Skip to content

OVG Schleswig-Holstein: Bei YouTube veröffentlichte Dashcam-Aufnahmen müssen vom Uploader verpixelt werden so dass Personen und KfZ-Kennzeichen nicht zu erkennen sind

OVG Schleswig-Holstein
Urteil vom 07.08.2024
8 A 159/20


Das OVG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass bei YouTube veröffentlichte Dashcam-Aufnahmen vom Uploader verpixelt werden müssen, so dass Personen und KfZ-Kennzeichen nicht zu erkennen sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
Rechtsgrundlage für die Anordnung der Beklagten ist Art. 58 Abs. 2 Buchst. d DS-GVO in Verbindung mit Art. 12, 13 Abs. 1 Buchst. d DS-GVO. Gemäß Art. 58 Abs. 2 Buchst. d DS-GVO verfügt jede Aufsichtsbehörde – und damit auch die Beklagte – über sämtliche Abhilfebefugnisse, die es ihr gestatten, den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit dieser Verordnung zu bringen.

Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 DS-GVO trifft der Verantwortliche geeignete Maßnahmen, um der betroffenen Person alle Informationen gemäß den Artikeln 13 und 14 und alle Mitteilungen gemäß den Artikeln 15 bis 22 und Artikel 34, die sich auf die Verarbeitung beziehen, in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zu übermitteln. Die Übermittlung der Informationen erfolgt schriftlich oder in anderer Form, gegebenenfalls auch elektronisch.

Entgegen der Ansicht des Klägers folgen die ihn treffenden Informationspflichten bei der Erstellung von Videoaufnahmen aus Art. 13 DS-GVO und nicht aus Art. 14 DS-GVO. Insoweit besteht zwischen Art. 13 und 14 DS-GVO im Hinblick auf den Zeitpunkt der Informationspflichten ein wesentlicher Unterschied. Bei Art. 13 DS-GVO sind die nach der Vorschrift erforderlichen Informationen der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Daten zu erteilen, während bei Art. 14 DS-GVO die Informationen erst innerhalb einer angemessenen Frist nach Erlangung der personenbezogenen Daten, längstens jedoch innerhalb eines Monats erteilt werden müssen (Art. 14 Abs. 3 DS-GVO).

Art. 13 DS-GVO betrifft die Datenerhebung bei der betroffenen Person, während Art. 14 DS-GVO greift, wenn die Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben wurden. Unter welchen Voraussetzungen von einer Datenerhebung bei der betroffenen Person auszugehen ist, ist Art. 13 und 14 DS-GVO nicht zu entnehmen.

Die Abgrenzung der Datenerhebung nach Art. 13 DS-GVO von derjenigen nach Art. 14 DS-GVO hat nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters nach objektiven Kriterien zu erfolgen, insbesondere anhand des Ortes der Datenerhebung (vgl. Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, 48. Ed., Stand: 1. Mai 2024, Art. 14 Rn. 30) oder der Mitwirkung der betroffenen Person. Einer Abgrenzung nach subjektiven Kriterien, insbesondere der Kenntnis der betroffenen Person von der Datenerhebung (vgl. dazu Franck in: Gola/Heckmann, DS-GVO - BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 13 Rn. 4) stehen einerseits Abgrenzungsschwierigkeiten entgegen und der Umstand, dass der Verantwortliche anderenfalls durch offene oder verdeckte Datenerhebung wählen könnte, ob Art. 13 oder 14 DS-GVO eingreift. Letzteres wiederum hätte zur Folge, dass sich der Verantwortliche den Informationspflichten letztendlich vollständig durch verdeckte Datenerhebungen entziehen könnte, weil die betroffenen Personen dem Verarbeitenden oftmals unbekannt sind mit der Folge, dass Informationen im Nachhinein aus tatsächlichen Gründen nicht mehr erteilt werden können und der Ausschlusstatbestand des Art. 14 Abs. 5 Buchst. b DS-GVO griffe (Bäcker in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 4. Aufl. 2024, Art. 13 Rn. 13 f.). Dies ist mit dem in Erwägungsgrund 6 DS-GVO normierten Ziel der Gewährleistung eines hohen Datenschutzniveaus trotz Zunahme des Datenaustausches nicht zu vereinbaren.

Vor diesem Hintergrund sind Videoaufzeichnungen unabhängig von der Frage, ob es sich um offene (mit Hinweisschild oder ähnlichem Hinweis) oder verdeckte Aufzeichnungen handelt, als Datenerhebung bei der betroffenen Person nach Art. 13 DS-GVO anzusehen (vgl. Bäcker in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 4. Aufl. 2024, Art. 13 Rn. 15; a. A. Paal/Hennemann in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2021, Art. 13 Rn. 11b; Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, 48. Ed., Stand: 1. Mai 2024, Art. 14 DS-GVO Rn. 31.2).

Die Differenzierung nach offenen und verdeckten Videoaufzeichnungen hätte auch hier zur Folge, dass der Verantwortliche im Ergebnis selbst wählen könnte, ob Art. 13 oder 14 DS-GVO einschlägig ist, indem er die Videoaufzeichnung entweder offen oder verdeckt ausführt. Dies hätte wiederum zur Folge, dass bei verdeckten Videoaufzeichnungen letztendlich oft keine Informationspflichten eingehalten werden müssten, weil die aufgezeichneten Personen dem Verantwortlichen unbekannt sind und deshalb der Ausschlusstatbestand des Art. 14 Abs. 5 Buchst. b DS-GVO greift (vgl. Bäcker in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 4. Aufl. 2024, Art. 13 Rn. 13 f.).

Bezogen auf das streitgegenständliche Filmen mittels einer auf das Autodach montierten Kamera hätte die Abgrenzung nach dem subjektiven Merkmal der Kenntnis zudem Abgrenzungsprobleme in der Form zur Folge, dass der Kläger jeweils prüfen müsste, ob die Person die Kamera gesehen und damit Kenntnis von den Videoaufzeichnungen hat. In diesem Fall griffe dann Art. 13 DS-GVO. Im anderen Fall, in dem die betroffene Person die Kamera nicht gesehen hat, griffe Art. 14 DS-GVO ein und der Kläger müsste die darin normierten nachträglichen Informationspflichten erfüllen. Dazu müsste der Kläger bei jeder gefilmten Person prüfen, ob diese die Kamera gesehen beziehungsweise auf irgend eine Art davon Kenntnis erlangt hat. Bei allen anderen Personen müsste er prüfen, ob er die Informationen nachträglich erteilen kann oder der Ausschlusstatbestand des Art. 14 Abs. 5 Buchst. b DS-GVO greift. Diese Vorgehensweise erscheint nicht praxistauglich.

Der Kläger ist ausgehend von diesen Maßstäben nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. d DS-GVO verpflichtet, der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Datenerhebung die berechtigten Interessen mitzuteilen, die von dem Verantwortlichen oder einem Dritten verfolgt werden, wenn die Verarbeitung auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO beruht.

Der Kläger hat sich vorliegend insbesondere auf seine Kunstfreiheit und seine Berufsfreiheit und damit auf berechtigte Interessen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO berufen.

Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO erfolgt die Übermittlung der Informationen schriftlich oder in anderer Form, gegebenenfalls auch elektronisch. Jedenfalls über seine berechtigten Interessen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO kann der Kläger auch in der von ihm gewählten Form informieren, dass sich auf dem Kraftfahrzeug ein Hinweis auf seine Website befindet, auf der dann wiederum die erforderlichen Informationen nachzulesen sind. Insoweit ist ein Medienbruch zulässig (vgl. Bäcker in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 4. Aufl. 2024, Art. 12 Rn. 16). Gewisse Verarbeitungssituationen lassen es schlichtweg nicht zu, sämtliche Transparenzinformationen unmittelbar zur Verfügung zu stellen (vgl. Franck in: Gola/Heckmann, DS-GVO – BDSH, 3. Aufl. 2022, Art. 13 DS-GVO Rn. 43).

So ist auch hier zu berücksichtigen, dass beim Vorbeifahren eines Kraftfahrzeuges nur in begrenztem Umfang auf dem Kraftfahrzeug angebrachte Informationen von den betroffenen Personen wahrgenommen werden können und diese deshalb auf die essentiellen Informationen beschränkt werden müssen. Dazu zählen die berechtigten Interessen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO nicht. Hier ist es ausreichend, wenn die betroffenen Personen die Informationen auf Sekundärebene über eine Website abrufen können.

Vor diesem Hintergrund ist auch Ziffer 4 des Bescheides der Beklagten vom 19. Oktober 2020 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit sich die Nachweispflicht mittels eines Fotos auf die Pflicht bezieht, bei der Anfertigung von personenbezogenen Filmaufnahmen sichtbar darauf hinzuweisen, welche berechtigten Interessen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO durch die Anfertigung der Filmaufnahmen verfolgt werden.

Im Übrigen sind Ziffer 3 und 4 des Bescheides der Beklagten vom 19. Oktober 2020 rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die für die betroffenen Personen essentiellen Informationen nach Art. 13 Abs. 1 DS-GVO müssen ohne Medienbruch bei der Verarbeitung mitgeteilt werden (vgl. Franck in: Gola/Heckmann, DS-GVO – BDSH, 3. Aufl. 2022, Art. 13 DS-GVO Rn. 43). Dazu zählen jedenfalls die von der Beklagten angenommenen Hinweise darauf, dass Filmaufnahmen für den Zweck der Veröffentlichung im Internet erstellt werden (Art. 12 Abs. 1 Buchst. c DS-GVO), wer Verantwortlicher der Verarbeitung ist sowie dessen Kontaktdaten (Art. 12 Abs. 1 Buchst. a DS-GVO).

Diese überschaubare Anzahl an Daten kann bei gefilmten Personen bei einem Hinweis auf dem Kraftfahrzeug des Klägers noch wahrgenommen werden. Gleichzeitig ist die Information über diese Daten für die Wahrung der Rechte der betroffenen Personen notwendig, damit auch Personen mit wenig Medienkompetenz hinreichend informiert sind und ihre Rechte möglichst umfassend ausüben können.

Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides ist hinsichtlich der nicht zu beanstandenden Informationspflichten nach Ziffer 3 des Bescheides ebenfalls nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist Art. 58 Abs. 1 Buchst. a DS-GVO. Danach verfügt Jede Aufsichtsbehörde über sämtliche Untersuchungsbefugnisse, die es ihr gestatten, unter anderem den Verantwortliche anzuweisen, alle Informationen bereitzustellen, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind.

Das von der Beklagten geforderte Foto ist notwendig, um überprüfen zu können, ob der Kläger die von der Beklagten geforderten Informationspflichten nach Art. 13 DS-GVO beachtet. Dazu ist die Beklagte nach Art. 57 Abs. 1 Buchst. a DS-GVO verpflichtet. Ermessensfehler sind insoweit weder vorgetragen noch ersichtlich. An der Verhältnismäßigkeit bestehen keine Zweifel.

Im Übrigen ist der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2020 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Zunächst leidet der Bescheid nicht an fehlender Bestimmtheit. Gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das bedeutet zum einen, dass der Adressat in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Zum anderen muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts (BVerwG, Urt. v. 15. Februar 1990 – 4 C 41.87 – juris Rn. 29).

Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Bei der Ermittlung dieses objektiven Erklärungswertes sind alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen, insbesondere auch die Begründung des Verwaltungsakts. Die Begründung hat einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Regelungsgehalt. Sie ist die Erläuterung der Behörde, warum sie den verfügenden Teil ihres Verwaltungsakts so und nicht anders erlassen hat. Die Begründung bestimmt damit den Inhalt der getroffenen Regelung mit, sodass sie in aller Regel unverzichtbares Auslegungskriterium ist (BVerwG, Urt. v. 16. Oktober 2013 – 8 C 21.12 – juris Rn. 14).

Gemessen an diesen Maßstäben ist der Bescheid hinreichend bestimmt. Für den Kläger ist unter Berücksichtigung von Tenor und Begründung des Bescheides hinreichend klar, unter welchen Voraussetzungen die Aufnahmen so verändert werden müssen, dass Personen, nicht mehr anhand ihrer äußerlichen Erscheinung identifiziert werden können (Ziffer 1 und 2 des Bescheides) und was für ein Foto er einreichen soll (Ziffer 4 des Bescheides).

Dies ist bei Auslegung des Bescheides aus dem objektiven Empfängerhorizont immer dann der Fall, wenn aufgrund besonderer Umstände des Straßenverkehrs nicht mehr die Straße und die sie umgebende Landschaft die Aufnahme prägt. In den vom Kläger bislang veröffentlichten Aufnahmen prägt – im fließenden Verkehr – ganz überwiegend die Straße und die sie umgebende Straßenlandschaft das Bild. Gelegentlich passiert der Kläger dabei Personen, die jedoch im Hintergrund bleiben und kaum zu erkennen sind.

Anders verhält es sich unterdessen, wenn Personen aufgrund der äußeren Umstände der Verkehrssituation dicht an die auf dem Fahrzeugdach montierte Kamera herantreten, insbesondere an Ampeln, bei Verkehrsüberwegen und an Kreuzungen. In diesem Fall gerät die Person – angesichts der geringen Geschwindigkeit eines Fußgängers, Fahrradfahrers etc. über einen längeren Zeitraum – in den Fokus der Aufnahme mit der Folge, dass die Straße und die Straßenlandschaft verdeckt wird und in den Hintergrund gerät.

Zugegebenermaßen verbleiben dabei Abgrenzungsschwierigkeiten, weil nicht anhand fester Kriterien vom Kläger oder einem eingesetzten Algorithmus festgestellt werden kann, wie lange etwa eine Person aufgezeichnet werden muss, welchen Anteil sie vom Bildausschnitt ausfüllen muss beziehungsweise ab welcher Entfernung zur Kamera eine Anonymisierung zu erfolgen hat. Derartige feste Kriterien sind jedoch für die Abgrenzung nicht geeignet, weil anhand festgelegter Werte die Umstände der jeweils gegebenen konkreten Situation der Aufnahme nicht hinreichend gewürdigt werden können. Verbleibende Abgrenzungsschwierigkeiten sind in Kauf zu nehmen.

Dies vorangestellt hat die Beklagte zu Recht die Abgrenzungskriterien der sogenannten Beiwerk-Rechtsprechung zu § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG entsprechend herangezogen.

Nach dieser Vorschrift dürfen ohne die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung verbreitet und zur Schau gestellt werden Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen. Auch hier ist die Abgrenzung zwischen Haupt- und Beiwerk schwierig.

Die Vorschrift stellt in erster Linie auf das Verhältnis des Abgebildeten zu der übrigen Aussage des Bildes, auf seinen Stellenwert im Gesamteindruck des Bildes, nicht auf den Grad seiner Erkennbarkeit ab. Von einem Beiwerk in diesem Sinn kann grundsätzlich dann keine Rede sein, wenn die Person das Bild fast ganz ausfüllt (BGH, Urt. v. 26. Juni 1979 – VI ZR 108/78 – juris Rn. 18). Maßgeblich ist, ob entsprechend dem Gesamteindruck der Veröffentlichung die Landschaft oder die sonstige Örtlichkeit Abbildungsgegenstand ist und die einzelnen Abgebildeten nur "bei Gelegenheit" erscheinen oder ob einzelne aus der Anonymität herausgelöst werden (LG Oldenburg, Beschl. v. 23. uar 1986 – 5 O 3667/85GRUR 1986, 464, 465). Voraussetzung hierfür ist, dass nach dem Gesamteindruck der Veröffentlichung die Landschaft der den Gesamtcharakter des Bildes prägende Abbildungsgegenstand ist und die auf dem Bild erkennbaren Personen derart untergeordnetes Beiwerk darstellen, dass sie auch entfallen könnten, ohne dass Inhalt und Charakter des Bildes sich veränderten (OLG Oldenburg (Oldenburg), Urt. v. 14. November 1988 – 13 U 72/88 – juris Rn. 28). Die Personenabbildung muss derart untergeordnet sein, dass sie auch entfallen könnte, ohne dass Gegenstand und Charakter des Bildes sich verändern. Wesentlich ist damit, dass die Personendarstellung untergeordnet und nicht selbst Thema des Bildes ist (OLG Karlsruhe, Urt. v. 18. August 1989 – 14 U 105/88 – juris Rn. 27). Der Stellenwert der Personen entsprechend dem Gesamteindruck des Bildes muss gegenüber dem Stellenwert der Landschaft erheblich niedriger sein (OLG München, Urt. v. 13. November 1987 – 21 U 2979/87 – juris Rn. 31).

Ausgehend von dieser Rechtsprechung hat die Beklagte zu Recht für maßgeblich im Hinblick auf die Pflicht zur Anonymisierung darauf abgestellt, ob sich eine Person nach dem Gesamteindruck im Vordergrund des Bildausschnitts befindet.

In Bezug auf die in Ziffer 4 des Bescheides angeordnete Verpflichtung, durch Übersendung eines Fotos die Erfüllung der Informationspflichten nach Ziffer 3 des Bescheides nachzuweisen, bestehen im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz keine Bedenken. Es ist ohne weiteres verständlich, dass ein Foto des klägerischen Kraftfahrzeuges mit den nach Ziffer 3 des Bescheides geforderten Informationen einzureichen ist.

Rechtsgrundlage für Ziffer 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides ist Art. 58 Abs. 2 Buchst. f DS-GVO. Danach verfügt jede Aufsichtsbehörde über Abhilfebefugnisse, die es ihr gestatten, eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, zu verhängen.

Tatbestandsvoraussetzung für die Abhilfemaßnahmen des Art. 58 Abs. 2 DS-GVO ist das Vorliegen eines Verstoßes gegen die DS-GVO. Ein solcher Verstoß liegt insbesondere dann vor, wenn Daten ohne entsprechende Rechtsgrundlage verarbeitet werden. Dies war vorliegend der Fall.

Das Veröffentlichen von Aufnahmen, bei denen Personen, soweit sie sich nach dem Gesamteindruck im Vordergrund des Bildausschnitts befinden und Kraftfahrzeug-Kennzeichen gelesen werden können, stellt eine rechtswidrige Datenverarbeitung dar.

Bei der Veröffentlichung von Filmen, auf denen betroffene Personen zu erkennen sind, handelt es sich um personenbezogene Daten. Dazu zählen nach Art. 4 Nr. 1 Hs. 1 DS-GVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Als identifizierbar wird nach Art. 4 Nr. 1 Hs. 2 DS-GVO eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann.

Das von einer Kamera aufgezeichnete Bild einer Person fällt daher unter den Begriff der personenbezogenen Daten, sofern es die Identifikation der betroffenen Person ermöglicht (vgl. EuGH, Urt. v. 11. Dezember 2014 – C-212/13 – juris Rn. 22). Dies ist jedenfalls für Personen anzunehmen, die sich nach dem Gesamteindruck im Vordergrund des Bildausschnitts befinden. Anhand ihrer äußeren Erscheinung können sie zumindest über Fotos sowie durch Personen, denen die äußere Erscheinung bekannt ist, identifiziert werden.

Auch Kraftfahrzeug-Kennzeichen stellen personenbezogene Daten dar, weil sie einem Halter und gegebenenfalls auch einem Fahrer zurechenbar sind (vgl. Schild in: BeckOK Datenschutzrecht, 48. Ed., Stand: 1. Mai 2024, Art. 4 DS-GVO Rn. 21). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Halterabfragen beim Kraftfahrt Bundesamt nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind.

Dies gilt uneingeschränkt für alle Kennzeichen, unabhängig davon, ob das Fahrzeug auf eine natürliche oder juristische Person zugelassen ist, weil die Kennzeichen auch bei auf juristische Personen zugelassenen Kraftfahrzeugen Rückschlüsse auf die Fahrer vermitteln können. Die DS-GVO findet nach Erwägungsgrund 14 auf juristische Personen keine Anwendung. Die hinter der juristischen Person stehenden natürliche Personen sind jedoch geschützt, wenn sich die Daten der juristischen Person auch auf sie beziehen (vgl. Gola in: Gola/Heckmann, DS-GVO - BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 4 Rn. 28). Jedenfalls Mitarbeiter oder anderweitig informierte Personen können ein Kraftfahrzeug einer juristischen Person über das Kennzeichen einer natürlichen Person als Fahrer zuordnen. So könnte etwa festgestellt werden, dass der Fahrer eines Fahrzeugs seines Arbeitsgebers (juristische Person) bei einer Dienstfahrt von der vorgegebenen Route abgewichen und in seiner Dienstzeit einer privaten Tätigkeit nachgegangen ist.

Im Einzelfall mag bei auf juristische Personen zugelassenen Fahrzeugen eine Identifizierung des Fahrers selbst unter Auswertung sämtlicher Datenquellen nicht möglich sein. Unter dem Aspekt einer praxistauglichen datenschutzrechtlichen Verfügung ist es jedoch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte in Ziffer 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides diese Fälle nicht vom Anwendungsbereich ihrer Anordnung ausgenommen hat. Es ist in tatsächlicher Hinsicht nicht möglich, zu erkennen, ob ein Kraftfahrzeug auf eine juristische oder eine natürliche Person zugelassen und deshalb dem Anwendungsbereich der DS-GVO unterfällt oder nicht. Dies ließe sich allenfalls durch eine Halterauskunft ermitteln. Auch Werbeaufschriften oder Ähnliches auf Fahrzeugen lassen keinen sicheren Schluss auf den Halter des Fahrzeugs zu, weil jeder Halter beziehungsweise Eigentümer eines Kraftfahrzeuges grundsätzlich frei über die äußere Gestaltung seines Fahrzeugs entscheiden kann. Zudem kann der Verantwortliche nicht erkennen, ob über das Kennzeichen etwa mittels eines Fahrtenbuches möglicherweise Rückschlüsse auf den Fahrer als natürliche Person gezogen werden können.

Das von dem Bescheid der Beklagten erfasste Veröffentlichen der Filme auf der Website Youtube stellt eine Datenverarbeitung dar. Nach Art. 4 Nr. 2 DS-GVO bezeichnet „Verarbeitung“ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie unter anderem die Speicherung und die Offenlegung durch Verbreitung.

Die Datenverarbeitung ist nach Art. 6 Abs. 1 DS-GVO nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der unter den Buchst. a bis f aufgeführten Bedingungen erfüllt ist.

Insbesondere eine Einwilligung der gefilmten Personen liegt nicht vor. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO ist die Datenverarbeitung rechtmäßig, wenn die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

Das Filmen und die Veröffentlichung der Aufnahmen ohne Anonymisierung ist zunächst als Betätigung der von Art. 13 GRCh geschützten Kunstfreiheit, der von Art. 15 Abs. 1 GRCh geschützten Berufsfreiheit und der von Art. 16 GRCh geschützten Unternehmerischen Freiheit einzuordnen und stellt damit ein berechtigtes Interesse dar.

Die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen auch erforderlich. Dieses Tatbestandsmerkmal ist erfüllt, wenn kein anderes, gleich effektives Mittel ersichtlich ist (VG Ansbach, Urt. v. 23. Februar 2022 – AN 14 K 20.00083 – juris Rn. 40). Die Anonymisierung stellt kein gleich effektives Mittel dar, weil sie den Kläger in seiner Kunstfreiheit, Berufsfreiheit und der Unternehmerischen Freiheit beeinträchtigt.

Die Beklagte ist jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass die Abwägung hier zu Lasten des Klägers ausfällt.

Abzuwiegen sind hier die berechtigten Interessen des Klägers als Verantwortlichen einerseits und die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, andererseits. Erfasst – wie hier – derselbe Sachverhalt eine Vielzahl von betroffenen Personen, erfolgt die Abwägung anhand einer summarischen Prüfung der Belange der betroffenen Personen unter Zugrundelegung von Erfahrungswerten (Schulz in: Gola/Heckmann, DS-GVO – BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 63).

Maßgeblich ist insoweit insbesondere die Eingriffsintensität, die Art der betroffenen Personen, die Zwecke der Datenverarbeitung sowie die Sphäre, in die eingegriffen wird (vgl. Schulz in: Gola/Heckmann, DS-GVO – BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 63).

Die gefilmten Personen sind in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie des Rechts am eigenen Bild als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG berührt und zwar in erheblicher Weise.

Zunächst handelt es sich angesichts der Vielzahl an veröffentlichten Videos um eine erhebliche Vielzahl an betroffenen Personen, auch wenn je Video abhängig von der gefilmten Straßenlandschaft teilweise nur vereinzelt Personen in den Vordergrund des Bildausschnitts geraten. Die zufällig gefilmten Personen können sich dem Filmen zudem kaum beziehungsweise nur dann entziehen, wenn sie die Kamera bemerkt haben. Dies ist gerade bei größeren Kreuzungen oder unübersichtlicheren Verkehrssituationen oder wenn die gefilmten Personen durch Gespräche, Telefonate etc. abgelenkt sind nicht unbedingt der Fall.

Eingriffsmindernd ist auf der anderen Seite zu berücksichtigen, dass die Personen lediglich in ihrer Sozialsphäre betroffen sind. Die belastenden Auswirkungen der Verarbeitung auf die betroffenen Personen stellen sich zudem nach allgemeiner Lebenserfahrung und mangels entgegenstehender Anhaltspunkte als eher gering dar.

Dennoch überwiegen diese Interessen der betroffenen Personen die berechtigten Interessen des Klägers. Die Verpflichtung des Klägers, die veröffentlichten Filmaufnahmen aus dem öffentlichen Straßenverkehr so zu verändern, dass Personen, soweit sie sich nach dem Gesamteindruck im Vordergrund des Bildausschnitts befinden, nicht mehr anhand ihrer äußerlichen Erscheinung identifiziert werden können und Kraftfahrzeug-Kennzeichen nicht gelesen werden können, stellt nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters einen Eingriff von geringer Intensität dar. Betroffen sind zunächst nur besondere Situationen, in denen Personen – anders als im fließenden Verkehr – in den Vordergrund geraten. Der ganz überwiegende Anteil der Aufnahmen ist nicht von der Pflicht zur Anonymisierung betroffen. Unter Würdigung der Gesamtumstände werden die vom Kläger erstellten und veröffentlichten Aufnahmen von Straßenlandschaften in ihrer Darstellung und Wirkung durch die Anonymisierung der Personen, die sich nach dem Gesamteindruck im Vordergrund des Bildausschnitts befinden, lediglich geringfügig beeinträchtigt, weil sich der Eindruck der Straßenlandschaft durch die Anonymisierung kaum verändert. Die abgebildete Person ist lediglich nicht mehr zu erkennen.

Erwägungsgrund 47 Satz 4 DS-GVO sieht zudem vor, dass insbesondere dann, wenn personenbezogene Daten in Situationen verarbeitet werden, in denen eine betroffene Person vernünftigerweise nicht mit einer weiteren Verarbeitung rechnen muss, die Interessen und Grundrechte der betroffenen Person das Interesse des Verantwortlichen überwiegen könnten.

Im öffentlichen Straßenverkehr können betroffene Personen grundsätzlich davon ausgehen, dass sie nicht gefilmt werden. Da vorliegend nichts dafür spricht, von diesem Grundsatz abzuweichen, führt auch dies zu einem Überwiegen der Interessen der betroffenen Personen.

Diese Wertung muss erst Recht für Kraftfahrzeug-Kennzeichen gelten. Es mag für den Kläger zusätzlichen Aufwand bedeuten, die Kennzeichen etwa durch eine Verpixelung zu anonymisieren. Im Übrigen werden die Aufnahmen der Straßenlandschaften durch die Anonymisierung der Kennzeichen jedoch nur sehr geringfügig verändert, so dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das Recht am eigenen Bild als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG der Halter beziehungsweise Fahrer der gefilmten Kraftfahrzeuge überwiegt.

Rechtsfolge von Art. 58 Abs. 2 Buchst. f DS-GVO ist, dass der Aufsichtsbehörde bezüglich der Wahl der konkreten Abhilfemaßnahme ein Ermessen zusteht (vgl. dazu Erwägungsgrund 129 DS-GVO), welches gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist, § 114 VwGO. Vorliegend sind Ermessensfehler nicht ersichtlich. Die Beklage hat ihr Ermessen ausgeübt, indem sie unter den verschiedenen Möglichkeiten die aus ihrer Sicht am wenigsten einschränkende, lediglich punktuelle Veränderung der Aufnahmen angeordnet hat (vgl. S. 8 des Bescheides).

Den Volltext der Entscheidung finden SIe hier:

LG Köln: Urheberrechtsverletzung durch Aufbereitung und Übernahme einer Kurzgeschichte von Heinrich Böll in einem YouTube-Lehrvideo

LG Köln
Teilurteil vom 28.03.2024
14 O 181/22


Das LG Köln hat entschieden, dass eine Urheberrechtsverletzung durch Aufbereitung und Übernahme einer Kurzgeschichte von Heinrich Böll in einem YouTube-Lehrvideo vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten den aus dem Tenor ersichtlichen Unterlassungsanspruch aus §§ 97 Abs. 1 S. 1, 15, 19a UrhG.

a) Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach dem Sach- und Streitstand fest und folgt maßgeblich aus dem von der Klägerin als Anlage K9 vorgelegten Generalvertrag vom 02.12.1999, mit dem sämtliche Herrn N. C. als Erben von Heinrich Böll zustehenden Verlagsrechte auf die Klägerin übertragen wurden.

Unstreitig ist das streitgegenständliche Werk „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ des Autors Heinrich Böll in der im Verlag der Klägerin herausgegebenen Textsammlung „Heinrich Böll Werke, Kölner Ausgabe, Band 12: 1959– 1963“ (ISBN 978-3-462-03286-4), von M. C. E. erschienen.

Damit ist von der Aktivlegitimation der Klägerin auszugehen.

Dem ist der Beklagte auch nicht mehr entgegengetreten.

b) Die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll ist ein Sprachwerk gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG.

Sprachliche Mitteilungen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützt, wenn sie entweder ihrer Darstellungsform nach oder wegen ihres Inhaltes eine persönliche geistige Schöpfung beinhalten (Wandtke/Bullinger/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 2 Rn. 48, mit weiteren Nachweisen).

Bei einem Sprachwerk kann die urheberrechtlich geschützte, individuelle geistige Schöpfung sowohl in der von der Gedankenführung geprägten Gestaltung der Sprache als auch in der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffes zum Ausdruck kommen. Soweit die schöpferische Kraft eines Schriftwerkes dagegen allein im innovativen Charakter seines Inhalts liegt, kommt ein Urheberrechtsschutz nicht in Betracht. Der gedankliche Inhalt eines Schriftwerkes muss einer freien geistigen Auseinandersetzung zugänglich sein. Die einem Schriftwerk zugrunde liegende Idee ist daher urheberrechtlich grundsätzlich nicht geschützt.

Anders kann es sich verhalten, wenn diese Idee eine individuelle Gestalt angenommen hat, wie dies beispielsweise bei der eigenschöpferischen Gestaltung eines Romanstoffs der Fall ist. Dann kann die auf der individuellen Phantasie des Dichters beruhende Fabel wie etwa der Gang der Handlung, die Charakteristik der Personen oder die Ausgestaltung von Szenen urheberrechtlich geschützt sein (BGHZ 141, 267, 279 - Laras Tochter; zitiert nach: BGH, Urteil vom 1. Dezember 2010 – I ZR 12/08 – Perlentaucher, Rn. 36, juris; mit weiteren Nachweisen).

So ist bei einem Roman – oder, wie hier, bei der „Anekdote“ von Heinrich Böll – als Werk der Literatur im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG nicht nur die konkrete Textfassung oder die unmittelbare Formgebung eines Gedankens urheberrechtlich schutzfähig. Auch eigenpersönlich geprägte Bestandteile und formbildende Elemente des Werkes, die im Gang der Handlung, in der Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Personen, der Ausgestaltung von Szenen und in der "Szenerie" des Romans liegen, genießen Urheberrechtsschutz (vgl. BGH, Urteil vom 29.04. 1999 – I ZR 65/96 – Laras Tochter – Beck online; mit weiteren Nachweisen).

aa) Unabhängig davon, dass die Kammer ohne weiteres die Voraussetzungen eines Sprachwerkes bei der „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ infolge der durch die individuelle Gedankenführung geprägten sprachliche Gestaltung annimmt, geht sie auch davon aus, dass der Autor Heinrich Böll eine Fabel im vorstehenden Sinne durch eine individuelle Auswahl und Darstellung des Inhalts seiner Anekdote geschaffen hat. Dabei teilt die Kammer die Auffassung der Klägerin, dass die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll auch durch eine urheberrechtlich geschützte Fabel geprägt ist. Der Autor Heinrich Böll lässt die sich gegenüberstehenden Positionen, ob man ein glückliches und/oder erfülltes Leben aufgrund einer arbeitsreichen und auf wirtschaftliche Erfolge ausgerichteten Lebensweise führen kann oder ob man dies auch mit wenig Aufwand erreichen kann, pointiert aufeinanderstoßen. Diese grundlegend unterschiedliche Lebenseinstellung, nämlich ob der Mensch arbeitet, um zu leben, und nicht lebt, um zu arbeiten, oder andersherum, greift Heinrich Böll in der Form der klassischen Anekdote und damit in der kurzen und prägnanten Schilderung einer Begebenheit auf, die diesen Grundkonflikt plastisch darstellt.

Dies hat Heinrich Böll dergestalt in eine konkrete Form umgesetzt, dass in einer idyllischen und sonnigen Umgebung an einer Küste am Meer ein Fischer den Ort und die Situation genießt, als ihn ein Fremder (Tourist) anspricht und beide in ein Gespräch kommen, wobei der Fremde dem Fischer die Möglichkeiten aufzeigt, durch fleißige Arbeit sein Fischerei-Geschäft auszuweiten, während der Fischer mit dem zufrieden ist, was er hat, insbesondere betreffend den am selben Tag bereits von ihm gemachten guten Fang. Als der Fremde dem Fischer darlegt, dass er bei Erfolg seines Unternehmens sich zur Ruhe setzen und die schöne Umgebung genießen könne, weist ihn der Fischer darauf hin, dass er das ja bereits jetzt tue, was Böll dahin auflöst, dass der Fremde nachdenklich von dannen zieht.

Mit dieser konkreten Geschichte des Fischers und des Fremden in der konkreten örtlichen Umgebung hat Heinrich Böll seine Gedanken zu dem Gegensatz: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, konkret körperlich festgelegt.

bb) Dem urheberrechtlichen Schutz als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG steht nicht entgegen, dass von Heinrich Böll gemeinfreie Elemente bzw. Elemente aus dem vorbekannten Formenschatz in seiner Anekdote übernommen worden wären.

Dabei ist zunächst richtig, dass der sowohl der Anekdote von Heinrich Böll als auch dem Video von dem Beklagten zugrunde liegende Grundgedanke des Gegensatzes: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, als solcher nicht geschützt ist.

Die konkrete Geschichte des Fischers und des Fremden sowie ihre Diskussion betreffend diesen Gegensatz ist jedoch nicht vorbekannt. Insbesondere enthält die Anekdote von Heinrich Böll nach dem Sach- und Streitstand auch nicht ganz oder teilweise Elemente, die zum sogenannten vorbekannten Formenschatz gehören. Dieser Einwand des Beklagten bleibt insgesamt vage; zur Begründung verweist der Beklagte darauf, dass „selbst der satirische Einfall in der Anekdote“ nicht von Böll selbst stamme, sondern er hier einen Anfang der 1960er Jahre kursierenden anekdotischen Witz aufgegriffen habe.

Bei diesem Einwand bleibt schon unklar, was genau nach Auffassung des Beklagten zum vorbekannten Formenschatz bzw. zu vorbekannten Ausdrucksformen gehören soll.

Jedenfalls hätte nach dem diesbezüglichen Bestreiten der Klägerin und des dazu erfolgten klägerischen Vortrags, die Klägerin habe die von dem Beklagten angeführte Fundstelle nicht nachvollziehen können, der Beklagte weiter vortragen und (vor allem) Beweis anbieten müssen.

Grundsätzlich muss der Verletzer durch Vorlage von konkreten Entgegenhaltungen darlegen und beweisen, dass der Urheber bei der Erschaffung seines Werkes auf Vorbekanntes zurückgegriffen habe (BGH GRUR 2002, 958, 960 – Technische Lieferbedingungen). Wer behauptet, eine Formgestaltung beruhe auf dem vorbekannten Formenschatz, muss dies beweisen (OLG Düsseldorf ZUM-RD 2002, 419, 424 – Breuer-Hocker; zitiert nach: Dreier/Schulze/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 2 Rn. 73).

Daran fehlt es vorliegend schon mit Blick auf die hinreichend substantiierte Darlegung.

c) Der Beklagte hat mit seinem Video „Der weise Fischer/Anekdote zur Arbeitsmoral/Böll“ in den Schutzbereich der Anekdote eingegriffen, indem er das Video öffentlich zugänglich gemacht hat, und damit eine Urheberrechtsverletzung gemäß §§ 97 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 15 Abs. 2, 19 a UrhG begangen.

aa) Entgegen der Auffassung des Beklagten bezieht sich der Klageantrag zu 1) auch nicht auf das falsche Werk. Die Klägerin hat Rechte (nur) an der Anekdote von Heinrich Böll, nicht aber an dem vom Beklagten erstellten Video.

Eine Verletzung des Urheberrechts gemäß § 97 UrhG liegt indes nicht nur bei einer identischen widerrechtlichen Nachbildung eines Werks vor. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, nach der Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werks nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden dürfen, ergibt sich, dass der Schutzbereich des Veröffentlichungsrechts im Sinne von § 12 UrhG und der Verwertungsrechte gemäß § 15 UrhG sich - bis zu einer gewissen Grenze - auch auf vom Original abweichende Gestaltungen erstreckt (BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 55] - Porsche 911, mwN; BGH, Urteil vom 15.12.2022 – I ZR 173/21 – Rn. 27 – Vitrinenleuchte).

Bei der Prüfung, ob eine Veränderung eines Werks in den Schutzbereich des Urheberrechts fällt, ist zu berücksichtigen, dass jede Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, soweit sie körperlich festgelegt ist, zugleich eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellt. Zu den Vervielfältigungen zählen nicht nur Nachbildungen, die mit dem Original identisch sind; vom Vervielfältigungsrecht des Urhebers werden vielmehr auch - sogar in einem weiteren Abstand vom Original liegende - Werkumgestaltungen erfasst, wenn die Eigenart des Originals in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN). Allerdings führt nicht jede Veränderung eines Werks zu einer Bearbeitung oder anderen Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG. In einer nur unwesentlichen Veränderung einer benutzten Vorlage ist nicht mehr als eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG zu sehen. Eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG setzt daher eine wesentliche Veränderung der benutzten Vorlage voraus. Ist die Veränderung der benutzten Vorlage indessen so weitreichend, dass die Nachbildung über eine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügt und die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG und keine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG, sondern ein selbständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN).

Aus diesen Grundsätzen ergibt sich folgende Prüfungsfolge: Zunächst ist im Einzelnen festzustellen, welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werks bestimmen. Sodann ist durch Vergleich der einander gegenüberstehenden Gestaltungen zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang in der neuen Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werks übernommen worden sind. Maßgebend für die Entscheidung ist letztlich ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind. Stimmt danach der jeweilige Gesamteindruck überein, handelt es sich bei der neuen Gestaltung um eine Vervielfältigung des älteren Werks (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 – Porsche 911, mwN). Weicht hingegen der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise ab, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind, greift die neue Gestaltung nicht in den Schutzbereich des älteren Werks ein (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 58 – Porsche 911, mwN). Bei der Feststellung des Gesamteindrucks sowie der Feststellung, in welchem Umfang eigenschöpferische Züge eines Werks übernommen worden sind, handelt es sich um Tatfragen (BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 31 – Vitrinenleuchte).

Eine neue Gestaltung greift danach schon dann nicht in den Schutzbereich eines älteren Werks ein, wenn ihr Gesamteindruck vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht mehr darauf an, ob die neue Gestaltung die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt. Selbst wenn mit der neuen Gestaltung unter Benutzung des älteren Werks ein neues Werk geschaffen worden sein sollte, könnte dieser Umstand für sich genommen einen Eingriff in die Urheberrechte am älteren Werk nicht rechtfertigen. Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann eine Einschränkung des Schutzbereichs außerhalb der Schranken nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass kulturelles Schaffen nicht ohne ein Aufbauen auf früheren Leistungen anderer Urheber denkbar ist (EuGH, GRUR 2019, 929 Rn. 56 bis 65 - Pelham u.a; BGH, Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 222/20 – Porsche 911).

Die Kammer interpretiert dabei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so, dass – ungeachtet des Wortlauts von § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG n.F. – ein Bereich existiert, der außerhalb des Schutzbereichs des älteren Werks liegt, obwohl die neue Gestaltung ihrerseits nicht die Anforderungen an ein urheberrechtliches Werk erfüllt. Dann liegt weder eine Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG, noch eine (unfreie) Bearbeitung im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG vor. Maßgeblich ist allein, ob der jeweilige Gesamteindruck voneinander abweicht. Eine hinreichende Abweichung liegt dann vor, wenn der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, ohne dass es noch auf die Werkqualität der neuen Gestaltung ankäme (kritisch: Peifer, GRUR 2022, 967, 969; Stieper, GRUR 2023, 575, 576 f., der zutreffend darauf hinweist, dass die Formulierungen in BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 f. – Porsche 911, einerseits und BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 28 f. – Vitrinenleuchte, andererseits voneinander abweichen).

bb) In Anwendung dieser Grundsätze hat der Beklagte eine Urheberrechtsverletzung zulasten der Klägerin begangen.

(1) Dem steht zunächst nicht entgegen, dass der Beklagte das Sprachwerk von Heinrich Böll, das hier in der Form eines Schriftwerkes vorliegt, in ein anderes Medium, nämlich in einen Film, eingebunden hat. Entgegen der Auffassung des Beklagten trifft es – jedenfalls in dieser generellen Form – nicht zu, dass allein die Übertragung in eine andere Kunstform einen Eingriff in den Schutzbereich des älteren Werkes ausscheiden lässt. Dies ergibt sich so schon auch nicht aus der von dem Beklagten dazu angeführten Fundstelle im Kommentar zum Urheberrecht von Wandtke/Bullinger. Maßgeblich ist auch nach der dort genannten Auffassung, ob und inwieweit die den Urheberrechtsschutz auslösenden Gestaltungsmerkmale des älteren Werkes übernommen worden sind. Nur dann, wenn die neu geschaffene Gestaltung (im dortigen Beispiel die Vertonung eine Sprachwerkes) keine urheberrechtlich geschützten Bestandteile des älteren Werkes, das der anderen Werkgattung angehört, aufweist, liegt ein aus urheberrechtlicher Sicht irrelevanter Fall der Inspiration durch das Werk einer anderen Gattung für ein eigenes Werk vor (vergleiche Wandtke/Bullinger/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 23 Rn. 33).

Werden hingegen die den Urheberrechtsschutz auslösenden Gestaltungsmerkmale übernommen, etwa im Falle der bildhaften Wiedergabe von körperlichen Kunstwerken, liegt eine Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG vor (BGH, Urteil vom 4. Mai 2000 – I ZR 256/97 – Parfumflakon I). Denn grundsätzlich stellt jede körperliche Festlegung eines Werkes, die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Art mittelbar oder unmittelbar wahrnehmbar zu machen, eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 Abs. 1 UrhG dar (vergleiche BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 – I ZR 25/15 – P. of Warcraft I, Rn. 37).

Dies ergibt sich nicht zuletzt auch schon daraus, dass das Gesetz in § 23 Abs. 2 UrhG ausdrücklich die Übertragung in ein anderes Medium als Bearbeitung oder andere Umgestaltung des ursprünglichen Werkes einordnet, insbesondere die Verfilmung eines Werkes gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 1 UrhG, worauf die Klägerin zurecht hinweist.

(2) Die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ ist auch in seiner Fabel urheberrechtlich geschützt. Insofern wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.

(3) Diese Fabel hat der Beklagte in seinem Video übernommen.

Auch in dem Video des Beklagten spielt die Geschichte an einer sonnigen Küste am Meer. Die beiden Akteure sind in gleicher Weise als Fischer einerseits und als Fremder bzw. Besucher (oder Tourist) andererseits ausgewählt. Der Beklagte lässt den Fremden den Fischer darauf ansprechen, dass er die günstige Gelegenheit nutzen könne, durch weitere Arbeit sein Unternehmen vergrößern und schließlich andere für sich arbeiten lassen könne, während er einfach die schöne Umgebung am Wasser genießen könne. Ebenso wie in der Anekdote von Heinrich Böll erhält der Fischer in dem Video des Beklagten dem Fremden entgegen, dass er dies ja schon tue, ohne die von dem Fremden angeregte Mehrarbeit erledigen zu müssen, was den Fremden zum Nachdenken bringt.

Damit sind die maßgeblichen Gestaltungsmerkmale, welche die konkrete Geschichte von Heinrich Böll, mit denen er den Gegensatz: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, beleuchtet und auf seine Art und Weise auflöst, übernommen und stimmt der letztlich maßgebliche Gesamteindruck beider Werke überein.

Insbesondere verblassen die Gestaltungsmerkmale der Anekdote von Heinrich Böll nicht in dem Video des Beklagten. Vielmehr werden sie sämtlich übernommen, wie vorstehend dargelegt. Dass im Detail von dem Beklagten einige Veränderungen vorgenommen worden sind, wie etwa der Dialekt der handelnden Personen, die – nach Meinung des Beklagten modernere – Wortwahl und Teile der Szenerie, ändert nichts daran, dass die in der Anekdote von Heinrich Böll erzählte Fabel in ihren wesentlichen Gestaltungsmerkmalen auch in dem Video des Beklagten wieder zu erkennen ist, worauf der Beklagte nicht zuletzt im Titel seines Videos „Der weise Fischer/Anekdote zur Arbeitsmoral/Böll“ selbst hinweist. Denn auch hier wird der Gegensatz: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, mit den gleichen Gestaltungsmerkmalen des Fischers und des Fremden mit dem jeweils gleichen Ansatz des Fischers einerseits (Arbeiten, um zu leben) und des Fremden (Leben, um zu arbeiten) und der Quintessenz, die der Fremde daraus zieht, gestaltet.

Insofern ergibt sich dies auch aus dem eigenen Vortrag des Beklagten, der dieses Video in den Kontext seiner beruflichen Tätigkeit als Lehrer stellt. Er bereitet den (identischen) Stoff von Böll, der für Schüler ggf. etwas altbacken scheint, mit modernen Mitteln (d.h. Darstellungsform als Video in einem Comicstil, der an die bekannte Sendung „South Park“ erinnert, und Einsatz moderner Sprache und textlicher Bezugnahme auf zeitgenössische Technologie) auf. Bei Lichte betrachtet soll dieses Video aber gerade das Lesen der Anekdote als Text substituieren und den Text damit weitestgehend obsolet machen. Deshalb greift das angegriffene Video nach Ansicht der Kammer offensichtlich in den Schutzbereich des Böllschen Werks ein.

d) Diese oben festgestellte Verwertung durch den Beklagten war auch rechtswidrig. Dabei ist zunächst unstreitig, dass der Beklagte keine Lizenz der Klägerin hatte, es folglich an deren Zustimmung mangelte.

Es greifen zugunsten des Beklagten auch keine Schrankenbestimmungen ein.

Dies gilt maßgeblich für die allenfalls in Betracht kommende Schrankenregelung aus § 51a UrhG. Danach ist die Vervielfältigung, die Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches zulässig.

Indes liegen bei dem Video des Beklagten weder die Voraussetzungen der Karikatur (dazu aa), noch der Parodie (dazu bb) oder des Pastiches (dazu cc) vor. Jedenfalls ist die Nutzung nicht verhältnismäßig im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG (dazu dd).

aa) Die Voraussetzungen einer Karikatur im Sinne von § 51a UrhG werden durch das Video des Beklagten nicht erfüllt.

Der Begriff der Karikatur ist, da die InfoSoc-RL zu dessen Auslegung keinen Verweis auf das nationale Recht enthält, ebenso wie der Parodiebegriff ein autonomer Begriff des Unionsrechts und als solcher in der gesamten Union einheitlich auszulegen (so in seinen Ausführungen zum Begriff der Parodie EuGH C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 15 – Deckmyn und Vrijheidsfonds; zitiert nach: Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 7).

Das wesentliche Merkmal der Karikatur besteht meist in Form einer Zeichnung oder einer bildlichen Darstellung, „die durch satirische Hervorhebung oder überzeichnete Darstellung bestimmter charakteristischer Züge eine Person, eine Sache oder ein Geschehen der Lächerlichkeit preisgibt“. Kennzeichnend ist ein „Ausdruck des Humors beziehungsweise der Verspottung“ zum Zweck der kritisch-humorvollen Auseinandersetzung meist mit Personen oder gesellschaftlich-politischen Zuständen“ (Begr., BT-Drs. 19/27426, 91; zitiert nach: Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 9).

Erforderlich ist also, dass das übernehmende Werk, hier also das Video des Beklagten, sich mit der Anekdote von Heinrich Böll kritisch-humorvoll auseinandersetzt. Daran fehlt es. Weder erhebt der Beklagte die Fabel aus der Anekdote oder Teile davon abweichend von Bölls Original satirisch hervor noch überzeichnet er die Gestaltungsmerkmale der Anekdote auf eine Art und Weise, dass diese der Lächerlichkeit preisgegeben oder verspottet würde. Im Gegenteil erzählt der Beklagte in seinem Video die gleiche Fabel, wie Heinrich Böll sie in seiner Anekdote geschaffen hat, „nur etwas anders erzählt. Etwas moderner erzählt, an die heutige Zeit angepasst“. Dass in die Erzählung der Fabel vermeintlich humorvolle Details eingefügt werden, wonach etwa der Fischer kein Selfie kennt oder die von dem Fremden verwendete Bezeichnung „Marie“ missversteht, dient nicht dazu, die Anekdote von Heinrich Böll und die darin enthaltene Auseinandersetzung mit dem Gegensatz: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, zu karikieren. So mag der Beklagte diese Details als humorvoll empfinden; die Fabel bzw. die Quintessenz aus der Anekdote von Heinrich Böll gibt er damit aber weder der Lächerlichkeit preis noch verspottet er sie. Wie oben dargestellt, versucht er hiermit nach dem Verständnis der Kammer vielmehr ein Publikum zu erreichen, das nicht gerne „Literaturklassiker“ liest, sondern lieber YouTube-Videos konsumiert.

bb) Ebenfalls ist keine Parodie im Sinne von § 51a UrhG anzunehmen.

Auch der Begriff der Parodie ist ein autonomer Begriff des Unionsrechts und als solcher entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch einheitlich auszulegen (EuGH C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 17 – Deckmyn und Vrijheidsfonds; zitiert nach: Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 12).

Nach Auffassung des EuGH bestehen wesentliche Merkmale einer Parodie darin, „zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen. Der Begriff ‚Parodie‘ im Sinne dieser Bestimmung hängt nicht von den Voraussetzungen ab, dass die Parodie einen eigenen ursprünglichen Charakter hat, der nicht nur darin besteht, gegenüber dem parodierten ursprünglichen Werk wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, dass sie vernünftigerweise einer anderen Person als dem Urheber des ursprünglichen Werkes zugeschrieben werden kann, dass sie das ursprüngliche Werk selbst betrifft oder dass sie das parodierte Werk angibt“ (EuGH C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 33 – Deckmyn und Vrijheidsfonds). Nach der Gesetzesbegründung muss sich die humoristische oder verspottende Auseinandersetzung „nicht auf das ursprüngliche Werk selbst beziehen, sondern kann zum Beispiel auch einer dritten Person, einem anderen Werk oder einem gesellschaftlichen Sachverhalt gelten (BT-Drs. 19/27426, 90; zitiert nach: Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 13).

Schon daran fehlt es dem Video des Beklagten. Denn wie bereits ausgeführt, übernimmt der Beklagte die maßgeblichen Gestaltungselemente der Fabel aus der Anekdote von Heinrich Böll und will damit dieselbe Aussage treffen bzw. den Gegensatz: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, herausstellen. Die Kernaussage dieser Fabel trifft der Beklagte in seinem Video im Ergebnis genauso wie es bereits Heinrich Böll in seiner Anekdote getan hat (so ausdrücklich etwa auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 14.12.2023, Bl. 209 der Akte). Nach der eigenen Darstellung im Video wird die Anekdote „nur etwas anders erzählt. Etwas moderner erzählt, an die heutige Zeit angepasst“. Somit wird die Fabel in ihren wesentlichen Gestaltungsmerkmalen von dem Beklagten ohne wahrnehmbare Unterschiede übernommen. Einen wie auch immer gearteten Ausdruck von Humor oder gar eine Verspottung in dem vorstehenden Sinne bringt der Beklagte in seinem Video gegenüber der Anekdote von Heinrich Böll nicht zum Ausdruck, sondern allenfalls in der Wahl der Sprache der Protagonisten, auf die es vorliegend aber nicht ankommt.

cc) Schließlich liegt auch kein Pastiche im Sinne von § 51a UrhG war. Dies gilt obwohl der Begriff des Pastiches gemeinschaftsrechtlich noch nicht abschließend geklärt ist (vergleiche dazu BGH, EuGH-Vorlage mit Beschluss vom 14.09.2023 – I ZR 74/22 – Metall auf Metall V).

Denn unabhängig davon, ob die Schrankenregelung der Nutzung zum Zwecke von Pastiches im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ein Auffangtatbestand jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand einschließlich des Sampling ist und ob für den Begriff des Pastiche einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage gelten (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 – Metall auf Metall V, Rn. 23, juris), und wann eine Nutzung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG "zum Zwecke" eines Pastiche erfolgt (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 41, juris), sind vorliegend die Voraussetzungen für ein Pastiche nicht erfüllt.

Denn § 51a UrhG, der der Umsetzung von des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG dient, schränkt die Rechte des Urhebers zur Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches ein. Die Schranke (auch) des Pastiches unterliegt jedoch jedenfalls der Bindung an diesen Zweck, die hier überschritten ist: Selbst wenn die Zweckbindung es erlauben mag, Teile des Werks – ggf. künstlerisch abgewandelt – wiederzugeben, ist eine alleinige Nutzung des fremden Werkes ausgeschlossen (in diesem Sinne auch LG Berlin Urt. v. 19.10.2021 – 15 O 361/20, GRUR-RS 2021, 45895 Rn. 27, beck-online). Eine solche Nutzung ist vorliegend gegeben, weil das Video des Klägers die Fabel von Heinrich Bölls Anekdote vollständig wiedergibt; und zwar nur diese, ohne dass eigene Zusätze des Beklagten erfolgen würden. Lediglich die äußere Darstellung als Video hat der Beklagte gewählt, gibt die von Heinrich Böll geschaffene Fabel wie aufgezeigt jedoch unverändert wieder, ohne darüber hinauszugehen.

dd) Das Verfahren war auch nicht etwa mit Blick auf die EuGH Vorlage durch den Beschluss des BGH vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 – Metall auf Metall V – auszusetzen, bis über die Vorlagefragen entschieden ist.

Denn unabhängig davon erfüllt die Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung der Anekdote von Heinrich Böll durch den Beklagten in dem streitgegenständlichen Video nicht die Anforderungen des "Drei-Stufen-Tests" gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG.

Dem Ziel des angemessenen Ausgleichs von Rechten und Interessen trägt Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG Rechnung (vgl. EuGH, GRUR 2019, 929 [juris Rn. 62] - Pelham u.a.; GRUR 2019, 934 [juris Rn. 61] - Funke Medien NRW). Danach dürfen die in Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden ("Drei-Stufen-Test"). Hierin liegt zum einen eine Gestaltungsanordnung gegenüber dem nationalen Gesetzgeber in Bezug auf die Konkretisierung der Schranken des Urheberrechts, zum anderen ist Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG aber auch Maßstab für die Rechtsanwendung im Einzelfall (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 139/15, GRUR 2020, 853 [juris Rn. 57] = WRP 2020, 1043 - Afghanistan-Papiere II, mwN; zitiert nach: BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 47, juris).

(1) Zwar mag der ersten Voraussetzung des im vorliegenden Einzelfall durchzuführenden Drei-Stufen-Tests gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG durch die Einführung der Pastiche-Schranke in § 51a UrhG genügt sein, weil es sich um einen gesetzlich geregelten Sonderfall handelt (so BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 48, juris).

(2) Demgegenüber ist davon auszugehen, dass bereits die Kriterien der 2. Stufe nicht erfüllt sind.

Bei der auf zweiter Stufe vorzunehmenden Prüfung, ob die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird, ist in den Blick zu nehmen, ob durch die beanstandete Verwendung die Möglichkeiten des Rechtsinhabers zum rechtmäßigen Absatz verringert werden (vgl. EuGH, Urteil vom 26. April 2017 - C-527/15, GRUR 2017, 610 [juris Rn. 70] = WRP 2017, 677 - Stichting Brein; zitiert nach: BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 49, juris).

Von einer in diesem Sinne verringerten Möglichkeit des rechtmäßigen Absatzes durch die Klägerin ist im vorliegenden Fall auszugehen.

Maßgeblich ist, dass - wie sich aus dem 31. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29/EG ergibt - mit den in Art. 5 der Richtlinie enthaltenen Ausnahmen von den in Art. 2 und 3 der Richtlinie vorgesehenen Rechten ein "angemessener Ausgleich" von Rechten und Interessen insbesondere zwischen den Urhebern und den Nutzern von Schutzgegenständen gesichert werden soll. Folglich muss bei der Anwendung der Ausnahmen gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG in einem konkreten Fall ein angemessener Ausgleich zwischen den Grundrechten der in den Art. 2 und 3 der Richtlinie genannten Personen auf der einen und den Grundrechten des Nutzers eines geschützten Werks, der sich auf die Ausnahme im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie beruft, auf der anderen Seite gewahrt werden (vgl. EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 26 f.] - Deckmyn und Vrijheidsfonds; EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 - C-469/17, GRUR 2019, 934 [juris Rn. 70] = WRP 2019, 1170 - Funke Medien NRW; EuGH, GRUR 2022, 820 [juris Rn. 87] - Polen/Parlament und Rat; zitiert nach: BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 36, juris).

Vorliegend ist kein derartiger „angemessener Ausgleich“ zwischen den Interessen des Urhebers bzw. der Klägerin als Rechteinhaberin und den Interessen des Beklagten als Werknutzer zu erkennen. Vielmehr ginge die hiesige Werknutzung durch den Beklagten einseitig zulasten der Klägerin. Denn die Kammer hält es für eine naheliegende Folge der öffentlichen Zugänglichmachung des Videos des Beklagten, dass die Rezipienten des Videos gerade nicht mehr den ursprünglichen Text der Anekdote lesen werden. Folglich werden sie auch keine von der Klägerin verlegten Bücher kaufen und damit das Verwertungsrecht der Klägerin aushöhlen. Zwar mag auch denkbar sein, dass es Rezipienten gibt, die sich von dem Video anregen lassen, das Werk Bölls tiefergehend zu studieren und deshalb Bücher der Klägerin zu kaufen. Die Kammer hält diesen Fall aber eher für die Ausnahme. Im Übrigen stünde es dem Beklagten frei, bei der Klägerin eine Lizenz für diese Nutzung nachzufragen bzw. umgekehrt der Klägerin als Rechteinhaberin frei, für diese Nutzung eine Lizenz zu erteilen. Wenn aber wie hier die Klägerin sich bewusst dagegen entscheidet, entsprechende Lizenzen zu erteilen, kann diese dem Rechteinhaber zustehende Entscheidung nicht durch die Anwendung der Schrankenregelung unterlaufen werden.

(3) Schließlich genügt das Video des Beklagten auch nicht den Anforderungen der 3. Stufe.

Auf dritter Stufe ist eine ungebührliche Verletzung der Interessen des Rechtsinhabers zu prüfen. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise der kommerzielle oder nicht-kommerzielle Charakter der Nutzung, der Umfang der Entlehnung, der Grad der Umgestaltung und eine etwaige Verwechslungsgefahr, die Frage, ob eine Auseinandersetzung mit dem Werk oder mit anderen Themen vorliegt, und das Gewicht der betroffenen Grundrechte zu berücksichtigen (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 51, juris, m.w.N.).

Wie ausgeführt, hat der Beklagte die vollständige Fabel aus der Anekdote von Heinrich Böll übernommen, mithin in erheblichem Umfang das vorbestehende Werk übernommen. Eine Auseinandersetzung mit dem Werk oder mit anderen Themen erfolgt in dem Video des Beklagten nicht; wie ebenfalls bereits ausgeführt, wird die Fabel vielmehr in dem Video des Beklagten genauso wie in der Anekdote von Heinrich Böll erzählt.

Nicht zuletzt führt auch die Abwägung der betroffenen Grundrechte dazu, dass eine Verletzung der Interessen der Klägerin gegeben ist, die diese nicht hinnehmen muss. So stellt sich schon die Frage, welches Grundrecht zugunsten des Beklagten in die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Abwägung im vorliegenden Fall überhaupt zur Anwendung kommen könnte. Hingegen genießen die Rechte von Heinrich Böll als Urheber der Anekdote und die der Klägerin als Inhaber der Verlagsrechte an der Anekdote den Schutz des geistigen Eigentums gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta (vergleiche BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 38, juris).

Zwar kann eine Nutzung von Werken oder anderen Schutzgegenständen zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches in den Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 11 EU-Grundrechtecharta) oder der Kunstfreiheit (Art. 13 EU-Grundrechtecharta) fallen (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 38, juris). Eine Meinungsäußerung ist mit der Erstellung des Videos nicht verbunden, zumal es gerade das Besondere der Anekdote ist, dass sie keiner der beiden „Philosophien“ den Vorzug gibt. Etwas anderes bringt auch das Video des Beklagten nicht zum Ausdruck.

Nach Auffassung der Kammer ist aber auch bereits zweifelhaft, ob die Übernahme der im Kern unveränderten Fabel aus der Anekdote von Heinrich Böll in das Video des Beklagten von dem Grundrecht der Kunstfreiheit überhaupt geschützt ist. Denn eine wie auch immer geartete künstlerische Auseinandersetzung erscheint vor diesem Hintergrund wie oben wiederholt ausgeführt zweifelhaft. Für die Kammer steht die Aufbereitung des Stoffs der Anekdote für ein an neue Medien gewöhntes Publikum im Vordergrund.

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das Video durchaus eigene individuelle Züge enthält, namentlich was die Auswahl der gesprochenen Worte oder die bildliche Darstellung von Personen, Landschaft und Requisiten betrifft. Mit Blick auf diese hier nicht entscheidungserheblichen Umstände könnte sich der Beklagte in anderem Kontext ggf. auf die Kunstfreiheit berufen. Im Verhältnis zur Klägerin handelt es sich aber primär um einen Eingriff in deren absolute Verwertungsrechte, der nicht von der Kunstfreiheit gedeckt ist. Aus der Sicht der Klägerin besteht damit die Gefahr, dass die Rezipienten des Videos das im Kern übernommene Werk Heinrich Bölls über das Video konsumieren, von einem Erwerb der von der Klägerin verlegten Anekdote jedoch absehen. Auch wenn der Beklagte – nach seinem Vortrag – das Video nicht gegen Entgelt anbietet, richtet sich sein Angebot auf dem YouTube Kanal auch nach seiner Darstellung aber gezielt an Schüler, die sich unter anderem mit dem Werk von Heinrich Böll auseinandersetzen (müssen), und damit potentielle Kunden der Klägerin sind.

Damit liegt eine ungebührliche Verletzung der Interessen der Klägerin im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG vor.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: