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EuGH: Anforderung von EncroChat-Daten aus Frankreich durch deutsche Staatsanwaltschaft per Europäischer Ermittlungsanordnung unionsrechtskonform

EuGH
Urteil vom
C-670/22
Staatsanwaltschaft Berlin - EncroChat


Der EuGH hat entschieden, dass die Anforderung von EncroChat-Daten aus Frankreich durch die deutsche Staatsanwaltschaft per Europäischer Ermittlungsanordnung unionsrechtskonform ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
EncroChat: Der Gerichtshof präzisiert die Voraussetzungen für die Übermittlung und die Verwendung von Beweismitteln im grenzüberschreitenden Strafverfahren

Im Zusammenhang mit in Deutschland geführten Strafverfahren wegen illegalen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln mit Hilfe des EncroChat-Diensts für verschlüsselte Telekommunikation präzisiert der Gerichtshof bestimmte, sich aus der Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen ergebende Voraussetzungen für die Übermittlung und Verwendung von Beweismitteln. So kann eine Europäische Ermittlungsanordnung, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die von einem anderen Mitgliedstaat bereits erhoben wurden, unter bestimmten Voraussetzungen von einem Staatsanwalt erlassen werden. Für ihren Erlass ist es nicht erforderlich, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, die für die Erhebung der Beweismittel im Anordnungsstaat gelten. Eine spätere gerichtliche Überprüfung der Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen muss allerdings möglich sein. Außerdem ist ein Mitgliedstaat von einer Überwachungsmaßnahme, die ein anderer Mitgliedstaat auf seinem Hoheitsgebiet vornimmt, rechtzeitig zu unterrichten. Das Strafgericht muss unter bestimmten Voraussetzungen Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen.

Der französischen Polizei gelang es mit Hilfe niederländischer Experten und nach Genehmigung durch ein französisches Gericht, den EncroChat-Dienst für verschlüsselte Telekommunikation zu infiltrieren. Dieser Dienst wurde auf Kryptohandys weltweit für den illegalen Handel mit Betäubungsmitteln genutzt. Das deutsche Bundeskriminalamt konnte die so gesammelten Daten der EncroChat-Nutzer in Deutschland auf einem EuropolServer abrufen.

Auf von der deutschen Staatsanwaltschaft erlassene Europäische Ermittlungsanordnungen hin genehmigte das französische Gericht die Übermittlung dieser Daten und ihre Verwendung in Strafverfahren in Deutschland.

Das mit einem solchen Verfahren befasste Landgericht Berlin hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Europäischen Ermittlungsanordnungen. Es hat deshalb dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen1 zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der Gerichtshof antwortet, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats (hier: Frankreich) befinden, nicht notwendigerweise von einem Richter erlassen werden muss. Sie kann von einem Staatsanwalt erlassen werden, wenn dieser in einem rein innerstaatlichen Verfahren dafür zuständig ist, die Übermittlung bereits erhobener Beweise anzuordnen.

Der Erlass einer solchen Anordnung unterliegt denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen, wie sie für die Übermittlung ähnlicher Beweismittel bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt gelten. Dagegen ist nicht erforderlich, dass er denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie für die Erhebung der Beweise gelten. Der Umstand, dass im vorliegenden Fall die französischen Behörden diese Beweise in Deutschland und im Interesse der deutschen Behörden erhoben haben, ist insoweit grundsätzlich unerheblich. Jedoch muss ein Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen diese Anordnung befasst ist, die Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen überprüfen können.

Der Gerichtshof stellt außerdem klar, dass der Mitgliedstaat, in dem sich die Zielperson der Überwachung befindet (hier: Deutschland), von einer mit der Infiltration von Endgeräten verbundenen Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes unterrichtet werden muss. Die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats hat dann die Möglichkeit, mitzuteilen, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist, wenn diese Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde. Diese Verpflichtungen und diese Möglichkeiten sollen nicht nur die Achtung der Souveränität des unterrichteten Mitgliedstaats gewährleisten, sondern dienen auch dem Schutz der betroffenen Personen.

Das nationale Strafgericht muss in einem Strafverfahren gegen eine Person, die der Begehung von Straftaten verdächtig ist, Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen, und wenn sie geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.


Tenor der Entscheidung:
1. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen sind dahin auszulegen, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, nicht notwendigerweise von einem Richter erlassen werden muss, wenn nach dem Recht des Anordnungsstaats in einem rein innerstaatlichen Verfahren dieses Staates die originäre Erhebung dieser Beweismittel von einem Richter hätte angeordnet werden müssen, ein Staatsanwalt aber dafür zuständig ist, die Übermittlung dieser Beweise anzuordnen.

2. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 ist dahin auszulegen, dass er es nicht verbietet, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, von einem Staatsanwalt erlassen wird, wenn diese Beweismittel aufgrund der durch diese Behörden im Hoheitsgebiet des Anordnungsstaats durchgeführte Überwachung des Telekommunikationsverkehrs sämtlicher Nutzer von Mobiltelefonen, die mittels spezieller Software und modifizierter Geräte eine Ende zu Ende verschlüsselte Kommunikation ermöglichen, erlangt wurden, sofern eine solche Anordnung alle Voraussetzungen erfüllt, die gegebenenfalls nach dem Recht des Anordnungsstaats für die Übermittlung solcher Beweismittel bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt vorgesehen sind.

3. Art. 31 der Richtlinie 2014/41 ist dahin auszulegen, dass eine mit der Infiltration von Endgeräten verbundene Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs‑, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdiensts eine „Überwachung des Telekommunikationsverkehrs“ im Sinne dieses Artikels darstellt, von der die Behörde zu unterrichten ist, die von dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich die Zielperson der Überwachung befindet, zu diesem Zweck bestimmt wurde. Sollte der überwachende Mitgliedstaat nicht in der Lage sein, die zuständige Behörde des unterrichteten Mitgliedstaats zu ermitteln, so kann diese Unterrichtung an jede Behörde des unterrichteten Mitgliedstaats gerichtet werden, die der überwachende Mitgliedstaat für geeignet hält.

4. Art. 31 der Richtlinie 2014/41 ist dahin auszulegen, dass er auch bezweckt, die Rechte der von einer Maßnahme der „Überwachung des Telekommunikationsverkehrs“ im Sinne dieses Artikels betroffenen Nutzer zu schützen.

5. Art. 14 Abs. 7 der Richtlinie 2014/41 ist dahin auszulegen, dass er dem nationalen Strafgericht gebietet, im Rahmen eines Strafverfahrens gegen eine Person, die im Verdacht steht, Straftaten begangen zu haben, Informationen und Beweismittel unberücksichtigt zu lassen, wenn diese Person nicht in der Lage ist, sachgerecht zu diesen Informationen und Beweismitteln Stellung zu nehmen, und diese geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Jena: Ist auch die private Nutzung eines betrieblichen E-Mail-Accounts gestattet so darf das Unternehmen im Regelfall nicht darauf zugreifen

OLG Jena
Urteil vom 14.09.2021
7 U 521/21


Das OLG Jena hat entschieden, dass für den Fall, dass die private Nutzung eines betrieblichen E-Mail-Accounts gestattet ist, das Unternehmen im Regelfall nicht darauf zugreifen darf.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Der Verfügungskläger kann seine auf eine Unterlassung des Zugriffs der Verfügungsbeklagten auf Daten seines dienstlichen E-Mail-Postfaches gerichteten Eilanträge auf §§ 44 Abs. 1, 88 TKG stützen. Denn die Verfügungsbeklagte hat mit ihrer Einsichtnahme in das dienstliche E-Mail Postfach des Verfügungsklägers, für welches auch die private Nutzung erlaubt war, sowie mit der Verarbeitung der dortigen Daten - wie mit dem Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 15.04.2020 an den Verfügungskläger aufgeführt - gegen das Fernmeldegeheimnis verstoßen. Sie muss sich dabei als Diensteanbieter iSd §§ 88 Abs. 2, 3 Nr. 6 TKG behandeln lassen.

Der Senat ist sich dabei bewusst, dass die Frage der Anwendbarkeit des § 88 TKG auf die betriebsinterne private Nutzung von E-Mails stark umstritten ist. Die wohl (noch) herrschende Auffassung in der Fachliteratur und der Datenschutzbehörden (s. DSK, Orientierungshilfe der Datenschutzaufsichtsbehörden zur datenschutzgerechten Nutzung von E-Mail und anderen Internetdiensten am Arbeitsplatz, abrufbar unter https://www.....de/....pdf) sieht dessen Anwendungsbereich eröffnet (zum Streitstand u.a.: Braun in: Heckmann/Paschke, jurisPK-Internetrecht, 7. Aufl., Kap. 7 (Stand: 01.06.2021), Rn. 141ff.; Jenny in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, § 88 TKG, Rn. 15f.; Härting in: Härting, Internetrecht, 6. Aufl. 2017, Datenschutzrecht, Rn. 351f., Geppert/Schütz/Bock, 4. Aufl. 2013, TKG § 88 Rn. 24ff., Spindler/Schuster/Eckhardt, 4. Aufl. 2019, TKG § 88 Rn. 26ff.; dagegen MHdB ArbR, § 96 Beschäftigtendatenschutz Rn. 298ff., beck-online).

a) Gemäß § 88 Abs. 2 TKG ist jeder Diensteanbieter zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verpflichtet. Diensteanbieter nach § 3 Nr. 6 TKG ist jeder, der ganz oder teilweise geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste für Dritte erbringt oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirkt. Die geschäftsmäßige Erbringung von Telekommunikationsdiensten ist nach § 3 Nr. 10 TKG das nachhaltige Angebot von Telekommunikation für Dritte mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht. Die Einordnung als Diensteanbieter im Verhältnis des Arbeitgebers zu seinen Mitarbeitern bei Gestattung der Nutzung des dienstlichen E-Mail-Postfachs oder Internetzuganges zu privaten Zwecken wird in Literatur und Rechtsprechung streitig diskutiert.

aa) In der arbeitsgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist in den vergangenen Jahren eine Tendenz zu beobachten, wonach die Einstufung des Arbeitgebers als Telekommunikationsdienstleister eher abgelehnt wird. Danach unterliege der Zugriff auf E-Mails eines Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber auch dann nicht dem Fernmeldegeheimnis gemäß § 88 TKG, wenn die private Nutzung der dienstlichen E-Mails gestattet bzw. geduldet sei, da der Arbeitgeber in dieser Situation keine geschäftsmäßigen Telekommunikationsdienstleistungen erbringe (u.a. LAG Niedersachsen, Urteil vom 31.05.2010 - 12 Sa 875/09, BeckRS 2010, 70504; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.02.2011 – 4 Sa 2132/10, NZA-RR 2011, 342, beck-online; dem entgegen jedoch in diesem Punkt unter Hinweis auf die h.M. Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 21.09.2018 – 10 Sa 601/18 –, Rn. 72, juris).

Die Fachliteratur hat diese Rechtsprechung teilweise aufgegriffen und Argumente nachgeliefert. Das TKG diene unter anderem der Umsetzung der sog. ePrivacy-Richtlinie RL 2002/58/EG, die die Regulierung öffentlicher Kommunikationsnetze bezwecke. Die Kommunikationsdienste eines Arbeitgebers seien jedoch nicht öffentlich, sondern nur für Beschäftigte während der Arbeitszeit zugänglich. Sie seien daher nicht im gleichen Maße schutzbedürftig wie die Nutzer öffentlicher Kommunikationsnetze. Beschäftigte könnten nicht darauf vertrauen, dass die Inhalte der Kommunikation stets vertraulich blieben, da bekanntermaßen berechtigte Interessen des Arbeitgebers dem entgegenstehen würden, wie z.B. Archivierungspflichten nach § 238 Abs. 2 HGB. Die Vertraulichkeit der innerbetrieblichen Kommunikation werde dagegen im hinreichenden Maße durch das Datenschutzrecht sichergestellt. Zudem setze § 3 Nr. 10 TKG voraus, dass der Diensteanbieter Telekommunikationsdienstleistungen geschäftsmäßig erbringe. Gemäß § 3 Nr. 24 TKG werden Telekommunikationsdienste „in der Regel gegen Entgelt” erbracht. Diese Regel werde jedoch in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man den unentgeltlich leistenden Arbeitgeber als Telekommunikationsanbieter ansehe. Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „geschäftsmäßig” sei der Gesetzeszweck des § 1 TKG zu beachten. Dieser soll den Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation fördern. Die Zielsetzung der Arbeitgeber sei aber gerade nicht die Teilnahme am freien Markt. Zudem erfordere die Praxis, dass Arbeitgeber in bestimmten Fällen die Kommunikation innerhalb des Betriebes auswerten. So müssten beispielsweise E–Mails zur Durchführung von Compliance-Maßnahmen ausgewertet werden, um der Aufsichtspflicht des Arbeitgebers nach §§ 30, 130 OWiG nachzukommen. Dies könne ebenso der Fall sein, um Anordnungen von Aufsichts- und Strafbehörden zur Sachverhaltsaufklärung zu erfüllen. Die Einordnung als Telekommunikationsanbieter führe für den Arbeitgeber daher zu unauflösbaren Konflikten mit seinen gesetzlichen Verpflichtungen. Darüber hinaus beeinträchtige das Verbot der Auswertung innerbetrieblicher Kommunikation die wesentlichen Geschäftsinteressen der Unternehmen in unangemessener Weise. Beispiele seien Fälle längerer Abwesenheiten von Beschäftigten, die wichtige Informationen in Form von E–Mails abgespeichert hätten, auf die der Arbeitgeber bzw. Arbeitskollegen keinen Zugriff hätten. Diese Beschränkung der Kontrollmöglichkeiten führe daher auf verfassungsrechtlicher Ebene zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in berufs- und eigentumsrechtliche Grundrechte des Arbeitgebers (MHdB ArbR, § 96 Beschäftigtendatenschutz Rn. 301, 302, beck-online).

Auch wird gegen eine Anwendbarkeit des § 88 TKG aufgeführt, dass ein derartiges pauschales Verarbeitungsverbot ohne Abwägung betroffener Interessen höchst untypisch für das Datenschutzrecht sei. Dies zeigten beispielsweise die B.-Entscheidung des EuGH und das sog. Detektivurteil des BAG (MHdB ArbR, § 96 Beschäftigtendatenschutz Rn. 298, beck-online).

bb) Hingegen wird in der überwiegenden Literatur eine Anwendbarkeit des TKG in vorliegender Konstellation - auch unter Hinweis auf die Auffassung der Datenschutzbehörden - bejaht. Wer als Arbeitgeber seinen Beschäftigten die Nutzung von Telekommunikation für private Zwecke gestattet, biete damit Dritten nachhaltig (d.h. auf Dauer) Telekommunikation an. Ein Arbeitgeber sei dann als Diensteanbieter i.S.v. § 88 TKG bzw. als geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringendes Unternehmen i.S.d. § 206 StGB anzusehen und an das Fernmeldegeheimnis gebunden. Diese Ansicht könne sich auf die Entstehungsgeschichte der Norm stützen. In den Gesetzesmaterialien zu der Vorläufervorschrift (§ 85 TKG-1996) heiße es wörtlich: „Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen damit [...] Nebenstellenanlagen in Betrieben und Behörden, soweit sie den Beschäftigten zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt sind.“. Neuere Stimmen in der Literatur, die in diesen Konstellationen die Geltung des Fernmeldegeheimnisses anzweifeln, seien daher nicht mit einer historischen Auslegung des Gesetzes in Einklang zu bringen. Soweit sich diese Stellungnahmen auf eine teleologische Auslegung und den Gesetzeszweck des TKG beriefen, sei dem zu entgegnen, dass erstens das TKG in § 2 weitere Ziel- und Zweckbestimmungen enthalte, zu denen gerade auch die Wahrung des Fernmeldegeheimnisses gehöre und zweitens der gesamte siebte Teil des Gesetzes sich nicht mit Wettbewerbsaspekten befasse, sondern mit öffentlicher Sicherheit, Datenschutz und dem Fernmeldegeheimnis. Die Anwendung und Auslegung dieser Bestimmungen wirke sich auf die übergeordneten Gesetzesziele der Wettbewerbsförderung und der Gewährleistung flächendeckender angemessener und ausreichender Telekommunikationsdienstleistungen allenfalls indirekt aus. Auf die Erreichung dieser Gesetzesziele dürfte es keinen spürbaren Einfluss haben, ob und inwieweit Arbeitgeber das Fernmeldegeheimnis beachten müssen (J. in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, § 88 TKG, Rn. 15).

Zudem sei für eine Anwendung maßgeblich, dass sonst dem Umstand, dass bei erlaubter bzw. geduldeter privater Nutzung eines E-Mail-Accounts der Anschluss nicht mehr ausschließlich nur für eigene Zwecke des Arbeitgebers bereitgestellt werde, nicht ausreichend Rechnung getragen werde. Denn durch die erlaubte bzw. geduldete Privatnutzung bestehe für den privat nutzenden Mitarbeiter dieselbe Schutzbedürftigkeit wie sie auch gegenüber einem „klassischen“ Telekommunikationsunternehmen bestehe und diesem Schutzbedürfnis werde gerade durch §§ 88 TKG, 206 StGB Rechnung getragen. Insbesondere greife auch nicht das zur Stützung der Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte vorgebrachte Argument, dass ein Telekommunikationsdienst gem. § 3 Nr. 24 „in der Regel gegen Entgelt“ erbracht werde. Denn damit werde verkannt, dass die §§ 88 TKG, 206 StGB, 91 ff. TKG nicht auf die Legaldefinition in § 3 Nr. 24 Bezug nähmen und damit dieses Merkmal für deren Anwendung irrelevant sei. Soweit argumentiert werde, dass der Beschäftigte kein Dritter im Sinne von Datenschutzbestimmungen sei, werde ungerechtfertigt ausgeblendet, dass das Datenschutzrecht sehr wohl auch den Beschäftigten schütze, was der Gesetzgeber jedenfalls in der BDSG-Novelle zum 01.09.2009 und durch § 26 BDSG nF klargestellt habe. Möge auch das TKG kein „Arbeitnehmerschutzgesetz“ sein, müsse der Schutz der Vertraulichkeit gegenüber einem Anbieter der Telekommunikation auch in diesen Konstellationen gewährleistet werden (Spindler/Schuster/Eckhardt, 4. Aufl. 2019, TKG § 88 Rn. 31).

cc) Der Senat sieht mit der letztgenannten Auffassung derzeit die besseren Argumente für die Einordnung des Arbeitgebers als Diensteanbieter iSd §§ 88 Abs. 2, 3 Nr. 6 TKG bei Gestattung einer privaten Nutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts. Insbesondere sind die teilweise vorgebrachten Zweckmäßigkeitserwägungen der Gegenauffassung hinsichtlich eines aus dienstlichen Gründen erforderlichen Zugriffsrechts des Arbeitgebers auf ein persönliches E-Mail-Postfach des Mitarbeiters nicht überzeugend. Denn sofern ein Zugriff zu der dienstlichen Kommunikation des Mitarbeiters für den Arbeitgeber erforderlich ist, kann er u.a. durch Veranlassung sog. Funktionspostfächer eine Abgrenzung zu der Privatsphäre des Mitarbeiters schaffen und organisatorische Maßnahmen zur Eingliederung in den betrieblichen Ablauf ergreifen.

dd) Letztlich bedarf es jedoch vorliegend keiner Entscheidung des Senats in Hinblick auf den vorgenannten Streit. Denn unabhängig von der vorgenannten Auseinandersetzung zur Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 88 TKG liegt im streitgegenständlichen Fall eine Selbstbindung der Verfügungsbeklagten mit Schaffung eines entsprechenden Vertrauenstatbestandes infolge der eigenen Einordnung als Diensteanbieter im Rahmen ihrer Richtlinie zur Nutzung von Internet und E-Mail vor. Hierin führt diese unter 4.1 aus, dass sie durch das Angebot der privaten Nutzung des Internetzuganges und des E-Mail Anschlusses zum Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen werde und somit das Fernmeldegeheimnis zu wahren habe.

(1) Zwar steht die von der Verfügungsbeklagten selbst vorgetragene konkrete Anwendbarkeit dieser Richtlinie auf den Verfügungskläger zwischen den Parteien im Streit und hat die Verfügungsbeklagte hierzu weder hinreichend vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Bei einer nur (einfachen) außervertragliche Genehmigung des Arbeitgebers hinsichtlich einer privaten Nutzung des E-Mail-Postfachs kann dieser aufgrund seines Direktionsrechts die Erlaubnis zwar jederzeit ohne Angabe von Gründen für die Zukunft aufheben. Im Falle einer betrieblichen Übung - wie von Seiten des Verfügungsklägers unbestritten vorgetragen - bestehen dagegen nur eingeschränkte Rücknahmemöglichkeiten (Braun in: Heckmann/Paschke, jurisPK-Internetrecht, 7. Aufl., Kap. 7 (Stand: 01.06.2021), Rn. 89), welche vorliegend nicht ersichtlich sind. Daher kommt auch eine Fiktion einer Einwilligung des Verfügungsklägers nach Ziff. 4.2 in die in der Richtlinie geregelten Kontrollrechte der Verfügungsbeklagten infolge privater Nutzung des E-Mail Anschlusses nicht in Betracht.

(2) Der Vortrag der Verfügungsbeklagten im hiesigen Verfahren zur Einordnung als Diensteanbieter im Sinne des TKG steht jedoch im Widerspruch zu der gegenüber ihren Mitarbeitern mitgeteilten eigenen Auffassung. Unabhängig von der Frage der Geltung der Richtlinien zwischen den Parteien hat die Verfügungsbeklagte mit ihrer Richtlinie zum Ausdruck gebracht, sich an die Vorgaben des TKG gebunden und zur Einhaltung des Fernmeldegeheimnisses für die auch zur privaten Nutzung gestatteten dienstlichen E-Mail-Accounts verpflichtet zu sehen. Sie hat damit einen Vertrauenstatbestand für ihre Mitarbeiter geschaffen, wonach auch der Verfügungskläger davon ausgehen konnte, dass ohne seine ausdrückliche Zustimmung die Verfügungsbeklagte keinen Zugriff auf sein dienstliches E-Mail-Postfach nehmen wird. Denn als Konsequenz einer fehlenden Zustimmung des Mitarbeiters zur Geltung der Richtlinie sieht diese lediglich dessen Ausschluss von der privaten E-Mail- bzw. Internetnutzung des dienstlichen Accounts vor. An der gegenüber allen Mitarbeitern - so auch gegenüber dem Verfügungskläger - dargestellten eigenen Einordnung der Verfügungsbeklagten als Diensteanbieter mit Bindung an das Fernmeldegeheimnis ändert eine fehlende Zustimmung des Mitarbeiters zu der Richtlinie jedoch nichts.

b) Zutreffend rügt die Berufung auch, das Landgericht habe vorliegend die Reichweite des insoweit geltenden Fernmeldegeheimnisses verkannt, indem es die Daten im E-Mail-Postfach nicht mehr als Teil des Telekommunikationsvorganges ansah, weil die E-Mails in die Unternehmensabläufe einzubeziehen seien.

Streitig ist, ob das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 I GG dann noch einschlägig ist, wenn der eigentliche Übertragungsvorgang abgeschlossen ist und die E-Mail lediglich auf dem Providerserver „ruht“. (LAG Hessen, Urteil vom 21.09.2018 – 10 Sa 601/18, NZA-RR 2019, 130 Rn. 57ff., beck-online m.w.N.).

Zunächst zutreffend schützt das Fernmeldegeheimnis die private Fernkommunikation und gewährleistet deren Vertraulichkeit, wenn die Beteiligten wegen der räumlichen Distanz auf eine Übermittlung durch andere angewiesen sind und deshalb in besonderer Weise einem Zugriff Dritter ausgesetzt sein können. Das Fernmeldegeheimnis schützt insoweit in erster Linie die Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen und damit den Kommunikationsinhalt gegen unbefugte Kenntniserlangung durch Dritte (Braun in: Heckmann/Paschke, jurisPK-Internetrecht, 7. Aufl., Kap. 7 (Stand: 01.06.2021), Rn. 164; BVerfG, Urteil vom 02.03.2006 – 2 BvR 2099/04 –, BVerfGE 115, 166-204).

Der Auffassung, dass der Schutz des Fernmeldegeheimnisses grundsätzlich in dem Moment ende, in dem die Nachricht bei dem Empfänger angekommen und der Übertragungsvorgang beendet sei, ist das Bundesverfassungsgericht jedoch in einer neueren Entscheidung relativierend entgegen getreten. Danach ist der zugangsgesicherte Kommunikationsinhalt in einem E-Mail-Postfach, auf das der Nutzer nur über eine Internetverbindung zugreifen kann, durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützt. Das Fernmeldegeheimnis knüpft an das Kommunikationsmedium an und will jenen Gefahren für die Vertraulichkeit begegnen, die sich gerade aus der Verwendung dieses Mediums ergeben, das einem staatlichem Zugriff leichter ausgesetzt ist als die direkte Kommunikation unter Anwesenden. Die auf dem Mailserver des Providers vorhandenen E-Mails sind nicht im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers, sondern des Providers gespeichert. Sie befinden sich nicht auf in den Räumen des Nutzers verwahrten oder in seinen Endgeräten installierten Datenträgern (BVerfG, Urteil vom 16.06.2009 - 2 BvR 902/06 -, NJW 2009, 2431, beck-online).

Das LAG Hessen verneint in seiner Entscheidung vom 21.09.2018 (a.a.O.) deshalb eine Anwendbarkeit des § 88 TKG, sofern der Sendevorgang abgeschlossen ist und die E-Mails auf einem Ordner abgelegt sind, auf den der Arbeitgeber ohne Zugriff auf das Internet zugreifen kann.

Derartige Feststellungen sind im erstinstanzlichen Urteil jedoch weder getroffen noch ist vorliegend ein solcher Vortrag der Verfügungsbeklagten ersichtlich. Vielmehr ist nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten zum vermeintlichen Ausnutzen von Sicherheitslücken durch den Verfügungskläger im System O. W. A. (u.a. Berufungserwiderung Seite 3, Bl. 480 Bd. III d.A.) davon auszugehen, dass die E-Mails im O.-S. gespeichert und daher nur über das Internet abzurufen waren. Hierfür spricht auch der Umstand, dass der Verfügungskläger von mobilen Endgeräten auf das E-Mail-Postfach zugreifen konnte.

c) Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten kommt es auch nicht darauf an, dass nach ihrem Vortrag lediglich dienstliche E-Mails bzw. deren Zu- und Abgangsdaten im E-Mail-Postfach des Verfügungsklägers kontrolliert wurden. Die fehlende Gestattung der Kontrolle privater E-Mails im dienstlichen E-Mail-Postfach verhindert mittelbar auch die Überwachung dienstlicher E-Mails. Zwar erstreckt sich die Verpflichtung zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses nur auf E-Mails, für die der Arbeitgeber als Diensteanbieter gilt, also nur auf die privaten E-Mails. Wenn sich aber private E-Mails im E-Mail-System nicht klar von dienstlichen E-Mails unterscheiden lassen, müssen auch dienstliche E-Mails wie private behandelt werden. Der Arbeitgeber kann keine Kontrolle der gesamten E-Mails mit der Begründung durchführen, diese richte sich nur auf dienstliche E-Mails. Vielmehr müsste der Arbeitgeber vor jeder Kontrollmaßnahme entscheiden, ob eine dienstliche E-Mail vorliegt. Dies kann allenfalls anhand der Adresse und/oder des Betreffs, oft aber erst durch Prüfung des Inhalts ermittelt werden. Dieses Vorgehen ist indes ohne Einwilligung grundsätzlich unzulässig, so dass bei einer Mischnutzung keine zulässige Differenzierung möglich ist. Bei erlaubter Privatnutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts dürfen also auch dienstliche E-Mails nicht kontrolliert werden, es sei denn, der Arbeitnehmer hat sich hiermit einverstanden erklärt, wobei ein solches Einverständnis auch zur Bedingung für eine Erlaubnis der Privatnutzung gemacht werden kann (Braun in: Heckmann/Paschke, jurisPK-Internetrecht, 7. Aufl., Kap. 7 (Stand: 01.06.2021), Rn. 150).

d) Eine Einwilligung des Verfügungsklägers in die Kontrolle seines E-Mail-Postfachs liegt auch nicht vor. Die Verfügungsbeklagte beruft sich hinsichtlich einer Einwilligung des Verfügungsklägers in mögliche Kontrollmaßnahmen auf Ziffer 4.1 RL, welche durch Privatnutzung erfolgt sein soll. Dies würde jedoch zunächst voraussetzen, dass die Anwendung der Richtlinie zwischen den Parteien so vereinbart worden ist. Allein aus dem Direktionsrecht des Arbeitgebers folgt die Anwendbarkeit nicht. Vortrag zu einer konkreten Vereinbarung hat die Verfügungsbeklagte nicht erbracht. Es wird auf obige Ausführungen verwiesen.

e) Ebenso kann sich die Verfügungsbeklagte nicht auf eine ausnahmsweise Rechtfertigung ihres Verhaltens wegen eines konkreten Missbrauchsverdachtes berufen. Eine solche Kontrollmöglichkeit des Arbeitgebers wird zwar in der überwiegenden Literatur vertreten, wenn der konkrete Verdacht einer Straftat oder des Verrats von Geschäftsgeheimnissen besteht. Allerdings ist dieses Ergebnis nach gegenwärtiger Rechtslage kaum schlüssig begründbar. Es fehlt an einem Erlaubnistatbestand i.S.d. § 88 Abs. 3 TKG. § 100 Abs. 3 TKG greift nicht, denn die Verwendung von „Verkehrsdaten zur Aufklärung der Verletzung geschäftlicher Interessen“ des Arbeitgebers als Diensteanbieter ist gem. § 100 Abs. 3 TKG auf telekommunikationsspezifische Missbräuche beschränkt (Braun in: Heckmann/Paschke, jurisPK-Internetrecht, 7. Aufl., Kap. 7 (Stand: 01.06.2021), Rn. 158).

Darüber hinaus ist vorliegend jedoch auch ein konkreter Missbrauchsverdacht im Vorfeld des hier streitgegenständlichen Eingriffs für die Verfügungsbeklagte nicht ersichtlich. Vielmehr hat sich diese erst durch den unzulässigen Zugriff auf den E-Mail-Account selbst mögliche Verdachtsmomente geschaffen. Die Ableitung eines konkreten Missbrauchsverdachtes zuvor wegen der Umstände um die fehlende Herausgabe des USB-Sticks durch den Verfügungskläger trägt hingegen nicht. Denn dieser hatte hierzu unbestritten vorgetragen, dass sich auf dem USB-Stick Daten zu seinen persönlichen finanziellen Verhältnissen befanden, die wiederum seine Privatsphäre betrafen.

f) Aufgrund des bestehenden Anspruchs des Verfügungsklägers aus §§ 44, 88 TKG bedarf es einer weiteren Auseinandersetzung des Senats mit möglichen Ansprüchen des Verfügungsklägers gem. §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 202a, 206 StGB bzw. DSGVO und BDSG nicht.

3. Auch der erforderliche Verfügungsgrund ist vorliegend gegeben.

Bei der Frage, ob der Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich ist, sind die schutzwürdigen Interessen beider Seiten im Rahmen des gerichtlichen Beurteilungsspielraums gegeneinander abzuwägen. Es muss eine Dringlichkeit gegeben sein, die bei zu langem Zuwarten des Erlassantrages widerlegt werden kann. In persönlichkeitsrechtlichen Streitigkeiten ist ein Verfügungsgrund für eine auf Unterlassung gerichtet einstweilige Verfügung regelmäßig zu bejahen, wenn keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, insbesondere durch Zuwarten, gegeben ist. (OLG Dresden, Beschluss vom 06. Januar 2021 – 4 U 1928/20 –, Rn. 7, juris m.w.N.).

Der Antrag auf einstweilige Verfügung ist durch den Verfügungskläger unmittelbar nach Bekanntwerden der Einsichtnahme in sein E-Mail-Postfach durch Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 15.04.2020 am 11.05.2020 gestellt worden. Diese Frist ist nach Auffassung des Senats noch ausreichend, zumal der Verfügungskläger bereits mit Schreiben vom 23.04.2020 sein Rechtsschutzziel gegenüber der Verfügungsbeklagten mit Geltendmachung seiner Rechte nach DSGVO deutlich machte. Auf die Frage einer fehlenden Vollstreckung der zunächst erlassenen einstweiligen Verfügung kommt es nicht an.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



EuGH-Generalanwältin: Anforderung von EncroChat-Daten aus Frankreich durch deutsche Staatsanwaltschaft per Europäischer Ermittlungsanordnung unionsrechtskonform

EuGH-Generalanwältin
Schlussanträge vom 26.10.2023
C-670/22
Staatsanwaltschaft Berlin - EncroChat


Die EuGH-Generalanwältin kommt in ihren Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass die Anforderung von EncroChat-Daten aus Frankreich durch eine deutsche Staatsanwaltschaft per Europäischer Ermittlungsanordnung unionsrechtskonform ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Generalanwältin Ćapeta: Eine Staatsanwaltschaft kann eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) zur Übermittlung von Beweismitteln, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat erhoben wurden, erlassen

Dies ist der Fall, wenn nach dem für diese Staatsanwaltschaft geltenden nationalen Recht in einem
vergleichbaren innerstaatlichen Fall eine Übermittlung angeordnet werden kann. In einem solchen Fall darf die Behörde, die eine EEA erlässt, die Rechtmäßigkeit der Erhebung dieser Beweismittel im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht prüfen.

EncroChat war ein verschlüsseltes Telekommunikationsnetz, das seinen Nutzern nahezu vollständige Anonymität bot. Das Gerät verfügte über keine Kamera, kein Mikrofon, kein GPS und keinen USB-Anschluss; Nachrichten konnten automatisch gelöscht werden und Nutzer konnten nach der Verwendung eines speziellen PIN-Codes oder nach der wiederholten Eingabe eines falschen Passworts sofort alle Daten auf dem Gerät löschen. Durch eine gemeinsame französisch-niederländische Ermittlungsoperation wurde eine Trojaner-Software entwickelt, die über ein simuliertes Update auf den Endgeräten installiert wurde. EncroChat-Nutzer in 122 Ländern waren von dieser Überwachung betroffen, darunter ca. 4 600 Nutzer in Deutschland. Eine deutsche Staatsanwaltschaft erließ mehrere EEAs mit dem Ersuchen, abgefangene Daten für Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Verdacht des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln durch nicht identifizierte Personen, die verdächtigt wurden, einer organisierten kriminellen Vereinigung anzugehören, verwenden zu dürfen. Ein französisches Strafgericht genehmigte die Europäischen Ermittlungsanordnungen und übermittelte die angeforderten Daten. Daraufhin führte
die deutsche Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen individualisierte EncroChat-Nutzer durch. Der Angeklagte in der vorliegenden Rechtssache wurde auf der Grundlage der aus Frankreich erhaltenen Beweismittel angeklagt.

Beanstandungen strafrechtlicher Verurteilungen, die als Folge abgefangener EncroChat-Daten ergangen sind, schlagen hohe Wellen quer durch europäische Höchstgerichte, wobei der Gerichtshof keine Ausnahme darstellt.

Das deutsche Landgericht, bei dem das hier in Rede stehende Strafverfahren anhängig ist, fragt den Gerichtshof, ob die fraglichen Europäischen Ermittlungsanordnungen unter Verstoß gegen die EEA-Richtlinie erlassen worden seien.

In ihren heutigen Schlussanträgen weist Generalanwältin Tamara Ćapeta darauf hin, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung nur erlassen werden könne, wenn die darin enthaltene Ermittlungsmaßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen hätte angeordnet werden können. In der vorliegenden Rechtssache handele es sich bei einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall um einen solchen, in dem Beweismittel innerhalb Deutschlands von einem Strafverfahren in ein anderes übermittelt würden. Da die EEA-Richtlinie es einer in einem bestimmten Fall zuständigen Staatsanwaltschaft erlaube, eine Europäische Ermittlungsanordnung zu erlassen, und das deutsche Recht offenbar nicht verlange, dass ein Gericht eine vergleichbare nationale Übermittlung genehmige, ist die Generalanwältin der Auffassung, dass die deutsche Staatsanwaltschaft befugt gewesen sei, die in Rede stehenden Europäische Ermittlungsanordnung zu erlassen. Mit anderen Worten verlange das Unionsrecht nicht, dass solche Anordnungen von einem Gericht erlassen würden.

Die Generalanwältin stellt ferner fest, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs von französischen Gerichten genehmigt worden sei und die deutschen Behörden diesem Verfahrensschritt deshalb denselben Stellenwert beimessen sollten, den sie ihm innerstaatlich beimessen würden. Dies wäre auch dann der Fall, wenn ein deutsches Gericht in einem konkreten Verfahren anders entscheiden würde.

Schließlich richte sich die Zulässigkeit von möglicherweise unter Verstoß gegen Unionsrecht erlangten Beweismitteln nicht nach dem Unionsrecht, sondern nach nationalem Recht, sofern die durch die Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte gewahrt würden.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen Auswertung und Verwertung von EncroChat-Daten im Strafverfahren unzulässig - keine Entscheidung über verfassungsrechtliche Fragen

BVerfG
Beschluss vom 09.08.2023
2 BvR 558/22


Das BVerfG hat im vorliegenden Fall entschieden, dass die Verfassungsbeschwerde gegen die Auswertung und Verwertung von EncroChat-Daten im Strafverfahren unzulässig ist und sich nicht näher mit den verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Verwertung von EncroChat-Daten befasst.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgericht:
Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen strafrechtliche Verurteilung nach Auswertung übermittelter

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde gegen eine strafrechtliche Verurteilung nicht zur Entscheidung angenommen, bei der sich das Landgericht maßgeblich auf die im Wege internationaler Rechtshilfe an deutsche Ermittlungsbehörden übermittelten Daten von Mobiltelefonen des Anbieters EncroChat stützte. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer den Subsidiaritätsgrundsatz nicht gewahrt und eine Grundrechtsverletzung nicht substantiiert dargetan hat.

Mit sieben weiteren, nicht veröffentlichten Beschlüssen vom 9. August 2023 hat die 3. Kammer des Zweiten Senats ähnlich gelagerte Fälle nicht zur Entscheidung angenommen (Az. 2 BvR 2005/22, 2 BvR 2022/22, 2 BvR 2024/22, 2 BvR 2025/22, 2 BvR 2048/22, 2 BvR 594/23 und 2 BvR 867/23).

Über die mit der Verwertbarkeit der EncroChat-Daten verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen ist damit in der Sache nicht entschieden. Beim Bundesverfassungsgericht sind derzeit fünf weitere Verfassungsbeschwerden zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten anhängig (Az. 2 BvR 684/22, 2 BvR 1832/22, 2 BvR 2143/22, 2 BvR 64/23 und 2 BvR 1008/23).

Sachverhalt:

Das Unternehmen EncroChat bot seinen Nutzern Krypto-Mobiltelefone mit einer besonderen Softwareausstattung an. Nach bisherigen Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden wurden die Mobiltelefone in großem Maße und vorwiegend europaweit zur Begehung schwerer Straftaten genutzt. Von April bis Juni 2020 erfassten französische Ermittlungsbehörden die über den in Roubaix befindlichen Server des Unternehmens laufenden Daten. Die zu Mobiltelefonen auf deutschem Staatsgebiet anfallenden Daten übermittelten die französischen Behörden im Wege internationaler Rechtshilfe den deutschen Ermittlungsbehörden zur Verwendung in Strafverfahren.

Am 23. Juli 2021 verurteilte das Landgericht Rostock den Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Seine Überzeugung von der Täterschaft stützte das Landgericht auf aus seiner Sicht dem Beschwerdeführer zuzuordnende Chat-Verläufe, die über den Anbieter EncroChat geführt wurden. Die dagegen gerichtete Revision verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 8. Februar 2022.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Landgerichts Rostock und des Bundesgerichtshofs. Er macht die Verletzung seines Grundrechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) sowie der europäischen Grundrechte aus Art. 7 und Art. 8 der Charta der Europäischen Union (GRCh) geltend. Die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter begründet er damit, dass der Bundesgerichtshof zahlreiche Fragen zur Zulässigkeit und Verwertbarkeit der EncroChat-Daten dem Gerichtshof der Europäischen Union nicht vorgelegt habe. Die Art. 7 und Art. 8 GRCh seien verletzt, weil die französischen Behörden in großem Umfang EncroChat-Daten ausgespäht, gesammelt und hiernach an die deutschen Behörden weitergegeben hätten.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. Hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 7 und Art. 8 GRCh hat der Beschwerdeführer den Subsidiaritätsgrundsatz nicht gewahrt.

Danach soll der gerügte Grundrechtsverstoß nach Möglichkeit schon im fachgerichtlichen Verfahren beseitigt werden. Im Strafverfahren verlangt der Grundsatz der Subsidiarität von einem Beschwerdeführer, der seine Grundrechte durch Verstöße des Tatgerichts verletzt sieht, diese im Revisionsverfahren so zu rügen, dass das Revisionsgericht in eine sachliche Prüfung der Rüge eintritt.

Vorliegend hat der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 7 und Art. 8 GRCh nicht in zulässiger Weise mit der Revision gerügt. Er hat im Revisionsverfahren zu den Verfahrenstatsachen nicht ausreichend vorgetragen, um dem Revisionsgericht den Eintritt in die sachliche Prüfung der Beweisverwertung zu ermöglichen. Seinem Revisionsvortrag fehlt es insoweit an der Vorlage der vom Beschwerdeführer in Bezug genommenen Aktenteile.

2. In Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hat der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung nicht substantiiert dargetan.

Ein Rechtsuchender kann seinem gesetzlichen Richter dadurch entzogen werden, dass ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht außer Acht lässt. Die Nichteinleitung eines Vorlageverfahrens nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kann eine der einheitlichen Auslegung bedürftige Frage des Unionsrechts der Entscheidung des gesetzlichen Richters – des Gerichtshofs der Europäischen Union – vorenthalten und damit das Ergebnis der Entscheidung beeinflussen. Für die unionsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift des Art. 267 Abs. 3 AEUV prüft das Bundesverfassungsgericht nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.

Eine solche Konstellation vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen. Es ist anhand des Beschwerdevortrags nicht erkennbar, dass der Bundesgerichtshof in unvertretbarer Weise von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union abgesehen hat. Die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union war offensichtlich nicht entscheidungserheblich. Die Beantwortung von europarechtlichen Fragen zur Rechtmäßigkeit der Erhebung, Übermittlung und Verwertung von EncroChat-Daten konnte keinen Einfluss auf die Revisionsentscheidung nehmen, weil der Bundesgerichtshof über die Rechtmäßigkeit der Beweisverwertung vorliegend nicht zu entscheiden hatte. Denn der Beschwerdeführer hat die Beweisverwertung durch das Landgericht mit der Revision nicht in zulässiger Weise gerügt.

3. Über die mit der Verwertbarkeit der EncroChat-Daten verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen ist damit in der Sache nicht entschieden.



BAG: Kein Verwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess bei offener Videoüberwachung auch wenn nicht alle datenschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten werden

BAG
Urteil vom 29.06.2023
2 AZR 296/22


Das BAG hat entschieden, dass kein Verwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess bei offener Videoüberwachung besteht, auch wenn nicht alle datenschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten werden

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Offene Videoüberwachung - Verwertungsverbot
In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Das gilt auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht.

Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt als Teamsprecher in der Gießerei beschäftigt. Die Beklagte wirft ihm ua. vor, am 2. Juni 2018 eine sog. Mehrarbeitsschicht in der Absicht nicht geleistet zu haben, sie gleichwohl vergütet zu bekommen. Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Kläger zwar an diesem Tag zunächst das Werksgelände betreten. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände ergab nach dem Vortrag der Beklagten aber, dass der Kläger dieses noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich.

Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger ua. geltend gemacht, er habe am 2. Juni 2018 gearbeitet. Die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts bis auf einen Antrag betreffend ein Zwischenzeugnis Erfolg. Sie führte zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dieses musste nicht nur das Vorbringen der Beklagten zum Verlassen des Werksgeländes durch den Kläger vor Beginn der Mehrarbeitsschicht zu Grunde legen, sondern ggf. auch die betreffende Bildsequenz aus der Videoüberwachung am Tor zum Werksgelände in Augenschein nehmen. Dies folgt aus den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts sowie des nationalen Verfahrens- und Verfassungsrechts. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. In einem solchen Fall ist es grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat. Der Senat konnte offenlassen, ob ausnahmsweise aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliche Pflichtverstöße in Betracht kommt, wenn die offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt. Das war vorliegend nicht der Fall.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 6. Juli 2022 – 8 Sa 1149/20



OLG Saarbrücken: ANOM-Chat-Daten können als Beweismittel verwendet werden und unterliegen keinem Beweisverwertungsverbot

OLG Saarbrücken
Beschluss vom 30.12.2022
4 HEs 35/22


Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass ANOM-Chat-Daten als Beweismittel verwendet werden können und keinem Beweisverwertungsverbot unterliegen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft ist gerechtfertigt. Sowohl die allgemeinen Voraussetzungen für das Fortbestehen der Untersuchungshaft als auch die in § 121 Abs. 1 StPO gesetzlich festgeschriebenen besonderen Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken vom 2. Juli 2022 (Bl. 272 ff. d.A.) zur Last gelegten Taten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge weiterhin dringend verdächtig. Soweit der Haftbefehl vom 2. Juli 2022 das Tatgeschehen rechtlich neben einer Strafbarkeit gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zugleich als bewaffnetes unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge einordnet (§ 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG), handelt es sich um ein offensichtliches redaktionelles Versehen, das auf Wirksamkeit, Bestand und Fortdauer der Untersuchungshaft keine Auswirkungen hat. Wegen der Einzelheiten der verdachtsbegründenden Umstände wird auf den Haftbefehl sowie die zwischenzeitlich zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift vom 21. Oktober 2022 (Bl. 548 ff. d.A.) und das darin niedergelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen Bezug genommen.

a) Danach ist insbesondere anzunehmen, dass es sich bei dem Angeklagten V. um den Nutzer der Kennung "h." des Krypto-Providers "A." handelt, der hierüber den Handel mit Betäubungsmitteln, hinsichtlich dessen sich ein dringender Verdacht im Übrigen jedenfalls hinsichtlich der Taten zu Ziff. 3. bis 6. des Haftbefehls vom 2. Juli 2022 aus den Ergebnissen der nationalen zunächst verdeckt sowie sodann offen geführten Ermittlungsmaßnahmen (Telekommunikationsüberwachung, Observation, Durchsuchungsmaßnahmen) ergibt, abgewickelt hat. Die überwachte Kommunikation, die den dringenden Tatverdacht für die Nutzung des Kryptodienstes A. durch den Angeklagten unter der Kennung "h." zum Zwecke der Abwicklung des Handels mit Betäubungsmitteln begründet und zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens führte, ist nach derzeitigem Stand im Strafverfahren auch verwertbar. Das US-amerikanische Federal Bureau of Investigation (FBI) hat die Kommunikationsinhalte im Zuge gegenseitiger Rechtshilfe von einem nicht näher bezeichneten Mitgliedstaat der Europäischen Union erhalten, in dem sie aufgrund einer gerichtlichen Anordnung über einen Server des Providers A. gesichert worden waren, und stellte sie sodann unter Erteilung einer Genehmigung zur justiziellen Verwertung den Strafverfolgungsbehörden der jeweiligen Länder, hier dem Bundeskriminalamt, zur Verfügung (vgl. Vermerk der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main - Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität - vom 20. Mai 2021, S. 3 = Bl. 5 d.A.). Die Verwertung der auf diese Weise im Ausland außerhalb des vorliegenden Strafverfahrens erhobenen Beweise in dem Strafverfahren gegen den Angeklagten ist vom nationalen Prozessrecht gedeckt. Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung in der Hauptverhandlung erhobener Beweise ist § 261 StPO, unabhängig davon, ob diese zuvor im Inland oder auf sonstige Weise - etwa im Wege der Rechtshilfe - erlangt worden sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 und 857/10, BVerfGE 130, 1 ff. Rn. 120, 137 ff. m.w.N.; BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 25). Ausdrückliche Verwendungsbeschränkungen für im Wege der Rechtshilfe aus dem Ausland erlangte Daten sieht das deutsche Recht nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 25). Soweit gleichsam die dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragenden Wertungen der auch bei grenzüberschreitendem Datenverkehr anwendbaren (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 - 1 StR 310/12, juris) strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen sowohl des § 479 Abs. 2 i.V.m. § 161 Abs. 3 StPO als auch des § 100e Abs. 6 StPO Berücksichtigung zu finden haben (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 25 und Rn. 68), schließt dies die Verwendung der vom FBI erlangten Daten und Kommunikationsinhalte im konkreten Fall aufgrund des dringenden Tatverdachts der Begehung von Straftaten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG als Katalogtaten im Sinne von § 161 Abs. 3 und § 100e Abs. 6 StPO nicht aus (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22. November 2021 - 1 HEs 427/21 -, StraFo 2022, 203 f.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21, juris Rn. 68 zur Heranziehung des Schutzniveaus aus § 100e Abs. 6 StPO im Fall der Verwertung von im Ausland gesicherter EncroChat-Kommunikation), zumal eine Verwertung von Erkenntnissen aus dem Kernbereich privater Lebensführung aufgrund des Inhalts der gesicherten Kommunikation nicht zu besorgen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 68).

b) Der Verwertbarkeit steht auch nicht entgegen, dass die vom Angeklagten genutzte A.-App vom FBI mit dem Ziel entwickelt und dem Markt verdeckt zur Verfügung gestellt worden ist, die über den Server des Providers A. laufende, Ende zu Ende verschlüsselte Kommunikation aufgrund gerichtlicher Anordnung des bislang nicht näher benannten EU-Mitgliedstaates, in dem der Server gelegen ist, zu erheben und mittels eines bei der Entwicklung angehefteten Master-Keys zu entschlüsseln.

aa) Aufgrund des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung (Art. 82 AEUV) lässt ein von den nationalen deutschen Vorschriften abweichendes Verfahren die Verwertbarkeit von im Ausland erhobenen Beweisen grundsätzlich unberührt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 50 ff., 73 ff. m.w.N.; Schomburg/Lagodny/Hackner, IRG Vor § 68 Rn 11 m.w.N.), und die nationalen deutschen Gerichte sind nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit von originär im Ausland, mithin nicht aufgrund deutschen Rechtshilfeersuchens durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen anhand der Vorschriften des ausländischen Rechts auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 26 ff. m.w.N.; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22. November 2021 - 1 HEs 427/21 -, StraFo 2022, 203, 204). Das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots ist demnach ausschließlich nach nationalem Recht zu bestimmen.

bb) Danach ergibt sich ein Beweisverwertungsverbot vorliegend weder aus rechtshilfespezifischen Gründen noch aus nationalem Verfassungs- oder Prozessrecht oder den Vorgaben der EMRK (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 25 ff.). Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die im Ausland erhobenen Beweise unter Verletzung völkerrechtlich verbindlicher und dem Individualrechtsgüterschutz dienender Garantien, wie etwa Art. 3 oder Art. 6 EMRK, oder unter Verstoß gegen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze i.S.d. ordre public (vgl. § 73 IRG) gewonnen wurden oder die Ermittlungshandlung der Umgehung nationaler Vorschriften diente (vgl. Schomburg/Lagodny/Hackner, IRG Vor § 68 Rn 11 m.w.N). Weder liegt ein Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzender und aufgrund dessen ein Verfahrenshindernis begründender Fall polizeilicher Tatprovokation (vgl. dazu etwa EGMR, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 54648/09 - juris) vor, weil die Annahme, allein durch Schaffung der Möglichkeit einer abhörsicheren Kommunikation sei der Tatentschluss des Angeklagten zur Begehung der ihm vorgeworfenen Taten hervorgerufen worden, fernliegt, noch begründet der Umstand, dass sich die Datenerhebung gegen sämtliche Nutzer der A.-App ohne Beschränkung auf bestimmte Zielpersonen und ohne Vorliegen eines konkreten Tatverdachts richtete, mithin Verdachtsmomente erst generieren sollte, einen elementaren Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Das Inverkehrbringen der App diente nicht dazu, die Persönlichkeit der Nutzer durch Eindringen in deren Privat- oder Intimsphäre auszuspähen. Vielmehr war absehbar, dass die durch die Nutzung ermöglichte, vermeintlich abhörsichere Kommunikation, neben der eine normale Nutzung des Mobilfunkgerätes zum Telefonieren und mit Zugang zum Internet nicht mehr möglich war, nahezu ausschließlich im Bereich organisierter Kriminalität eingesetzt werden würde (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22. November 2021 - 1 HEs 427/21 -, StraFo 2022, 203, 204; zur Ablehnung eines Verstoßes gegen den Grundsatz des ordre public bei EncroChat-Daten vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. August 2021 - 2 Ws 102/21 (S); 2 Ws 96/21 - juris; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021 - 1 Ws 2/21 -, juris, sowie dem Grunde nach auch BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 57). Ebenso wenig haben die deutschen Ermittlungsbehörden durch ein planmäßiges Vorgehen zur Umgehung nationaler Vorschriften zur Kommunikationsüberwachung an der Datengewinnung mitgewirkt (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22. November 2021 - 1 HEs 427/21 -, StraFo 2022, 203, 204).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Berlin legt EuGH Fragen zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten im Strafverfahren zur Entscheidung vor

LG Berlin
Beschluss vom 19.10.2022
(525 KLs) 279 Js 30/22 (8/22)


Das LG Berlin hat dem EuGH Fragen zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten im Strafverfahren zur Entscheidung vorgelegt.

Die Vorlagefragen:

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2014/41 (im Folgenden: RL EEA) vorgelegt:

1. Zur Auslegung des Merkmals "Anordnungsbehörde" nach Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 lit. c) RL EEA

a) Muss eine Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden: EEA) zur Erlangung von Beweismitteln, die sich bereits im Vollstreckungsstaat (hier: Frankreich) befinden, von einem Richter erlassen werden, wenn nach dem Recht des Anordnungsstaats (hier: Deutschland) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall die zugrunde liegende Beweiserhebung durch den Richter hätte angeordnet werden müssen ?

b) Gilt dies hilfsweise zumindest dann, wenn der Vollstreckungsstaat die zugrunde liegende Maßnahme auf dem Hoheitsgebiet des Anordnungsstaats durchgeführt hat mit dem Ziel, die abgeschöpften Daten anschließend den an den Daten interessierten Ermittlungsbehörden im Anordnungsstaat zum Zweck der Strafverfolgung zur Verfügung zu stellen ?

c) Muss eine EEA zur Erlangung von Beweismitteln unabhängig von den nationalen Zuständigkeitsregelungen des Anordnungsstaats immer dann von einem Richter (bzw. einer unabhängigen, nicht mit strafrechtlichen Ermittlungen befassten Stelle) erlassen werden, wenn die Maßnahme schwerwiegende Eingriffe in hochrangige Grundrechte betrifft ?

2. Zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 lit. a) RL EEA

a) Steht Art. 6 Abs. 1 lit. a) RL EEA einer EEA zur Übermittlung von im Vollstreckungsstaat (Frankreich) schon vorhandenen Daten aus einer Telekommunikationsüberwachung – insbesondere Verkehrs- und Standortdaten sowie Aufzeichnungen von Kommunikationsinhalten – entgegen, wenn die vom Vollstreckungsstaat durchgeführte Überwachung sich auf sämtliche Anschlussnutzer eines Kommunikationsdienstes erstreckte, mit der EEA die Übermittlung der Daten sämtlicher auf dem Hoheitsgebiet des Anordnungsstaates genutzten Anschlüsse begehrt wird und weder bei der Anordnung und Durchführung der Überwachungsmaßnahme noch bei Erlass der EEA konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von schweren Straftaten durch diese individuellen Nutzer bestanden ?

b) Steht Art. 6 Abs. 1 lit. a) RL EEA einer solchen EEA entgegen, wenn die Integrität der durch die Überwachungsmaßnahme abgeschöpften Daten wegen umfassender Geheimhaltung durch die Behörden im Vollstreckungsstaat nicht überprüft werden kann ?

3. Zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 lit. b) RL EEA

a) Steht Art. 6 Abs. 1 lit. b) RL EEA einer EEA zur Übermittlung von im Vollstreckungsstaat (Frankreich) schon vorhandenen Telekommunikationsdaten entgegen, wenn die der Datenerhebung zugrunde liegende Überwachungsmaßnahme des Vollstreckungsstaats nach dem Recht des Anordnungsstaats (Deutschland) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unzulässig gewesen wäre ?

b) Hilfsweise: Gilt dies jedenfalls dann, wenn der Vollstreckungsstaat die Überwachung auf dem Hoheitsgebiet des Anordnungsstaats und in dessen Interesse durchgeführt hat ?

4. Zur Auslegung von Art. 31 Abs. 1, Abs. 3 RL EEA

a) Handelt es sich bei einer mit der Infiltration von Endgeräten verbundenen Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes um eine Überwachung des Telekommunikationsverkehrs im Sinne von Art. 31 RL EEA ?

b) Muss die Unterrichtung nach Art. 31 Abs. 1 RL EEA stets an einen Richter gerichtet werden oder gilt dies zumindest dann, wenn die vom überwachenden Staat (Frankreich) geplante Maßnahme nach dem Recht des unterrichteten Staats (Deutschland) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nur durch einen Richter angeordnet werden könnte ?

c) Soweit Art. 31 RL EEA auch dem Individualschutz der betroffenen Telekommunikationsnutzer dient, erstreckt sich dieser auch auf die Verwendung der Daten zur Strafverfolgung im unterrichteten Staat (Deutschland) und ist gegebenenfalls dieser Zweck gleichwertig mit dem weiteren Zweck, die Souveränität des unterrichteten Mitgliedsstaats zu schützen ?

5. Rechtsfolgen einer unionsrechtswidrigen Beweiserlangung

a) Kann sich bei einer Beweismittelerlangung durch eine unionsrechtswidrige EEA unmittelbar aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz ein Beweisverwertungsverbot ergeben ?

b) Führt bei einer Beweismittelerlangung durch eine unionsrechtswidrige EEA der unionsrechtliche Äquivalenzgrundsatz zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn die der Beweisgewinnung im Vollstreckungsstaat zugrunde liegende Maßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall im Anordnungsstaat nicht hätte angeordnet werden dürfen und die durch eine solche rechtswidrige innerstaatliche Maßnahme gewonnenen Beweise nach dem Recht des Anordnungsstaats nicht verwertbar wären ?

c) Verstößt es gegen Unionsrecht, insbesondere den Grundsatz der Effektivität, wenn die strafprozessuale Verwertung von Beweismitteln, deren Erlangung gerade wegen eines fehlenden Tatverdachts unionsrechtswidrig war, im Rahmen einer Interessenabwägung mit der Schwere der erstmals durch die Auswertung der Beweismittel bekannt gewordenen Taten gerechtfertigt wird ?

d) Hilfsweise: Ergibt sich aus dem Unionsrecht, insbesondere dem Grundsatz der Effektivität, dass Unionsrechtsverstöße bei der Beweismittelerlangung in einem nationalen Strafverfahren auch bei schweren Straftaten nicht vollständig ohne Folge bleiben dürfen und daher zumindest auf der Ebene der Beweiswürdigung oder der Strafzumessung zugunsten des Beschuldigten berücksichtigt werden müssen ?


Aus den Entscheidungsgründen:
Die zu den EncroChat-Daten bisher ergangenen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Entscheidungen gehen sämtlich von der Verwertbarkeit der EncroChat-Daten aus. Soweit Verstöße gegen Unionsrecht angenommen oder zumindest in Betracht gezogen werden, wird im Rahmen der Abwägung unter Hinweis auf die Schwere der anhand der EncroChat-Daten ermittelten Straftaten den Strafverfolgungsinteressen der Vorrang eingeräumt (zu Art. 31 RL EEA: BGH aaO. Rn. 44; vgl. auch – wohl zu Art. 6 RL EEA –: KG, Beschluss vom 30. August 2021 – juris Rn. 55). Auch eine Berücksichtigung an anderer Stelle – insbesondere der Beweiswürdigung oder der Strafzumessung – wird, soweit ersichtlich, den Tatgerichten nicht abverlangt; die strafmildernde Berücksichtigung des Verstoßes gegen Art. 31 RL EEA hat der Bundesgerichtshof sogar ausdrücklich als fehlerhaft beanstandet (BGH, Urteil vom 3. August 2022 – 5 StR 203/22 –, juris Rn. 19).

Die Kammer hat Zweifel, ob dies mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es grundsätzlich Sache des nationalen Rechts, die Rechtsfolgen von Verstößen gegen Unionsrecht zu regeln. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten wird jedoch begrenzt durch den Grundsatz der Effektivität (Gerichtshof, Urteil vom 2. März 2021 – C-746/18 –, juris Rn. 42 m.w.N.). Danach muss das nationale Recht Sorge dafür tragen, dass der Beschuldigte in einem Strafverfahren durch rechtswidrig erlangte Informationen und Beweise keine unangemessenen Nachteile erleidet (Gerichtshof aaO. Rn. 43).

Dies kann grundsätzlich nicht nur durch ein Beweisverwertungsverbot erreicht werden, sondern auch durch eine Berücksichtigung der Rechtsverstöße bei der Beweiswürdigung oder im Rahmen der Strafzumessung (Gerichtshof, Urteile vom 2. März 2021, aaO. Rn. 43, und vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u.a – C-511/18 u.a. –, juris Rn. 225). Gleichwohl kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Effektivitätsgrundsatz im Einzelfall das nationale Gericht verpflichten, rechtswidrig erlangte Beweise vom Verfahren auszuschließen (Gerichtshof, Urteile vom 20. September 2022 – C-339/20 u.a. –, juris Rn. 106, vom 2. März 2021, aaO. Rn. 44 und vom 6. Oktober 2020, aaO. Rn. 226 f.; grundlegend Urteil vom 10. April 2003, Steffensen – C-276/01 –, juris Rn. 77 ff. im Anschluss an EGMR, Urteil vom 18. März 1997, Mantovanelli/Frankreich Tz. 36). Die Kammer versteht diese Rechtsprechung dahin, dass der Rechtsverstoß in einem solchen Fall qua Unionsrecht stets den Ausschluss der Beweise zur Folge haben muss und es auf eine Abwägung mit den nationalen Strafverfolgungsinteressen und insbesondere auf die Schwere der in Rede stehenden Straftaten nicht mehr ankommt.

Es spricht einiges dafür, ein solches unmittelbar aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz hergeleitetes Verwertungsverbot auch hier anzunehmen. Denn der Grundsatz des fairen Verfahrens ist in mehrerlei Hinsicht beeinträchtigt worden:

Bereits der Umstand, dass die mit der EEA angeforderten Daten wegen der französischen Geheimhaltung nicht durch einen technischen Sachverständigen überprüft werden können, dürfte die vom Gerichtshof in der Entscheidung vom 10. April 2003 (Steffensen) entwickelten Voraussetzungen erfüllen, unter denen das Gericht Beweise ausschließen muss. Hinzu kommen die oben zu I. bis III. angesprochenen mehrfachen Missachtungen formeller und materieller Sicherungsmechanismen nach Art. 31 und Art. 6 RL EEA, die entweder unmittelbar von den deutschen Strafverfolgungsbehörden zu verantworten sind oder vor denen sie zumindest die Augen verschlossen haben. Wären alle diese Vorgaben des Unionsrechts beachtet worden, wären die Daten der deutschen Nutzer weder erhoben noch bei Europol gespeichert und schon gar nicht an die deutschen Behörden zum Zweck der Strafverfolgung übermittelt worden.

Weiter hinzu tritt schließlich, dass die europäischen Agenturen und die deutschen Strafverfolgungsbehörden die Sachaufklärung und die Verteidigung durch die Verweigerung der Herausgabe von für die Verteidigung erheblichen Aktenbestandteilen und die Weigerung, verfahrensrelevante Dokumente überhaupt in die Akten aufzunehmen, im Nachgang weiter erschwert haben. Besonders gravierend wirkt sich dabei die Weigerung aus, die über das SIENA-System ausgetauschten Nachrichten zur Akte zu bringen (die wenigen im vorliegenden Verfahren bekannt gewordenen SIENA-Nachrichten wurden von der Verteidigung eingereicht und stammen mutmaßlich aus dem Ausland). Dadurch lässt sich etwa nicht überprüfen, ob es – was angesichts der SIENA-Nachricht vom 20. August 2020 naheliegt – Mitteilungen zu technischen Auffälligkeiten gab, die für die Bewertung der Chat-Nachrichten von Bedeutung sein könnten. Die ohnehin schon mit der französischen Geheimhaltung verbundene Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten wurde dadurch weiter vertieft; ein von Art. 7 Abs. 4 RL 2012/13 gedeckter Rechtfertigungsgrund ist dafür nicht ersichtlich. Auch das in dem BKA-Schreiben vom 13. Mai 2020 angekündigte Verschweigen wesentlicher Informationen gegenüber dem Ermittlungsrichter passt in diesen Zusammenhang, da die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Aufgabe des Ermittlungsrichters, die Ermittlungen eigenverantwortlich zu prüfen, unterlaufen wurde (vgl. zum Gebot der Aktenvollständigkeit im Ermittlungsverfahren BGH NStZ 2022, 561 f.). Insgesamt wurde damit in sämtlichen Verfahrensabschnitten eine unabhängige externe Überprüfung der Datengewinnung und -weiterverwendung verhindert.

All dies zusammen genommen dürfte in mehrfacher Hinsicht im Widerspruch zu den Wertungen der Art. 7 Abs. 2 RL 2012/13, Art. 47, 48 GRCh, Art. 6 Abs. 1 EMRK stehen und stellt die Fairness des Verfahrens in seiner Gesamtheit in Frage.

b) Die Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Regelung der Rechtsfolgen von Verstößen gegen Unionsrecht wird weiter begrenzt durch den Grundsatz der Äquivalenz. Danach dürfen Verstöße gegen Unionsrecht nicht in geringerem Maße sanktioniert werden als vergleichbare Verstöße gegen innerstaatliches Recht (Urteil des Gerichtshofs vom 2. März 2021, aaO. Rn. 42).

Auch unter diesem Aspekt könnte man hier an ein zwingendes Verwertungsverbot denken. Denn nach dem deutschen Strafprozessrecht hätten bei einer Abhörmaßnahme sowohl der Verstoß gegen den Richtervorbehalt als auch der fehlende konkrete Verdacht einer Katalogtat jeweils die Unverwertbarkeit der Daten zur Folge. Es ist nicht ersichtlich, weshalb für vergleichbare Verstöße im Zusammenhang mit dem Erlass einer EEA etwas anderes gelten sollte.

c) Sofern sich demgegenüber aus dem Unionsrecht kein zwingendes Verwertungsverbot ergibt, kommt es nach dem deutschen Strafprozessrecht auf eine umfassende Interessenabwägung an. Der Bundesgerichtshof und die Obergerichte stellen maßgeblich auf das Gewicht der aufzuklärenden Straftaten ab und folgern daraus, dass das staatliche Strafverfolgungsinteresse gegenüber dem Individualschutz der betroffenen EncroChat-Nutzer den Vorrang genieße (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022, aaO. Rn. 36, 44, 57; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. November 2021 – 2 Ws 261/21 –, juris Rn. 33). Die Kammer hat Zweifel, ob diese Argumentation mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Der Gerichtshof hat mehrfach entschieden, dass das Ziel, schwere Straftaten zu bekämpfen, eine allgemeine unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung nicht rechtfertigen kann (Urteile vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net, aaO. Rn. 141, vom 2. März 2021, aaO. Rn. 50 und vom 5. April 2022, aaO. Rn. 65). Solche rechtswidrig anlasslos gespeicherten Vorratsdaten sind dem anschließenden Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auch dann entzogen, wenn sie im konkreten Fall der Aufklärung schwerer Taten dienen sollen. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – mit einiger Wahrscheinlichkeit von der Datenabschöpfung auch Berufsgeheimnisträger – wie etwa Rechtsanwälte und Journalisten – betroffen sind (vgl. zu diesen Gesichtspunkt Gerichtshof, Urteil vom 20. September 2022, Spacenet u.a. – C-793/19 u.a. –, juris Rn. 82) und auch Kommunikationsinhalte erfasst werden.

Zu dieser Wertung und dem Grundsatz der Effektivität könnte es im Widerspruch stehen, wenn ein Rechtsverstoß, der unmittelbar an den fehlenden Tatverdacht anknüpft, unter Verweis auf nachträgliche Erkenntnisse aus den rechtswidrig erlangten Daten ohne Sanktion bleibt. Die Kammer neigt danach zu der Ansicht, dass bei der Abwägung, ob ohne ausreichenden Tatverdacht erlangte Daten trotz des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 lit. a) und b) RL EEA verwertbar sind, das Gewicht der konkret in Rede stehenden Straftaten nur mit verringertem Gewicht berücksichtigt werden darf mit der Folge, dass bei einem Eingriff in hochrangige Grundrechte allein dieser Gesichtspunkt den Rechtsverstoß nicht aufwiegen und damit die Verwertung nicht rechtfertigen kann.

Vergleichbar lässt sich zu Art. 31 Abs. 1 RL EEA argumentieren: Die Schwere dieses Verstoßes ergibt sich maßgeblich daraus, dass das zuständige deutsche Gericht die Maßnahme wegen fehlenden Tatverdachts untersagt hätte. Auch hier erscheint es widersprüchlich und mit dem Grundsatz der Effektivität schwer zu vereinbaren, wenn bei der Abwägung dem Gewicht der nachträglich ermittelten Straftaten der Vorrang eingeräumt wird.

d) Hilfsweise entnimmt die Kammer den Entscheidungen des Gerichtshofs vom 10. April 2003 (Steffensen, aaO. Rn. Rn. 78 ff.), vom 2. März 2021 (aaO. Rn. 43) und vom 6. Oktober 2020 (La Quadrature du Net, aaO. Rn. 225) zumindest, dass ein grundrechtsrelevanter Verstoß gegen Unionsrecht nicht vollständig ohne Auswirkungen auf das nationale Strafverfahren bleiben darf. Danach gebietet es der Grundsatz der Effektivität nach dem Verständnis der Kammer jedenfalls, die Rechtsverstöße entweder bei der Beweiswürdigung oder als Milderungsgrund im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Mit Blick auf die Behinderung der Verteidigung durch die fehlende Überprüfbarkeit der Datengewinnung wäre dabei insbesondere an einen geminderten Beweiswert zu denken mit der Folge, dass allein auf die Daten eine Verurteilung nicht gestützt werden darf (vgl. – zur vorenthaltenen Befragung von Zeugen – EGMR, Urteil vom 23. April 1997, van Mechelen u.a. vs. Niederlande, Tz. 56 ff.; BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2000 – 2 BvR 591/00 –, juris Rn. 44 m.w.N.). Auch die Ansicht des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 3. August 2022 – 5 StR 203/22 –, juris Rn. 19), der Verstoß gegen Art. 31 RL EEA dürfe nicht strafmildernd berücksichtigt werden, erscheint mit Blick auf den Effektivitätsgrundsatz problematisch.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: EncroChat-Daten können zur Aufklärung schwerer Straftaten als Beweismittel verwendet werden und unterliegen keinem Beweisverwertungsverbot

BGH
Beschluss vom 02.03.2022
5 StR 457/21


Auch der 5. Strafsenat des BGH hat entschieden, dass EncroChat-Daten zur Aufklärung schwerer Straftaten als Beweismittel verwendet werden können und keinem Beweisverwertungsverbot unterliegen.

Die Pressemitteilung des BGH:
EncroChat-Daten zur Aufklärung schwerer Straftaten verwertbar

Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Juli 2021 verworfen.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zehn Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Einziehung von Taterlösen über mehr als 70.000 Euro angeordnet. In einigen Fällen waren zentrale Beweismittel SMS-Nachrichten des Angeklagten, die dieser über den Anbieter EncroChat zur Organisation des Drogenhandels versandt hatte. Der Angeklagte hat mit seiner Revision u.a. gerügt, dass diese von französischen Behörden 2020 erlangten und der deutschen Justiz übermittelten Daten nicht als Beweismittel hätten verwertet werden dürfen.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Angeklagten auf Antrag des Generalbundesanwalts verworfen. Er hat entschieden, dass die von Frankreich übermittelten Daten des Anbieters EncroChat als Beweismittel verwertbar sind, wenn sie wie im vorliegenden Fall der Aufklärung schwerer Straftaten dienen.

1. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag folgender Sachverhalt zugrunde:

a) Nach den vom Angeklagten mit seiner Revision vorgelegten umfangreichen Unterlagen gab es in Frankreich 2017 und 2018 Hinweise darauf, dass Tatverdächtige organisierten Drogenhandel (bis zu 6 kg Heroin und 436 kg Marihuana) über besonders verschlüsselte Mobiltelefone ("Kryptohandys") des Anbieters EncroChat abwickelten. Mit diesen Geräten konnte man weder telefonieren noch das Internet nutzen, sondern lediglich Chat-Nachrichten (SMS) versenden, Notizen anlegen oder Sprachnachrichten speichern und versenden. Eine Kommunikation war nur zwischen Nutzern von EncroChat möglich. Aufgrund einer besonderen Ausstattung der Telefone und einer besonderen Verschlüsselungstechnik konnten Strafverfolgungsbehörden weder auf die damit geführte Kommunikation zugreifen noch die Geräte inhaltlich auslesen oder orten. Mit diesen Merkmalen und einer Garantie der Anonymität wurden die Geräte beworben. Allerdings konnte man sie nicht von offiziellen Verkaufsstellen, sondern nur von speziellen Verkäufern über anonyme Kanäle zu einem hohen Preis von 1.610 Euro für einen Nutzungszeitraum von sechs Monaten erwerben. Ein legal existierendes Unternehmen "EncroChat" war ebenso wenig zu finden wie Verantwortliche dieser Firma oder ein Unternehmenssitz.

b) Die französischen Strafverfolgungsbehörden leiteten ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Verdachts einer kriminellen Vereinigung ein und fanden heraus, dass die verschlüsselte Kommunikation zwischen EncroChat-Nutzern über einen im französischen Roubaix betriebenen Server lief. Mit Genehmigung durch ein französisches Gericht griffen sie auf die Daten auf dem Server zu. Hierbei ergab sich, dass 66.134 SIM-Karten eines niederländischen Anbieters im System eingetragen waren, die in einer Vielzahl europäischer Länder verwendet wurden. Eine Dechiffrierung mehrerer tausend "Notizen" von EncroChat-Nutzern belegte, dass diese zweifelsfrei mit illegalen Aktivitäten wie insbesondere Drogenhandel mit bis zu 60 kg Kokain in Verbindung standen.

c) Auf Antrag der französischen Staatsanwaltschaft wurde in Frankreich richterlich u.a. die Installation einer Abfangeinrichtung zu den über den französischen Server laufenden und auf den Telefonen gespeicherten Daten ab dem 1. April 2020 genehmigt. Nach ersten Erkenntnissen wurden von den in Frankreich aktiven Telefonen sicher jedenfalls 63,7 % für kriminelle Zwecke verwendet, die übrigen Geräte (36,3 %) waren entweder teils inaktiv oder noch nicht ausgewertet. Staatsanwaltschaft und Gericht gingen nach der Auswertung der im ersten Monat erlangten Daten von einer "nahezu ausschließlich kriminellen Klientel" der EncroChat-Nutzer aus.

d) Dem Bundeskriminalamt wurden über Europol Erkenntnisse zugleitet, wonach in Deutschland eine Vielzahl schwerster Straftaten von EncroChat-Nutzern begangen wurden. Die Zentralstelle zur Bekämpfung für Internetkriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein. In diesem Verfahren erging am 2. Juni 2020 eine an Frankreich gerichtete Europäische Ermittlungsanordnung mit dem Antrag, die Deutschland betreffenden EncroChat-Daten zu übermitteln und deren Verwendung in deutschen Strafverfahren zu erlauben. Beides genehmigte ein französisches Gericht am 13. Juni 2020.

2. Folgende rechtlichen Erwägungen waren für den Bundesgerichtshof entscheidend:

a) Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung von Beweisen im Strafprozess ist § 261 StPO. Dies gilt auch für im Wege der Rechtshilfe erlangte Daten. Eine ausdrückliche Regelung, dass solche Beweise nur eingeschränkt verwendet werden dürfen, enthält das deutsche Recht nicht. Da eine Verwertung von wie hier erlangten Daten einen Eingriff in das von Art. 10 GG geschützte Fernmeldegeheimnis enthalten kann, muss von Verfassungs wegen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders beachtet werden. In Anlehnung an Verwendungsbeschränkungen wie § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO dürfen derart erlangte Daten zur Überführung solcher besonders schwerer Straftaten verwendet werden, für deren Aufklärung die eingriffsintensivsten Ermittlungsmaßnahmen des deutschen Strafverfahrensrechts – namentlich eine Online-Durchsuchung oder eine akustische Wohnraumüberwachung – angeordnet werden dürften. Hierzu gehören regelmäßig die in Rede stehenden Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz.

b) Das von der Revision geltend gemachte Beweisverwertungsverbot besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

aa) Die Frage, ob ein solches Verbot besteht, richtet sich ausschließlich nach deutschem Recht. Eine Überprüfung der französischen Ermittlungsmaßnahmen am Maßstab ausländischen Rechts findet dabei nicht statt. Es kommt damit auch nicht entscheidend darauf an, ob eine wie hier in Frankreich allein nach französischem Recht durchgeführte Maßnahme auch in Deutschland hätte angeordnet werden können. Dies ist nicht Voraussetzung für einen Transfer der nach französischem Recht von französischen Behörden erlangten Beweise in ein deutsches Strafverfahren. Die unterschiedlichen Anordnungsvoraussetzungen in Frankreich und Deutschland können auf der Ebene der Beweisverwertung kompensiert werden. Deshalb gelten hierfür die unter a) genannten besonders hohen Voraussetzungen.

bb) Ein Verstoß der Beweiserhebung gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte oder gegen grundlegende Rechtsstaatsanforderungen im Sinne eines im Rechtshilfeverkehr zu prüfenden "ordre public" liegt nicht vor. Nach den den französischen Behörden nach dem ersten Datenzugriff vorliegenden Informationen ging es bei den Ermittlungen nicht um eine anlasslose Massenüberwachung einer Vielzahl auch unverdächtiger Handy-Nutzer. Vielmehr stellte sich EncroChat für die französischen Behörden als ein von vorneherein auf die Unterstützung krimineller Aktivitäten ausgerichtetes und im Verborgenen agierendes Netzwerk dar. Aufgrund der ersten Erkenntnisse einer nahezu ausschließlich kriminellen Nutzung solcher Telefone war ein Nutzer hiernach schon allein aufgrund des mit erheblichen Kosten einhergehenden Erwerbs eines auf normalem Vertriebsweg nicht erhältlichen EncroChat-Handys krimineller Aktivitäten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität wie Drogen- und Waffenhandel oder Geldwäsche verdächtig.

cc) Ein möglicher Verstoß französischer Behörden gegen die Pflicht, Deutschland zeitnah über das Bundesgebiet betreffende Abhörmaßnahmen zu unterrichten, kann schon angesichts der späteren allseitigen Genehmigung der Datenverwendung kein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben. Ungeachtet dessen ist fraglich, ob die Unterrichtungspflicht dem Individualschutz der Betroffenen vor einer Beweisverwendung im Inland dient. Jedenfalls würde aber die gebotene Abwägung der unterschiedlichen Interessen zu einem Überwiegen des staatlichen Strafverfolgungsinteresses führen. Rechtlich unbedenklich ist auch, dass die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main einen umfassenden Beweistransfer in einem gegen Unbekannt geführten Verfahren auf einer allgemeinen, letztlich aber jeden Nutzer konkret betreffenden Verdachtslage beantragt hat.

dd) Einen etwaigen Verstoß gegen rechtshilferechtliche Vorschriften beim Datenaustausch oder der sonstigen Zusammenarbeit zwischen französischen und deutschen Polizeibehörden vor Erlass der Europäischen Ermittlungsanordnung hat die Revision nicht geltend gemacht. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass ein durchgreifender Rechtsfehler aufgrund der nachträglichen Einholung einer Einwilligung ohnehin nicht auf der Hand liegt, zumal die grenzüberschreitende Übermittlung von Erkenntnissen zur Strafverfolgung nach den europäischen Rechtshilfevorschriften auch ohne Rechtshilfeersuchen ohne weiteres zulässig ist. An die Verwertung der aus einem solchen Informationsaustausch stammenden Daten sind jedenfalls keine höheren Anforderungen als an die Verwertung von durch eine Europäische Ermittlungsanordnung erlangten Daten zu stellen. Eine gezielte oder systematische Umgehung dem individuellen Rechtsschutz von Beschuldigten dienender Vorschriften durch französische oder deutsche Behörden ist weder nachvollziehbar dargelegt noch sonst konkret ersichtlich.

Der Beschluss wird in Kürze in der Entscheidungsdatenbank auf der Internetseite des Bundesgerichtshofs abrufbar sein.

Vorinstanz:

Landgericht Hamburg – Urteil vom 15. Juli 2021 – 632 KLs 8/21




BGH: EncroChat-Daten sind ein zulässiges Beweismittel und können im Strafverfahren verwertet werden

BGH
Beschluss vom 08.02.2022
6 StR 639/21


Der BGH hat entschieden, dass EncroChat-Daten ein zulässiges Beweismittel sind und im Strafverfahren verwertet werden können.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen unzulässige Verfahrensrüge wäre auch unbegründet. Der Senat sieht im Ergebnis die aus der Überwachung der Kommunikation über den Krypto-Messengerdienst EncroChat durch französische Behörden gewonnenen
Erkenntnisse im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung als im Strafverfahren verwertbar an (vgl. etwa KG, NStZ-RR 2021, 353 mwN).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Karlsruhe: EncroChat-Daten sind ein zulässiges Beweismittel und können im Strafverfahren verwertet werden

OLG Karlsruhe
Beschluß vom 10.11.2021
2 Ws 261/21; HEs 2 Ws 311/21


Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass EncroChat-Daten ein zulässiges Beweismittel sind und im Strafverfahren verwertet werden können.

Aus den Entscheidungsgründen:

Hinsichtlich des dringenden Tatverdachts und der Beweislage wird zunächst auf die Anklageschrift vom 9.8.2021 verwiesen. Der dringende Tatverdacht gründet sich dabei im Wesentlichen auf die Erkenntnisse aus der zwischen den Tatbeteiligten über EncroChat geführten Kommunikation, die den deutschen Ermittlungsbehörden von den französischen Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt wurden.

Entgegen der von der Verteidigung insoweit erhobenen Einwendungen sind diese Erkenntnisse nach vorläufiger Bewertung auf der Grundlage des Akteninhalts verwertbar.

1. Dabei ist unter Berücksichtigung der in anderen obergerichtlichen Entscheidungen (KG, Beschluss vom 30.8.2021 – 2 Ws 93/21 - 161 AR 134/21, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 3.8.2021 – 2 Ws 102/21 [S]; 2 Ws 96/21, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.7.2021 – III 2 Ws 96/21; OLG Rostock, Beschluss vom 11.5.2021 – 20 Ws 121/21BeckRS 2021, 11981 = NJ 2021, 372-374; OLG Schleswig SchlHA 2021, 197; OLG Rostock, Beschluss vom 23.3.2021 – 20 Ws 70/21, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 29.1.2021 – 1 Ws 2/21 –, juris; OLG Bremen NStZ-RR 2021, 158) mitgeteilten Erkenntnisse von folgendem Verfahrensgang auszugehen:

Den in Frankreich durchgeführten und aufeinander aufbauenden Ermittlungsmaßnahmen lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Rahmen von sieben nicht im Zusammenhang stehenden Ermittlungsverfahren - in fünf Fällen handelte es sich ausschließlich um Betäubungsmitteldelikte (436 kg Cannabisharz / 100 kg Cannabisharz / 30 kg Cannabisharz / 30 kg Cannabisharz / 12 kg Cannabiskraut, 6 kg Heroin, 1 kg Crack), in einem Fall um ein Betäubungsmitteldelikt (6 kg Cannabisharz) sowie um eine Diebstahlsserie von Luxuskraftfahrzeugen und in einem weiteren Fall um bandenmäßig organisierten Kraftfahrzeugdiebstahl - der französischen Behörden in den Jahren 2017 und 2018 wurden verschlüsselte Telefone unter „EncroChat-Lizenz“ sichergestellt.

Weitere Recherchen ergaben, dass diese Telefone auf einer frei zugänglichen Internetseite mit folgenden Produktmerkmalen beworben wurden: „Garantie der Anonymität, personalisierte Android Plattform, doppeltes Betriebssystem, allerneueste Technik, automatische Löschung von Nachrichten, schnelles Löschen, Unantastbarkeit, Kryptografie-Hardwaremodul“. Folgende Anwendungen waren auf dieser Art von Telefonen verfügbar: „EncroChat (lnstant-Secure Messaging Kunde), EncroTalk (Chiffrierung der Sprachkonversationen auf IP), EncroNotes (Chiffrierung der lokal auf dem Gerät gespeicherten Notizen)“. Ein Erwerb solcher Endgeräte war jedoch nicht über die offizielle Webseite dieses Unternehmens möglich.

Auf der Verkaufsplattform eBay wurden derartige Geräte für 1.610 EUR angeboten, wobei dieser Preis eine Nutzerlizenz für die Dauer von (nur) sechs Monaten beinhaltete. Personen, die sich nach außen als Verantwortliche der Firma EncroChat präsentierten, existierten nicht. Einen offiziellen Sitz eines Unternehmens EncroChat gab es ebenfalls nicht.

Anhand der Auswertung eines der beschlagnahmten Mobiltelefone konnten die Ermittlungsbehörden aufgrund der aus- und eingehenden Datenströme feststellen, dass eine Datenverbindung zu einem in Roubaix (Frankreich) betriebenen Server bestand. Dieser Server war von der Gesellschaft „Virtue Imports“ mit Sitz in Vancouver/Kanada angemietet.

Nach Einholung eines richterlichen Beschlusses wurden am 21.12.2018 die Daten des vorgenannten Servers kopiert und in der Folgezeit ausgewertet. Die Ermittlungen wurden zu diesem Zeitpunkt wegen des Verdachts der Bildung einer „kriminellen Vereinigung zur Begehung von Straftaten oder Verbrechen, die mit zehn Jahren Haft bestraft werden“, (und insbesondere Verbrechen des Betäubungsmittel-/Drogenhandels laut Artikel 222-37 des französischen Strafgesetzbuches) sowie wegen weiteren Tatbeständen im Zusammenhang mit der Lieferung, dem Transfer und dem Import eines Verschlüsselungsmittels geführt.

Die kopierten Serverdaten förderten unter anderem zutage, dass die verwendeten SIM-Karten von einem niederländischen Betreiber stammten und im System insgesamt 66.134 SIM-Karten eingetragen waren. Es konnten knapp 3.500 Dateien mit Notizen entschlüsselt werden, die nach Lage der Dinge in Verbindung mit illegalen Aktivitäten, insbesondere dem Drogenhandel, standen. So zeigten beispielsweise die Notizen eines Nutzers hochwahrscheinlich dessen Einbindung in den Drogenhandel über Häfen und dessen Möglichkeiten zur Geldwäsche in Paris durch Zahlungsströme in Richtung Marokko.

Aufgrund richterlicher Genehmigungen des Gerichts in Lille vom 30.1.2020 für den Einsatz einer Computerdaten-Abfangeinrichtung erfolgte sowohl auf dem Server als auch auf den mit diesem Server verbundenen Endgeräten die Installation einer „Trojanersoftware“ und schließlich mangels anderweitiger Ermittlungsmöglichkeiten – ebenfalls mit richterlicher Genehmigung desselben Gerichts vom 20.3.2020 – eine Umleitung aller Datenströme (DNS-Umleitung) des vorgenannten Servers in Roubaix ab dem 1.4.2020. Dabei wurde bekannt, dass von der Datenabfangmaßnahme 32.477 Nutzer in 121 Ländern betroffen waren. Hiervon befanden sich 380 Nutzer ganz oder teilweise im französischen Hoheitsgebiet, von denen nach Einschätzung der französischen Behörden mindestens 242 Personen – mithin über 60 % – das verschlüsselte Kommunikationssystem zu kriminellen Zwecken nutzten. Das Nutzungsverhalten der übrigen Personen war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgewertet oder diese waren inaktiv.

Am 7.4.2020 wurden die Ermittlungen auf Transport, Besitz, Erwerb, Anbieten oder Abgabe von Drogen/Betäubungsmitteln und den Besitz und Erwerb von Waffen ohne Genehmigung ausgedehnt, nachdem nähere Informationen zum Netzwerk der Händler der EncroChat-Telefone bekannt geworden waren. In einem an einen australischen Händler versandten „Leitfaden“ zur Vermarktung der chiffrierten Telefone, der den Ablauf der unterschiedlichen Kaufphasen bis hin zum endgültigen Verkauf an die Nutzer schilderte, wurde unter anderem auch erklärt, dass die Zahlung vorzugsweise in Kryptowährung (Bitcoin) erfolgen solle, dass man sich gegenüber der Polizei verdeckt halten und insbesondere vermeiden müsse, durch mengenmäßig zu große Lieferungen aufzufallen. Dem Händler, dessen Hauptaktivität der Kokainhandel gewesen sein soll, wurde auch versichert, dass die Geräte weder „abgehört“ noch unrechtmäßig genutzt werden könnten, wenn sie „in schlechte Hände“ fielen. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass der Polizei eine Lokalisierung nicht möglich sei, wenn diese an die IMEI und die SIM des Telefons gelange.

Aufgrund dieser Erkenntnisse wurden die aufgrund der richterlichen Anordnung zeitlich begrenzten technischen Maßnahmen zunächst für einen Monat ab 1.5.2020 und darauffolgend für weitere vier Monate ab 1.6.2020 – jeweils mit richterlichem Beschluss – verlängert und die Deliktstatbestände, derentwegen ermittelt wurde, erweitert. Die Maßnahmen endeten in Frankreich jedoch bereits mit der Einstellung des Geschäftsbetriebs des Unternehmens EncroChat nach ihrem Bekanntwerden am 28.6.2020.

Zu einer Unterrichtung der Bundesrepublik Deutschland - als zu unterrichtender Mitgliedstaat - durch die Republik Frankreich - als überwachender Mitgliedsstaat im Sinne von Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3.4.2014 (ABl. L 130/1) - RL-EEA - dahingehend, dass sich die Zielperson der Überwachung auf deutschem Hoheitsgebiet befindet oder befunden hat, kam es zunächst nicht. Ebenso unterblieb auch eine Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 31 Abs. 3 RL-EEA, dass die Überwachung durchzuführen oder zu beenden sei.

In der Folgezeit wurden die EncroChat-Daten dem BKA in der Zeit vom 3.4. bis zum 28.6.2020 übermittelt und dort aufbereitet. Von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main wurden sodann getrennte Ermittlungsverfahren gegen die ermittelten Nutzer eingeleitet und den örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften über die jeweiligen Landeskriminalämter zugeleitet.

Vorangegangen war eine Mitteilung Frankreichs über die gewonnenen Erkenntnisse nach Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austausches von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. 386/89). Hiernach stellen nationale Strafverfolgungsbehörden den Strafverfolgungsbehörden anderer Mitgliedstaaten Informationen und Erkenntnissen unaufgefordert zur Verfügung stellen, wenn konkrete Gründe für die Annahme bestehen, dass diese dazu beitragen könnten, Straftaten nach Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten aufzudecken, zu verhüten oder aufzuklären.

Am 2.6.2020 erließ die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main auf der Grundlage der Art. 5 ff. RL-EEA eine Europäische Ermittlungsanordnung, welche nach Art. 1 der Richtlinie auch auf die Erlangung von Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaates befinden, erlassen werden kann. In Anhang A, Abschnitt C (Sonderheft Rechtshilfe, Bl. 1), in welchem die erbetenen Maßnahmen mitgeteilt werden, heißt es: Das BKA sei über Europol informiert worden, dass in Deutschland eine Vielzahl schwerster Straftaten (insbesondere Einfuhr und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) unter Nutzung von Mobiltelefonen mit der Verschlüsselungssoftware EncroChat begangen werden. In diesem Zusammenhang wurden die französischen Justizbehörden ersucht, die unbeschränkte Verwendung der betreffenden Daten bezüglich der über EncroChat ausgetauschten Kommunikation in Strafverfahren gegen die Täter zu genehmigen.

Diese Genehmigung ist am 13.6.2020 durch die Ermittlungsrichterin in Lille erteilt und sodann die Fortsetzung der – zuvor ohne Ersuchen erfolgten – Übermittlung der nunmehr ersuchten Daten über Europol angeordnet worden. Die französischen Behörden haben einer Verwendung der Daten im Rahmen eines jeden Ermittlungsverfahrens im Hinblick auf jedwedes Gerichts-, Strafverfolgungs- oder Untersuchungsverfahren zugestimmt.

In Bezug auf die Angeklagten im vorliegenden Verfahren erließ die Staatsanwaltschaft Freiburg am 26.4.2021 und am 31.5.2021 (bezüglich des mutmaßlich vom Mitangeklagten H. genutzten EncroChat-Accounts) sowie am 27.5.2021 (bezüglich des mutmaßlich vom Angeklagten L. genutzten EncroChat-Accounts) Europäische Ermittlungsanordnungen. Die entsprechenden Genehmigungen zur umfassenden Verwertung in deutschen Strafverfahren wurden von der Ermittlungsrichterin in Lille am 4.6./5.7.2021 (bezüglich H.) und am 18.6.2021 (bezüglich L.) erteilt.

2. Die jedenfalls die Grundlage der Verwertung im vorliegenden Verfahren bildenden Europäischen Ermittlungsanordnungen der Staatsanwaltschaft Freiburg sind rechtmäßig erlassen worden.
4
Außer den in § 91j Abs. 1 IRG enthaltenen formalen Vorgaben genügen diese Ermittlungsanordnungen auch den sich aus Art. 6 Abs. 1 RL-EEA ergebenden materiellen Anforderungen (vgl. Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 91j IRG Rn. 3). Danach darf eine Europäische Ermittlungsanordnung nur erlassen werden, wenn die im Ausland durchzuführende Maßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen hätte angeordnet werden können (Art. 6 Abs. 1 lit. b RL-EEA). Zudem muss der Erlass der EEA auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, d.h. für die Zwecke des ihr zugrunde liegenden Strafverfahrens unter Berücksichtigung der Rechte der betroffenen Person notwendig und verhältnismäßig sein (Art. 6 Abs. 1 lit. a RL-EEA).

Ob sich die Prüfung dabei bloß auf die Frage der Genehmigung der Verwertung der bereits erhobenen Beweismittel beschränkt oder sich weitergehend auch auf die Rechtmäßigkeit der Erhebung der Beweise erstreckt, kann letztlich dahinstehen, nachdem bereits die Beweiserhebung auch nach deutschem Recht zulässig gewesen wäre.

a) Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Zugriffs auf die Endgeräte ist dabei im Blick zu behalten, dass sich die Ermittlungen jedenfalls auch gegen die Vertreiber der Endgeräte richteten. Danach findet der Zugriff auf die von den Angeklagten genutzten Endgeräte und die darauf gespeicherten Daten seine Grundlage jedenfalls in § 100b StPO. Auf der Grundlage der zu Vertrieb und Nutzung der mit der EncroChat-Software versehenen Endgeräte bekannt gewordenen Besonderheiten - konspirativer Vertrieb hochpreisiger mit Verschlüsselungstechnik versehener Endgeräte, die für eine konventionelle Nutzung nicht eingesetzt werden können - bestand der Anfangsverdacht gegen die Vertreiber der Geräte, damit bewusst die Begehung schwerer Straftaten der organisierten Kriminalität, die zum Katalog der in § 100b Abs. 2 StPO aufgeführten Taten gehören, zu unterstützen (vgl. KG a.a.O., Rn. 48 bei juris). Der Zugriff auf die Endgeräte war dabei gemäß § 100b Abs. 3 Nr. 2 StPO zulässig, weil direkte Ermittlungsmaßnahmen gegen die namentlich nicht bekannten Vertreiber nicht möglich waren und deshalb nur der Zugriff auf die mit den vertriebenen Endgeräten geführte Kommunikation weiteren Aufschluss über die Verwendung für die Begehung strafbarer, dem Katalog des § 100b Abs. 2 StPO unterfallender Handlungen erwarten ließ. Allein der Zugriff auf den Server, über den die Kommunikation geleitet wurde, erlaubte wegen der vorherigen Verschlüsselung bereits auf dem Endgerät keinen Zugriff auf die Kommunikationsinhalte.

b) Die Auswertung der auf den Endgeräten gespeicherten Kommunikationsinhalte, die die Beteiligung der Angeklagten an Betäubungsmittelstraftaten gemäß § 29a Nr. 2 BtMG und damit einer Katalogtat gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 7 lit. b StPO belegten, hätten sodann auch nach deutschem Recht die Überwachung der laufenden Kommunikation gemäß § 100a Abs. 1 StPO gerechtfertigt, nachdem wegen des im Übrigen konspirativen Vorgehens der Beteiligten andere Ermittlungsmaßnahmen keinen Erfolg versprachen.

3. Soweit bei der Erhebung der Beweise durch die französischen Behörden nicht alle dafür maßgeblichen Rechtsvorschriften beachtet worden sind, führt dies im Ergebnis nicht zu einer Unverwertbarkeit der gewonnenen Beweismittel.

a) Ob das Vorgehen der französischen Behörden innerhalb des französischen Staatsgebiets den Vorgaben des französischen Rechts entsprach, ist grundsätzlich der Prüfung durch den Senat entzogen (BGHSt 58, 32); Verstöße gegen den ordre public sind insoweit nicht ersichtlich.

b) Der Zugriff auf die Endgeräte der Angeklagten in Deutschland ist aber an den rechtlichen Vorgaben der Art. 30, 31 RL-EEA zu messen (vgl. auch §§ 59 Abs. 3, 91c Abs. 2 Nr. 2 lit. c dd IRG). Die Unterrichtung der deutschen Behörden, zu der die französischen Behörden nach Art. 31 Abs. 1 RL-EEA jedenfalls ab dem Zeitpunkt verpflichtet waren, ab dem sie Kenntnis davon hatten, dass die von der Überwachung betroffenen Personen sich auf deutschem Staatsgebiet aufhielten, ist vorliegend jedoch nicht erfolgt, so dass eine - gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b RL-EEA zwingend durchzuführende - Prüfung der Zulässigkeit der Maßnahme nach deutschem Recht durch die zuständige Behörde nicht erfolgen konnte.

c) Dieser Verstoß führt jedoch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.

Ein allgemein geltender Grundsatz, demzufolge jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, ist dem Strafverfahrensrecht fremd und auch weder von Verfassungs wegen noch durch die Europäische Menschenrechtskonvention oder das Recht der Europäischen Union geboten (BVerfG NJW 2008, 3053; 2011, 2417; BVerfGE 130, 1; KG a.a.O., jew. m.w.N.). Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung "um jeden Preis" gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbotes eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Das Rechtsstaatsprinzip gestattet und verlangt die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann. Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine begründungsbedürftige Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BVerfGE 33, 367, 383; 46, 214, 222; 122, 248, 272 f.; BGHSt 40, 211, 217; 44, 243, 249; 51, 285, 290; st. Rspr.). Ein Beweisverwertungsverbot ist aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (vgl. BVerfGE 113, 29, 61; NJW 1999, 273; NJW 2006, 2684). Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten hat das Bundesverfassungsgericht nur in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl. BVerfGE 34, 238, 245 f.; 80, 367, 374 f.; 109, 279, 320). Im Übrigen bedarf es einer Abwägung der für und gegen die Verwertung sprechenden Gesichtspunkte im Einzelfall. Für die Verwertbarkeit spricht stets das staatliche Aufklärungsinteresse, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der Straftat bestimmt wird. Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden, welches Gewicht der Rechtsverstoß hat. Dieses wird im konkreten Fall vor allem dadurch bestimmt, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen wurde, welchen Schutzzweck die verletzte Vorschrift hat, ob der Beweiswert beeinträchtigt wird, ob die Beweiserhebung hätte rechtmäßig durchgeführt werden können und wie schutzbedürftig der Betroffene ist (BVerfGE 130, 1 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist dabei in die Abwägung einzustellen, dass bei Beachtung der rechtlichen Vorgaben der Überwachung aller Voraussicht nach von der zuständigen Behörde nicht widersprochen worden wäre (vgl. dazu Art. 31 Abs. 3 RL-EEA), nachdem die Beweiserhebung - wie gezeigt - auch nach deutschem Recht zulässig gewesen wäre. Zudem dienen die gewonnenen Beweise der Aufklärung und Verfolgung schwerer Straftaten der organisierten Kriminalität, die auf andere Weise nicht zu bewerkstelligen wäre. Weder sind mit der Beweisgewinnung durch die französischen Behörden Zuständigkeitsvorgaben umgangen worden (sog. Befugnis-Shopping) noch ist eine gezielte Missachtung der komplexen rechtshilferechtlichen Vorschriften erkennbar. Umgekehrt ist zwar zu berücksichtigen, dass mit den Ermittlungsmaßnahmen in die besonders sensiblen Bereiche des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) bzw. des Schutzes der Integrität informationstechnischer Systeme als Teil des ebenfalls grundrechtlich geschützten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG, vgl. dazu BVerfGE 120, 274) eingegriffen wurde. Dies wird allerdings dadurch relativiert, dass die Angeklagten diesen Schutz bewusst zur Begehung schwerer Straftaten missbraucht haben und nach den gesamten Umständen, insbesondere der fehlenden Möglichkeit, die überwachten Geräte für konventionelle Kommunikation zu verwenden, von vornherein nicht zu erwarten war, dass mit der Überwachung schutzbedürftige sensible Daten gesammelt werden würden. In der Zusammenschau wiegt der Rechtsverstoß danach vorliegend nicht so schwer, dass deswegen ein Beweisverwertungsverbot geboten wäre (ebenso OLG Hamburg a.a.O.; OLG Brandenburg a.a.O.; KG a.a.O.).

II. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), die nicht durch die Erteilung von Auflagen und Weisungen nach § 116 StPO in ausreichendem Maße gemindert werden kann.

Die im Falle einer Verurteilung unter Heranziehung der gesetzlichen Strafrahmen, auch unter Berücksichtigung anzurechnender Untersuchungshaft und einer möglichen, wenn auch angesichts der Schwere der vorgeworfenen Straftaten, die ihrem gesamten Gepräge nach dem Bereich der schweren, organisierten Kriminalität zuzuordnen sind, durchaus nicht selbstverständlichen vorzeitigen Entlassung, bestehende hohe Straferwartung in dem hier anhängigen Verfahren begründet für den Beschuldigten einen erheblichen Fluchtanreiz, dem keine ausreichenden fluchthemmenden Umstände entgegenstehen.

Dabei wird nicht verkannt, dass nicht allein aus der Straferwartung auf das Bestehen von Fluchtgefahr geschlossen werden kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 112 Rn. 24 m.w.N.; KK-Graf, StPO, 8. Aufl., § 112 Rn. 19) und dass bei der Beurteilung der Fluchtgefahr jede schematische Beurteilung anhand genereller Maßstäbe ausscheidet, insbesondere die Annahme unzulässig ist, dass bei einer Straferwartung in bestimmter Höhe stets (oder nie) ein rechtlich beachtlicher Fluchtanreiz bestehe (KG Berlin, StV 2017, 450). Vielmehr ist eine umfassende Abwägung aller für und gegen eine bevorstehende Flucht sprechenden Umstände des konkreten Einzelfalles vorzunehmen, wobei eine hohe Straferwartung erfahrungsgemäß einen höheren Fluchtanreiz bietet (vgl. OLG Karlsruhe - Senat - StV 2010, 31). Die für eine Fluchtgefahr sprechenden „bestimmten Tatsachen“ brauchen dabei aber nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts festzustehen; es genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie beim dringenden Tatverdacht. Bei der Beurteilung der Fluchtgefahr ist zudem nicht nur auf äußerlich zutage liegende Tatsachen abzustellen, sondern auch auf Erfahrungssätze und innere Tatsachen, auf die nach der Lebenserfahrung oder aufgrund äußerer Umstände geschlossen werden kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 8.4.2019 - 3 Ws 102/19 -, BeckRS 2019, 7771).

Gemessen hieran sind in dem hier zu beurteilenden Fall folgende Umstände zu berücksichtigen: Der Angeklagte hat im Falle seiner Verurteilung angesichts der ganz erheblichen gehandelten Mengen unterschiedlicher Betäubungsmittel (mindestens 5 Kilogramm Kokain, 335 Kilogramm Marihuana) ungeachtet des noch nicht feststehenden Wirkstoffgehalts, der teilweisen Sicherstellung der Betäubungsmittel und des Fehlens von Vorstrafen mit der Verhängung einer erheblichen, mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen, die weit oberhalb des bewährungsfähigen Bereichs liegen dürfte. Die gesetzliche Mindeststrafe für die in Täterschaft begangenen Delikte beträgt jeweils ein Jahr. Die Annahme minder schwerer Fälle erscheint nach gegenwärtigem Erkenntnisstand angesichts der Menge der gehandelten Betäubungsmittel, darunter auch solche mit hohem Suchtpotential, aber auch wegen des sonstigen Tatbildes (Verwendung von Krypto-Handys, teilweise wöchentlicher Umsatz großer Betäubungsmittelmengen unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel) eher fernliegend.

Aus der Höhe der im Falle einer Verurteilung drohenden Straferwartung ergibt sich für den Angeklagten ein so erheblicher Fluchtanreiz, sei es eine Flucht ins europäische Ausland oder ein Untertauchen im Inland, dass den vorhandenen familiären und beruflichen Bindungen kein ausreichendes fluchthemmendes Gewicht beigemessen werden kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Fortführung des vom Angeklagten betriebenen Gewerbes im Hinblick auf die längere Inhaftierung, aber auch die im Raum stehende Einziehung von Wertersatz von mehr als 1,6 Millionen Euro erheblich in Frage gestellt ist. Allein die Beziehungen zu seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern sowie zu einem Sohn aus einer früheren Verbindung sind vor diesem Hintergrund nicht geeignet, die Fluchtgefahr ausreichend zu mindern, zumal es wahrscheinlich erscheint, dass er aufgrund der über einen längeren Zeitraum betriebenen Betäubungsmittelgeschäfte über Kontakte ins kriminelle Milieu, auch im Ausland - nach den vorliegenden Erkenntnissen wurde jedenfalls das Marihuana aus Spanien bezogen - verfügt, die ihm eine Flucht erleichtern.

Dass es dem Angeklagten gewisse Schwierigkeiten bereiten dürfte, dauerhaft unterzutauchen, und er bei einer Flucht ins Ausland mit seiner Auslieferung rechnen müsste, gilt für den Angeklagten in gleicher Weise wie für jeden anderen einer Straftat Verdächtigen. Mit dieser Argumentation lässt sich eine Fluchtgefahr jedoch nicht grundsätzlich verneinen, zumal es für die Annahme von Fluchtgefahr genügt, wenn der Beschuldigte sich dem Verfahren zumindest für eine gewisse Dauer zu entziehen sucht (vgl. KK-Graf, StPO, a.a.O., § 112 Rn. 17 m.w.N.).

III. Dem in Haftsachen zu beachtenden Beschleunigungsgebot (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, § 121 Abs. 1 StPO) wurde entsprochen. Vermeidbare, den Strafverfolgungsorganen anzulastende Verzögerungen liegen nicht vor.

Wegen des Ablaufs des Ermittlungsverfahrens wird Bezug genommen auf den Zuleitungsbericht der Staatsanwaltschaft vom 20.10.2021, der den Beteiligten bekannt gemacht wurde.

Angesichts des Schweigens des Angeklagten und der weiteren Tatbeteiligten waren komplexe Ermittlungen zur Identifizierung der hinter den benutzten EncroChat-Accounts stehenden Personen erforderlich. Obwohl der Vorsitzende der inzwischen zuständigen großen Strafkammer alsbald nach Anklageerhebung Anstrengungen unternahm, mit den Beteiligten Termine für eine Hauptverhandlung abzustimmen, ist ein Beginn der Hauptverhandlung vor allem wegen der Verhinderung des Verteidigers des Angeklagten erst ab dem 13.1.2022 möglich. Da die Termine aber mit den Beteiligten abgestimmt sind, kann danach von einem zügigen Fortgang des Verfahrens und dessen zeitnahem Abschluss ausgegangen werden.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Düsseldorf: EncroChat-Daten sind ein zulässiges Beweismittel und können im Strafverfahren verwertet werden

OLG Düsseldorf
Beschluss vom 21.07.2021
III-2 WS 96/21


Auch das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass EncroChat-Daten ein zulässiges Beweismittel sind und im Strafverfahren verwertet werden können.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

EncroChat: Daten aus verschlüsselten Geräten sind zulässige Beweismittel

Die von den Krypto-Handys der Firma EncroChat gewonnenen Daten können in deutschen Strafverfahren verwertet werden. Dies hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter der Leitung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Frank Schreiber entschieden (Beschluss vom 21.07.2021, Az. III-2 WS 96/21).

Französischen Behörden war gemeinsam mit belgischen Ermittlern die Entschlüsselung der über die Plattform von EncroChat geführten konspirativen Kommunikation gelungen. Dies hat zu hunderten Verhaftungen in ganz Europa geführt. In Deutschland sehen die Oberlandesgerichte, die damit bislang befasst waren, kein Beweisverwertungsverbot. Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf nimmt ein solches nicht an.

Aus den aus Frankreich übermittelten Daten ergaben sich konkreten Hinweise auf schwere Straftaten, die von in Deutschland ansässigen Personen begangen wurden. Dem müssen die deutschen Strafverfolgungsbehörden nachgehen. Im konkreten Fall wird dem inhaftierten Beschuldigten von der Staatsanwaltschaft Duisburg vorgeworfen, bewaffnet und bandenmäßig mit erheblichen Mengen von Betäubungsmitteln unerlaubt Handel getrieben zu haben. Einer Verwendung der ausländischen Ermittlungsergebnisse in deutschen Strafverfahren stehen bei dem Tatvorwurf derart schwerer Straftaten unter den gegebenen Umständen im Ergebnis keine (Beweis-) Verwertungsverbote entgegen, weder nach deutschem Recht noch nach den europarechtlichen Regelungen für grenzüberschreitende Ermittlungshandlungen ausländischer Strafverfolgungsbehörden.



KG Berlin: EncroChat-Daten sind ein zulässiges Beweismittel und können im Strafverfahren verwertet werden

KG Berlin
Beschluss vom 30.08.2021
2 Ws 79/21, 2 Ws 93/21


Das Kammergericht Berlin hat entschieden, dass EncroChat-Daten ein zulässiges Beweismittel sind und im Strafverfahren verwertet werden können.

Die Pressemitteilung des Kammergerichts:

Kammergericht lässt in einem Rechtsstreit über die Eröffnung eines Hauptverfahrens „EncroChat“-Daten als Beweismittel zu.

Der 2. Strafsenat des Kammergerichts hat mit Beschluss vom 30. August 2021 die durch französische Ermittlungsbehörden erhobenen „EncroChat“-Daten als zulässiges Beweismittel in einem deutschen Strafverfahren gewertet und eine auf diesen Daten basierende Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin zur Hauptverhandlung zugelassen.

Der Entscheidung lag folgender Verfahrensgang zugrunde:

Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte am 6. Mai 2021 Anklage zum Landgericht Berlin gegen einen 32-jährigen Mann erhoben und diesem zur Last gelegt, in mehreren Fällen unerlaubt mit Betäubungsmitteln (vor allem Cannabisprodukte, MDMA-Tabletten und Amfetamin) in nicht geringer Menge (d.h. im Kilobereich) Handel getrieben zu haben. Der Angeklagte soll sich für die Absprachen mit seinen Lieferanten und Abnehmern sowie mehreren Mittätern des als besonders abhörsicher beworbenen niederländischen Kommunikationsdienstes „EncroChat“ bedient haben.

Mit Beschluss vom 1. Juli 2021 lehnte die 25. Strafkammer des Landgerichts Berlin die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Die Chatnachrichten des Angeklagten seien in einem deutschen Strafverfahren als Beweismittel nicht verwertbar.

Die Chatnachrichten des Angeklagten stammten ursprünglich von einem durch französische Ermittlungsbehörden unter Beteiligung von Eurojust und Europol geführten Ermittlungsverfahren gegen die „EncroChat“-Betreiber. Im Verlauf des französischen Ermittlungsverfahrens wurde mit Genehmigung eines französischen Gerichts u.a. ein sich in Frankreich befindlicher Server mit einer Überwachungssoftware infiltriert und die Daten von insgesamt 32.477 „EncroChat“-Nutzern in 121 Ländern, u.a. in Frankreich und Deutschland, abgefangen. Zu einer Unterrichtung der Bundesrepublik Deutschland über die Überwachung sei es, so die 25. Kammer des Landgerichts, entgegen der einschlägigen Rechtshilfevorschriften nicht gekommen.

In seinem umfangreichen Beschluss hatte die Kammer entschieden, dass die sichergestellten „EncroChat“-Nachrichten als Beweismittel nicht verwertbar seien. Zur Begründung hatten die Richter ausgeführt, dass die Erhebung der Daten durch die französischen Ermittlungsbehörden sowohl gegen europäische Rechtshilfevorschriften (Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen) als auch gegen deutsche Vorschriften zur Überwachung der Telekommunikation verstoßen habe. Insbesondere sei die Überwachung des Mobiltelefons des Angeklagten ohne konkreten Tatverdacht gegen den Angeklagten erfolgt. Es habe daher an einer grundlegenden Eingriffsvoraussetzung gemangelt, so dass die Überwachung insgesamt nicht mehr als rechtsstaatlich angesehen werden könne. Die Rechtsverstöße seien so schwerwiegend, dass sie zu einem Beweisverwertungsverbot führten.

Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Beschluss der Kammer Beschwerde erhoben. Das Kammergericht hat nun in der Beschwerdeinstanz mit Entscheidung vom 30. August 2021 den Beschluss des Landgerichts Berlin aufgehoben und das Verfahren vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Berlin eröffnet. Aus Sicht des Strafsenats handele es sich bei den Daten um sogenannte „Zufallsfunde“. Die Verwendung von solchen Zufallsfunden sei nach den einschlägigen deutschen Vorschriften zur Überwachung der Telekommunikation (§ 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO) zulässig. Es gelte zudem aufgrund des in Europa geltenden Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab. Dies führe im Ergebnis dazu, dass die nach französischem Recht gewonnenen Erkenntnisse im deutschen Strafverfahren verwendet werden dürften.

Az.: 2 Ws 79/21, 2 Ws 93/21
Az. der Vorinstanz: 525 KLs 10/21


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BAG: Kein Verwertungsverbot - Arbeitgeber darf auch ohne Anfangsverdacht gegen Arbeitnehmer Daten auf Dienstrechner einsehen sofern diese nicht als privat gekennzeichnet sind

BAG
Urteil vom 31.01.2019
2 AZR 426/18


Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass ein Arbeitgeber auch ohne Anfangsverdacht einer erheblichen Pflichtverletzung durch einen Arbeitsnehmer, Daten auf einem Dienstrechner einsehen darf, sofern diese nicht ausdrücklich als privat gekennzeichnet sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

"bb) Das Berufungsgericht durfte die Inhalte der Datei „Tankbelege.xls“ in seine Würdigung einbeziehen. Der entsprechende Sachvortrag der Beklagten unterliegt keinem Verwertungsverbot.

(1) Nach der inzwischen gefestigten Senatsrechtsprechung greift in einem Kündigungsrechtsstreit jedenfalls dann kein Verwertungsverbot zugunsten des Arbeitnehmers ein, wenn der Arbeitgeber die betreffende Erkenntnis oder das fragliche Beweismittel im Einklang mit den einschlägigen datenschutzrechtlichen Vorschriften erlangt und weiterverwandt hat (ausführlich BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 14 ff.). So liegt es im Streitfall. Die Einsichtnahme in die Datei „Tankbelege.xls“ sowie die weitere Verarbeitung und Nutzung der aus ihr gewonnenen Erkenntnisse durch die Beklagte waren nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG in der bis zum 24. Mai 2018 geltenden Fassung (im Folgenden BDSG aF) zulässig.

(2) Nach dieser Bestimmung dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses ua. dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Zur Durchführung gehört die Kontrolle, ob der Arbeitnehmer seinen Pflichten nachkommt, zur Beendigung iSd. Kündigungsvorbereitung die Aufdeckung einer Pflichtverletzung, die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann. Sofern nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF zulässig erhobene Daten den Verdacht einer solchen Pflichtverletzung begründen, dürfen sie für die Zwecke und unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF auch verarbeitet und genutzt werden. Der Begriff der Beendigung umfasst dabei die Abwicklung eines Beschäftigungsverhältnisses. Der Arbeitgeber darf deshalb alle Daten speichern und verwenden, die er benötigt, um die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast in einem potenziellen Kündigungsschutzprozess zu erfüllen (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 22; 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 28, BAGE 159, 380).

(3) § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG aF entfaltet keine „Sperrwirkung“ dergestalt, dass eine anlassbezogene Datenerhebung durch den Arbeitgeber ausschließlich zur Aufdeckung von Straftaten zulässig wäre und sie nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF zulässig sein könnte (BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 30, BAGE 159, 380; ausführlich BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 597/16 - Rn. 28 ff., BAGE 159, 278). Allerdings muss die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der personenbezogenen Daten auch nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF „erforderlich“ sein. Es hat eine „volle“ Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen. Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der personenbezogenen Daten müssen geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Die Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Dies beurteilt sich ggf. für jedes personenbezogene Datum gesondert (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 24).

(4) Der vom Senat bei der Anwendung von § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF herangezogene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt dem durch die Richtlinie 95/46/EG sowie Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (dazu EuGH 11. Dezember 2014 - C-212/13 - [Ryneš] Rn. 28) und Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (dazu EuGH 9. November 2010 - C-92/09 und C-93/09 - [Volker und Markus Schecke] Rn. 52; BAG 19. Februar 2015 - 8 AZR 1007/13 - Rn. 20 f.) garantierten Schutzniveau für die von einer Datenerhebung Betroffenen (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 25; EGMR 5. Oktober 2010 - 420/07 - [Köpke/Deutschland]).

(5) Bei der Interessenabwägung stellt eine „berechtigte Privatheitserwartung“ des Betroffenen einen beachtlichen Faktor dar (EGMR 9. Januar 2018 - 1874/13, 8567/13 - [López Ribalda ua./Spanien] Rn. 57; [Große Kammer] 5. September 2017 - 61496/08 - [Bărbulescu/Rumänien] Rn. 119 - 122; vgl. auch Erwägungsgrund 47 zur Verordnung [EU] 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG [Datenschutz-Grundverordnung; DS-GVO]: „vernünftige Erwartungen“), der selbst dann zugunsten des Nichtverarbeitungsinteresses des Arbeitnehmers den Ausschlag geben kann, wenn das Verarbeitungsinteresse des Arbeitgebers hoch ist. So dürfen Arbeitnehmer grundsätzlich erwarten, dass besonders eingriffsintensive Maßnahmen nicht ohne einen durch Tatsachen begründeten Verdacht einer Straftat oder schweren Pflichtverletzung ergriffen werden und insbesondere nicht „ins Blaue hinein“ oder wegen des Verdachts bloß geringfügiger Verstöße eine heimliche Überwachung und ggf. „Verdinglichung“ von ihnen gezeigter Verhaltensweisen erfolgt (für die verdeckte Videoüberwachung vgl. BAG 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 28, BAGE 156, 370; für die verdeckte Observation durch einen Detektiv vgl. BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 597/16 - Rn. 26 ff., BAGE 159, 278; für ein verdecktes Keylogging vgl. BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 30, BAGE 159, 380).

(6) Demgegenüber können weniger intensiv in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifende Datenerhebungen, -verarbeitungen und -nutzungen nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF ohne Vorliegen eines durch Tatsachen begründeten Anfangsverdachts - zumal einer Straftat oder anderen schweren Pflichtverletzung - erlaubt sein. Das gilt vor allem für nach abstrakten Kriterien durchgeführte, keinen Arbeitnehmer besonders unter Verdacht stellende offene Überwachungsmaßnahmen, die der Verhinderung von Pflichtverletzungen dienen (BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 31, BAGE 159, 380). So kann es aber auch liegen, wenn der Arbeitgeber aus einem nicht willkürlichen Anlass prüfen möchte, ob der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten vorsätzlich verletzt hat, und er - der Arbeitgeber - dazu auf einem Dienstrechner gespeicherte Dateien einsieht, die nicht ausdrücklich als „privat“ gekennzeichnet oder doch offenkundig „privater“ Natur sind. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Maßnahme offen erfolgt und der Arbeitnehmer im Vorfeld darauf hingewiesen worden ist, welche legitimen Gründe eine Einsichtnahme in - vermeintlich - dienstliche Ordner und Dateien erfordern können (vgl. EGMR [Große Kammer] 5. September 2017 - 61496/08 - [Bărbulescu/Rumänien] Rn. 119 - 122), und dass er Ordner und Dateien durch eine Kennzeichnung als „privat“ von einer Einsichtnahme ohne „qualifizierten“ Anlass ausschließen kann (vgl. EGMR 22. Februar 2018 - 588/13 - [Libert/Frankreich]). Der Arbeitnehmer muss dann billigerweise mit einem jederzeitigen Zugriff auf die vermeintlich rein dienstlichen Daten rechnen. Zugleich kann er „private“ Daten in einen gesicherten Bereich verbringen.

(7) In Anwendung dieser Grundsätze durfte die Beklagte die Datei „Tankbelege.xls“ kopieren, öffnen und einsehen. Die damit verbundene Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten des Klägers war verhältnismäßig.

(a) Die Beklagte hat aus einem nicht willkürlichen Anlass ein legitimes Ziel verfolgt. Sie wollte letztlich prüfen, ob der Kläger vorsätzlich seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat.

(b) Das Kopieren, Öffnen und Einsehen der Datei „Tankbelege.xls“ war geeignet, diesen Zweck zu fördern.

(c) Die vorgenannte Datenverarbeitung war erforderlich, um den verfolgten Zweck zu erreichen. Es standen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung.

(aa) Eine Einsichtnahme in die Datei unter Heranziehung eines Mitglieds des Betriebsrats oder des Datenschutzbeauftragten hätte kein milderes Mittel dargestellt. Dadurch hätte nicht die Möglichkeit bestanden, die Datenerhebung ganz abzuwenden oder doch auf die Art und Weise ihrer Durchführung „abschwächenden“ Einfluss zu nehmen (zu einem solchen Fall BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 31, BAGE 145, 278). Die Untersuchung musste auch nicht im Beisein des Klägers erfolgen. Dieser hatte sich im Nachgang zur Herausgabe seines Dienstrechners noch einmal an die interne Revision gewandt und mitgeteilt, dass sich einige, von ihm näher bezeichnete private Daten auf der Festplatte befänden. Die Beklagte durfte annehmen, dass der Kläger gegen die Auswertung anderer Daten keine Einwände habe. Das betraf ua. den Ordner „DW“ und die Datei „Tankbelege.xls“. Beide hatte der Kläger nicht als „privat“ angeführt.

(bb) Die Maßnahme stellt sich nicht deshalb als unnötig schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers dar, weil die Beklagte die Festplatte des Dienstrechners zum Zweck der computerforensischen Untersuchung kopiert hat. Durch das Kopieren ist der Inhalt der Dateien nicht verändert worden. Auch wurde die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der Daten nicht erhöht. Das gilt umso mehr, als der Kläger unmittelbar nach dem Kopieren aufgefordert worden ist, die auf der Original-Festplatte befindlichen Daten zu löschen.

(d) Das Kopieren, Öffnen und Einsehen der Datei war nicht unangemessen. Das Nichtverarbeitungsinteresse des Klägers überwog nicht das Verarbeitungsinteresse der Beklagten.

(aa) Die Beklagte hatte ein erhebliches Interesse daran, vorsätzliche Pflichtverletzungen des Klägers aufzudecken.

(bb) Zwar lag kein durch Tatsachen begründeter Anfangsverdacht - zumal einer Straftat oder schweren Pflichtverletzung - vor. Auch ist nicht festgestellt, ob die Beklagte im Vorfeld des Verlangens, den Dienstrechner herauszugeben, gegenüber dem Kläger die Gründe (allgemein) bezeichnet hatte, die eine Einsichtnahme in dienstliche Ordner und Dateien erfordern können und ob sie ihn auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht hat, Ordner und Dateien durch eine Kennzeichnung als „privat“ von einer Einsichtnahme ohne „qualifizierten“ Anlass auszuschließen.

(cc) Gleichwohl stellte sich die von der Beklagten durchgeführte Maßnahme, was die hier allein interessierende Einsichtnahme in nicht ausdrücklich als „privat“ gekennzeichnete oder doch offenkundig als „privat“ zu erkennende Dateien anbelangt, nicht als so eingriffsintensiv dar, dass sich das Nichtverarbeitungsinteresse des Klägers in einer Abwägung gegen das Verarbeitungsinteresse der Beklagten durchsetzen könnte. Die Untersuchung wurde offen durchgeführt. Ihre mögliche Reichweite war klar. Der Kläger wusste, dass die gesamte Festplatte seines Dienst-Laptops einer computerforensischen Analyse unterzogen werden sollte. In eben diesem Bewusstsein hat er bestimmte Daten gegenüber der internen Revision als „privat“ benannt. Die Beklagte durfte hernach davon ausgehen, dass die übrigen, von ihm nicht angeführten Daten für ihre „Augen“ bestimmt waren. Es geht nicht zu ihren Lasten, wenn der Kläger den Ordner „DW“ nebst der Datei „Tankbelege.xls“ vergessen oder das Einsehen von deren Inhalten durch die Beklagte für „ungefährlich“ erachtet haben sollte.

(8) Durfte die Datei „Tankbelege.xls“ kopiert, geöffnet und eingesehen werden, stellte sich ihre weitere Verwendung im Hinblick auf einen potenziellen Rechtsstreit um die Wirksamkeit einer auszusprechenden Kündigung unproblematisch als rechtmäßig dar. Das Führen einer derartigen Aufstellung, aber auch die in der Aufstellung enthaltenen Daten stellten ein Indiz für ein schweres, ggf. zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsvertrags berechtigendes Fehlverhalten dar (Rn. 47).

(9) Die Verwertung der von der Beklagten in zulässiger Weise ermittelten Inhalte der Datei „Tankbelege.xls“ im vorliegenden Rechtsstreit ist nach Maßgabe der DS-GVO und des BDSG in der seit dem 25. Mai 2018 geltenden Fassung ebenfalls rechtmäßig (vgl. BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 45 ff.).

(10) Für den vorliegenden Rechtsstreit ist es ohne Belang, ob die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der anderen personenbezogenen Daten im Zug der computerforensischen Untersuchung des Dienstrechners den Vorgaben des BDSG aF entsprach. Sollte die Beklagte insofern gegen die Vorgaben des BDSG aF verstoßen haben, folgte daraus nicht ein Verbot, die in der Datei „Tankbelege.xls“ enthaltenen personenbezogenen Daten zu verwerten (vgl. BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 33).

(11) Die mögliche Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats, Verfahrensregelungen in einer Betriebsvereinbarung oder „internen Regeln“ des Arbeitgebers ist für die Frage, ob ein Sachvortragsverwertungsverbot eingreift, irrelevant (vgl. BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 36, BAGE 157, 69; 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 44, BAGE 156, 370). Es ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich, dass in einer einschlägigen Betriebsvereinbarung ein „eigenständiges Verwertungsverbot“ bestimmt gewesen wäre. Deshalb bedarf es keiner Entscheidung, ob die Betriebsparteien gegenüber den Gerichten über das formelle Recht hinausgehende Verwertungsverbote begründen oder doch dem Arbeitgeber die Berufung auf einen Sachvortrag in einem Rechtsstreit mit dem betreffenden Arbeitnehmer wirksam versagen können.

b) Die Beklagte hat alle ihr zumutbaren Anstrengungen unternommen, den Sachverhalt aufzuklären."


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LG Heilbronn: Dash-Cam-Aufnahmen sind regelmäßig nicht im Zivilprozess als Beweismittel verwertbar - Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung

LG Heilbronn
Urteil vom 17.2.2015,
I 3 S 19/14


Das LG Heilbronn hat entschieden, dass Dash-Cam-Aufnahmen regelmäßig nicht im Zivilprozess als Beweismittel verwertbar sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Aufzeichnung der Zweitbeklagten mittels Dashcam verletzt diese in ihrem Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst das Recht am eigenen Bild und ist Ausprägung eines sich an moderne Entwicklungen anpassenden Persönlichkeitsschutzes über personenbezogene Informationen. Dem Grundrechtsträger steht hiernach die Befugnis zu, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (BVerfGE 65, 1 [43]; 78, 77 [84]; BVerfG, NJW 2001, 879 [880]). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann jedoch insbesondere durch konkurrierende Grundrechte Dritter eingeschränkt werden (Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art.2, Rn.181). Im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist auf Seiten der Klägerin dabei zu beachten, dass das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG der Rechtspflege eine hohe Bedeutung zumisst. Im Hinblick auf § 286 ZPO, dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG und dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG sind die Gerichte gehalten, angebotene Beweise zu berücksichtigen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt die Verpflichtung zu einer fairen Handhabung des Beweisrechts (BVerfG NJW 2007, 753 [758]; NJW 2011, 2783 [2785]).

Allerdings kommt dem Interesse an der Zivilrechtspflege nicht generell ein überwiegendes Gewicht zu. Es müssen vielmehr weitere Gesichtspunkte hinzutreten, die das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Rechtsverletzung als schutzbedürftig erscheinen lassen (vgl. Anm. Bull zu: BVerfG NJW 2009, 3279; NJW 2007, 753 [758]; BGH NJW 2005, 497 [498 f.]). Das kann etwa der Fall sein, wenn sich der Beweisführer in einer Notwehrsituation i.S.v. § 227 BGB oder einer notwehrähnlichen Lage befindet (BGHZ 27, 284 [289 f.]; BGH NJW 2003, 1727 [1728]). Der BGH sieht hingegen durch eine permanente, verdachtslose Überwachung des Zugangs zu einem Wohnhaus das Persönlichkeitsrecht selbst dann als verletzt an, wenn die Aufzeichnungen nicht verbreitet werden sollen. Ein derartiger Eingriff könne höchstens dann zulässig sein, wenn schwerwiegenden Beeinträchtigungen, wie etwa Angriffe auf die Person, nicht in anderer Weise zumutbar begegnet werden könne (BGH NJW 1995, 1955 [1957]). Entsprechend urteilt das BAG zur verdeckten Videoüberwachung am Arbeitsplatz, die nur im Fall des konkreten Verdachts einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers in Betracht kommt. Zudem muss die Überwachung das einzig verbleibende Mittel darstellen (BAG, Urteil v. 21.06.2012, Az.: 2 AZR 153/11, juris-Rn.30). Vor diesem Hintergrund müssen die von der Dashcam aufgezeichneten Daten auch erforderlich sein (Balzer/Nugel, NJW 2014, 1622 [1623]).

(b) Im vorliegenden Fall können die einzelfallbezogenen Umstände kein überwiegendes Interesse der Klägerin an der Beweissicherung begründen. So sind Abbildungen von Passanten und Verkehrsteilnehmern auf öffentlichen Straßen und Wegen, die nur als Beiwerk des Stadt- oder Straßenbildes mit erfasst werden, von diesen zwar zunächst auch ohne weiteres hinzunehmen (BGH NJW 1995, 1955). Geht es jedoch um die gezielte und verdeckte Fertigung von Bildaufnahmen, muss dann etwas anderes gelten, wenn die Betroffenen nicht absehen können, ob Aufzeichnungen gefertigt werden. Dies ist vorliegend der Fall. Der Ehemann der Klägerin macht mit der im Pkw installierten Dashcam umfassende, als heimlich bezeichenbare Aufzeichnungen des gesamten Verkehrsgeschehens. Eine solche großflächige Beobachtung von öffentlichen Straßen stellt schon deshalb einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dar, weil durch die hier vorgenommene, permanente Aufzeichnung mit der Videokamera eine Vielzahl von Personen in kurzer Zeit in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen wird (VG Ansbach, DAR 2014, 663; a.A. offenbar AG München, NJW-RR 2014, 413, dem die Kammer jedoch nicht zu folgen vermag). Die Videoaufzeichnung des Ehemanns der Klägerin war zudem zeitlich nicht von vornherein auf das konkrete Unfallgeschehen eingegrenzt. Vielmehr wurde ein zeitlich separierter Teil der Aufnahmen nachträglich zur Beweissicherung bestimmt. Technische Vorrichtungen der Kamera zur spezifizierten Beweissicherung, bei der im Rahmen einer Ringspeicherung innerhalb zu bestimmender Zeitabstände die alten gespeicherten Aufnahmen gelöscht werden, sind zudem nicht vorhanden (Bl. 98 d.A.). Auf den jeweiligen Videofilmen wird darüber hinaus festgehalten, wann ein Betroffener die jeweilige Straße mit welchem Verkehrsmittel und ggfs. auch in welcher Begleitung passiert. Grundsätzlich kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Betroffene sich nur kurzzeitig, wie bei einer auf einen bestimmten, festen Ort gerichteten Kamera, im Aufzeichnungsbereich aufhält, da es der Ehemann der Klägerin selbst in der Hand hat, wie lange er einen Betroffenen aufzeichnet und was er anschließend mit der gespeicherten Aufnahme macht. Sieht der BGH schon eine stationäre, permanente und verdachtslose Überwachung ohne Veröffentlichungswillen als unzulässig an, so kann hier erst recht nichts anderes gelten, da die potentiellen Gefahren für das Persönlichkeitsrecht erhöht sind und überdies eine Veröffentlichungsabsicht vorhanden ist. Zudem liegen die von BGH und BAG angedachten Rechtfertigungskonstellationen nicht vor. Letztlich kann auch dann im vorliegenden Fall nichts anderes gelten, wenn die Videoaufzeichnungen wieder gelöscht würden, wenn sich keine besonderen Vorkommnisse ereigneten. Denn es kann nicht allein der Klägerin bzw. ihrem Ehemann überlassen bleiben, wie mit derart hergestellten Videoaufnahmen zu verfahren ist (AG München, Beschluss vom 13.08.2014 – 345 C 5551/14 -, ZD-Aktuell 2014, 04297; VG Ansbach, a.a.O.). Darin läge eine gravierende Missachtung der Befugnis der Betroffenen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung ihrer persönlichen Daten zu bestimmen. Wollte man dies anders sehen und der bloßen Möglichkeit, dass eine Beweisführung erforderlich werden könnte, den Vorrang vor dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung einräumen, würde dies bedeuten, dass innerhalb kürzester Zeit jeder Bürger Kameras ohne jeden Anlass nicht nur in seinem Pkw, sondern auch an seiner Kleidung befestigen würde, um damit zur Dokumentation und als Beweismittel zur Durchsetzung von möglichen Schadensersatzansprüchen jedermann permanent zu filmen und zu überwachen. Damit aber würde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung praktisch aufgegeben (AG München, Beschluss vom 13.08.2014 – 345 C 5551/14, ZD-Aktuell 2014, 04297).

(c) Die permanente, anlasslose Überwachung des Straßenverkehrs durch eine im Pkw installierte Dashcam verstößt zudem gegen § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG und § 22 S. 1 KunstUrhG.

Nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mittels Videoüberwachung nur zulässig, soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar ist das Anliegen der Klägerin, eine Beweissicherung vorzunehmen, legitim. Wie dargelegt überwiegen jedoch die schutzwürdigen Interessen der Zweitbeklagten, da die dauerhafte Offenbarung privater Daten im vorliegenden Fall nicht freiwillig geschieht.

Nach § 22 S.1 KunstUrhG dürfen Bildnisse ferner nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden, soweit nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 KunstUrhG die Abgebildeten nicht nur als Beiwerk einer bestimmten Örtlichkeit erscheinen. Die Befugnis nach § 23 Abs. 1 KunstUrhG erstreckt sich gemäß Abs. 2 jedoch nicht auf eine Verbreitung und Zurschaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird. Wie dargelegt verletzt die gezielte Aufnahme der Betroffenen diese in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
"

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BAG: Heimliche Videoüberwachung am Arbeitsplatz nur als letztes Mittel zulässig - regelmäßig besteht ein gerichtliches Verwertungsverbot

BAG
Urteil vom 21.11.2013
2 AZR 797/11


Das BAG hat entschieden, dass die heimliche Videoüberwachung am Arbeitsplatz nur als letztes Mittel zulässig ist und die daraus gewonnen Erkenntnisse regelmäßig einem gerichtlichen Verwertungsverbot unterliegen.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Bei der Prüfung, ob die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten der Klägerin sozial gerechtfertigt ist, darf das Landesarbeitsgericht seine Überzeugung nicht auf den Inhalt der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen stützen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig. Ob dies unmittelbar aus § 6b BDSG oder doch § 32 BDSG folgt, kann im Ergebnis offen bleiben. Ein Verwertungsverbot ergibt sich in jedem Fall aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, die nicht durch überwiegende Beweisinteressen der Beklagten gerechtfertigt ist.
[...]
Allerdings kennt die Zivilprozessordnung selbst für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein - ausdrückliches - prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt vielmehr die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 ua. - Rn. 60, BVerfGE 106, 28; BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 30 mwN). Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindert, einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 37; Musielak/Foerste ZPO 10. Aufl. § 284 Rn. 23; MüKoZPO/Prütting 4. Aufl. § 284 Rn. 64).
[...]
Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an der Verwertung der Videoaufnahmen und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht aus (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - BVerfGE 117, 202). Vielmehr muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 29; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36 mwN).
[...]
Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, für die verdeckte Beobachtung des Kassenbereichs habe ein hinreichender Anlass bestanden. "


Zudem stellt das BAG klar, dass eine Verdachtskündigung als ordentliche Kündigung nur dann sozial zulässig ist, wenn zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt gewesen wäre.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: