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VG Hannover: DSGVO gilt nicht für Altfälle bzw. Datenschutzverstöße vor Inkrafttreten am 25.05.2018

VG Hannover
Urteil vom 10.10.2023
10 A 5223/19


Das VG Hannover hat entschieden, dass die DSGVO nicht für Altfälle bzw. Datenschutzverstöße vor Inkrafttreten am 25.05.2018 gilt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Auf den vorliegenden Fall findet die Verordnung (EU) Nr. 2016/679 des Europäischen Parlamentes und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, hiernach: DS-GVO) keine Anwendung.

Grundsätzlich ist für Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, bei Leistungs- oder Verpflichtungsklagen – wie hier – auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. dazu Hamb. OVG, Urteil vom 7.10.2019 – 5 Bf 279/17 –, juris Rn. 40). Aufgrund der Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG sind dabei aber Rechtsänderungen, die vor der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts in Kraft getreten sind, bei der Entscheidung zu beachten, sofern das neu in Kraft gesetzte Recht nichts anderes bestimmt. Durch seine Auslegung ist zu ermitteln, ob das klägerische Begehren noch nach altem, also dem aufgehobenen oder nach dem inhaltlich geänderten Recht zu beurteilen ist (vgl. Decker in BeckOK VwGO, 66. Ed. 1.7.2023, VwGO § 113 Rn. 74.1; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.3.2004 – 8 C 5/03 –, juris Rn. 35 f.)

Danach findet die DS-GVO auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Die Anwendbarkeit der DS-GVO ist in deren Art. 99 Abs. 2 DS-GVO festgelegt. Danach gilt die DS-GVO erst seit dem 25. Mai 2018. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten beanstandet, dass sie betreffende medizinische Unterlagen im Jahr 2012 an einen Gutachter weitergegeben worden sind. Zu Sachverhalten, die sich vor Geltung der DS-GVO ereignet haben, enthält die DS-GVO keine expliziten Regelungen. Eine Übergangsvorschrift, die die Geltung der DS-GVO auch für Sachverhalte vor diesem Datum anordnet, existiert im deutschen Recht nicht. Im österreichischen Recht findet sich eine Regelung, welche die Anwendung des neuen Rechts, also der DS-GVO, explizit auch für Sachverhalte vor dem Inkrafttreten der DS-GVO anordnet, wenn die Fälle noch bei den Aufsichtsbehörden liegen (vgl. zu allem: VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 – AN 14 K 19.01274 –, juris Rn. 21 m.V.a. VGH der Republik Österreich, Beschluss vom 5.6.2020 - VwGO RO 2018/04/0023 -, abrufbar über das Rechtsinformationssystem des Bundes, https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Vwgh&Dokumentnummer=JWT_2018040023_20200605J00, zuletzt abgerufen am 10.10.2023).

Das Inkrafttreten der DS-GVO stellt nach deren Art. 99 eine klare Zäsur zwischen dem alten und dem neuen Recht dar. Da der deutsche Gesetzgeber keine Übergangsvorschrift erlassen hat, die unter bestimmten Umständen eine Anwendung des neuen Rechts auch auf vor deren Geltung begangene Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften angeordnet hat, unterliegen vor diesem Datum erfolgte Verstöße vollständig dem alten Recht (VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 – AN 14 K 19.01274 –, juris Rn. 44).

2. Aus der Nichtanwendbarkeit der DS-GVO auf den vorliegenden Fall folgt, dass die Rüge, welche die Klägerin wegen der Weitergabe sie betreffender, medizinischer Unterlagen im April 2018 gegenüber dem Beklagten erhoben hat, keine "Beschwerde" im Sinne des Art. 77 DS-GVO darstellen kann, sondern nur als eine "Eingabe" im Sinne des Art. 28 Abs. 4 der (inzwischen außer Kraft getretenen) Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr vom 24. Oktober 1996 (hiernach: RL 95/46/EG) anzusehen sein kann. Für vor dem 25. Mai 2018 liegende Verstöße gegen die Datenschutzrichtlinie werden Aufsichtsbehörden und Gerichte grundsätzlich nach dem bisherigen Rechtsregime tätig (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 – AN 14 K 19.01274 –, juris Rn. 38 m.V.a. Hornung/Spiecker in Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, 1. Auflage 2019, Art. 99 DS-GVO, Rn. 4).

3. Die Eingabe der Klägerin gemäß Art. 28 Abs. 4 RL 95/46/EG kann keinen Anspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten begründen.

Die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur hat die Auffassung vertreten, dass die Eingabe gemäß Art. 28 Abs. 4 RL 95/46/EG petitionsähnlich ausgestaltet gewesen ist und die gerichtliche Prüfung sich daher darauf beschränkt hat, ob die Eingabe entgegengenommen, sachlich und rechtlich geprüft und das Ergebnis mitgeteilt worden war (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 – AN 14 K 19.01274 –, juris Rn. 21 m.V.a. BayVGH, Beschluss vom 23.3.2015 – 10 C 15.165BeckRS 2016, 44250; Döhmann in Simitis, BDSG a.F., 8. Auflage 2014, § 21 Rn. 18; Gola/Schomerus, BDSG, Kommentar, 11. Auflage 2012, § 21 Rn. 6; Körffer in Paal/Pauly, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Auflage 2018, Art. 77 Rn. 5; Will, ZD 2020, 97; vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 23.7.2013 - 11 PA 145/13 -, n.v.). Ein Anspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten bestand dagegen nicht (Brink in BeckOK Datenschutzrecht, 22. Edition Stand 1.11.2017, § 38 BDSG, Rn. 51).

Die Regelungen der DS-GVO, aus denen sich nach Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über das "ob" und das "wie" eines aufsichtsrechtlichen Tätigwerdens der unabhängigen Aufsichtsbehörde und – im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null – auch einen Anspruch auf ein konkretes Einschreiten der Aufsichtsbehörde ergeben kann, sind hier nicht anwendbar (vgl. zum Prüfungsumfang des Gerichts nach der DS-GVO OVG Hamburg, Urteil vom 7.10.2019 – 5 Bf 279/17 –, juris Rn. 63 ff. m.w.N.; VG Stuttgart, Urteil vom 11.11.2021 – 11 K 17/21 –, juris Rn. 90 f.; VG Wiesbaden, Beschluss vom 31.8.2021 – 6 K 226/21.WI –, juris; Urteil vom 7.6.2021 – 6 K 307/20.WI –, juris Rn. 37; VG Hamburg, Urteil vom 1.6.2021 - 17 K 2977/19 -, juris; VG Mainz, Urteil vom 16.1.2020 – 1 K 129/19.MZ –, juris; zur gegenteiligen Auffassung vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.10.2020 – 10 A 10613/20 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.1.2020 - 1 S 3001/19 -, juris). Insoweit wird mit den Erwägungsgründen 11, 142 und 143 der DS-GVO und Art. 57 Abs. 1 lit. f DS-GVO, der den Aufsichtsbehörden für das Beschwerdeverfahren konkrete Aufgaben zuweist, argumentiert (vgl. statt vieler: OVG Hamburg, Urteil vom 7.10.2019 – 5 Bf 279/17 –, juris Rn. 63 ff.). Diese Argumente können aber für den vorliegenden Fall nicht herangezogen werden. Der Erwägungsgrund 142 stellt nur auf die "Rechte nach dieser Verordnung" ab. Die Sätze 4 und 5 des Erwägungsgrundes 143 nennen zwar nicht ausdrücklich "diese Verordnung", nach ihrem Sinn und Zweck stellen sie jedoch auf die durch die DS-GVO ab ihrem Geltungsbeginn geschaffene Rechtslage ab und sprechen damit ebenfalls gegen einen Gleichlauf des gerichtlichen Prüfungsumfangs vor und nach dem Geltungsbeginn der DS-GVO. Nach Erwägungsgrund 11 erfordert ein wirksamer Schutz von personenbezogenen Daten die Stärkung der Rechte der Betroffenen. Diese Stärkung der Rechte der Betroffenen soll aber, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, gerade durch die DS-GVO erfolgen. Demnach lässt sich für den hier zu entscheidenden Fall, in dem die beanstandete Weitergabe von medizinischen Unterlagen Jahre vor Inkrafttreten der DS-GVO stattgefunden hat, aus den Erwägungsgründen nichts für die Rechtsauffassung der Klägerin ableiten. Anhaltspunkte dafür, dass diese Stärkung der Rechte der Betroffenen auch für Verstöße vor dem Inkrafttreten der DS-GVO gegen das zu diesem Zeitpunkt maßgebliche materielle Datenschutzrecht gelten soll, lassen sich daraus aber wiederum nicht ableiten (VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 – AN 14 K 19.01274 –, juris Rn. 42).

Ebenso wenig kann Art. 57 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO für die Begründung eines über das alte Recht hinausgehenden Prüfungsumfangs herangezogen werden. Denn auch diese Bestimmung gilt nur für Beschwerden wegen einer Verletzung der DS-GVO i.S.v. Art. 77 DS-GVO. Dies ist aber nach den obigen Ausführungen hier nicht der Fall.

4. Danach ergibt sich bei Anwendung des hier einschlägigen Rechts, dass die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt ist, ob die Eingabe der Klägerin von dem Beklagten entgegengenommen, sachlich und rechtlich geprüft und dass der Klägerin das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt wurde. Dies ist hier der Fall. Der Beklagte hat den von der Klägerin im April 2018 mitgeteilten Sachverhalt an die D. weitergeleitet und diese zur Stellungnahme sowie ggf. zur Vorlage einer Schweigepflichtentbindungserklärung aufgefordert. Es ist zwar nicht erkennbar, dass sie auf Grundlage der Stellungnahme der Mecklenburgischen Versicherung eine eigene rechtliche Prüfung vorgenommen hat, bevor sie der Klägerin mitgeteilt hat, dass keine personenbezogenen Daten weitergegeben worden sind. Sie hat die D. aber jedenfalls auf den Widerspruch der Klägerin gegen die Einstellung des Verfahrens vom 12. Oktober 2018 erneut zur Stellungnahme aufgefordert. Deren umfangreiche Stellungnahme hat sie in dem Bescheid vom 1. Oktober 2019 gewürdigt, seine – in Teilen von der M. Versicherung abweichende – Rechtsauffassung kundgetan und das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

VG Hannover: TV-Programmhinweise im Werbeblock ohne Zäsur sind nicht gestattet - RTL gegen Niedersächsische Landesmedienanstalt

VG Hannover
Urteile vom 17.11.2016
7 A 430/16
7 A 280/15


Das VG Hannover hat entschieden, dass TV-Programmhinweise im Werbeblock ohne Zäsur nicht gestattet sind.

Die Pressemitteilung des VG Hannover:

TV-Programmhinweise im Werbeblock ohne Zäsur unzulässig
7. KAMMER HAT MIT URTEILEN VOM 17.11.2016 ZWEI KLAGEN VON RTL GEGEN BEANSTANDUNGSVERFÜGUNGEN DER NIEDERSÄCHSISCHEN LANDESMEDIENANSTALT ABGEWIESEN.

Im ersten Fall hatte RTL innerhalb eines gekennzeichneten Werbeblocks einen Programmhinweis auf das Jugendformat „Toggo" in dem zur Senderfamilie gehörenden Programm Super RTL ausgestrahlt, sog. Cross-Promotion. Werbung muss nach § 7 Abs. 3 des Rundfunkstaatsvertrages (RStV) als solches leicht erkennbar und vom redaktionellen Inhalt unterscheidbar sein (Erkennungs- und Trennungsgebot). Programmhinweise zählen jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Programm und nicht zur Werbung. Sie werden nach § 45 Abs. 2 RStV auch nicht auf die zulässige Dauer der Fernsehwerbung angerechnet. Der Zuschauer muss klar erkennen können, wann auf Programm wieder Werbung folgt. Folgt auf einen Programmhinweis ohne Zäsur (Werbelogo) erneut kommerzielle Werbung, wird das Trennungsgebot von Werbung und redaktionellem Inhalt verletzt.

Aktenzeichen: 7 A 430/16

Im zweiten Fall hatte RTL innerhalb eines gekennzeichneten Werbeblocks einen Programmhinweis auf die Sendung „Yps" in dem zur Senderfamilie gehörenden Programm RTLNITRO ausgestrahlt und diesen Hinweis mit einem kommerziellen Werbespot für eine Programmzeitschrift verbunden, sog. Kombispot. Auch hier erkannte das Gericht einen Verstoß gegen das Trennungsgebot von Werbung und Programm. Ein sog. Kombispot trägt den Verstoß bereits in sich. Er ist regelmäßig unzulässig. Lässt sich der Kombispot in Programmhinweis und Werbung trennen, muss auch hier ein Werbelogo platziert werden. Das Gericht hat in diesem Fall wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Berufung zum Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zugelassen.

Aktenzeichen: 7 A 280/15