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OLG Frankfurt: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG wenn eine telemedizinische Plattform beim Bestellvorgang eine Apotheke durch Vorauswahl bevorzugt

OLG Frankfurt
Beschluss vom 14.08.2025
6 W 108/25


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG vorliegt, wenn eine telemedizinische Plattform beim Bestellvorgang eine Apotheke durch Vorauswahl bevorzugt.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG i.V.m § 11 Abs. 1 ApoG zu, so dass ein Verfügungsanspruch besteht (1.). Es fehlt auch nicht am notwendigen Verfügungsgrund (2.)

1. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG i.V.m § 11 Abs. 1 ApoG zu, da der Antragsgegner mit dem Betreiber der Plattform Q eine Vereinbarung getroffen hat, die die bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel zum Inhalt hatte.

a) Die Parteien sind Mitbewerber nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG. Zumindest liegt die Fallgruppe der Förderung fremden Wettbewerbs auf der Antragsgegnerseite im Hinblick auf die Website Plattform Q vor. Geht es um die Förderung fremden Wettbewerbs, etwa durch einen Berufs- oder Verbraucherverband oder durch einen Werbepartner (“Marktplatz“), kann das konkrete Wettbewerbsverhältnis zwischen dem geförderten Unternehmen und dessen Mitbewerber bestehen (BGH WRP 2012, 77 Rn. 20 - Coaching-Newsletter; WRP 2014, 552 Rn. 19 - Werbung für Fremdprodukte), was hier gegeben ist. Unerheblich ist dabei, dass die Beteiligten auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen tätig sind, da sie sich im Ergebnis an den gleichen Abnehmerkreis wenden.

Durch die angegriffene geschäftliche Handlung sind die konkreten wettbewerbsrechtlich geschützten Interessen der Antragstellerin betroffen. In vorliegendem Fall fördert der Antragsgegner durch seinen Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG den Wettbewerb von Q. Die Antragstellerin ist daher aktivlegitimiert, da die geschäftliche Handlung des Antragsgegners die wettbewerbsrechtlichen Interessen der Antragstellerin berührt.

b) Die Beklagte hat mit dem Betreiber der Plattform Q eine Vereinbarung getroffen, die die bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel zum Inhalt hatte.

(1) Gemäß § 11 Abs. 1 ApoG dürfen Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, oder mit Dritten keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben. Dies gilt auch für Rechtsgeschäfte oder Absprachen, die die Zuweisung von Verschreibungen in elektronischer Form oder von elektronischen Zugangsdaten zu Verschreibungen in elektronischer Form zum Gegenstand haben.

Erforderlich ist ein schutzzweckrelevanter Zusammenhang zwischen Tathandlung und Vorteil, der gegeben ist, wenn die Art und Weise der Vorteilsgewährung geeignet ist, die Freiheit der Apothekenwahl der Versicherten oder die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch wohnortnahe Apotheken zu gefährden (BGH GRUR 2025, 496 - Partnervertrag).

(2) Gegen dieses Verbot hat der Antragsgegner verstoßen, indem er das Plattformmodell der Q unterstützt, das eine freie Apothekenwahl des Kunden nicht zulässt.

aa) Das Landgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass Q zwei verschiedene Wege der Bestellung aufzeigt: Auf der Plattform wird sowohl bei der Option „Premium-Service“ als auch bei der Option „Elektronisches Rezept (ohne Medikamente)“ die ärztliche Verschreibung dem Patienten nicht ausgehändigt, sondern direkt an die Apotheke weitergeleitet. Während im Rahmen der Option „Premium-Service“ die Plattform die Auswahl einer bestimmten Apotheke vornimmt, nimmt der Patient im Rahmen der Option „Elektronisches Rezept (ohne Medikamente)“ selbst die Auswahl einer Apotheke vor. Dadurch, dass dem Patienten zum einen die Auswahl zwischen „Premium-Service“ und der Option „Elektronisches Rezept (ohne Medikamente)“ angeboten wird, und dadurch, dass der Patient im Rahmen der letzteren Option eine bestimmte Apotheke auswählen kann, worauf er auch ausdrücklich hingewiesen wird, indem ihm offenbart wird, dass mit dem Premium-Service Q automatisch eine Apotheke für den Kunden auswählt, ist auf den ersten Blick die frei Apothekenwahl für den Kunden gewährleistet.

bb) Die Apothekenwahlfreiheit des Patienten wird allerdings durch die konkrete Gestaltung und Funktionalität der Plattform „Q“ in unzulässiger Weise beeinträchtigt.

Schon auf dieser Eingangsseite wird dem Patienten ausschließlich der Premium-Service vorgestellt und damit empfohlen. Die relevanten Aussagen sind:

„Füllen Sie einen Online-Fragebogen aus und lassen Sie Ihre Angaben von einem zugelassenen Arzt überprüfen. Nach einer ärztlichen Beurteilung kann bei medizinischer Notwendigkeit ein Rezept ausgestellt werden. Die Lieferung erfolgt innerhalb von 1-2 Werktagen durch eine zugelassene Apotheke.“

Bereits hier wird der Patient inhaltlich darauf eingestellt, dass die Lieferung des Medikaments durch eine vom Betreiber ausgewählte oder mit ihm kooperierende Apotheke erfolgt. Es wird nämlich als selbstverständlich dargestellt, dass die Lieferung - ohne jedes weitere Zutun des Patienten - innerhalb von 1-2 Werktagen durch irgendeine, nicht vom Patienten bestimmte oder bestimmbare Apotheke erfolgt. Der Hinweis auf die automatische Lieferung des Medikaments wird in den nachfolgenden, stichpunktartig geordneten Vorzügen noch verdeutlicht. Dort wird ausgeführt:

„Schnelle und diskrete Lieferung - Lieferung von medizinischen Cannabis-Therapieprodukten innerhalb von 1-2 Tagen“.

In diesem Hinweis fehlt sogar jeglicher Hinweis darauf, dass die Lieferung durch eine Apotheke erfolgt. Der Patient muss vielmehr den Eindruck gewinnen, also ob der Versand von der Plattform selbst durchgeführt wird.

Direkt unterhalb dieser ersten, den Service erläuternden Angaben ist folgende Grafik dargestellt:

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Mit diesem Ablaufplan wird die Vorstellung des Patienten weiter beeinflusst und nachhaltig geprägt. Nach dieser Information sind drei Schritte wesentlich, die Mitteilung von Informationen an den Arzt, die Rezepterstellung durch den Arzt und die sich anschließende Lieferung des Medikaments - ohne dass es einer Entscheidung des Patienten zur liefernden Apotheke bedarf. Erneut wird nicht erwähnt, dass die Lieferung durch eine Apotheke erfolgt oder dass der Patient die konkret liefernde Apotheke selbst auswählen könnte. Im Anschluss an diese Grafik gibt es eine Rubrik Fragen & Antworten.

Innerhalb dieser Rubrik fehlt eine Angabe zur Lieferung des Medikaments durch eine Apotheke. Das Thema „Apotheke“ ist vielmehr überhaupt nicht berührt und es gibt keine Aufklärung darüber, dass der Patient sich aktiv dafür entscheiden kann, der Plattform die Auswahl der liefernden Apotheke zu überlassen, oder dass es zu dieser automatischen Auswahl durch die Plattform eine Alternative durch die freie Apothekenwahl gibt.

Startet der Patient nach dieser Einführung durch Q den Bestellvorgang durch Drücken des Buttons „Zu den medizinischen Fragen“, dann wird dem Patienten eine weitere schematische Darstellung des gesamten Bestellprozesses angezeigt. Die weitere Übersicht sieht wie folgt aus:

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Der Ablauf der Therapie und Bestellung wird erneut durch Q strukturell und grafisch veranschaulicht. Unter Schritt 4 - also der für den Kunden wesentlichen Lieferzeit - werden nur die Express-Lieferung, innerhalb von 1-2 Stunden oder aber der kostenlose Standard-Service, Lieferung innerhalb von 24-48 Stunden, beworben. Ein Bezug zur Apotheke fehlt. Eine Aufklärung darüber, dass die Lieferung durch eine Apotheke erfolgt, fehlt ebenfalls. Es wird außerdem nicht darüber aufgeklärt, dass der Patient sich frei für eine Apotheke entscheiden kann, die das Medikament liefert.

Sind in einem Zwischenschritt Gesundheitsfragen beantwortet, erscheint die nachfolgende Übersicht. Diese Übersicht ist dadurch gekennzeichnet, dass sie alle verfügbaren Medikamente auflistet, wobei alle im Premium-Service verfügbaren Medikamente zuerst dargestellt - und zwar ohne, dass aktiv ein Filter gesetzt wurde. Dies bedeutet, dass man erst alle Angebote im Premium-Service durchscrollen muss, bevor überhaupt das erste Medikament erscheint, das entweder nur oder auch im Standard-Service verfügbar ist:

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Dass der Premium-Service nicht nur zuerst und vollständig angezeigt wird, sondern auch technisch voreingestellt ist, hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, indem sie ein beliebiges Medikament über die Suchfunktion eingegeben hat (Anlage BRP 16) und auch hier die gleiche, den Premium-Service bevorzugende Ergebnisdarstellung erfolgt.

Dies kann der Patient, der keine Filtereinstellung vorgenommen hat, oder gar verstanden hat, dass er über eine Filterfunktion bestimmte Selektionen vornehmen kann, nur so verstehen, als ob dieses konkrete Medikament nur im Premium-Service vorhanden ist. Diese Voreinstellung durch die Plattform gilt ausnahmslos für alle verfügbaren Medikamente im Premium-Service. Deshalb kann der durchschnittlich aufmerksame Patient nur zu der Auffassung gelangen, dass bestimmte Medikamente nur exklusiv im Premium-Service verfügbar sind.

Erst durch Setzung des Filters auf „Standardservice“ könnte für den Kunden überhaupt erkennbar werden, dass das Medikament auch im Standardservice erhältlich ist.

Entscheidet sich der Patient nun für ein bestimmtes Medikament, im Regelfall damit für den strukturell bevorzugten Premium-Service, dann wird dem Patienten die folgende Bestellübersicht gezeigt:

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Erneut fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass man zwischen dem Premium-Service und dem Standard-Service wechseln könnte. Es wird damit gerade verschwiegen, dass der Patient eine selbstständige Entscheidung hinsichtlich der Auswahl der das Medikament liefernden Apotheke treffen könnte.

Nun muss der Patient den Button „Weiter zum Versand“ betätigen. In Bezug auf den Versand erwartet der durchschnittlich aufmerksame Patient, dass er eine Auswahl hinsichtlich des Postdienstleisters treffen kann. Denn dieses Verständnis entspricht der allgemein üblichen Praxis nahezu sämtlicher eCommerce-Seiten und Internet-Portalen. Der durchschnittliche aufmerksame Patient erwartet folglich nur eine Auswahlentscheidung hinsichtlich des Versandunternehmens und die Eingabe der persönlichen Daten zur Ausführung der Lieferung. Was der durchschnittlich aufmerksame Patient hingegen nicht erwartet, ist, dass er durch die Voreinstellungen der Plattform-Betreiber eine aktive Entscheidung hinsichtlich der Apothekenauswahl und seiner Wahlfreiheit trifft. Denn hierauf ist er weder vorbereitet noch erwartet der Patient diese Entscheidung aufgrund der Gestaltung des Bestellprozesses. Auf der nächsten Seite wird kein Hinweis auf die beiden vermeintlich parallel bestehenden Lieferoptionen erteilt. Im Gegenteil, es wird nur Eingabemaske für persönliche Daten gezeigt. Diese Eingabeseite sieht konkret wie folgt aus:

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Gibt der Patient nun alle erforderlichen persönlichen Daten zur Anlegung eines Kundenkontos an, folgt eine zweite Eingabemaske zu den persönlichen Daten, nämlich hinsichtlich der konkreten Versandadresse und der Handy-Nummer des Patienten, die wie folgt gestaltet ist:

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An dieser Stelle im Bestellprozess wird automatisch der Premium-Lieferservice vorgeschlagen, ohne dass dies noch so benannt wird. Im Fettdruck ist für den Patienten folgende Information hervorgehoben: „Medikament mit DHL - versandkostenfeie Lieferung in 24 - 48 Stunden“ Mit dieser fett hervorgehobenen Aussage werden dem Patienten alle Informationen gegeben, für die er sich an dieser Stelle im Bestellprozess interessiert. Ein seriöses Versandunternehmen wird genannt (nämlich DHL), es wird mitgeteilt, dass der Versand kostenfrei ist und dass die Lieferung in 1 - 2 Tagen zu erwarten ist - also genau die Zeitspanne wiederholt, die zuvor schon mehrfach von der Plattform beworben wurde.

Hinzu kommt, dass nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin mögliche Rabatte, mit denen Q wirbt, ausschließlich im Premium-Service verwendet werden. Die Rabatte betreffen aber ausschließlich die Behandlungsgebühr für die ärztliche Leistung, weshalb kein sachlicher Grund dafür besteht, diesen Rabatt nicht auch beim Standard-Service zu gewähren.

cc) In der Gesamtschau stellt sich die Gestaltung des Bestellvorgangs nicht diskriminierungsfrei dar. Vielmehr ist der gesamte Bestellprozess darauf angelegt, den Nutzer weg von der freien Apothekenwahl und hin zur Bestellung bei den Partnerapotheken der Plattform zu führen.

(3) Die Bezahlung erfolgt auch „für“ das Weiterleiten von Rezepten. Die Plattform erhält nach dem glaubhaft gemachten Vortrag der Antragstellerin (Anlage BRP 21) erhält die Plattform eine Vergütung pro vermitteltem Rezept. Die apothekenrechtlichen Schutzzwecke, die Wahlfreiheit der Versicherten und eine flächendeckende Arzneimittelversorgung durch wohnortnahe Apotheken zu gewährleisten, sind daher betroffen (vgl. BGH GRUR 2025, 496, Rn. 59 - Partnervertrag).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Frankfurt: Kein wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG durch Vorauswahl einer Apotheke durch eine telemedizinische Plattform

LG Frankfurt
Beschluss vom 28.05.2025
2-06 O 150/25

Das LG Frankfurt hat entschieden, das kein wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG durch Vorauswahl einer Apotheke durch eine telemedizinische Plattform vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Antrag ist jedoch unbegründet. Es fehlt jedenfalls an einem Verfügungsanspruch.

1. Ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG liegt nicht vor. Gemäß § 11 Abs. 1 ApoG dürfen Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, oder mit Dritten keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben. Dies gilt auch für Rechtsgeschäfte oder Absprachen, die die Zuweisung von Verschreibungen in elektronischer Form oder von elektronischen Zugangsdaten zu Verschreibungen in elektronischer Form zum Gegenstand haben. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Apotheken, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum liegen, sowie deren Inhaber, Leiter oder Personal, soweit diese Apotheken Patienten in Deutschland mit Arzneimitteln versorgen.

a. Der Beklagte ist zwar als Apotheker in Deutschland Normadressat und zwischen den Parteien besteht auch ein konkretes Wettbewerbsverhältnis, da beide auf dem Gebiet des Versandhandels mit Medikamenten (speziell medizinischem Cannabis) tätig sind.

b. Durch die Teilnahme des Beklagten an der Plattform S ist auch davon auszugehen, dass zwischen dem Beklagten und S bestimmte „Absprachen“ zur Funktionsweise der Plattform (einschließlich des Premium-Lieferservice-Modells) und den Rechten und Pflichten des Beklagten und von S getroffen wurden, wenn auch, soweit ersichtlich, nur im Rahmen eines Nutzungsvertrags auf der Grundlage von AGB.

c. Es liegt jedoch zwischen dem Beklagten und S als Drittem i.S.d. § 11 Abs. 1 ApoG keine Absprache vor, die eine (unzulässige) Zuweisung von Verschreibungen zum Gegenstand hat.

aa. Untersagt sind nach § 11 Abs. 1 S. 1 ApoG zunächst vor allem jedwede Absprachen, die auf einen Leistungsaustausch des Dritten mit dem Patienten bzw. Kunden gerichtet sind, d.h. die Zuweisung von Patienten an den Arzt bzw. die Zuweisung von Patienten an die Apotheke, insbesondere durch Zuweisung von Verschreibungen. Erforderlich ist hierbei, dass die ärztliche Verschreibung dem Patienten nicht ausgehändigt, sondern direkt an die Apotheke weitergeleitet wird (Spickhoff/Sieper, ApoG, 4. Aufl. 2022, § 11 Rn. 3 m.w.N.). Die Regelung des § 11 Abs. 1 S. 1 ApoG schützt das Vertrauen der Verbraucher in die Unabhängigkeit der Tätigkeit des Apothekers, so dass [ref=d3fc746a-bc1f-4aac-b854-9d7c2b9bcd6a]§ 11 Abs. 1 S. 1 ApoG[/ref] sicherstellen soll, dass sich der Erlaubnisinhaber einer Apotheke bei seinem Kontakt zu anderen Gesundheitsberufen nicht von sachfremden und vor allem nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt (Spickhoff/Sieper, ApoG, 4. Aufl. 2022, § 11 Rn. 1 m.w.N.). Der Apotheker soll seine Kontrollfunktion bei der Belieferung von Verschreibungen eigenverantwortlich wahrnehmen. Zudem soll das Recht des Patienten auf freie Wahl der Apotheke gewahrt werden, sodass es nicht zu einem Tätigwerden der beteiligten Berufsträger über den Kopf des Patienten hinweg ohne dessen Einflussmöglichkeit kommen darf (vgl. Spickhoff/Sieper, ApoG, 4. Aufl. 2022, § 11 Rn. 3 m.w.N.).

Eine Absprache kann stillschweigend getroffen werden oder aus einer eingespielten Übung heraus entstanden sein. Es liegt jedoch keine unzulässige Absprache i.S.d. § 11 Abs. 1 ApoG vor, wenn die Zuweisung der Verschreibung einer zuvor von den Patienten getroffenen Auswahlentscheidung an die gewählte Apotheke folgt (vgl. Spickhoff/Sieper, ApoG, 4. Aufl. 2022, § 11 Rn. 3 m.w.N.). Am Merkmal der Zuweisung kann es dann fehlen, wenn der Arzt dem Patienten vor der Anwendung eines Applikationsarzneimittels hierzu neutral verschiedene Auswahlmöglichkeiten an die Hand gibt, etwa in Form der Aushändigung des Rezepts an den Patienten oder in Form der Beauftragung des Arztes mit der Einlösung in einer vom Patienten bestimmten Apotheke oder in einer vom Arzt selbst ausgewählten Apotheke, und der Patient sich dann für die zuletzt genannte Möglichkeit entscheidet (BGH, GRUR 2016, 213 Rn. 23 – Zuweisung von Verschreibungen; Spickhoff/Sieper, ApoG, 4. Aufl. 2022, § 11 Rn. 3).

bb.In Anwendung dieser Grundsätze liegt eine unzulässige Zuweisung nicht vor.

Von der Klägerin wurde zuletzt unstreitig gestellt, dass auf der Plattform S die alternative Option „Elektronisches Rezept (ohne Medikamente)“ bzw. „Elektronisches Rezept (ohne Medikamente) – Abholung in der Apotheke“ für jedes Produkt angeboten wird. Über diese Option werden auch die jeweiligen Apotheken mit ihren Verfügbarkeiten zur Auswahl angeboten.

(1) Eine unzulässige Einschränkung liegt nicht schon deshalb vor, weil S zwei verschiedene Wege der Bestellung aufzeigt.

Auf der Plattform S wird sowohl bei der Option „Premium-Service“ als auch bei der Option „Elektronisches Rezept (ohne Medikamente)“ die ärztliche Verschreibung dem Patienten nicht ausgehändigt, sondern direkt an die Apotheke weitergeleitet. Während im Rahmen der Option „Premium-Service“ die Plattform die Auswahl einer bestimmten Apotheke vornimmt, nimmt der Patient im Rahmen der Option „Elektronisches Rezept (ohne Medikamente)“ selbst die Auswahl einer Apotheke vor. Dadurch, dass dem Patienten zum einen die Auswahl zwischen „Premium-Service“ und der Option „Elektronisches Rezept (ohne Medikamente)“ angeboten wird, und dadurch, dass der Patient im Rahmen der letzteren Option eine bestimmte Apotheke auswählen kann, worauf er auch ausdrücklich hingewiesen wird, indem ihm offenbart wird, dass mit dem Premium-Service S automatisch eine Apotheke für den Kunden auswählt, wird insgesamt das Recht des Patienten auf freie Apothekenwahl (§ 31 Abs. 1 S. 5 SGB V) nicht in unzulässiger Weise beschränkt.

Auch wenn im Rahmen des Premium-Service eine automatische Apothekenauswahl erfolgt, ist zu beachten, dass der Patient sein Wahlrecht bereits vorab durch Auswahl des Premium-Service am Ende des Bestellprozesses dahingehend ausgeübt hat, dass er der Plattform die Auswahl der konkreten Apotheke überlässt. Die Auswahl der konkreten Apotheke wird somit nicht ohne jegliche Einflussnahme des Patienten auf dem Weg von der ärztlichen Verschreibung bis zum Erhalt des Medikaments von der Apotheke getroffen. Vielmehr stehen dem Patienten verschiedene Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung, nämlich (1) Einlösung des Rezepts bei einer vom Patienten bestimmten Apotheke mit Abholung; (2) Einlösung des Rezepts bei einer vom Patienten bestimmten Apotheke mit Versand und (3) Einlösung des Rezepts bei einer im Auftrag des Patienten von der Plattform ausgewählten Apotheke mit Versand. Im Rahmen der beiden ersten Optionen bleibt dem Patienten die Auswahl der konkreten Apotheke überlassen. Der Umstand, dass die Plattform dem Patienten – neben anderen Optionen der direkten Apothekenauswahl - die Möglichkeit gibt, die Auswahl einer konkreten Apotheke auf die Plattform zu übertragen, ist jedoch nicht unzulässig (vgl. BGH, GRUR 2016, 213 Rn. 23). Damit wird der Patient insgesamt nicht in seiner freien Apothekenwahl eingeschränkt.

(2) Die Apothekenwahlfreiheit des Patienten wird auch nicht durch die konkrete Gestaltung und Funktionalität der Plattform „S“ in unzulässiger Weise beeinträchtigt.

Zwar ist der Klägerin zuzugestehen, dass die weiteren von der Klägerin beanstandeten Gestaltungsmerkmale den „Premium Service“ prominenter bewerben als den „Standardservice“. Dies führt jedoch noch nicht dazu, dass dem Patienten seine nach § 11 Abs. 1 ApoG geschützte Apothekenauswahlfreiheit genommen wird.

Denn entgegen der Ansicht der Klägerin wird die Option des „Standardservice“ nicht verschleiert. Vielmehr wird dem Patienten bereits zu Beginn des Bestellvorgangs die alternative Option „Standardservice Nur Rezept“ (blau unterlegt) gut sichtbar angeboten (vgl. S. 2 und S. 5 d. SS d. AStV v. 27.05.25):

[Bild]

Unter der Formulierung „Standardservice Nur Rezept“ als Gegenüberstellung zum „Premium Service Medikament + Rezept + Lieferung“ versteht der Patient, dass er im „Standardservice“ das Rezept erhält und die Einlösung des Rezeptes selbst betreiben muss. Später bei der Auswahl der Versandoptionen wird dem Patienten dann nochmals ausdrücklich erläutert, dass beim Premium-Service eine automatische Apothekenauswahl erfolgt, beim Standardservice hingegen nicht. Durch diese Gestaltung des Bestellprozesses wird die Apothekenwahlfreiheit nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt.

(3) Die freie Apothekenwahl des Patienten wird auch nicht dadurch eingeschränkt, dass auf der Plattform S nur solche Apotheken angezeigt werden, die mit der Plattform kooperieren. Denn der Patient, dem bewusst ist, dass nicht sämtliche Apotheken in Deutschland, in der EU und im EWR an einer deutschen Plattform wie der von S teilnehmen, hat durch den Aufruf der Plattform sein Wahlrecht bereits eigenverantwortlich auf Apotheken konkretisiert, die diesen Kommunikationskanal nutzen (vgl. BGH, Urt. v. 20.02.2025 – I ZR 46/24, GRUR 2025, 496 Rn. 62 – Partnervertrag).

cc. Es ist auch nicht ersichtlich, dass durch die Nutzung der Plattform S durch den Beklagten das Vertrauen der Verbraucher in die Unabhängigkeit der Tätigkeit des Apothekers dahingehend beeinträchtigt wird, dass sich der Beklagte bei der Teilnahme an der Plattform von sachfremden oder finanziellen Erwägungen leiten lässt. Die Teilnahme an einer derartigen Plattform wie im Streitfall ist nicht generell unzulässig (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 62). Darüber hinaus ist nicht ersichtlich und wurde von der Klägerin auch nicht glaubhaft gemacht, dass der Beklagte einen finanziellen Vorteil durch die Absprache erlangt, die ihn in unzulässiger Weise gegenüber anderen Apotheken bevorzugen würde.

Nachdem der Beklagte bestritten hat, einen Partnervertrag mit S zu unterhalten, der Regelungen entsprechend dem von der Klägerin vorgelegten Screenshot enthält, und nachdem er unbestritten dargelegt hat, dass er seine Rechnungen gegenüber den Patienten selbst ausstellt, hat die Klägerin insbesondere nicht glaubhaft gemacht, dass sich der Beklagte bei der Teilnahme an der Plattform von sachfremden oder finanziellen Erwägungen hat leiten lassen, insbesondere dass er Kenntnis von der Abrechnung einer „versteckten Servicepauschale“ hatte oder eine solche bei der Abrechnung der von ihm ausgelieferten Medikamente abgerechnet wurde. Der Vortrag der Klägerin zu Transaktionszahlen, die sich aus Bewertungen auf einer Bewertungsplattform herleiten lassen sollen, lässt keinen Rückschluss auf die Transaktionszahlen des Beklagten und eine etwaige Gefährdung der wohnortnahen Versorgung zu.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: