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OLG München: Willenserklärungen und Vertragsschluss per Emoji im WhatsApp-Chat - Keine Zustimmung zu Lieferfristverlängerung durch "Grimassen schneidendes Gesicht“-Emoji

OLG München
Urteil vom 11.11.2024
19 U 200/24 e


Das OLG München hat sich in diesem Rechtsstreit mit der Abgabe und Formwirksamkeit von Willenserklärungen sowie Vertragsschluss bzw. Vertragsänderungen per Emoji im WhatsApp-Chat befasst. Das Gericht hat vorliegend entschieden, dass das "Grimassen schneidendes Gesicht“-Emoji nicht als Zustimmung zu Lieferfristverlängerung auszulegen ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
bb) Aus dem Chatverlauf der Parteien lässt sich – entgegen der Ansicht des Beklagten – keine einvernehmliche Lieferfristverlängerung bis 30.06.2022 erblicken.

aaa) So ist bereits umstritten, ob WhatsApp-Mitteilungen bei rechtsgeschäftlich vereinbarter Schriftform – wie hier – die Voraussetzungen des § 127 Abs. 2 S. 1 BGB erfüllen.

α) Danach genügt zur Wahrung der durch Rechtsgeschäft bestimmten schriftlichen Form, soweit nicht ein anderer Wille anzunehmen ist, die telekommunikative Übermittlung.

Das gilt für alle Arten der Telekommunikation mittels technischer Telekommunikationsanlagen i.S.v. § 3 Nr. 22, 23 TKG in der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung bzw. § 3 Nr. 59, 60 TKG in der seit dem 01.12.2021 geltenden Fassung, soweit durch diese in Schriftzeichen lesbare verkörperte Erklärungen übersandt werden, die Übermittlung also nicht in der Form von Sprache (z.B. fernmündlich oder per Voice-Mail oder Voice-Message) erfolgt (s. BT-Drs. 14/4987, S. 20 f.; Wendtland in: BeckOK BGB, 71. Ed., Stand: 01.08.2024, § 127 Rz. 3; Wollenschläger in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.09.2024, § 127 BGB Rz. 53 f.; Einsele in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 127 Rz. 10; Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl., § 127 BGB Rz. 3). Der Begriff der telekommunikativen Übermittlung ist nicht auf bestimmte Medien verengt, vielmehr bewusst entwicklungsoffen (Schäfer, NJOZ 2023, 1376 [1378]).

Es reicht eine wechselseitige elektronische bzw. digitale Datenübermittlung (Wendtland in: BeckOK BGB, 71. Ed., Stand: 01.08.2024, § 127 Rz. 4), die dabei verwendeten Medien können unterschiedliche sein (Borges in: BeckOK IT-Recht, 15. Ed., Stand: 01.04.2024, § 127 BGB Rz. 12).

Der Text muss so zugehen, dass er dauerhaft aufbewahrt werden oder der Empfänger einen Ausdruck anfertigen kann (BAG, Urteil v. 16.12.2009, Az. 5 AZR 888/08, Rz. 36; OLG Zweibrücken, Beschluss v. 04.03.2013, Az. 3 W 149/12, juris Rz. 7; Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 127 Rz. 2; Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 24. Aufl., § 127 BGB Rz. 44).

β) αα) Teilweise wird vertreten (so z.B. OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 21.12.2023, Az. 15 U 211/21, juris Rz. 68 ff.; ähnlich AG Kassel, Urteil v. 15.03.2022, Az. 410 C 1583/22, juris Rz. 16 f.), diesen Anforderungen entspreche die Übermittlung per Messengerdienst nicht.

Es fehle es an einer hinreichend sicheren Möglichkeit der dauerhaften Archivierung und des Ausdrucks. Hinzu komme der Umstand, dass selbst der bloße Namenszusatz nicht ohne weiteres hinreichend sichere Gewähr biete, welche Person die darin enthaltene Erklärung rechtlich verantworte. Ferner sei zu berücksichtigen, dass ein Formerfordernis auch die Bedeutung habe, die erklärende Person zu warnen und vor übereilter Abgabe der Erklärung zu schützen. Die typische Art und Weise der Benutzung eines Messengerdienstes stehe dem entgegenstehe.

ββ) Die aus Sicht des Senats vorzugswürdige Ansicht bejaht die Voraussetzungen der gewillkürten Schriftform nach § 127 Abs. 2 S. 1 BGB auch bei der Übermittlung einer Textnachricht oder eines Attachments in Gestalt einer Textverarbeitungs- oder PDF-Datei oder eines ausreichend guten Fotos per WhatsApp – nicht jedoch bei einer WhatsApp-Sprachnachricht oder einem Video- oder Audio-Attachment (vgl. ausführl. Schäfer, NJOZ 2023, 1376 [1378 f. m.w.N.]; i. Erg. bspw. ebenso Wollenschläger in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.09.2024, § 127 BGB Rz. 54; Härting, Internetrecht, 7. Aufl., Rz. 534).

Die Einwände der gegenteiligen Auffassung erweisen sich als nicht stichhaltig. Die Dauerhaftigkeit und Reproduzierbarkeit sind bei WhatsApp-Nachrichten oder -Attachments in der vorgeschilderten Form gegeben. Dazu ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Chatverlauf bei Whats-App – soweit diese Funktion nicht ausgeschaltet ist – regelmäßig per Backup in der Cloud gesichert wird, also dauerhaft gespeichert wird. Zum anderen ist zu sehen, dass – abgesehen von der nur kurzzeitig für ein eng begrenztes Zeitfenster nach dem Versand für den Absender eröffneten Option „Für alle löschen“ – Nachrichten den Empfängern nicht mehr „entrissen“ werden können. Die Reproduktion ist sowohl physisch durch (screenshot- oder exportbasierten) Ausdruck möglich als auch digital durch Weiterleiten der Nachricht.

Die Ansicht, dass Messengerdienste weit überwiegend nur zum raschen Austausch rein privater Nachrichten und gerade nicht zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen benutzt würden und dabei die Emotionalität privater Nachrichten und nicht das überlegte Handeln mit entsprechenden rechtlichen Konsequenzen im Vordergrund stünde (so OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 21.12.2023, Az. 15 U 211/21, juris Rz. 74), erscheint angesichts der mittlerweile weiten Verbreitung dieser elektronischen Kommunikationsform auch im Rechts- und Geschäftsverkehr als überholt und wird namentlich durch den streitgegenständlichen Fall widerlegt.

bbb) Völlig ungeachtet der Frage, ob hier § 127 Abs. 2 S. 1 ZPO erfüllt ist, weist der Chatverlauf der Parteien nicht den vom Beklagten darin erblickten Inhalt auf. Insbesondere signalisierte der Kläger – anders als der Beklagte meint – nicht, insbesondere nicht mit den von ihm verwendeten Emojis, seine Zustimmung zu einer Lieferfristverlängerung bis zum 30.06.2022.

α) Das Zustandekommen einer den ursprünglichen Kaufvertrag hinsichtlich des Liefertermins und der unechten Nachfrist abändernden Abrede zwischen den Parteien setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen in Gestalt von Antrag (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147 BGB) voraus.

Willenserklärungen können sowohl ausdrücklich – mündlich oder in schriftlicher Form – als auch konkludent – d.h. durch schlüssiges Verhalten – erfolgen. Bei Nachrichten, die per Messenger-dienst gesendet werden, handelt es sich um elektronisch übermittelte Willenserklärungen (Säcker in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl, Einl. Rz. 209). Auch elektronische Erklärungen sind echte Willenserklärungen (Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl., Einf. v. § 116 Rz. 1). Diese unterliegen den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre.

Der Erklärende kann seinen Willen mittels Zeichen kundtun (Singer in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2021, § 133 Rz. 8; Biehl, JuS 2010, 195 [197]), d.h. auch durch digitale Piktogramme – wie Emojis. Diese werden häufig genutzt, um eine Aussage zu unterstreichen oder zu verstärken oder sollen klarstellen, in welchem Sinne etwas zu verstehen ist (z.B. ironisch). In dieser Funktion erfüllen Emojis im digitalen Diskurs ähnliche Funktionen wie Intonation, Gestik, Mimik und andere körpersprachliche Elemente in realen Gesprächen (Pendl, NJW 2022, 1054 [1056 Rz. 12]). Teilweise werden aber auch Worte innerhalb eines Satzes durch ein Emoji ersetzt. Ob der Verwender von Emojis einen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck bringen oder lediglich seine Stimmungs- oder Gefühlslage mitteilen möchte, ist eine Frage der Auslegung (Freyler, JA 2018, 732 [733]).

Emojis besitzen als Zeichen Interpretationsmöglichkeiten, die heranzuziehen sind; dabei spielen allerdings nur solche eine Rolle, die der Empfänger auch verstehen konnte (Freyler, JA 2018, 732 [734]). Umstände, die dem Erklärungsempfänger weder bekannt noch erkennbar waren, bleiben außer Betracht (BGH, Urteil v. 05.10.2006, Az. III ZR 166/05, Rz. 18: Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 133 Rz. 9). Faktoren wie Nationalität und Muttersprache, kultureller Hintergrund sowie Alter, Geschlecht oder Persönlichkeitsstruktur können sowohl die Nutzung als auch das Verständnis von Emojis beeinflussen, wobei sich besonders deutliche Einschnitte zwischen den Altersgruppen ergeben (Pendl, NJW 2022, 1054 [1056 Rz. 13]). Emojis bergen somit die Gefahr von Missverständnissen und Fehlschlüssen, weil die konkret verwendeten Symbole möglicherweise auf einem spezifischen „Emoji-Soziolekt“ beruhen, der bloß innerhalb einer bestimmten Gruppe existiert (Pendl, NJW 2022, 1054 [1056 Rz. 14]; illustrativ auch Püttmann/Opfer, LTO v. 02.11.2024: Vorsicht mit Emojis, https://www.lto.de/persistent/a_id/55764 [abgerufen: 11.11.2024], zum Emoji ).

Es ist – ebenso wie sonst – zu fragen, wie ein verständiger Empfänger der Nachricht die Willenserklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte, § 133, § 157 BGB. Dabei können die Begleitumstände Berücksichtigung finden, soweit diese einen Anhaltspunkt für den Sinngehalt des Erklärten bieten (BGH, Urteil v. 19.01.2000, Az. VIII ZR 275/98, juris Rz. 20; Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 133 Rz. 15). Zu Bestimmung des Bedeutungsgehalts von Emojis kann der Rechtsanwender gegebenenfalls Emoji-Lexika zurate ziehen (Pendl, NJW 2022, 1054 [1056 Rz. 18]). Hinweise auf das Verständnis eines Emojis können auch aus dem Begleittext folgen.

β) Eingedenk des Vorstehenden ist die Verwendung des Emojis in der WhatsApp-Nachricht des Klägers vom 23.09.2021 nicht als Zustimmung zur Aussage des Beklagten in der Nachricht zuvor zu werten „Der SF 90 Stradale rutscht leider auf erstes Halbjahr 2022.“

Ausgehend von seiner in den gebräuchlichen Emoji-Lexika Emojipedia (https://emojipedia.org/de/grimassen-schneidendes-gesicht [abgerufen: 11.11.2024]) und Emojiterra (https://emojiterra.com/de/grimassen-schneidender-smiley [abgerufen: 11.11.2024]) angegebenen Bedeutung stellt der sog. „Grimassen schneidendes Gesicht“-Emoji (Unicode: U+1F62C) grundsätzlich negative oder gespannte Emotionen dar, besonders Nervosität, Verlegenheit, Unbehagen oder Peinlichkeit. Dass die Parteien des Rechtsstreits – individuell oder aus Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – diesem eine davon abweichende Bedeutung beimaßen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zudem ist der spezifische Kontext zu berücksichtigen, in dem der Emoji verwendet wurde. Der daneben vom Kläger verwendete Ausdruck „Ups“ ist allenfalls als Ausruf der Überraschung oder des Erstaunens zu werten, keinesfalls ist damit eine zustimmende Aussage verbunden. Die folgende Aussage des Klägers ändert daran nichts mehr.

γ) Die Verwendung des Emojis in der Nachricht vom 29.09.2021 durch den Kläger hat ebenso nicht diesen, ihm vom Beklagten zugemessenen Bedeutungsinhalt.

Zwar signalisiert der sog. „Daumen hoch“-Emoji (Unicode: U+1F44D) – was dem Beklagten zuzugeben ist – laut der oben angegebenen Emoji-Lexika und in Übereistimmung mit dem überwiegenden Verständnis dieser Geste bei physischer Verwendung regelmäßig Zustimmung, Einverständnis oder Anerkennung. Die Nachricht bezog sich aber ersichtlich nicht mehr auf die erste Nachricht des Beklagten vom 23.09.2021, sondern die dazwischen geführte Konversation der Parteien am 28. und 29.09.2021 und diese drehte sich um die Umstände der Verbindlichkeit der Bestellung des Pkw und dessen Konfiguration – und in keiner Weise den Liefertermin.

δ) Selbst die klägerische WhatsApp-Nachricht vom 27.01.2022 unter Verwendung des Emojis ist nicht im vom Beklagten gewünschten Sinne auszulegen.

Der sog. „Grinsendes Gesicht mit lachenden Augen“-Emoji (Unicode: U+1F604) hat in der Regel schon keine eindeutige Bedeutung. Er vermittelt laut Emoji-Lexika oftmals allgemeine Freude, Glücksgefühle, eine warme, positive Stimmung oder gutmütige Belustigung, kann aber auch Stolz oder Aufregung vermitteln.

Außerdem ist er vorliegend eingebettet in folgende Nachricht:
„Erstes Halbjahr hat angefangen. schon ein Lebenszeichen von Ferrari wann mit dem Auto zu rechnen ist?“

Dass dadurch zum Ausdruck kommen soll, dass der Kläger nunmehr mit einer Verlängerung der Lieferfrist für den Pkw bis zum 30.06.2022 sein Einverständnis zum Ausdruck gebracht habe, ergibt sich aus nichts. Allenfalls kann darin der Ausdruck einer unspezifischen Vorfreude oder Hoffnung, keinesfalls auch nur ein Erklärungsbewusstsein des Klägers erkannt werden.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: E-Mail ist im unternehmerischen Geschäftsverkehr zugegangen wenn sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung steht

BGH
Urteil vom 06.10.2022
VII ZR 895/21
BGB §§ 779, 147 Abs. 2, § 130; ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr zugegangen ist, wenn sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung steht. Auf eine tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an.

Leitsatz des BGH:
Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.

BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 - VII ZR 895/21 - KG Berlin - LG Berlin
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: