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BVerwG: Nicht essbare Wursthüllen und Verschlussclips gehören nicht zur Füllmenge fertigverpackter Wurstwaren und dürfen nicht miteinberechnet werden

BVerwG
Urteil vom 06. Mai 2025
8 C 4.24


Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass nicht essbare Wursthüllen und Verschlussclips nicht zur Füllmenge fertigverpackter Wurstwaren gehören und daher nicht miteinberechnet werden dürfen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Nicht verzehrbare Wursthüllen und Wurstclips müssen austariert werden

Das Gewicht nicht verzehrbarer Wursthüllen und Wurstclips darf bei der Bestimmung der Füllmenge von vorverpackten Lebensmitteln nicht berücksichtigt werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Die Klägerin stellt Fertigpackungen mit Würsten zur Abgabe an Endverbraucher her. Die Würste sind mit nicht essbaren Wursthüllen und Wurstclips umschlossen. Nach der Produktion werden sie auf eine Plastikschale gelegt und in Plastikfolie eingeschweißt. Bei zwei Kontrollen im Jahr 2019 beanstandete das Eichamt des Beklagten, dass die Klägerin das Gewicht nicht essbarer Wursthüllen und Wurstclips zur Füllmenge der von ihr hergestellten Fertigpackungen rechne. Die Klägerin berief sich auf die bisherige Praxis. Daraufhin untersagte der Beklagte ihr, Wurstfertigpackungen in den Verkehr zu bringen, bei denen nicht verzehrbare Wursthüllen und Wurstclips nicht austariert wurden.

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Klägerin stattgegeben und die Verbotsverfügung aufgehoben. Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Er durfte der Klägerin das Inverkehrbringen der Wurstfertigpackungen untersagen, weil diese nicht den gesetzlichen Anforderungen genügten. Sie ergeben sich aus dem Mess- und Eichgesetz in Verbindung mit speziellen Vorschriften der Fertigpackungsverordnung, die für vorverpackte Lebensmittel auf die europäische Lebensmittelinformationsverordnung verweisen. Danach ist auf vorverpackten Lebensmitteln die Nettofüllmenge des Lebensmittels anzugeben. Bei Fertigpackungen mit gleicher Mengenangabe muss die Nettofüllmenge der enthaltenen Lebensmittel im Durchschnitt dieser Angabe entsprechen. Entgegen dem Berufungsurteil ergibt sich aus der Fertigpackungsrichtlinie keine Ausnahme. Die späteren Spezialregelungen gehen ihr vor. Zur Nettofüllmenge des Lebensmittels zählt bei den beanstandeten Wurstfertigpackungen nur das Wurstbrät. Nicht verzehrbare Wursthüllen und Wurstclips gehören zur Verpackung. Ihr Gewicht darf deshalb bei der Bestimmung der Füllmenge nicht berücksichtigt werden. Die gegenteilige Praxis der Klägerin führte zu einer Unterschreitung der erforderlichen Füllmenge.

Vorinstanzen:

VG Münster, VG 9 K 2549/19 - Urteil vom 28. März 2023 -

OVG Münster, OVG 4 A 779/23 - Urteil vom 23. Mai 2024 -


OVG Münster: Auch nicht essbare Wursthüllen und Verschlussclips die üblichem Handelsbrauch entsprechen gehören zur Füllmenge fertigverpackter Wurstwaren

OVG Münster
Urteil vom 24.05.2024
4 A 779/23


Das OVG Münster hat entschieden, dass auch nicht essbare Wursthüllen und Verschlussclips, die üblichem Handelsbrauch entsprechen, zur Füllmenge fertigverpackter Wurstwaren gehören..

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen: Auch nicht essbare Wursthüllen und Verschlussclipse gehören zur Füllmenge fertigverpackter Leberwurst

Das Oberverwaltungsgericht hat mit heute verkündetem Urteil entschieden, dass auch nicht essbare Wursthüllen und -clipse zur Füllmenge fertigverpackter Leberwurst gehören, und eine Untersagungsverfügung des Landesbetrieb Mess- und Eichwesen NRW aufgehoben.

Die Klägerin ist eine in Nordrhein-Westfalen ansässige Herstellerin von Wurstwaren. Im Jahr 2019 nahm der Landesbetrieb Mess- und Eichwesen NRW im Betrieb der Klägerin zwei Füllmengenkontrollen hinsichtlich von ihr vermarkteter fertigverpackter Leberwürste in nicht essbaren Wursthüllen vor. In den untersuchten Chargen mit auf den Verpackungsetiketten angegebenen Nennfüllmengen von jeweils 130 Gramm waren im Mittel 127,7 bzw. 127,4 Gramm essbare Wurstmasse enthalten. Diese Kontrollergebnisse entsprachen den Vorgaben einer Verwaltungsvorschrift zur Füllmengenkontrolle von Fertigpackungen durch die zuständigen Behörden, wonach Wursthüllen und Wurstendenabbinder zum Nettogewicht zählen. Der Landesbetrieb ging bei den Kontrollen abweichend von seiner langjährigen früheren Praxis davon aus, dass das Gewicht der nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipse seit Inkrafttreten der europäischen Lebensmittelinformationsverordnung im Jahr 2014 nicht mehr zur Füllmenge der Fertigpackung gehört. Daraufhin untersagte der Landesbetrieb der Klägerin, Fertigpackungen mit Wurstwaren, bei denen die nicht essbaren Wurstclipse und Wursthüllen nicht austariert worden sind, in den Verkehr zu bringen. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Münster ab und stützte sich dabei auf eine Begriffsbestimmung in der Lebensmittelinformationsverordnung.

Der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat nach gestriger mündlicher Verhandlung das Urteil der Vorinstanz geändert und die Untersagungsverfügung aufgehoben. In der mündlichen Urteilsbegründung hat der Vorsitzende heute ausgeführt: Nach der weiterhin maßgeblichen EWG-Richtlinie von 1976 ist unter Füllmenge die Erzeugnismenge zu verstehen, die die Fertigpackung tatsächlich enthält. Auch Würste, die nach üblichem Handelsbrauch mit nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipsen gehandelt werden, sind Erzeugnisse im Sinne des Fertigpackungsrechts. Nur dieses Begriffsverständnis ermöglicht es, umhüllte Würste entsprechend der allgemeinen Praxis, von der auch das Verwaltungsgericht ausgegangen und die zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist, als nicht fertigverpackt im Sinne der EWG-Richtlinie von 1976 anzusehen und an der Fleischtheke weiterhin ohne Angabe der Nennfüllmenge zur Verwiegung vor Ort anzubieten.

Die Füllmenge einer Fertigpackung ist nach den Vorschriften des deutschen Mess- und Eichgesetzes sowie der deutschen Fertigpackungsverordnung zu bestimmen. Diese Anforderungen setzen Vorgaben der weiterhin geltenden Richtlinie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) über die Abfüllung bestimmter Erzeugnisse in Fertigpackungen aus dem Jahr 1976 in deutsches Recht um. Mit der seit 2014 geltenden Lebensmittelinformationsverordnung hat der Unionsgesetzgeber die bisher geltende Rechtslage bezogen auf die Bestimmung der Füllmenge von vorverpackten Lebensmitteln und Fertigpackungen mit Lebensmitteln nicht geändert, sondern für vorverpackte Lebensmittel hierauf Bezug genommen. Nach der weiterhin maßgeblichen EWG-Richtlinie von 1976 ist unter Füllmenge die Erzeugnismenge zu verstehen, die die Fertigpackung tatsächlich enthält. Dabei besteht eine Fertigpackung aus einem Erzeugnis und seiner vollständigen und mengenerhaltenden Umschließung beliebiger Art. Der Begriff des Erzeugnisses ist ein unionsrechtlicher Begriff, der seinerzeit bereits in den Bestimmungen des Gründungsvertrags der EWG über die Landwirtschaft verwendet worden war und im Wesentlichen unverändert bis heute gilt (heute: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV). Danach umfasst der Europäische Gemeinsame Markt (heute: Binnenmarkt) von Anfang an auch die Landwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Als solche sind unter anderem die „Erzeugnisse der Viehzucht“ zu verstehen. Die Erzeugnisse, für die die Bestimmungen des EWG-Vertrags über die Landwirtschaft galten, waren schon damals in einer Liste im Anhang des EWG-Vertrags (heute: des AEUV) unter der Überschrift „Warenbezeichnung“ und unter Zuordnung zu den Nummern des Brüsseler Zolltarifschemas von 1950 aufgeführt. In dieser Liste ist unter anderem „Fleisch und genießbarer Schlachtabfall“ als landwirtschaftliches Erzeugnis im Sinne der europarechtlichen Vorschriften über den Gemeinsamen Markt genannt. Daneben erwähnt die Liste allerdings auch nicht essbare landwirtschaftliche Erzeugnisse. Auch die Lebensmittelbasisverordnung bringt zum Ausdruck, dass Erzeugnisse nicht essbar sein müssen oder nicht essbare Teile enthalten können, indem sie Lebensmittel als essbare Stoffe oder Erzeugnisse definiert. Nur für Zwecke der Lebensmittelhygiene geht die Lebensmittelhygieneverordnung, die sich gleichfalls auf die im Anhang des EG-Vertrags aufgeführten Erzeugnisse bezieht, in ihren Vorschriften für das Umhüllen und Verpacken von Lebensmitteln davon aus, dass Umhüllung und Verpackung nicht Teil des Erzeugnisses sind. Ausgehend von der Zielrichtung der EWG-Richtlinie von 1976, Handelshemmnisse beim Handel mit Fertigpackungen zu beseitigen, ist der Senat im Ergebnis nach intensiver Beratung davon ausgegangen, dass der Erzeugnisbegriff im Fertigpackungsrecht entsprechend der Begriffsverwendung im Anhang des EWG-Vertrags (und heute des AEUV) sich grundsätzlich an demjenigen der handelbaren Ware orientiert, dabei aber Verpackungen nicht einschließt. Demgegenüber hat der Senat der ausschließlich lebensmittelhygienerechtlichen Unterscheidung von Erzeugnis und Umhüllung bzw. Verpackung keine für das Fertigpackungsrecht durchgreifende Bedeutung beigemessen. Auf der Grundlage dieser Begriffsverwendungen betrachtet der Senat auch Würste, die nach üblichem Handelsbrauch mit nicht essbaren Wursthüllen und Verschluss­clipsen gehandelt werden, als solche mit Umhüllung als handelbare Waren und damit als Erzeugnisse im Sinne des Fertigpackungsrechts. Sie sind erst dann als fertigverpackt anzusehen, wenn sie mit einer Umschließung beliebiger Art (Fertigpackung) an die Verbraucher abgegeben werden sollen.

Der Senat hat die Revision, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

Aktenzeichen: 4 A 779/23 (I. Instanz: VG Münster 9 K 2549/19)