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LG Köln: Urheberrechtlicher Schutz für Zeichnungen auf Donutverpackung als Werk der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG

LG Köln
Urteil vom 03.02.2022
14 O 392/21


Das LG Köln hat im vorliegenden Fall, den urheberrechtlicher Schutz für Zeichnungen auf einer Donutverpackung als Werk der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG bejaht.

Aus den Entscheidungsgründen:
a) Es handelt sich bei den streitgegenständlichen Grafiken, Zeichnungen bzw. Darstellungen, die auf der streitgegenständlichen Donutverpackung ersichtlich sind (im Weiteren: „Zeichnungen“) um geschützte Werke der angewandten Kunst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG. Die Donutverpackung selbst, die von der Verfügungsklägerin ausweislich ihres Antrags als primäre Grundlage ihres Unterlassungsbegehrens anzusehen ist, ist überdies als Sammelwerk gem. § 4 Abs. 1 UrhG geschützt. Es handelt sich jeweils um eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG.

Die Kammer hat keinen Zweifel an der Schutzfähigkeit der hier gegenständlichen Zeichnungen. An den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst sind grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen als an den Urheberrechtsschutz von Werken der zweckfreien bildenden Kunst oder des literarischen und musikalischen Schaffens. Es genügt daher, dass sie eine Gestaltungshöhe erreichen, die es nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise rechtfertigt, von einer „künstlerischen“ Leistung zu sprechen. Es ist zu berücksichtigen, dass die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen kann, soweit sie nicht dem Gebrauchszweck geschuldet ist, sondern auf einer künstlerischen Leistung beruht. Eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers setzt voraus, dass ein Gestaltungsspielraum besteht und vom Urheber dafür genutzt wird, seinen schöpferischen Geist in origineller Weise zum Ausdruck zu bringen (BGH, Urteil vom 13. November 2013 – I ZR 143/12 –, juris Rn. 26, 41 – Geburtstagszug). Ähnliches gilt nach der Rechtsprechung des EuGH: Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt (EuGH, ZUM 2019, 56 Rn. 36 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Ein Gegenstand kann erst dann, aber auch bereits dann als ein Original in diesem Sinne angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt. Wurde dagegen die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist (EuGH ZUM 2019, 834 Rn. 30 f. – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 23 f. – Brompton). Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 37 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung (EuGH, ZUM 2019, 834 Rn. 32 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 25 – Brompton), auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 40 – Levola Hengelo).

Alle hier zu bewertenden (Einzel-) Zeichnungen stellen nach diesen Anforderungen eine solche künstlerische Leistung dar, die freie kreative Entscheidungen der Urheberin manifestieren. Die Zeichnungen der einzelnen Produkte, v.a. Donuts und anderes Gebäck, bilden zwar Produkte der realen Welt ab. Sie weisen aber eine zeichnerische Gestaltung auf, die gerade nicht nur dem Gebrauchszweck dient, sondern durch Auswahl verschiedener Perspektiven auf die jeweiligen Produkte, verschiedener Akzentuierung einzelner Merkmale der Donuts sowie mitunter einer individuellen Farbauswahl einzelner Merkmale eine ausreichende Originalität aufweisen. Zudem ist zu beachten, dass alle Zeichnungen bei einer Gesamtbetrachtung einem gemeinsamen individuellen Stil folgen, der an ein in sich geschlossenes „Comic“-Thema erinnert. Auch die Gestaltungsweise, dass demnach alle einzelnen Zeichnungen – wie sie auf der Donutverpackung auch gemeinsam dargestellt sind – als zusammen gehörig erscheinen, unterstreicht den künstlerischen Charakter der Werke. Hieraus wird auch deutlich, dass die Verfügungsklägerin im Einzelnen Gestaltungsspielräume hatte und diese ausnutzte.

Bei der Verkaufsverpackung insgesamt ist noch ergänzend zu beachten, dass die Positionierung der einzelnen Zeichnungen in dem Sammelwerk individuelle Züge und einen hohen, offensichtlich ausgenutzten Gestaltungsspielraum aufweist. Es ist nicht aufgezeigt oder sonst ersichtlich, dass die Anordnung der einzelnen Elemente auf der Gesamtzeichnung zwingenden Regeln folgt. So sind die einzelnen Elemente teils überlappend, teils freigestellt, womit eine individuelle Platzierung mit gestalterischer Intention offenbar wird. Insoweit ist auch die Auswahl der einzelnen Zeichnungen, wobei neben den Donuts bzw. Gebäckspezialitäten noch das antike Automobil mit „Donutreifen“ sowie die Spritzen offenbar frei gewählt sind, ein wichtiger Aspekt, der dem Sammelwerk Schutz verleiht. Wenn die Verfügungsbeklagte hierin im konkreten Fall gerade keine persönliche geistige Schöpfung erkennen will, verkennt sie den maßgeblichen Maßstab der notwendigen Schutzhöhe, wonach grundsätzlich auch die sog. „kleine Münze“ geschützt ist. Eine besondere Gestaltungshöhe wird gerade nicht gefordert (vgl. für Werke der angewandten Kunst: BGH, Urteil vom 13. November 2013 – I ZR 143/12, – Geburtstagszug).

Soweit die Verfügungsbeklagte zu 2) an dieser Stelle zunächst einwendet, dass die Donuts bzw. Gebäckspezialitäten seine „Kreationen“ seien (eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers des Verfügungsbeklagten zu 2, Bl. 445 GA), so bedarf es hiermit keiner tiefergehenden Auseinandersetzung. Zum einen erscheint die Glaubhaftmachung des Geschäftsführers des Verfügungsbeklagten zu 2) bereits zu pauschal, um für jedes durch Zeichnungen auf der Donutverpackung abgebildete Gebäckstück eine urheberrechtliche Prüfung vorzunehmen. Es wird dabei durchgehend nur generisch von Kreationen (bzw. von hier nicht unmittelbar streitgegenständlichen Lichtbildern) gesprochen, ohne mit Blick auf den Streitgegenstand eine konkrete Aussage zu treffen, was er wann und unter welchen Umständen geschaffen haben mag. Auch hierauf kommt es jedoch nicht an. Denn nach den obigen Ausführungen kann sich die Verfügungsklägerin bereits auf den Schutz eines Sammelwerks stützen, das nach dem Wortlaut von § 4 UrhG aufgrund der Auswahl oder Anordnung der Elemente eine persönliche geistige Schöpfung ist. Die einzelnen Elemente sind auch ausreichend unabhängig voneinander, weil sie voneinander getrennt werden können, ohne dass der Wert ihres künstlerischen oder sonstigen Inhalts dadurch beeinträchtigt wird (Schricker/Loewenheim/Leistner, 6. Aufl. 2020, UrhG § 4 Rn. 18 m.w.N. aus der Rspr.).

Dass die Verfügungsbeklagte zu zu 2) bzw. ihr Geschäftsführer der Verfügungsklägerin gerade bei der Auswahl der einzelnen Zeichnungen oder bei der Anordnung der einzelnen Elemente auf der Verpackung eine eindeutige Vorgabe gemacht hätte, ist nicht ersichtlich. Die Verfügungsbeklagte zu 2) selbst legt WhatsApp-Nachrichten vor, ausweislich derer die Verfügungsklägerin offenbar – mit Ausnahme des Markenzeichens und der Farbanweisung „dominieren sollen pink rosa gold“ – freie Hand bei der Gestaltung hatte („du machst aus dieser Datei etwas abgefahrenes und tobst dich aus“ oder „dann ist dieses Kunstwerk das du da schaffst einfach eine Box die man zusammenfalten kann“, S. 31 des Schriftsatzes der Verfügungsbeklagten zu 2) vom 29.11.2022, Bl. 427 GA). Die Verfügungsklägerin macht diese Freiheit bei der Auswahl und Anordnung der Motive ergänzend glaubhaft in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 14.12.2021, Bl. 505 GA.

Unerheblich sind im hiesigen Einzelfall demnach die den Großteil des schriftsätzlichen Vortrags der Verfügungsbeklagten zu 2) ausmachenden Ausführungen und Darstellungen zur angeblichen Übereinstimmung der Zeichnungen der Verfügungsklägerin mit den „Gebäckwerken“ bzw. mit Lichtbildern, die diese Gebäckstücke als Motiv aufweisen. Selbst wenn man an dieser Stelle die Schutzfähigkeit solcher „Gebäckwerke“ unterstellt, geht die Kammer davon aus, dass die einzelnen Zeichnungen mindestens nach § 3 UrhG ein eigenständiges Bearbeiterurheberrecht der Verfügungsklägerin begründen würden. Dabei müsste jedoch in jedem Einzelfall zunächst vorrangig geprüft werden, ob nicht der nach § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG beschriebene hinreichende Abstand gewahrt ist, was bejahendenfalls zu einem eigenständigen, freien Werk nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG führt. Ein solcher hinreichender Abstand dürfte etwa gegeben sein bei dem „Einhorn-Donut“ (siehe S. 31 des Schriftsatzes der Verfügungsbeklagten zu 2) vom 29.11.2022, Bl 389 GA), sodass auch die Verfügungsklägerin jedenfalls an einer Einzelzeichnung nicht nur als Bearbeiterin berechtigt ist. Unbestritten bleibt im Übrigen, dass das auf der Verpackung unten mittig ersichtliche antike Automobil mit „Donutreifen“ nicht auf einer Vorlage der Verfügungsbeklagten zu 2) beruht.

Mit Blick auf die Signifikanz der Auswahl und Anordnung der einzelnen Elemente bedarf es auch keiner näheren Auseinandersetzung mit dem von der Verfügungsklägerin dezidiert dargestellten Schaffensprozess der einzelnen Zeichnungen sowie der dahingehenden, auch mit Videos illustrierten Einwände der Verfügungsbeklagten zu 2), wonach hier maßgeblich die Ausnutzung der Wirkweise von Computersoftware vorliege, die keinen Schutz verdiene. Denn wiederum zeigt die Verfügungsbeklagte zu 2) nicht auf, dass die Verfügungsklägerin bei der Auswahl und der Anordnung der einzelnen Zeichnungen auf der Box nicht ihren „schöpferischen Geist“ in origineller Weise zum Ausdruck gebracht hat, sondern diesen Anknüpfungspunkt urheberrechtlichen Schutzes einem Dritten oder gar einem Computer überlassen hat. Demzufolge ist auch das Argument, das nach „Streichung“ von Bestandteilen aus dem Verpackungsdesign (wie dargestellt S. 61 des Schriftsatzes der Verfügungsbeklagten zu 2) vom 29.11.2022, Bl 419 GA) praktisch nichts Individuelles aus der Feder der Verfügungsklägerin verbleibe, rechtsirrig.

Soweit die Verfügungsbeklagte zu 2) eine Verletzung von Urheberrechten ihres Geschäftsführers durch die Anfertigung der Zeichnungen bzw. der Verpackung als Ganzes rügt, so ist dies ebenfalls an dieser Stelle unerheblich. Es steht dem Urheberrechtsschutz nicht entgegen, dass das Motiv der Zeichnung ggf. seinerseits urheberrechtlich geschützt ist; die Frage der Verwertung ist abstrakt von der Entstehung von Urheberrechtsschutz zu betrachten (vgl. Urteil der Kammer vom 01.07.2021 – 14 O 15/20, ZUM-RD 2021, 731, Rn. 34, zum Urheberrechtsschutz an einem Lichtbild, das ein geschütztes Werk der Architektur als Motiv hat). Selbst unterstellt, die Verfügungsklägerin hätte Werke des Geschäftsführers der Verfügungsbeklagten zu 2) vervielfältigt, so scheint sie hierzu beauftragt gewesen zu sein und hätte demnach nicht rechtswidrig gehandelt.

b) Die Verfügungsklägerin ist als Urheberin aktivlegitimiert. Die Erstellung der Donutverpackung und der darauf ersichtlichen Zeichnungen wird seitens der Verfügungsbeklagten zu 2) nicht bestritten, sondern eindeutig zugestanden. Das Bestreiten der Verfügungsbeklagten zu 1) mit Nichtwissen ist angesichts der ausführlichen Glaubhaftmachungsmittel der anderen Parteien unerheblich.

Die Verfügungsklägerin hat zur Überzeugung der Kammer auch nicht im Rahmen eines „total buyout“ vollständig die eigene Rechtsposition (allenfalls mit Ausnahme des Urheberpersönlichkeitsrechts) gegenüber der Verfügungsbeklagten zu 2) aufgeben und an diese übertragen.

aa) Angesichts des konkreten Streitgegenstandes – also der Nutzung des Verpackungsdesigns in einem Instagram-Posting der Verfügungsbeklagten zu 1) – bedarf es vorliegend keiner umfassenden Auslegung des Umfangs der Nutzungsrechteübertragung. Es ist jedoch zur Überzeugung der Kammer offensichtlich, dass es sich bei der Vereinbarung zwischen der Verfügungsklägerin und dem Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 2) nicht um einen „total buyout“ an den Rechten betreffend die Verkaufsverpackung handelte.

Die Verfügungsklägerin hat durch eidesstattliche Versicherung vom 15.11.2021, Bl. 189 ff. GA glaubhaft gemacht, dass sie zum Zeitpunkt der Beauftragung zur Erstellung der Verkaufsverpackung durch den Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 2) – wobei unklar bleibt, ob er bereits als Vertreter der Verfügungsbeklagten zu 2) tätig geworden ist, insbesondere ob diese als Unternehmen bereits existierte – im Februar 2020 nur Kenntnis von S Filialen in L, B, F und I2 gehabt habe. Eine ausdrückliche Nutzungsrechtsübertragung ist nicht erfolgt; der Umfang der Nutzungsrechtseinräumung wurde nicht schriftlich oder mündlich fixiert. Dieser letzte Umstand deckt sich weitestgehend mit der eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers der Verfügungsbeklagten zu 2) vom 30.11.2021, Bl. 445 ff., der selbst beschreibt, dass er zu dieser Zeit kaum schriftliche Verträge abgeschlossen habe. Im Übrigen ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung vom 30.11.2021 nur, dass der Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 2) die Verfügungsklägerin mit der Erstellung einer Verkaufsbox „für alle Stores“ beauftragt habe. Er macht hingegen weder Angaben dazu, welche Stores es zu dieser Zeit bereits gegeben hatte, noch von welchen Stores die Verfügungsklägerin Kenntnis hatte, noch dass es sich bei seinem Unternehmen um ein im schnellen Wachstum befindliches Franchisesystem handelte. Auch aus der (wohl nachträglich verschickten) Nachricht bei Whatsapp, wonach die Box 50.000 Mal gedruckt werde, ergibt sich kein Rückschluss auf einen bestimmten vereinbarten Nutzungsumfang. Dabei hält die Kammer eine Druckauflage von 50.000 Stück schon bei nur vier Filialen für sehr gering, die bei einem gut laufenden Geschäft wohl nicht einmal für ein Jahr ausreichen dürfte. Im Weiteren schildert der Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 2) einseitige Erwartungen und Vorstellungen, ohne mitzuteilen, dass er hierüber mit der Verfügungsklägerin auch tatsächlich bei (mündlichem oder konkludentem) Vertragsabschluss gesprochen hätte.

Auf dieser Grundlage ist von einer vollständigen Rechtsübertragung nicht auszugehen, zumal die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast für eine derartige vertragliche Gestaltung bei den Verfügungsbeklagten liegt. Die Verfügungsbeklagte zu 2) vermag nicht konkret darzulegen, wann und mit welchem Inhalt eine ausdrückliche mündliche Vereinbarung zur Einräumung ausschließlicher (und außerdem unterlizensierbarer) Rechte erfolgt sein soll.

bb) Dasselbe gilt für eine ggf. mögliche konkludente Vereinbarung über die Lizenzierung von Werken der Verfügungsklägerin an Herrn T bzw. die S GmbH. Es fehlt jeglicher belastbarer Vortrag dazu, in welchem konkludenten Verhalten der Verfügungsklägerin ein ausreichender Rechtsbindungswille für einen „total buyout“, also einem für sie extrem wirtschaftlich ungünstigen Rechtsgeschäft, zu erblicken wäre.

cc) Eine nachträgliche ausdrückliche oder konkludente Lizensierung bzw. eine rechtlich bindende Duldung von Nutzungen der streitgegenständlichen Werke, die der Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin entgegenstehen könnte, ist dem Vortrag der Verfügungsbeklagten zu 2) ebenfalls nicht zu entnehmen. Selbst wenn die Verfügungsklägerin in sozialen Medien wie Whatsapp oder Instagram (jeweils nach den konkreten Rechnungsdaten) von „deutschlandweit“ und international existierenden S Filialen spricht/schreibt, ist hierin angesichts des glaubhaft gemachten Klägervortrags nach Ansicht der Kammer kein Rechtsbindungswille für eine nachträgliche Lizensierung zu erkennen. Die Verfügungsklägerin trägt insoweit vor und macht glaubhaft durch eidesstattliche Versicherung, dass sie ihre Werke nur für den Geschäftsbetrieb in L bzw. allenfalls für ihr bekannte Filialen, d.h. ebenfalls von Herrn T betriebene Geschäfte, nicht aber für Franchisenehmer, in drei weiteren Städten, lizensiert habe. Falls sie im Nachhinein Kenntnis von weiteren Standorten erlangt hat, so ist damit ersichtlich noch keine rechtsgeschäftliche Einräumung von urheberrechtlichen Nutzungsrechten verbunden. Und zwar erst recht nicht in Form eines „total buyouts“, wie er von den Verfügungsbeklagten behauptet wird. Die zitierten Whatsapp Nachrichten (Bl. 301 GA) enthalten jedenfalls keine auf den Abschluss eines (nachträglichen) Lizenzvertrags gerichteten Willenserklärungen. Die weiteren Hinweise auf die Kenntnis der Verfügungsklägerin von der Verwendung der Verkaufsverpackung durch die Verfügungsbeklagte zu 2), etwa durch Instagram Beiträge, führen auch nicht zu einer nachträglichen Nutzungsrechteeinräumung, da es insoweit schon an einem Erklärungstatbestand fehlt. Das Video der Verfügungsklägerin vom 20.09.2020, in welchem sie offenbar Werbung für die Verfügungsbeklagte zu 2) machte und auf Geschäfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz verwies, vermag die Kammer ebenfalls nicht als rechtsgeschäftliche Erklärung auszulegen, die im Ergebnis zum Verlust ihrer eigenen Aktivlegitimation führen würde. Es handelt sich offenbar um eine Verlautbarung an die Allgemeinheit, nicht um eine Erklärung an die Verfügungsbeklagte zu 2). Die Sprachnachricht vom 12.01.2021, wie sie in der Antragserwiderung der Verfügungsbeklagten zu 2) niedergeschrieben ist, lässt jedenfalls erahnen, dass die Verfügungsklägerin selbst Rechte behalten wollte, was wiederum der Annahme eines „total buyout“ entgegensteht. Was sie im Einzelnen mit ihrer laienhaften Beschreibung der urheberrechtlichen Rechtslage erklären will, bleibt mehrdeutig und folglich unklar. Einer Sprachnachricht vom 17.02.2021 ist im Ergebnis auch keine weitgehende Rechtsübertragung unter Preisgabe ihrer eigenen Rechtsposition als Urheber zu entnehmen.

dd) Zudem verfangen auch die Ausführungen zur Zweckübertragungslehre, die vorliegend zu einer umfassenden und unterlizensierbaren Rechteeinräumung an Herrn T bzw. die S GmbH führen sollen, nicht. Insoweit hat die Kammer bereits in ihren Entscheidungen in der an dieser Stelle parallel zu bewertenden Sache zu Az. 14 O 175/21 zur grundsätzlich urheberschützenden Wirkung der aus § 31 Abs. 5 UrhG gefolgerten Zweckübertragungslehre ausgeführt. Die Verfügungsbeklagte zu 2) meint jedoch, dies sei vorliegend anders, weil es sich bei den Werken der Verfügungsklägerin offensichtlich um Bestandteile des „Corporate Designs“ bzw. der „Corporate Identity“ der S Geschäfte handele. Dieser Ansicht vermag sich die Kammer auch nach erneuter Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht anzuschließen.

Aus der Zweckübertragungslehre folgt, dass im Zweifel die Rechte beim Urheber verbleiben. Dahinter steht der Leitgedanke, den Urheber an sämtlichen Erträgnissen aus der Verwertung seines Werkes oder seiner Leistung angemessen zu beteiligen. Deshalb werden im Zweifel nur diejenigen Rechte eingeräumt, die zu der im Vertrag konkretisierten Verwendung des urheberrechtlich geschützten Werkes erforderlich sind. Die Zweckübertragungslehre führt zu einer Spezifizierungslast. Wer sichergehen will, dass er das betreffende Nutzungsrecht erwirbt, muss es ausdrücklich bezeichnen. Will er das Werk auf verschiedene Art und Weise nutzen, muss jede einzelne Nutzungsart bezeichnet werden; denn im Zweifel gilt nur das als vereinbart, was ausdrücklich bezeichnet worden ist (Dreier/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 31 Rn. 110 f., m.w.N. aus der Rspr.).

Nach diesen Grundsätzen genügt die Erkennbarkeit der Zugehörigkeit von zu schaffenden Werken zu einem „Corporate Design“ bzw. einer „Corporate Identity“ eines Unternehmens nicht per se für die Annahme einer nicht ausdrücklich vereinbarten Übertragung ausschließlicher, unbeschränkter und unterlizensierbarer Nutzungsrechte vom Urheber auf den Auftraggeber. Auch in einer solchen Konstellation ist der Urheber in Ermangelung einer konkreten Nutzungsrechtevereinbarung schutzwürdig, um ihn angemessen an der Verwertung seiner Rechte zu beteiligen. Abgesehen davon ist es nicht ersichtlich, dass im hier vorliegenden Fall der von beiden Parteien übereinstimmend erkannte Zweck der einzelnen Beauftragungen gerade einzig der Förderung des Unternehmens des Herrn T dienen soll. Für diesen Zweck wären wiederum die Verfügungsbeklagten darlegungs- und glaubhaftmachungsbelastet. Gegen einen solchen allein die wirtschaftlichen Interessen des S Unternehmens dienenden Zweck spricht schon die Beauftragung der Verfügungsklägerin als „Künstlerin“ sowie das Anbringen der Urheberbezeichnung der Verfügungsklägerin auf der Verkaufsbox – sei dies auch nur ein (ggf. im Einklang mit § 13 UrhG stehendes) „Geschenk“ des Geschäftsführers der Verfügungsbeklagten zu 2) gewesen, wie er es in seiner eidesstattlichen Versicherung beschreibt. Demnach erscheinen die Beauftragungen hier eher als übliche Auftragsarbeiten im kreativen Bereich, für die die obige Zweifelsregelung zum Schutz von Urhebern grundsätzlich gilt. Es hätte insoweit dem Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 2) oblegen, auf eine ausdrückliche Beschreibung des Umfangs von Nutzungsrechten hinzuwirken. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die wiederholten, kleineren Beauftragungen der Verfügungsklägerin, ohne aber einen einheitlichen Rahmen der Kooperation abzustecken. Auch die vorgelegte, freundschaftlich erscheinende Whatsapp Kommunikation legt eher nahe, dass Zweck der Zusammenarbeit auch die Förderung der Bekanntheit der Verfügungsklägerin als Künstlerin und mithin der Förderung ihres wirtschaftlichen Gedeihens gewesen ist.

Nichts anderes ergibt sich aus den von der Verfügungsbeklagten zu 2) vorgetragenen Rechtsprechungs- oder Literaturfundstellen oder dem Verweis auf eine angebliche Branchenüblichkeit. Denn anders als im „normalen“ Fall der Schaffung von Teilen eines „Corporate Designs“, in denen der Ersteller regelmäßig nicht als Künstler oder Ersteller bekannt gemacht wird, liegt hier eine Urheberbenennung vor. Dies ist demnach mit Konstellationen zu vergleichen, in denen Künstler spezielle Designs für ein bekanntes Unternehmen schaffen und dies auch entsprechend gekennzeichnet wird. Auch in diesen Fällen wird im Zweifel der/die Künstler/in mangels ausdrücklicher Vereinbarung an einem Erfolg partizipieren wollen und sollen. Auch das Argument, dass die Verfügungsbeklagte zu 2) in Ermangelung eines „total buyout“ keine Rechtsverletzungen Dritter eigenständig verfolgen könne, überzeugt nicht. Denn anders herum hat auch die Verfügungsklägerin weiterhin ein eigenes Interesse daran, dass Dritte ihre Werke nicht verletzen. Wäre die Ansicht der Verfügungsbeklagten zu 2) zutreffend, so wäre stattdessen die Verfügungsklägerin von der Verfolgung von Rechtsverstößen Dritter abgeschnitten, wofür die vertraglichen Grundlagen, wie oben ausführlich aufgezeigt, keinen Anhalt geben.

Zuletzt spricht auch der gezahlte Preis in Höhe von 870,- € für die streitgegenständliche Verkaufsverpackung (siehe Anlage ASt 4) nicht für einen „total buyout“. Angesichts der üppigen Gestaltung der Verkaufsverpackung unter Verwendung von mehr als einem Dutzend einzelner trennbarer Zeichnungen hinken hier Vergleiche zur Herstellung von minimalistischen Unternehmenslogos o.Ä., deren Rechte (soweit urheberrechtlich schutzfähig) ggf. für entsprechende Beträge im weitest gehenden Umfang erworben werden können. Bei dem hier zu bewertenden Gesamtwerk erscheint dieser Betrag selbst bei einer unbekannten Künstlerin als gering. Dies wird erst recht deutlich, wenn man eine Lizenz pro gedruckter Verpackung errechnet – bei Ansatz der von der Verfügungsbeklagten zu 2) genannten 50.000 Stück beliefe sich die Lizenz pro Vervielfältigungsstück bereits auf 0,0174 €, was durch weitere Auflagen nochmals verringert wird. Hier erscheint schon fraglich, ob es sich um eine angemessene Vergütung nach § 32 UrhG für einfache Nutzungsrechte handelt, sodass ein „total buyout“ allein auf Grundlage der gezahlten Vergütung nach Ansicht der Kammer fernliegt.

Der Verweis der Verfügungsbeklagten zu 2) auf eine angebliche Scheinselbständigkeit ist substanzlos. Der folgende Verweis auf § 43 UrhG ist rechtlich irrelevant, weil auch insoweit vertragliche Regelungen vorgehen und aus dem hier gegenständlichen Sach- und Streitstand jedenfalls ersichtlich ist, dass kein „total buyout“ vorliegt. Eine Anwendung von § 34 Abs. 1 S. 2 UrhG ist an dieser Stelle auch nicht für die Verfügungsbeklagten hilfreich, weil damit nur Rechte weiterübertragen werden können „wie sie sind“.

c) Durch die im Tenor dargestellte konkrete Verletzungsform wurde in die ausschließlichen Rechte der Verfügungsklägerin eingegriffen. Die Verfügungsbeklagte zu 1) hat die streitgegenständliche Verkaufsverpackung als zentralen Bestandteil eines Fotos im Zuge eines werbenden Postings auf Instagram öffentlich zugänglich gemacht, § 19a UrhG. Damit ist technisch ein Vervielfältigung gem. § 16 UrhG verbunden.

d) Die Verfügungsbeklagte zu 1) ist hierfür als unmittelbare Täterin passivlegitimiert. Es handelt sich um ihren Instagram Account für den sie verantwortlich ist.

Die Verfügungsbeklagte zu 2) ist jedenfalls als Gehilfin gem. § 27 StGB passivlegitimiert. Nach den allgemeinen Grundsätzen setzen Ansprüche wegen der Verletzung eines Ausschließlichkeitsrechts voraus, dass ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem als pflichtwidrig geltend gemachten Verhalten (Tun oder Unterlassen) und der Beeinträchtigung des geschützten Rechts vorliegt. Das Grunderfordernis für die Annahme eines Zurechnungszusammenhangs ist im Rahmen sowohl der vertraglichen als auch der deliktischen Haftung die Verursachung im logisch-naturwissenschaftlichen Sinn. Nach der insoweit anzuwendenden Äquivalenztheorie ist jede Bedingung kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (BGH, Urteil vom 06.05.2021, I ZR 61/20, juris, Rn. 19 - Die Filsbacher; Kammerurteil vom 06.01.2022 – 14 O 38/19, GRUR-RS 2022, 344, Rn. 100).

Ein solches ursächliches Verhalten ist hier in der Mitwirkung der Verfügungsbeklagten zu 2) bei dem Gewinnspiel der Verfügungsbeklagten zu 1) zu erkennen. Ohne die Gestattung der Nutzung der Verkaufsverpackung sowie die Gestattung der Verlinkung der Instagram Accounts der Verfügungsbeklagten zu 2) und deren Geschäftsführers wäre es zu der konkreten Verletzung nicht gekommen. Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund des Textes des Instagram Postings fest, aus dessen Subtext sich eine zumindest lose Werbekooperation ergibt. Ob dabei der verloste Gutschein von der Verfügungsbeklagten zu 2) kostenlos gestellt worden ist oder aber von der Verfügungsbeklagten zu 1) erworben worden ist, kann dahinstehen. Denn alleine der Umstand, dass die „Teilnahmebedingungen“ das Folgen beider Instagram Accounts der Verfügungsbeklagten erforderten, führte zu einer Förderung der Bekanntheit der Verfügungsbeklagten zu 2) im Sinne eines Cross-Marketing. Dass dies eine einseitige Aktion der Verfügungsbeklagten zu 1) ohne Zutun und ohne Einverständnis der Verfügungsbeklagten zu 2) gewesen sein soll, liegt fern und wird so auch nicht behauptet.

Für die Haftung als Täter oder Teilnehmer einer deliktischen Handlung wie einer Urheberrechtsverletzung gelten die strafrechtlichen Grundsätze zur Täterschaft und Teilnahme. Täter ist danach, wer die Zuwiderhandlung selbst oder in mittelbarer Täterschaft begeht (§ 25 Abs. 1 StGB). Mittäterschaft (vgl. § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 25 Abs. 2 StGB) erfordert eine gemeinschaftliche Begehung, also ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken. Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ist die Tatherrschaft. Danach ist Täter, wer den zum Erfolg führenden Kausalverlauf beherrscht, während als Teilnehmer verantwortlich ist, wer einem mit Tatherrschaft handelnden Dritten Hilfe leistet oder dessen Tatentschluss hervorruft. Fehlen die objektiven oder subjektiven Voraussetzungen einer Haftung als Täter oder Teilnehmer, kommt lediglich eine allein zur Unterlassung und Beseitigung verpflichtende Verantwortlichkeit als Störer in Betracht. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Prüfung der Umstände des Einzelfalls ergibt, dass der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in einem Unterlassen liegt. Auch dann kommt bei einer durch mehrere Personen verursachten Rechtsverletzung sowohl eine Täter- oder Teilnehmerhaftung als auch eine Störerhaftung in Betracht. In allen Fällen schließt die Tatherrschaft des unmittelbar Handelnden die Annahme aus, er werde als Tatmittler von einem bloß mittelbar oder tatferner Handelnden beherrscht. In Betracht kommt dann allenfalls Mittäterschaft, die eine gemeinschaftliche Tatbegehung und damit ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken voraussetzt (stRspr; vgl. nur BGH GRUR 2020, 738 Rn. 42 - Internetradiorecorder, mwN; Kammerurteil vom 06.01.2022 – 14 O 38/19, GRUR-RS 2022, 344, Rn. 111).

Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB ist nach allgemeinen Grundsätzen, wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst, ebenso wenig eine Anwesenheit am Tatort; ausreichen kann vielmehr auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich die objektiv aus einem wesentlichen Tatbeitrag bestehende Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob danach fremde Tatbeiträge gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen sind, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Dabei sind die maßgeblichen Kriterien der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (s. BGHSt 64, 10 = NJW 2019, 1818 Rn. 157; BGH NStZ-RR 2019, 203 [204]; NStZ 2020, 22 Rn. 4 f. mwN; BGH, Beschluss vom 12.8.2021 - 3 StR 441/20, NJW 2021, 2896 [2899] Rn. 50; Kammerurteil vom 06.01.2022 – 14 O 38/19, GRUR-RS 2022, 344, Rn. 112).

Auch die psychische Förderung der Tat, insbesondere die Bestärkung des Tatwillens des Handelnden, kann ein relevanter Tatbeitrag im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB sein (s. BGH BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatbeitrag 2 = BeckRS 1990, 31093586; NStZ 2012, 379 [380]; NStZ-RR 2018, 40; NStZ-RR 2018, 178 [180]). Um allein die Annahme von Mittäterschaft - in Abgrenzung zur psychischen Beihilfe - zu tragen, muss der psychischen Förderung allerdings ein erhebliches Gewicht zukommen (s. BGH NStZ-RR 2019, 203 [204]; BGH, Beschluss vom 12.8.2021 - 3 StR 441/20, juris, Rn. 47 ff.; Kammerurteil vom 06.01.2022 – 14 O 38/19, GRUR-RS 2022, 344, Rn. 113).

Nach diesen Grundsätzen ist zumindest von einer Beihilfe auszugehen. Ob der Beitrag der Verfügungsbeklagten sogar als Mittäterschaft anzusehen ist, kann offenbleiben; insgesamt erscheint der Vortrag der insoweit grundsätzlich darlegungs- und glaubhaftmachungsbelasteten Verfügungsklägerin nicht ausreichend belastbar für diese Feststellung, weil zur Frage, welches der Unternehmen hier Tatherrschaft hatte, keine nähere Auseinandersetzung erfolgt. Sie trägt nur pauschal eine nicht näher spezifizierte Kooperation der beiden Verfügungsbeklagten vor. Demnach geht die Kammer davon aus, dass allein die Verfügungsbeklagte zu 1) über die Entscheidungshoheit verfügte, ob und wie ein bestimmtes Posting bei Instagram veröffentlicht wird. Dass hier eine Freigabe durch die Verfügungsbeklagte zu 2) erfolgte, ist weder vorgetragen noch zwingend anzunehmen. Jedoch ist die Kammer nach den Umständen des Falls davon überzeugt, dass die Verfügungsbeklagte zu 2) als Gehilfin der mit Tatherrschaft handelnden Verfügungsbeklagten zu 1) Hilfe geleistet hat. Wie bereits oben im Rahmen der Kausalität beschrieben ist diese Cross-Marketing Maßnahme nicht ohne Zustimmung der Verfügungsbeklagten zu 2) durchgeführt worden. Angesichts des großen Werts, den die Verfügungsbeklagte zu 2) auf ihren Instagram Account legt, ist ausgeschlossen, dass die Verfügungsbeklagte zu 1) hier eigenmächtig handelte. Es ist auch davon auszugehen, dass die Verfügungsbeklagte zu 1) als seriöses Unternehmen nicht ohne Zustimmung der Verfügungsbeklagten zu 2) deren Verkaufsverpackung darstellt, Gutscheine für deren Waren verlost und zum Folgen von deren Accounts im Sinne einer Teilnahmebedingung des Gewinnspiels auffordert. Dies ist unabhängig von den urheberrechtlichen Fragen schon wegen der lauterkeitsrechtlichen Problematik eines solchen Vorgehens anzunehmen. Demnach steht eine Beihilfehandlung der Verfügungsbeklagten zu 2) durch Gestattung der Nutzung der eigenen Verkaufsverpackung (bzw. der entsprechenden Unterlizensierung des hier gegenständlichen Werks) fest. Da für die Beihilfe neben der oben bereits festgestellten Kausalität keine besondere Qualität der Beihilfehandlung notwendig ist, genügt diese Gestattung der Werknutzung für die Bejahung von § 27 StGB ohne Weiteres aus.
[...]
h) Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr liegt vor; sie wird durch die vorangegangene Verletzung indiziert. Die Verfügungsbeklagte zu 2), die wegen der hier streitgegenständlichen konkreten Verletzung nicht abgemahnt worden ist, hat sich jedenfalls nicht unterworden.

Die Verfügungsbeklagte zu1) hat zwar eine Unterlassungserklärung im Laufe des Verfahrens abgegeben. Diese war aber nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr auszuräumen.

An die Ausräumung der Vermutung werden strenge Anforderungen gestellt. Schon geringe Zweifel gehen zu Lasten des Schuldners. Die bloße Erklärung des Verletzers, er werde das beanstandete Verhalten einstellen, reicht danach regelmäßig nicht aus, auch wenn es sich um ein angesehenes und bedeutendes Unternehmen handelt. Das Gleiche gilt, wenn der Verletzer die Verletzung tatsächlich einstellt. Der Wegfall der Wiederholungsgefahr wird vielmehr regelmäßig erst dadurch herbeigeführt, dass der Verletzer sich unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung unwiderruflich zur Unterlassung verpflichtet (vgl. Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, 12. Aufl. 2018, UrhG § 97 Rn. 31f. mwN aus der Rechtsprechung). Im hier einschlägigen Bereich der Schutzrechtsverletzungen ist regelmäßig nur eine uneingeschränkte, bedingungslose und unwiderrufliche Unterwerfungserklärung unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung geeignet, die Besorgnis künftiger Verstöße auszuräumen, während grundsätzlich schon geringe Zweifel an der Ernstlichkeit der übernommenen Unterlassungsverpflichtung zu Lasten des Schuldners gehen. Es muss sich jedoch um objektivierbare Zweifel und nicht nur um subjektive Befürchtungen des Unterlassungsgläubigers handeln; nicht jede Modifikation einer von ihm vorformulierten Erklärung lässt auf fehlende Ernstlichkeit schließen. Maßgebend für die Reichweite einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtung und damit für deren Eignung zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB), zu dessen Auslegung neben dem Inhalt der Vertragserklärungen auch die beiderseits bekannten Umstände, insbesondere die Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung, ihr Zweck, die Beziehung zwischen den Vertragsparteien und ihre Interessenlage heranzuziehen sind (OLG Köln, ZUM-RD 2011, 18). Vorbehalte in der Erklärung sind allenfalls ausnahmsweise und jedenfalls nur insoweit unschädlich, als sie mit Sinn und Zweck einer Unterwerfungserklärung vereinbar sind, also eine abschließende (außergerichtliche) Unterbindung rechtswidrigen Verhaltens nicht ausschließen. Als ein solcher - zulässiger - Vorbehalt kommt eine auflösende Bedingung in Betracht, wenn diese in einer Änderung der Rechtslage - oder in deren verbindlicher Klärung in entsprechendem Sinne - besteht, durch die das zu unterlassende Verhalten rechtmäßig bzw. seine Zulässigkeit verbindlich geklärt wird; die Rechtmäßigkeit muss zweifelsfrei und allgemein verbindlich feststehen (zum UWG: BGH GRUR 1993, 677, 679 – Bedingte Unterwerfung).

Diesen Anforderungen wird die Unterlassungserklärung der Verfügungsbeklagten zu 1) vom 29.11.2021 (Anlage AG 1.3, Bl. 229 GA) nicht gerecht. Die Unterlassungserklärung enthielt den folgenden Passus der Unterlassungsverpflichtung: „bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim LG Köln zum Aktenzeichen 14 O 392/21 anhängigen einstweiligen Verfügungsverfahrens und eines dazu ggf. noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahrens, die die mit dem Verfügungsantrag geltend gemachten Unterlassungsansprüche der Antragstellerin bestätigen, oder deren einvernehmlichen Beendigung“. Diese Einschränkung war nach §§ 133, 157 BGB auszulegen. Aus dem objektivierten Empfängerhorizont könnte dies als auflösende Bedingung zu verstehen sein. Diese auflösende Bedingung entspricht jedoch nicht den obigen Anforderungen des BGH, wonach die Rechtmäßigkeit des zu unterlassenden Handelns zweifelsfrei und allgemein verbindlich feststehen muss. Die Einschränkung nimmt vielmehr Bezug auf eine Entscheidung bzw. einen Vergleich, der nur „inter partes“ verbindlich wird. Auch wird nicht hinreichend deutlich, was die Bedingung bezwecken soll, was zu Folgestreitigkeiten führen kann. So ist nicht verständlich, wieso die Unterlassungserklärung bei Bestätigung der klägerischen Ansprüche wegfallen soll – die Erklärung soll ja gerade eine solche Bestätigung im Verhältnis der Parteien zueinander vermeiden. Soweit hiermit auf das Prozessverhältnis zwischen der Verfügungsklägerin und der Verfügungsbeklagten zu 2) Bezug genommen werden soll, mangelt es an der Ernstlichkeit der Unterwerfung, weil hiermit durch die Bestätigung der Ansprüche die Unterlassungserklärung wegfiele und mithin die Wiederholungsgefahr wieder neu entstünde. Solche Auslegungsstreitigkeiten sollen aber durch die Unterwerfung grundsätzlich vermieden werden. Demnach bestehen objektivierbare Zweifel an der Ernstlichkeit der Unterlassungserklärung.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH: Zum Anspruch eines Konstrukteurs der Porsche AG auf angemessene Beteiligung gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG am wirtschaftlichen Erfolg des Porsche 911

BGH
Urteil vom 07.04.2022
I ZR 222/20
Porsche 911
UrhG §§ 16, 17, 23 Abs. 1, § 24 Abs. 1, § 32a Abs. 1; Richtlinie 2001/29/EG Art. 2 Buchst. a


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Zum Anspruch eines Konstrukteurs der Porsche AG auf angemessene Beteiligung gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG am wirtschaftlichen Erfolg des Porsche 911 über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:
a) Der Begriff der Nutzung im Sinne von § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG ist dahingehend auszulegen, dass Erträge oder Vorteile aus einer Nutzung, die nicht in den Schutzbereich eines Verwertungsrechts des Urhebers eingreifen, keinen Anspruch gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG auf weitere angemessene Beteiligung des Urhebers begründen können.

b) Die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Abgrenzung der freien Benutzung von der (unfreien) Bearbeitung gelten für Werke im Sinne von § 2 UrhG auch nach der durch das Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes vom 31. Mai 2021 (BGBl. I S. 1204) vorgenommenen Streichung des § 24 UrhG aF und der Änderung des § 23 UrhG in der Sache mit der Maßgabe weiter, dass das Kriterium des "Verblassens" unionsrechtskonform im Sinne des Kriteriums einer fehlenden Wiedererkennbarkeit der schutzbegründenden eigenschöpferischen Elemente zu verstehen ist.

BGH, Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 222/20 - OLG Stuttgart - LG Stuttgart

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Zum Anspruch eines Konstrukteurs der Porsche AG auf angemessene Beteiligung gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG am wirtschaftlichen Erfolg des Porsche 911

BGH
Urteil vom 07.04.2022
I ZR 222/20
Porsche 911


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung zum Anspruch eines Konstrukteurs der Porsche AG auf angemessene Beteiligung gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG am wirtschaftlichen Erfolg des Porsche 911 befasst.

Die Pressemitteilungd es BGH:
Bundesgerichtshof zu urheberrechtlichen Ansprüchen eines Konstrukteurs der Porsche AG auf
Fairnessausgleich nach § 32a UrhG

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über urheberrechtliche Beteiligungsansprüche des früheren Abteilungsleiters der Karosserie-Konstruktion der Porsche AG am wirtschaftlichen Erfolg des Porsche 911 entschieden.

Sachverhalt:

Die Beklagte ist die Porsche AG. Die Klägerin ist die Tochter eines im Jahr 1966 verstorbenen Abteilungsleiters der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Dieser war im Rahmen seiner Tätigkeit mit der Entwicklung des ab 1950 produzierten Fahrzeugmodells Porsche 356 und dessen seit 1963 gebauten Nachfolgemodells Porsche 911 befasst. Der Umfang seiner Beteiligung an der Gestaltung dieser Modelle ist zwischen den Parteien streitig.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die Klägerin verlangt als Erbin ihres Vaters und aus abgetretenem Recht einer weiteren Erbin von der Beklagten gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG ab dem 1. Januar 2014 eine angemessene Beteiligung an den Erlösen aus dem Verkauf der ab 2011 produzierten Baureihe 991 des Porsche 911. Sie meint, bei den Fahrzeugen dieser Baureihe seien wesentliche Gestaltungselemente der unter maßgeblicher Beteiligung ihres Vaters entwickelten Ursprungsmodelle des Porsche 356 und des Porsche 911 übernommen worden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Das Oberlandesgericht hat allerdings im Ergebnis mit Recht angenommen, dass der Klägerin keine Ansprüche auf weitere angemessene Beteiligung gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG zustehen, soweit sie geltend macht, die Beklagte habe mit dem Vertrieb der Baureihe 991 des Porsche 911 die Urheberrechte ihres Vaters am Porsche 356 genutzt. Die Gestaltung des Porsche 356 ist zwar als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG). Die Klägerin hat auch nachgewiesen, dass ihr Vater diese Gestaltung geschaffen hat und damit deren Urheber ist (§ 7 UrhG). Die Beklagte hat mit dem Vertrieb der Baureihe 991 des Porsche 911 aber nicht das ihr vom Vater der Klägerin im Rahmen des Arbeitsverhältnisses eingeräumte Recht zur Verwertung dieses Werkes in körperlicher Form (§ 15 Abs. 1 UrhG) genutzt. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts sind bei einem Vergleich des Gesamteindrucks der beiden Fahrzeugmodelle die den Urheberrechtsschutz des Porsche 356 begründenden Elemente in der Gestaltung des Porsche 911 nicht mehr wiederzuerkennen. Die Beklagte hat daher mit der Herstellung und dem Vertrieb des Porsche 911 nicht in das ausschließliche Recht des Urhebers zur Vervielfältigung (§ 16 Abs. 1 UrhG) und Verbreitung (§ 17 Abs. 1 UrhG) des Porsche 356 eingegriffen. Ein Anspruch auf weitere angemessene Beteiligung scheidet deshalb aus, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich bei der Gestaltung der Baureihe 991 des Porsche 911 gleichfalls um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handelt und damit die Voraussetzungen einer freien Benutzung im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG aF/§ 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG nF vorliegen.

Die Annahme des Oberlandesgerichts, der Klägerin stünden auch keine Ansprüche auf weitere angemessene Beteiligung zu, soweit sie sich darauf berufe, die Beklagte habe mit dem Vertrieb der Baureihe 991 des Porsche 911 die Urheberrechte ihres Vaters am Ursprungsmodell des Porsche 911 genutzt, hält der rechtlichen Nachprüfung dagegen in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Das Oberlandesgericht hat Ansprüche der Klägerin mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass ihr Vater die äußere Gestaltung der Karosserie des Porsche 911 geschaffen habe. Die Klägerin hatte im Berufungsverfahren allerdings ihren Ehemann als Zeugen dafür benannt, dass ihr Vater diesem bei einem Besuch an seinem Arbeitsplatz klargemacht habe, dass der Porsche 911 und dessen Karosserie "sein Auto, sein Entwurf" gewesen sei. Das Oberlandesgericht hätte sich mit diesem Beweisangebot auseinandersetzen müssen, weil die Zeugenaussage zumindest ein Indiz für die Urheberschaft des Vaters der Klägerin liefern konnte. Die Klägerin hat dieses Beweisangebot zwar erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgebracht. Das Oberlandesgericht hat sich aber nicht damit befasst, ob die Klägerin deshalb mit ihrem Beweisantritt ausgeschlossen ist. Diese Frage kann nur vom Berufungsgericht und nicht vom Revisionsgericht entschieden werden.

Vorinstanzen:

LG Stuttgart - Urteil vom 26. Juli 2018 - 17 O 1324/17

OLG Stuttgart - Urteil vom 20. November 2020 - 5 U 125/19

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG

(1) Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören insbesondere: …

4. Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke; …

(2) Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen.

§ 7 UrhG

Urheber ist der Schöpfer des Werkes.

§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UrhG

(1) Der Urheber hat das ausschließliche Recht, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten; das Recht umfasst insbesondere

1. das Vervielfältigungsrecht (§ 16),

2. das Verbreitungsrecht (§ 17), …

§ 16 Abs. 1 UrhG

(1) Das Vervielfältigungsrecht ist das Recht, Vervielfältigungsstücke des Werkes herzustellen, gleichviel ob vorübergehend oder dauerhaft, in welchem Verfahren und in welcher Zahl.

§ 17 Abs. 1 UrhG

(1) Das Verbreitungsrecht ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen.

§ 23 Abs. 1 UrhG nF

(1) Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werkes, insbesondere auch einer Melodie, dürfen nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden. Wahrt das neu geschaffene Werk einen hinreichenden Abstand zum benutzten Werk, so liegt keine Bearbeitung oder Umgestaltung im Sinne des Satzes 1 vor.

§ 24 Abs. 1 UrhG aF

Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.

§ 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG

(1) Hat der Urheber einem anderen ein Nutzungsrecht zu Bedingungen eingeräumt, die dazu führen, dass die vereinbarte Gegenleistung sich unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen des Urhebers zu dem anderen als unverhältnismäßig niedrig im Vergleich zu den Erträgen und Vorteilen aus der Nutzung des Werkes erweist, so ist der andere auf Verlangen des Urhebers verpflichtet, in eine Änderung des Vertrages einzuwilligen, durch die dem Urheber eine den Umständen nach weitere angemessene Beteiligung gewährt wird.

LG Köln: Schuhe bzw. Sandalen können als Werke der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein

LG Köln
Urteil vom 03.03.2022
14 O 366/21


Das LG Köln hat entschieden, dass Schuhe bzw. Sandalen als Werke der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein können.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Verfügungsklägerin hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 Abs. 1 UrhG folgenden Unterlassungsanspruchs gegen die Verfügungsbeklagte dargelegt und glaubhaft gemacht.

1. Die streitgegenständlichen Schuhmodelle „B “ und „H “ stellen persönliche geistige Schöpfungen im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG dar.

a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. Eine persönliche geistige Schöpfung ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer »künstlerischen« Leistung gesprochen werden kann (BGH, Urteil vom 29.4.2021 – I ZR 193/20, ZUM 2021, 1040, 1047 – Zugangsrecht des Architekten; st. Rspr.; vgl. BGH GRUR 1983, 377, 378, juris Rn. 14 – Brombeer-Muster; GRUR 1987, 903, 904, juris Rn. 28 – Le-Corbusier-Möbel; ZUM-RD 2011, 457, Rn. 31 – Lernspiele; ZUM 2012, 36 Rn. 17 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 15 – Geburtstagszug). Dabei kann die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt (BGH ZUM 2012, 36 Rn. 36 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 41 – Geburtstagszug). Mit Blick auf die Neugestaltung des Geschmacksmusterrechts durch das Geschmacksmusterreformgesetz vom 12.03.2004 und auf die europäische Urheberrechtsentwicklung hat der BGH seine zuvor bestehende Rechtsprechung aufgegeben, wonach bei Werken der angewandten Kunst höhere Anforderungen an die Gestaltungshöhe eines Werks zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst (BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 17 bis 41 – Geburtstagszug). Für einen urheberrechtlichen Schutz von Werken der angewandten Kunst und der bildenden Kunst ebenso wie für alle anderen Werkarten ist allerdings gleichwohl eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern (vgl. BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 40 – Geburtstagszug; BGH ZUM 2015, 996 Rn. 44 – Goldrapper).

b) In der Sache sollen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werkes im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft entsprechen (vgl. Koch GRUR 2021, 273 [274 f.]).

Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung des EuGH um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der in der gesamten Union einheitlich auszulegen und anzuwenden sein soll (EuGH, ZUM 2019, 56 Rn. 33 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel). Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen danach zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt (EuGH, ZUM 2019, 56 Rn. 36 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Ein Gegenstand kann erst dann, aber auch bereits dann als ein Original in diesem Sinne angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt. Wurde dagegen die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist (EuGH ZUM 2019, 834 Rn. 30 f. – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 23 f. – Brompton). Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 37 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung (EuGH, ZUM 2019, 834 Rn. 32 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 25 – Brompton), auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 40 – Levola Hengelo).

c) Gegen die Annahme eines unionsrechtlich vereinheitlichten Werkbegriffs bestehen jedoch – jedenfalls für den Bereich der angewandten Kunst – grundsätzliche Bedenken. Die Richtlinie 2001/29/EG regelt in ihren Art. 2 bis 4, dass die Mitgliedstaaten ausschließliche Rechte für die Urheber in Bezug auf ihre „Werke“ vorsehen. Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG nennt eine Reihe von Ausnahmen und Beschränkungen dieser Rechte. Soweit der EuGH davon ausgeht, aus dem Umstand, dass die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.05.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft für die Ermittlung des Sinnes und der Tragweite des Begriffs „Werk“ nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweise, müsse im Hinblick auf die Erfordernisse sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes gefolgert werden, dass dieser Begriff in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müsse, überschreitet er seine Kompetenzen (Schack, GRUR 2019, 75). Denn die Mitgliedsstaaten wollten den Werkbegriff in der Richtlinie 2001/29/EG gerade nicht vereinheitlichen. Generell einen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten zu fordern, ist mit den in Art. 5 EU-Vertrag niedergelegten Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität nicht vereinbar (vgl. Röthel, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 11 Rn. 7). Andernfalls ließe sich aus jeder Teilregelung in einer Richtlinie oder Verordnung praktisch stets eine vollständige Rechtsvereinheitlichung folgern, was offensichtlich nicht gewollt sein kann. Die Erwägungsgründe 21 ff. Richtlinie 2001/29/EG führen nur einzelne Verwertungsrechte auf und erwähnen mit keinem Wort eine Vereinheitlichung des Werkbegriffs über die in Erwägungsgrund 20 genannten Richtlinien hinaus.

Für den vorliegend relevanten Schutz von Werken der angewandten Kunst ist zudem Art. 17 Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen zu berücksichtigen, der das Verhältnis zum Urheberrecht regelt:

„Das nach Maßgabe dieser Richtlinie durch ein in einem oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat eingetragenes Recht an einem Muster geschützte Muster ist auch nach dem Urheberrecht dieses Staates von dem Zeitpunkt an schutzfähig, an dem das Muster geschaffen oder in irgendeiner Form festgelegt wurde. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen ein solcher Schutz gewährt wird, wird einschließlich der erforderlichen Gestaltungshöhe von dem einzelnen Mitgliedstaat festgelegt.“

Folglich sind die nationalen Gerichte zur Beurteilung der für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst maßgeblichen Gestaltungshöhe und der Werkqualität kompetent. Jedenfalls steht den nationalen Gerichten – auch wenn man einen einheitlichen, unionsweiten Werkbegriff grundsätzlich anerkennt – bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten ein umfassender Beurteilungsspielraum zu. Denn mit der autonomen Auslegung des unionsrechtlichen Werkbegriffs steht es im Einklang, wenn ein Beurteilungsspielraum der nationalen Gerichte bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten anerkannt wird (vgl. v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 273). Wann Spielräume im Einzelfall in individueller Weise genutzt werden, überlässt der EuGH den nationalen Gerichten (EuGH, GRUR 2020, 736, Rn. 38 – Brompton).

d) Das Vorhandensein einer Schöpfung, von Individualität und Originalität lässt sich nicht allein aus den objektiven Eigenschaften des jeweiligen Werkes herleiten. Vielmehr sind diese Merkmale anhand ihrer Relation zum konkreten Schaffensprozess zu betrachten. Die Werk-Schöpfer-Beziehung kann weder aus einer einseitigen Betrachtung der Person des Urhebers heraus noch durch Analyse seines Werkes allein adäquat erfasst werden (grundlegend Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1251; Barudi, Autor und Werk – eine prägende Beziehung?, 2013, 32 f.). Maßgeblich ist vielmehr, nach welchen Regeln der Urheber eines bestimmten Werkes gearbeitet hat, wohingegen keine Rolle spielt, ob er sich dessen bewusst war. Erst dann, wenn keine bestehenden Regeln vorgeben, wie der Erschaffer eines Produkts auf einem bestimmten Gebiet dieses zu fertigen hat – etwa anhand von erlernten Verarbeitungstechniken und Formgestaltungsregeln – bestehen keine Gestaltungsspielräume mehr, mit der Folge, dass die Entfaltung von Individualität dann nicht mehr möglich ist, selbst wenn ein handwerklich in Perfektion gefertigtes Produkt neu und eigenartig ist, also durchaus Designschutz beanspruchen könnte. Die rein handwerkliche oder routinemäßige Leistung trägt nicht den Stempel der Individualität, mag sie auch noch so solide und fachmännisch erbracht sein (Leistner, in: Schricker/Loewenheim, 6. Aufl. 2020, § 2, Rn. 53). Der Hersteller muss den bestehenden Gestaltungsspielraum indes auch durch eigene kreative Entscheidungen ausfüllen, um zum Urheber zu werden (BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 41 – Geburtstagszug). Dies bedeutet, dass das schöpferische Individuum kein Produkt aus Regeln ist, sondern selbst eine Regel für das Urteil über andere Produkte, also exemplarisch sein muss.

Die technische Bedingtheit eines Produkts durch die Anwendung technischer Regeln und Gesetzmäßigkeiten kann den Spielraum des Gestalters beschränken, wenn eine technische Idee mit einer bestimmten Ausdrucksform zusammenfällt, diese Ausdrucksform technisch notwendig ist und damit schöpferisches Gestalten unmöglich macht (vgl. Zech, ZUM 2020, 801, 803). Technische Lehren können Spielräume des Gestalters aber auch erweitern, etwa, wenn dieser sich die kausalen Eigenschaften bestimmter Materialien oder vorhandener Gegenstände gerade zunutze macht, um mit diesen zu experimentieren, sie zu kombinieren und auszuloten, welche Gestaltungsmöglichkeiten sie bieten (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1253). So kann beispielsweise die Licht- und Farbwirkung von geschliffenem Kristallglas dazu beitragen, Tierfiguren als schutzfähig anzusehen (BGH, GRUR, 1988, 690, 692 f.).

Technische Regeln und Gesetzmäßigkeiten stehen einer schöpferischen Gestaltung also nur dann entgegen, wenn sie zwingende Wirkung entfalten, indem der Gestalter sich an bestehende Konventionen hält und diese befolgt, ohne von ihnen abzuweichen, sie zu modifizieren oder sich über sie hinwegzusetzen. Der Gestalter eines Produkts nutzt die ihm eröffneten Gestaltungsspielräume nicht, wenn er sich an vorgegebenen Techniken und Regeln orientiert. Zu einem schöpferischen Werk wird sein Produkt erst dann, wenn er von vorhandenen und praktizierten Gestaltungsgepflogenheiten abweichende Regeln in das jeweils in Anspruch genommene Kommunikationssystem explizit oder implizit einführt und danach handelt, indem er ein materielles Erzeugnis produziert, das als Beispiel oder Muster für seine selbstgesetzten Regeln dienen kann (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1256). Abzustellen ist nicht in erster Linie auf einzelne Gestaltungselemente, sondern auf den Gesamteindruck, den das Werk dem Betrachter vermittelt (OLG Hamburg, GRUR 2002, 419, 420).

Der Schöpfungsprozess ist daraufhin zu analysieren, ob der Urheber sich ausschließlich an Vorgegebenem orientiert und die Spielräume nicht durch eigene Entscheidungen ausgefüllt hat. Lässt sich ausschließen, dass ein Gestalter vollständig nach vorgegebenen Regeln gearbeitet hat, ist zu folgern, dass er jedenfalls in gewissem Umfang eigene schöpferische Entscheidungen getroffen hat. Dann spricht eine Vermutung dafür, dass er den gegebenen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt hat, um sein geistiges Produkt hervorzubringen. Der anspruchstellende Urheber genügt danach seiner Obliegenheit, die Schutzfähigkeit seines Werkes darzulegen, und glaubhaft zu machen, regelmäßig dadurch, dass er ein Werkexemplar vorlegt und seine Besonderheiten präsentiert (vgl. BGH, GRUR 1981, 820, 822 – Stahlrohrstuhl III). Verteidigt sich der wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch Genommene mit dem Einwand, das streitgegenständliche Werk sei nicht schutzfähig oder der Schutzumfang sei eingeschränkt, weil der Urheber auf vorbekannte Gestaltungen zurückgegriffen habe, muss dieser die Existenz und das Aussehen solcher Gestaltungen darlegen und beweisen.

e) Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind streitgegenständlichen Sandalenmodelle „B “ und „H “ urheberrechtlich geschützt. Die Einwände der Verfügungsbeklagten aus der Widerspruchsbegründung und dem Schriftsatz vom 10.01.2022 sowie dem vorgelegten Gutachten von Frau Dr. O vermögen dies im Ergebnis nicht in Zweifel zu ziehen. L C hat mit bestimmten Materialien und Gestaltungselementen derart experimentiert und diese miteinander kombiniert, dass sein jeweiliges Ergebnis schöpferischen Charakter besitzt. Die gilt unabhängig davon, dass einzelne dieser Gestaltungselemente bereits vorbekannt waren und sich in Sandalenmodellen anderer Hersteller wiederfanden. Denn in ihrer einheitlichen Zusammenführung liegt die Originalität der von L C ersonnenen Gestaltung. Er hat sich dabei individuell hinreichend von den auf seinem Schaffensgebiet bestehenden, üblichen und bekannten Darstellungsformen für Sandalenmodelle entfernt und über die von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerische Gestaltungen vorgenommen. Die von der Verfügungsbeklagten eingewandten anderweitigen Sandalenmodelle, die der Schutzfähigkeit der Modelle „B “ und „H “ entgegenstehen sollen, illustrieren vielmehr, dass es im Bereich der Sandalen vielfältige Gestaltungsspielräume und zahlreiche Möglichkeiten zu deren Ausfüllung gibt. L C hat insoweit eigenständige Regeln der Sandalengestaltung gefunden und sie u.a. in seinen Sandalenmodellen „B “ und „H “ umgesetzt.

Folgende Gestaltungsmerkmale sind prägend für das Sandalen-Konzept der Verfügungsklägerin und damit auch für die hier streitgegenständlichen Modelle „B “ und „H “ (Gutachten C2, S. 6; Gutachten O, S. 11).

1.) Das Fußbett

a. Eine gerade innere Sohlenkante

b. Eine Laufsohle aus Kunststoff mit C -Linienprofil

c. Veloursleder-bezogene Sohlenbahn

d. Zehengreifer / Bestandteil der Sohlenplastik

e. Fersenmulde / Bestandteil der Sohlenplastik

f. Tieffußbett aus Korkschrotmischung / unverkleideter Sohlenschnitt

2.) Das Befestigungssystem

a. Offenkantige, ungefütterte Schaft-Verarbeitung

b. Schaft im Cutout-Schnitt / aus einem Stück Leder geschnitten

c. Zwischen Tieffußbett und Laufsohle gefasster Zwickeinschlag des Oberleders

d. Eckige Schnalle mit geprägtem C -Schriftzug sowie

e. Oberteil mit zwei breiten Riemen in Cut-out-Schnittführung für das Modell „B “

f. Asymmetrisch geformter Y-Schaft für das Modell H

g. Gegossener Zehensteg mit Niete für das Modell H

Dass gerade diese hervorgehobenen Gestaltungsmerkmale ausschließlich technisch bedingt oder sonst durch handwerkliche Regeln und Konventionen erzwungen sein sollten, ist nicht erkennbar. Die Schöpfung trägt eine persönliche Handschrift, die sich auch bei weiteren – hier nicht streitgegenständlichen – von L C geschaffenen Sandalenmodellen wiederfindet.

Keines der von der Verfügungsbeklagten als vorbekannt angeführten Sandalenmodelle Dritter entspricht in der konkreten Kombination der Gestaltungsmerkmale den Modellen „B “ und „H “ der Verfügungsklägerin. Die Modelle „B “ und „H “ heben sich demgegenüber von der Formensprache vorbekannter Sandalen – auch bereits zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung – ab.

Die als Beleg für eine vorbekannte gerade Sohleninnenkantenlinie angeführten antiken und traditionellen Sandalen:

[...]

verfügen jedenfalls nicht über ein Tieffußbett und zeichnen sich durch teils überbordende Ornamentik und Zierelemente aus, die schon dem schlichten, schnörkellosen Eindruck der Modelle der Verfügungsklägerin diametral entgegenstehen.

Die „C3 des Friedens-Sandale:

[...]

verfügt zwar über eine mit Velourleder ummantelte Sohlenbahn, die aber bereits optisch deutlich breiter und markanter ausfällt als bei „B “ und „H “, wo der bezogene Sohlenteil deutlich schmaler ausfällt als der unverkleidete Sohlenschnitt aus der Korkschrotmischung.

Bei den von der Verfügungsbeklagten eingewandten Fußgymnastik und Fussformsandalen:

[...]

lässt sich deren tatsächliches Aussehen und Gestaltung anhand der vorgelegten Katalogzeichnungen nicht eindeutig bestimmen. Die einschnallige Befestigungsvorrichtung weicht jedenfalls deutlich von den hier streitgegenständlichen Modellen „B “ und „H “ ab.

Gleiches gilt für die ornamentalistisch verzierten und an der Ferse geschlossenen WeekendSneaker:

[...]

und die kreuzriemengeschnürten Plastikfußbettsandalen:

[...]

Auch wenn diese über ein Naturkork-Fußbett oder eine Plastiksohle aus Korkschrot verfügen, haben die jeweiligen Gestalter völlig unterschiedliche Befestigungs- und Riemenkonstruktionen im Vergleich zu den Modellen der Verfügungsklägerin gewählt.

Der Umstand, dass sowohl die Sohlenschnitte den Sohlen antiker Sandalen entsprächen als auch der Velourlederbezug von Fußbrandsohlen sowie die Merkmale der Tieffußbettsohle aus Korkschrot mit Zehengreifer jeweils als Einzelelemente vorbekannt gewesen sein sollen, belegt nicht, dass die Kombination dieser Elemente, für deren Vorbekanntheit die Verfügungsbeklagte keine Anhaltspunkte liefert, bereits vorgegebenen Konventionen oder Regeln technischer respektive ästhetischer Art entsprochen hätte.

Gleichermaßen ist der von der Verfügungsbeklagten hervorgehobene Umstand, dass das Material Kork bereits für Schuhsohlen:

[...]

Verwendung fand und auch bei Sandalen eingesetzt wurde:

[...]

per se unbehelflich, da die angeführten Schuhmodelle sich in ihrem durch die Verwendung von Block- und Keilabsätzen geprägten Gesamteindruck deutlich von den streitgegenständlichen Sandalenmodellen unterscheiden.

Die technischen Darstellungen aus der eingewandten Patentschrift Nr. 0000 vom 07.04.1942 (Anlage SSM21):

[...]

illustrieren ein von den streitgegenständlichen Sandalenmodellen deutlich abweichendes Fußbett. Ausweislich der Patentansprüche (Bl. 769 d.A.) handelt es sich um eine Sandale zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Fußes mit nach den Rändern zu abfallender Sohlenoberfläche und einem von dem Fersenende aus bis etwa zur Fußmitte parallel zur Sohlenunterseite verlaufenden Einschnitt oder entsprechenden Abstufungen, dadurch gekennzeichnet, dass für die Zehen ein vertieftes Bett in der Oberfläche der Sohle vorgesehen ist, welches, an der Zehenwurzel beginnend, eine steil nach unten abfallende Fläche aufweist. Die Sandale der Patentschrift sollte dadurch gekennzeichnet sein, dass für die Großzehe, den Ballen und die Ferse ein besonderes Bett vorgesehen ist. Weiterhin sollte die Sandale dadurch gekennzeichnet sein, dass die Sohlenoberfläche mit quer zur Fußrichtung verlaufenden Aufrauhungen versehen ist. Diese Betten sollten zwar in einem besonderen weichen Stoff, beispielsweise Kork, angebracht sein, welcher in die Sohle eingelassen ist. Die vorangegangene Beschreibung und die Zeichnung zeigen aber, dass es sich um eine gänzlich andere Ausformung der Sohle handelt als das typische C -Tieffußbett, dass bei den streitgegenständlichen Sandalen der Verfügungsklägerin Verwendung findet. Die innere Sohlenkannte ist zudem nicht gerade gehalten, sondern weist eine deutlich Krümmung auf. Eine Fersenmulde scheint nicht vorgesehen.

Für die Gebrauchsmusteranmeldung Anlage SSM22 (Bl. 771 ff. d.A.):

[...]

gelten vergleichbare Erwägungen. Die Neuerung sollte hier einen Zehengreifwulst für das Fußbett von Gymnastik-Sandalen betreffen, die aus einem einstückigen Schuhboden aus Holz, Kunststoff oder ähnlichem Material und einem einzigen Halteriemen etwa in der Gegend der Zehengrundgelenke des Fußes bestehen. Das Halten der Sandale am Fuß sollte hierbei nicht allein durch den einzigen, in der Gegend der Grundgelenke vorgesehenen Riemen gewährleistet werden, sondern vielmehr sollte es dazu einer zusätzlichen Greifbewegung und Greifkraft der Zehen gegen den vorderen Teil des Schuhbodens bedürfen. Durch das Greifen und Entspannen beim Aufsetzen des Fußes sollte eine ständige gymnastische Übung und daher eine günstige therapeutische Wirkung erzielt werden. Einen vergleichbaren Zehengreifwulst weisen die streitgegenständlichen Sandalen schon nicht auf und unterscheiden sich optisch deutlich von der Skizze der Gebrauchsmusteranmeldung.

Auch hinsichtlich des Befestigungssystems zeigt die Verfügungsbeklagte nicht auf, dass vorbekannte Gestaltungsmuster der Schutzfähigkeit der Sandalenmodelle „B “ und „H “ entgegenstehen würden.

Die von der Verfügungsbeklagten angeführten Drei- und Mehrbandsandalen weichen von den hier streitgegenständlichen Modellen deutlich ab:

[...]

Soweit C selbst Dreibandmodelle hergestellt hat, sind diese hier nicht streitgegenständlich.

Die von der Verfügungsbeklagten bemühten Zweibandmodelle sind weitestgehend gänzlich abweichend von den C -Modellen gestaltet:

[...]

Einzig ein Zweiriemen-Model der „sandali per l’uomo sportiva“:

[...]

kommt der Riemengestaltung des streitgegenständlichen Modells „B “ nahe, weist aber wiederum ein deutlich abweichendes Fußbett und eine stark unterschiedliche Sohle auf.

Schließlich vermag auch die vermeintliche Vorbekanntheit der T- respektive Y-Gestaltung des Sandalenmodells „H “ nicht zu belegen, dass hier kein Gestaltungsspielraum bestanden und von L C individuell-schöpferisch ausgefüllt worden wäre.

Die entgegengehaltenen altägyptischen Sandalentypen:

[...]

weisen zwar bereits die Typik auf, dass die Sandale hoch auf dem Rist durch eine Querbandage fest am Fuß gehalten wird. Keines der Beispiele vereint aber die Charakteristika der streitgegenständlichen Sandale „H “, da zumeist bereits das Fußbett, aber auch die Schnallenbindung abweichend gestaltet ist.

Nicht anders verhält es sich mit den moderneren Varianten, die zwar durchaus im Grundsatz vergleichbare Bindungsriemen, aber im Übrigen stark unterschiedliche Sohlenplastiken und Fußbettgestaltungen aufweisen:

[...]

oder aber eine abweichende Gestaltung mit Fersenriemen:

[...]

f) Subjektive Verlautbarungen der Verfügungsklägerin oder ihrer Rechtsvorgänger sind für die Beurteilung der eigenschöpferischen Qualität – wie aufgezeigt – unbeachtlich, wenn gleichwohl ein künstlerischer Gestaltungsspielraum bestand und im Rahmen des Schaffensprozesses genutzt wurde, auch wenn dies möglicherweise zunächst als rein handwerklich wahrgenommen wurde. Ein zusätzlicher Nachweis einer bestimmten Motivation des Schöpfers würde die Anforderungen an den Schutz eines Werkes der angewandten Kunst gegenüber einem solchen der bildenden Kunst erhöhen. Dies erscheint mit einem gleichrangigen Beurteilungsmaßstab kaum vereinbar. Die Aussage des Schöpfers L C , Mode habe ihn überhaupt nicht interessiert, gibt vor diesem Hintergrund keinen Anlass für eine abweichende Bewertung.

2. Die Verfügungsklägerin ist zur Geltendmachung der hier streitgegenständlichen urheberrechtlichen Ansprüche aktivlegitimiert.

a) Dazu hat sie durch Vorlage der Anlage ASt 8 (Bl. 161 f. d.A.) glaubhaft gemacht, dass der ehemalige Geschäftsführer und Gesellschafter der Rechtsvorgängerin der Verfügungsklägerin, Herr L C , allein verantwortlicher Gestalter und damit alleiniger Schöpfer der hier gegenständlichen Schuhmodelle war und alle damit zusammenhängenden Immaterialgüterrechte an die C Sales GmbH übertragen hat. Die weitere Übertragung von der C Sales GmbH auf die Verfügungsklägerin ist ebenfalls durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Legal Counsel IP der C Gruppe in Anlage ASt 6 (Bl. 157 d.A.) glaubhaft gemacht.

Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, weder aus dem Vortrag der Verfügungsklägerin noch aus den Feststellungen in der angegriffenen Beschlussverfügung sei erkennbar, ob Herr L C der weiteren Übertragung der ausschließlichen Nutzungsrechte auf die Verfügungsklägerin gemäß § 34 Abs. 1 UrhG zugestimmt habe, dringt sie damit nicht durch.

In der Erklärung vom 05.11.2020 heißt es:

„Wir bestätigen uns wechselseitig dass alle etwaigen uns allen (zusammen oder einzelnen von uns) zustehenden Marken-, Design-, Patent-, Urheber- und sonstige Rechte des geistigen Eigentums an allen C -Produkten von jeher exklusiv der C Sales GmbH bzw. den jeweiligen Vorgängergesellschaften (wie etwa der C.B. Orthopädie GmbH und der C Orthopädie GmbH) übertragen wurden und die C -Gruppe daher ausschließlich legitimiert ist, Rechte hieran auszuüben und zu verwerten. Dies umfasst die, soweit noch nicht geschehen hiermit exklusiv der C GmbH & Co. KG eingeräumten, auf Dritte (weiter)übertragbaren, ausschließlichen sowie zeitlich, inhaltlich und räumlich unbeschränkten Rechte, insbesondere entsprechende Produkte herzustellen, zu vervielfältigen, auf der gesamten Welt zu vertreiben, zu vermarkten sowie weiter zu entwickeln und zu bearbeiten. Selbstverständlich sind hiervon auch damals noch unbekannte Vertriebsformen und Nutzungsarten, wie bspw. der Online-Vertrieb, erfasst. Anderen Personen oder Unternehmen wurden keine Rechte an C -Produkten eingeräumt.“

Daraus geht hervor, dass die Weiterübertragung auf Dritte bereits von der ursprünglichen Rechteeinräumung an die C Sales GmbH umfasst war, so dass es jedenfalls keiner Zustimmung zur weiteren Übertragung an die Verfügungsklägerin durch L C bedurfte.

b) Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, es sei fraglich, ob es sich bei den streitgegenständlichen Modellen um die Sandalen handele, die von Herrn L C ursprünglich entworfen worden seien; es fehle an einer Darstellung der „Ur-Werke“, vermag dies keine erheblichen Zweifel an der Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin zu begründen. Nach dem von der Verfügungsbeklagten selbst vorgelegten und zum Gegenstand ihres Sachvortrags gemachten Gutachten Dr. O s wurde das streitgegenständliche Sandalenmodell „B “ im Jahr 0000 von der Fa. C in den Markt eingeführt, sowie das Modell „H “ im Jahr 0000. Grundlage für beide Modelle bilde die kurz nach 0000 durch D C entwickelte und seit 0000 – mit der Einbandsandale „N“ auf den Markt gebrachte – in Schuhen fest verbaute Korkinnensohle (vgl. Bl. 717 d.A.). Danach ergeben sich keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die ursprünglich hergestellten Sandalenmodelle in streiterheblichem Umfang von den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Modellen abwichen, und solche Anhaltspunkte werden von der Verfügungsbeklagten auch im Übrigen nicht aufgezeigt. Der Vortrag der Verfügungsklägerin deckt sich insoweit mit den Aussagen in den beiderseits vorgelegten Gutachten. Jedenfalls für den Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens besteht daher ein überwiegendes Maß an Wahrscheinlichkeit dafür, dass die aktuell vorgelegten Modelle den ursprünglich hergestellten und vertriebenen Modellen entsprechen.

3. Der Vertrieb der angegriffenen, streitgegenständlichen Sandalenmodelle:
[...]

durch die Verfügungsbeklagte verletzt die ausschließlichen Verbreitungsrechte der Verfügungsklägerin aus § 17 Abs. 1 UrhG an den urheberrechtlich geschützten Sandalenmodellen „B “ und „H “. Die angegriffenen, von der Verfügungsbeklagten angebotenen Sandalen übernehmen sämtliche relevanten Gestaltungsmerkmale der Sandalenmodelle „B “ und „H “.

Die Abweichung zwischen den Sandalenmodellen der Verfügungsklägerin „B “ und „H “ und den angegriffenen Sandalenmodellen der Verfügungsbeklagten im Laufsohlenprofil führt nicht schon aus deren Schutzbereich heraus. Der neuartige Gesamteindruck der streitgegenständlichen Schuhmodelle „B “ und „H “ wird nach dem Vorgesagten nicht in einem Maße durch die Sohlengestaltung mitgeprägt, dass die Abweichung hiervon bei den angegriffenen Sandalenmodellen allein die im Wesentlichen fast identische Übereinstimmung in den übrigen, den Gesamteindruck maßgeblich prägenden Gestaltungsmerkmalen ausgleichen könnte.

4. Die für das Bestehen des Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch die vorangegangene Rechtsverletzung indiziert. Diese Gefahr kann grundsätzlich nur durch Abgabe einer geeigneten, strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung ausgeräumt werden. Eine solche hat die Verfügungsbeklagte nicht abgegeben.

II. Es besteht auch ein Verfügungsgrund.

1. Die Dringlichkeit wird im Urheberrecht – anders als im Lauterkeitsrecht nach § 12 Abs. 1 UWG – zwar nicht vermutet. Der Antragsteller hat vielmehr darzutun und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO vorliegen und der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar ist (vgl. OLG Köln, ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Nürnberg GRUR-RR 2019, 64; OLG München BeckRS 2008, 42109). Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung wird sich die Dringlichkeit aber auch ohne Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben (vgl. OLG Köln, ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Köln, BeckRS 2016, 09601; OLG München BeckRS 2008, 42109; GRUR 2007, 184; OLG Köln, WRP 2014, 1085). So liegt der Fall hier. Die Rechtsverletzung dauert noch an.

2. Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, die Verfügungsklägerin versuche erst in jüngerer Zeit, auf Grundlage urheberrechtlicher Vorschriften gegen Konkurrenzprodukte vorzugehen, so steht dies der Dringlichkeit nicht entgegen. Der Anspruchsteller ist zunächst frei darin, auf welche Rechtsgrundlagen er sich beruft und mögen hier auch taktische Erwägungen – etwa aufgrund von Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung – eine Rolle spielen. Der Umstand, dass die Verfügungsklägerin zunächst gegen ein an den Endverbraucher gerichtetes Angebot im Onlineshop der P C1G GmbH & Co. KG vorgegangen ist, und nicht unmittelbar gegen den Hersteller, ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Dafür, dass die Verfügungsklägerin sicher wusste, dass die streitgegenständlichen Sandalen von der Verfügungsbeklagten für P produziert wurden, bestehen keine aktenkundigen Anhaltspunkte. Es war der Verfügungsklägerin also nicht verwehrt, zunächst einen Testkauf zu lancieren und Auskunft über den Lieferanten zu begehren. Für ihre Vermutung, dass die Verfügungsklägerin weit länger als einen Monat vor der Abmahnung vom 12.10.2021 bereits Kenntnis von der Verfügungsbeklagten als Hersteller der angegriffenen Sandalen hatte respektive hätte haben müssen, bestehen keine handfesten Anhaltspunkte. Eine generelle Marktbeobachtungspflicht des Antragstellers besteht auch im Urheberrecht nicht (Rojahn/Rektorschek, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrecht, 3. Aufl. 2021, § 98, Rn. 20).

Die Verfügungsklägerin hat durch eidesstattliche Versicherung ihres Legal Counsel IP vom 22.10.2021 (Anlage ASt 6) glaubhaft gemacht, Kenntnis von der konkreten Rechtsverletzung erstmals am 24.09.2021 erlangt zu haben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 22.10.2021 bei Gericht eingegangen. Die Verfügungsbeklagte zeigt keine konkreten Anhaltspunkte dafür auf, dass tatsächlich bereits zuvor Kenntnis vorlag, ebenso wenig ist dargetan, dass und weshalb die Verfügungsklägerin bereits zuvor Kenntnis von dem Herstellerhinweis auf den Kartons der angegriffenen Sandalen genommen haben sollte. Dafür, dass die Verfügungsklägerin im vorliegenden Fall zugewartet hätte, während sie gegen Dritte unmittelbar vorging, fehlen ebenso konkrete Anhaltspunkte.

3. Schließlich fällt auch eine Interessenabwägung nicht dergestalt zu Gunsten der Verfügungsbeklagten aus, dass ein Verfügungsgrund hier zu verneinen wäre.

a) Die einstweilige Verfügung muss notwendig sein, um wesentliche Nachteile in Bezug auf das Rechtsverhältnis abzuwenden oder um die Vereitelung bzw. wesentliche Erschwerung der Rechtsverwirklichung zu verhindern. Hierauf kann auch bei (vermeintlich) einfach festzustellenden Rechtsverletzungen nicht verzichtet werden. Dies setzt nicht nur eine Dringlichkeit im zeitlichen Sinne, sondern grundsätzlich auch eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen des Antragstellers und den schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners voraus. Im Rahmen der Interessensabwägung ist eine Folgenabschätzung vorzunehmen. Einerseits ist zu fragen, welche Folgen beim Antragsteller eintreten, wenn die einstweilige Verfügung nicht erlassen wird. Hierbei steht im Vordergrund, welche konkreten (wirtschaftlichen) Nachteile dem Antragsteller (nicht einem Dritten) aus der Rechtsverletzung bis zum Erlass einer Entscheidung in der Hauptsache erwachsen, ob diese Nachteile bzw. Schäden nachträglich angemessen kompensiert werden können und wann mit einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu rechnen ist. Andererseits sind die Folgen, die auf den Antragsgegner bei Erlass der einstweiligen Verfügung zukommen, zu berücksichtigen. Bei der Interessensabwägung sind überdies das Verhalten der Parteien und der Umstand in Rechnung zu stellen, dass es sich bei dem einstweiligen Verfügungsverfahren um ein summarisches Verfahren handelt, das nur begrenzte Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stellt. Je stärker der Eingriff in die Rechtspositionen des Antragsgegners ist, desto sicherer muss festgestellt werden und desto schwerer müssen die Gründe wiegen, die für den Erlass der einstweiligen Verfügung sprechen (Voß, in: Cepl/Voß Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl. 2018, § 940 ZPO, Rn. 64).

b) Ein Überwiegen der Interessen der Verfügungsbeklagten im vorstehenden Sinne kann die Kammer hier nicht erkennen. Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsbeklagte durch das Verbot im einstweiligen Verfügungsverfahren bereits einen Schaden erlitte, der auch im Falle eines späteren abweichenden Ausgangs des Hauptsacheverfahrens nicht mehr – nach § 945 ZPO – kompensiert werden könnte und etwa existenzgefährdend wäre, ist nichts dargetan. Dass die Verfügungsbeklagte ihrer Geschäftstätigkeit durch das Verbot nicht mehr nachgehen könnte oder darin durch das Verbot ganz erheblich eingeschränkt wäre, ist nichts ersichtlich. Soweit die Verfügungsbeklagte auf eine etwaig zu leistende nachträgliche Kompensation gegenüber der Verfügungsklägerin hinweist, macht sie ebenfalls nicht geltend, dass diese eine existenzbedrohende Größenordnung erreichen könnte.

Ein Vertrauensschutz in eine bestimmte Rechtsprechung besteht für Wettbewerber ebenfalls nicht. So konnten konkurrierende Anbieter von Sandalen nicht darauf vertrauen, dass die Verfügungsklägerin nach dem erfolglosen Versuch, in der Vergangenheit auf lauterkeitsrechtlicher Grundlage gegen Nachahmungen vorzugehen, sich damit dauerhaft zufrieden geben und auch von der Rechtsdurchsetzung mittels urheberrechtlicher Ansprüche Abstand nehmen würde. Vielmehr steht es jedem Rechteinhaber selbstverständlich offen, Spielräume, die sich durch Entwicklungen in einem Rechtsgebiet – hier namentlich die unionsrechtliche Ausformung des Werkbegriffs durch den EuGH und die dadurch angestoßene Diskussion in Rechtsprechung und Lehre – eröffnen, auch nach einem Unterliegen vor Gericht zukünftig für sich zu nutzen. Dies kann weder die Annahme einer Verwirkung rechtfertigen, noch konnten andere Marktteilnehmer nach einer für die Verfügungsklägerin abschlägigen erstinstanzlichen Entscheidung einen „relevanten Besitzstand“ erwerben, der sie gegenüber einer Inanspruchnahme auf urheberrechtlicher Grundlage „absichern“ würde.

Zur effektiven Rechtsdurchsetzung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums ist die Erlangung von einstweiligem Rechtsschutz auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die urheberrechtliche Schutzfähigkeit eines Werkes – hier im Bereich der angewandten Kunst – und damit der langfristige Rechtsbestand höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Frankfurt: Schmuck kann als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein - zur wettbewerblichen Eigenart von Modeschmuck

OLG Frankfurt am Main
Urteil vom 11.12.2018
11 U 12/18


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass Schmuck bei Erreichen der Schöpfungshöhe als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein kann. Zudem kann Modeschmuck auch wettbewerbliche Eigenart aufweisen und so vor Nachahmungen geschützt sein.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Mit Recht ist sie vom Landgericht zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Schadensersatzzahlung und zur Erstattung von Abmahnkosten wegen des Angebotes der streitgegenständlichen Schmuckstücke aus ihrer Modellreihe "1" und des Modells "2 bunt" verurteilt worden. Das Landgericht hat nämlich mit Recht der Klage in diesem Umfang stattgegeben, weil die Produkte der Beklagten eine vermeidbare Herkunftstäuschung mit den streitgegenständlichen klägerischen Schmuckstücken aus der X Serie der Klägerin herbeiführen und daher in unlauterer Weise die Leistungsschutzrechte der Klägerin verletzen (§§ 8 I, III Nr. 1, 3, 4 Nr. 3 lit. a; 9, 12 I S. 2 UWG, § 242 BGB). Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts, denen sich der Senat anschließt, kann verwiesen werden. Im Hinblick auf die Ausführungen der Beklagten sind lediglich folgende Anmerkungen veranlasst:

1. Den Erwägungen des Landgerichts steht nicht entgegen, dass sich die Klägerin in erster Linie auf urheberrechtliche Ansprüche gestützt hatte und dass das Landgericht insoweit die Aktivlegitimation der Klägerin offengelassen hat. Ein Gleichlauf der Aktivlegitimation für urheberrechtliche und wettbewerbsrechtliche Ansprüche ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon deshalb abzulehnen, weil der lauterkeitsrechtliche Rechtsschutz nach Schutzzweck, Voraussetzungen und Rechtsfolgen anders als die Sonderschutzrechte ausgestattet ist.

Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz wegen der Verwertung eines fremden Leistungsergebnisses können unabhängig vom Bestehen von Ansprüchen aus einem Schutzrecht bestehen, wenn besondere Begleitumstände vorliegen, die außerhalb des sondergesetzlichen Tatbestandes liegen (BGH, Urteil vom 4.5.2016, Az.: I ZR 58/14 Tz. 37 - Segmentstruktur = GRUR 2017, 79, 82). Das ist hier, wie nachfolgend aufgezeigt wird, der Fall. Es spielt daher auch keine Rolle, dass die Klägerin nicht über einen designrechtlichen Schutz für ihre Produkte verfügt. Da die Klägerin Herstellerin der Originalprodukte ist, bestehen an Ihrer Aktivlegitimation für die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz keine Zweifel (BGH a.a.O.). Die Parteien stehen sich auf identischen Vertriebskanälen, nämlich u. a. im Vertrieb über den stationären Einzelhandel, als Mitbewerber gegenüber.

2. Der Verbotstatbestand des § 4 Nr. 3a UWG ist erfüllt, weil die von der Beklagten nachgeahmten Produkte der Klägerin wettbewerbliche Eigenart aufweisen und weil bei den angegriffenen Erzeugnissen der Beklagten eine vermeidbare Täuschung über deren betriebliche Herkunft entsteht.

a. Wettbewerbliche Eigenart liegt vor, wenn die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale eines Erzeugnisses geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen (BGH GRUR 2012, 1155 [BGH 22.03.2012 - I ZR 21/11] Rn. 19 - Sandmalkasten; GRUR 2016, 725 [BGH 19.11.2015 - I ZR 149/14] Rn. 15 - Pippi-Langstrumpf-Kostüm II). Mit Recht hat das Landgericht angenommen, dass den von der Klägerin als Schutzgegenstand reklamierten Produkten wettbewerbliche Eigenart zukommt. Zutreffend hat das Landgericht auf den durch die prägenden Bestandteile hervorgerufenen Gesamteindruck der Produkte abgestellt (BGH GRUR 2010, 80 [BGH 28.05.2009 - I ZR 124/06], Tz. 32 - LIKEaBIKE). Es ist daher irrelevant, dass die Beklagte den einzelnen Komponenten der Halsketten eine Schutzfähigkeit abspricht.

Die eine wettbewerbliche Eigenart begründenden Merkmale müssen vom Kläger konkret vorgetragen und vom Tatrichter festgestellt werden. Dies ist hier geschehen, wobei die Ausführungen des Landgerichts zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit und zur wettbewerblichen Eigenart in ihrer Gesamtheit betrachtet werden müssen.

Das Landgericht hat die wettbewerbliche Eigenart der Klagegestaltungen aus der konkreten Gestaltung und Kombination der verschiedenen Einzelelemente in Zusammenspiel mit der Farbgebung abgeleitet. Diese besteht in der durchgehenden Anordnung zweier alternierend aufgereihter, umlaufender Elemente, die jeweils durch dünne Zylinder aus Glas abgesetzt sind, wobei eines der beiden Elemente jeweils zusammengesetzt ist aus einem farbigen Würfel aus Polarisschmuck (geschliffener Kunststoff), gefolgt von einem quadratischen silber- oder goldfarbenen Metallplättchen, einem quadratischen Straßrondell und einem weiteren quadratischen Metallplättchen in derselben Farbe, während das andere Element aus einem Würfel aus geschliffenem Kristallglas besteht, der in der Farbgebung mit dem farbigen Würfel aus Polaris korrespondiert. Bei der Klagegestaltung gem. Abbildung k (i) und k (ii) orientiert sich die Farbgebung an den Farben des Regenbogens, bei den Klagegestaltungen gem. Abbildungen k (iii) kommen Rot-, Schwarz- und Grautöne zum Einsatz, bei der Klagegestaltung gem. Abbildung k (iv) werden Blau-, Schwarz-, Rosa-, und Violettfarben verwendet, bei der Klagegestaltung gem. Abbildung k (v) werden Grau-, Schwarz, Hellbraun- und Abricotfarben eingesetzt.

Damit sind die erforderlichen Feststellungen zu dem für die wettbewerbliche Eigenart maßgeblichen Gesamteindruck getroffen worden. Die dagegen erhobenen Einwände der Beklagten sind nicht berechtigt:

aa) Das Landgericht hat sich durch die Vernehmung der Einkaufsleiterin der Klägerin B davon überzeugt, dass die Klägerin erstmals im Jahr 2005 Klagegestaltungen in Verkehr gebracht hat, die in ihrer den Gesamteindruck prägenden Struktur bis zum Verletzungszeitpunkt unverändert geblieben sind. Es hat ferner die Darlegungs- und Beweislast zur Feststellung der wettbewerblichen Eigenart der klägerischen Erzeugnisse zutreffend verteilt:

Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass zwar grundsätzlich der Anspruchsteller die klagebegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat, zu denen auch die wettbewerbliche Eigenart des als Schutzgegenstand geltend gemachten Erzeugnisses gehört. In diesem Zusammenhang kann es aber ausreichend sein, das Produkt vorzulegen, sofern sich der Anspruchsteller berechtigterweise auf eine dem Erzeugnis innewohnende Eigenart beruft. In einem solchen Fall obliegt es dann dem Anspruchsgegner darzulegen, dass die für die Eigenart relevanten Gestaltungsmerkmale schon vorbekannt waren oder im Verletzungszeitpunkt am Markt bekannt waren, was zu einer Schwächung oder dem Wegfall der Eigenart führen kann (vgl. BGH GRUR 1998, 477, 479 [BGH 06.11.1997 - I ZR 102/95] - Trachtenjanker; OLG Köln GRUR-RR 2015, 441, 442 - VITASED; Köhler/Bornkamm, UWG, 34. Aufl., Rn. 3.78 zu § 4 UWG). So liegt der Fall hier:

Die Schmuckstücke der Klägerin stellen in ihrer konkreten Gestaltung und Farbgebung keine "Allerweltsartikel" dar. Sie grenzen sich von den üblichen als Modeschmuck verkauften Würfelketten dadurch ab, dass der Gesamteindruck der klägerischen Produkte durch die immer gleich filigrane, aber nicht stereotyp wirkende Elementführung in Kombination mit der Materialwahl einen besonders wertigen Eindruck der (Mode-) schmuckstücke vermittelt. Durch die besondere Anordnung und durch die Farbgebung wird den streng geometrischen Elementen eine gewisse Leichtigkeit oder - wie es die Klägerin ausdrückt - "Lässigkeit" verliehen. Dadurch wohnt diesem Erzeugnis die Eignung inne, den angesprochenen Verkehr auf die Herkunft aus einem bestimmten Geschäftsbetrieb hinzuweisen.

bb. Die Beklagte hätte daher darlegen müssen, dass schon im Jahr 2005 im Markt ähnliche Schmuckketten wie die "X" etabliert gewesen waren. Das ist ihr nicht gelungen. Die Beklagte hat sich in erster Linie auf ihre eigenen Produkte bezogen, die im Anlagenkonvolut B 5 abgebildet wurden und als Muster vorgelegt worden sind. Ihr Vorwurf, das Landgericht habe sich nicht damit beschäftigt und das Beweisangebot auf Vernehmung des Zeugen C übergangen, ist unberechtigt. Das Landgericht hat sich vielmehr mit den Entgegenhaltungen der Beklagten auseinandergesetzt, diese aber zutreffend als von den Klageprodukten deutlich abweichende Erzeugnisse bewertet.

Dies gilt auch im Hinblick auf die Produkte der Beklagten selbst. Mit Schriftsatz vom 21. 9. 2016 hatte die Beklagte vorgetragen, sie habe schon seit 1999 "aufgereihte Regenbogenketten mit entsprechenden Elementen" vertrieben (Bl. 217), ohne aber deren Gestaltung vorzulegen. Daher blieb offen, was mit "entsprechenden" Elementen gemeint war. Mit Schriftsatz vom 10. 3. 2017 ist vorgetragen worden, der Zeuge C könne ausführlich zur Entwicklung des "Würfelkettenmarktes" berichten (Bl. 457). Diesem pauschalen und für sich gesehen unerheblichen Vortrag ist das Landgericht mit Recht nicht nachgegangen. Es bestand auch kein Anlass, die als Anlagenkonvolut B 5 vorgelegten Ketten der Beklagten in Augenschein zu nehmen. Das Landgericht hat nämlich zum Einen die Abbildungen dieser Ketten untersucht und sie mit Recht als deutlich von den Klägermodellen abweichend bewertet. Davon hat sich auch der Senat aus eigener Anschauung überzeugt. Ferner hat das Landgericht zutreffend berücksichtigt, dass eine erhebliche Marktpräsenz der Beklagten trotz gegenteiligen Vortrages der Klägerin nicht dargelegt worden ist. Hierauf geht die Berufung nicht ein, so dass sich weder Verfahrensfehler noch eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung erkennen lässt.


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BGH: Zum Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren auf Zahlung einer angemessenen Vergütung nach § 32 UrHG

BGH
Urteil vom 16.06.2016
I ZR 222/14
Geburtstagskarawane
UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 32 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2, § 32a Abs. 1 Satz 1; BGB §§ 195, 199 Abs. 1

Leitsatz des BGH:


Der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) von Ansprüchen des Urhebers eines Werkes der angewandten Kunst (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG), das einem Geschmacksmusterschutz zugänglich war und die Durchschnittsgestaltung nicht deutlich überragt, auf Zahlung einer (weiteren) angemessenen Vergütung nach § 32 Abs. 1 Satz 3,Abs. 2 Satz 2 UrhG oder § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG ist auf den Schluss des Jahres 2014 hinausgeschoben.

BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 - I ZR 222/14 - OLG Schleswig - LG Lübeck

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LG Hamburg: Biergebinde können als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein - 5,0 Original

LG Hamburg
Urteil vom 07.07.2016
310 O 212/14


Das LG Hamburg hat entschieden, dass Biergebinde als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein können. Vorliegend ging es um die Gestaltung der Biermarke "5,0 Original".


Aus den Entscheidungsgründen:

"2.1. Die gegenständlichen Gestaltungen sind urheberrechtlich als Werke der angewandten Kunst (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG) geschützt.

Vortrag der Klägerin, aus welchen konkreten Merkmalen sich die Individualität der Klagemuster ergeben soll, ist nicht erforderlich. Vorliegend ist die Gestaltung von Konsumgütern gegenständlich. Die vorbekannten Gestaltungen in diesem Bereich sind den Mitgliedern der Kammer – da diese dem einschlägigen Verkehrskreis angehören – bekannt. Durch Betrachten der Abbildungen aus dem Klagantrag Ziffer 1 ist es der Kammer ohne Weiteres möglich, die Schutz begründenden Gestaltungsmerkmale zu identifizieren, ohne dass es diesbezüglichen, konkreten Vortrags bedarf.

Die Klagemuster weisen die für Urheberrechtsschutz erforderliche Schöpfungshöhe auf. Der Bundesgerichtshofs hat im Urteil „Geburtstagszug“ (BGH, Urteil vom 13. November 2013 – I ZR 143/12 –, BGHZ 199, 52-71) bekanntlich entschieden, dass an den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen sind als an den Urheberrechtsschutz von Werken der zweckfreien bildenden Kunst oder des literarischen und musikalischen Schaffens. Damit genügt es, dass Werke der angewandten Kunst eine Gestaltungshöhe erreichen, die es nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise rechtfertigt, von einer „künstlerischen“ Leistung zu sprechen.

Über die konkreten Grenzen von § 2 Abs. 2 UrhG im Bereich der angewandten Kunst unter Berücksichtigung dieser neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss die Kammer im vorliegenden Fall nicht entscheiden, da hier eindeutig die erforderliche Gestaltungshöhe gegeben ist.

Die Schöpfungshöhe der Klagemuster ergibt sich jedenfalls aus der Kombination der folgenden Gestaltungsmerkmale:

- Die Klagemuster weisen eine klare, reduzierte Anmutung auf, durch Beschränkung auf die zweifarbige Gestaltung mit weißer Schrift und grünem bzw. rotem bzw. schwarzem bzw. orangem Hintergrund. Auf „verschnörkelte“ Bedruckung wurde verzichtet. Vorbekannte Gestaltungen weisen oft mehrere verschiedene Farben – oftmals Gold, Grün bzw. Rot enthaltend – bzw. Farbstufen auf und sind mit Zeichen wie z.B. Wappen, Kronen, Sternen, Ornamenten oder Bildern verziert.

- Die Klagemuster sind mit einem einfachen, klaren, schnörkellosen, verbreiteten Schrifttyp bedruckt. Vorbekannt sind hingegen Gestaltungen bei Bierflaschen und -dosen, die oft verschiedene und ungewöhnlichere Schrifttypen aufweisen, oft (auch) verschnörkelte oder geschwungene Schrift.

- Die Beschriftung der Klagemuster ist ausschließlich horizontal angeordnet.

- Der puristische, schlichte Eindruck der Klagemuster wird auch durch die Aufteilung der Designs in drei „Blöcke“ bzw. „Felder“ erzeugt: Einen oberen, fast die Hälfte des Aufdrucks einnehmenden „Block“ mit der Markenbezeichnung (2,5 Original bzw. 5,0 Original), einem darunter stehenden, etwa ein Viertel des Aufdrucks einnehmenden „Block“ mit Begleittext, in dessen unterster Zeile zentriert in größerer, kursiver Schrift ein Wort zur Produktbeschreibung (LEMON, EXPORT, PILS bzw. WEIZEN) zu finden ist sowie einem wiederum darunter stehenden, relativ kurzem Feld mit weiteren Angaben.

Durch die genannten Gestaltungsmerkmale weisen die Klagemuster ein puristisches, reines, unverfälschtes Design auf. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht die Geradlinigkeit und Schlichtheit des Designs der Individualität der Klagemuster gerade nicht entgegen, sondern bewirkt, dass sich die Klagemuster von den vorbekannten Gestaltungen von Bierflaschen und Bierdosen deutlich abheben.

Als Indiz bestätigen auch – ohne dass es hierauf noch ankäme - die Nennungen, Nominierungen und (bestrittenen) Preisverleihungen betreffend die Klagemuster gemäß Anlagenkonvolut K 38 die vorstehend festgestellte Schöpfungshöhe.

Dass Schlichtheit und Purismus bei anderen Produkte bereits vor den Klagemustern eingesetzt wurde (wie zum Beispiel bei den beklagtenseits angeführten Nivea-Dosen, „PREMIUM-COLA“-Flaschen oder UHU-Kleber-Umverpackungen bzw. –Gebinden), steht dem Schutz der Klagemuster nicht entgegen. Einfachheit, Klarheit und Schlichtheit sind im Bereich des Produktdesigns im Allgemeinen zwar ein bekannter Stil. Schutzbegründend für die Klagemuster ist aber die Anwendung dieses Stils in der konkreten Weise, wie bei der Gestaltung der Klagemuster geschehen."

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OLG Köln: Mit Airbrush-Technik verschönerte Urnen können als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein und sind dann vor Nachahmungen geschützt

OLG Köln
Urteil vom 20.02.2015
6 U 131/14


Das OLG Köln hat entschieden, dass mit Airbrush-Technik verschönerte Urnen als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein können und dann ein rechtlicher Schutz vor Nachahmungen besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Das beanstandete Produkt der Beklagten stellte eine unfreie Bearbeitung der Urne „Hirsch“ der Klägerin dar, so dass diese entsprechend §§ 97 Abs. 1, 23 S. 1 UrhG der Beklagten die Verwertung untersagen lassen kann. Die Urne „Hirsch“ ist, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, als Werk der angewandten Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG geschützt. Es handelt sich dabei um eine persönliche geistige Schöpfung im Sinn des § 2 Abs. 2 UrhG. Eine solche setzt eine individuelle Prägung voraus, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer „künstlerischen“ Leistung gesprochen werden kann (BGHZ 199, 52 = GRUR 2014, 175 Tz. 15 – Geburtstagszug m. w. N.).

[...]

Völlig vernachlässigt wird schließlich seitens der Beklagten, dass die Klägerin nicht Schutz für eine grafische Darstellung „Landschaft mit Hirschen“ begehrt, sondern für eine mit dieser Darstellung versehene Urne als Werk der angewandten Kunst. Auch die Beklagte hat keine einzige Urne aufzuzeigen vermocht, die mit einem auch nur entfernt ähnlichen Motiv versehen worden ist, obwohl ihr das Landgericht mit Beschluss vom 21. 1. 2014 förmlich aufgegeben hat, zum wettbewerblichen Umfeld der streitgegenständlichen Produkte vorzutragen (im Hinblick auf die hilfsweise auf § 4 Nr. 9 UWG gestützten Ansprüche der Klägerin). Insgesamt weist daher das Produkt der Klägerin die erforderliche Schöpfungshöhe auf."


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BGH: Zum Urheberrechtsschutz von Spielwaren als Werk der angewandten Kunst - Geburtstagszug

BGH
Urteil vom 13.11.2013
I ZR 143/12
Geburtstagszug



Aus der Pressemitteilung des BGH:


"Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass an den Urheberrechtschutz von Werken der angewandten Kunst grundsätzlich keine höheren Anforderungen zu stellen sind als an den von Werken der zweckfreien Kunst.

Die Klägerin ist selbständige Spielwarendesignerin. Die Beklagte stellt Spielwaren her und vertreibt sie. Die Klägerin zeichnete für die Beklagte im Jahr 1998 unter anderem Entwürfe für einen Zug aus Holz, auf dessen Waggons sich Kerzen und Ziffern aufstecken lassen ("Geburtstagszug"). Dafür erhielt sie ein Honorar von 400 DM.

Die Klägerin ist der Ansicht, bei ihren Entwürfen handele es sich um urheberrechtlich geschützte Werke. Die vereinbarte Vergütung sei - jedenfalls angesichts des großen Verkaufserfolgs des Geburtstagszugs - zu gering. Sie nimmt die Beklagte deshalb auf Zahlung einer (weiteren) angemessenen Vergütung in Anspruch.

Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat angenommen, die von der Klägerin angefertigten Entwürfe seien urheberrechtlich nicht geschützt. Nach der hergebrachten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seien bei Werken der angewandten Kunst, soweit sie einem Geschmacksmusterschutz zugänglich seien, höhere Anforderungen an die für einen urheberrechtlichen Schutz erforderliche Gestaltungshöhe zu stellen als bei Werken der zweckfreien Kunst. Die Entwürfe der Klägerin genügten diesen Anforderungen nicht. Auf die Revision der Klägerin hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, soweit das Berufungsgericht einen Anspruch auf Zahlung einer (weiteren) angemessenen Vergütung in Bezug auf Verwertungshandlungen, die nach dem 1. Juni 2004 vorgenommen worden sind, abgelehnt hat.

In seiner früheren Rechtsprechung hatte der Bundesgerichtshof die höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe von Werken der angewandten Kunst, die einem Geschmacksmusterschutz zugänglich sind, damit begründet, dass für solche Werke der angewandten Kunst mit dem Geschmacksmusterrecht ein dem Urheberrecht wesensgleiches Schutzrecht zur Verfügung stehe. Da sich bereits die geschmacksmusterschutzfähige Gestaltung von der nicht geschützten Durchschnittsgestaltung abheben müsse, sei für die Urheberrechtsschutzfähigkeit ein noch weiterer Abstand, das heißt ein deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung zu fordern.

An dieser Rechtsprechung kann - so der Bundesgerichtshof - im Blick auf die Reform des Geschmacksmusterrechts im Jahr 2004 nicht festgehalten werden. Durch diese Reform ist mit dem Geschmacksmusterrecht ein eigenständiges gewerbliches Schutzrecht geschaffen und der enge Bezug zum Urheberrecht beseitigt worden. Insbesondere setzt der Schutz als Geschmacksmuster nicht mehr eine bestimmte Gestaltungshöhe, sondern die Unterschiedlichkeit des Musters voraus. Da zudem Geschmacksmusterschutz und Urheberrechtsschutz sich nicht ausschließen, sondern nebeneinander bestehen können, rechtfertigt der Umstand, dass eine Gestaltung dem Geschmacksmusterschutz zugänglich ist, es nicht, ihr den Urheberrechtsschutz zu versagen oder von besonderen Voraussetzungen abhängig zu machen. An den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst sind deshalb - so der Bundesgerichtshof - grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen als an den Urheberrechtsschutz von Werken der zweckfreien bildenden Kunst oder des literarischen und musikalischen Schaffens. Es genügt daher, dass sie eine Gestaltungshöhe erreichen, die es nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise rechtfertigt, von einer "künstlerischen" Leistung zu sprechen. Dies gilt auch für die im Jahr 1998 angefertigten Entwürfe der Klägerin. Die Klägerin hat allerdings nach Ansicht des Bundesgerichtshofs keinen Anspruch auf Vergütung, soweit die Beklagte ihre Entwürfe vor dem Inkrafttreten des Geschmacksmusterreformgesetzes am 1. Juni 2004 verwertet hat. Bis zu diesem Zeitpunkt durfte die Beklagte im Blick auf die hergebrachte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf vertrauen, wegen einer Verwertung dieser Entwürfe nicht auf Zahlung einer (weiteren) angemessenen Vergütung in Anspruch genommen zu werden.

Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das zu prüfen haben wird, ob von der Klägerin entworfenen Spielwaren den geringeren Anforderungen genügen, die nunmehr an die Gestaltunghöhe von Werken der angewandten Kunst zu stellen sind."

BGH: Zum urheberrechtlichen Schutz eines Gebrauchsgegenstandes als Werk der angewandten Kunst - Seilzirkus

BGH
Urteil vom 12.05.2011
I ZR 53/10
Seilzirkus
UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 4

Leitsätze des BGH
:
a) Bei einem Gebrauchsgegenstand können nur solche Merkmale Urheberrechtsschutz als Werk der angewandten Kunst im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG begründen, die nicht allein technisch bedingt, sondern auch künstlerisch gestaltet sind. Eine Gestaltung genießt keinen Urheberrechtsschutz, wenn sie allein aus zwar frei wählbaren oder austauschbaren, aber technisch bedingten Merkmalen besteht und keine künstlerische Leistung erkennen lässt. Allein durch die Ausnutzung eines handwerklich-konstruktiven Gestaltungsspielraums oder durch den Austausch eines technischen Merkmals durch ein anderes entsteht noch kein eigenschöpferisches Kunstwerk.

b) Wer für einen Gebrauchsgegenstand Urheberrechtsschutz als Werk der angewandten Kunst im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG beansprucht, muss genau und deutlich darlegen, inwieweit der Gebrauchsgegenstand über seine von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet ist.
BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 - I ZR 53/10 - KG Berlin - LG Berlin

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