VG Hannover: Speicherdauer von Videoaufzeichnungen einer Tankstelle darf 72 Stunden nicht überschreiten
VG Hannover
Urteil vom 13.03.2023
10 A 1443/19
Das VG Hannover hat entschieden, dass die Speicherdauer von Videoaufzeichnungen einer Tankstelle 72 Stunden nicht überschreiten darf.
Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Bescheid vom 18. Februar 2019 ist rechtmäßig. Die datenschutzrechtliche Beschränkung zur Speicherdauer (a), die Aufforderung zur Bestätigungsanzeige (b) und auch die Zwangsgeldandrohung (c) sind rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Die Anordnung der Beklagten, die Aufzeichnungen der klägerischen Videoüberwachung in der Regel auf 72 Stunden zu beschränken, ist rechtmäßig.
aa) Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Beschränkung zur Speicherdauer der Videoaufzeichnungen ist Art. 58 Abs. 2 lit. f) der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung; hiernach: DSGVO). Demnach kann die Aufsichtsbehörde eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, verhängen, was die Beklagte mit der Beschränkung der Speicherdauer der Videoaufzeichnung getan hat.
bb) Der Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Beklagte ist für den Erlass des Bescheides nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 Nr. 1 Niedersächsisches Datenschutzgesetz (NDSG) zuständig. Die Klägerin wurde vor dessen Erlass zureichend nach § 1 Abs. 1 Niedersächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz (NVwVfG) i.V.m. § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) angehört und der Bescheid ist auch hinreichend bestimmt nach § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 37 Abs. 1 VwVfG.
Nach § 37 Abs. 1 VwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Ein Verwaltungsakt ist inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn der Inhalt der von der Behörde getroffenen Regelung für die Beteiligten, insbesondere für die Adressatinnen oder Adressaten des Verwaltungsakts, so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass sie ihr Verhalten danach richten können, und wenn der Bescheid darüber hinaus geeignet ist, Grundlage für Maßnahmen einer zwangsweisen Durchsetzung zu sein (Tegethoff, in: Kopp/Schenke, VwVfG, 23. Auflage, § 37 Rn. 5). Dies ist hier der Fall. Dem Bescheid lässt sich, ausgehend vom Wortlaut unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfalles und nach Treu und Glauben durch Auslegung entnehmen, dass der Klägerin grundsätzlich untersagt wird, Videoaufzeichnungen länger als 72 Stunden zu speichern.
Anders als die Klägerin meint, ist die Regelung nicht deshalb unbestimmt, da unklar bleibe, in welchen Fällen sie zu einer längeren Speicherung als 72 Stunden berechtigt sei. Dem streitgegenständlichen Bescheid lässt sich dahingehend unzweideutig entnehmen, dass für Fälle von Feiertagsabwesenheiten eine längere Speicherdauer zulässig ist. Auch hat die Beklagte dargelegt, dass eine längere Speicherung in Fällen möglich ist, in denen das Aufzeichnungsmaterial zur Aufklärung von Schadensfällen oder der Durchsetzung etwaiger Ansprüche, die die Klägerin selbst geltend machen möchte oder gegen die sie sich zu wehren hat, notwendig ist.
cc) Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die von der Beklagten beanstandete Datenverarbeitung der Klägerin ist rechtswidrig. Es besteht daher ein Anlass für ein Einschreiten der Beklagten. Sie erfolgte zu dem Zweck, einen datenschutzrechtswidrigen Zustand zu beenden, da die Aufzeichnungen der Videoüberwachung bisher für sechs bis acht Wochen und damit - datenschutzrechtswidrig - zu lang gespeichert wurden.
Die von der Klägerin vorgenommene Videoüberwachung und die Speicherung der dabei gewonnenen Daten unterfällt dem Regelungsregime der DSGVO (1). Die Zwecke, zu denen die Klägerin danach die Videoüberwachung durchführen darf (2), rechtfertigen in der Regel keine längere Speicherdauer als 72 Stunden (3). Die Beklagte hat die datenschutzrechtliche Beschränkung zur Speicherdauer schließlich auch ermessensfehlerfrei angeordnet (4.).
(1) Die von der Klägerin vorgenommene Videoüberwachung und die Speicherung der dabei gewonnenen Daten unterfällt dem Regelungsregime der DSGVO. Anders als die Klägerin meint, kann sie die Videoüberwachung und die Speicherung nicht auf § 4 BDSG stützen. Diese Vorschrift ist unionsrechtswidrig, soweit sie neben öffentlichen auch nichtöffentliche Stellen betrifft. Art. 6 Abs. 1 lit. e) und Abs. 3 DSGVO eröffnet den Mitgliedsstaaten nur insoweit einen Regelungsspielraum, als es sich bei der Videoüberwachung um die Wahrnehmung einer Aufgabe handelt, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt. Damit lässt sich zwar die erste Alternative des § 4 Abs. 1 BDSG (Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen) unter die Öffnungsklausel des Art. 6 Abs. 1 lit. e) und Abs. 3 DSGVO fassen. Darüber hinaus erlaubt aber § 4 Abs. 1 BDSG - unionsrechtswidrig - auch noch die Videoüberwachung zur Wahrnehmung des Hausrechts (Abs. 1 Nr. 2) oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen (Abs. 1 Nr. 3) und dies für öffentliche Stellen ebenso wie für nichtöffentliche Stellen. Damit ist aber der zulässige Grund der Öffnungsklausel verlassen, sodass aufgrund des Vorrangs des EU-Rechts § 4 BDSG hier außer Betracht bleiben muss (so etwa Buchner, in: Kühling/Buchner, DSGVO und BDSG, 3. Auflage, BDSG, § 4 Rn. 3).
Gegen eine Anwendung von § 4 BDSG für die Videoüberwachung durch nichtöffentliche Stellen hat sich auch das Bundesverwaltungsgericht in einem obiter dictum zu einem Urteil vom 27. März 2019 ausgesprochen und festgestellt, dass sich die Videoüberwachung durch private Verantwortliche nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO richtet (- 6 C 2.18 -, juris). Soweit die Klägerin meint, diese Entscheidung sei auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden, weil er sich auf eine veraltete Rechtslage bezieht, so ist dem entgegenzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich auf die für die Zukunft geltende Rechtslage nach Inkrafttreten der DSGVO abgestellt hat (Urt. v. 27.03.2019 - 6 C 2.18 -, juris Rn. 41 ff.). Dem folgend nimmt auch die Datenschutzkonferenz in ihrer Orientierungshilfe zur Videoüberwachung für nichtöffentliche Stellen an, dass § 4 BDSG für die Videoüberwachung durch nichtöffentliche Stellen keine Anwendung findet, sondern Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. f) DSGVO zum Tragen kommt (abrufbar unter: 20200903_oh_vü_dsk.pdf (datenschutzkonferenz-online.de), S. 7 Fn. 8, zuletzt abgerufen am: 17.03.2023). Soweit die Klägerin meint, § 4 BDSG sei auf sie anzuwenden, weil sie Treibstoff veräußere und damit eine öffentliche Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge wahrnehme, so ist dem nicht zuzustimmen. Die Norm ist ausdrücklich nur auf öffentliche Stellen anzuwenden. Die Klägerin ist - selbst wenn sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen würde - aber unstreitig ein Privatunternehmen.
Die Klägerin kann die Videoüberwachung und die Speicherung der dabei gewonnenen Daten auch nicht auf § 24 BDSG stützen. Diese Vorschrift erfasst diejenigen Fälle, bei denen zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die Daten erhoben wurden, Daten verarbeitet werden. Einen solch anderen Zweck hat die Klägerin nicht benannt und er ist auch ansonsten nicht erkennbar.
(2) Nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO ist die Klägerin zwar zur Videoüberwachung berechtigt, jedoch darf sie diese nicht für alle von ihr vorgetragenen Zwecke durchführen. Soweit sie vorgetragen hat, sie nehme die Videoüberwachung auch zur Durchsetzung bzw. zur Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche vor, so ist es ihr nicht gelungen, substantiiert darzulegen und zu belegen, dass sie ein berechtigtes Interesse zur Durchführung der Videoüberwachung zu eben diesem Zweck hat.
Nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten nur rechtmäßig, wenn die Verarbeitung zur Wahrung berechtigter Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte oder Grundfreiheiten der betroffenen Personen, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.
Als berechtigt darf jedes rechtliche, tatsächliche, wirtschaftliche oder ideelle Interesse des Verantwortlichen angesehen werden, soweit es von der Rechtsordnung nicht missbilligt wird. Das berechtigte Interesse muss auf einen konkreten Verarbeitungs- oder Nutzungszweck gerichtet sein. Berechtigt ist das Interesse also nur, wenn die Verarbeitung legitim und rechtmäßig ist (Taeger, in Taeger/Gabel, DSGVO - BDSG - TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 129). Das berechtigte Interesse des Verantwortlichen ist von diesem substantiiert vorzutragen und zu belegen (Taeger, in Taeger/Gabel, DSGVO - BDSG - TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 135; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 02.03.2022 - 6 C 7/20 -, juris Rn. 50). Dieser speziellen Substantiierung bedarf es nur dann nicht, wenn eine Situation gegeben ist, die nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise gefährlich ist und der Überwachung bedarf. Eine solch abstrakte Gefährdungslage wird beispielsweise bei Einkaufszentren und Kaufhäusern angenommen (vgl. zur alten Rechtslage Nds. OVG, Urt. v. 29.09.2014 - 11 LC 114/13 -, NJW 2015, 502, 505 Rn. 44; vgl. zur Anwendbarkeit dieser Grundsätze auch im Anwendungsbereich der DSGVO Taeger, in Taeger/Gabel, DSGVO - BDSG - TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 135).
Die Klägerin - dies hat auch die Beklagte anerkannt - ist nach Anwendung dieser Grundsätze berechtigt, die Videoüberwachung zur Unterbindung und Nachverfolgung von Straftaten, insbesondere von Vandalismus und Sachbeschädigungen, durchzuführen. Bei der von der Klägerin betriebenen SB-Tankstelle handelt es sich um eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung potentiell stark gefährdete Einrichtung, die typischerweise Opfer von Vandalismus und Sachbeschädigungen wird, sodass die Klägerin ihr berechtigtes Interesse an der Videoaufzeichnung diesbezüglich nicht besonders belegen muss.
Soweit die Klägerin überdies vorgetragen hat, die Videoüberwachung diene auch dazu, sich gegen unberechtigte zivilrechtliche Ansprüche schützen und solche gegebenenfalls selbst durchsetzen zu können, so darf sie die Videoüberwachung zu diesem Zweck nicht durchführen. Sie hat ein berechtigtes Interesse zur Datenerhebung zu diesen Zwecken weder substantiiert dargelegt noch belegt.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Durchsetzung des Kaufpreisanspruches und die Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche eines etwaigen Tankbetrügers an einer Selbstbedienungstankstelle keine Situation darstellt, bei der nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass sie typischerweise regelmäßig vorkommt. Die Klägerin ist demnach nach den oben geschilderten Grundsätzen diesbezüglich dazu verpflichtet, ihr berechtigtes Interesse an der Datenerhebung und -verarbeitung darzulegen und zu belegen. Dies ist ihr vorliegend nicht gelungen.
Zur Durchsetzung von Kaufpreisansprüchen nach § 433 BGB bedarf es der Videoaufzeichnung schon deswegen nicht, weil bei der von der Klägerin betriebenen SB-Tankstelle Benzin grundsätzlich erst dann ausgegeben wird, wenn die Tanksäule freigeschaltet wurde. Die Freischaltung erfolgt durch die Einführung der akzeptierten Zahlkarten unter Nutzung einer PIN. Sobald die Zapfpistole wieder eingehängt wird, wird die Abbuchung vom Konto des Kunden direkt veranlasst. Kunden können die Tankstelle ohne Initiierung des Zahlvorgangs also grundsätzlich nicht verlassen.
Soweit die Klägerin dargelegt hat, dass an ihrer Tankstelle auch eigens ausgegebene Tankkarten akzeptiert werden, bei denen eine monatliche Abrechnung über ein SEPA-Lastschrift-Verfahren erfolgt, so berechtigt auch dies nicht zur Videoüberwachung. Die Klägerin hat diesbezüglich zwar ausgeführt, dass Kunden dem Einzug des Rechnungsbetrages ohne Angaben von Gründen gegenüber ihrer Bank widersprechen können und die Banken teilweise nach den vertraglichen Vereinbarungen sodann berechtigt seien, den an die Klägerin ausgezahlten Betrag wieder zurück zu buchen. Zur Durchsetzung des Kaufpreisanspruches ist die Klägerin dennoch nicht auf die Aufzeichnungen der Videoüberwachungsanlage angewiesen. Der Nachweis über den (den Kaufvertrag begründenden) Tankvorgang kann sie schließlich bereits dadurch erbringen, dass die personalisierte Tankkarte unter Nutzung einer PIN an ihrer Selbstbedienungstankstelle verwendet wurde. Dies ist über die Abrechnungsbelege nachweisbar. Schließlich hat die Klägerin keinen einzigen Beleg dafür erbracht, dass es in der Vergangenheit zu einem solchen Fall gekommen ist. Das Gericht hat die Klägerin bereits im Vorfeld zur mündlichen Verhandlung zur Vorlage entsprechender Belege aufgefordert. Dem ist die Klägerin - auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung - nicht nachgekommen. Soweit der Geschäftsführer der Klägerin diesbezüglich ausgeführt hat, Belege und Nachweise könnten nicht vorgelegt werden, weil in der Vergangenheit entsprechende Fälle immer dadurch hätten aufgeklärt werden können, dass er allein sich die Videoaufzeichnungen angeschaut habe und seinem Gegenüber am Telefon habe versichern können, dass der Tankvorgang stattgefunden habe, so hält die Kammer dies für fernliegend und nicht überzeugend. Es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass etwaige Rechtsansprüche immer ausschließlich nur telefonisch dargelegt und sodann auch telefonisch abschließend geklärt werden können.
Die Klägerin darf die Videoüberwachung auch nicht zum Zweck der Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche nach §§ 812 ff. BGB durchführen. Sie hat diesbezüglich behauptet, in der Vergangenheit sei es zu Fällen gekommen, in denen nach einem Tankvorgang die Karte eines Kunden belastet worden sei und der Kunde sodann behauptet habe, sein Fahrzeug nicht bei der Klägerin betankt und deswegen den Kaufpreis zurückgefordert zu haben. Es stünde demnach im Raum, dass die Klägerin den Kaufpreis durch Leistung des Kunden ohne Rechtsgrund erlangt habe. Selbst wenn es in der Vergangenheit zu solchen Fällen gekommen ist, rechtfertigen sie die Videoüberwachung nach Ansicht der Kammer nicht. Nach den zivilrechtlichen Beweislastregeln wäre zunächst grundsätzlich der vermeintliche Kunde für das Fehlen des Rechtsgrundes, also für den Umstand beweisbelastet, dass zwischen ihm und der Klägerin kein Kaufvertrag zustande gekommen ist - sprich, dass kein Tankvorgang vorgenommen wurde (vgl. beispielsweise Wendehorst, in BeckOK BGB, 65. Ed., § 812, Rn. 281f.). Zudem kann die Klägerin auch in solchen Konstellationen grundsätzlich über die Abrechnungen einen Nachweis für den Tankvorgang und damit das Vorliegen eines Rechtsgrundes erbringen. Soweit die Klägerin diesbezüglich ohne Vorlage entsprechender Nachweise pauschal vorgetragen hat, dass auf den Abrechnungen nicht die volle IBAN des Kunden dargestellt werde, so ist die Kammer davon überzeugt, dass die IBAN und demnach die Identität des jeweiligen Kartennutzers sich anhand der auf der Abrechnung vorhandenen Angaben durch Erforschungsmaßnahmen bei der Bank ermitteln lässt. Die Klägerin hat zudem auch für diese vorgetragene Konstellation keinen einzigen Beleg erbracht, dass es in der Vergangenheit zu entsprechenden Fällen tatsächlich gekommen ist. Auch diesbezüglich hält die Kammer es für fernliegend, dass Kunden versuchen, ihre vermeintlichen Rechtsansprüche mündlich durchzusetzen und sodann wegen einer telefonischen Auskunft, die auf der für den Kunden nicht nachvollziehbaren Sichtung des Videomaterials beruht, von der Weiterverfolgung absehen.
Auch für die von der Klägerin vorgetragene Konstellation, Kunden hätten in der Vergangenheit behauptet, ihre Karte samt PIN sei entwendet und zum Tanken verwendet worden, ist die Klägerin zur Videoüberwachung nicht berechtigt. Die Beweislast für das treuwidrige Verhalten Dritter liegt in solchen Konstellationen nicht bei der Klägerin, sondern in der Regel nach §§ 675 v -675 w BGB bei den Kreditinstituten. Bei § 675 v BGB handelt es sich um die zentrale Haftungsnorm im Rechtsverhältnis von Zahlungsdienstleister und Zahlungsdienstnutzer. Sie regelt, welche Partei bei missbräuchlicher Verwendung von Zahlungsdiensten einen durch unberechtigt verfügende Dritte entstandenen Schaden zu tragen hat. Eine Haftung des Zahlungsempfängers ist hier nicht vorgesehen. § 675 w BGB regelt dahingehend die Beweislasten und bezieht sich ebenfalls nicht auf den Zahlungsempfänger. Zudem besteht bei Nutzung einer EC-Karte/Visa-Karte mit PIN - und nur solche sind bei der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag nutzbar - grundsätzlich eine Zahlungsgarantie des Kreditunternehmens. Schließlich ist es der Klägerin auch hinsichtlich dieser behaupteten Konstellation nicht gelungen, eine Gefährdungslage substantiiert darzulegen. Nachweise dafür, dass es zu solchen Fällen in der Vergangenheit gekommen ist, hat sie trotz gerichtlicher Aufforderung nicht erbracht.
Die Klägerin hat weiter vorgetragen, sie sei auf die Videoüberwachung angewiesen, um Fälle aufklären zu können, bei denen Kunden nach einer Fehlbedienung die doppelte Belastung ihrer Karte rügen würden. In der Vergangenheit sei es zu Fällen gekommen, in denen Kunden durch das zentrale Terminal zunächst eine falsche und sodann die richtige Zapfsäule freigeschaltet hätten. Ein anderer Kunde habe sodann an der versehentlich freigeschalteten Zapfsäule auf Kosten dieses Kunden getankt. Auch dieser Vortrag rechtfertigt eine Videoüberwachung nicht. Zunächst ist die Kammer davon überzeugt, dass solchen Fällen durch technische Vorrichtungen begegnet werden kann, sodass sie gar nicht vorkommen müssten. Zudem hat die Klägerin auch hinsichtlich dieser Fallkonstellation keinerlei belastbaren Nachweise dafür vorgebracht, dass sie in der Vergangenheit tatsächlich vorgekommen wären.
Soweit die Klägerin schließlich noch behauptet hat, sie sei auf die Videoüberwachung angewiesen, weil sie sich wegen der vermeintlich falschen Belastung von Zahlungskarten auch gegen strafrechtliche Vorwürfe verteidigen können müsse, so hat sie auch diesbezüglich nicht substantiiert darlegen können, dass in der Vergangenheit tatsächlich strafrechtlich gegen sie ermittelt oder gar ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Dass es auch für solche Konstellationen keinerlei schriftliche Nachweise gibt, hält die Kammer für abwegig.
(3) Soweit die Klägerin zur Durchführung der Videoüberwachung berechtigt ist, dürfen die dabei gewonnenen Aufzeichnungen grundsätzlich nicht länger als 72 Stunden gespeichert werden.
Personenbezogene Daten dürfen nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) und e) DSGVO nicht länger gespeichert werden, als es für die Zwecke, für die sie verarbeitet wurden, erforderlich ist (Grundsätze der Datenminimierung und der Speicherbegrenzung). Spiegelbildlich bestimmt Art. 17 Abs. 1 lit. a) DSGVO, dass personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen sind, wenn sie für die Zwecke, für die sie erhoben wurden, nicht mehr notwendig sind. Dem kommt die Klägerin gegenwärtig nicht nach.
Zulässiger Zweck der Videoüberwachung ist die Unterbindung und Nachverfolgung von Straftaten, insbesondere von Vandalismus und Sachbeschädigungen. Zu diesem Zweck ist die Klägerin berechtigt, Bildaufnahmen zu erheben und auch zu speichern. Es ist aber nicht notwendig, diese Aufzeichnungen für die Zweckerreichung sechs bis acht Wochen vorzuhalten.
Wann Daten zur Zweckerfüllung nicht mehr notwendig sind, lässt sich nicht pauschal festlegen. Erforderlich ist eine Prüfung im Einzelfall (Herbst, in: Kühling/Buschner, DSGVO und BDSG, 3. Auflage, Art. 17 Rn. 17). Allerdings lassen sich einige allgemeingültige Grundsätze durchaus ausmachen. So sollten unter Berücksichtigung der Grundsätze nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) und e) DSGVO die personenbezogenen Daten in den meisten Fällen nach einigen wenigen Tagen automatisch gelöscht werden. Je länger die Speicherfrist ist, desto höher ist der Argumentationsaufwand in Bezug auf die Rechtmäßigkeit des Zwecks und der Erforderlichkeit. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie mehr als 72 Stunden beträgt (European Data Protection Board, Leitlinien 3/2019 zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videogeräte, 29.01.2020, S. 30). An diesen Anforderungen gemessen, lässt sich feststellen, dass die sechs- bis achtwöchige Dauer der Speicherung hier nicht notwendig ist.
Es ist ohne weiteres möglich, binnen 72 Stunden festzustellen, ob Vandalismus oder Beschädigungen an der klägerischen Tankstelle aufgetreten sind und sollte dem so sein, das Videomaterial daraufhin zu sichten. Sollte sodann das Videomaterial weiteren Aufschluss zu einem Tatvorgang geben, so ist die Klägerin zur längeren Speicherung berechtigt (vgl. Art. 17 Abs. 3 lit e) DSGVO). Die Klägerin sieht sich demnach, entgegen ihres Vortrags, durch die streitgegenständliche Anordnung auch nicht dem Vorwurf der Strafvereitelung nach § 339 StGB ausgesetzt, abgesehen davon, dass sie schon nicht taugliche Täterin der Strafnorm ist. Dies sind nur Richter, andere Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder Schiedsrichter (§ 1025 Zivilprozessordnung (ZPO), § 101 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), § 76 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), § 168 Abs. 1 Nr. 5 VwGO). Die Klägerin wird durch die Anordnung der Beklagten zur Speicherdauer auch nicht angehalten, Beweismittel zu vernichten. Im Regelfall sollten ihr Fälle von Sachbeschädigung/Vandalismus innerhalb von 72 Stunden auffallen; sollte sodann das Videomaterial weiteren Aufschluss zu einem Tatvorgang geben, so ist sie zur längeren Speicherung berechtigt. Sollte ausnahmsweise Beweismaterial gelöscht werden, so dürfte es zudem am notwendigen Vorsatz für die Strafvereitelung fehlen.
Die Berechtigung zu einer längeren Speicherdauer lässt sich auch unter Heranziehung der verschiedenen von der Klägerin zitierten Quellen, Guidelines, Orientierungshilfen und Auskünfte nicht begründen.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
Urteil vom 13.03.2023
10 A 1443/19
Das VG Hannover hat entschieden, dass die Speicherdauer von Videoaufzeichnungen einer Tankstelle 72 Stunden nicht überschreiten darf.
Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Bescheid vom 18. Februar 2019 ist rechtmäßig. Die datenschutzrechtliche Beschränkung zur Speicherdauer (a), die Aufforderung zur Bestätigungsanzeige (b) und auch die Zwangsgeldandrohung (c) sind rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Die Anordnung der Beklagten, die Aufzeichnungen der klägerischen Videoüberwachung in der Regel auf 72 Stunden zu beschränken, ist rechtmäßig.
aa) Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Beschränkung zur Speicherdauer der Videoaufzeichnungen ist Art. 58 Abs. 2 lit. f) der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung; hiernach: DSGVO). Demnach kann die Aufsichtsbehörde eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, verhängen, was die Beklagte mit der Beschränkung der Speicherdauer der Videoaufzeichnung getan hat.
bb) Der Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Beklagte ist für den Erlass des Bescheides nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 Nr. 1 Niedersächsisches Datenschutzgesetz (NDSG) zuständig. Die Klägerin wurde vor dessen Erlass zureichend nach § 1 Abs. 1 Niedersächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz (NVwVfG) i.V.m. § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) angehört und der Bescheid ist auch hinreichend bestimmt nach § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 37 Abs. 1 VwVfG.
Nach § 37 Abs. 1 VwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Ein Verwaltungsakt ist inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn der Inhalt der von der Behörde getroffenen Regelung für die Beteiligten, insbesondere für die Adressatinnen oder Adressaten des Verwaltungsakts, so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass sie ihr Verhalten danach richten können, und wenn der Bescheid darüber hinaus geeignet ist, Grundlage für Maßnahmen einer zwangsweisen Durchsetzung zu sein (Tegethoff, in: Kopp/Schenke, VwVfG, 23. Auflage, § 37 Rn. 5). Dies ist hier der Fall. Dem Bescheid lässt sich, ausgehend vom Wortlaut unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfalles und nach Treu und Glauben durch Auslegung entnehmen, dass der Klägerin grundsätzlich untersagt wird, Videoaufzeichnungen länger als 72 Stunden zu speichern.
Anders als die Klägerin meint, ist die Regelung nicht deshalb unbestimmt, da unklar bleibe, in welchen Fällen sie zu einer längeren Speicherung als 72 Stunden berechtigt sei. Dem streitgegenständlichen Bescheid lässt sich dahingehend unzweideutig entnehmen, dass für Fälle von Feiertagsabwesenheiten eine längere Speicherdauer zulässig ist. Auch hat die Beklagte dargelegt, dass eine längere Speicherung in Fällen möglich ist, in denen das Aufzeichnungsmaterial zur Aufklärung von Schadensfällen oder der Durchsetzung etwaiger Ansprüche, die die Klägerin selbst geltend machen möchte oder gegen die sie sich zu wehren hat, notwendig ist.
cc) Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die von der Beklagten beanstandete Datenverarbeitung der Klägerin ist rechtswidrig. Es besteht daher ein Anlass für ein Einschreiten der Beklagten. Sie erfolgte zu dem Zweck, einen datenschutzrechtswidrigen Zustand zu beenden, da die Aufzeichnungen der Videoüberwachung bisher für sechs bis acht Wochen und damit - datenschutzrechtswidrig - zu lang gespeichert wurden.
Die von der Klägerin vorgenommene Videoüberwachung und die Speicherung der dabei gewonnenen Daten unterfällt dem Regelungsregime der DSGVO (1). Die Zwecke, zu denen die Klägerin danach die Videoüberwachung durchführen darf (2), rechtfertigen in der Regel keine längere Speicherdauer als 72 Stunden (3). Die Beklagte hat die datenschutzrechtliche Beschränkung zur Speicherdauer schließlich auch ermessensfehlerfrei angeordnet (4.).
(1) Die von der Klägerin vorgenommene Videoüberwachung und die Speicherung der dabei gewonnenen Daten unterfällt dem Regelungsregime der DSGVO. Anders als die Klägerin meint, kann sie die Videoüberwachung und die Speicherung nicht auf § 4 BDSG stützen. Diese Vorschrift ist unionsrechtswidrig, soweit sie neben öffentlichen auch nichtöffentliche Stellen betrifft. Art. 6 Abs. 1 lit. e) und Abs. 3 DSGVO eröffnet den Mitgliedsstaaten nur insoweit einen Regelungsspielraum, als es sich bei der Videoüberwachung um die Wahrnehmung einer Aufgabe handelt, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt. Damit lässt sich zwar die erste Alternative des § 4 Abs. 1 BDSG (Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen) unter die Öffnungsklausel des Art. 6 Abs. 1 lit. e) und Abs. 3 DSGVO fassen. Darüber hinaus erlaubt aber § 4 Abs. 1 BDSG - unionsrechtswidrig - auch noch die Videoüberwachung zur Wahrnehmung des Hausrechts (Abs. 1 Nr. 2) oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen (Abs. 1 Nr. 3) und dies für öffentliche Stellen ebenso wie für nichtöffentliche Stellen. Damit ist aber der zulässige Grund der Öffnungsklausel verlassen, sodass aufgrund des Vorrangs des EU-Rechts § 4 BDSG hier außer Betracht bleiben muss (so etwa Buchner, in: Kühling/Buchner, DSGVO und BDSG, 3. Auflage, BDSG, § 4 Rn. 3).
Gegen eine Anwendung von § 4 BDSG für die Videoüberwachung durch nichtöffentliche Stellen hat sich auch das Bundesverwaltungsgericht in einem obiter dictum zu einem Urteil vom 27. März 2019 ausgesprochen und festgestellt, dass sich die Videoüberwachung durch private Verantwortliche nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO richtet (- 6 C 2.18 -, juris). Soweit die Klägerin meint, diese Entscheidung sei auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden, weil er sich auf eine veraltete Rechtslage bezieht, so ist dem entgegenzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich auf die für die Zukunft geltende Rechtslage nach Inkrafttreten der DSGVO abgestellt hat (Urt. v. 27.03.2019 - 6 C 2.18 -, juris Rn. 41 ff.). Dem folgend nimmt auch die Datenschutzkonferenz in ihrer Orientierungshilfe zur Videoüberwachung für nichtöffentliche Stellen an, dass § 4 BDSG für die Videoüberwachung durch nichtöffentliche Stellen keine Anwendung findet, sondern Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. f) DSGVO zum Tragen kommt (abrufbar unter: 20200903_oh_vü_dsk.pdf (datenschutzkonferenz-online.de), S. 7 Fn. 8, zuletzt abgerufen am: 17.03.2023). Soweit die Klägerin meint, § 4 BDSG sei auf sie anzuwenden, weil sie Treibstoff veräußere und damit eine öffentliche Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge wahrnehme, so ist dem nicht zuzustimmen. Die Norm ist ausdrücklich nur auf öffentliche Stellen anzuwenden. Die Klägerin ist - selbst wenn sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen würde - aber unstreitig ein Privatunternehmen.
Die Klägerin kann die Videoüberwachung und die Speicherung der dabei gewonnenen Daten auch nicht auf § 24 BDSG stützen. Diese Vorschrift erfasst diejenigen Fälle, bei denen zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die Daten erhoben wurden, Daten verarbeitet werden. Einen solch anderen Zweck hat die Klägerin nicht benannt und er ist auch ansonsten nicht erkennbar.
(2) Nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO ist die Klägerin zwar zur Videoüberwachung berechtigt, jedoch darf sie diese nicht für alle von ihr vorgetragenen Zwecke durchführen. Soweit sie vorgetragen hat, sie nehme die Videoüberwachung auch zur Durchsetzung bzw. zur Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche vor, so ist es ihr nicht gelungen, substantiiert darzulegen und zu belegen, dass sie ein berechtigtes Interesse zur Durchführung der Videoüberwachung zu eben diesem Zweck hat.
Nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten nur rechtmäßig, wenn die Verarbeitung zur Wahrung berechtigter Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte oder Grundfreiheiten der betroffenen Personen, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.
Als berechtigt darf jedes rechtliche, tatsächliche, wirtschaftliche oder ideelle Interesse des Verantwortlichen angesehen werden, soweit es von der Rechtsordnung nicht missbilligt wird. Das berechtigte Interesse muss auf einen konkreten Verarbeitungs- oder Nutzungszweck gerichtet sein. Berechtigt ist das Interesse also nur, wenn die Verarbeitung legitim und rechtmäßig ist (Taeger, in Taeger/Gabel, DSGVO - BDSG - TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 129). Das berechtigte Interesse des Verantwortlichen ist von diesem substantiiert vorzutragen und zu belegen (Taeger, in Taeger/Gabel, DSGVO - BDSG - TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 135; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 02.03.2022 - 6 C 7/20 -, juris Rn. 50). Dieser speziellen Substantiierung bedarf es nur dann nicht, wenn eine Situation gegeben ist, die nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise gefährlich ist und der Überwachung bedarf. Eine solch abstrakte Gefährdungslage wird beispielsweise bei Einkaufszentren und Kaufhäusern angenommen (vgl. zur alten Rechtslage Nds. OVG, Urt. v. 29.09.2014 - 11 LC 114/13 -, NJW 2015, 502, 505 Rn. 44; vgl. zur Anwendbarkeit dieser Grundsätze auch im Anwendungsbereich der DSGVO Taeger, in Taeger/Gabel, DSGVO - BDSG - TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 135).
Die Klägerin - dies hat auch die Beklagte anerkannt - ist nach Anwendung dieser Grundsätze berechtigt, die Videoüberwachung zur Unterbindung und Nachverfolgung von Straftaten, insbesondere von Vandalismus und Sachbeschädigungen, durchzuführen. Bei der von der Klägerin betriebenen SB-Tankstelle handelt es sich um eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung potentiell stark gefährdete Einrichtung, die typischerweise Opfer von Vandalismus und Sachbeschädigungen wird, sodass die Klägerin ihr berechtigtes Interesse an der Videoaufzeichnung diesbezüglich nicht besonders belegen muss.
Soweit die Klägerin überdies vorgetragen hat, die Videoüberwachung diene auch dazu, sich gegen unberechtigte zivilrechtliche Ansprüche schützen und solche gegebenenfalls selbst durchsetzen zu können, so darf sie die Videoüberwachung zu diesem Zweck nicht durchführen. Sie hat ein berechtigtes Interesse zur Datenerhebung zu diesen Zwecken weder substantiiert dargelegt noch belegt.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Durchsetzung des Kaufpreisanspruches und die Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche eines etwaigen Tankbetrügers an einer Selbstbedienungstankstelle keine Situation darstellt, bei der nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass sie typischerweise regelmäßig vorkommt. Die Klägerin ist demnach nach den oben geschilderten Grundsätzen diesbezüglich dazu verpflichtet, ihr berechtigtes Interesse an der Datenerhebung und -verarbeitung darzulegen und zu belegen. Dies ist ihr vorliegend nicht gelungen.
Zur Durchsetzung von Kaufpreisansprüchen nach § 433 BGB bedarf es der Videoaufzeichnung schon deswegen nicht, weil bei der von der Klägerin betriebenen SB-Tankstelle Benzin grundsätzlich erst dann ausgegeben wird, wenn die Tanksäule freigeschaltet wurde. Die Freischaltung erfolgt durch die Einführung der akzeptierten Zahlkarten unter Nutzung einer PIN. Sobald die Zapfpistole wieder eingehängt wird, wird die Abbuchung vom Konto des Kunden direkt veranlasst. Kunden können die Tankstelle ohne Initiierung des Zahlvorgangs also grundsätzlich nicht verlassen.
Soweit die Klägerin dargelegt hat, dass an ihrer Tankstelle auch eigens ausgegebene Tankkarten akzeptiert werden, bei denen eine monatliche Abrechnung über ein SEPA-Lastschrift-Verfahren erfolgt, so berechtigt auch dies nicht zur Videoüberwachung. Die Klägerin hat diesbezüglich zwar ausgeführt, dass Kunden dem Einzug des Rechnungsbetrages ohne Angaben von Gründen gegenüber ihrer Bank widersprechen können und die Banken teilweise nach den vertraglichen Vereinbarungen sodann berechtigt seien, den an die Klägerin ausgezahlten Betrag wieder zurück zu buchen. Zur Durchsetzung des Kaufpreisanspruches ist die Klägerin dennoch nicht auf die Aufzeichnungen der Videoüberwachungsanlage angewiesen. Der Nachweis über den (den Kaufvertrag begründenden) Tankvorgang kann sie schließlich bereits dadurch erbringen, dass die personalisierte Tankkarte unter Nutzung einer PIN an ihrer Selbstbedienungstankstelle verwendet wurde. Dies ist über die Abrechnungsbelege nachweisbar. Schließlich hat die Klägerin keinen einzigen Beleg dafür erbracht, dass es in der Vergangenheit zu einem solchen Fall gekommen ist. Das Gericht hat die Klägerin bereits im Vorfeld zur mündlichen Verhandlung zur Vorlage entsprechender Belege aufgefordert. Dem ist die Klägerin - auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung - nicht nachgekommen. Soweit der Geschäftsführer der Klägerin diesbezüglich ausgeführt hat, Belege und Nachweise könnten nicht vorgelegt werden, weil in der Vergangenheit entsprechende Fälle immer dadurch hätten aufgeklärt werden können, dass er allein sich die Videoaufzeichnungen angeschaut habe und seinem Gegenüber am Telefon habe versichern können, dass der Tankvorgang stattgefunden habe, so hält die Kammer dies für fernliegend und nicht überzeugend. Es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass etwaige Rechtsansprüche immer ausschließlich nur telefonisch dargelegt und sodann auch telefonisch abschließend geklärt werden können.
Die Klägerin darf die Videoüberwachung auch nicht zum Zweck der Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche nach §§ 812 ff. BGB durchführen. Sie hat diesbezüglich behauptet, in der Vergangenheit sei es zu Fällen gekommen, in denen nach einem Tankvorgang die Karte eines Kunden belastet worden sei und der Kunde sodann behauptet habe, sein Fahrzeug nicht bei der Klägerin betankt und deswegen den Kaufpreis zurückgefordert zu haben. Es stünde demnach im Raum, dass die Klägerin den Kaufpreis durch Leistung des Kunden ohne Rechtsgrund erlangt habe. Selbst wenn es in der Vergangenheit zu solchen Fällen gekommen ist, rechtfertigen sie die Videoüberwachung nach Ansicht der Kammer nicht. Nach den zivilrechtlichen Beweislastregeln wäre zunächst grundsätzlich der vermeintliche Kunde für das Fehlen des Rechtsgrundes, also für den Umstand beweisbelastet, dass zwischen ihm und der Klägerin kein Kaufvertrag zustande gekommen ist - sprich, dass kein Tankvorgang vorgenommen wurde (vgl. beispielsweise Wendehorst, in BeckOK BGB, 65. Ed., § 812, Rn. 281f.). Zudem kann die Klägerin auch in solchen Konstellationen grundsätzlich über die Abrechnungen einen Nachweis für den Tankvorgang und damit das Vorliegen eines Rechtsgrundes erbringen. Soweit die Klägerin diesbezüglich ohne Vorlage entsprechender Nachweise pauschal vorgetragen hat, dass auf den Abrechnungen nicht die volle IBAN des Kunden dargestellt werde, so ist die Kammer davon überzeugt, dass die IBAN und demnach die Identität des jeweiligen Kartennutzers sich anhand der auf der Abrechnung vorhandenen Angaben durch Erforschungsmaßnahmen bei der Bank ermitteln lässt. Die Klägerin hat zudem auch für diese vorgetragene Konstellation keinen einzigen Beleg erbracht, dass es in der Vergangenheit zu entsprechenden Fällen tatsächlich gekommen ist. Auch diesbezüglich hält die Kammer es für fernliegend, dass Kunden versuchen, ihre vermeintlichen Rechtsansprüche mündlich durchzusetzen und sodann wegen einer telefonischen Auskunft, die auf der für den Kunden nicht nachvollziehbaren Sichtung des Videomaterials beruht, von der Weiterverfolgung absehen.
Auch für die von der Klägerin vorgetragene Konstellation, Kunden hätten in der Vergangenheit behauptet, ihre Karte samt PIN sei entwendet und zum Tanken verwendet worden, ist die Klägerin zur Videoüberwachung nicht berechtigt. Die Beweislast für das treuwidrige Verhalten Dritter liegt in solchen Konstellationen nicht bei der Klägerin, sondern in der Regel nach §§ 675 v -675 w BGB bei den Kreditinstituten. Bei § 675 v BGB handelt es sich um die zentrale Haftungsnorm im Rechtsverhältnis von Zahlungsdienstleister und Zahlungsdienstnutzer. Sie regelt, welche Partei bei missbräuchlicher Verwendung von Zahlungsdiensten einen durch unberechtigt verfügende Dritte entstandenen Schaden zu tragen hat. Eine Haftung des Zahlungsempfängers ist hier nicht vorgesehen. § 675 w BGB regelt dahingehend die Beweislasten und bezieht sich ebenfalls nicht auf den Zahlungsempfänger. Zudem besteht bei Nutzung einer EC-Karte/Visa-Karte mit PIN - und nur solche sind bei der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag nutzbar - grundsätzlich eine Zahlungsgarantie des Kreditunternehmens. Schließlich ist es der Klägerin auch hinsichtlich dieser behaupteten Konstellation nicht gelungen, eine Gefährdungslage substantiiert darzulegen. Nachweise dafür, dass es zu solchen Fällen in der Vergangenheit gekommen ist, hat sie trotz gerichtlicher Aufforderung nicht erbracht.
Die Klägerin hat weiter vorgetragen, sie sei auf die Videoüberwachung angewiesen, um Fälle aufklären zu können, bei denen Kunden nach einer Fehlbedienung die doppelte Belastung ihrer Karte rügen würden. In der Vergangenheit sei es zu Fällen gekommen, in denen Kunden durch das zentrale Terminal zunächst eine falsche und sodann die richtige Zapfsäule freigeschaltet hätten. Ein anderer Kunde habe sodann an der versehentlich freigeschalteten Zapfsäule auf Kosten dieses Kunden getankt. Auch dieser Vortrag rechtfertigt eine Videoüberwachung nicht. Zunächst ist die Kammer davon überzeugt, dass solchen Fällen durch technische Vorrichtungen begegnet werden kann, sodass sie gar nicht vorkommen müssten. Zudem hat die Klägerin auch hinsichtlich dieser Fallkonstellation keinerlei belastbaren Nachweise dafür vorgebracht, dass sie in der Vergangenheit tatsächlich vorgekommen wären.
Soweit die Klägerin schließlich noch behauptet hat, sie sei auf die Videoüberwachung angewiesen, weil sie sich wegen der vermeintlich falschen Belastung von Zahlungskarten auch gegen strafrechtliche Vorwürfe verteidigen können müsse, so hat sie auch diesbezüglich nicht substantiiert darlegen können, dass in der Vergangenheit tatsächlich strafrechtlich gegen sie ermittelt oder gar ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Dass es auch für solche Konstellationen keinerlei schriftliche Nachweise gibt, hält die Kammer für abwegig.
(3) Soweit die Klägerin zur Durchführung der Videoüberwachung berechtigt ist, dürfen die dabei gewonnenen Aufzeichnungen grundsätzlich nicht länger als 72 Stunden gespeichert werden.
Personenbezogene Daten dürfen nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) und e) DSGVO nicht länger gespeichert werden, als es für die Zwecke, für die sie verarbeitet wurden, erforderlich ist (Grundsätze der Datenminimierung und der Speicherbegrenzung). Spiegelbildlich bestimmt Art. 17 Abs. 1 lit. a) DSGVO, dass personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen sind, wenn sie für die Zwecke, für die sie erhoben wurden, nicht mehr notwendig sind. Dem kommt die Klägerin gegenwärtig nicht nach.
Zulässiger Zweck der Videoüberwachung ist die Unterbindung und Nachverfolgung von Straftaten, insbesondere von Vandalismus und Sachbeschädigungen. Zu diesem Zweck ist die Klägerin berechtigt, Bildaufnahmen zu erheben und auch zu speichern. Es ist aber nicht notwendig, diese Aufzeichnungen für die Zweckerreichung sechs bis acht Wochen vorzuhalten.
Wann Daten zur Zweckerfüllung nicht mehr notwendig sind, lässt sich nicht pauschal festlegen. Erforderlich ist eine Prüfung im Einzelfall (Herbst, in: Kühling/Buschner, DSGVO und BDSG, 3. Auflage, Art. 17 Rn. 17). Allerdings lassen sich einige allgemeingültige Grundsätze durchaus ausmachen. So sollten unter Berücksichtigung der Grundsätze nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) und e) DSGVO die personenbezogenen Daten in den meisten Fällen nach einigen wenigen Tagen automatisch gelöscht werden. Je länger die Speicherfrist ist, desto höher ist der Argumentationsaufwand in Bezug auf die Rechtmäßigkeit des Zwecks und der Erforderlichkeit. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie mehr als 72 Stunden beträgt (European Data Protection Board, Leitlinien 3/2019 zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videogeräte, 29.01.2020, S. 30). An diesen Anforderungen gemessen, lässt sich feststellen, dass die sechs- bis achtwöchige Dauer der Speicherung hier nicht notwendig ist.
Es ist ohne weiteres möglich, binnen 72 Stunden festzustellen, ob Vandalismus oder Beschädigungen an der klägerischen Tankstelle aufgetreten sind und sollte dem so sein, das Videomaterial daraufhin zu sichten. Sollte sodann das Videomaterial weiteren Aufschluss zu einem Tatvorgang geben, so ist die Klägerin zur längeren Speicherung berechtigt (vgl. Art. 17 Abs. 3 lit e) DSGVO). Die Klägerin sieht sich demnach, entgegen ihres Vortrags, durch die streitgegenständliche Anordnung auch nicht dem Vorwurf der Strafvereitelung nach § 339 StGB ausgesetzt, abgesehen davon, dass sie schon nicht taugliche Täterin der Strafnorm ist. Dies sind nur Richter, andere Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder Schiedsrichter (§ 1025 Zivilprozessordnung (ZPO), § 101 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), § 76 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), § 168 Abs. 1 Nr. 5 VwGO). Die Klägerin wird durch die Anordnung der Beklagten zur Speicherdauer auch nicht angehalten, Beweismittel zu vernichten. Im Regelfall sollten ihr Fälle von Sachbeschädigung/Vandalismus innerhalb von 72 Stunden auffallen; sollte sodann das Videomaterial weiteren Aufschluss zu einem Tatvorgang geben, so ist sie zur längeren Speicherung berechtigt. Sollte ausnahmsweise Beweismaterial gelöscht werden, so dürfte es zudem am notwendigen Vorsatz für die Strafvereitelung fehlen.
Die Berechtigung zu einer längeren Speicherdauer lässt sich auch unter Heranziehung der verschiedenen von der Klägerin zitierten Quellen, Guidelines, Orientierungshilfen und Auskünfte nicht begründen.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: