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BGH legt EuGH vor: Regressansprüche einer GmbH gegen den Geschäftsführer bzw. einer AG gegen den Vorstand wegen Kartellbußgelder

BGH
Beschluss vom 11.02.2025
KZR 74/23


Der BGH hat dem EuGH Fragen hinsichtlich etwaiger Regressansprüche einer GmbH gegen den Geschäftsführer bzw. einer AG gegen den Vorstand wegen Kartellbußgelder vorgelegt.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof legt Frage zur Geschäftsführerhaftung für Kartellbußgelder dem EuGH vor

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat heute dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorgelegt, ob Art. 101 AEUV einer Regelung im nationalen Recht entgegensteht, nach der ein Unternehmen, gegen das ein Bußgeld wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängt worden ist, seine Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder dafür in Regress nehmen kann.

Sachverhalt:

Die Klägerin zu 1 ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die Klägerin zu 2 eine Aktiengesellschaft (AG). Sie sind Teil einer in der Edelstahlproduktion tätigen Unternehmensgruppe. Der Beklagte war Geschäftsführer der GmbH und zugleich Vorstandsmitglied, zuletzt Vorstandsvorsitzender der AG. Er beteiligte sich von 2002 bis 2015 an einem Preiskartell unter Unternehmen der Stahlindustrie. Die Kartellbeteiligten vereinbarten ein branchenweit einheitliches Preissystem und stimmten Schrott- und Legierungszuschläge ab. Deswegen verhängte das Bundeskartellamt Bußgelder gegen die GmbH in Höhe von 4,1 Mio. € und gegen den Beklagten in Höhe von 126.000 €.

Die Klägerinnen verlangen vom Beklagten die Erstattung des gegen die GmbH verhängten und bezahlten Bußgelds sowie Ersatz für der AG zur Abwehr des Bußgelds entstandene IT- und Anwaltskosten in Höhe von 1 Mio. €. Darüber hinaus begehren sie die Feststellung, dass der Beklagte ihnen alle weiteren Schäden zu ersetzen hat, die aus dem Kartellverstoß folgen. Sie machen geltend, der Beklagte habe durch seine Beteiligung an den Kartellabsprachen seine Pflichten als Geschäftsführer und Vorstandsmitglied verletzt.

Das Landgericht hat die Klagen auf Erstattung des Bußgelds und der Rechtsverteidigungskosten abgewiesen, jedoch festgestellt, dass der Beklagte zum Ersatz der aus dem Kartellverstoß resultierenden weiteren Schäden verpflichtet ist. Die Berufungen der Klägerinnen und des Beklagten sind erfolglos geblieben. Das Oberlandesgericht hat angenommen, die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften, nach denen Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen haben, erstreckten sich nicht auf solche Schäden, die der Gesellschaft wegen gegen sie verhängter Kartellbußgelder entstehen. Könnte die Gesellschaft bei ihrem Leitungsorgan Regress nehmen, würde der Zweck des Kartellbußgelds vereitelt. Mit der Unternehmensgeldbuße solle gerade das Vermögen der Gesellschaft nachhaltig getroffen werden. Daher müsse der Beklagte auch keine IT- und Rechtsanwaltskosten der Gesellschaft zur Abwehr des Bußgelds ersetzen.

Die Klägerinnen verfolgen mit ihren Revisionen die Zahlungsanträge weiter, der Beklagte möchte mit der Anschlussrevision die Feststellung seiner Schadensersatzpflicht zeitlich beschränkt wissen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat dazu ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet.

Nach § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG haften Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder, die ihre Obliegenheiten verletzen, der Gesellschaft für den entstandenen Schaden. Die Beteiligung des Beklagten an dem nach Art. 101 AEUV verbotenen Preiskartell ist eine vorsätzliche Pflichtverletzung. Im Revisionsverfahren ist auch davon auszugehen, dass der Klägerin zu 1 infolge des Bußgelds ein Schaden entstanden ist. Allerdings könnte der Rückgriff auf das Vermögen des Geschäftsführers Sinn und Zweck der Verbandsbuße widersprechen. Dann könnte eine einschränkende Auslegung des § 43 Abs. 2 GmbHG geboten sein. Ob das der Fall ist, ist umstritten.

Für die Beantwortung dieser Frage ist auch erheblich, ob das Unionsrecht eine einschränkende Auslegung des § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gebietet. Die nähere Ausgestaltung der Geldbußen fällt zwar in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Nach der Rechtsprechung des EuGH haben die Mitgliedstaaten aber sicherzustellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 101 AEUV verstoßen. Mit diesen Geldbußen sollen rechtswidrige Handlungen der betreffenden Unternehmen geahndet und sowohl diese Unternehmen als auch andere Wirtschaftsteilnehmer von künftigen Verletzungen der Wettbewerbsregeln des Unionsrechts abgeschreckt werden. Die danach gebotene Wirksamkeit von Geldbußen gegenüber Unternehmen könnte beeinträchtigt sein, wenn sich die Gesellschaft von der Bußgeldlast durch Rückgriff auf das Leitungsorgan vollständig oder teilweise entlasten könnte. Wie der EuGH zu erkennen gegeben hat, könnte eine Geldbuße sehr viel von ihrer Wirksamkeit einbüßen, wenn das betroffene Unternehmen berechtigt wäre, sie auch nur teilweise steuerlich abzusetzen. Daher stellt sich auch die Frage, ob die Abwälzung der Geldbuße des Unternehmens auf den Geschäftsführer nach Maßgabe gesellschaftsrechtlicher Vorschriften den Zweck der kartellrechtlichen Geldbuße beeinträchtigt.

Vorinstanzen:

Landgericht Düsseldorf - Urteil vom 10. Dezember 2021 - 37 O 66/20 [Kart]

Oberlandesgericht Düsseldorf - Urteil vom 27. Juli 2023 - VI-6 U 1722 (Kart)

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG)

(1) Die Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden.

(2) Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden.

[…]

Aktiengesetz (AktG)

§ 93

(1) Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. […]

(2) Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Ist streitig, ob sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast. Schließt die Gesellschaft eine Versicherung zur Absicherung eines Vorstandsmitglieds gegen Risiken aus dessen beruflicher Tätigkeit für die Gesellschaft ab, ist ein Selbstbehalt von mindestens 10 Prozent des Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds vorzusehen.

[…]

Art. 101 AEUV

(1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken […]



BGH: Interne Zuständigkeitsregelungen in der Geschäftsleitung können zur Beschränkung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit eines Organs einer juristischen Person führen


BGH
Urteil vom 09.11.2023
III ZR 105/22
Haftung eines Organs für unerlaubte Bankgeschäfte
KWG § 32 Abs. 1, § 54; StGB § 14 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 276, § 823


Der BGH hat entschieden, dass interne Zuständigkeitsregelungen in der Geschäftsleitung zur Beschränkung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit eines Organs einer juristischen Person führen können.

Leitsätze des BGH:
a) Wer entgegen § 32 Abs. 1 KWG ohne entsprechende Erlaubnis Bankgeschäfte erbringt, macht sich bei fahrlässigem oder vorsätzlichem Handeln gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1, Abs. 2 KWG strafbar. Wirken die Geschäfte berechtigend und verpflichtend für eine juristische Person, trifft die strafrechtliche Verantwortlichkeit gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB denjenigen, der in organschaftlicher Stellung für die juristische Person tätig ist (Bestätigung von BGH, Urteile vom 15. Mai 2012 - VI ZR 166/11, NJW 2012, 3177 Rn. 19 und vom 12. Dezember 2019 - IX ZR 77/19, NJW-RR 2020, 292 Rn. 35).

b) Die objektive Organstellung allein ist nicht hinreichend, um eine Haftung zu begründen. Es bedarf zusätzlich des Verschuldens, § 276 BGB, das gesondert festgestellt werden muss.

c) Interne Zuständigkeitsregelungen in der Geschäftsleitung einer juristischen Person können zwar nicht zu einer Aufhebung, wohl aber zu einer Beschränkung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Es bestehen jedoch in jedem Fall gewisse Überwachungspflichten, die das danach unzuständige Organ zum Eingreifen veranlassen müssen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch das zuständige
Organ nicht mehr gewährleistet ist (Fortführung von BGH, Urteil vom 15. Oktober 1996 - VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 377 f).

BGH, Urteil vom 9. November 2023 - III ZR 105/22 - OLG Schleswig - LG Kiel

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Hamm: Ex-Vorstand einer Krankenversicherung muss 4,6 Mio EURO Schadensersatz zahlen - bedarfswidrige Anmietung von 4000 qm Bürofläche

OLG Hamm
Urteil vom 17.03.2016
27 U 36/15


Das OLG Hamm hat den Ex-Vorstand einer Krankenversicherung zur Zahlung von 4,6 Mio EURO Schadensersatz verurteilt. Dieser hatte zu Lasten der Versicherung bedarfswidrig Büroflächen von 4000 qm in Dortmund angemietet.

Die Pressemitteilung des OLG Hamm:

"Ex-Vorstand zu ca. 4,6 Mio. Euro Schadensersatz verurteilt

Der ehemalige Vorstand einer gesetzlichen Krankenversicherung aus Dortmund schuldet der Versicherung ca. 4,6 Mio. Euro Schadensersatz. Das hat der 27. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Bochum (Az.: 3 O 430/12 LG Bochum) heute entschieden.

Der beklagte Vorstand habe, so der Senat, die Pflichten seines Dienstvertrages mit der klagenden Krankenversicherung schuldhaft verletzt, indem er im Jahre 2009 für den Bürobetrieb der Krankenversicherung bedarfswidrig ca. 4000 m² Büro-und Nebenflächen sowie weitere Terrassen-, Archiv und Lagerflächen im Dortmunder U anmietete. Hierdurch sei der Krankenversicherung in den Jahren 2011 bis zum 31.03.2015 ein Mietschaden in genannter Höhe entstanden, den der
Beklagte zu ersetzen habe. Der Senat hat außerdem festgestellt, dass der Beklagte der Versicherung auch einen weiteren Schaden aus der pflichtwidrigen Anmietung auszugleichen hat. Nach der Entscheidung des Senats hat der Beklagte zudem die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Eine Revision zum Bundesgerichtshof hat der Senat nicht zugelassen.

Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 17.03.2016 (Az.: 27 U 36/15 OLG Hamm), nicht rechtskräftig