihnen seien Drogen ins Getränk gemischt worden. L.s Leute sollen ein perfides Casting-System für Groupies unterhalten und Sex mit ihnen organisiert haben.“ Kurz danach heißt es: „Kann man zusammenbleiben, wenn dem eigenen Frontmann solche Vorwürfe gemacht werden?“ Sodann werden Fälle geschildert, in denen junge Frauen nach dem Konsum von Getränken Erinnerungslücken beschreiben und Sex mit dem Antragsteller hatten bzw. von diesem nach solchem gefragt wurden. Insoweit heißt es bei der Irin S. L., die auf einem Konzert „gespiked“ worden sein soll, dass diese zuvor auf einer Pre-Party mit dem Antragsteller eingeladen gewesen sei. Dort sei ihr ein Drink angeboten worden. Später sei ihre Erinnerung abgerissen. Der Antragsteller habe sie später gefragt, ob sie Sex mit ihm wolle. Auch der in der Berichterstattung als „Z.“ bezeichnete weibliche Fan gibt an, dass sie nach dem nur maßvollen Konsum von Alkohol zu dem Antragsteller in das Hotel gefahren sei, dort sei es dann zum Sex mit dem Antragsteller gekommen, ihre Erinnerungen seien verschwommen, sie habe sich nicht aufrecht halten können. „A.“ teilt ebenfalls mit, zu dem Antragsteller in ein Hotel gebracht worden zu sein. Dort habe sie Wodka bekommen, dann begännen ihre Erinnerungen lückenhaft zu werden. Sie habe neben dem Antragsteller gesessen, das wisse sie noch. Als sie aufgewacht sei, habe der Antragsteller auf ihr gelegen. Die Antragsgegnerin führt nach der Schilderung der von den drei Frauen dargestellten Vorwürfe weiter aus: „Es zeichnet sich ein ähnliches Muster ab. In all den Verdachtsfällen, die bisher bekannt sind. (…) Es scheint ein ausgefeiltes System hinter alldem zu stecken.“ Sodann fährt die Berichterstattung mit den Schilderungen der Zeugin S. W. fort, die davon berichtet, dass ihr eine von einer Pre-Party kommende Teilnehmerin dieser Party, die sehr betrunken gewesen sei, berichtet habe, dass es auf der Pre-Party Alkohol gegeben habe, sie schon auf mehreren dieser Partys gewesen sei und der Antragsteller immer dabei sei. Eine andere Teilnehmerin dieser Party habe vollkommen überdreht gewirkt und es sei ihr sichtbar schwergefallen, eine Unterhaltung zu führen. Im weiteren Verlauf des Artikels nimmt die Antragsgegnerin Bezug auf von dem Antragsteller veröffentlichte Poesie, in welcher dieser unter anderem schreibt: „Ich schlafe gern mit dir wenn du schläfst, wenn du dich überhaupt nicht regst.“ sowie „Und genauso soll das sein (so soll das sein so macht das Spaß), etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas).“ und bezeichnet diese als Vergewaltigungsfantasien. Von diesen Fantasien heißt es bereits in der Unterüberschrift der Print-Berichterstattung (Anlage Ast7), dass sie Wirklichkeit geworden sein könnten, was als sich auch auf die Gabe von Rohypnol beziehend verstanden wird.

Dem dargestellten Kontext entnimmt der Durchschnittsleser das Verständnis, dass der Antragsteller selbst oder mit seinem Wissen und Wollen durch „seine Leute“ ein System unterhalten haben könnte, in dem Frauen im Umfeld der Konzerte der Band R. K.O-Tropfen und/oder Drogen und/oder Alkohol verabreicht wurden, damit diese mit dem Antragsteller Sex haben bzw. er sexuelle Handlungen an diesen vornehmen könne. Zwar lässt sich den wiedergegebenen Schilderungen der in der Berichterstattung genannten Konzertbesucherinnen nicht entnehmen, dass diese tatsächliche Anhaltspunkte dafür haben, dass der Antragsteller ihnen Drogen/K.O.-Tropfen/Alkohol verabreicht hat, damit er im Anschluss mit diesen Sex haben bzw. sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen könne. Allerdings wird dieser Verdacht durch die von der Antragsgegnerin gewählte konkrete Einbettung der Aussagen der Zeuginnen mit den vorstehend wiedergegebenen Passagen des Artikels erweckt.

Die Kammer hat dabei auch den Einwand der Antragsgegnerin berücksichtigt, dass der Leser der Berichterstattung keinen Verdacht entnehme, er erkenne vielmehr, dass insoweit lediglich Vermutungen angestellt würden. Doch auch wenn der Grat zwischen einer als Meinungsäußerung einzuordnenden Vermutung und der Erweckung eines tatsächlichen Verdachts mitunter schmal ist, ist hier von letzterem auszugehen. Denn die Berichterstattung wird nicht nur mit dem gegenüber dem Antragsteller erhobenen Vorwürfen der Belästigung von Frauen rund um Konzerte eingeleitet. Nach dem Hinweis darauf, dass einige Frauen vermuten, ihnen seien Drogen ins Getränk gemischt worden, und dass „die Leute“ des Antragstellers ein perfides Castingsystem für Groupies unterhalten und Sex mit ihnen organisiert haben sollen, fragt die Antragsgegnerin „Kann man zusammenbleiben, wenn dem eigenen Frontmann solche Vorwürfe gemacht werden?“ Sodann schildert die Berichterstattung drei Situationen von Frauen, die bei einem Zusammentreffen mit dem Antragsteller nach eigenen Angaben nicht mehr bei vollem Bewusstsein waren bzw. Erinnerungslücken aufwiesen und die jeweils Sex mit dem Antragsteller hatten bzw. jedenfalls deswegen angefragt wurden (S. L.). Diese Schilderungen der Frauen, auch wenn sie – wie ausgeführt – jeweils für sich genommen den angegriffenen Verdacht nicht transportieren, stellen sich in dem konkreten Kontext als die vorher aufgeworfenen Vorwürfe gegen den Antragsteller bestätigend dar, sie untermauern diese mit tatsächlichem Geschehen. Diese Darstellung setzt sich später mit dem Hinweis darauf, dass der Antragsteller bereits früher in Form von Poesie Vergewaltigungsfantasien gehegt habe, fort und verfestigt damit weiter die bereits zu Beginn der Berichterstattung aufgeworfenen Vorwürfe.

Für diesen so verstandenen und den Antragsteller äußerst schwerwiegend belastenden Verdacht, den der Antragsteller in Abrede genommen hat, fehlt es an dem erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen. Keine Aussage der Zeuginnen, welche ihre Angaben an Eides statt versichert haben bzw. gegenüber den Autorinnen der Antragsgegnerin getätigt haben (vgl. eidesstattliche Versicherungen der Autorinnen der Antragsgegnerin als Anlagen AG8 und AG9) trägt den Verdacht, dass der Antragsteller Frauen bei Konzerten mit Hilfe von K.O.-Tropfen/Alkohol/Drogen betäubt hat bzw. hat betäuben lassen, um ihm zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an den Frauen vornehmen zu können. Insoweit verweist die Antragsgegnerin selbst darauf, dass die Frauen jeweils nur Vermutungen anstellen, sie könnten „gespiked“ worden sein, keine aber behaupte bzw. es nur als möglich darstelle, dass dies von dem Antragsteller mit der Zielrichtung Sex initiiert worden sei. Einzig die Zeugin W. versichert an Eides statt, dass der Antragsteller und A. M. ein System geschaffen hätten, bei dem junge Mädchen unter falschen Vorwänden zu Konzerten und Partys eingeladen werden, auf denen sie Alkohol und Drogen bekommen. Das Ziel dieser Partys sei es, T. L. mit Sexpartnerinnen zu versorgen. Diese Aussage allein ist indes nicht geeignet, den Mindestbestand für den wie dargestellt schwer ehrenrührigen Verdacht zu tragen. Auch eine Gesamtschau des Vortrags der Zeuginnen und der entsprechenden eidesstattlichen Versicherungen führt zu keiner anderen Bewertung.

Die Kammer hat bei der Tenorierung von § 938 Abs. 1 ZPO Gebrauch gemacht und den Antrag des Antragstellers insoweit um eine Passage ergänzt, die nach ihrer Auffassung den beanstandeten Verdacht komplettiert. Damit ist die Kammer nicht über das Antragsbegehren hinausgegangen, da sich dieses auf den zu untersagenden Verdacht und nicht auf die einzelnen Äußerungen bezieht (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 21.05.2019 - 7 U 109/18).

II.
1.
Keinen Erfolg hat der Antrag des Antragstellers, soweit er sich mit dem Antrag zu 1.) gegen die Berichterstattung wendet, mit welcher die Antragsgegnerin die Erlebnisse von „Z.“ und „A.“ mit dem Antragsteller schildert.

Randnummer26
Diese Berichterstattung verletzt den Antragsteller nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, da es sich um eine rechtmäßige Verdachtsberichterstattung handelt. Der für eine Verdachtsberichterstattung erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen liegt vor (a). Auch die weiteren Voraussetzungen einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung sind gegeben (b).

a) Hinsichtlich der Vorwürfe, welche die in der Berichterstattung als „Z.“ bezeichnete Frau betreffen, ist davon auszugehen, dass das Aufeinandertreffen des Antragstellers mit dieser Frau, bei der es sich um Frau J. handelt (eidesstattliche Versicherung als Anlage Ag1), und auch ein stattgefundener sexueller Kontakt unstreitig sind, der Antragsteller indes in Abrede nimmt, dass der Sex hart und brutal gewesen sei, dass er den Kopf von Frau J. über das Bettende gedrückt habe, um hiernach „Facefucking“ an ihr vorzunehmen, dass er das Gesicht von Frau J. hart in das Bett gedrückt habe und dass er am nächsten Morgen diese sexuellen Handlungen an Frau J. fortgesetzt habe, obwohl diese vorher gesagt habe, dass irgendwas bei ihr nicht laufe.

Nicht entschieden werden muss hier, ob vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerin eine eidesstattliche Versicherung der Frau J. zur Akte gereicht hat, in welcher diese die in der Berichterstattung wiedergegebenen Vorwürfe an Eides statt versichert, während der Antragsteller selbst sich nur auf einfaches Bestreiten ohne weitere Glaubhaftmachungsmittel beschränkt, von der prozessualen Wahrheit des verbreiteten Verdachts auszugehen ist, da die Antragsgegnerin insoweit nur einen Verdacht verbreitet hat, für den von dem Vorliegen des erforderlichen Mindestbestands an Beweistatsachen auszugehen ist.

Im Rahmen der bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung besonders sorgfältig vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist im Ausgangspunkt festzuhalten, dass die Rechtspositionen im vorliegenden Fall auf beiden Seiten ein hohes Gewicht aufweisen: So besteht nicht zuletzt aufgrund der nachdrücklich und mit hoher medialer Aufmerksamkeit geführten „MeToo-Debatte“ein großes öffentliches Interesse an einer diese Thematik betreffenden Berichterstattung. Dies gilt erst recht, wenn sich die Vorwürfe gegen eine so bekannte Person wie den Antragsteller richten und ganz aktuell eine große öffentliche Debatte um Geschehnisse rund um die Konzerte von dessen Band geführt wird. Auf Seiten des Antragstellers ist zu berücksichtigen, dass die öffentliche Diskussion der gegen ihn erhobenen Vorwürfe eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Antragstellers zur Folge hat. Die Kammer ist im Rahmen dieser Abwägung auch unter Berücksichtigung der für den Antragsteller geltenden Unschuldsvermutung zu dem Ergebnis gelangt, dass sein Persönlichkeitsrecht gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem damit korrespondierenden Berichterstattungsinteresse der Antragsgegnerin vorliegend nicht überwiegt.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist das überwiegende Berichterstattungsinteresse der Antragsgegnerin nicht bereits deswegen zu verneinen, weil die Schilderungen die absolut geschützte Intimsphäre des Antragstellers berührten. Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass Angaben über das Sexualleben und insbesondere sehr detaillierte Schilderungen eines stattgefundenen sexuellen Kontakts grundsätzlich die Intimsphäre einer Person berühren und als solche in der Regel einer Abwägung nicht zugänglich sind (vgl. BGH, NJW 2012, 767). Ob ein Sachverhalt auch im konkret zu beurteilenden Einzelfall der Intimsphäre einer Person zuzuordnen ist, lässt sich indes nicht schematisch bzw. thematisch bestimmen, sondern beurteilt sich anhand der besonderen Voraussetzungen des jeweiligen Einzelfalls, unter anderem auch danach, inwieweit der Betroffene sein Sexualleben bisher hat geheim halten wollen und in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft berührt bzw. inwieweit Einzelheiten berichtet werden (vgl. Korte, Presserecht, 2. Aufl. <2019>, § 2 Rn. 62).

Vorliegend war von der Kammer bei der Frage, ob von einer Betroffenheit der Intimsphäre des Antragstellers auszugehen ist, zu berücksichtigen, dass die Berichterstattung sehr detaillierte Einzelheiten des Sexualkontakts offenbart und dies für den Antragsteller aufgrund der ihm dort zugeschriebene Rolle und seines als möglich dargestellten Verhaltens äußerst ehrabträglich ist. Es war allerdings auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller Teile seines Sexuallebens in die Öffentlichkeit getragen und diese sogar an einem tatsächlich stattgefundenen Geschlechtsakt hat teilhaben lassen, indem er auf einem Konzert ein Video hat einblenden lassen, das zeigt, wie er in einer unter der Bühne eigens dafür installierten Vorrichtung Sex mit Besucherinnen seines Konzerts hat. Der Antragsteller hat mithin die Durchführung eines sexuellen Akts unter seiner Beteiligung von sich aus in die Öffentlichkeit gebracht.

Auch wenn es vorliegend nicht um Sex geht, der in der unstreitig unter der Bühne vorgehaltenen Einrichtung stattgefunden hat, so liegt eine Vergleichbarkeit der Situationen insoweit vor, als dass der Sex mit „Z.“, der Zeugin J., auch im unmittelbaren Zusammenhang mit einem öffentlichen Konzert des Antragstellers stattgefunden hat und dass es sich bei Frau J. ebenso wie bei den in dem eingeblendeten Video beteiligten Frauen um eine Konzertbesucherin handelte. Diese hat zudem an dem Antragsteller unstreitig vor der sich anschließenden Zweisamkeit im Hotelzimmer in Anwesenheit mehrerer Personen Oralverkehr durchgeführt.

Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der von dem Antragsteller selbst in der Öffentlichkeit gezeigte Sexualkontakt und der in dieser Berichterstattung beschriebene Sexualkontakt, davon muss prozessual ausgegangen werden, unter ähnlichen Umständen zu Stande gekommen sind, und der Antragsteller mit dem Zeigen des Videos während eines Konzerts deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er hinsichtlich der in der eigens installierten Vorrichtung beschriebenen Vorgänge kein Geheimhaltungsbedürfnis verspürt, kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass die Schilderungen des stattgefundenen Sexualkontakts mit der Zeugin J., in der Berichterstattung als „Z.“ bezeichnet, in die Intimsphäre des Antragstellers eingreifen.

Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, dass das weiterhin von der Antragsgegnerin angeführte Pornovideo, dessen Inhalt auf der Seite 10 f. der Antragserwiderung vom 28.06.2023 genannt wird, bei der Beurteilung der Frage, ob eine Betroffenheit der Intimsphäre vorliegt oder nicht, keine Rolle gespielt hat. Denn dabei handelt es sich um ein Video, das der Antragsteller im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gedreht hat und an dessen Erstellung freiwillige und professionelle Pornodarsteller mitgewirkt haben. Berufliche sexuelle Kontakte bzw. eine entsprechende Darstellung lassen nicht auf einen verringerten Schutz der Intimsphäre auch für andere Situationen schließen. Zudem weist die Kammer aus Klarstellungsgründen darauf hin, dass sie für die Inhalte des bei dem Konzert gezeigten Videos aus der dafür vorgehaltenen Vorrichtung nicht das Video selbst, das in diesem Verfahren nicht eingereicht wurde, sondern die Schilderungen der Antragsgegnerin vom Inhalt des Videos zu Grunde gelegt hat.

Ist zu Grunde zu legen, dass die Schilderung des Sexualkontakts zwischen dem Antragsteller und „Z.“ nicht als der Intimsphäre des Antragstellers zugehörig anzusehen ist, ist von einem Überwiegen des Berichterstattungsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber den Privatheitsinteressen des Antragstellers auszugehen.

Die Antragsgegnerin hat sich darauf berufen, dass ihre Berichterstattung auf den Schilderungen der Frau J. beruhe, welche ihre Angaben bereits im Berichterstattungszeitpunkt an Eides statt versichert hatte. Aus der Anlage AG1 ergibt sich, dass Frau J. die Angaben gegenüber der Antragsgegnerin so getätigt hat, wie sie sich in der Berichterstattung wiederfinden. Diese Angaben von Frau J. stellen zur Überzeugung der Kammer auch hinsichtlich des zwischen den Parteien streitigen Teils der (sexuellen) Begegnung zwischen dem Antragsteller und Frau J. den für eine Verdachtsberichterstattung erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen, welcher dieser Öffentlichkeitswert verleiht, dar.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es für die Vorwürfe neben dem Antragsteller und Frau J. keine weiteren Zeugen gibt und dass es sich um eine Aussage gegen Aussage Konstellation handelt. Dennoch geht die Kammer davon aus, dass die eidesstattliche Versicherung von Frau J. im Berichterstattungszeitpunkt ausreichend war, um wie geschehen zu berichten. Zwar handelt es sich, wie ausgeführt, um die eidesstattliche Versicherung nur einer Zeugin. Indes ist das Geschehen auch nur dieser Zeugin und dem Antragsteller bekannt. Würde man davon ausgehen, dass immer dann, wenn es aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls nur eine Zeugin geben kann, der erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen nicht vorliegt, würde dies dazu führen, dass über einen möglichen Vorfall wie den vorliegenden nie berichtet werden dürfte. Dies mag das zutreffende Ergebnis sein, wenn es neben der Aussage nur einer Person keine weiteren Anhaltspunkte bzw. Indizien gibt, die für den Wahrheitsgehalt des Verdachts sprechen. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Denn insoweit hat in die Bewertung des Vorliegens des Mindestbestands an Beweistatsachen einzufließen, dass auch die in der Berichterstattung als „A.“ bezeichnete Frau S. einen sexuellen Kontakt mit dem Antragsteller schildert, bei dem sie nicht vollständig „Herrin ihrer Sinne“ gewesen sein soll und bei dem der Antragsteller dennoch sexuelle Handlungen an bzw. mit ihr vorgenommen haben soll. Zudem handelte es sich auch bei der Zeugin S. um eine Besucherin seines Konzerts und der sich daran anschließenden After-Aftershow-Party. Der Umstand, dass der Antragsgegnerin gleich zwei sich ähnelnde Vorfälle geschildert und an Eides statt versichert wurden, verstärkt den sich der Antragsgegnerin im Berichterstattungszeitpunkt präsentierenden Mindestbestand für den von ihr verbreiteten Verdacht.

Auch wenn die Vorgänge wie dargelegt nicht die absolut geschützte Intimsphäre des Antragstellers berühren, war in die vorzunehmende Abwägung dennoch einzustellen, dass die Vorwürfe äußerst privat sind und von dem Antragsteller ein sehr ehrabträgliches Bild gezeichnet wird. Insoweit hatte die Kammer sehr sorgfältig zu prüfen, ob angesichts der Massivität der Vorwürfe und der Detailtiefe der Schilderungen von einem Überwiegen des Berichterstattungsinteresses der Antragsgegnerin auch bei Vorliegen des Mindestbestands ausgegangen werden kann. Dies hat die Kammer im Ergebnis unter der Berücksichtigung bejaht, dass es unstreitig im Umfeld des Antragstellers ein System gab, bei dem im Vorfeld von Konzerten Teilnehmende für die Partys und die „Row Zero“ ausgewählt wurden, welche sich vorab per Fotos und Videos beworben hatten und bei denen auch auf das Outfit geachtet wurde, dass die Antragsgegnerin durch die Vorlage von mehreren eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemacht hat, dass die Teilnehmerinnen dieser Partys von dem Antragsteller selbst nach Sex gefragt wurden und dass es auch zu Sex mit den Teilnehmerinnen gekommen ist, dass dieser unstreitig in einer eigens dafür vorgehaltenen Vorrichtung hinter/unter der Bühne mit Teilnehmerinnen der Row Zero Sexualkontakte hatte und dass die Antragsgegnerin insgesamt das Vorliegen eines Systems glaubhaft gemacht hat, bei dem Frauen für die „Row Zero“ bzw. entsprechende Partys mit der Band des Antragstellers rekrutiert wurden, bei welchen es jedenfalls reichlich Alkohol gab und bei denen sexuelle Kontakte des Antragstellers mit den rekrutierten Frauen üblich waren. Dass eine Band ein solches System unterhält, ist ein Vorgang von hohem öffentlichen Interesse, der besonders bemerkenswert ist. In diesem Kontext stehen die vorliegend streitgegenständlichen Vorwürfe, da sie sich auf den Sexualkontakt mit eben über dieses System rekrutierten Fans beziehen. Dies führt dazu, trotz der erheblichen für den Schutz des Persönlichkeitsrechts des Antragstellers streitenden Umstände von dem Überwiegen des Berichterstattungsinteresses der Antragsgegnerin auszugehen.

b) Auch die weiteren für das Vorliegen einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung erforderlichen Voraussetzungen liegen vor. Die Kammer geht insbesondere nicht davon aus, dass aufgrund einer zu kurz bemessenen Anhörungsfrist dem Antragsteller vor der Berichterstattung keine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt wurde. Zwar war die gesetzte Frist angesichts des umfangreichen Fragenkatalogs sehr knapp bemessen. Indes ist hier insbesondere zu berücksichtigen, dass nicht nur der gesamte Komplex, sondern auch einige der konkreten Vorwürfe bereits aufgrund vorangegangener Berichterstattungen bekannt waren. Insoweit hatte auch die Antragsgegnerin den Antragsteller zu diesen bereits aus anderen Berichterstattungen bekannten Vorwürfen bereits angehört, als sie darauf hingewiesen hatte, dass sie plane, über die vom NDR und von der Süddeutschen Zeitung berichteten Vorwürfe ebenfalls zu berichten (Anlage AG8). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der vorangegangenen Berichterstattungen und auch der Äußerung der Irin S. L., welche kurz zuvor bekannt geworden waren, ein erheblicher Aktualitätsdruck bestand. Gerade dieser Aktualitätsdruck war dem Antragsteller auch bekannt, weswegen er gemeinsam mit seinen Bandkollegen bereits eine Rechtsanwaltskanzlei mit der anwaltlichen Vertretung beauftragt (Anlage AG9) und auch einen Kommunikationsberater eingeschaltet hatte. Insoweit wurden der Antragsteller bzw. die ihn insoweit unterstützenden Personen nicht von der Anfrage der Antragsgegnerin überrascht, sondern befanden sich vielmehr in einer Situation, in welcher sie auf Anfragen wie diejenige der Antragsgegnerin vorbereitet sein mussten. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Antragsteller auch im Zeitpunkt der Anfrage auf Tour befand und insoweit sicherlich beruflich stark eingebunden war. Dass der Antragsteller während des Laufs der Frist zur Stellungnahme seine Rechtsanwälte gewechselt hat, fällt in seinen Verantwortungsbereich und vermag eine unzulässige Kürze der Fristsetzung nicht zu begründen.

Die Berichterstattung ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil sie sich als vorverurteilend und nicht in dem erforderlichen Maße ausgewogen darstellt. Der maßgebliche Durchschnittsleser erkennt, dass die Vorwürfe nicht bewiesen sind.

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass die Verdachtsberichterstattung der Antragsgegnerin in Bezug auf den geschilderten sexuellen Kontakt des Antragstellers mit „A.“, der Zeugin S., ebenfalls als rechtmäßig verbreitet anzusehen ist. Auch dort ist unter Berücksichtigung der von dieser abgegebenen eidesstattlichen Versicherung, welche die Vorwürfe wie in der Berichterstattung wiedergegeben schildert, in der vorzunehmenden Gesamtschau mit den Angaben der Zeugin J. davon auszugehen, dass der für die Berichterstattung erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt. Auch für die dortigen Schilderungen gilt, dass die Verdachtsberichterstattung nicht deswegen rechtswidrig ist, da sie sich als sich auf die Intimsphäre des Antragstellers beziehend darstellt. Denn auch bei „A.“ handelte es sich um eine Besucherin eines seiner Konzerte, mit welcher der Antragsteller unstreitig im Anschluss an ein Konzert intim geworden ist.

2. Keinen Unterlassungsanspruch hat der Antragsteller schlussendlich hinsichtlich des Antrags zu 2.) erster Spiegelstrich. Bei den dort angegriffenen Äußerungen handelt es sich um wahre Tatsachenbehauptungen bzw. zulässige Meinungsäußerungen. Soweit sich der Antragsteller in Bezug auf „S. W.“ gegen die folgende Äußerung „Sie war von Ende 2018 bis Anfang 2020 Teil des Inner Circle von R. und mehrmals mit der Band auf Konzerten.“ insbesondere mit der Begründung wendet, dass die Bezeichnung als „Inner Circle“ als Tatsachenbehauptung daherkomme, teilt die Kammer diese Ansicht nicht. Die Bezeichnung als „Inner Circle“ ist vielmehr wertend und unscharf und transportiert keine konkrete Vorstellung des Lesers von dem Personenkreis, dem die S. W. angehörte. Insbesondere geht der Leser nicht davon aus, dass die Zeugin unmittelbar mit den Bandmitgliedern im Austausch stand, auch wenn es in der Berichterstattung weiter heißt: „W. hatte nicht nur Zugang zu Bandmitgliedern, sondern auch auf den Konzerten zu fast allen abgesperrten Bereichen.“ Denn auch der erwähnte Zugang wird nicht weiter spezifiziert, vielmehr erfährt der Leser, dass die S. W. keinen Zutritt zu allen abgesperrten Bereichen hatte. Auch wird berichtet, dass ihr damaliger Freund für die Band gearbeitet habe. Daraus wird deutlich, dass die Zeugin jedenfalls nicht in unmittelbarer Nähe zu einem Bandmitglied stand, sondern es sich nur insoweit nur um einen „abgeleiteten“ Kontakt über ihren Freund gehandelt hat.

Ausgehend davon ist die Wertung, dass S. W. Teil des Inner Circle der Band R. gewesen sei, vorliegend nicht zu beanstanden. Aus den Ausführungen der Zeugin W. in ihrer eidesstattlichen Versicherung (Anlage AG3) folgt, dass sie in der Zeit ihrer Beziehung zu S. v. H. mehrere Konzerte der Band besucht hat. Dabei hat sie jeweils Pässe mit der Aufschrift „Working“ erhalten, welche ihr uneingeschränkten Zugang, mit Ausnahme der Garderoben der Bandmitglieder verschaffte. Diese Schilderungen werden von dem Antragsteller nicht in Abrede genommen. Die Zeugin hatte mithin einen Zugang und Einblicke in Bezug auf die Band R., welche Außenstehenden verschlossen sind. Unstreitig hat sie aufgrund dieses Zugangs unter anderem eine Situation zwischen dem Antragsteller und seiner damaligen Freundin S. T. beobachten können, als diese zum Unmut des Antragstellers nach Ende der Show dessen Garderobe betrat. Dies zeigt, dass die Zeugin an der Band „nah dran“ war. Die Antragsgegnerin durfte die beschriebene Situation, in welcher sich die Zeugin befand, dahingehend bewerten, dass „S. W.“ Teil des „Inner Circle“ der Band R. war. Dies berücksichtigend ist es auch die Aussage, dass S. W. als Teil des Inner Circle mehrmals mit der Band auf Konzerten war, nicht zu beanstanden. Denn dies hat die Antragsgegnerin durch die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin W. vorgetragen und auch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat die detaillierten Ausführungen der Zeugin nach Vorlage der eidesstattlichen Versicherung nicht bestritten.

Auch die Äußerung „Ihr damaliger Freund arbeitete mit R. zusammen, aber auch für L.s Solo-Projekte.“ ist rechtmäßig verbreitet. Der Antragsteller trägt bereits nicht vor, dass diese Tatsachenbehauptung unwahr sein soll. Nicht zu beanstanden ist schlussendlich auch die Aussage „W. hatte nicht nur Zugang zu Bandmitgliedern, sondern auch auf den Konzerten zu fast allen abgesperrten Bereichen.“ Unstreitig hat die Zeugin W. bei Konzerten einen Pass mit der Aufschrift „Working“ bekommen, welcher ihr Zugang zu allen Bereichen mit Ausnahme der Garderoben der Bandmitglieder verschaffte. Mit diesem Pass konnte sie, wie ausgeführt, unter anderem einen Streit zwischen dem Antragsteller und S. T. beobachten. Bereits dies trägt die Aussage, dass die Zeugin Zugang zu den Bandmitgliedern gehabt habe. Denn wie dargelegt geht der Leser aufgrund des Hinweises darauf, dass der Freund von S. W. mit R. zusammengearbeitet habe, nicht davon aus, dass die S. W. in unmittelbarer Nähe zu den Bandmitgliedern stand.

Letztlich ist auch die mit angegriffene Äußerung, S. W. sei von Ende 2018 bis Anfang 2019 auch auf offiziellen Aftershow-Partys gewesen, persönlichkeitsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn dass dies so war, folgt aus den an Eides statt versicherten Angaben der Zeugin W., die zudem detaillierte Angaben zu deren Setting gemacht hat, sodass der entsprechende Vortrag als glaubhaft gemacht anzusehen ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Zusammenfassung der Rechtsprechung zur Zulässigkeit identifizierender Verdachtsberichterstattung

BGH
Urteil vom 20.06.2023
VI ZR 262/21
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2


Der BGH hat seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit identifizierender Verdachtsberichterstattung nochmals zusammengefasst.

Leitsatz des BGH:
Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen, erforderlich. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie
darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.

BGH, Urteil vom 20. Juni 2023 - VI ZR 262/21 - KG - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Köln: Berichterstattung in Bild Zeitung und Bild-Online über Kardinal Woelki teilweise unzulässig

OLG Köln
Urteil vom 16.03.2023 - 15 U 120/22
Urteil vom 16.03.2023 - 15 U 131/22


Das OLG Köln hat entschieden, dass die Berichterstattung in der Bild Zeitung und bei Bild-Online über Kardinal Woelki teilweise unzulässig war.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Urteilsverkündung in den Berufungsverfahren 15 U 120/22 und 15 U 131/22

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat am heutigen Tag in den vorbezeichneten Verfahren entschieden und insoweit unter teilweiser Abänderung der landgerichtlichen Entscheidungen den Beklagten das Verbreiten bzw. Verbreiten lassen einzelner Äußerungen untersagt.

Im Verfahren 15 U 120/22 verlangt der Kläger, Kardinal der römisch-katholischen Kirche und Erzbischof von Köln, von der Beklagten zu 1 als Betreiberin eines Online-Portals und dem Beklagten zu 2, dem Chefreporter des Portals, die Unterlassung von fünf Äußerungen aus einem Artikel sowie der Äußerung aus einem Kommentar, die sich mit der vom Kläger ausgesprochenen Beförderung eines Priesters befassen.

Das Landgericht Köln hat der Klage mit Urteil vom 18. Mai 2022 antragsgemäß stattgegeben (Az. 28 O 276/21, abrufbar über die Datenbank NRWE). Auf die dagegen seitens der Beklagten eingelegte Berufung hin hat der Senat die Entscheidung des Landgerichts dahingehend abgeändert, dass es die Beklagten in Bezug auf vier von sechs angegriffenen Äußerungen zu unterlassen haben, diese zu verbreiten oder verbreiten zu lassen; im Übrigen ist die Klage abgewiesen worden. Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, die sechs angegriffenen Äußerungen berührten den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. In Bezug auf vier der sechs Äußerungen liege auch ein rechtswidriger Eingriff vor; im Rahmen der gebotenen Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers mit dem Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit überwiege das Schutzinteresse des Klägers die schutzwürdigen Belange der anderen Seite. Dies sei hinsichtlich der zwei weiteren Äußerungen nicht der Fall. Im Einzelnen:

Als unwahre Tatsachenbehauptungen unzulässig seien die Äußerungen, der Priester habe "der Polizei 2001 sexuelle Handlungen mit einem Minderjährigen gestanden" beziehungsweise er habe "bei polizeilicher Vernehmung […] Sex mit dem obdachlosen und minderjährigen Prostituierten gestanden". Sie seien deshalb unwahr, weil ein unbefangener und verständiger Leser sie nur so verstehen könne, dass der Priester gegenüber der Polizei Angaben zur Minderjährigkeit seines Sexualpartners gemacht habe, was tatsächlich im Rahmen seiner (alleinigen) Vernehmung als Zeuge - nicht als Beschuldigter - nicht der Fall gewesen sei. Die Beklagte habe zudem die Leser zur Vermeidung einer fehlerhaften Vorstellung darüber aufklären müssen, dass das von dem Priester gegenüber der Polizei eingeräumte - zum damaligen Zeitpunkt nach staatlichem Recht unzweifelhaft nicht strafbare - Verhalten nicht Gegenstand eines staatlichen Ermittlungsverfahrens gewesen sei.

Unzulässig sei auch die Äußerung "obwohl dieser zuvor Kindesmissbrauch gestanden hat". Es handele sich um eine irreführende Meinungsäußerung mit einem unwahren Tatsachenkern. Namentlich sei im Rahmen der Zeugenvernehmung des Priesters, wie ausgeführt, die Minderjährigkeit von dessen Sexualpartner überhaupt nicht zur Sprache gekommen.

Auch die Äußerung "Ungeachtet dessen befördert […] diesen Sexualstraftäter nur zwei Jahre später […]." enthalte mit der Bezeichnung des Priesters als "Sexualstraftäter" im Zusammenhang mit dessen im Artikel angegebenen angeblichen Äußerungen bei der Polizei, er habe Sex bzw. sexuelle Handlungen mit einem Minderjährigen bzw. Kindesmissbrauch gestanden, eine weitere irreführende und in Ermangelung einer Erläuterung ebenfalls unzulässige Meinungsäußerung. Sie verstärke die Gefahr eines fehlerhaften Verständnisses dahingehend, dass die staatlichen Ermittlungsbehörden gegen diesen ermittelt hätten.

Um zulässige Meinungsäußerungen handele es sich dagegen bei der von dem Kläger angegriffenen Artikelüberschrift "Obwohl er von den Vorwürfen wusste - Kardinal Woelki beförderte Missbrauchs-Priester" und bei der angegriffenen Äußerung aus dem Kommentar "Kardinal Woelki, der Erzbischof von Köln, hat einen Missbrauchspriester befördert". Zwar enthielten diese eine scharfe und zugespitzte Kritik an der Amtsführung des Kardinals. Diese Kritik müsse sich der Kläger als Träger eines hohen kirchlichen Amtes aber u.a. im Lichte der breiten öffentlichen Diskussion um sein Verhalten im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche gefallen lassen.

Die Bezeichnung des Priesters als "Missbrauchs-Priester" sei - jedenfalls im Verhältnis der Beklagten zum Kläger - rechtmäßig. Die Frage, ob ein Verhalten als Missbrauch anzusehen sei, unterliege der rechtlichen oder moralischen Bewertung. Mangels Vorliegens eines unwahren tatsächlichen Bestandteils stehe den Beklagten die Bewertung als Missbrauch frei mit der Konsequenz, dass sie den Priester dementsprechend in einer zugespitzten Wertung als "Missbrauchs-Priester" bezeichnen könne. Bei der Äußerung, der Kläger habe "von den Vorwürfen" gewusst, handele es sich auf der Grundlage des diesbezüglichen Parteivortrags ebenfalls um eine auf Tatsachen fußende Schlussfolgerung auf das Vorliegen einer inneren Tatsache.

Auch in dem Verfahren 15 U 131/22 streiten die Parteien um die Zulässigkeit verschiedener Äußerungen. Das Landgericht Köln hat der Klage antragsgemäß mit Urteil vom 8. Juni 2022 stattgegeben (Az. 28 O 295/21, abrufbar über die Datenbank NRWE). Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat auf die Berufung der Beklagten das angegriffene Urteil teilweise abgeändert. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, ein Unterlassungsanspruch bestehe hinsichtlich einzelner der vom Kläger angegriffenen Äußerungen. Im Einzelnen:

Abgesehen von einem Äußerungsteil, der von dem titulierten Verbot auszunehmen sei, habe das Landgericht zu Recht angenommen, dass dem Kläger ein Unterlassungsanspruch zustehe bezüglich der - in Artikeln mit der Überschrift "Die Vertuschungs-‚Mafia‘ im Erzbistum Köln" und "VERTUSCHUNGS-‚MAFIA‘ im Erzbistum Köln" veröffentlichten - Äußerungen "DIESER bislang geheim gehaltene Bericht aus dem Giftschrank des Erzbistums Köln" und "wo er bis heute liegt".

Diese Äußerungen beträfen den Kläger; aus den Überschriften und dem weiteren Text der beiden Artikel ergebe sich, dass das fragliche Dokument - der in dem Artikel genannte Bericht eines anonymen Insiders - dem Kläger seit dem Jahr 2015 bekannt gewesen sei. Die angegriffenen Äußerungen seien auch geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Klägers als Träger eines hohen kirchlichen Amtes auszuwirken. Denn dem Leser werde die Schlussfolgerung nahe gelegt, er habe die Aufklärung der Vorwürfe, die in dem angeblich geheim gehaltenen Dokument erhoben beziehungsweise wiedergegeben werden, nicht beziehungsweise nicht ernsthaft betrieben. Die Äußerungen seien als unzulässige Meinungsäußerungen mit einem unwahren, jedenfalls aber nicht erweislich wahren Tatsachenkern einzuordnen.

Dazu hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, in den Äußerungen vermengten sich tatsächliche und wertende Elemente in der Weise, dass die Äußerungen insgesamt noch als Werturteil anzusehen seien. Bei derartigen Äußerungen falle bei der Abwägung der Wahrheitsgehalt der tatsächlichen Bestandteile ins Gewicht; ausgehend davon trete hier das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinter den Schutzinteressen des von der Äußerung Betroffenen zurück. Denn nach dem bewiesenen Vortrag des Klägers sei davon auszugehen, dass das von den Beklagten in Bezug genommene Dokument, nachdem es zuvor auch anderen Anwälten zur Kenntnis gebracht worden sein soll, im Jahr 2020 an die mit der Erstellung eines Missbrauchsgutachtens beauftragte Kanzlei übergeben worden sei. Eine andere Beurteilung ergebe sich aber auch dann nicht, wenn man von einem Tatsachenkern mit ungeklärtem Wahrheitsgehalt ausgehen wolle. Nach den im Verfahren maßgeblichen Tatsachenfeststellungen im landgerichtlichen Urteil sei im Übrigen davon auszugehen, dass die Kanzlei den Auftrag gehabt habe, die gesichteten Dokumente, sofern zur Verfolgung konkreter Strafverdachtsmomente als notwendig erachtet, an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Der mit der Weitergabe der Informationen an eine solche Stelle verbundene Kontrollverlust sei mit der Annahme, die Informationen seien weiterhin geheim gehalten worden, auch unter Berücksichtigung erheblicher Wertungsspielräume nicht mehr vereinbar. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang einen weiteren, den damaligen Generalvikar betreffenden Äußerungsteil untersagt habe, sei dieser dagegen auszunehmen. Dieser sei äußerungsrechtlich in Bezug auf den Kläger nicht zu beanstanden.

Hinsichtlich weiterer verfahrensgegenständlicher Äußerungen sei bereits der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts des Klägers nicht berührt, da diese ihn entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht beträfen. Dies gelte u.a. für die Überschrift "Die Vertuschungs-Mafia im Erzbistum Köln". Dazu hat der Senat unter näherer Darlegung ausgeführt, die Überschrift dürfe nicht isoliert von dem dazugehörigen Zeitungsbericht betrachtet werden.

Der im Übrigen angegriffene Äußerungsteil "bringt Kardinal Woelki (64) in Erklärungsnot" betreffe zwar den Kläger, diesen müsse er indes hinnehmen. Es handele sich dabei um eine zulässige Bewertung der Umstände, dass der Kläger das Schreiben nicht zum Anlass genommen habe, von einer Beförderung abzusehen, und dass er auf Anfrage der Beklagten zu diesem Vorgang Stellung genommen habe.

In beiden Verfahren ist die Revision vom Senat nicht zugelassen worden.

OLG Köln: Zulässige Verdachtsberichterstattung des SPIEGEL über heimliche intime Filmaufnahmen von Mitarbeiterinnen durch einen Unternehmer

OLG Köln
Urteil vom 18.08.2022
15 U 258/21


Das OLG Köln hat in diesem Fall entschieden, dass die Verdachtsberichterstattung des Spiegel über heimliche intime Filmaufnahmen von Mitarbeiterinnen durch einen Unternehmer zulässig war.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung ist teilweise begründet. Sie wendet sich mit Erfolg gegen die Verurteilung, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe auf der fraglichen Klausurtagung Kameras in Hotelzimmern angebracht und hiermit heimlich Mitarbeiterinnen gefilmt, und über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe im Badezimmer eines Hotelzimmers einer Mitarbeiterin eine Kamera entfernt. Soweit sich die Berufung darüber hinaus gegen die Verurteilung wendet, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe zu Kollegen gesagt „Fickt ihr die mal alle, das ist nichts mehr für mich“, und es zu unterlassen, das in dem Artikel abgedruckte Foto des Klägers erneut zu veröffentlichen, hat die Berufung keinen Erfolg.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte entgegen der Auffassung des Landgerichts keinen Anspruch darauf, es zu unterlassen, unter namentlicher Nennung des Klägers über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe auf der Klausurtagung Kameras in Hotelzimmern angebracht und hiermit heimlich Mitarbeiterinnen gefilmt (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB). Die entsprechenden Äußerungen der Beklagten, die in dem angegriffenen Beitrag vom 6. beziehungsweise 7. November 2020 unstreitig enthalten sind, verletzen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) des Klägers nach Auffassung des Senats nicht.

a) Sie berühren allerdings dessen Schutzbereich.

Denn die Äußerung des Verdachts, der in der breiten Öffentlichkeit bis dahin unbekannte, im Bericht mit vollem Namen genannte Kläger habe Mitarbeiterinnen in deren Hotelzimmern heimlich gefilmt, ist offensichtlich geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Klägers auszuwirken. Es steht ein Übergriff des Klägers in die Privatsphäre ihm beruflich unterstellter Personen und ein offenbar zumindest beabsichtigter Eingriff auch in die Intimsphäre in Rede.

Hinzukommt, dass in dem Beitrag auch über das gegen den Kläger geführte Strafverfahren, insbesondere über die Wohnungsdurchsuchung, die Anklageschrift und die Einlassung des Klägers im Zwischenverfahren berichtet wird. Die den Beschuldigten identifizierende Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 21 mwN).

Diese Erwägungen gelten unabhängig davon, ob das dem Kläger vorgeworfene, wegen des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Mitarbeiterinnen unzweifelhaft rechtswidrige Verhalten strafbar war. Dies ist rechtlich zweifelhaft, weil eine Strafbarkeit gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB voraussetzt, dass die tatsächlich gefertigten Filmaufnahmen den höchstpersönlichen Lebensbereich der gefilmten Mitarbeiterinnen betreffen, wofür das Filmen einer Mitarbeiterin beim Öffnen des Hosenbundes möglicherweise nicht ausreichen könnte (vgl. dazu etwa Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 201a Rn. 3).

b) Es liegt aber kein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor. Im Rahmen der gebotenen Abwägung dieses Rechts mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit überwiegt das Schutzinteresse des Klägers die schutzwürdigen Belange der anderen Seite nicht.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Verfehlungen - auch konkreter Personen - aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien (zuletzt BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 19; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 25).

Eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, darf nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 22; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 27; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 18).

Diese Maßstäbe gelten im Grundsatz auch für die Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten (§ 157 StPO). In diesem Verfahrensstadium ist nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Zwar gehört es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen - auch konkreter Personen - aufzuzeigen. Im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung ist aber die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder Durchführung eines Strafverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Verfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt" (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 23; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 28; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 19).

Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert" verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 24; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 29; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 20).

bb) Ausgehend von diesen Maßstäben erweist sich die angegriffene Verdachtsberichterstattung als rechtmäßig.

(1) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprachen, vorlag.

Das folgt bereits aus der Anklageerhebung, die nach § 170 Abs. 1 StPO voraussetzt, dass der Beschuldigte aus Sicht der Staatsanwaltschaft einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint, also eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verurteilung besteht (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 28; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 34). Nichts anderes folgt aus dem - im Übrigen erst nach Veröffentlichung des angegriffenen Beitrags ergangenen - Einstellungsbeschluss des Amtsgerichts. Denn auch eine Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO setzt das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts voraus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 1995 - 2 BvR 1732/95, NStZ-RR 1996, 168, 169; BeckOK-StPO/Beukelmann, § 153a Rn. 14 [Stand: 1. Juli 2022]; MüKo-StPO/Peters, § 153a Rn. 8). Einen solchen hat das Amtsgericht in den Gründen des Beschlusses in tatsächlicher Hinsicht auch nicht verneint. Es hat lediglich aus Rechtsgründen Zweifel an der Strafbarkeit des Verhaltens geäußert. Diese Zweifel stehen der Annahme eines Mindestbestandes an Beweistatsachen - also von Anhaltspunkten dafür, dass die als Verdacht geäußerten Tatsachen der Wahrheit entsprechen - nicht entgegen.

Unbeschadet dessen lag ein Mindestbestand an Beweistatsachen auch unabhängig von der Anklageerhebung vor. Denn unstreitig war der Kläger von einer der „Spycams“ in einem später von einer der betroffenen Mitarbeiterinnen bezogenen Hotelzimmer gefilmt worden, was darauf hindeutete, dass er die Kamera dort installiert hatte. Seine diesbezügliche Einlassung, er habe das Zimmer betreten, um die Toilette zu benutzen, war jedenfalls nicht so plausibel, dass die Einlassung bereits der Annahme eines Mindestbestandes an Beweistatsachen entgegenstand. Da die Einlassung nicht auf nahe liegende Fragen einging (Warum hat der in Eile befindliche Kläger keine für alle Hotelgäste zugängliche Toilette - etwa in der Nähe des Tagungsraums - benutzt? Warum hat er, obwohl er das Zimmer als von ihm bezogen angesehen haben will, beim Verlassen des Zimmers die Tür nicht abgeschlossen? Warum hat er das Zimmer so verlassen, dass die betroffene Mitarbeiterin es als noch nicht bezogen angesehen hat? Warum hat er die bereits im Auto ergriffenen Unterlagen und die Powerbar erst im Zimmer in die mitgeführte Tasche gepackt?), durfte die Beklagte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts davon ausgehen, dass die Richtigkeit der Einlassung widerlegt werden könnte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger unmittelbar nach der Entdeckung der ersten „Spycam“ das Gerät gegen den Willen der betroffenen Mitarbeiterin an sich genommen, es als normales Ladegerät bezeichnet und sich einer Herausgabe widersetzt hatte.

(2) Der angegriffene Bericht ist ausgewogen, enthält keine Vorverurteilung des Klägers und erweckt nicht den Eindruck, er sei bereits überführt. Das macht der Kläger auch nicht geltend.

(3) Ferner ist unstreitig, dass die Beklagte vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme des Klägers eingeholt hat, aus der in dem Beitrag auch mehrfach zitiert wird.

(4) Schließlich handelte es sich entgegen der Ansicht des Landgerichts um einen Vorgang von solchem Gewicht, dass eine Mitteilung des Sachverhalts unter namentlicher Nennung des Klägers durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt war.

(a) Denn zwar schützt die Unschuldsvermutung den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist. Ein identifizierender Bericht über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist deshalb auch daraufhin zu überprüfen, ob er geeignet ist, den Beschuldigten an den Pranger zu stellen, ihn zu stigmatisieren oder ihm in sonstiger Weise Nachteile zuzufügen, die einem Schuldspruch oder einer Strafe gleichkommen. Oftmals kann im Hinblick auf die Unschuldsvermutung bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Wortberichterstattung überwiegen. Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn die besonderen Umstände der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat oder dessen herausgehobene Stellung ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit - auch über die Identität des Beschuldigten - begründen, hinter dem das Interesse des Beschuldigten am Schutz seiner Persönlichkeit zurückzutreten hat (BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 41 - Staranwalt).

Im Streitfall ist die Unschuldsvermutung bei der Abwägung unabhängig davon zu berücksichtigen, ob das dem Kläger vorgeworfene Verhalten tatsächlich als Straftat zu werten ist. Maßgeblich ist nur, dass die Staatsanwaltschaft das Verhalten als strafbar angesehen hat, der Kläger deshalb strafrechtlich verfolgt worden ist und die Beklagte - ohne rechtliche Fragen zu thematisieren - über das Strafverfahren berichtet hat.

(b) Gemessen an diesen Grundsätzen war eine Mitteilung des Sachverhalts unter namentlicher Nennung des Klägers durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit aber noch gerechtfertigt. Das Informationsinteresse rührt vor allem aus dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität von Führungskräften öffentlicher Unternehmen (vgl. BGH, Urteile vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 43 - Staranwalt; vom 18. November 2014 - VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 Rn. 24 - Chefjustiziar).

Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Kläger jedenfalls bis zum Erscheinen der angegriffenen Berichte einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt war. Dass in Fachmedien - ohne Mitteilung der Kündigungsgründe - unter Namensnennung über seine Entlassung berichtet worden war, ändert daran nichts. Auch war der zwar nicht in der Überschrift, wohl aber im weiteren Text mit vollem Namen genannte Kläger wegen der Berichterstattung in dem auflagenstarken Nachrichtenmagazin der Beklagten und in ihrem Internetauftritt schon vor einer Verurteilung der Gefahr erheblicher sozialer Missachtung ausgesetzt. Es stand ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre ihm beruflich unterstellter Personen und ein offenbar zumindest beabsichtigter Eingriff auch in die Intimsphäre in Rede. Denn der Kläger soll anlässlich einer dienstlichen Veranstaltung Mitarbeiterinnen des von ihm geführten Unternehmens in deren Hotelzimmern heimlich gefilmt haben.

Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Kläger eine leitende Stellung beim C hatte, einer großen und beitragsfinanzierten öffentlichen Rundfunkanstalt. Als Geschäftsführer einer Enkelgesellschaft hatte er Personalverantwortung für nach seinem eigenen Vortrag etwa 250 Mitarbeiter. Der gegen den Kläger erhobene, seine Sozialsphäre betreffende Vorwurf, heimlich ihm unterstellte Mitarbeiterinnen in zumindest privaten, wenn nicht intimen Situationen gefilmt zu haben, stand, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, mit dieser herausgehobenen Funktion in einem öffentlichen Unternehmen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Angesichts des dadurch begründeten besonderen Informationsinteresses überwogen die durch die Unschuldsvermutung konkretisierten Interessen des Klägers das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung jedenfalls nach der Anklageerhebung nicht mehr.

Die Berufung macht zu Recht geltend, dass es für diese Beurteilung entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass das dem Kläger vorgeworfene Verhalten - sollte es überhaupt strafbar sein - nach § 201a Abs. 1 StGB nur mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Denn das Informationsinteresse folgt - wie ausgeführt - nicht aus der Schwere einer möglicherweise vorliegenden Straftat, sondern aus der Stellung des Klägers und den Besonderheiten des ihm vorgeworfenen - unzweifelhaft rechtswidrigen - Verhaltens. Strafrechtliche Fragen werden in dem Bericht auch nicht angesprochen. Die von der Berufungserwiderung angeführte Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO ist für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung ohnehin ohne Bedeutung, weil sie eine gänzlich andere Fragestellung regelt.

2. Ferner hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch darauf, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe im Badezimmer eines Hotelzimmers einer Mitarbeiterin eine Kamera entfernt. Eine solche Aussage lässt sich dem angegriffenen Bericht schon nicht entnehmen.

In dem Bericht werden lediglich Äußerungen einer „dritte[n] betroffene[n] Kollegin“ wiedergegeben. Danach hat diese Kollegin, nachdem der Kläger und zwei weitere Mitarbeiterinnen ihr erzählt hatten, es seien kleine schwarze Kameras gefunden worden, gesagt, dass sie im Badezimmer „so etwas“ gesehen habe. Der Kläger und eine der weiteren Mitarbeiterinnen seien daraufhin in das Badezimmer „gestürmt“. Als sie herausgekommen seien, habe die Kollegin gemeint, „da sei nichts gewesen.“

Aus diesen Äußerungen kann ein unbefangener Durchschnittsleser zwar den möglichen Schluss ziehen, der Kläger habe auch im Zimmer der dritten Mitarbeiterin eine Kamera installiert und habe diese, um seine Tat zu verdecken, bei der Durchsuchung des Badezimmers wieder entfernt. Unabweisbar nahe gelegt wird dem Leser eine solche Schlussfolgerung aber nicht. Eine eigene Behauptung der Beklagten mit dem aus dem Klageantrag ersichtlichen Inhalt ist deshalb nicht anzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2005 - VI ZR 204/04, NJW 2006, 601 Rn. 17; Senat, Urteil vom 26. November 2020 - 15 U 39/20, GRUR-RS 2020, 38050 Rn. 20).

3. Hingegen hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe zu Kollegen gesagt „Fickt ihr die mal alle, das ist nichts mehr für mich“, im Ergebnis zu Recht bejaht. Es fehlt insoweit jedenfalls an einem Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprachen. Der Kläger hat in seiner von der Beklagten eingeholten Stellungnahme - wie auch im vorliegenden Rechtsstreit - bestritten, sich in der berichteten Weise geäußert zu haben. Angesichts dieser Einlassung durfte die Beklagte sich nicht allein und ausschließlich auf die Angaben einer der von den Filmaufnahmen betroffenen Mitarbeiterinnen verlassen, wonach ein Kollege ihr mitgeteilt habe, der Kläger habe die Äußerung getätigt. Es handelte sich bei dieser Mitarbeiterin lediglich um eine Zeugin vom Hörensagen, die im Übrigen schon wegen des Vorwurfs des heimlichen Filmens dem Kläger gegenüber negativ eingestellt war, deswegen bereits Klage beim Arbeitsgericht erhoben hatte und möglicherweise erhebliche Eigeninteressen verfolgte, was bei der Bewertung der Überzeugungskraft ihrer Bekundungen auch im Rahmen des Mindestbestandes an Beweistatsachen kritisch zu würdigen ist (Senat, Urteil vom 12. November 2020 - 15 U 112/20, BeckRS 2020, 37979 Rn. 39 mwN). Die Beklagte hätte deshalb vor der Verdachtsberichterstattung zumindest den Kollegen, gegenüber dem der Kläger sich geäußert haben soll, selbst befragen müssen. Dass ihr dies nicht möglich oder nicht zumutbar war, ist nicht ersichtlich; auch bei der Erörterung der Frage im Termin wurde dazu nichts geltend gemacht.

4. Schließlich hat der Kläger gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Unterlassung der ihn identifizierenden Bildberichterstattung.

a) Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen, das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben als auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Die - wie vorliegend - nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung seines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild dem Bereich der Zeitgeschichte oder einem der weiteren Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits vorzunehmen (zuletzt etwa BGH, Urteile vom 9. April 2019 - VI ZR 533/16, AfP 2019, 333 Rn. 7 und vom 6. Februar 2018 - VI ZR 76/17, NJW 2018, 1820 Rn. 10 mwN).

Bei einer strafverfahrensbegleitenden Bildberichterstattung hat in der Abwägung der widerstreitenden Interessen bereits bei der Prüfung, ob ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorliegt die Unschuldsvermutung Berücksichtigung zu finden. Sie gebietet eine entsprechende Zurückhaltung und die Berücksichtigung einer möglichen Prangerwirkung. Danach wird oftmals bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Bildberichterstattung überwiegen. Eine individualisierende Bildberichterstattung über den Beschuldigten eines Strafverfahrens scheidet aber nicht in jedem Fall aus. Vielmehr können es die jeweiligen Umstände rechtfertigen, dass sich der Betreffende nicht beziehungsweise nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann. Dies gilt etwa dann, wenn er kraft seines Amtes oder wegen seiner gesellschaftlich hervorgehobenen Verantwortung beziehungsweise Prominenz in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 46 mwN).

b) Gemessen daran handelt es sich bei der im Streitfall zu beurteilenden Abbildung nicht um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Denn nach den Ausführungen unter 1 b bb stand der Kläger gerade nicht im Blickfeld der Öffentlichkeit.

Zwar überwogen seine durch die Unschuldsvermutung konkretisierten Interessen das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Wortberichterstattung jedenfalls nach der Anklageerhebung nicht mehr. Für die angegriffene Veröffentlichung eines Bildes, deren Zulässigkeit nicht nach denselben Maßstäben wie die Zulässigkeit der Wortberichterstattung zu beurteilen ist (vgl. BGH, Urteil vom 29. Mai 2018 - VI ZR 56/17, NJW-RR 2018, 1063 Rn. 28), fehlt es aber an einer Rechtfertigung.

Auch wenn es sich um eine kontextneutrale Aufnahme handelt, die für sich gesehen keinen besonderen Verletzungsgehalt hat, wird die ohnehin bestehende Gefahr erheblicher sozialer Missachtung durch die Bebilderung der Verdachtsberichterstattung mit einem Foto des Klägers noch weiter verstärkt. Während der Leser den Namen des Klägers erst bei einem aufmerksamen Durchlesen des Berichts erfährt, kann er auf das Bild schon bei einem flüchtigen Durchblättern des Magazins aufmerksam werden; entsprechendes gilt für die Internetveröffentlichung. Die Veröffentlichung des Bildes des in der Öffentlichkeit unbekannten Klägers in dem auflagenstarken Nachrichtenmagazin der Beklagten und ihrem Internetauftritt ist deshalb noch deutlich weitgehender als eine reine Namensnennung geeignet, eine besondere öffentliche Aufmerksamkeit hinsichtlich seiner Person zu erregen und damit auch eine gewisse Prangerwirkung zu erzeugen (vgl. Senat, Urteil vom 21. Februar 2019 - 15 U 132/18, juris Rn. 29). Dies ist unter Berücksichtigung der oben (1 b bb) erörterten Abwägungskriterien mit der wegen der Unschuldsvermutung gebotenen Zurückhaltung nicht mehr zu vereinbaren.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Köln: Klagen von Kardinal Woelki gegen Berichterstattung in Bild Zeitung und Bild-Online teilweise erfolgreich

LG Köln
Urteil vom 18.05.2022 - 28 O 276/21
Urteil vom 18.05.2022 - 28 O 279/21


Das LG Köln hat den Klagen des Kardinals Woelki gegen die Bild Zeitung bzw. Bild Online teilweise stattgegegben.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Landgericht Köln hat in zwei Urteilen über die Berichterstattung der Bildzeitung über Kardinal Woelki entschieden

Das Landgericht Köln hat heute zwei Urteile verkündet: In dem einen wurde die Berichterstattung in der online Ausgabe der Bildzeitung als unzulässig untersagt. Ein weiterer Artikel durfte so erscheinen.

Der Kardinal der römisch-katholischen Kirche und Erzbischof von Köln, Rainer Maria Woelki, wehrt sich gegen die Berichterstattung der Bildzeitung in insgesamt fünf Verfahren, denen zum Teil bereits einstweilige Verfügungen vorausgegangen sind. Es geht um die Berichterstattung der Bildzeitung über den sog. „Woelki-Skandal“, den sog. „Missbrauchs- und Vertuschungsskandal“ in der katholischen Kirche sowie über die Beförderung eines Priesters und dessen Vergangenheit.

In dem einen heute verkündeten Urteil (28 O 276/21) hat die Kammer unter Vorsitz von Dr. Dirk Eßer da Silva dem Verlag untersagt, in zwei am 27.04.2021 in der Online Ausgabe der Bildzeitung veröffentlichten Artikeln mit den Überschriften: „Kardinal Woelki beförderte Missbrauchs-Priester“ und „Stoppen Sie den Kardinal!“ konkrete Behauptungen zu veröffentlichen. Dies verstoße gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers.

Die Bildzeitung dürfe u.a. nicht berichten: „Ungeachtet dessen beförderte Woelki diesen Sexualstraftäter nur zwei Jahre später zum VizeStadtdechanten von Düsseldorf.“ Diese Meinungsäußerung mit Tatsachenkern sei unzutreffend, weil der Priester keine nach dem Strafgesetzbuch strafbare Tat begangen habe. Der Durchschnittsleser verstehe diese Äußerung auch nicht so, dass es sich um einen Verstoß nur gegen das Kirchenrecht handele.

Auch die Äußerung, Kardinal Woelki habe einen Priester befördert, obwohl dieser zuvor einen Kindesmissbrauch gestanden habe, sei unzulässig, weil dies in mehrfacher Hinsicht nicht den Tatsachen entspreche. Es habe sich in diesem Zusammenhang nicht um ein Kind gehandelt, sondern um einen Jugendlichen, mit dem es zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen ohne gegenseitige Berührungen gekommen sei. Es sei nicht sicher, ob dem Priester die Minderjährigkeit zu diesem Zeitpunkt bewusst gewesen sei. Der Priester dürfe aus diesen Gründen auch nicht als „Missbrauchs-Priester“ bezeichnet werden. Daher komme es auch nicht mehr darauf an, ob Kardinal Woelki selbst von diesem Vorfall Kenntnis gehabt habe.

In dem weiteren heute verkündeten Urteil (28 O 279/21) haben die Richter der Pressekammer die Klage des Kardinal Woelki abgewiesen. Der beklagte Verlag durfte den Artikel mit der Überschrift: „Wegen Woelki-Skandal – Treten ALLE deutschen Bischöfe zurück?“ so in ihrem Online-Portal bild.de am 28.06.2021 veröffentlichen. Der Leser verstehe nämlich die Angaben in dem konkreten Artikel nicht so, dass allein und ausschließlich wegen des „Woelki-Skandals“ alle deutschen Bischöfe gegenüber dem Papst ihren Rücktritt anbieten. Der Leser verstehe den „Woelki-Skandal“ als mitursächlich. Aus dem weiterem
Artikel ergebe sich zweifellos, dass allgemein der „Vertuschungs- und Missbrauchsskandal“ in der katholischen Kirche und auch Verfehlungen anderer Mitglieder der katholischen Kirche Hintergrund dieser Überlegungen sei.

Die Bezeichnung als „Woelki-Skandal“ sei eine zulässige Bewertung des Sachverhalts, dass in der katholischen Kirche, u.a. vom Papst selbst, offen kommuniziert wurde, dass Kardinal Woelki in der Herangehensweise an die Frage der Aufarbeitung, vor allem auf der Ebene der Kommunikation, große Fehler gemacht habe. Die Äußerung „Missbrauchs- und Vertuschungsskandal“ stelle dabei ebenfalls eine zulässige Wertung dar. Es sei unstreitig, dass es in der katholischen Kirche einen Missbrauchsskandal gebe. Auch sei dieser vertuscht worden. Dies stehe aufgrund der unstreitigen Tatsache fest, dass ein Gutachten dazu nicht veröffentlicht worden sei.

Es liege in diesem Artikel auch keine Verdachtsberichterstattung, zu dem der Kardinal hätte zuvor angehört werden müssen. Es sei für den Kläger nicht ehrenrührig, wenn ein Geschehen vorliege, dass zulässigerweise als „Woelki-Skandal“, bzw. als „Missbrauchs- und Vertuschungsskandal“ bewertet werden dürfe und aufgrund dessen ein Rücktritt aller deutschen Bischöfe diskutiert werde.

Es besteht die Möglichkeit, gegen die Urteile beim Oberlandesgericht Köln Berufung einzulegen.


Weitere Entscheidungen in den noch anhängigen Verfahren vor der 28. Zivilkammer werden am 08.06.2022 und am 22.06.2022 verkündet.

BGH: Kein Anspruch auf Geldentschädigung aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen identifizierender Verdachtsberichterstattung in Presseartikel

BGH
Urteil vom 22.02.2022
VI ZR 1175/20
BGB § 823 Abs. 1; GG Art. 5


Der BGH hat entschieden, dass kein Anspruch auf Geldentschädigung aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen identifizierender Verdachtsberichterstattung in einem Presseartikel besteht. Dem Anspruch steht schon das Medienprivileg entgegen.

Leitsatz des BGH:
Zu den Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung (hier: Pressebericht über bevorstehende Hauptverhandlung im Strafverfahren).

BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20 - OLG Köln - LG Köln

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung zusteht.

1. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, folgt ein solcher Anspruch nicht aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO. Aufgrund der Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DS-GVO sind Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken von den die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung betreffenden Vorschriften in Art. 6 und Art. 7 DS-GVO durch Regelungen der Länder ausgenommen worden (vgl. Senatsurteile vom 7. Juli 2020 - VI ZR 250/19, VersR 2021, 189 Rn. 10; - VI ZR 246/19, NJW 2020, 3715 Rn. 11; jeweils mwN).

Für den Bereich der Telemedien, der die streitgegenständliche Internetberichterstattung umfasst, galt zur Zeit der Berichterstattung § 57 Abs. 1 Satz 4 RStV (jetzt gleichlautend § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV). Für die Printberichterstattung existierten und existieren entsprechende Vorschriften der einzelnen Länder (für Berlin, den Sitz der Beklagten zu 2, siehe § 19 Abs. 1 Satz 1 des Berliner Datenschutzgesetzes und jetzt § 22a Abs. 1 Satz 4 des Berliner Pressegesetzes; weitere Nachweise bei Lauber-Rönsberg, AfP 2019, 373 Rn. 29 mit Fn. 50). Es liegt auf der Hand, dass ein Schadensersatzanspruch gemäß § 82 Abs. 1 DS-GVO nicht auf die Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen durch eine journalistische Tätigkeit gestützt werden kann, wenn die Bestimmungen für die Tätigkeit gar nicht gelten (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Februar 2021 - VI ZA 6/20, juris; Senatsurteile vom 7. Juli 2020 - VI ZR 250/19, VersR 2021, 189 Rn. 10; - VI ZR 246/19, NJW 2020, 3715 Rn. 11). Insoweit spielt es auch keine Rolle, dass die Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DS-GVO die in Kapitel VIII der Verordnung enthaltene Vorschrift des Art. 82 Abs. 1 DS-GVO nicht erfasst. Im Übrigen stellen § 23 Abs. 1 Satz 5 MStV (zuvor § 57 Abs. 1 Satz 5 RStV) und die presserechtlichen Vorschriften der Länder (etwa § 22a Abs. 1 Satz 5 des Berliner Pressegesetzes, § 19 Abs. 1 Satz 2 des Berliner Datenschutzgesetzes) klar, dass Art. 82 Abs. 1 DS-GVO im Geltungsbereich des Medienprivilegs nicht greift (vgl. Lauber-Rönsberg, AfP 2019, 373 Rn. 30). Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf es nicht, weil diese Frage klar zu beantworten ist (vgl. zu den Voraussetzungen
der Vorlagepflicht EuGH, EuZW 2018, 1038 Rn. 110 - Kommission/Frankreich mwN).

2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht dem Kläger zu Recht keine Geldentschädigung wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Wort- und Bildberichterstattungen nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 Abs. 1 GG und §§ 22, 23 KUG zuerkannt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Identifizierende Verdachtsberichterstattung nur bei Mindestbestand an Beweistatsachen und Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen vor Veröffentlichung zulässig

BGH
Urteil vom 16.11.2021
VI ZR 1241/20
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2; KUG § 22, § 23


Der BGH hat entschieden, dass eine Identifizierende Verdachtsberichterstattung nur bei einem Mindestbestand an Beweistatsachen und Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen vor Veröffentlichung zulässig ist.

Leitsätze des BGH:
a) Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen, erforderlich. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.

b) Das grundsätzliche Erfordernis einer Möglichkeit zur Stellungnahme soll sicherstellen, dass der Standpunkt des von der Verdachtsberichterstattung Betroffenen in Erfahrung und gegebenenfalls zum Ausdruck gebracht wird, der Betroffene also selbst zu Wort kommen kann. Dies setzt voraus, dass der Betroffene nicht nur Gelegenheit zur Stellungnahme erhält, sondern dass seine etwaige Stellungnahme auch zur Kenntnis genommen und der Standpunkt des Betroffenen in der Berichterstattung sichtbar wird.

BGH, Urteil vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Nürnberg: Kein Schadensersatz in Höhe von 78 Millionen EURO wegen behaupteter falscher Berichterstattung in Süddeutscher Zeitung in Sachen Solar Millenium AG im Artikel "Wetten auf den Absturz"

OLG Nürnberg
Beschluss vom 03.02.2021
3 U 2445/18


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass kein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 78 Millionen EURO wegen behaupteter falscher Berichterstattung in der Süddeutscher Zeitung in Sachen Solar Millenium AG in dem Artikel "Wetten auf den Absturz" besteht. Die Berichterstattung war nach den Grundsätzen zur Verdachtsberichtserstattung zulässig.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Millionenklage gegen Süddeutsche Zeitung: Berufung zurückgewiesen

Mit Beschluss vom 3. Februar 2021 hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg die Berufung des Klägers, welcher unter anderem von der Süddeutschen Zeitung sowie zwei Redakteuren wegen von ihm behaupteter falscher Berichterstattung einen Schadensersatzbetrag in Höhe von ca. 78 Millionen Euro verlangt, zurückgewiesen.

Der Kläger ist bzw. war Mitbegründer, Hauptaktionär und Mitglied des Aufsichtsrats der in Erlangen ansässigen Solar Millennium AG. Am 25. Juni 2013 war in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Wetten auf den Absturz“ ein Artikel veröffentlicht worden, in welchem unter anderem die Frage aufgeworfen wurde, ob der Kläger Insiderwissen zu seinen Gunsten genutzt hatte. Einen Tag später erschien in dem in der Schweiz verbreiteten „Tages-Anzeiger“ unter der Überschrift „Spur in deutschem Insiderfall führt zu Bank Vontobel“ ein Artikel, in welchem inhaltlich auf den Bericht in der Süddeutschen Zeitung Bezug genommen wurde.

Der Kläger behauptet, dass aufgrund dieser Berichte eine bereits weit fortgeschrittene Vereinbarung über die Realisierung eines Kraftwerkprojektes in Indien und weiterer Projekte in Indonesien geplatzt sei. Ihm und den beteiligten Gesellschaften, welche die Schadensersatzansprüche an ihn abgetreten hätten, sei deshalb ein Gewinn in Höhe von 78.242.500 Euro entgangen. Die Beklagten hätten ihn, da die Zeitungsartikel unzutreffende Behauptungen enthalten hätten, vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, weshalb ihm ein Schadensersatzanspruch zustehe. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte die Klage nach Vernehmung zweier Zeugen und Anhörung des Klägers abgewiesen und dabei im Wesentlichen ausgeführt, dass es Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Darstellung der beiden Zeugen und deren Glaubwürdigkeit habe. Zudem weiche der Artikel im Schweizer Tages-Anzeiger wesentlich von dem Artikel der Süddeutschen Zeitung ab, weshalb letzterer nicht ursächlich für das gescheiterte Geschäft gewesen sein könne.

Der 3. Zivilsenat ist der Auffassung, dass das Landgericht Nürnberg-Fürth die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen hat. Er hat daher zunächst mit Beschluss vom 4. März 2020 die Parteien darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung des Klägers mangels Erfolgsaussichten zurückzuweisen. Nach Eingang umfangreicher Stellungnahmen erfolgte die Berufungszurückweisung mit Beschluss vom 3. Februar 2021.

Für den Senat waren vier Gründe maßgeblich, die Berufung zurückzuweisen:

1. Der Senat wies darauf hin, dass die Berufungsinstanz keine vollwertige Tatsacheninstanz darstelle. Vielmehr sei das Berufungsgericht an die Feststellungen und Würdigung des Erstgerichts gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründeten und deshalb eine erneute Feststellung geböten. Derartige konkrete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichtes bestünden vorliegend nicht.

2. Voraussetzung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten wäre es, dass diese durch die Veröffentlichung des Artikels vom 25. Juni 2013 pflichtwidrig und rechtswidrig gehandelt hätten. Dies sei vorliegend zu verneinen. Die Darstellungen in dem Artikel seien im Wesentlichen zutreffend gewesen. Im Übrigen können sich die Beklagten nach Ansicht des Senats auf die Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung berufen.

3. Der Senat ist der Auffassung, dass der im Schweizer Tages-Anzeiger erschienene Artikel sich von den zulässigen Äußerungen des Artikels der Süddeutschen Zeitung inhaltlich so unterscheide, dass ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem ursprünglichen Artikel und einem Scheitern der Geschäfte des Klägers entfalle. Die Süddeutsche Zeitung habe in dem Artikel „Wetten auf den Absturz“ deutlich zu erkennen gegeben, dass es sich um eine – wenn auch starke – Vermutung handle, dass der Kläger Insiderwissen ausgenutzt habe. Zwar bestehe grundsätzlich eine Haftung auch für sogenannte Folgeschäden, das Verhalten der Redaktion des Tages-Anzeigers habe aber presserechtlichen Maßstäben in besonderer Weise widersprochen, so dass sich letztlich kein von den Beklagten geschaffenes Risiko verwirklicht habe.

4. Der Senat hält die Klage noch aus einem anderen Gesichtspunkt heraus für unbegründet. Der Senat konnte zwar nachvollziehen, dass aufgrund der damals gegen den Kläger im Raum stehenden Vorwürfe ein Geschäftspartner nachteilige Folgen für die Reputation des Geschäfts und negative Reaktionen einzubindender Dritter befürchtet und daher die Geschäftsbeziehung abbricht. Es lasse sich aber keine Überzeugung gewinnen, dass gerade die möglicherweise im Artikel missverständlich dargestellten Details zu den Optionsgeschäften für den Abbruch der Geschäftsbeziehung ausschlaggebend gewesen seien.

Der Senat beschäftigt sich in seinem mehr als 60-seitigen Beschluss dezidiert mit den einzelnen Problemen des Falles und geht auch noch auf weitere Gesichtspunkte ein.

Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25. Oktober 2018, Az. 11 O 9597/16
Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 04. März 2020, Az. 3 U 2445/18
Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 03. Februar 2021, Az. 3 U 2445/18



OLG Frankfurt: Arztbewertungsportal darf bei begründetem Verdacht von „gekauften Bewertungen“ Arztprofil mit Warnhinweis versehen - zulässige Verdachtsberichterstattung

OLG Frankfurt
Beschluss vom 19.11.2020
16 W 37/20


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass Arztbewertungsportal darf bei begründetem Verdacht von „gekauften Bewertungen“ das Arztprofil mit einem Warnhinweis versehen. Insofern gelten die Grundsätze einer zulässigen Verdachtsberichterstattung

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Warnhinweis auf Ärzteportal rechtmäßig beim Verdacht manipulierter Bewertungen

Ein Ärztebewertungsportal darf bei einem begründeten Verdacht von „gekauften Bewertungen“ das Arztprofil mit einem Warnhinweis kennzeichnen, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit heute verkündetem Beschluss. Die Grundsätze der sog. Verdachtsberichterstattung gelten auch hier.

Der Antragsteller ist Zahnarzt. Die Antragsgegnerin betreibt ein Arztsuche- und -bewertungsportal. Sie informierte den Antragsteller darüber, dass ihren Feststellungen nach auf seinem Profil „gefälschte positive Bewertungen“ veröffentlicht worden seien. Sollte er dies nicht aufklären können, kündigte sie an, die Nutzer per Warnhinweis über das Vorliegen gekaufter Bewertungen zu informieren. Nach anschließender Korrespondenz veröffentlichte die Antragsgegnerin einen Warnhinweis auf dessen Profil. Auszugsweise heißt es dort: Bei einzelnen Bewertungen auf diesem Profil haben wir Auffälligkeiten festgestellt, die uns veranlassen an deren Authentizität zu zweifeln. Wir haben den Profilinhaber mit dem Sachverhalt konfrontiert. Hierdurch ließ sich die Angelegenheit bisher nicht aufklären. Der Profilinhaber bestreitet für die Manipulation selbst verantwortlich zu sein...

Dieser Hinweis erscheint, wenn man mit der Maus auf die Gesamtnote im Profil des Antragstellers fährt. An der linken oberen Ecke der Gesamtnote befindet sich ein kleines rot unterlegtes Ausrufezeichen.

Der Antragsteller begehrt im Eilverfahren von der Antragsgegnerin, die Kennzeichnung seines Profils mit einem Warnzeichen und das Einblenden des Hinweistextes zu unterlassen. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg.

Der Warnhinweis greife zwar in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Gewerbebetriebs ein. Dies sei jedoch nicht rechtswidrig. Der Antragsteller moniere zu Unrecht, dass die Antragsgegnerin ihn „als Lügner und Betrüger“ darstelle. Dem Warnhinweis sei vielmehr klar zu entnehmen, dass es sich um einen bloßen Verdacht handele und der Antragsteller die Vorwürfe bestreite. An keiner Stelle werde der Eindruck erweckt, der Arzt selbst sei für die Bewertungen verantwortlich.

Die Vorgehensweise der Antragsgegnerin sei deshalb nach den Grundsätzen über die sog. Verdachtsberichterstattung gedeckt. Diese Grundsätze seien auf die Antragsgegnerin, die mit dem Bewertungsportal eine von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion ausübe, anwendbar. Die Antragsgegnerin berufe sich hier zu Recht auf einen „Mindestbestand an Beweistatsachen für das Vorliegen gekaufter/manipulierter Bewertungen im Profil“ des Antragstellers. Das OLG verweist auf die landgerichtlichen Feststellungen, wonach die Antragsgegnerin anhand von E-Mails und IP-Adressen herausgefunden habe, „dass Bewerter für Bewertungsanbieter tätig waren und diese Bewerter ebenfalls das Ärzte-Profil des (Klägers) bewertet haben sollen. Dass diese Nutzer gekaufte Bewertungen abgaben, hätten andere, von diesen Nutzern bewertete Ärzte eingeräumt“. Der Verdacht falle dabei grundsätzlich auf den Antragsteller als Profilinhaber. Dieser müsse die Vorwürfe ausräumen bzw. an der Aufklärung mitwirken. Dem sei der Antragsteller hier nicht hinreichend nachgekommen.

Ohne Erfolg berufe sich der Antragsteller auf angebliche Erpressungsversuche. Sein Vorbringen, er habe Schreiben von Erpressern erhalten, die mit dem Zusenden positiver Bewertungen an die Antragsgegnerin gedroht hätten, wenn er nicht 500,00 € zahle, sei widersprüchlich und nicht plausibel. So sei es etwa nicht verständlich, warum die Erpresser nicht unmittelbar mit negativen Bewertungen gedroht hätten.

Der Warnhinweis sei auch in seiner Gestaltung nicht zu beanstanden. Insbesondere enthalte er keine Vorverurteilung. Schließlich bestehe ein öffentliches Interesse an dem Warnhinweis. Dies sei bereits beim Verdacht einer Manipulation anzunehmen.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.11.2020, Az. 16 W 37/20
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 9.6.2020, Az. 2-03 O 167/20)


BVerfG: Zur Zulässigkeit des Vorhaltens alter Verdachtsberichterstattung in einem Online-Pressearchiv

BVerfG:
Beschluss vom 07. Juli 2020
1 BvR 146/17


Das Bundesverfassungsgericht hat seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Vorhaltens alter Verdachtsberichterstattung in einem Online-Pressearchiv weiter präzisiert.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Zulässiges Vorhalten von Verdachtsberichterstattung in Online-Pressearchiven

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichtem Beschluss eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die zivilgerichtliche Zurückweisung eines Löschungsbegehrens gegenüber einem Pressearchiv richtet.

Die Kammer greift mit dem Beschluss die in den Senatsentscheidungen zum „Recht auf Vergessen“ aufgestellten Maßgaben für die Zulässigkeit eines langfristigen Vorhaltens von Presseberichten im Internet auf und konkretisiert sie für den Fall einer Berichterstattung über Verdachtslagen. Dabei hat die Kammer erneut festgehalten, dass die ursprüngliche Zulässigkeit einer Berichterstattung ein entscheidender Faktor für die Zulässigkeit einer über das Internet zugänglichen Archivierung ist und im Normalfall eine unveränderte öffentliche Bereitstellung auch nach langer Zeit noch rechtfertigt. Für die Verdachtsberichterstattung entsprechen dem besonders gesteigerte Anforderungen an die ursprüngliche Veröffentlichung solcher Berichte, die deren öffentliches Vorhalten im Regelfall auch langfristig tragen. In Ausnahmefällen kann das Vorhalten einer ursprünglich berechtigten Verdachtsberichterstattung durch Zeitablauf oder durch zwischenzeitlich hinzugekommene Umstände eine die betroffene Person derart belastende Dimension gewinnen, dass daraus Löschungs-, Auslistungs- oder Nachtragsansprüche erwachsen können. Ein solcher Fall war hier nicht gegeben.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt des beanstandeten Presseberichts Unternehmensberater und unterstützte verschiedene Unternehmen bei der Erschließung ausländischer Märkte. In diesem Rahmen erhielt er für Beratungsleistungen unter anderem von der Firma Siemens Zahlungen im achtstelligen Bereich. 2007 erschien in der Europaausgabe einer englischsprachigen Tageszeitung im Zuge damals öffentlich gewordener Korruptionsermittlungen gegen leitende Mitarbeiter der Firma Siemens ein Artikel, der hauptsächlich am Beispiel des namentlich genannten Beschwerdeführers über die Rolle von Beratern bei der Beschaffung von Industrieaufträgen im Ausland berichtete. Seit einigen Jahren komme weltweit der Verteilung von Bestechungsgeldern über schwer zu durchschauende Kanäle durch Berater eine gesteigerte Bedeutung zu. Unter anderem berichtet der Artikel von den Beschwerdeführer belastenden Aussagen leitender Siemens-Mitarbeiter, gegen die zu dem Zeitpunkt strafrechtlich ermittelt wurde. Daneben erwähnt der Bericht, dass Siemens zu den Vorwürfen nicht Stellung genommen habe, dass die Staatsanwaltschaft erklärt habe, dass der Beschwerdeführer weder befragt noch beschuldigt worden sei, dass er selbst die Vorwürfe abstreite und geltend mache, dass er mehrfach erfolglos Korruptionsfälle intern angezeigt habe und dass er einem etwaigen Anruf der Staatsanwaltschaft gelassen entgegenblicke. Ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer wurde nicht eröffnet. Der Artikel ist in teilweise abgeänderter Form infolge teilstattgebender Gerichtsentscheidungen weiterhin online verfügbar.
Hinsichtlich des Verdachts, der Beschwerdeführer habe für die Firma Siemens Bestechungsgelder in großem Umfang an potentielle Kunden gezahlt, wiesen die Zivilgerichte das Unterlassungsbegehren des Beschwerdeführers ab. Es habe sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung um eine zulässige Verdachtsberichterstattung gehandelt. Auch das weitere Bereithalten des Berichts im Online-Archiv greife nicht rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers ein. Diese Beeinträchtigung sei in Anbetracht der Aufgabe der Presse, auch individualisierend über Ereignisse des Zeitgeschehens zu berichten, und des erheblichen öffentlichen Interesses an Bestechungsvorwürfen in Millionenhöhe gerechtfertigt. Der Antrag auf Ergänzung eines klarstellenden Nachtrags über die Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens sei prozessual verspätet und im Übrigen unbegründet.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

1. Die Kammer hat unter Verweis auf die Senatsentscheidungen zum „Recht auf Vergessen“ wiederholt, dass in Fällen, in denen das öffentlich zugängliche Vorhalten eines Berichts, insbesondere in Pressearchiven, in Rede steht, dessen Zulässigkeit anhand einer neuerlichen Abwägung der im Zeitpunkt des jeweiligen Unterlassungsbegehrens bestehenden gegenläufigen grundrechtlich geschützten Interessen zu beurteilen ist. Dabei ist die ursprüngliche Zulässigkeit eines Berichts allerdings ein wesentlicher Faktor, der ein gesteigertes berechtigtes Interesse von Presseorganen begründet, ihn ohne Änderung der Öffentlichkeit dauerhaft verfügbar zu halten. Denn in diesem Fall hat die Presse bei der Veröffentlichung bereits die für sie geltenden Maßgaben beachtet und kann daher im Grundsatz verlangen, sich nicht erneut mit dem Bericht und seinem Gegenstand befassen zu müssen. Zumutbar sind einschränkende Maßnahmen gegenüber einer unveränderten Bereitstellung von ursprünglich zulässigen Presseberichten in Onlinearchiven daher nur in Ausnahmefällen, wenn deren Folgen für die Betroffenen besonders gravierend sind.

2.a) Handelt es sich bei dem Gegenstand des Löschungsbegehrens um eine Verdachtsberichterstattung, ist in Rechnung zu stellen, dass es zu den Aufgaben der Presse gehört, investigativ – in den Grenzen des Zulässigen – auch individualisierend und identifizierend über Verdächtigungen von hohem öffentlichen Interesse zu berichten. Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten und Verdachtslagen gehören zur sozialen Wirklichkeit, die aufzubereiten und über die zu informieren Merkmal, Freiheit und Aufgabe der Presse ist. Auch unerwiesene Verdächtigungen können von berechtigtem öffentlichen Interesse sein und hierauf gründende Wahrscheinlichkeitswahrnehmungen langfristig individuelles, gesellschaftliches und politisches Handeln beeinflussen. Gerade der mangelnden Aufklärbarkeit von Verdachtslagen kann dabei – etwa wenn es um strukturelle Grenzen von Aufklärungsmöglichkeiten geht – öffentliche Bedeutung zukommen. Insoweit erübrigt sich ein Veröffentlichungs- und Bereithaltungsinteresse der Presse nicht grundsätzlich schon durch die Einstellung oder Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens.

b) Andererseits ist bei einer Verdachtsberichterstattung die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts regelmäßig insoweit von erhöhtem Gewicht, als der Betroffene damit einem Verdacht ausgesetzt bleibt, der möglicherweise nicht den Tatsachen entspricht und der zwischenzeitlich sogar ausgeräumt wurde. Betroffene können damit auf Dauer einer negativen Wertung ausgesetzt sein, die sie – anders als bei unstrittig wahrhafter Tatsachenberichterstattung – womöglich nicht durch ihr eigenes Handeln zu verantworten haben. Auch kann das öffentliche Interesse an einem längerfristigen Vorhalten eines Berichts je nach Inhalt des Verdachts geringfügiger als bei feststehenden Tatsachen sein.

c) Auch aus diesem Grund unterliegt die ursprüngliche Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung strengen rechtlichen Maßstäben. So hat eine zulässige Verdachtsberichterstattung im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung immer einen Vorgang von erheblichem Gewicht, also ein besonders gesteigertes Berichterstattungsinteresse, zur Voraussetzung. Daneben wird durch das Erfordernis einer Stellungnahmemöglichkeit und das Verbot vorverurteilender Berichterstattung sichergestellt, dass die Betroffenen selbst zu Wort kommen und der Bericht nur den Eindruck eines noch nicht geklärten Verdachts vermittelt. Die Betroffenen sind also nicht in den Augen ihres sozialen Umfelds für alle Zukunft auf einen Umstand festgelegt, wie es bei einer dauerhaft vorgehaltenen Mitteilung von unstrittig wahrer Tatsachenberichterstattung der Fall ist.

d) Bei der von den Fachgerichten geforderten Abwägung sind im Sinne praktischer Konkordanz auch vermittelnde Lösungen zu erwägen. Hierzu kann unter Umständen auch ein klarstellender Nachtrag über den Ausgang rechtlich formalisierter Verfahren wie etwa strafrechtlicher Ermittlungs- oder Hauptsacheverfahren gehören, solange dies auf besondere Fälle begrenzt bleibt und der Presse nur eine sachlich-distanzierte Mitteilung geänderter Umstände abverlangt wird. Solche Nachtragsansprüche müssen allerdings die Freiheit der Presse, ihre Berichterstattungsgegenstände selbst zu wählen und nicht zu neuerlichen Nachforschungen und Bewertungen vergangener Berichterstattungsgegenstände verpflichtet zu werden, unangetastet lassen. Die Bekanntgabe allein des Umstands einer Einstellung oder Nichtaufnahme strafrechtlicher Ermittlungen kann einen Nachtragsanspruch nicht auslösen, weil dafür verschiedenste Gründe wie etwa Beweisnot oder staatsanwaltliche Priorisierungsentscheidungen ausschlaggebend sein können, die den Verdacht der Sache nach weder entkräften noch ausräumen.

3. Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Maßstäben. Die Gerichte haben erkannt, dass die Zulässigkeit des weiteren Vorhaltens eines Presseberichts im Lauf der Zeit Veränderungen unterliegen kann und im Zeitpunkt des Unterlassungsbegehrens durch Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich erheblichen Belange zu beurteilen ist. Auf dieser Grundlage sind sie zurecht davon ausgegangen, dass die ursprüngliche Zulässigkeit einer Veröffentlichung ein entscheidender Faktor der Beurteilung ist. Auch davon abgesehen rechtfertigt die besonders gesteigerte gesellschaftliche Bedeutung der in dem Artikel beschriebenen Vorgänge und des darin geäußerten Verdachts, den anlassgebenden Missstand an einem konkreten Beispiel fassbar und plastisch zu machen. Ebenfalls zutreffend haben die Gerichte berücksichtigt, dass der beanstandete Bericht bei einer Suche anhand des vollständigen Namens des Beschwerdeführers nicht mit hoher Priorität kommuniziert wird. Es ist daher nicht erkennbar, dass Dritte bei einer unvoreingenommenen Namenssuche im Internet in unzumutbarer Weise auf den Bericht gestoßen und der Beschwerdeführer in seinem sozialen Umfeld in vergleichbar gravierender Weise auf die hier geäußerten Verdächtigungen festgelegt würde wie der Beschwerdeführer in dem Verfahren „Recht auf Vergessen I“.

Schließlich sind die Gerichte zurecht davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf einen klarstellenden Nachtrag mangels einer klar feststellbaren zwischenzeitlichen Veränderung der Sachlage, etwa eines Freispruchs oder einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO, nicht bestand. Aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Schreiben ergab sich keine objektiv und ohne eigene Recherchen feststellbare Veränderung der Sachlage, über die die Beklagte des Ausgangsverfahrens in Gestalt des Nachtrags in sachlich-distanzierter Weise – ohne Revidierung des ursprünglich zulässig geäußerten Verdachts – hätte berichten müssen. Der Umstand allein, dass es nie zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren kam, reicht für eine Zuerkennung von Nachtragsansprüchen nicht aus. Andernfalls käme im Bereich strafrechtlich erheblicher Sachverhalte der Nichteröffnung staatsanwaltlicher Verfahren die Wirkung zu, das Vorhalten zulässiger Verdachtsberichterstattung regelmäßig auszuschließen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Zur rechtlichen Bewertung einer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren begleitenden identifizierenden Verdachtsberichterstattung

BGH
Urteil vom 17.12.2019
VI ZR 249/18
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1 Ah, § 1004 Abs. 1 Satz 2; KUG § 22, § 23


Leitsatz des BGH:
Zur rechtlichen Bewertung einer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren begleitenden identifizierenden Verdachtsberichterstattung, wenn der Betroffene im Verlauf des Unterlassungsklageverfahrens wegen der Straftat rechtskräftig verurteilt wird (Fortführung Senatsurteil vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, VersR
2019, 1225).

BGH, Urteil vom 17. Dezember 2019 - VI ZR 249/18 - OLG Frankfurt am Main - LG Frankfurt am Main

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Zulässige Berichterstattung über Plagiatsvorwüfe unter Namensnennung

OLG Frankfurt
Urteil vom 19.12.2019
16 U 210/18


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Berichterstattung über Plagiatsvorwüfe unter Namensnennung zulässig sein kann.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Der Klägerin steht nach Auffassung des Senats gegen den Beklagten kein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB i.V. m. Art. 2 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG wegen Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu.

1. Dabei kann dahinstehen, ob die erforderliche Erstbegehungsgefahr besteht. Bei einer vorbeugenden Unterlassungsklage ist Voraussetzung, dass ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, der Anspruchsgegner werde sich in naher Zukunft in der näher bezeichneten Weise rechtswidrig verhalten (vgl. Wenzel-Burkhardt, Das Recht der Wort-und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 12, Rz. 33). Der Beklagte hatte sich zwar mit anwaltlichem Schreiben vom 14. Dezember 20XX direkt an die Bevollmächtigten der Klägerin gewandt und mitgeteilt, dass er eine Berichterstattung über die Klägerin und ihren Fall beabsichtige, und zwar unter Nennung ihres Namens und auch im Internet. Keine Anhaltspunkte bestehen indes dafür, dass ein entsprechender Bericht des Beklagten wirklich nahe bevorstand.

Diese Frage kann aber dahingestellt bleiben, da der Erfolg der vorbeugenden Unterlassungsklage aus anderen Gründen zu verneinen ist.

2. Da es sich bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht um ein Rahmenrecht handelt, bedarf es einer umfassenden Güterabwägung. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. st. Rspr., z.B. BGH NJW 2016, 789).

Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist nach Auffassung des Senats als Ergebnis der vorzunehmenden Güterabwägung dem Beklagten eine namentliche Nennung der Klägerin im Rahmen einer Berichterstattung über die gegen sie erhobenen Plagiatsvorwürfe gestattet.

Hierbei spielt zunächst eine Rolle, dass die Berichterstattung die Sozialsphäre der Klägerin betrifft, also den Bereich des beruflichen und wissenschaftlichen Wirkens. Zwar hat sich die Klägerin aus dem beruflichen Leben vollständig zurückgezogen und auf die Führung der akademischen Bezeichnung „Privatdozentin“ verzichtet. Auch wurde sie auf ihr Verlangen mit Ablauf des XX. August 20XX aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit des Bundeslandes1 entlassen. Gleichwohl ist mit den Plagiatsvorwürfen und einem darüber gefertigten Bericht - auch unter Nennung ihres Namens - kein Eingriff in ihre Privatsphäre verbunden, da die Ursache für diesen Bericht aus ihrer Sozialsphäre und früheren beruflichen Tätigkeit stammt. Das gilt selbst vor dem Hintergrund, dass die Klägerin als akademische Amtsbezeichnung1, Amtsbezeichnung2 und zeitweise Amtsbezeichung3 der Universität1 vor allem mit Verwaltungstätigkeiten befasst war und keine Lehrstuhlinhaberin gewesen ist. Auch wenn sie auf die akademische Bezeichnung „Privatdozentin“ verzichtet hat, bleiben ihre beiden wissenschaftlichen Arbeiten, die Doktorarbeit und die Habilitationsschrift in der Welt. Sie sind an den Hochschulen und weiteren Bibliotheken vorhanden und dienen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dafür - und nicht nur im Interesse eines persönlichen beruflichen Fortkommens - wurden sie geschrieben.

Nach Auffassung des Senats hat die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung des Namens der Autorin dieser wissenschaftlichen Schriften, weil gerade hierin ein besonderer zusätzlicher Informationswert liegt, der ohne die namentliche Nennung nicht berücksichtigt würde. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann dem auch nach dem vollständigen Rückzug der Klägerin aus dem Wissenschaftsbetrieb und aus öffentlichen Funktionen verbleibenden Interesse an dem Thema „Plagiatsvorwürfe gegen Hochschulangehörige“ durch eine die Klägerin nicht namentlich bezeichnende Berichterstattung nicht Rechnung getragen werden. Denn ohne die namentliche Nennung würden die Fortwirkungen auf den Wissenschaftsbetrieb nicht angemessen berücksichtigt.

Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Übernahmen aus fremden Texten, die als solche nicht gekennzeichnet sind, führt zu einer Perpetuierung dieser Plagiate, was gegen wissenschaftliche Interessen verstößt. Ferner ist ein wissenschaftliches Buch ohne den Namen des Verfassers wenig aussagekräftig, auch wenn Titel, Verlag und Erscheinungsjahr zusätzlich veröffentlicht sind. Werk und Autor gehören zusammen. Es besteht auch eine Verwechslungsgefahr, da allein der Titel eines Werkes nicht immer aussagekräftig ist. Das gilt gerade für ein Werk, das - wie die Habilitationsschrift der Klägerin - mit einem aktuellen und eher allgemein gehaltenen Titel versehen ist. Das Thema ihres Buches „...“ ist (...) hochaktuell, vor allem auch durch den zweiten Teil des Titels „...“. (...). Das gilt für den wissenschaftlichen Diskurs, aber auch für journalistische Tätigkeiten. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat (...) die Habilitationsschrift der Klägerin zitiert (...).

Ohne Erfolg wendet die Klägerin ein, sie trage für die Handhabung der Bibliotheken mit Plagiaten, die mit keinem Hinweis versehen würden, keine Verantwortung. Denn entscheidend ist, dass die Klägerin es war, die so gearbeitet hat, dass ihre Werke dem Plagiatsvorwurf ausgesetzt wurden. Ein Recht auf „Vergessenwerden“ hat sie nicht, da ihre Habilitationsschrift noch im wissenschaftlichen Diskurs steht und wieder große Aktualität hat.

Es kommt hinzu, dass die Klägerin ja auch ein Thema mit aktuellen Bezügen gewählt hatte.

Entgegen der Auffassung der Klägerin können für die Berichterstattung über den Verdacht von Plagiaten in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung und über deswegen erhobene Vorwürfe nicht dieselben Maßstäbe gelten wie für die Verdachtsberichterstattung über Straftaten. Der Verfasser einer wissenschaftlichen Schrift begibt sich mit dieser in den öffentlichen Diskurs. Ebenso wie über begründete sachliche Einwände gegen seine veröffentlichten Ausführungen unter namentlichem Bezug auf den Autor berichtet werden darf, muss dies auch für den Verdacht nicht gekennzeichneter Übernahmen von anderen Autoren oder den Verstoß gegen die Regeln wissenschaftlichen Zitierens gelten. An der Person des Autors besteht darüber hinaus auch dann zusätzlich ein Interesse, wenn er - wie hier - weitere Werke verfasst hat, die von dem Vorwurf (noch) nicht betroffen sind.

Dem Gesichtspunkt der Resozialisierung kommt darüber hinaus ein geringeres Gewicht zu, weil der Vorwurf keine Straftat betrifft und bei einem allein berufsbezogenen Fehlverhalten in der Regel nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine Rückkehr zu wissenschaftlich redlichem Verhalten eine Wiedereingliederung in die sozialen Strukturen der Gesellschaft erfordert.

Überdies haben sich auch zwischenzeitlich die Fakten verdichtet, dass der Plagiatsvorwurf wohl nicht unberechtigt sein könnte. Die für eine Verdachtsberichterstattung erforderlichen Belegtatsachen liegen damit in ausreichendem Umfang vor.

So hat die Universität2 der Klägerin die Habilitation mit detaillierten Angaben zu vorhandenen Plagiaten aberkannt, ihr Widerspruch wurde zurückgewiesen. Zwar hat das von der Klägerin angerufene Verwaltungsgericht entschieden, dass die Entziehung der akademischen Bezeichnung „Privatdozentin“ rechtswidrig war, weil die Klägerin bereits auf dieses Recht verzichtet hatte. Anders ist es jedoch bezüglich der Aberkennung der Habilitation. Diesbezüglich hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der Hochschule als rechtmäßig angesehen, weil die Klägerin darauf nicht verzichten konnte. Auch wenn diese Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist, hat sich der Plagiatsvorwurf keineswegs erledigt, sodass der Beklagte als Sachwalter eines fairen und wissenschaftlichen Tugenden verpflichteten Diskurses und Wissenschaftsbetriebes den Namen der Klägerin im Zusammenhang mit den gegen sie erhobenen Plagiatsvorwürfen nennen darf. Das gilt erst recht im Hinblick darauf, dass hier der Vorwurf eines Doppelplagiats im Raum steht.

Etwas Anderes könnte nur dann gelten, wenn eine solche Namensnennung zu schweren gesundheitlichen Folgen bei der Klägerin geführt hat und weiterhin führen könnte. Denn dann könnten ihre Interessen im Rahmen der Güterabwägung überwiegen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 29. August 2019 (Bl. 898 d. A.) ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass eine andere Beurteilung bei der Gesamtabwägung dann gerechtfertigt sein könnte, wenn sie konkret vorträgt und belegt, dass sie in Folge der Vorwürfe und dann verstärkt durch die Berichterstattungen an einer psychischen Belastung mit echtem medizinischem Krankheitswert leidet. Ihr ist Gelegenheit gegeben worden, hierzu ergänzend schriftsätzlich bis zum 26. September 2019 Stellung zu nehmen.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26. September 2019 hat sie dargelegt, dass sie seit Februar 20XX und aufgrund der erhobenen Vorwürfe und Presseberichterstattungen psychisch krank sei. Sie sei mit einem erheblichen pathologischen Krankheitswert an einer Depression erkrankt. Sie sei aufgrund dessen über einen langen Zeitraum seit dem Jahr 20XX krankgeschrieben gewesen und habe sich infolgedessen auch vollständig aus der beruflichen Sphäre zurückgezogen. Sie sei suizidgefährdet und es bedürfe fortwährender Anstrengungen, ihr psychisches Gleichgewicht stabil zu halten. Der Lebenseinschnitt, der durch die erhobenen Vorwürfe und die noch andauernde Klärung erfolgte, würde durch eine öffentliche Bloßstellung so verstärkt, dass ein Depressionsschub einschließlich einer stationären Behandlung drohen würde.

Dieser Vortrag ist zwar nicht verspätet, da der Senat der Klägerin Gelegenheit zu ergänzenden Ausführungen gegeben hatte. Die Klägerin hat jedoch nicht die vom Beklagten bestrittene Kausalität zwischen der von ihr geschilderten psychischen Erkrankung und einer namentlichen Berichterstattung bewiesen.

Zwar hat sie das nervenärztliche Attest des sie behandelnden Psychiaters D vom 19. September 2019 (Anlage K 37, Bl. 956 d. A.) vorgelegt. Dieses ist jedoch hinsichtlich der Kausalitätsfrage unergiebig. In dem Attest heißt es allgemein, dass sich die Klägerin seit Februar 20XX in der regelmäßigen nervenärztlichen Behandlung des Psychiaters befinde. Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch noch keine Plagiatsvorwürfe, die öffentlich erst 20XX erhoben wurden.

Die Klägerin hatte mit der Klage vorgetragen, dass der Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens eine Depression ausgelöst habe und die - später erfolgten - namentlichen Berichterstattungen zu einem weiteren depressiven Schub geführt hätten. Einen solchen belegt das Attest nicht. Weiterhin heißt es allgemein, dass es in der Folge einer beruflichen Belastung zu schwer ausgeprägten depressiven Phänomenen gekommen sei. Hinter dieser allgemeinen Formulierung könnten sich zahlreiche Gründe für depressive Phänomene verbergen, z.B. ein Überlastungssyndrom, ein Burnout o.ä. Ein Zusammenhang mit den Plagiatsvorwürfen wird nicht hergestellt, sodass dieser auch nicht als bewiesen anzusehen ist. Noch deutlicher wird die fehlende Kausalität, wenn man auf die namentliche Nennung der Klägerin in Verbindung mit Plagiatsvorwürfen abhebt. Die Dokumentation zu Plagiierungen in der Habilitationsschrift der Klägerin erschien im „C“ erst im (...) 20XX, also erst 1 1/4 Jahre nach Beginn der Behandlung; lediglich die interne Dokumentation - ohne Namensnennung - begann schon am XX.XX.20XX (Anlage B 95, Bl. 985 d. A.). Die Promotionsschrift der Klägerin wurde erst ab dem ... 20XX auf der Plattform „C“ analysiert und der Zeitung1-Artikel über das Doppelplagiat unter voller Namensnennung der Klägerin erschien am XX.XX.20XX.

Zwar schreibt D, dass die öffentliche Berichterstattung unter Nennung ihres Namens die Qualität einer Retraumatisierung habe, doch ist ihr Vortrag, dass jede weitere Veröffentlichung unter namentlicher Nennung eine Retraumatisierung auslösen würde, gleichwohl unbelegt. Denn da die Traumatisierung durch die öffentliche Berichterstattung nicht bewiesen ist, kann denknotwendig auch nicht die Retraumatisierung bewiesen sein.

Dementsprechend ist allenfalls von einer fortwährenden seelischen Belastung der Klägerin in Folge der namentlichen Berichterstattung auszugehen, die nicht ausreichend ist, bei der Güterabwägung zugunsten der Klägerin zu entscheiden. Denn dazu bedürfte es eines bewiesenen kausalen pathologischen Befundes. Dass auch die minderjährige Tochter der Klägerin unter diesen seelischen Belastungen leidet, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

Die Klägerin hat außer der Vorlage des Attests auf den Hinweis des Senats auch keine näheren Tatsachen dargelegt, wie sich die Berichterstattung jeweils ausgewirkt hat, und insbesondere, wann sie in zeitlichem Zusammenhang damit ihren Arzt aufgesucht hat."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Köln: Unzulässige Verdachtsberichterstattung durch BILD Zeitung und bild.de über Ermittlungsverfahren gegen Christoph Metzelder

LG Köln
Beschluss vom 18.09.2019
28 O 344/19


Das LG Köln hat entschieden, dass die Verdachtsberichterstattung der BILD Zeitung und bild.de über das Ermittlungsverfahren gegen Christoph Metzelder unzulässig war.

Die Pressemitteilung des LG Köln:

Landgericht Köln verbietet Verdachtsberichterstattung über Christoph Metzelder

Mit Beschluss vom 18.09.2019 hat die 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln dem Axel-Springer-Verlag im Wege der einstweiligen Verfügung die identifizierende Berichterstattung über Christoph Metzelder im Zusammenhang mit einem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren verboten. wie sie in der BILD Zeitung vom 04. und 05.09.19 sowie auf
www.bild.de am 03. und 05.09.2019 geschehen ist. Zudem wurden konkrete Äußerungen verboten, die im Rahmen einer Berichterstattung des NDR am 11.09.2019 getätigt wurden.

In ihrem Beschluss (Az. 28 O 344/19) hebt die Kammer unter Vorsitz von Herrn Vorsitzendem Richter am Landgericht Dr. Dirk Eßer da Silva maßgeblich auf die durch die konkrete Gestaltung der Berichterstattung gegebene Vorverurteilung und den Umstand ab. dass es für eine derartige Verdachtsberichterstattung an einem Mindestbestand an Beweistatsachen fehle, die für die Richtigkeit des vermittelten Verdachts sprechen könnten.

Im Hinblick auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Herrn Metzelder wird es in dieser Angelegenheit derzeit keine weiteren Auskünfte oder Erklärungen seitens des Landgerichts Köln geben.

Die Antragsgegnerseite hat die Möglichkeit, gegen den Beschluss Widerspruch einzulegen. In diesem Fall sieht das Gesetz eine mündliche Verhandlung durch die 28. Zivilkammer vor.



BVerfG: Verpflichtung zum Abdruck einer nachträglichen Mitteilung bei rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung verfassungswidrig

BVerfG
Beschluss vom 02.05.2018
1 BvR 666/17


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Verpflichtung zum Abdruck einer nachträglichen Mitteilung bei rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung verfassungswidrig ist.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsberichts:

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen Verpflichtung zum Abdruck einer nachträglichen Mitteilung bei rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung

Die Verpflichtung einer Zeitschrift zum Abdruck neu bekanntwerdender Umstände zu einem ursprünglich sachgerechten Bericht über den Verdacht von Straftaten ist etwas anderes als die Verpflichtung zu einer Richtigstellung und unterliegt daher besonderen Anforderungen. Eine Pflicht zum Abdruck einer solchen „nachträglichen Mitteilung“ kommt zwar in Betracht, wenn der Betroffene nachweist, dass ein gegen ihn betriebenes Strafverfahren eingestellt wurde. Sie muss aber inhaltlich darauf beschränkt sein, in knapper Form das Ergebnis der Ermittlungen mitzuteilen und darf dem Presseorgan nicht abverlangen, eine eigene Stellungnahme abzugeben. Sofern in der Mit-teilung weitere Personen erwähnt werden, sind auch deren Rechte zu wahren. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss bekannt gegeben und einer Verfassungsbeschwerde eines Nachrichtenmagazins wegen Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit stattgegeben.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin ist ein wöchentlich erscheinendes Nachrichtenmagazin. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist der frühere Chefjustiziar einer Landesbank. In einer Ausgabe berichtete die Beschwerdeführerin über die internen Zustände der Landesbank und schilderte die Umstände der Entlassung eines ehemaligen Vorstandsmitglieds wegen des Verdachts der Weitergabe von vertraulichem Material an Journalisten. Es sei vorstellbar, dass der Kläger an geheimen Spitzelaktionen gegen das Vorstandsmitglied beteiligt gewesen sei, die zu dessen womöglich auf einer Falschbezichtigung basierenden Entlassung geführt hätten.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger stellte die Staatsanwaltschaft mangels hinreichenden Tatverdachts ein. Landgericht und Oberlandesgericht verurteilten die Beschwerdeführerin daraufhin richtigzustellen, dass der Kläger an den in dem Bericht beschriebenen Vorgängen nicht beteiligt gewesen sei. Nach Aufhebung und Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof verurteilte das Oberlandesgericht die Beschwerdeführerin zum Abdruck einer vom Kläger formulierten Erklärung. Diese Nachtragserklärung müsse eine Passage aus dem ursprünglichen Bericht enthalten und mit dem Satz „Diesen Verdacht halten wir aus heutiger Sicht nicht aufrecht“ enden. Die Überschrift sei von „Richtigstellung“ in „Nachtrag“ zu ändern. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde sowie eine Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin wies der Bundesgerichtshof zurück. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts und die beiden darauffolgenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Sie macht unter anderem eine Verletzung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG geltend, da sie trotz rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung zum Abdruck eines „Nachtrags“ verurteilt worden sei.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

Es bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, aus §§ 823 und 1004 BGB einen äußerungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch abzuleiten. Bei der Berichterstattung über den Verdacht einer Straftat ist zu berücksichtigen, dass diese stets das Risiko der Unrichtigkeit in sich trägt und besonders belastende Auswirkungen auf den Betroffenen haben kann. Zur Abmilderung der Folgen einer solchen Berichterstattung kann es für den Fall, dass ein Ermittlungsverfahren eingestellt oder der Betroffene freigesprochen wird, als Ausgleich zwischen der Pressefreiheit und dem Persönlichkeitsschutz geboten sein, dem Betroffenen das Recht zuzubilligen, eine nachträgliche Mitteilung über den für ihn günstigen Ausgang des Strafverfahrens zu verlangen. Eine solche nachträgliche Mitteilung über erst später bekanntwerdende Umstände unterscheidet sich in ihren Anforderungen jedoch grundsätzlich von einer Richtigstellung gegenüber ursprünglich rechtswidrigen Presseberichten. Denn hier ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die ursprüngliche Berichterstattung verfassungsrechtlich von der Pressefreiheit gedeckt war und die Presseorgane diese grundsätzlich als abgeschlossen betrachten durften. Die Entscheidung, über welche Ereignisse berichtet wird, gehört zum wesentlichen Inhalt der Pressefreiheit, weshalb die Presse nicht einer generellen Pflicht unterworfen werden darf, die Berichterstattung über ein einmal aufgegriffenes Thema bei neuen Entwicklungen fortzusetzen oder im Nachgang zu einer Berichterstattung nachzuforschen, ob sich ein Verdacht bewahrheitet hat oder nicht. Die Pressefreiheit erfordert, dass solche Ansprüche auf nachträgliche Mitteilung in Anschluss an eine ursprünglich rechtmäßige Verdachtsberichterstattung auf Ausnahmefälle begrenzt bleiben. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren die entsprechenden Tatvorwürfe durch Einstellungsbeschluss fallen gelassen werden oder ein Freispruch gegenüber dem Betroffenen ergangen ist. Demgegenüber kann eine nachträgliche Mitteilung nicht unter Berufung auf neue Erkenntnisse und das Verlangen nach einer neuen Würdigung der Verdachtslage begehrt werden. Insoweit unterscheidet sich der Rechtsstreit um den Anspruch auf Abdruck einer nachträglichen Mitteilung seinem Gegenstand nach von dem Rechtstreit um Richtigstellung und ist nicht nur dessen Fortsetzung. Während der Anspruch auf Richtigstellung davon abhängt, ob die Presse in der Würdigung der Verdachtsmomente zum Zeitpunkt der Veröffentlichung den insoweit geltenden Anforderungen genügt, setzt ein Anspruch auf nachträgliche Mitteilung voraus, dass spätere Erkenntnisse zu einer solchen Mitteilung Anlass geben.

Auch hinsichtlich Inhalt, Form und Umfang des abzudruckenden Textes ist bei der Abwägung die ursprüngliche Rechtmäßigkeit des Textes zu berücksichtigen. Insbesondere darf die Presse hierbei nicht zu einer eigenen Bewertung der veränderten Sachlage verpflichtet werden. Die von ihr verlangte Erklärung muss sich auf eine Mitteilung der geänderten Umstände in ihrem objektiven Gehalt beschränken. Soweit im Rahmen einer solchen nachträglichen Mitteilung darüber hinaus dritte Personen Erwähnung finden, sind auch deren Rechte zu wahren.

Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht gerecht.

Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung nicht zwischen der Richtigstellung einer ursprünglich rechtswidrigen Berichterstattung und einer nachträglichen Mitteilung wegen qualifizierter geänderter Umstände unterschieden. Nach der Auffassung des Oberlandesgerichts sind Presseorgane verpflichtet, auch nach Abschluss der Berichterstattung bekanntwerdende Umstände weiter zu verfolgen, von den Betroffenen neu herangebrachte Gesichtspunkte zu berücksichtigen und ihre frühere Berichterstattung mit fremdformulierten Mitteilungen zu ergänzen. Dies ist mit der Pressefreiheit nicht vereinbar.

Der der Beschwerdeführerin durch das Oberlandesgericht auferlegte „Nachtrag“ genügt auch hinsichtlich Inhalt, Form und Umfang nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Eine kurze Zusammenfassung der angegriffenen Berichterstattung und ein Hinweis darauf, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, wären ausreichend gewesen, das Persönlichkeitsrecht des Klägers zu schützen. Mehr hätte von der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit nicht verlangt werden dürfen.

Die Entscheidung greift zudem in die Persönlichkeitsrechte anderer in dem Bericht genannter Personen ein. Durch die Verurteilung zur erneuten Wiedergabe einer Passage aus der ursprünglichen Berichterstattung, in der zwei weitere Personen identifizierbar erwähnt werden, wird der vor Jahren gegen sie geäußerte Verdacht wiederholt und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt. Für den hierin liegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der genannten Personen ist keine Rechtfertigung ersichtlich.